Maßnahmen zur Re-Integration arbeitsloser


Folgen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit



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Folgen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit


Arbeit zu bekommen und zu „besitzen“, ist für die meisten Arbeitslosen nach wie vor der wichtigste Faktor für subjektives Wohlbefinden und Lebensglück. Der zwar gerne und oft zitierte “Sozialhilfeschmarotzer”, der sich ein schönes Leben auf Kosten der Allgemeinheit macht, mag zwar gelegentlich existieren, ist jedoch bei weitem die Ausnahme. Sämtliche Studien über die Folgen von Arbeitslosigkeit kommen ziemlich einhellig zum Schluss, dass selbst bei Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld) die Betroffenen in Ihrer Identität sowie zeitlichen Orientierung gefährdet seien - mit den bekannten Folgen wie Lethargie, Depressionen, psycho-somatischen und psychotischen Erkrankungen, Missbrauch bzw. Abhängigkeit von Alkohol, Drogen sowie gehäufter Suizidgefährdung (vgl. BAUR 2001: 146). Der eingangs erwähnten “Marienthal-Studie” zufolge stellte die arbeitslose “Freizeit” für die Marienthaler ein “tragisches Geschenk” dar, zumal sie im Gegenzug ihre sozialen Kontakte und zusätzlichen Lebensraum, den ihnen die Beschäftigung gewährte, einbüßten (vgl. FÜLLSACK. 2002: 63 u. 163f.).

1.1.3JAHODAS Modell der manifesten und latenten Funktionen von Arbeit


Aufbauend auf ihre Grundthese, wonach es zum Verständnis der Folgen von Arbeitslosigkeit unerlässlich sei, die Funktionen der Erwerbsarbeit für die Gesellschaft und die Individuen herauszufinden, präsentierte Marie JAHODA Anfang der 1980er Jahre, Bezug nehmend auf die Erkenntnissen der „Marienthal-Studie“, ein Modell solcher Funktionen (JAHODA. 1986: 47-52). Dabei unterschied sie zwischen manifesten (Produktion von Gütern und Dienstleistungen sowie Einkommenssicherung) und latenten, den Betroffenen nicht zwangsläufig gewärtigen Funktionen. Als für die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit wesentlich verantwortliche Faktoren betrachtet sie die Abwesenheit der latenten Konsequenzen von Erwerbsarbeit, auf die sie sich schließlich konzentrierte (vgl. WACKER. 2000. o.S.).

Nach JAHODA (a.a.O.) lassen sich fünf solcher entscheidender “Erfahrungskategorien” der Erwerbstätigkeit unterscheiden: Arbeitstätigkeit prägt erstens dem Tagesablauf eine charakteristische Zeitstruktur auf. Zweitens erweitert sie den sozialen Horizont, indem sie regelmäßige gemeinsame Erfahrungen und Kontakte mit anderen Menschen außerhalb des engen Kreises von Familie, Nachbarn und Freunden schafft. Zum Dritten bringt sie die Erwerbstätigen mit Zielen und Zwecken in Verbindung, die über den persönlichen Rahmen hinausgehen, vermittelt also das Erleben von Kooperation und Kollektivität. Viertens bestimmt sie Aspekte des sozialen Status und der sozialen Identität und erzwingt - fünftens - Aktivität und bindet den Einzelnen an die soziale Realität. Indem sich kein Erwerbstätiger diesen Erlebniskategorien entziehen könne, seien diese offenbar Voraussetzung zum Mensch-Sein schlechthin und als “Garanten psychischer Gesundheit” zu bezeichnen. Arbeitslosigkeit wird von JAHODA als Negativbild der Erwerbsarbeit konzipiert. Durch den Entfall des Zugangs zu den an Erwerbsarbeit geknüpften Erfahrungskategorien erlitten Arbeitslose eine psychologische Verarmung in jedem dieser Bereiche.

Dieses “Deprivationsmodell” stellt für viele sozialpädagogische Einrichtungen auf dem Feld der Arbeitslosenintegration nach wie vor sehr oft die ultima ratio dar, ohne die, infolge unkritischen Transfers auf die gegenwärtige Situation, unterschwellig mittransportierten Implikationen zu beachten. Unreflektiert übernommen dient dieses Modell - auf Grund des überdimensionalen und zentralen Stellenwerts der Erwerbsarbeit als nahezu allein selig machende Institution - letztlich zur Legitimation der Arbeitsgesellschaft. So betrachtet wäre tatsächlich “jede Arbeit” - sei sie auch sozial, ökologisch, gesundheitlich noch so destruktiv- besser, als gar keine. Nach dem Motto: “Arbeit ist die Antwort – was aber war die Frage” (REISCHER. 1994) wird, statt nach gängigen Alternativen zur herrschenden Lohnarbeitsgesellschaft und kritischer Hinterfragung eines destruktiven Arbeitsethos zu suchen, ein Niedriglohnsektor nach dem anderen im Sinne eines “zweiten” oder “geschützten” Arbeitsmarktes als komplementäres Abstell-Segment bzw. Reserve des “regulären” implementiert. Dies erfolgt durchaus im Glauben, damit zumindest eine Lösung für das individuelle, psychische Leid gefunden zu haben.

Indem JAHODA die “manifesten” mit den “latenten” Konsequenzen verknüpft, führt dies letztlich dazu, “das unabdingbare Bedürfnis nach einem ausreichenden und sicheren Einkommen (…) als Vehikel, um ein unabdingbares Bedürfnis nach Arbeit einzuschmuggeln” (GORZ. 2002: 102). Die Macht des Kapitals und dessen ideologische Vorherrschaft gründen, so GORZ, unter anderem auf genau dieser Bedürfnisverkoppelung. Die von JAHODA noch vorgenommene scharfe Trennung von Erwerbsarbeit und Erwerbsarbeitslosigkeit wird zudem angesichts der rapiden Veränderungen in der modernen Arbeitswelt zunehmend ausgehöhlt. So bringt die Ausweitung unsicherer Arbeitsverhältnisse als Folge der Deregulierung des Arbeitmarktes für Beschäftigte im prekären Arbeitsmarktsegment ähnliche Belastungen mit sich wie die Arbeitslosigkeit. Tatsächlich erodiert der Gegensatz Arbeitslosigkeit – Erwerbsarbeit. Die subjektive Wahrnehmung von Arbeitslosigkeit ist zusätzlich wesentlich bestimmt durch frühere entsprechende Erfahrungen, sie kann auch als Befreiung aus einem ungeliebten Job erfahren werden, vor allem aber ist sie abhängig von der subjektiven Einschätzung der Chancen auf Wiederbeschäftigung (vgl. KREBS 2002: 198ff.).


1.1.4Arbeitslosigkeit zwischen Chance und Notwendigkeit?


Arbeitslosigkeit ist ein komplexes, auf mehreren und einander beeinflussenden (transnationaler, nationalstaatlicher, makrostruktureller und mikrostruktureller) Ebenen zu analysierendes Phänomen (vgl. LUEDTKE. 2001: 87). Unter Einbeziehung der unterschiedlichen “Be-Deutung” prinzipiell gleicher gesellschaftlicher Strukturen lautet die wesentliche Frage: “Welches Maß an Autonomie steht dem Einzelnen bei seinen Reaktionen auf die “äußeren” Strukturen zur Verfügung und worauf gründet sich diese Autonomie? (ebd.: 88). Arbeitslosigkeit könnte durchaus eine Chance zum Autonomiegewinn darstellen, gelänge es, Stabilität verleihende konkrete Alltagspraxis im Sinn “subjektiver Arbeit” (zu der potentiell jede Tätigkeit eines Menschen werden kann) und damit zur Neuentwicklung von Lebensroutinen zu erlangen.

LUEDTKE (1998) nennt vier Qualitäten, die in Bezug auf jegliche Arbeit konstitutiv sind: Selbstproduktion (Existenzerhaltung, Nützlichkeit, Gebrauchswert), Aktion (außengerichtete, zweckmäßige Aktivität in und zur Welt), Produktion (Objektivierung, Sichtbarmachung) und rationale Kalkulation (von Prozess und Mittel).

Ganz offensichtlich bietet Arbeitslosigkeit –auch selbst erwählte - einen nur schmale Palette an Chancen zur persönlichen Entfaltung und alternativer Nutzung der Zeit. Einigermaßen unbeschwert als “Chance” können augenscheinlich nur Personen ihre Arbeitslosigkeit wahrnehmen, die sich sicher sein können, wieder unbeschadet aus dieser herauszukommen. Positiv erlebte Aspekte der Arbeitslosigkeit treten dagegen sofort zurück, sobald diese subjektive Gewissheit verloren geht. Droht nämlich die Kontrolle über Rückkehrbedingungen in die Erwerbsarbeit – und damit zugleich über die eigene gesellschaftliche Positionierung - zu entgleiten, wird aus der Chance, einmal anders zu leben, die Notwendigkeit der Bewältigung der Arbeitslosigkeit (vgl. KRONAUER / VOGEL. 1993, S. 4).

LUEDTKE (1998) konnte im Rahmen seiner umfangreichen Studie letztlich vier „Lebensführungs-Typen” herausschälen. Ohne diese hier näher auszuführen, sei auf grundlegende Erkenntnisse aus der Studie hingewiesen. Deutlich wird, dass die schlechter gewordene ökonomische Lage den Bemühungen um Autonomie nicht zu überwindende Grenzen setzt, was sich vor allem beim Konsum und der Zeitgestaltung bemerkbar macht. Indem Arbeitslose ihrer “objektiven” Lage persönliche Ressourcen entgegensetzen oder Unterstützung über Kontakte innerhalb von Familie oder Freundeskreis erhalten, bestehen aber auch sehr wohl entlastende Momente. Neben dem Stellenwert des informellen sozialen Netzwerks wird vor allem die große Bedeutung des sozialen Netzes des Sozialstaates ersichtlich. LUEDTKE gelangt zum Ergebnis, dass - was die materielle Lage, die Beurteilung der eigenen Situation als Arbeitslose und die Einstellung zur (Berufs)Arbeit angeht - der Sozialstaat mit seinen Leistungen für Arbeitslose keineswegs die Funktion einer „sozialen Hängematte” übernimmt. Vielmehr fungiert er als “soziales Fangnetz“, welches zwar nicht den sozialen Abstieg, wohl aber Absturz verhindern kann, wobei aber gerade im Zusammenhang mit Sozialstaats-Debatten Arbeitslose von „Opfern der Verhältnisse“ zu Tätern stilisiert werden.

Deutlich zu Tage tritt das große Unbehagen, welches Arbeitslose in ihrer “außernormalen” Lage verspüren. Für die große Mehrheit der Arbeitslosen, so das Resümee, bildet die Wiederaufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses, auch auf Teilzeitbasis, den einzig wirklich gangbaren Weg, um mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden. Das bedeutet nichts Geringeres, als dass auch eine Integration mittels atypischer Beschäftigungsverhältnisse durchaus mit den Interessenlagen von Arbeitslosen konform gehen kann. Wenn Arbeitslose dies aber erst einmal als eigenes “Interesse” (im Sinne des oben bereits genannten Mottos: “Egal welche, Hauptsache Arbeit”) umzudeuten gezwungen sind, kann dies durchaus als Ausdruck tiefgehender Entfremdung verstanden werden.

Die dahinter verborgene, von den integrativen Arbeitslosenmaßnahmen durchaus gesehene Ideologie, der zufolge alle, die „wirklich“ arbeiten wollten, auch Arbeit bekämen, ist zwar objektiv nicht haltbar, zehrt jedoch in den subjektiven Schuldzuschreibungen weiter von der kulturellen Bedeutsamkeit der Arbeit, die es dem bestehenden Herrschaftssystem erst ermöglicht, dem Individuum anzulasten, was die Gesellschaft in Form einer historisch überholten Ökonomie produziert hat (vgl. NEGT. 1987, S. 47).


1.1.5Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung


VOGEL und KRONAUER schälen als Ergebnis ihrer Fallstudien folgende vier Gruppierungen von Arbeitslosen, welche das in arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen auffindbare Klientel in idealtypischer Weise widerspiegeln, heraus (vgl. VOGEL. 2001): Die “Rationalisierungsverlierer”, in der Regel ältere Arbeiter mit sehr spezifischen, in langer Betriebszugehörigkeit erworbenen Qualifikationen, die hinnehmen mussten, dass ihre Arbeitskraft entbehrlich geworden war. Aus tief sitzender Scham, ohne Arbeit zu sein, und großer Angst, als Arbeitslose erkannt zu werden, ziehen sie sich aus dem Gesellschaftsleben (der Arbeitenden und für Arbeitende) zurück und sehen sich gezwungen, als “überzählige Arbeitskräfte“ im “Niemandsland dauerhafter Arbeitslosigkeit” zu verharren (vgl. ebd.: 5f.).

Während die Rationalisierungsverlierer ihre Arbeitslosigkeit als jähe biografische Zäsur erleben, sehen sich die “Deklassierten” des wirtschaftlichen Strukturwandels als im Verlauf ihres Erwerbslebens allmählich in die prekären Randbereiche der Arbeitsgesellschaft abgedrängte Absteiger. In der Regel gut qualifiziert, verlieren sie ihre stabile Beschäftigung in den besten Jahren ihres Erwerbslebens im Alter zwischen Mitte Dreißig und Mitte Vierzig. Die folgende Bereitschaft, Zugeständnisse an die Arbeitsmarktlage zu machen und sich flexibel zu zeigen, führt sie fatalerweise mit jeder weiteren Konzession einen Schritt weiter aus dem Arbeitsleben. Zudem gehen infolge immer wiederkehrender Arbeitslosigkeit und vergeblicher Versuche, wieder dauerhaft im Erwerbsleben Fuß zu fassen, familiäre Beziehungen und soziale Bindungen in die Brüche. Der Druck des Arbeitsamtes zum Durchlaufen perspektiveloser Maßnahmen und zur Akzeptanz schlecht bezahlter Jobs zeigt sich in hohem Maße kontraproduktiv und wird auch als wenig hilfreich erlebt. Übrig bleiben in der Regel Hilflosigkeit und Verzweiflung, aber auch Ressentiments gegenüber anderen Arbeitslosen, die im Unterschied zu ihnen, die sich “niemals für eine Arbeit zu schade waren”, “selbstverschuldet” in die Arbeitslosigkeit geraten seien. Mit diesen “in einen Topf geworfen” zu werden schmerzt und beschämt die „Deklassierten“ (vgl. ebd.: 6).

Als weitere in die Randlagen der Arbeitsgesellschaft geratene Gruppe finden sich die altersmäßig etwa im Bereich der „Deklassierten“ befindlichen “Grenzgänger” zwischen Beschäftigung und Nichtbeschäftigung (zwischen regulären Tätigkeiten, Schwarzarbeit, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Arbeitslosigkeit), denen im Laufe ihres Erwerbsleben niemals ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis glückt. In der Regel ohne gelernten Beruf vermögen sie prekäre Arrangements über viele Jahre durchzuhalten, bis gesundheitliche Einschränkungen sie vermehrt daran hinderten, bzw. sich der Arbeitsmarkt für Gelegenheitsjobs zu ihren Ungunsten ändert. Im Unterschied zu den erstgenannten Gruppen leben sie sozial weniger isoliert und fühlen sich, nachdem sie sich seit jeher - teils erzwungen, teils aus Strategie - als am Rande der Arbeitsgesellschaft situiert sehen, entsprechend weniger stark ausgegrenzt (vgl. ebd.: 6ff.).

Als besonders problematische Gruppe bezeichnet VOGEL die jüngere, altersmäßig zwischen 18 bis 28 Jahren liegende, mehrheitlich nicht über einen positiven Schulabschluss verfügende Arbeitslosengruppe der am Arbeitsmarkt “Blockierten”. Deren Erwerbsbiografie ist geprägt durch vergebliche Versuche, ein reguläres Beschäftigungsverhältnis zu realisieren (vgl. ebd.: 9).

Resümierend gilt es festzuhalten, dass sich in sämtlichen aus der Empirie geschälten Idealtypen bezüglich der Erfahrung mit und der Bewältigung von Arbeitslosigkeit die „Arbeitsgesellschaft“ aufs Tiefste manifestiert und die wesentliche, letztlich unüberwindbare, strukturelle Hürde zu echter individueller Autonomie darstellt. All dies spricht dafür, den Mut aufzubringen, nach Lösungen jenseits der Lohngesellschaft zu suchen, zumal Scheinlösungen wie die Akzeptanz eines entfremdenden Daseins als “working poor” auf Grund des massiven sozialen Sprengstoffs auf Dauer nicht funktionieren können.


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