Der Mediendienste-Staatsvertrag
Unterschiede bei den Haftungstatbeständen finden sich im Mediendienste-Staatsvertrag. Zwar haben die Bundesländer versucht, das TDG weitestgehend zu kopieren. Jedoch konnten sie auf eine zusätzliche Sperrbefugnis zu Gunsten der Landesbehörden nicht verzichten (§ 5 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 MDStV). Weitaus größere Schwierigkeiten macht die Bestimmung der Reichweite von § 5 Mediendienste-Staatsvertrag - gerade vor dem Hintergrund der von den Ländern so viel beschworenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Gesetzgebungszuständigkeit von Bund und Ländern. Die Abgrenzung von Bund- und Länderkompetenzen auf dem Gebiet der Online-Dienste ist ein schwieriges Thema, das während der Vorbereitungen für das IuKDG zu einer Reihe kontroverser Diskussionen geführt hat. Aufgrund eines im Juni 1996 verabschiedeten Kompromisspapiers beanspruchen die Länder die Regelungsbefugnis für Mediendienste für sich. Hierzu zählen nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 MDStV auch die Abrufdienste, bei denen Text-, Ton- oder Bilddarbietungen auf Anforderung aus elektronischen Speichern zur Nutzung übermittelt werden, mit Ausnahme von solchen Diensten, bei denen der individuelle Leistungsaustausch oder die reine Übermittlung von Daten im Vordergrund steht. Diese Definition fügt sich nicht harmonisch in die Definition der Teledienste im TDG (siehe § 2 Abs. 1 TDG) ein. Auf diese Problematik soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden. Wichtiger ist die Tatsache, dass nach der Definition des Mediendienste-Staatsvertrages eine Reihe von Online-Diensten als Mediendienste zu qualifizieren sind und unter den Staatsvertrag fallen. Dies gilt zum Beispiel für elektronische Forschungsjournale, zahlreiche Newsgroups und inhaltlich orientierte Homepages.
Die Länder haben nun zwar im Staatsvertrag die Haftungsregelungen des Bundes übernommen. Sie besitzen jedoch keine Regelungskompetenz für Fragen des Straf- und Zivilrechts (siehe Art. 74 Nr. 1 GG). Die Haftungsbestimmungen im Mediendienste-Staatsvertrag können sich daher von vornherein nicht auf das Gebiet des Straf- und Zivilrechts beziehen913. Statt dessen sanktionieren sie nur Verstöße gegen den Staatsvertrag selbst. Theoretisch wäre zwar eine analoge Anwendung von § 5 TDG denkbar. Allerdings verbietet das TDG eine solche Analogie ausdrücklich in § 2 Abs. 4 Nr. 3 TDG. Hiernach soll das Gesetz nicht auf Mediendienste zur Anwendung kommen.
Folglich kommt im Bereich des Mediendienste-Staatsvertrag eine Anwendung der klassischen Regelungen des Zivil- und Strafrechts in Betracht. Da diese - wie bereits ausgeführt - eine Prüfungspflicht bei offenkundigen Verdachtsmomenten vorsehen, weichen die Haftungsbestimmungen von Mediendienste-Staatsvertrag und TDG entscheidend voneinander ab. Hier ist eine Klärung in der Praxis - insbesondere durch die Rechtsprechung - notwendig, um ein einheitliches Haftungssystem für alle Online-Dienste zu etablieren. Auch die Verabschiedung der E-Commerce-Richtlinie hat die Bundesländer nicht zum Einlenken bringen können; derzeit ist eine Novellierung des Staatsvertrages aufgrund der Richtlinie in Bearbeitung.
Versicherbarkeit
Das Haftungsrisiko führt zwangsläufig zu der Frage, inwieweit dieses Risiko versicherbar ist. Informationen darüber, ob und inwieweit einzelne Versicherungsunternehmen entsprechende Policen vereinbaren, waren nicht erhältlich. Es ist auch nicht bekannt, ob einzelne Unternehmen bereits Konzepte zur Absicherung solcher Risiken in Vorbereitung haben. Deshalb kann hier nur auf die Allgemeine Haftpflichtbedingungen (AHB)914 zurückgegriffen werden, um die Anwendbarkeit der allgemeinen Betriebshaftpflichtversicherung auf diesen Versicherungsfall hin zu analysieren.915 Grundsätzlich deckt die Haftpflichtversicherung deliktische Ansprüche, etwa aus § 823 Abs. 1 BGB, ab. Für vertragliche Schadensersatzansprüche, die ebenfalls mitversichert sind, wird jedoch eine Absicherung der Erfüllung von Verträgen ausgeschlossen (§ 4 Abs. 1 Zi 6 Abs. 3 AHB): Der Content-Provider trägt also regelmäßig das Risiko dafür, dass seine entgeltlich zum Abruf angebotenen Informationen richtig und rechtmäßig erlangt sind. Von der Versicherung ausgeschlossen sind ferner Haftpflichtansprüche, wenn sie aufgrund Vertrages oder besonderer Zusage über den Umfang gesetzlicher Haftungstatbestände hinausgehen (etwa bei zugesicherten Eigenschaften oder im Falle des oben erwähnten, zusätzlichen Beratungsvertrages). Für das Internet ist vor allem auch der Haftungsausschluss bei Schadensereignissen wichtig, die im Ausland eintreten (§ 4 Abs. 1 Zi 3 AHB). Eine Absicherung für Urheber- oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit Auslandsbezug ist damit über die Allgemeine Betriebshaftpflichtversicherung nicht zu erreichen. Die Versicherung tritt schließlich auch nicht ein bei Schäden, die weder Personen- noch Sachschaden sind (§ 1 Abs. 3 AHB), also etwa bei Datenausfall oder Betriebsstillstand. Diese Vermögensschäden dürften aber diejenigen sein, die typischerweise im Online-Bereich auftreten. Die Unrichtigkeit einer Information führt nur selten zu unmittelbaren Personen- oder Sachschäden. Eine Erweiterung des Versicherungsschutzes für Provider ist deshalb notwendig.916. Diese Erweiterung sollte dann - ähnlich wie bei Softwarehaftpflichtversicherungen - die Haftung wegen besonderer Zusagen, im Falle der Nichterfüllung und der Auslandsberührung und für Vermögensschäden einschließen.
§ 10 Der archimedische Punkt: Das Internationale Zivilverfahrensrecht
Literatur:
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”Gebt mir einen festen Standpunkt und ich werde die Erde bewegen”- dieses Diktum des Archimedes gilt auch und erst recht für das Internet-Recht. Man mag die lauterkeitsrechtlichen Fragen rund um das Internet z. B. mithilfe des deutschen Wettbewerbsrechts lösen können, etwa in der oben fragmentarisch skizzierten Form. Doch für Online-Dienste gelten die territorialen Grenzen der nationalstaatlich geprägten Rechtsordnungen nicht.917 Eine Homepage lässt sich von irgendeinem Server von irgendeinem Fleck dieser Welt aus zum Abruf anbieten, ohne dass mit der Standort des Servers auf die Zugriffsmöglichkeiten Einfluss hätte. Es können daher virtuelle Rechtsoasen im Internet entstehen, karibische Inseln werden zum Ausgangspunkt von ”junk mails” oder zum Handelsplatz für verbotene Arzneimittel. Auch für deutsche Anbieter stellt sich die Frage, ob sie bei ihrer Online-Präsenz nur das deutsche Recht zu beachten haben oder die unterschiedlichen Regelungen in der Schweiz oder Österreich wegen der dort vorhandenen Abrufmöglichkeiten mit berücksichtigen müssen. Die Aporien werden am deutlichsten in einer neueren Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Paris, wonach Yahoo in den USA verpflichtet ist, technische Vorkehrungen zu schaffen, die den Zugang zu Internetseiten mit rechtsradikalem Inhalt für französische Nutzer unmöglich machen.918 Ein US District Court in Kalifornien hat sich inzwischen geweigert, dieser französischen Entscheidung in den USA zur Durchsetzung zu verhelfen; dies verbiete das First Amendment der US-Verfassung und die darin geschützte Meinungsfreiheit.919
Problematisch ist in allen Fällen des Dimension des Internationalen Zivilverfahrensrechts (IZVR). Das IZVR bestimmt, ob ein streitiger Sachverhalt einen Inlandsbezug hat, der es rechtfertigt, den Rechtsstreit vor inländischen Gerichten zu entscheiden – also in welchen Fällen ein nationales Gericht zuständig ist (Internationale Gerichtszuständigkeit)920 und regelt ferner die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile im Inland. Anders als das Internationale Privatrecht921 betrifft es somit unmittelbar nur verfahrensrechtliche Fragen. Das IZVR kann jedoch mittelbar auch das vom angerufenen Gericht anzuwendende Sachrecht und damit auch die Sachentscheidung des Gerichts beeinflussen: Denn das anwendbare Kollisionsrecht und dadurch wiederum das anwendbare Sachrecht hängen von der Internationalen Zuständigkeit ab. Bei einer Mehrzahl potentieller Gerichtsstände kann der Kläger durch eine geschickte Auswahl des Gerichtes über das anwendbare Kollisionsrecht des Forums die zur Streitentscheidung maßgeblichen Sachnormen bestimmen („Forum Shopping“).
Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Parteien mit Sitz in verschiedenen Staaten wirft insbesondere die Bestimmung der internationalen Gerichtszuständigkeit Probleme auf. Die dabei potentiell in Betracht kommenden Zuständigkeiten reichen von derjenigen des Gerichtes am Serverstandort bis hin zu der Zuständigkeit der Gerichte an allen Abruforten. Die für die Off-line Welt entwickelten Zuständigkeitsregeln bieten oftmals keine befriedigende Lösung im Online Bereich und bergen vielfach die Gefahr eines nicht kalkulierbaren Gerichtsstandsrisikos. Dies gilt um so mehr, da die Zuständigkeitsregeln national divergieren und eine internationale Vereinheitlichung in naher Zukunft nicht zu erwarten ist.922
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