Revolution für die Freiheit



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Die Befreiung von Paris


Die alliierten Armeen standen vor Paris. Es konnte sich nur noch um wenige Tage bis zu ihrem Einmarsch handeln. Bei den deutschen Truppen und ihren französischen Kumpanen herrschte Nervosität. In aller Eile wurden Truppen und Material abtransportiert. Hämisch lächelnd standen die Pariser umher, beguckten neugierig und zufrieden die Reisevorbereitungen der unwillkommenen Gäste. Alles wies daraufhin, daß um Paris nicht gekämpft werden sollte. Wie immer wirbelten die tollsten Gerüchte durch die Stadt. Kurz vor dem Einmarsch der Alliierten gab die Widerstandsbewegung den Aufruf zum Streik, wenige Stunden später zum Aufstand heraus. Der Generalstreik klappte, mit dem Aufstand haperte es. In unserem Quartier blieb vorerst alles ruhig; rund um die zwei großen Garagen in unserer Nähe, die von den Deutschen besetzt waren, hatten sie Drahtverhau gezogen, hinter dem gelangweilt ein Soldat Wache hielt.

Die Bevölkerung promenierte in den Straßen, diskutierte und freute sich über den Abzug der Eroberer, niemand schien den Wunsch zu hegen, den Abzug mit Waffengewalt zu beschleunigen. Clara begleitete mich an die Porte d'Orleans um etwas von dieser Aufstandsatmosphäre mitzukriegen.

Auf der südlichen Ausfallstraße gegen Montrouge zu stand in der Straßenmitte ein deutscher Offizier und regelte mit einer Verkehrskelle die Ausfahrt der deutschen Fahrzeuge. Ein mit einer Maschinenpistole behangener deutscher Soldat kreiste zu seiner Sicherung um ihn herum. Die Bewohner des Quartiers standen auf den Trottoirs, rissen Witze über die eilige Abfahrt der „Boches”, ohne feindselige Haltung einzunehmen. Plötzlich kam Bewegung in die Menge, sie drängte auf die Straße, näher an den deutschen Offizier heran, Rufe wurden laut:„La Resistance, La Resistance”. Von Alesia her kamen vier Autos angesaust, geführt von einem Jeep, auf dem stolz die Trikolore flatterte. Bewaffnete Zivilisten stiegen aus, am Arm trugen sie die dreifarbige Binde: drei von ihnen näherten sich mit militärischem Schritt dem Offizier, grüßten, und begannen mit ihm zu verhandeln. In weitem Kreis umstand die Menge die kleine Gruppe, um zuzuhören und ja kein Wort der Unterredung zu verlieren. Der Sprecher der Widerstandsbewegung sagte deutlich vernehmbar:

„Mein Herr, Paris befindet sich in den Händen der Widerstandsbewegung, jeder Widerstand ist nutzlos, Sie haben sich als gefangen zu betrachten”.

In perfektem Französisch erwiderte der Deutsche:„Bedaure sehr, ich bin hier um den Abzug der deutschen Truppen zu regeln. Wenn sie Waffengewalt anwenden wollen, bitte, ich kann es nicht verhindern”.

Mit einer Handbewegung hatte er seinen Wachsoldaten zu sich befohlen. Die Widerstandskämpfer parlamentierten unter sich, machten kehrt, stiegen in ihre Autos und fuhren davon. Aus der verdutzten Menge, die schweigend und gespannt zugehört hatte, ertönte Lachen, viele begannen zu Schimpfen und der allgemeine Schlußkommentar lautete: „Merde alors, c'est cela, la Resistance”.2

Da aus anderen Teilen der Stadt Nachrichten über Kämpfe kamen, bummelten Pierre und ich am Spätnachmittag ins Quartier Latin. Vereinzelt ertönten Schüsse, die Straßen waren beinahe leer, nur unter den Haustüren und Torbogen standen Leute, die eifrig schwatzten. Den Boulevard St. Michel hinauf raste ein deutsches Motorrad mit Beiwagen. Schüsse krachten, der Soldat im Beiwagen zuckte wild auf, fiel aus dem Wagen auf die Straße, das Rad fuhr im Zick-Zack einige Meter weiter, dann konnte es der Fahrer zum Stehen bringen. Er lief zurück zu seinem verletzten Kameraden, versuchte ihn aufs Trottoir zu schleppen, Zivilisten sprangen herbei, um ihm zu helfen, der Mann war tot. Unbehindert nahm ihm der Fahrer seine Papiere und Gewehr ab, bestieg sein Rad und fuhr unbehelligt weiter. Von den Schützen keine Spur. Durch Nebenstraßen stießen wir vorsichtig bis zur Place St. Michel an der Seine vor. Die Brücke war nicht gesperrt, doch sie zu begehen war ein Wagnis, von überallher wurde geschossen. Von unserem Standort aus, einer großen Barrikade auf dem Platz, von Studenten und Arbeitern besetzt, konnten wir dem Kampf um die Polizeipräfektur zusehen. Die französische Polizei, so wurde erzählt, hätte sich im Gebäude verschanzt und leiste heftigen Angriffen der deutschen Truppen Widerstand. Leichte deutsche Tanks feuerten auf das Gebäude der Präfektur, verschwanden wieder in einer Nebenstraße. In den engen Straßen und Gassen des Quartiers herrschte die Widerstandsbewegung. Fieberhaft wurden überall Barrikaden verstärkt, neue gebaut, in Torbogen und an Straßenkreuzungen lauerten Widerstandskämpfer auf den Feind. Ein mit deutschen Soldaten besetzter Lastwagen geriet am Boulevard St. Germain in einen Hinterhalt, wurde von allen Seiten heftig beschossen. Die Soldaten sprangen ab, legten sich auf die Straße und begannen sich mit einem unsichtbaren Feind herumzuschießen. Ihre Situation war aussichtslos, der Lastwagen wurde durch Handgranaten in Brand gesteckt; von allen Seiten umzingelt und beschossen, ergaben sich die Überlebenden nach wenigen Minuten.

Hinter einer großen Barrikade am Boulevard St. Jacques trafen wir auf Frip. (Fridolin Wiener); er hatte sich in seine alte Khakiuniform gestürzt, die er während der „Drole de Guerre” bei den englischen Truppen getragen hatte. Er besaß genau das Aussehen eines englischen Offiziers im Ruhestand. Frip, wie immer sehr aufgeregt, benahm sich ungeheuer wichtig. Inmitten einer Gruppe von Leuten dozierte er wild gestikulierend:„Die Engländer sind schon auf der Place de la Bastille, wir müssen durchbrechen und ihnen Hilfe bringen”. Als er Pierre und mich erkannte, wandte er sich uns zu.

„Wenn du den Unsinn weitertreibst, endest du als Leiche oder im Gefängnis”, sagte ich ihm kühl: „Mit deinem Akzent und deinem wilden Getue erweckst du doch nur Mißtrauen, noch sind die allierten Truppen gar nicht in Paris”. Es half nicht, er agitierte unentwegt weiter. Frip geriet tatsächlich ins Gefängnis, war im Lager der Kollaborateure, und es kostete uns unendliche Mühen ihn wieder rauszukriegen. Der alte Mathematikprofessor, der hinten in unserer Passage ebenfalls einen Pavillon bewohnte, kam abends an unser Fenster und verlangte mich zu sprechen. „Sie verstehen doch, Herr Thalmann, wir haben keine Regierung mehr (die Vichyregierung war nach Deutschland geflohen), ich wollte Sie um ihr Einverständnis bitten, das eiserne Tor zur Passage am Abend abzuschließen”. Dem alten, zitternden Herrn gab ich gerne meine Einwilligung. Am zweiten Tag änderte sich auch in unserem Stadtteil die Situation. Um die zwei deutschen Garagen herum gab es Schiessereien, an der Avenue de Chatillon bauten junge Leute Barrikaden, das Pflaster wurde aufgerissen, Bäume gefällt, Kisten, Bretter, alte Eisenbetten aufgetürmt. An den Plakatwänden erschienen kleine Plakate, Aufrufe und die ersten Zeitungen der Widerstandsbewegung. Ein Aufruf der Widerstandsbewegung der forderte zum Kampfabbruch auf, um jedes weitere Blutvergießen zu vermeiden; Waffenstillstandsverhandlungen seien im Gange, um den Abzug der deutschen Truppen zu bewerkstelligen. Wenige Stunden später prangte neben diesem Aufruf eine Proklamation der kommunistischen Zeitung „L'Humanite”, die zur Weiterführung des Befreiungskampfes aufforderte. In blutrünstiger Sprache wurden die Pariser aufgerufen, Barrikaden zu bauen, die deutschen Soldaten abzuschießen und „mit dem Blut der Boches die Rinnsteine zu füllen”. Die Gegensätze innerhalb der Widerstandsbewegung traten klar zutage, die Extremisten gewannen die Oberhand. Die Kämpfe lebten auf, obwohl sich nur eine kleine Minderheit, vor allem die Jugend, daran beteiligte.

Am vierten Tag der Straßenkämpfe rückte die Division Leclerc in Paris ein, sie kam vom Süden durch die Avenue d'Orleans. Der Jubel der Bevölkerung war unbeschreiblich, die Tanks und Jeeps wurden gestürmt, Burschen und Mädchen, die Trikolore schwingend, schreiend und singend, zogen auf den Kampfwagen ins Stadtinnere. Eine dichte Menschenmenge bedeckte die breite Straße . Da krachten Schüsse. Clara und ich retteten uns in einen Hauseingang, die Straße war von Menschen im Nu leer gefegt, die langsam fahrenden Tanks begannen zu schießen, niemand hatte die geringste Ahnung was los war.

Mit dem Einzug der Allierten nahmen die Kämpfe ein rasches Ende. Die letzten Widerstandsnester der deutschen Truppen wurden erledigt, die Kommandoposten an der Oper, der Place de la Concorde und an der Militärschule kapitulierten. Paris war befreit. Wie am 14. Juli tanzte die Bevölkerung zusammen mit den allierten Soldaten auf der Straße und auf den Plätzen. Am Tage, da General de Gaulle, vom Nationalkommitee der Widerstandsbewegung umringt, seinen Einzug in Paris hielt und in einem endlosen Zug in die Notre Dame de Paris zog, um eine Messe zu zelebrieren, marschierten Pierre und ich durch die Stadt. Wir hatten zwei Tabakskarten erbeutet, doch konnten wir die Zigaretten nur in einem Tabaksladen hinter der Place de la Concorde einlösen. Transportmittel gab es noch keine, und wir trabten zu Fuß los, um all unseren passionierten Rauchern das seltene Kraut zu verschaffen. Auf der weiten Place de la Concorde, gerieten wir in eine unabsehbare Menschenmenge, die dem Einzug de Gaulle's zujubelte. Rundum auf dem Platz standen allierte Tanks, Militärfahrzeuge, die Jeeps waren von Blumen übersät, auf Leiterwagen saßen, in allen Trachten der französischen Provinzen, Frauen und Kinder, jubelnd und singend. Ob wir wollten oder nicht, wir mußten dem Siegesjubel beiwohnen.

In den Freudentaumel hinein krachten Schüsse, eine unbeschreibliche Panik brach aus: starr vor Schreck wogte die Menschenmenge wie ein aufgestörter Ameisenhaufen durcheinander.

Die Menschen suchten Schutz hinter den Militärfahrzeugen, den Fontänen, warfen sich schreiend zu Boden, fielen übereinander, stiessen und traten sich. Kommandorufe ertönten: “Alles zu Boden werfen”. Die riesige Fläche des Platzes war ein einzig bewegtes Körpermeer; jetzt begannen auch die Tanks zu schiessen. Wer auf wen schoß, war nicht zu erkennen. Pierre und ich hatten uns sofort zu Boden geworfen, lagen aber vor der Fontäne in heikler Lage. Langsam krochen wir zurück hinter den Brunnentrog. Dahinter stand hoch aufgerichtet, ein junger Priester mit seinen Schützlingen. Mit fester und klarer Stimme sang er seinen sitzenden Zöglingen die Marseillaise vor, mit wilden Gesten dirigierend die mutigsten standen auf und scharrten sich um ihren Vorsänger. Verwundete stöhnten, Frauen kreischten, Kinder heulten, Ambulanzen kamen angesaust und luden Tote und Verletzte auf. Nach einigen Minuten hörte die Schiesserei auf, Soldaten erschienen auf den Dächern des Marineministeriums, dem Hotel Crillon. Gerüchte zirkulierten, französische faschistische Miliz hätte von diesen Dächern aus auf de Gaulle's Festzug geböllert. Mit dem Beginn der Kämpfe in Paris hatte auch die Jagd auf Kollaborateure eingesetzt. Wer irgendwie mit den Besatzungsbehörden in Verbindung gestanden hatte, wurde von lieben Nachbarn denunziert, eifrige Patrioten der letzen Stunde übernahmen die Bestrafung der Schuldigen. Beim Nachhausegehen stießen Clara und ich mitten in der Avenue d' Orleans auf eine solche Strafexpedition. Etwa ein Dutzend Frauen, die Köpfe kahlgeschoren, wurden mit nackten Füßen durch die Straße getrieben. Eine johlende Menge begleitete sie mit Schimpfrufen, bespuckte sie. Jede der Frauen trug einen Karton um den Hals, mit der Inschrift: “Ich habe mit einem Boche geschlafen”. Unter den Zuschauern klatschten einige Beifall, viele wandten sich angeekelt ab. Der Anblick der wie Raubtiere zur Schau gestellten Frauen brachte Clara in Wallung. Wie eine Furie warf sie sich mit ihrem Krückstock bewaffnet in die Masse der Menschen, und drang den Stock schwingend, auf die Begleitmannschaft ein, bevor ich sie zurückhalten konnte. Sie verschwand in einem dichten Gewühl, ich hörte nur noch ihre laute, schimpfende Stimme. Ich drängte mich in den Haufen, in dem sie wütend die Männer und Frauen, die den Zug begleiteten anschrie: “Ihr seid doch keine Nazis, das ist unmenschlich, Franzosen unwürdig, nur Schweine können so etwas tun”. Erregte Debatten entstanden, wir wurden hin und hergeschubst, doch ein großer Teil der Leute stimmte uns zu. Die Meinung, so etwas dürfte man nicht einreissen lassen, setzte sich durch. Der erbärmliche Schauzug löste sich in Tumult auf. Ähnliche Szenen hatten sich in anderen Quartieren der Stadt abgespielt; sie dauerten nicht lange. Der gesunde Sinn der Pariser lehnte diese Exzesse ab, die Proteste wurden allgemein und diese Schaustellungen wurden gestoppt.

Nach diesem unerwarteten Zwischenfall setzten wir uns auf die Terrasse des Eckrestaurants an der Porte d' Orleans, um eins zu trinken. Ein baumlanger amerikanischer Sergeant warf plötzlich sein Fahrrad zu Boden, stürmte auf uns los, warf kurzerhand den Tisch mit unseren Getränken um und umarmte uns: es war Willi, unser Mundharmonika-Willi aus Spanien.

Die ersten Minuten konnten wir, zitternd vor Erregung nicht sprechen, dann ging das Erzählen los. Willi war noch vor der Besetzung der freien Zone aus dem Lager von Verney befreit worden; Freunde in Amerika hatten ihm ein Gefahrenvisum besorgt und er konnte Amerika erreichen. Willi wurde mobilisert, dank seiner Sprachkenntnisse und seiner Vertrautheit mit deutschen Verhältnissen, konnte er sich nützlich erweisen. Bei der Landung in der Normandie wurde er in die vordersten Linien geschickt; mit dem Lautsprecher sprach er zu den deutschen Soldaten und spielte ihnen auf seiner Mundharmonika deutsche sentimentale Lieder vor, um sie zum Überlaufen zu bewegen. Seit drei Tagen in Paris, hatte er sofort nach uns nachgefragt. Er traf niemanden. Zwei Tage lang setzte er sich in ein Cafe am Boulevard St. Michel, in dem vor dem Kriege die deutschen Emigranten verkehrt hatten, in der sicheren Hoffnung, irgendeinen Bekannten zu treffen. Er hatte Glück, er traf Jean Wetz, der unsere Adresse kannte. Als er uns sah, war er auf dem Wege zu unserem Pavillon. Noch am selben Abend erschien er bei uns im Pavillon mit einem schwer beladenen Jeep voll von Esswaren, Getränken, Kaffee und Rauchwaren in rauhen Mengen. Wir verlebten mit ihm und unseren Pensionären eine tolle Nacht.

Willi wurde in Deutschland zum Aufspüren der Nazis eingesetzt, leitete die Verhöre von Gefangenen, und seinen Kenntnissen und seinem Spürsinn, gelang es oft, die einfachen Mitläufer von den wirklichen Nazis auszusondern. Von Deutschland kam Willi noch oft zu uns zurück, brachte jedesmal Mengen von Ess- und Trinkbarem und Rauchwaren mit. Für uns war Willi, der deutsche Emigrant, der Spanienkämpfer, der deutsch-amerikanische Sergeant, Symbol der Befreiung von Paris, des Kriegsendes...



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