Sonntag, 02. November 2008 - Allerseelen (katholisch)
Wie verabredet haben Elena und ich uns in der Metro getroffen und sind dann ins Kloster gelaufen. Es dauerte auch nicht lange, bis wir herausgefunden hatten, in welcher Kirche Vater Alexej zum Priester geweiht werden würde und so haben wir uns einen Platz weit vorne gesichert, mit einem guten Blick auf den Altar. Elenas Stimmung war allerdings etwas betrübt, weil keiner aus ihrer Kirchengemeinde, aus der Vater Alexej auch stammt, zu sehen war - auch nicht seine Frau, auch wenn das so kurzfristig bekannt wurde.
Vater Alexej selbst ist 25 Jahre alt und im Mai diesen Jahres zum Diakon geweiht worden. Er selbst wäre noch gerne etwas länger Diakon geblieben, wurde nun aber heute schon geweiht. Er hat gestern Abend, wie ich ja schon geschrieben habe, die Vesper mitgefeiert und dann die ganze Nacht betend im Altarraum der Kirche verbracht, um sich auf dieses Amt vorzubereiten.
Nach dem Cherubikon und dem großen Einzug war es dann soweit. Vater Alexej wurde durch die Königstüren an den Altar geführt, drei Mal um den Altar geführt. Dann hat er sich an der rechten Seite des Altars niedergekniet, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. Dann wurde vom Bischof ein Weihegebet aus einem Buch gesprochen, dass über seinen Kopf gehalten wurde und anschließend von Chor und den Priestern, Diakonen und Messdienern "Akzios" gerufen - die eigentliche Weihe. Dann wurden ihm noch die priesterlichen Würden wie Stola usw. überreicht. Kurz darauf wurde dann noch ein Diakon geweiht.
Nach der Göttlichen Liturgie haben wir uns noch von ihm segnen lassen und stellte sich dann heraus, dass wenigstens seine Mutter noch mit in der Kirche war und ich konnte ihm nach einigem Warten noch mein Geschenk überreichen, worüber er sich gefreut hat.
Nach diesem spannenden Vormittag bin ich dann wieder ins Wohnheim gefahren, habe vorher noch eingekauft und mir dann Bratkartoffeln machen wollen. Eigenartigerweise ist da aber vielmehr ein Auflauf als Bratkartoffeln daraus geworden. Geschmeckt hat es aber dennoch. Das muss ich demnächst tatsächlich mal versuchen, mit Käse zu überbacken. Davon ist allerdings so viel übrig geblieben, dass ich auch noch zu Abend davon essen kann.
Montag, 03. November 2008
Das war ein Tag der Absagen! Zunächst simste mir Xenia, dass sie keine Zeit für unser Englisch-Tandem hat. Nun stelle ich mir mittlerweile die Frage, ob diese Aktion eine Zukunft haben wird. Wenn nicht, dann ist es eigentlich auch gut, weil ich mehr Zeit habe. Andererseits ist es auch nicht gut, denn an dem Tag habe ich doch recht viele neue Wörter gelernt. Dann fiel heute die Ethik-Vorlesung aus, so dass ich drei Stunden auf den Gottesdienst hätte warten müssen, zu dem ich eigentlich hin wollte, bin dann aber ins Wohnheim gefahren. Dort angekommen sagte mir dann Mascha ab - wir wollten am morgigen Tag eigentlich in die Tretikowskaja-Galerie gehen - sie muss nun aber für Klausuren lernen. So will ich mal schauen, was ich morgen machen werde. Der Gottesdienst kündigt es schon an - es morgen wieder ein Feiertag, sowohl ein staatlicher als auch ein kirchlicher. Dementsprechend leer war heute auch die Stadt: Viele Geschäfte waren geschlossen und überhaupt waren die Straßen für Moskau ungewöhnlich leer. Viele nutzen wohl den Brückentag und haben sind in ihre Datscha vor den Toren Moskaus gefahren. Auch in der Uni war heute etwas weniger los als sonst - das war zumindest mein Eindruck.
Gestern musste ich notgedrungen ein Brot kaufen, das kaum gebacken aussah. Das habe ich heute morgen im Backofen aufgebacken - mit vollem Erfolg. Als ich aus dem Waschraum wieder herauskam, da zog mir schon ein leckerer Duft in die Nase - und noch viel besser hat das Brot dann geschmeckt. Heute Abend habe ich das wiederholt - Kostja und ein weiterer Student waren mit dabei. Zunächst wurde mir die skeptische Frage gestellt, was ich da mache; als die beiden dann aber probiert haben, dauerte es nicht lange und das Brot war weg.
Station Ploschschad Revolutii - Platz der Revolution
In den letzten Wochen komme steige ich immer häufiger in einer der schönsten Metro-Stationen Moskaus um - zudem ist es noch die älteste. Wenn ich die Station betrete, dann herrscht dort ein dunkles und beruhigendes gelbliches Licht, dass von den Lampen, die in der Halle von der Decke hängen, ausgeht. Alles ist in grauem oder rotbraunem Marmor gehalten. Zu meiner rechten befinden sich die Gleise der U-Bahn und zu meiner linken tun sich die Durchgänge in die Haupt- oder Mittelhalle auf, die als marmorne Rundbögen gebaut sind. An den vier Ecken dieser Rundbögen sind jeweils Skulpturen angebracht - allesamt aus mittlerweile aus glanzlos gewordenem Messing - dennoch strahlen sie ihren Charme aus. Sie alle zeigen Berufe oder zeigen den Stolz der ehemaligen Sowjetunion und mit Sicherheit auch deren vergangene Stärke: den Gleisarbeiter, Fallschirmspringer, Flughafenlotsen, Polizist mit Wachhund, das Mädchen mit Gewehr, den Bergmann, Ingenieur, den Bauern und die Bäuerin, den Studenten und die Studentin, den Sportler, Vater mit Kind, die zwei Schüler mit einem Globus in der Hand und zwei Jungs mit einem Spielflugzeug unterm Arm und die Frau mit Kind. Viele diese Figuren haben einige blanke und goldene Stellen, weil die Menschen sie im Vorbeigehen kurz berühren oder anfassen. Sie gelten als Glücksbringer. Insbesondere der Hund des Polizisten hat eine goldene Schnauze. Fährt man mit der Rolltreppe hinauf zum Ausgang, dann sieht man zunächst den großen Kronleuchter, der in der Kuppelhalle hängt und dann fällt der Blick auf ein großes Bild, das auf die Marmorwand gemalt wurde - es zeigt rotes Tuch und in der Mitte Hammer und Sichel mitsamt Kommunistenstern zur Ehre des 30jährigen Bestehens der Sowjetunion. Rechts befindet sich die Nationalhymne der Sowjetunion. Es muss demjenigen, dem das sozialistische System oder die Sowjetunion naheliegt, wie eine Art Fahrt in den sozialistischen Himmel vorkommen - auf der Rolltreppe der roten Fahne und Hammer und Sichel entgegen... Betrachtet man diese Bauwerke genauer, kann man in der Tat eine Anlehnung der Bauten an eine Religion finden. Diese Bauten haben gewisse Elemente, die einem Gotteshaus durchaus ähnlich sind: Kuppelhallen, Lenin, viele Verzierungen, Bilder sozialistischer Taten, usw. Und es lässt sich in diesem Fall vielleicht sogar eine gewisse Symbolik deuten: Aus dem Dunkel, der Unterwelt hinauf in den kommunistischen Himmel.
Tritt man aus der Metrostation nach draußen und betrachtet das Äußere der Station, so meint man, man stehe vor einem gewöhnlichen Wohnhaus und keinesfalls vor einer Metrostation bzw. einem Tempel zu Ehren der Sowjetunion.
Dienstag, 04. November 2008 - Fest der Kasaner Ikone der Gottesmutter Maria und Fest der Einheit der Völker
Wie an Feiertag in Moskau zumeist üblich, waren die Straßen heute recht leer, so dass es heute angenehm ruhig in Moskau war. Beide Feste gehören zusammen zur Geschichte Moskaus. Im Jahre 1612 wurde die Stadt von Polen belagert. Dann taten sich viele Menschen und Kämpfer zusammen (Einheit des Volkes) und vertrieben die Leute aus der Stadt. Bevor wurde die Kasaner Ikone der Gottesmutter Maria in einer Prozession um die Stadt getragen, der dieses Wunder zugeschrieben wird.
Dementsprechend war ich heute mit Pjotr in der Göttlichen Liturgie und anschließend haben wir uns noch gemeinsam in der Stalowaja mit Elena unterhalten. Nach dem Essen bin ich ins Internet gegangen und habe in Osnabrück bei einem Bekannten angerufen, der wahrscheinlich Mitte November durch Moskau reist und mir dann bestimmt ein paar Sachen aus der Heimat mitbringt. Während dem kurzen Telefonat - mein Guthaben reichte für nicht viel aus - fragte er mich, ob ich morgen auch in den Gedenkgottesdienst für die zwei verstorbenen Jesuitenpriester gehen würde. Bislang wusste ich zwar aus dem Nachrichtendienst Östliche Kirchen vom 30.10.2008 (www.kirchen-in-osteuropa) zwar, dass zwei Priester vermutlich ermordet worden seien. Diese Vermutung wurde jetzt von ihm bestätigt. Dazu fand ich heute folgenden Artikel im Internet:
"Zwei Jesuiten in Moskau ermordet
Otto Messmer war Provinzial der Gesellschaft Jesu in Russland
FREISING/MOSKAU, 29. Oktober 2008 (ZENIT.org).- Mit großer Bestürzung haben Geschäftsführung und Mitarbeiter des katholischen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis heute am frühen Morgen die Nachricht vom plötzlichen Tod zweier römisch-katholischer Priester in Moskau aufgenommen.
Laut Moskauer Nachrichtenagentur RIA waren die Jesuitenpatres Otto Messmer (47), Provinzial der Gesellschaft Jesu in Russland, und der aus Kolumbien stammende Victor Betancourt-Ruiz (42) am Vorabend, Dienstag, den 28. Oktober 2008, tot in ihrer Wohnung in der Petrovka-Straße aufgefunden worden. Gemäß einer Information der Jesuiten wiesen die beiden Priester erhebliche Verletzungen auf, die von einem Angriff herrühren. Nach Angaben des Sprechers der Erzbischöflichen Kurie in Moskau, Pater Igor Kowalewski, hatten die beiden Priester zuvor nicht auf Telefonanrufe reagiert. Daraufhin hätten ihre besorgten Mitbrüder die Wohnungstür aufbrechen lassen und die toten Jesuitenpatres entdeckt, so Kowalewski in einem Telefonat mit Jörg Basten, dem zuständigen Renovabis-Länderreferenten für Russland.
Wegen des Verdachts auf ein Gewaltverbrechen sei umgehend die Kriminalpolizei eingeschaltet worden, die bis zum frühen Mittwochmorgen Spuren gesichert habe. Diese werden zur Stunde noch ausgewertet. Der Vorfall werde von russischer Seite auf höchster Ebene behandelt, heißt es. Die Administration des russischen Präsidenten Dimitri Medwedjew habe sich in die Aufklärung eingeschaltet.
Otto Messmer wurde am 14. Juli 1961 geboren und wuchs in einer kinderreichen Familie im kasachischen Karaganda auf. 1982 trat er in die Gesellschaft Jesu (SJ) ein. Nach Abschluss seiner theologisch-philosophischen Studien in Riga weihte ihn Kardinal Julian Vaivodsa 1988 zum Priester. In der heutigen kasachischen Hauptstadt Astana begann Messmer seinen seelsorglichen Dienst. Später leitete er als Rektor das Vorseminar in Novosibirsk und kümmerte sich dort um die Ausbildung der Priesteramtskandidaten. Während der letzten Jahre verantwortete der Jesuit als Ordensoberer die Geschicke der unabhängigen russischen Region der Gesellschaft Jesu in der russischen Hauptstadt.
Victor Betancourt-Ruíz lehrte als Professor am Institut für Theologie, Philosophie und Geschichte der Jesuiten in Moskau. Er wirkte erst seit einigen Jahren in Russland.
Der Präsident von „Kirche in Not“, Pater Joaquín Alliende, drückte in seinem Beileidsschreiben an den Generaloberen des Jesuitenordens, Pater Adolfo Nicolás, seinen „tiefen Schmerz“ über die Ermordung der beiden Priester aus, die beide „in einem fruchtbaren Kontakt“ mit dem Hilfswerk gestanden hätten, das ihren „großzügigen Einsatz im Dienst an den Katholiken in Moskau kennen lernen durfte“. Das Werk verstehe das Leid so vieler Menschen in Moskau und in ganz Russland und teile die Trauer der russischen katholischen Bischofskonferenz sowie „die feinfühlige Anteilnahme Seiner Heiligkeit Aleksij II., des Patriarchen von Moskau und ganz Russland“, heißt es in dem Schreiben weiter. [...]“
Patriarch Aleksij II. hat heute (29.10.) in Moskau bei seinem Treffen mit dem Vorsitzenden der französischen Bischofskonferenz, Kardinal André Vingt-Trois, der katholischen Kirche seine Anteilnahme ausgedrückt. Auch Vertreter der Muslime in Russland haben der katholischen Kirche ihre Bestürzung über den Mord und ihr Mitgefühl bekundet. In der katholischen Kathedrale von Moskau wurde heute um 18 Uhr Ortszeit ein Gedenkgottesdienst gefeiert.
Die Hintergründe der Tat liegen noch im Dunkeln. Offenbar wurden die beiden Jesuiten erschlagen. Zum Zeitpunkt ihrer Auffindung scheinen sie bereits 24 Stunden lang tot gewesen zu sein."
(Quelle: ZG08102902 - 29.10.2008; Permalink: http://www.zenit.org/article-16284?l=german)
Zu dem Thema möchte ich Folgendes bemerken: In einigen Berichterstattungen wird darauf hingewiesen, dass es in vergangener Zeit Auseinandersetzungen zwischen katholischer und Russisch-orthodoxer Kirche gegeben hat oder es sie noch gibt. Das ist nicht zu leugnen. Einige Medien stellen jedoch die Ermordung der katholischen Priester indirekt in den Zusammenhang mit der Russisch-orthodoxen Kirche oder lassen Vermutungen vor allem bei unkundigen Lesern aufkommen, die die Russisch-orthodoxe Kirche in einen schlechten Verdacht rücken lassen. Ich denke, dass den orthodoxen Glaubensbrüdern und -Schwestern dort schweres Unrecht widerfährt. Allein schon die Anteilnahme des Patriarchen Alexej sollte die Vermutung einer orthodox motivierten Tat verblassen lassen. Ich selbst bin hier an der Fakultät von allen sehr gut und freundschaftlich aufgenommen worden. Und so beten wir mit- und füreinander. Das zeigt mir einen guten christlichen Geist. Letztlich zweifele ich an der Aufklärung des Mordes durch die Behörden hier in Russland. Es gibt zwar unheimlich viel Miliz, die aber für Geld auch gerne mal die Augen zudrückt und nichts sieht.
Hier im Wohnheim wissen die wenigsten von dem Vorfall, denjenigen. Denen ich es erzähle, reagieren ebenso mit einer tiefen Erschütterung und Betroffenheit. Morgen Mittag um 12 Uhr findet ein Gottesdienst zum Gedenken an die ermordeten Priester statt. Einer meiner Mitbewohner, Elena und ich werden dort wohl hingehen. Elena und ich haben aber beide die gleiche Frage: Was nützt es dem Mörder oder den Mördern? Es ist nicht verwunderlich, wenn die beiden Priester zukünftig von den Katholiken hier verehrt werden - damit hat es den nur Nutzen gebracht, dass die Kirche und ihr Glaube hier gestärkt werden.
Mittwoch, 05. November 2008
Meinen Mitbewohner habe ich heute leider nicht finden können, so dass ich wohl oder übel alleine zur Kirche gefahren bin. Im Dom saß Elena schon und hat mir einen Platz freigehalten. Die Heilige Messe in der Kathedrale war umwerfend. Die Kirche war recht voll und es waren wenigstens sechs Bischöfe, etwa 70 Priester, ein Diakon und unzählige Ordensleute da. Darunter drei unierte Priester. Einen russisch-orthodoxen Priester habe ich nicht gesehen - darüber war auch meine Kommilitonin etwas enttäuscht. Am Schluss des großen Einzuges wurden die ermordeten Priester in die Kirche getragen und vor die geschmückten Altarstufen gestellt. Nach der Heiligen Messe sprach noch der Generalobere des Jesuitenordens einen Dank an alle diejenigen aus, die bei den Vorbereitungen dieser Feier geholfen haben und bedankte sich auch für die Beileidswünsche aller. Anschließend hatte die Gemeinde Gelegenheit, sich von den Priestern in Stille zu verabschieden. In der Kirche herrschte eine sehr gedrückte und betroffene Stimmung, aber wie ich meine, keine angstvolle. Mir scheint es, als richten die Moskauer Katholiken den Blick nach Vorne - im Gebet zu Gott. Der Generalobere der Jesuiten aus Deutschland sprach von einem schweren Schlag für den Orden, vor allem in Russland - wies aber darauf hin, den Glauben mit dem Tod der Patres zu festigen.
Überrascht bin ich allerdings von der Nachrichtenversorgung hier in Russland und Moskau. Elena hat in den Zeitungen nach einem Artikel über den Tod der beiden Jesuitenpatres gesucht, aber nichts gefunden - lediglich im Internet muss ein ganz kleiner Artikel gestanden haben. Auch im Wohnheim und in der Universität hatte keine eine Ahnung davon, nicht einmal ein Priester des Dekanats, bei dem ich mich heute für das Fehlen in der Vorlesung entschuldigt habe. Nachdem ich das aber erzählt habe, hat sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. So war dieser Tag also von den Eindrücken dieser Trauerfeier geprägt. Es bleibt zu hoffen, dass der Fall durch die Miliz aufgeklärt wird und dass der oder die Täter gefunden werden können, aber auch, dass keine weiteren Priester, egal welcher Kirche, zu Schaden kommen.
Als ich am Montag auf dem Bahnhof stand, hat mir ein Kommilitone erzählt, dass der Winter näher komme. Er wusste, dass in einer Stadt unweit von Jaroslawl, ungefähr 200km von Moskau entfernt, der erste Schnee gefallen sei. Und tatsächlich, es ist in den letzten Tagen merklich kälter geworden und der Wind kaum aus dieser Richtung. Als ich heute mit einem anderen Kommilitonen von der Elektritschka-Station nach Hause gegangen bin und es ganz leicht anfing zu regnen, überlegte er, ob das wohl Schnee sei. Das war es aber noch nicht. Der Winter scheint also im Anmarsch zu sein.
Donnerstag, 06. November 2008
Manchmal frage ich mich morgens, was der nächste Tag wohl bringen mag, was erwähnenswert für das Tagebuch wäre. An diesem Tag in der Metro, nachdem ich mich von meinen Kommilitonen verabschiedet habe und sich unsere Wege getrennt haben. Ihre Wege führten zur Universität und mein Weg quasi ins Internet. Ich weiß ja, vor allem hier in Russland, nie, was der Tag so bringen mag und ob er irgendwo etwas Besonderes werden kann. Von meinem ehemaligen Mitbewohner aus Münster kam heute eine Mail, dass er sich wunderte, dass ich hier in diesem Tagebuch so akribisch genau schreibe. Einerseits hatte bislang jeder Tag eine kleine Besonderheit und andererseits lasse ich manchmal etwas aus - das, was ich gerne für mich behalten möchte, mich aber dennoch den ganzen Tag beschäftigt hat, wo ich drüber nachgedacht habe. Davon will ich auch heute nicht schreiben, obwohl es meine Gedanken davon ausgefüllt waren. Allen Dingen war es heute ein Tag der großen Freude und Dankbarkeit! Nachdem ich nämlich im Internet war und zur Uni lief, fiel in ganz feinen und kaum sichtbaren Kristallen der erste Schnee auf Moskau hinab. Da ist er endlich! Es war zwar nichts davon zu sehen, aber für ein paar Sekunden konnte man die kleinen Kristalle auf der Jacke schmelzen sehen!
Und in der Vorlesung "Vergleichende Theologie" habe ich heute so viel verstanden, dass ich sogar mitdiskutieren konnte. Ich will da nicht zu stolz drauf sein, weil ich ja genau weiß, dass morgen die nächste Vorlesung auf mich wartet, in der vielleicht schon alles wieder ganz anders ist. Irgendjemand sagte zu mir, dass das alles ein ganz langer Lernprozess ist, der meistens nur kleine Schritte macht und selten nur große, die sich dann im nächsten Moment wieder wie ein Rückschritt anfühlen. Ich habe mich anschließend noch kurz mit Vater Valentin unterhalten und zum Ende des Gespräches ihn fast wie automatisch um den Segen gebeten. Das ist hier an der orthodoxen Fakultät übrigens üblich, dass man einen Priester um den Segen bittet, dass gehört hier zum Universitätsleben mit dazu, falls nun jemand denken sollte, was ich denn nun wieder mache. Das hat er dann sehr bewusst, bedacht und sogar auf Englisch gemacht.
Hatte ich gerade noch geschrieben, dass der Tag durchweg gut war, so könnte ich das nach dem gemeinsamen Abendessen mit Oleg jetzt anders sehen. Es hat sich nämlich wieder irgendjemand an meiner Wurst vergriffen und ein großes Stück davon gegessen. Das ist jetzt schon das dritte Mal. So habe ich vernünftig in der Küche auf deutsch geflucht, wir haben gemeinsam gelacht und die Sache ist gegessen. Ein Teil meiner Wurst leider auch. Nun werde ich mich aus dem Verbot, keine Sachen ins Fenster zu hängen, herauswinden. Die Hausverwaltung hat von "Veschtschi" gesprochen. Veschtschi wird im allgemeinen mit "Sachen" übersetzt. Lebensmittel sind aber hier keine "Sachen", sondern viel mehr "produkti". Und da viele andere Studenten auch ihre Tüte im Fenster hängen haben, werde ich mir das jetzt auch wieder genehmigen! Und die Temperaturen machen so etwas momentan ja möglich! Kleidung und andere Sachen werden aber wohl im Zimmer bleiben müssen, da für sie das Verbot gilt. Es lohnt sich aber nicht, sich darüber zu ärgern, also lasse ich es lieber sein. Und somit bleibt dieser Tag ein glücklicher!
Freitag, 07. November 2008
Die ersten beiden Stunden sind wieder ausgefallen und ich hätte eigentlich etwas länger schlafen können. Hätte ich mich in der ersten Zeit an der Fakultät noch genervt reagiert, nehme ich es jetzt auf die leichte Schulter. So langsam werde ich wirklich ausdauernder und ruhiger. So zeigt der Aufenthalt hier eine neue Seite, die vielleicht positiv ist. Ich habe dann angefangen die Weihnachtspost zu schreiben. Das klingt nun ein bisschen eigenartig, aber sie soll ja auch pünktlich in Deutschland ankommen und ich möchte das dieses Jahr einfach mal stressfrei machen. Ich finde es nur ein bisschen eigenartig, dass ich mich so früh mit Weihnachten beschäftige.
In der Stalowaja habe ich wie üblich meinen Dienst im Saal verrichtet und heute Tische abgewischt. Das war ein recht ruhiger Dienst, zumal der Diensteinteiler mir oft noch Arbeit abgenommen hat. Anders wurde es erst, als die eingeteilte Gruppe früher als geplant schon um 14 Uhr ging. Für mich war es ein Vorteil, denn jetzt konnte ich richtig anfangen zu arbeiten: Zuerst die Essensreste von den Tellern entfernen (was sonst eine Aufgabe ist), dann wurden von einem Kommilitonen die Teller gewaschen und in ein Becken mit Seifenlauge gelegt, die habe ich dort herausgefischt, noch einmal mit einem Schwamm abgewaschen (eine weitere Aufgabe) und dann noch einmal mit klarem Wasser abgespült und in Abtropfregale gelegt (die nächste Aufgabe). Und zwischendurch habe ich meine alte Aufgabe, das Abwischen der Tische, erledigt. So konnte ich dort endlich mal richtig anfangen zu arbeiten. Sonst sind die Dienste immer recht ruhig und erholsam, aber heute ließ sich das mal halbwegs als Arbeit bezeichnen. Um es kurz zu machen - den ganzen Abwaschprozess würde ich mir kurzum auch alleine zutrauen.
In den letzten Wochen hat Vater Alexej, unser Chorleiter, verkündigt, dass wir übernächste Woche ein Konzert in der MGU (Moskauer Humanistischen Fakultät) haben. Auf meine Frage, was ich dorthin anziehen solle, war die Antwort: ein weißes Hemd, schwarzer Anzug und Krawatte. Ich weiß nicht, wie teuer das wird - sollte es mir aber weh tun, dann werde ich darauf verzichten müssen. Schließlich soll in diesem Monat noch ein Taschencomputer her, mit dem ich schneller Wörter in den Vorlesungen nachschlagen kann und gleich Querverbindungen zu anderen Wörtern habe. Das erspart mir die langwierige Suche im Wörterbuch, das ich dann zudem nicht mehr jeden Tag mitschleppen muss. Aber das Konzert ist auch sehr reizvoll für mich.
Nach der Chorstunde gab es heute endlich mal wieder ein Deutschtreffen. Dieses Mal waren Elena, Daniel und Wassilij mit dabei. Letzterer war zum ersten Mal mit dabei, kam aber schon recht gut mit. Ich hatte kein Thema vorbereitet und so haben wir uns einfach nur so unterhalten. Dieses Mal sind da fast zwei Stunden draus geworden, die wie im Fluge vergangen sind. Eigentlich wollte auch Andrej kommen, aber er hat wohl nicht mit der deutschen Pünktlichkeit gerechnet und hat uns in der Fakultät gesucht - wir hatten uns zu 17:15 Uhr verabredet und sind um 17:18 Uhr losgegangen zu der Stelle, an der ich immer ins Internet gehe. Er hat uns zwar versucht anzurufen, aber es hat keiner bemerkt, leider erst kurz vor Schluss. Dieses Mal war ich es allerdings, der häufig ins Russische zurückgefallen ist. Eigentlich habe ich heute nämlich bis auf das Deutschtreffen nur Russisch gesprochen - vor allem in der Stalowaja und dort auch wieder mit der "Garderoben-Babuschka" Nina, mit der ich mich unheimlich gerne unterhalte und die ich langsam anfange zu verstehen. Bei ihr ist es immer schwierig, da sie aufgrund ihrer zwei Zähne eine recht undeutliche Aussprache hat. Aber sie ist einfach die Freundlichkeit in Person - sie strahlt und freut sich immer, wenn man mit ihr spricht. Sie ist so ganz das Gegenteil von ihrer Kollegin, der immer grantigen Feofina.
Und heute Abend wollte ich eigentlich noch eine Melone kaufen gehen, die aber mittlerweile leider kaum erschwinglich sind. So hat es zum Abendessen mit Oleg, Dmitri und Stephan nur Zwiebel-Spaghetti, warmes Brot, Paprika, Wurst, Käse, Pfirsichsaft und einen Wein von Oleg gegeben, der es in sich hatte. Der schmeckte zwar sehr lecker, dürfte aber auch wesentlich mehr Prozente als ein üblicher Wein haben. Zumindest stieg mir der selbstgemachte recht schnell zu Kopf, vielleicht auch, weil ich vorher lange nichts gegessen hatte.
Heute war es wieder kalt in Moskau - es hat den ganzen Tag gefroren. Auf den meisten Pfützen befand sich eine leichte Eisschicht, die im Laufe des Tages langsam immer mehr wurde. Zudem ist es recht windig - ein bisschen so, wie in Ostfriesland bei schönem Wetter und Frost. Nun bleibt abzuwarten, wie sich das Wetter weiter entwickelt und wann endlich soviel Schnee fällt, dass die Welt in ein weißes Kleid getaucht wird.
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