Gar nicht leicht, die Aufführungen eines Theaterprojektes nicht als die zentralen Punkte des Projektes wahrzunehmen. Immerhin sind es Momente starker Konzentration: die gesammelte Energie der Gruppe fließt in sie, und hier findet auch der deutlichste Austausch mit der Außenwelt statt. Aufführungen sind die Kristallisationspunkte im Prozess der Stückentwicklung und oft spiegeln sie gruppendynamische Vorgänge oder reagieren auf Einflüsse aus der direkten Umgebung.
Was hat die Gruppe auszusagen und Wie tut sie das? Die künstlerischen Entscheidungen und die Umsetzung im Augenblick der öffentlichen Präsentation stehen auf dem Prüfstand: kommuniziert das Stück, kommuniziert die Gruppe nach außen?
Mehrere Funktionen der Aufführungen Die Aufführungen während des Amerika-Projektes hatten mehrere Funktionen, die ich hier kurz auflisten möchte. Sie sollten:
die dynamische Entwicklung eines Theaterstückes erlebbar machen
die Gruppe immer wieder fokussieren und (kon)zentrieren
die verschiedenen Abschnitte der Reise markieren, in der Regel einen Abschluss schaffen
ein Kommunikationsangebot an die gastgebende Bevölkerung darstellen.
Anhand der verschiedenen Phasen der Erarbeitung und Präsentation möchte ich exemplarisch einige Stationen des Projektes herausgreifen und aus künstlerischer bzw. pädagogischer Perspektive darstellen.
Moosbach – we are sailing ... ! Die erste Aufführung am fünften Tag nach der Anreise – ein bisschen Druck macht das schon: sehr viel “Material” muss hergestellt und zusammengefügt werden um einen Abend zu füllen, und zwar möglichst nicht irgendwie, sondern mit Aussage.
Wie haben wir uns dem gestellt?
Wir arbeiten entweder in der Großgruppe, aus der immer Einzelne heraustreten können um zu schauen, wie die Szene wirkt, oder zersplittert in “Praktiker”, die den Fußboden nähen, in “Einzelkämpfer”, die irgendwo ihre Texte lernen und Grüppchen, die inhaltlich diskutieren.
Nachmittags arbeiten die Gruppen “America today”, “die Kafkaesken” und “Animateure” gleichzeitig, während Anna und ich als Impulsgeber und Helfer zur Verfügung stehen.
Gruppenarbeit vers. Synästhesieeffekte
Die “Animateure” erfinden Material für die Gesamtgruppe: sie experimentieren mit Stöcken und Seilen, um mehrere Schiffe zusammenzustellen, die im Hafen von New York kreuzen oder choreographieren die Prozession, mit Liedern und Rufen. Die “Amerikaner” lesen Zeitung, Artikel zu bestimmten Themen – z.B. Macht und Recht – und versuchen aus der amerikanischen Verweigerungshaltung dem internationalen Strafgerichtshof gegenüber eine schlüssige Szene zu entwickeln. Und die “Kafkaesken” proben ziemlich klassisch nach Buch – wobei die Textvorlage jeweils dramatisiert werden muss und die reell gegebenen Umstände phantasievoll mit Kafka verquickt werden müssen.
Das parallele Arbeiten getrennt nach Aufträgen führt zwar zu schnellen Ergebnissen, hat aber den Nachteil, dass Synästhesieeffekte ausbleiben und der Überblick über das Gesamtgeschehen sich nur allmählich einstellt.
Das nehme ich als Regisseurin vorerst in Kauf, damit schnell “etwas” da ist, an dem exemplarisch gearbeitet werden kann. Ich möchte, dass alle Teilnehmer Kompetenz in Bezug auf die angebotenen Arbeitsformen entwickeln und komplexe Vorgänge (statt einfacher Linienführung) in der Stückanlage von Anfang an akzeptieren.
Sobald einige der Aufgaben erledigt sind, wird gezeigt bzw. kollektiv gelernt (und zwar oft so lange, bis keiner mehr “sailing” hören kann ... es wird ab der nächsten Prozession auch ersetzt, nicht zuletzt wegen der unfreiwilligen Anspielung auf die Flutkatastrophe im Lande). Die inhaltliche Verknüpfung mit den Kafka-Szenen – die zu diesem Zeitpunkt den inhaltlichen Kern des Stückes bilden – gelingt manchmal spielend, wie bei der Immigrationsszene bei der Ankunft in New York, die sich nahtlos an die Szene “im Schiffsbauch” von Kafka anschließt, und manchmal nur holprig, wie beim Übergang aus der Kapitänskajüte zum internationalen Strafgerichtshof. Dafür fällt es uns dann aber sehr leicht, die persönlichen Aussagen der Spieler an die “today” Fragmente anzuheften, oder “das Naturtheater von Oklahoma” mit Soli zu gestalten, die sich sowohl auf Kafka als auch auf “America today” beziehen – aber das kommt etwas später.
Die mir fremde Sprache lernen
Als individuelle Aufgabe kam hinzu – und keiner wusste zu diesem Zeitpunkt, dass hier etwas für die Bühne erarbeitet wurde – dass jeder täglich einen Satz in der fremden Sprache lernen sollte. Die Vorgaben waren einfach: der erste Satz sollte begin-nen mit “ich bin ....”, am nächsten Tag mit “ich möchte” , dann “früher...” – WAS jeder aber tatsächlich sagen wollte, hatte er
sich allein zu überlegen. Die Übersetzung und Ausspracheanweisungen holte man sich von irgendeinem Angehörigen der anderen Muttersprache, und irgendwann während des Abendessens hatte man seine Aussage auswendig vorzutragen. Und natürlich haben wir auch gleich begonnen, Lieder zu lernen, spätabends, fürs Repertoire... Naja, und damit man doch etwas Überblick bekommen kann, zumindest über Kafkas Roman, stellen wir in Einzelbildern dar, was in welchem Kapitel geschieht. Genauso wie hier im Text werden sie vorerst ans “Stück” hinten dran geklebt. Uff. Das war die erste Phase der Erarbeitung.
Premierenmais
Die Aufführung selbst erwies sich vor allem aus gruppendynamischer Sicht als wichtig: zum ersten Mal wurden alle Szenen konzentriert nacheinander durchgespielt, agierte die Gruppe als solche, teilte dieses besondere Erlebnis: wir sagen/zeigen etwas, und alle anderen hören/sehen aufmerksam zu. Claudia und Pavla verteilten als Premierenblumen große Maispflanzen, und etwas später im Küchenzelt leuchteten die Gesichter nach der bestandenen Feuerprobe, und die erste Reflektion einer gemeinsamen Aufführung brachte vor allem Stolz und Spaß an den Tag.
Hinfällig erwies sich hier leider die vierte Funktion der Aufführung (s.o.). Die gastgebende Bevölkerung zeigte schlicht kein Interesse. Sprich 8 Personen saßen neben Anna, Claudia, Pavla und mir im Publikum. Zwei Journalistinnen, drei Jugendliche, die nach genau 30 Minuten “wegmussten”, und drei Gäste – keine Moosbacher! Moosbach ist ein Kurort, da gehen die Menschen früh ins Bett! Die Flut hat inzwischen die Prager Altstadt unter Wasser gesetzt, Dresden ist Land unter und in alle Katastrophengebiete reisen täglich Helfer
Das Wunder von As – Helfer, Kuchenbäcker, volles Haus In As ist alles anders. Leichter. Es gibt so viel Unterstützung. Dass Annas Freunde für die mit zwei Stunden Verspätung eintreffende Gruppe das Zelt aufbauen (HURRA!! das Zelt steht schon !!) , Anna und Mama Trckova sich der gesammelten Wäsche der Truppe annehmen, Dan am ersten Abend eine “süße Überraschung” von seiner Mutter anbringt, dicht gefolgt vom “Kolatsch Mami Trckovi” tags darauf. Immerhin 6 Leute sind da zuhause, führen uns aus, in ihrer Stadt, in der es wunderbar wohnzimmerartige Kneipen mit billigem Bier und alten Tischfussballautomaten gibt. Unser Zeltplatz ist geschützt in einem Winkel hinter der Schule, das Wetter ist so gut, dass man unter freiem Himmel schlafen kann, – und falls es doch mal regnet, können wir problemlos in die Turnhalle übersiedeln und dort bleiben.
Die Menschen von As sind tagsüber auf den Strassen anzutreffen und bestaunen unseren Umzug:
ein komplettes tschechisches Lied haben wir eigens dafür gelernt und eine neue Choreografie dazu erfunden, Claudia geht mit Amerikafähnchen voran, die Presse ist zur Stelle und fotografiert eifrig.
Am letzten Abend kommt ein Publikum von fast 60 Personen zusammen,
das sich köstlich über unser Stück amüsiert, und tatsächlich ist jemand unserer Aufforderung gefolgt, und hat seinen eigenen Stuhl mitgebracht!
Spürbare Erleichterung
Alles geht zusammen: das Stück wächst und gewinnt wesentlich durch die neu dazukommende Zweisprachigkeit, die den Tschechen endlich einmal ermöglicht, ihr Spiel sprachlich zu gestalten, die Gruppenmitglieder sind relativ autonom in ihrer
Freizeitgestaltung (es gibt auch Freizeit!), gehen auch mal ab und an eigene Wege
(nach Hause zum Beispiel) und kommen dann “rundum erneuert” zurück, sehr viel Freiheit ist zu spüren, innere und äußere.
Für die Moosbach-geschüttelten Expeditionsteilnehmer mit unfreiwilligen Katastrophenerfahrungen auf dem Buckel, sind die privaten Heime und die geordnetere, beschütztere Umgebung eine spürbare Erleichterung.
Das Essen ist günstiger hier, wir satteln um auf tschechische Kost und es gibt Fleisch und Nachtisch im Überfluss, die Jungens sind glücklich...
Szenen gewinnen an Pepp!
So, was haben wir gearbeitet:
Die großangelegte Kafkaszene in der Kapitänskajüte lassen wir spontan von tschechischen Spielern übersetzen: dazu halten sie die Szene an, springen hinein und geben Kürzestinterpretationen des Geschehens ab, bleiben manchmal “kleben” und werden unmerklich Teil der Szene. Als Pavel auftaucht –der in Moosbach seine Rolle deutsch gesprochen hat –kündigt Dan ihn an: “Achtung! dieser Mensch spricht tschechisch!”.. Die Szene gewinnt an Pepp und plötzlich spielen fast alle mit, wo vorher ein Drittel vor dem Zelt herumgestanden hat...
Prozessbilder von links nach rechts: Schiffe, Heizerszene, Brunelda, Naturtheater Oklahoma
Ähnliches passiert mit der Heizerszene: durch die Wände aus Isomatten schlüpfen jetzt tschechische Doubles um zeitweise die Deutschen zu ersetzen oder simultan zu sprechen. Die Gerichtshofszene erhält wie selbstverständlich eine Live-Dolmetscherin für Katrin, auch die amerikanische Nationalhymne gibt’s jetzt mit tschechischer Live-Übersetzung.
Michal, David und Dan erarbeiten autonom das dritte Kapitel Kafkas: “der Weg nach Ramses”; als der Szenenaufbau steht und die Texte halbwegs flüssig sind, kommen Anna und ich für die “Belebung” und Feinarbeit dazu.
„I have a dream“
Martha und die beiden Vendula`s bekommen einen anspruchsvollen Auftrag: aus einem Text von Martina Navratilova (“ich habe einen Traum” / Artikel aus der ZEIT) sollen sie eine Szene erfinden – und sie tun es gleich mit eingebauter, phantasievoller Verbindung zu Kafkas Hauptfigur, Karl Rossmann. “I have a dream” bezieht sich natürlich auch auf Martin Luther Kings berühmteste Rede - Auszüge daraus spricht Thomas auf der Bühne und ergänzt die Orte, für die M.L.King Freiheit forderte um Afghanistan, Tibet, Kaschmir ....
Die Vorgaben für die selbst zu bastelnden Sätze zielen in die gleiche Richtung:
wahlweise mit“ I have a dream” oder “wenn ich der Präsident der Vereinigten
Staaten wäre...” sollen sie beginnen, und damit Anker ins Stück hinein werfen. Zusammen mit den schon gelernten, persönlichen Sätzen, haben manche plötzlich drei Minuten Text in der fremden Sprache. Für die Deutschen, die in der Regel nie zuvor mit der tschechischen Sprache Berührung hatten, war es wie Kommunikation über einen Code, dessen Regeln ihnen nicht vertraut sind. Und sie setzen die tschechischen Aufführungsbesucher in Erstaunen, die natürlich nicht damit gerechnet haben, von den Deutschen etwas in ihrer Sprache zu hören, ungläubiges Lachen, als Katrin beginnt mit “ja sem Katrin a ...
Das große Naturtheater von Oklahoma
“Das große Naturtheater von Oklahoma” wird zu persönlichen Soli aufgefächert, in denen jeder eine eigene Aussage zu “America today” oder Kafkas Roman treffen kann. Einzige Vorgabe: die Benutzung einer Colaflasche. Es gibt sehr persönliche Umsetzungen des Themas und eher allgemeine – aber alle Spieler haben starke Impulse für eigene Gestaltungen. Dieser Teil wird außerhalb des Zeltes, in einer Art Chaussee, angelegt und zurück im Zelt gemeinsam sehr frei nach Kafkas Vorlage beendet. Die Mädchen stehen in der ersten Reihe, mit Colaflaschen als Trompeten, Vendy mit Triangel, und singen “angel”
aus einem Musical, die Jungs als Teufel sind dahinter versteckt und überrennen die Engel mit “highway to hell” – worauf die Engel doch wieder aus der Versenkung auftauchen und das Ganze wieder von vorne losgeht ...eine anarchische Lieblingsszene!
Klingenthal – klingt so schön ... 40 km Luftlinie nur liegen zwischen As und Klingenthal, trotzdem braucht man dafür gute 4 Stunden mit dem Zug!
Mit dem Transporter-Kleinbus ging es natürlich viel schneller. Durch Klingenthal zu fahren ließ gleich große Bedenken wegen des Umzugs aufkommen – die Stadt schien im Wesentlichen aus einer unendlich langen Durchfahrtsstrasse zu bestehen – und zerfaserte sich an den Rändern in Plattenbauten und Schlafstädte. Transparente hingen über den Strassen, welche die Eröffnung der Skispringsaison am nächsten Tage ankündigten, direkt nebenan, auf der berühmten Schanze am Aschberg.
Das war natürlich auch das große Thema in der Presse, alle dieses Ereignis umrahmenden Aktivitäten und Festivitäten wurden ausführlich geschildert – der Hinweis auf unser Projekt fand sich dagegen nach langem Suchen in der Rubrik “in Kürze”, in entsprechend kurzen 3 Sätzen. Und hier wollen wir gleich zwei Aufführungen geben! oje, ich sehe schwarz.
Aber noch vor dem Abendessen kommen zwei Lehrerinnen des Gymnasiums vorbei und kündigen für Montag einen Probenbesuch bei uns mit ihren Klassen an. Super! das können wir jetzt gut brauchen als Motivationsmittel für die müde Truppe, die den paradiesischen Zuständen aus As schon beim Eintreffen in der neuen Stadt nachtrauert.
Kritische Punkte
Mit dem Stück sind wir an einem kritischen Punkt.
Da die Aufführung in As so erfolgreich war, kann man denken, das Stück sei fertig. Man kann auch denken, dass das Stück jetzt “per se” erfolgreich ist, weil es in As so gut angekommen ist.
Dahinter stehen gleich mehrere “Schweinehunde”: jetzt müssen wir ja eigentlich nichts mehr arbeiten – können wir nicht endlich einmal ausschlafen? – ich mag mich nicht mehr ständig mit den anderen auseinandersetzen – und vorsorglich schützt man sich gegen enttäuschte Erwartungen: ach Klingenthal ist doch sowieso scheiße ... die Leute sind hier komisch drauf ...
Die leisen Klagen aus As noch im Ohr (mehr Spielen, mehr Szenen, wir haben noch Energie !) treten wir die Flucht nach vorne an und kündigen die Brunelda-Szene von Kafka als das neue Projekt in Klingenthal an.
Künstlerisch wäre eigentlich angestanden, das, was bis dahin geschaffen war, aufrichtig zu hinterfragen, in die Tiefe zu gehen, bereits getroffene Entscheidungen und eingespielte Lösungen wieder zu verwerfen, unter neuen Kriterien von Verständlichkeit und Stringenz an “das Stück” heranzugehen, ändern, aussortieren, verfeinern statt einfach den nächsten Wachstumsring anzulegen. Es hätte bestimmt einige Kraft gebraucht, die Gruppe dazu zu bewegen – denn etwas Neues zu machen, gibt sofort neuen Auftrieb, etwas Fertiggeglaubtes umzubewerten und aufrichtig zu hinterfragen geht an die Substanz, was letztlich aber auch Substanz. Schafft.
Auseinanderstrebende Kräfte
Weil es so kurz vor Schluss war, und weil so viele auseinanderstrebende Kräfte in der Gruppe am Werk waren, habe ich aber nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, diesen Weg einzuschlagen.
In drei Gruppen sollen die Spieler darangehen die Szene zu interpretieren und einzurichten. Drei schöne Vorschläge kommen, die alle berücksichtigt werden sollen. Und unversehens haben wir eine wilde Mischung aus Figurentheater, Cabaret und deutsch-tschechischer Theaterwerkstatt ... eine hochkomplexe Szene, in der alle beteiligt sind, die höchste Aufmerksamkeit für die eigenen Einsätze verlangt, und viel Geduld beim Zusammenfügen und Ausbalancieren der Teile.
Eine glatte Überforderung also. Diese Ressourcen stehen jetzt einfach nicht zur Verfügung! Und dann müssen selbstverständlich auch die Hausaufgaben gemacht werden: die in As neu inszenierten Szenen – der Weg nach Ramses und “Navratilova” – sind in Tschechisch und müssen fürs deutsche Publikum zugänglich gemacht werden. Auch hier überlassen wir die Gestaltung den Gruppen selbst.
Zu viel Freiheit!
Alle geraten sich in die Haare, weil sie sich nicht auf Probenzeiten einigen können, die Protagonisten in irgendeinem der Häuschen verschwunden sind, und als sie endlich auftauchen ihre Texte oder Requisiten oder beides nicht dabei haben... eine gleich dreifache Flucht in die Krankheit ist die Folge, die klassische Gerüchteküche betreffs einer versalzten Suppe ruft einen Eklat beim Abendessen hervor, “Brunelda” wird für den ersten Aufführungsabend in Klingenthal nicht ins Programm genommen, die für jeden Aufführungstag geplante Prozession wird wegen Zeitmangel und allgemeinem Chaos auf den nächsten Tag verschoben, und die Aufführung an diesem Sonntagabend,
die von ca. 5 Personen goutiert wird, ist das Schlechteste, was die Gruppe zu bieten hat. So weit so gut.
Gesalzene Nachbesprechung
Eine ordentlich gesalzene Nachbesprechung, in der alle rauskotzen was nur geht, schließt sich an die Aufführung an. Nein, wir bleiben auch sachlich. Es gibt Kritik an Spielfehlern, Nachfragen wegen Anschlüssen und Übergaben, auf einem ziemlich ehrlichen, professionellen Niveau.
Und anschliessend wird rausgekotzt: dass man immer warten muss auf die immer gleichen Leute, dass ständig Sachen verschwinden, dass wieder was kaputtgegangen ist oder verdreckt und wer räumt immer meine Sachen weg und kann man nicht einmal einfach schweigend da sitzen, ohne ständig von allen angelabert zu werden ??? O.k., es gibt neue Regeln für den nächsten, den letzten Tag.
Der letzte Tag
Dieser letzte Tag, es ist nicht alles wieder gut und frisch und neu, aber man ist ein gutes Stück erwachsener geworden zusammen. Als die Schulklasse kommt, sind alle wieder ganz dabei, die Probe macht Spaß, es gibt Kritik aneinander und die Dinge bedeuten wieder etwas – aber nicht den Gästen! Stumm und verständnislos die Gesichter, auch nach mehreren Nachfragen: was versteht ihr nicht? was seht ihr? kommt nichts. Erst als die Probe offiziell vorbei ist, die Klasse sich auflöst für den Heimweg, schaffen ein paar Jugendliche über eine Zigarette hinweg mit “unseren” ins Gespräch zu kommen. Abends kommt trotzdem keiner, um sich das ganze Stück anzuschauen.
Die letzte Einladungsprozession ... dabei hatte Thomas so schön gedichtet ”we like the city of Klingenthal ” ... am Nachmittag ist unangenehm – unverständige Blicke, Ablehnung, peinliche Berührtheit bekommen wir zu spüren, - sofern wir überhaupt jemand antreffen. Wir schaffen keinen Kontakt. Befremden. Zigeuner. “Die sprechen ja tschechisch”.
Die letzte Aufführung ist, was sie ist. Besser als am Vortag, viel besser als am Vortag, vielleicht sogar so gut wie in As, aber wieder “eigentlich niemand” im Publikum. Zwei Frauen gehen nach der dritten fremdsprachlichen Äußerung, empfinden sie als Zumutung oder schämen sich ihrer Unwissenheit, wer weiß?
Zwischen Montagabend und Dienstagmorgen kommen dafür wieder Journalisten, drei an der Zahl. Sie vermitteln “der Kontakt mit den Tschechen beschränkt sich hier halt doch vor allem auf Benzintourismus” und die Bevölkerung wolle gar nicht so viel mit “denen” zu tun haben. Aber keine Frage, dass unser Projekt wichtig, dass es “gut” ist.
Neue Erfahrungen Interesse zu erregen, angeregte Diskussionen mit den Menschen in den gastgebenden Orten zu entfachen – leider haben wir das mit den meisten Aufführungen nicht erreicht. Das Projekt als solches müsste dafür wohl anders angelegt sein, die Orte müssten sehr sorgfältig ausgewählt werden, viele Kontakte sollte man knüpfen, im Vorhinein, und wissen, dass auch wirklich Menschen da sein werden, die diese Art Austausch wollen!
Für die Gruppe, für das Gesamtprojekt, haben die Aufführungen aber ihre Funktion erfüllt. Sie haben Spaß gemacht, intensive Erlebnisse ausgelöst, neue Erfahrungen ermöglicht.
Immer wieder finde ich es seltsam und wunderbar, was da entsteht.
Man liest aus der Aufführung, was man gemacht/gesagt hat und was es bedeuten mag anstatt es durch ein fertiges Stück im Voraus auf die Bühne zu projizieren.
Das Verständnis dessen, was wir sagen, entsteht durch die Arbeit an der Artikulation.