Viktor
Viktor, der deutsch-jüdische Emigrant, weilte mit kurzen Unterbrechungen bis März 1944 bei uns. Es war den französischen Trotzkisten nicht gelungen, ihm eine sichere Wohnung zu verschaffen. Er zog auch den Aufenthalt bei uns vor, weil wir zusammen die Flugblätter in deutscher und französischer Sprache verfaßten. Außerdem benützte er eifrig die umfangreiche Bibliothek, die sich bei uns angehäuft hatte. Es gab da so ziemlich alles: die aus mehreren Hundert Bänden bestehende Sammlung von Paul Frölich über die französische Revolution, die wichtigsten Klassiker des Sozialismus, Lenins gesammelte Werke, fast alle SchriftenTrotzkis', deutsche und französische Belletristik, Werke über die Geschichte der revolutionären Bewegung und über die russische Revolution. Alle diese mehr oder weniger kompromittierende Literatur war im Keller versteckt, während im großen Parterrezimmer die Bücherschränke mit chinesischer Literatur angefüllt waren, die ein befreundeter ungarischer Sinologe bei uns sicher gestellt hatte; die chinesischen Bücher dienten uns als Schutz gegen etwaige unwillkommene Besucher.
Insbesondere aber blieb Viktor bei uns, weil es ihm geglückt war, eine aktive Propaganda unter den deutschen Soldaten in Gang zu bringen. Tatsächlich war es ihm gelungen, im Kriegshafen von Brest Verbindung mit deutschen Soldaten aufzunehmen. Mit mir zusammen wollte er nun eine von den deutschen Soldaten geschriebene Soldatenzeitung herausgeben, die zum Sturze Hitler's aufforderte. Er legte mir Briefe der Soldaten aus Brest vor, welche die verlustreichen Kämpfe in Russland schilderten, die Kriegsmüdigkeit und Hitlerfeindschaft beredt zum Ausdruck brachten. Ein oder zweimal in der Woche unternahm Viktor die gefährliche Fahrt nach Brest; dort kam er nachts mit deutschen Soldaten zusammen, diskutierte mit ihnen, nahm Briefe und kurze Artikel in Empfang. Diese antinazistische Literatur wollte er bei uns vervielfältigen und als Soldatenzeitung herausbringen. Lange zögerte ich, bevor ich meine Einwilligung für diese gefahrenreiche Arbeit gab. Clara's Gesundheitszustand war noch immer nicht der beste, sie ging noch mühsam am Stock. Zudem bestanden zwischen Viktor und mir noch immer erhebliche Differenzen. Viktor war allerdings nicht mehr jener intransigente Trotzkist von ehemals; der Verkehr mit uns, die hitzigen Diskussionen, die Verbindung zu anderen revolutionären Gruppen, die besonders sture Einstellung der französischen Trotzkisten, sowie deren organisatorische Unfähigkeit, hatten seine ursprüngliche Einstellung stark modifiziert. Trotzdem hielt er an seiner Organisation fest. Nach langen Gesprächen einigten wir uns auf einen Kompromiß: die Soldatenzeitung sollte nur zu deutschen Fragen Stellung nehmen, hinsichtlich Russlands wollten wir einfach diese Briefe der deutschen Soldaten ohne Kommentar veröffentlichen, Wir brachten etwa 4 Nummern der Zeitung unter dem Titel: ”Arbeiter und Soldat” heraus; im leeren Atelier vervielfältigen wir das Blatt. Den kleineren Teil verteilten wir in Paris, wie gewohnt, den Rest nahm Viktor jeweils auf seine Fahrten nach Brest mit. Kurz vor der Landung der Allierten hatte Viktor die Bekanntschaft einer deutschen Emigrantin gemacht und konnte mit ihr zusammen in ihrem Zimmer wohnen. Er kam trotzdem regelmäßig zu uns, holte sich Bücher, kam vor allem zur Herausgabe der Zeitung. Über vier Nummern kamen wir nicht hinaus, die Soldatengruppe in Brest flog auf; eine Reihe der Soldaten wurden erschossen, ein anderer Teil (nach Viktor's Angaben waren es etwa 15 Soldaten gewesen) an die Ostfront abgeschoben. Auch unter den Trotzkisten in Brest gab es Verhaftungen, die Gestapo fand Adressen und rollte langsam die ganze Organisation bis nach Paris hinauf auf. Die Gestapo wußte von der Tätigkeit eines gewissen Viktor und suchte eifrig nach diesem mysteriösen Agenten. Mitte Juli, während der schweren Landungskämpfe in der Normandie erreichte uns die Nachricht von Viktor's Verhaftung. Wir waren bestürzt. Sollten wir die Wohnung verlassen? Da Viktor seit einigen Wochen nicht mehr bei uns übernachtet hatte und es bei seiner Vorsicht ausgeschlossen war, daß er irgendwelche Adressen bei sich trug, glaubten wir das umgehen zu können. Doch, konnte er nicht zum Sprechen gezwungen werden? Die Nachricht von seiner Verhaftung blieb ziemlich konfus. Schließlich erfuhren wir, daß er und seine Freundin sowie ein rumänischer Trotzkist von der französischen Polizei verhaftet worden seien. Das bewog uns endgültig im Haus zu bleiben und abzuwarten.
Es geschah nichts. Eine Woche verging ohne Nachricht. Ein telefonischer Anruf brachte die ganze Affäre in Schwung. Als ich den Hörer abnahm, meldete sich eine Frauenstimme: “Hier Rothschildspital, kennen sie einen Herrn Viktor?” “Herr Viktor?, keine Ahnung”, antwortete ich unverzüglich. “Aber er gab mir doch Ihre Telefonnummer, er hatte einen Unfall und liegt hier seit 8 Tagen im Spital. Er wünscht Sie sollen ihn besuchen.”
Aus der Muschel waren deutlich das Kommen und Gehen von Schritten und die Stimmen von Männern und Frauen zu vernehmen.
“Von 1 bis 3 Uhr”, orientierte mich die Dame, und ich versprach zu kommen. Das Rothschildspital war ein jüdisches Spital und stand unter deutscher Kontrolle. Clara und ich, wir waren ausnahmsweise allein, berieten uns. Kann es sich um eine Falle handeln? Wie kam Viktor in das Spital? Wir wollten es riskieren, und ich beschloß, am Nachmittag ins Spital zu gehen.
Ich fuhr mit dem Rad hin. Im Eingangsgebäude herrschte das übliche Hin und Her von Besuchern, Krankenschwestern und Patienten. Das Spitalpersonal trug ausnahmslos den Judenstern, was mein Mißtrauen verminderte. Bewußt wanderte ich zuerst etwas ziellos in den Korridoren umher, um erst 'mal alles zu beobachten. Endlich knüpfte ich mit einer Krankenschwester ein Ge spräch an, fragte nach Herrn Viktor. Sie sah mich mit großen Augen an und sagte kurz: “Kommen Sie”.
Sie geleitete mich schweigend in ein Einzelzimmer, im einzigen Bett lag Viktor. Er trug einen Kopfverband, um die Brust eine breite, dicke Bandage, sein Gesicht war fahl und eingefallen. Die Schwester zog sich zurück, wir waren allein, Viktor lächelte schwach.
“Mensch, Viktor, was ist los?”
“Die Gestapo hat mich erschossen”, flüsterte er leise. “Na, beruhige Dich, Du bist noch zu schwach”, beruhigte ich ihn. “Nein, Pavel, ich rede nicht irre, es geht mir jetzt leidlich gut. Ich habe einen Kopf- und Brustschuß, sie haben mich hier operiert, ich lag einige Tage bewußtlos. Jetzt geht es besser. Was gibt es Neues in der Welt?”
“Neues? Deutsche Offiziere versuchten ein Attentat auf Hitler, leider ist es mißlungen. Einzelheiten kennt man noch nicht, es soll schon viele Verhaftungen und Hinrichtungen geben. In Paris selbst haben sich die Deutschen untereinander geschlagen. Die allierten Truppen nähern sich Paris”, orientierte ich ihn. Seine Augen glänzten, wieder lächelte er.
“Das will ich noch erleben”.
“Was haben sie denn mit Dir angestellt?'
“Das ist eine lange Geschichte. Wie sie auf unsere Spur kamen, weiß ich noch nicht. Alice und ich kamen nach Hause, und da saßen sie schon im Zimmer und warteten auf uns. Zu gleicher Zeit verhafteten sie den rumänischen Genossen Etienne und seine Frau, die im gleichen Quartier wohnten. Alle vier wurden wir in das Büro der französischen Spezialpolizei in der Avenue Monceau transportiert. Mich setzten sie im dritten Stock in ein Zimmer und gaben mir eine Wache hinein. Etienne muß im ersten Stock gewesen sein. Jedenfalls kamen die Polizisten am Morgen ins Zimmer gestürzt, wütend, Etienne war in der Nacht aus dem Fenster gesprungen und ihnen entkommen, da seine Wache eingeschlafen war. Aus Wut darüber ließen sie ihre Rache an mir aus und prügelten mich tüchtig mit ihren Gummiknüppeln.
“Ah, wir wissen wer Du bist und was Du treibst, wäre der andere nicht geflohen, hätten wir Dich freigelassen, jetzt übergeben wir Dich der Gestapo, die wollen Dich schon lange haben”, brüllten sie während des Prügeins. Zwei Stunden später holte mich die Gestapo ab. Was aus Alice geworden ist, weiß ich nicht. Das gesamte in meinem Zimmer beschlagnahmte Material war schon in ihren Händen, Leugnen war nutzlos. Das Verhör begann. „Nun, Bursche, was meinst du, wer den Krieg gewinnt?” „Hilter sicher nicht”, gab ich zurück.
„Du bist Jude?”
„Ich bin stolz darauf.”
Sie begannen zu prügeln, brachen mir eine Rippe. Tagelang dauerte dann das richtige Verhör, doch sie erfuhren nichts von mir. Nach einigen Tagen, genau weiß ich es nicht, den Zeitbegriff hatte ich in dem Keller verloren, holten sie mich. Zwei Offiziere und zwei Soldaten setzten mich in ein Auto und fuhren mit mir weg. Vor der Wegfahrt hatten sie mir Handschellen angelegt. Unterwegs erklärte mir der neben mir sitzende Offizier: „Wir werden dich jetzt nach Fresnes, ins Militärgefängnis bringen, du wirst von deutschen Gerichten abgeurteilt.”
Im Wald von Vincennes angelangt verließ das Auto bald die breite Fahrstraße und schlug kleine Waldwege ein. Ich wußte, das ist das Ende, sie werden mich „Auf der Flucht erschießen”. Als das Auto hielt, mußte ich aussteigen. Ohne ein Wort zu sagen hielt mir einer der Offiziere die Pistole an die Schläfe und drückte ab. Ich erwachte, jemand rüttelte mich an den Schultern, ein Mann fragte mich etwas. Nach seinen Angaben — es war ein französischer Polizist auf der Heimfahrt mit seinem Rad — soll ich ihm „Gestapo, Gestapo” gesagt haben, und wieder in Ohnmacht gefallen sein. Erst hier bin ich wieder erwacht. Die Schwestern sind rührend zu mir. Ein Polizeiauto soll mich hergebracht haben, der Polizist erzählte, wie er mich im Wald von Vincennes gefunden hatte. Die Kugel blieb im Kopf stecken, eine zweite streifte das Herz. Sie haben mich hier glänzend operiert. Da bin ich nun, von der Gestapo erschossen.”
Schweigend hatte ich seiner Erzählung zugehört. Mein erster Gedanke war:
„Was ist jetzt zu tun?” „Hast du dich schon mit deiner Organisation in Verbindung gesetzt?”
„Nein, ich bin ja erst seit gestern mittag wieder bei Bewußtsein.” „Gut, gib mir Adressen, damit ich sie benachrichtigen kann, sie haben eventuell Mittel und Wege, um etwas zu unternehmen.” Viktor gab mir zwei Adressen aus dem Gedächtnis. Ich mußte ihm versprechen, nochmal zu kommen, jedenfalls alles zu tun, um die Verbindungen zu den französischen Trotzkisten herzustellen. Tief erschüttert und beunruhigt verließ ich das Spital. Sofort radelte ich mit dem Rad zu einer der zwei Adressen. Es war eine Frau, eine Griechin, deren Mann, Pablo, eine führende Rolle in der trotzkistischen Organisation spielte. Sie aber kannte mich nicht. In großen Zügen erzählte ich Viktor's Geschichte und bat sie, etwas für ihn zu tun.
„Wieso kommen Sie zu mir, ich kenne Sie nicht, keinen Viktor, ich habe mit der Sache nichts zu tun”, erklärte sie kalt. Die Frau war auf der Hut, vorsichtig, wollte sich nicht bloßstellen. Zehn Minuten lang unterhielt ich sie mit Einzelheiten aus der trotzkistischen Organisation, nannte den illegalen Namen ihres Mannes, bis sie endlich klein beigab und Vertrauen gewann. „Einverstanden, ich sehe, Sie kennen zu viele Einzelheiten über uns. Wir kennen Viktor's Lage bereits. Ich bin wie Sie, auch der Meinung, daß er nicht lange im Spital bleiben darf, das ist zu gefährlich. Übrigens haben wir einen Arztgenossen im Spital, der auf Viktor aufpaßt.”
Sie versicherte mir, schon am nächsten Tage werde jemand Viktor besuchen, seine Organisation werde sich seiner annehmen. Ich radelte nach Hause.
Clara war, wie ich, von Viktor's Schicksal tief beeindruckt. Wieder und wieder sprachen wir die Sache durch und überlegten, was zu tun sei. Clara hegte die Befürchtung, es könne auch für uns Unheil geben, da doch die Krankenschwester unsere Telefonnummer kenne. Das war eine mögliche Gefahr. Wir beschlossen, um uns Gewißheit zu beschaffen, noch einmal ins Spital zu fahren, um sowohl diese Schwester wie Viktor zu sprechen. Es war ein Freitag, rasch fand ich die Krankenschwester die telefoniert hatte.
,,Sie haben doch meine Telefonnummer vergessen, nicht wahr, Schwester?” Sie zeigte auf ihren Judenstern und sagte still: „Sie können ruhig sein”.
Da keine Besuchszeit war, fragte ich die Schwester, ob ich Viktor besuchen könne. Sie führte mich zu ihm. Viktor war hoch erfreut. „Hast du schon Besuch gehabt?”, fragte ich ihn sofort. „Heute morgen war ein Arzt da in Begleitung eines Mannes, den ich nicht kenne. Ich weiß nicht, ob das jemand von uns war.” „Was wollte der Mann, hat er mit dir gesprochen?” „Nein, der Arzt untersuchte mich, hinter seinem Rücken hielt mir der Mann ein Metroticket entgegen, auf dem mein richtiger Name stand und fragte mit einer Kopfbewegung. Ich bejahte mit einem Kopfnicken”.
Wer konnte das gewesen sein? Eine böse Ahnung beschlich mich. Um Viktor nicht zu beunruhigen, sagte ich nichts, berichtete ihm nur von meinen Bemühungen.
„Weißt du, Pavel, ich habe kein Vertrauen in die französische Organisation, versuch doch du etwas, mit deiner Gruppe, damit ich hier herauskomme.”
„ Du bist doch noch zu schwach, wie sollen wir dich hier herauskriegen?”
„Ich bin nicht zu schwach”, protestierte er. „Eine kurze Strecke kann ich gehen. Wenn ich zu lange hier bleibe, holen sie mich wieder.” Er ließ mir keine Ruhe, bis ich ihm versprach, unabhängig von den französischen Trotzkisten seine Entführung aus dem Spital zu organisieren. Beim Abschied teilte ich ihm mit, ein Kamerad unserer Gruppe, den er kenne, werde ihn am nächsten Tag besuchen.
Zuhause hielten wir Kriegsrat. Die Kameraden unserer Gruppe waren durchaus damit einverstanden, daß wir versuchen, Viktor zu retten, sie kannten und schätzten ihn. Es war uns absolut klar, daß die Gestapo von der Einlieferung Viktor's ins Spital früher oder später erfahren werde; alle Spitalbehörden hatten strenge Order, mit Schußverletzungen eingelieferte Patienten polizeilich zu melden. Zudem hatte der französische Polizist, der ihn im Walde entdeckt hatte, seinem Kommissariat bestimmt einen Rapport abgeliefert; von da aus mußten die deutschen Behörden ebenfalls unterrichtet werden. Schnelles Handeln war geboten. Über die Befreiung aus dem Spital diskutierten wir lange. Obwohl wir überzeugt waren, beim jüdischen Spitalpersonal auf keinen Widerstand zu stoßen, konnten wir auf Waffen nicht verzichten. Dem jüdischen Personal mußte die Möglichkeit eines scheinbaren Widerstandes geboten werden. An Waffen fehlte es nicht: im Vorgarten unseres Pavillons hatten wir seit Monaten eine Maschinenpistole und zwei Revolver eingegraben. Aber wie sollte Viktor transportiert werden? Wohin mit ihm? Wir verfügten über keinen Wagen. Schließlich einigten wir uns auf folgenden Plan: aus dem Telefonverzeichnis wollten wir die Adresse eines Arztes heraussuchen, in dessen Namen einer von uns eine Ambulanz anfordern sollte; wir gaben die Adresse des abzuholenden Patienten an und wählten in unserem Quartier ein Haus mit Hinterhof. Bei der Ankunft der Ambulanz sollten drei unserer Kameraden den Chauffeur und seinen Begleiter unter Waffendrohung zwingen ins Rothschildspital zu fahren. Zwei unserer Leute sollten Viktor, wenn nötig mit Waffengewalt herausholen, während zwei weitere vor dem Spital Wache hielten. War einmal die Entführung aus dem Spital geglückt, wollten wir in die Vallee de Chevreuse fahren, weit genug vom Landhaus unserer Freundin Germaine entfernt die Ambulanz mit ihren Leuten zurückschicken, ihnen die Rache der Widerstandsbewegung androhen, falls sie nähere Angaben machen würden; den schwer verletzten Viktor wollten wir dann auf einem Handwagen in sein Versteck führen. Da viele Bedenken bestanden, ob dieser Plan klappen würde, wollten wir ebenfalls für etliche Tage unseren Pavillon verlassen. Wie ich Viktor versprochen hatte, schickte ich am Samstagmorgen unsern Kameraden Pierre ins Spital um ihn zu besuchen und über unsere Vorbereitungen zur Flucht zu informieren. Pierre kam nach einer knappen Stunde zurück: kaum eine Viertelstunde nach meinem letzten Besuch am Freitag hatte die Gestapo Viktor in einem deutschen Sanitätsauto abgeholt. Das Spitalpersonal wußte nicht wohin Viktor geführt worden war. Wir waren alle erschüttert, doch wollten wir nicht die letzte Hoffnung aufgeben. Die Trotzkisten, mit denen wir uns erneut in Verbindung setzten, entschuldigten ihre Untätigkeit mit der Begründung, ihr Arztgenosse hätte Viktor für transportunfähig erklärt. Die Gestapo allerdings ließ sich durch solche Kleinigkeiten nicht aufhalten...
Unsere Frauen in der Gruppe setzten alles in Bewegung, um Viktor's Aufenthaltsort auszukundschaften. Nach einigen Tagen wußten wir: Viktor befand sich im deutschen Militärspital, Boulevard de l'Hopital. Frip, ein deutscher Emigrant, der manchmal zu uns essen kam, erbot sich, vor dem Spital Wache zu halten, eventuell sei etwas zu erfahren oder zu sehen. Es gelang uns, auf dem Umweg über das Rote Kreuz für Zivilinternierte bis zu dem protestantischen Militärgeistlichen des Militärspitals vorzudringen. In einer Aussprache mit Jeannette war der Herr sehr höflich, versicherte aber, er wisse nichts, im Spital befinde sich eine Abteilung für Terroristen, zu dieser hätte er keinen Zutritt. Er gab ihr den Tip. sich an den Intendanten zu wenden. Bei diesem erhielten wir die Bestätigung, ein solcher Mann sei in der Abteilung für Terroristen eingeliefert worden. Er werde streng abgeschlossen gehalten und befinde sich auf dem Wege der Genesung. Viktor aus dem gut bewachten Militärspital zu befreien war unmöglich. Doch stellten wir drei Tage lang abwechselnd Freunde vor das Spital, um Abtransporte zu überwachen. Unsere einzige Hoffnung bestand im raschen Vordringen der allierten Truppen auf die Hauptstadt. Die Deutschen begannen Paris zu evakuieren. Zwei Tage lang fuhren Lastwagen und Sanitätswagen Material, Kranke und Verwundete aus dem Spital weg; ob sich Viktor dabei befand, ließ sich nicht feststellen. Nie mehr sollten wir von ihm hören, wahrscheinlich wurde er auf dem Rückzug irgendwo liquidiert. Mit seinem wirklichen Namen hieß Viktor: Paul Wittlin.
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