Das komplexe Auftragsnetz professioneller „Arbeitslosenhilfe“
Die in diesem Kapital kursorisch angeschnittene und keinesfalls vollständige Aufzählung einiger um die Problematik Arbeitslosigkeit und deren Lösungsansatz „arbeitsmarktintegrativer Kursmaßnahmen“ versammelter Akteure muss fürs Erste genügen. Sie dient dazu, die Vielfältigkeit und Verflochtenheit der „Auftraggeber“ und deren teils sublimer, teils (in)direkter, teils offizieller, jeweils aber immer interessenbezogener Aufträge an diese Form der Sozialen Arbeit darzulegen.
Das AMS bedient sich, wie bereits eingangs festgestellt, beim Versuch der ihr überantworteten Bewältigung des Problems „(Langzeit-)Arbeitslosigkeit“ unter anderem spezifischer arbeitsmarktintegrativer Kursmaßnahmen, von denen sich in den letzten drei Jahrzehnten ein vielfältiges Spektrum an professionell sozialarbeiterisch/sozialpädagogisch fundierten Integrationsprojekten ausdifferenziert hat (vgl. Kap. 4.3.2).
Der konkrete Auftrag an diese Einrichtungen lautet, die zugewiesenen, in der Regel als „schwer vermittelbar“ deklarierten, Arbeitslosen aus deren exkludierendem Status mittels qualifizierender, berufsbildender und (re-)sozialisierender Hilfestellung wieder oder erstmals in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dieser Auftrag unterstellt implizit, diese Arbeitslosen wären von zu korrigierenden persönlichen Mängeln betroffen und bedürften zur Wiedereingliederung einer bestimmten Form beruflicher Grund-, Auf-, und Weiterqualifizierung sowie einer (Nach-)Sozialisation, bezogen auf entsprechende soziale Kompetenzen bzw. „Arbeitstugenden“ (vgl. Kap. 5).
In Gestalt der arbeitsmarktpolitischen bzw. –bezogenen, staatlich geförderten Integrationsmaßnahmen eröffnet sich ein neues soziales (arbeitsmarktintegratives) Sub-Feld innerhalb des polit-ökonomischen Feldes. In diesem fungieren die Arbeitslosen als, hinsichtlich verfügbarer „Kapitalsorten“ schwächste „Mitspieler“ zugleich als „Objekte“ der unterschiedlichen Interessen der dort positionierten und agierenden sozialen Akteure, die nach jeweils spezifischen, typischen Kapitalkonstellationen Regeln bilden, vorgeben, aushandeln, durchsetzen. Auf Grund der übermächtigen Dominanz des ökonomischen Kapitals, auf welches die Integrationsmaßnahmen „auf Gedeih und Verderb“ angewiesen sind, ergibt sich bereits eine Prädisposition hinsichtlich der die Regeln bestimmenden Akteurskonstellationen (vgl. Fußnote 11).
Die Wahl bzw. Zuweisung der Position innerhalb des Feldes ist bereits im jeweiligen personalen bzw. kollektiven (beruflichen) „Habitus“20 der einzelnen (kollektiven) Akteure angelegt (vgl. BOURDIEU/ WACQUANT. 1996: 170). Das heißt, jeder der Akteure auf dem Feld „erbt“ bzw. übernimmt vor allem qua eigener (beruflicher) Sozialisation ein gewisses Kapitalvolumen kultureller, sozialer, ökonomischer und symbolischer Art21 sowie Eigenschaften, die seinen Habitus formen und ihm ermöglichen, in das Feld einzutreten und „mitzuspielen“. Dabei muss er sich jedoch auf Grund der Beeinflussung durch das Feld sowie der anderen das Feld beeinflussende Akteure auch anderweitig orientieren.
Gemäß der funktionalen Methode respektive „System-Umwelt-Theorie“ LUHMANNS dreht sich das Geschehen im ökonomischen Subsystem Arbeitsmarkt permanent um den Erhalt des Systems in Form eines dynamischen Prozesses, wobei Probleme und Widersprüche durchaus dem Erhalt eines Systems dienen, sofern sie nur funktionsäquivalent gelöst werden. So liegt es denn auch „… in der Natur des Kapitals, einen Teil der Arbeiterbevölkerung zu überarbeiten und einen anderen zu verarmen." (MARX. 1983: 300). Für den funktionalen Erhalt des Systems „Wirtschaft“ bzw. ihres Subsystems „Arbeitsmarkt“ ist es „gleichgültig“, wie der jeweilige daraus Exkludierte zu seinem Einkommen kommt, wie er seine Arbeitslosigkeit verbringt usw., solange dadurch die Funktionsweise des Wirtschaftssystems nicht gestört wird. Das heißt, sowohl „die Wirtschaft“ als auch eine neoliberal ausgerichtete Politik wird repressive Tendenzen und Methoden auf dem Feld der arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen, welche Absichten der Förderung zur Selbstermächtigung der Betroffenen sowie wirtschaftssystem- und konsumkritische Einstellungen bereits im Ansatz hemmen, als funktional erwünscht fördern bzw. zumindest nicht verhindern. Moralische Aspekte spielen in dieser Hinsicht keine relevante Rolle.
Ebenso ist es für den Staat in seiner systemstabilisierenden Funktion des Erhalts von „sozialen Frieden“ (unter anderem zur Aufwertung als Wirtschaftsstandort) funktionsadäquater, wenn sich die „Verlierer“ des herrschenden polit-ökonomischen Systems mit ihrem „Schicksal“ abfinden, statt durch emanzipatorische Bestrebungen die Destabilisierung des bestehenden Machtgefüges zu provozieren bzw. die geltenden Spielregeln in Frage zu stellen.
Auch parteipolitisch wird der Problemkomplex „Arbeitslosigkeit“ und dessen adäquate Begegnung in erster Linie aus der Perspektive der jeweiligen Auswirkungen auf „Wählbarkeit“ und „Machterhalt“ (bzw. „Machterlangung“ im Falle der Opposition) beobachtet und somit hinsichtlich des Fortbestands des jeweiligen Parteisystems betrachtet. So ist es nicht verwunderlich, dass sich alle etablierten Parteien mehr oder weniger um wirtschaftsliberale Positionen, die zusätzliche Beschäftigung aus Wirtschaftswachstum und Deregulierung des Arbeitsmarktes schaffen wollen, versammelt haben.
Das Problem der Arbeitslosen dagegen liegt in deren individueller Unfreiheit gegenüber gesellschaftlichen Institutionen (BOURDIEU) und den somit vorherrschenden - sich aus der nach Formen und Volumen ungleichen Kapitalverteilung bildenden und auf Grund der Feldlogik auf Reproduktion und Stabilisierung ausgerichteten - Machtstrukturen.
Auch ein auf die binäre Codierung „Hilfe/Nicht-Hilfe“ ausgerichtetes kommunikatives Subsystem „Soziale Arbeit“ benötigt Hilfsbedürftige zur Fortsetzung ihrer Kommunikation bzw. zum Erhalt ihres Systems. „Erfolgreiche“ soziale Arbeit im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe macht sich letztendlich selbst überflüssig.
Das Subsystem „Sozialarbeit“ nimmt zwar die fortschreitende gesellschaftliche Ausgrenzung Arbeitsloser, denen die Anerkennung, Solidarität und Achtung verwehrt wird und deren soziale Situation qua (Re)Produktion von Freund-Feind-Schemen zumeist als selbstverschuldete und individuelle Problematik gilt, wahr. Letztlich übernimmt es aber, wie in der Folge herauszuarbeiten sein wird, die sozioökonomischen „Teilungsprinzipien“ Leistungs- und Integrationsfähigkeit. Das heißt, die Ideologie der Begabung und Leistung als Auswüchse der Fremd- und Feindbilder …“bestimmen die Bewertung selbst unter vermeintlichen „Fachleuten“ und führen zur Verhinderung der Integration.“ (ZIEMEN. 2003: 5). Diese vielfältigen Aufträge seitens Klienten, Angehöriger, anderer sozialer Einrichtungen, Politik, Wirtschaft und Sozialarbeit selbst bedürfen grundsätzlich einer Klärung, und zwar im Sinne von: „Für wen wird die Soziale Arbeit in arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen konkret und in welchem Ausmaß tätig?“ (SCHMID. 2002). Als „Dienerin vieler Herren“ einerseits und als interagierend gestaltender Akteur andererseits gerät sie zwangsläufig in Gefahr, mit ihren Intentionen zu scheitern bzw. in Konkurrenz zu den jeweiligen, mitunter konträren, Intentionskonstellationen der anderen Mitakteure zu geraten.
Unter der differenzierungstheoretischen Annahme, jedem Teilsystem sei eine jeweils spezifische Rolle im Verbund mit den anderen Funktionssystemen zuzuschreiben, wobei „ein Teilsystem den gesellschaftlichen Strukturdynamiken seinen Stempel auf(drückt, oder ihr durch diese der Stempel aufgedrückt [wird]“ (SCHIMANK. 2003b: 46), stellen sich folgende Fragen: Welche „Stempel“ bekommt die Soziale Arbeit in arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen von welchen Funktions-(Sub-)Systemen in welcher Intensität bzw. mit welchen Wirkungen aufgedrückt? Inwiefern wirkt arbeitsmarktintegrative Soziale Arbeit auf ihre Weise mit „an der Erzeugung wie an der Bewältigung von Problemen der Sozial- und Systemintegration?“ (ebd.).
Weiters ist zu hinterfragen, inwiefern Soziale Arbeit letztlich zur Aufrechterhaltung der historischen Ausnahme „Vollbeschäftigung“ als das Normale bzw. der damit nach wie vor verbundenen Gleichsetzung des auf dieser Ausnahme bezogenen „Idealtypus“ mit dem “Realtypus“ beiträgt (vgl. BOLDER. 2004: 15ff).
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