Systemisches Denken
in der Unterstufe der Primarschule
am Beispiel des Klimawandels
Evelyn Jösler & Nicole Knecht
Semesterarbeit im Rahmen des Moduls Kontexte
Januar 2008
Institut für angewandte Medienwissenschaften (IAM), Winterthur
Inhaltsverzeichnis
Abstract 3
1 Einleitung 4
1.1. Ausgangslage 4
1.2. Persönlicher Zugang 4
1.3. Hypothesen 5
1.4. Aufbau der Arbeit 5
1.5. Gewählte Mittel/Methoden 5
2 Begrifflichkeit und Stand der Forschung 6
2.1. Systemdenken 6
2.1.1. Didaktik des Systemdenkens mit Kindern 7
2.1.1.1. Studien in den USA 7
2.1.1.2. Studien in Deutschland 8
2.1.1.3. Studien in der Schweiz 8
2.2. Klimawandel 11
2.2.1. Klimaerwärmung 11
2.2.2. Folgen der Klimaerwärmung 11
2.3. Rahmenbedingungen in der Primarschule 12
2.3.1. Schullandschaft Schweiz 12
2.3.2. Lehrplan 12
2.3.3. Lehrplan Kanton Zürich 12
2.3.3.1. Unterrichtsfach «Mensch und Umwelt» 13
2.3.3.2. Umweltbewusstsein als Grundhaltung 15
2.3.4. Lehrmittel 15
3 Resultate 16
3.1. Aktuelle Lehrmittel für die Unterstufe 16
3.1.1. Weitere didaktische Unterlagen 16
3.1.1.1. WWF 16
3.1.1.2. Stiftung Praktischer Umweltschutz Schweiz Pusch 17
3.1.1.3. Stiftung Umweltbildung Schweiz (SUB) 17
3.2. Praxisbeispiel 17
3.2.1. Buch «Wenn die Gletscher schmelzen» 17
3.2.1.1. Beweggründe der Buchautorinnen 17
3.2.2. Anwendung im Unterricht 18
3.3. Ausblick 19
3.3.1. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) 19
3.3.2. Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) 20
4 Fazit 20
4.1. Zusammenfassung der Resultate 20
4.2. Diskussion 21
4.3. Beantwortung der Hypothesen 21
4.4. Eigene Ideen 22
4.5. Einschätzung der Arbeit 31
5 Literaturverzeichnis 32
6 Anhang 33
Abstract
Die Klimaerwärmung ist eines der größten Probleme unserer Zeit. Auch Kinder werden schon früh mit ihren Folgen konfrontiert und fragen nach dem Warum. Auf Ebene Unterstufe hat der Klimawandel in der Schule bis heute keinen Stellenwert.
In ihrer Arbeit gehen Evelyn Jösler und Nicole Knecht der Frage nach, ob das Thema Klimawandel – stellvertretend für ein dynamisches System – bereits in der Unterstufe der Volksschule relevant ist. Zudem wollen sie herausfinden, ob es mit Hilfe der Didaktik des Systemdenkens durchführbar und für die Kinder im Unterstufenalter nachvollziehbar ist.
Die präsentierten Resultate stammen aus einer quantitativen Forschung bei sieben Lehrmittelverlagen in verschiedenen Kantonen, einer selektiven Recherche zu den Angeboten von Non-Profit-Organisationen sowie einer qualitativen Tiefenrecherche bei einer Erstklasslehrerin in Eglisau/ZH. Ergänzt werden die Ergebnisse durch Interviews mit Olivier Maradan, der im Rahmen der EDK (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren) für das Projekt HarmoS verantwortlich zeichnet, sowie verschiedenen Bildungspolitikern des Nationalrates.
Die beiden Autorinnen kommen zum Schluss, dass das Thema Klimawandel schon in der Unterstufe relevant ist. Mit Hilfe der Didaktik des Systemdenkens ist es bereits auf dieser Stufe durchführbar und für die Kinder auch nachvollziehbar.
Der Klimawandel passt am besten ins Unterrichtsfach «Mensch und Umwelt». Weil der Lehrplan den Lehrkräften im Kanton Zürich und auch in anderen Kantonen sowohl thematisch als auch zeitlich großen Freiraum lässt, liegt es aber allein im Ermessen der Lehrperson, ob sie die Thematik aufgreifen will oder nicht. Auf Lehrmittel-Ebene gibt es auf Niveau Unterstufe nur ein Lehrmittel zum Klimawandel. Es heißt «Wetterchaos Klimawandel – Was Kinder wissen müssen und tun können» und richtet sich an Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klasse. Non-Profit-Organisationen bieten zwar didaktische Unterlagen zum Klimawandel an, die Inanspruchnahme dieser Angebote beruht aber auf Freiwilligkeit.
Unter dem Titel HarmoS ist auf der Ebene EDK ein Projekt im Gang, das die Harmonisierung der obligatorischen Schule anstrebt. Darin sollen so genannte Bildungsstandards definiert werden, welche die Schülerinnen und Schüler erreichen sollen. Ob der Klimawandel als verbindlicher Bildungsstandard im Projekt HarmoS aufgenommen wird, steht erst Ende 2009 fest.
Die Umfrage bei Bildungspolitikern zeigt, dass der Klimawandel je nach Parteibuch unterschiedlich dringend bewertet wird.
Weil die Schweiz in Bezug auf eine Didaktik des systemischen Denkens und des systembezogenen Handelns für die Unterstufe anderen Ländern hinterher hinkt, haben die beiden Autorinnen im Rahmen ihrer Arbeit zum Thema Klimawandel eigene didaktische Hilfsmittel entwickelt.
1 Einleitung
1.1. Ausgangslage
Unsere Kinder wachsen in einer Welt auf, die sich schnell verändert und immer vernetzter wird. Für viele Phänomene gibt es keine einfachen Erklärungen. Eltern und Lehrpersonen werden schon früh mit Kinderfragen konfrontiert, für die es keine einfachen Antworten gibt. Zusammenhänge müssen aufgezeigt, Abhängigkeiten sichtbar und zeitliche Veränderungen veranschaulicht werden. Systemisches Denken ist ein Gebot unserer Zeit.
Ein besonders aktuelles Thema für ein komplexes, dynamisches System ist der Klimawandel. Noch nie wurde so viel und so eindringlich über die Erwärmung der Erde diskutiert wie in jüngster Zeit. Glaubt man den Prophezeiungen einer Mehrheit der Fachleute, so ist die Welt in einem rasanten Umbruch begriffen. Das hat Folgen für alle Pflanzen, Tiere und Menschen auf dieser Erde. Auch unsere Kinder müssen so früh wie möglich mit den Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels vertraut gemacht werden. Nur so wird ihnen die Dringlichkeit des Problems bewusst und nur so haben sie eine Chance, aktiv an der Zukunftsgestaltung teilzunehmen.
Voraussetzung für das Verständnis eines so komplexen Systems wie das des Klimawandels ist die Fähigkeit des systemischen Denkens. Indem das Zusammenspiel der einzelnen Teile und die Erscheinungen in einem Ganzen betrachtet werden, können Zusammenhänge aufgezeigt und Abhängigkeiten und Verknüpfungen sichtbar gemacht werden.
Heute wird Systemdenken in den Schweizer Schulen allerdings erst auf Stufe Sekundarschule oder noch später gelehrt. Eine eigentliche Didaktik des systemischen Denkens und des systembezogenen Handelns für die Primarschule fehlt (vgl. Frischknecht-Tobler, Nagel, Wilhelm Hamiti 2007: 3).
1.2. Persönlicher Zugang zum Thema
Im Rahmen der Arbeit haben wir uns bewusst für die Unterstufenkinder (7 bis 9 Jahre) entschieden, weil wir zu dieser Altersgruppe am meisten Bezug haben.
Bis zu Beginn des Studiums am IAM hat Evelyn Jösler acht Jahre als Primarlehrerin im Kanton Thurgau gearbeitet. In dieser Zeit hat sie hauptsächlich Erst- bis Drittklässler unterrichtet. Deshalb ist ihr diese Altersgruppe vertraut. Aufgrund ihrer Erfahrung ist sie in Lage, die kognitiven Möglichkeiten und Grenzen von Schülerinnen und Schülern dieser Altersgruppe einzuschätzen.
Nicole Knecht ist Mutter eines 7-jährigen Jungen und eines 5-jährigen Mädchens. Durch ihre Kinder kennt sie die Problematik schwieriger Kinderfragen. Sie weiß um die Schwierigkeit, einem kleinen Kind zu erklären, warum den Eisbären in der Antarktis plötzlich das Eis unter den Füssen weg schmilzt. Deshalb wünscht sie sich Unterstützung von der Volksschule und hofft, dass ihre Kinder bereits in der Unterstufe für systemische Zusammenhänge dieser Art sensibilisiert werden.
1.3. Hypothesen
Aufgrund der Aktualität und Komplexität des Themas vertreten wir die Überzeugung, dass der Klimawandel und seine Auswirkungen bereits in der Primarschule fester Bestandteil des Lehrplans sein sollte. Wir stellen deshalb folgende Hypothesen auf:
Das Thema Klimawandel ist schon in der Unterstufe relevant.
Das Thema Klimawandel ist mit Hilfe der Didaktik des Systemdenkens
in der Unterstufe durchführbar.
Das Thema Klimawandel ist mit Hilfe der Didaktik des Systemdenkens für die Unterstufenkinder nachvollziehbar.
Hauptziel unserer Arbeit ist die Überprüfung der Hypothesen. Mit der Entwicklung eigener Vorschläge wird ein Beitrag zur Didaktik des systemischen Denkens anhand des Klimawandels geleistet.
1.4. Aufbau der Arbeit
Ausgehend von den Thesen ging es zunächst um die Klärung von Begrifflichkeiten. Was ist ein System? Was bedeutet Systemdenken? Wie steht es um die Didaktik des Systemdenkens? Was versteht man genau unter Klimaerwärmung? Welches sind ihre Folgen?
Dann folgt eine Auseinandersetzung mit den herrschenden Rahmenbedingungen im schweizerischen Schulsystem. Wie ist die Schullandschaft Schweiz organisiert? Wer legt die Lehrpläne fest? Was beinhaltet das Fach «Mensch & Umwelt»?
Anhand des Klimawandels wurde nach geeigneten Lehrmitteln für 7- bis 9-jährige Schüler gesucht. Freiwillige Angebote von Non-Profit-Organisationen (NGO’s) für die Schule wurden unter die Lupe genommen.
In Eglisau/ZH konnte eine Unterstufenlehrerin gefunden werden, die das Thema «Klimawandel» mit ihrer 1. Klasse anhand eines Bilderbuches behandelt hat.
Ein Blick in die Zukunft zeigt, welche Bedeutung dem Klimawandel im Rahmen der Harmonisierung der obligatorischen Schule (Projekt HarmoS) in der Deutschschweiz zukommt.
Unter Einbezug des neu erworbenen Wissens wurde versucht, eigene Vorschläge für die Vermittlung des Klimawandels in der Unterstufe zu entwickeln.
1.5. Gewählte Mittel/Methoden
Für die Überprüfung unserer Hypothesen haben wir verschiedene Mittel und Methoden angewendet:
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Konsultierung des Schlussberichts des Aktionsforschungsprojektes der Pädagogischen Hochschulen Zürich und Rorschach von Ursula Frischknecht-Tobler, Ueli Nagel und Sandra Wilhelm Hamiti unter dem Titel «Wie Kinder komplexe Systeme verstehen lernen – Beiträge zur Didaktik des systemischen Denkens und des systembezogenen Handelns in der Volksschule».
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Detaillierte Einlesung ins Themengebiet Klimawandel via Internet.
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Absteckung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Schullandschaft Schweiz via Internet. Auf Lehrplan-Ebene Fokussierung auf den Kanton Zürich, weil es unmöglich war, alle Kantone in der Schweiz abzudecken.
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Quantitative Forschung bei sieben Lehrmittelverlagen in verschiedenen Kantonen via E-Mail, um herauszufinden, was für Lehrmittel es zum Klimawandel für die Unterstufe der Primarschule gibt.
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Selektive Recherche zu den Angeboten von Non-Profit-Organisationen im Internet.
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Qualitative Tiefenrecherche in Eglisau/ZH, wo eine Lehrerin das Thema Klimawandel anhand eines Bilderbuches mit ihrer ersten Klasse behandelt hat.
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Interview mit Olivier Maradan, Projektleiter von HarmoS via E-Mail.
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Interview mit den Nationalräten Pascale Bruderer (SP), Kathy Riklin (CVP) und Theophil Pfister (SVP), Mitglieder der Kommission für Wirtschaft, Bildung und Kultur WBK, via E-Mail.
2. Begrifflichkeit und Stand der Forschung
2.1. Systemdenken
Ein System ist ein «dynamisches Ganzes, mit bestimmten Eigenschaften und Verhaltensweisen. Es besteht aus Teilen, die miteinander verknüpft sind, kein Teil ist unabhängig vom anderen. Das Verhalten des Ganzen wird beeinflusst vom Zusammenwirken aller Teile» (Gomez, Probst 1997: 30, zit. nach Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 5). Ein System ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Beim zerlegten System zeigt sich das «mehr» nicht mehr, erst ein funktionierendes System hat einen Mehrwert (Lazlo 2003, zit. nach Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 5).
Die Selbstregulation oder Selbsterhaltung sind Fähigkeiten eines Systems. Die Welt ist voller kleiner und großer Systeme. Von den molekularen Bausteinen, über Zellen, Organe, Lebewesen, bis zu technischen, sozialen oder ökonomischen Systemen (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 5).
Ein System besteht aus den vernetzten Teilen und einer Grenze – und somit einer Identität. Wo die Grenze des Systems ist, bestimmt der Beobachter durch sein Interesse oder seine Fragestellung. Die Perspektive und der Standpunkt spielt eine entscheidende Rolle. Ein System ist nicht unabhängig von seiner Umwelt – das System beeinflusst die Umwelt und umgekehrt. (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Hamiti 2007: 6).
«‚System dynamics‘ combines the theory, methods, and philosophy needed to analyze the behavior of systems in not only management, but also in environmental change, politics, economic behavior, medicine, engineering, and other fields. The professional field known as system dynamics has been developing for the last 35 years and now has a world-wide and growing membership. System dynamics provides a common foundation that can be applied wherever we want to understand and influence how things change through time.» (Jay Forrester 1991, www.sysdyn.ch, 18.12.2007)
Jay Forrester entwickelte die Systemdynamik (system dynamics) um 1960 am «Mas-sachussetts Institute of Technology» als Methode zur Beschreibung, Modellierung und zur Simulation dynamischer Systeme. Er unterscheidet Bestandes- und Flussgrößen in Systemmodellen und stellt Systeme in speziellen Flussdiagrammen dar. Weiter stellt er eine Simulationssprache zur numerischen Simulation solcher dynamischer Systeme am Computer bereit (www.sysdyn.ch, 18.12.07).
Ossimitz (Univ. Prof. an der Universität Klagenfurt) beobachtete die Entwicklung systemischer Denk- und Darstellungskompetenzen bei Schülerinnen und Schülern und unterteilt systemisches Denken in vier Dimensionen: Denken in Modellen, Denken in vernetzten Strukturen, Denken in dynamischen Zeitgestalten und die Fähigkeit zur praktischen Steuerung von Systemmodellen (http://wwwu.uni-klu.ac.at/gossimit/sysdenk.php, 19.12.07).
«Dynamisches Denken ermöglicht, (komplexe) Wirklichkeitsbereiche als Systeme zu rekonstruieren, zu beschreiben, zu modellieren und auf der Basis der Modellierung Erklärungen zu geben, Prognosen zu treffen und Handlungsmöglichkeiten zu entwerfen und zu beurteilen». (Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 13). Diese Definition über die Dynamik von Systemen enthält auch wichtige Komponenten, die im pädagogischen Bereich eine Rolle spielen. Sie beschreibt einen schrittweisen Aufbau vom Rekonstruieren von Wirklichkeitsbereichen bis hin zu systemgerechten Handeln.
2.1.1. Didaktik des Systemdenkens mit Kindern
Ein Fach «Systemdenken» in der Primarschule existiert im Kanton Zürich (und in den anderen Kantonen) nicht. Eine Didaktik des systemischen Denkens (und Handelns) ist für die Primarschule in der Schweiz noch nicht entwickelt worden.
Verschiedene Gründe würden aber ein solches Fach legitimieren. Denn eine dynamische Denkweise wird in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft und in der Bildung für nachhaltige Entwicklung immer mehr gefordert. Das Verständnis von komplexen Problemen und systemgerechtes Handeln setzt eine flexible, kreative Denkweise voraus, die bestehende Zusammenhänge und Vernetzungen erfasst.
«Systemdenken kann Kinder und Jugendliche dazu zu befähigen, sich mit gedanklichen Strategien in Entscheidungssituationen besser zu Recht zu finden und durch klarere Sichtweisen, Kommunikationsmuster und Handlungsweisen die Zukunft besser vorzubereiten und mitzugestalten. Es geht also um eine ganzheitliche Denkweise, komplexe Probleme effektiver anzugehen. Systemdenken ist eine Art, die Natur und die Welt zu sehen, sich auf das Zusammenspiel der Teile und Erscheinungen in einem Ganzen konzentriert.» (Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 4)
-
Studien in den USA
In den USA wurden Unterrichtsmaterialien vom Kindergarten bis zur Highschool über «Systems Thinking» entwickelt. Forschungsresultate aus der «Water Foundation» (bietet ein Systemtraining für Lehrkräfte an), dem «Creative Learning Exchange» (Bereitstellung verschiedener Unterrichtsmaterialien) und einem Team um Senge (Systemdenken auf Ebene der Schulorganisation) zeigen folgende Resultate:
Mit eingesetzten Werkzeugen des Systemdenkens (zum Beispiel Vernetzungskreis, Verlaufsgrafik, Wirkungsdiagramm) können Schülerinnen und Schüler ihr Verständnis von
komplexen Systemzusammenhängen besser beschreiben und untereinander austauschen.
Wenn Schülerinnen und Schüler ein Verständnis von Systemstrukturen haben, finden sie Ähnlichkeiten in ganz unterschiedlichen Systemen (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 10).
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Studien in Deutschland
Eine Studie in Kiel (2005) kam zum Schluss, dass Kinder in der Lage sind, Systemkonzepte zu verstehen und Situationen modellhaft darzustellen. Entscheidend für den Erfolg waren das Vorwissen und das Interesse der Schülerinnen und Schüler, nicht aber die Intelligenz (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 9-10).
Nach Ossimitz (Univ. Prof. an der Universität Klagenfurt D) sind die wichtigsten Variablen für den Erfolg im systemischen Denken bei Kindern eine Lehrperson mit Interesse und Engagement für das Systemdenken und die Länge des Unterrichtsvorhabens. Weitere Faktoren für das erfolgreiche Erlernen von Systemdenken ist fächerübergreifender Unterricht, das Üben von systemgerechten Darstellungen und die zur Verfügung stehenden didaktischen Materialien (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 9).
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Studien in der Schweiz
Im März 2007 haben die Pädagogische Hochschule Zürich und die Pädagogische Hochschule Rorschach den Schlussbericht des Projektes «Wie Kinder komplexe Systeme verstehen lernen» von Ursula Frischknecht-Tobler, Ueli Nagel und Sandra Wilhelm Hamiti publiziert. Das Forschungsprojekt dauerte 16 Monate und wurde in Zusammenarbeit mit freiwilligen Lehrkräften mit Volksschulklassen in den Kantonen Zürich und St. Gallen durchgeführt.
Das Projektteam stellte sich unter anderem die Frage, mit welchen Themen und Umsetzungsmodellen Systemdenken in Schulen angegangen und gefördert wird. Im Rahmen des Forschungsprojektes erprobten Lehrpersonen mit Versuchsklassen, welche Unterrichtsmaterialien, Werkzeuge und Methoden (erprobte und neu entwickelte) sich zur Förderung des Systemdenkens eignen (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 15).
Die Projektleitung wählte ein qualitatives Forschungsvorgehen und führte mit Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern Interviews durch. Dies mit der Frage, ob es sinnvoll ist, schon bei Primarschulkindern das systemische Denken zu fördern und ob sie fähig sind, das Gelernte auf neue Sachverhalte bzw. Systeme zu übertragen.
Aus Sicht der Lehrer ist Systemdenken lehr- und lernbar. Systemdenken kann schon in der Volksschule wirksam vermittelt werden kann. Auch kleine Kinder sind gemäß den Aussagen mehrerer Lehrkräfte fähig, systemische Zusammenhänge zu verstehen; dies scheint weder alters- noch intelligenzabhängig zu sein. Vielmehr sind die sprachliche Ausdrucksfähigkeit und das Kennen von wichtigen Begriffen eine wichtige Voraussetzung. Kreativen, aufgeweckten und emotional sensiblen Kindern scheint Systemdenken leichter zu fallen. Die Lehrpersonen haben beobachtet, dass sich die Kinder gern mit dem Thema beschäftigt haben und die Motivation der Schülerinnen und Schüler groß war (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 35).
Die Projektleitung ergänzte noch einen zusätzlichen Faktor für das erfolgreiche Vermitteln: Ausgangspunkt für einen erfolgreichen Unterricht über Systemdenken mit Schülern ist das eigene Verständnis für Systemdenken der Lehrkräfte (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 3).
Das Ziel des Projekts der Unterstufe war ein intensives Systemtraining mit den Schülerinnen und Schülern. Die Unterstufenkinder lernten anhand verschiedener Themen Grundbegriffe der basalen Systemkonzepte und –begriffe (stufenangepasst) kennen. Die Lehrpersonen wählten dazu vor allem Themen aus dem Bereich «Mensch & Umwelt» (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 38). Auch Bilderbücher scheinen vor allem in der Unterstufe sehr geeignet zu sein, um Brücken zum Systemdenken zu bilden (vgl. Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 40).
Beispiele aus der Praxis
Der Zugang der Kinder zum Systemischen Denken konnte in den Versuchsklassen wie folgt gefunden werden (Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 44):
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beobachtend/beschreibend (zum Beispiel Skizzen, Vernetzungskreise)
-
aktiv teilnehmend (zum Beispiel Rollenspiel, Aktivitätsspiel)
Im Folgenden wird je ein konkretes Unterrichtsbeispiel aus beiden Bereichen dargestellt (Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 63-65).
Beobachtend/beschreibend: Vernetzungskreis
Vernetzungskreise sind Denkwerkzeuge um zu verstehen, wie ein System funktioniert. Dabei gibt es für ein System nicht nur eine einzige Erklärung. Durch Vernetzungskreise werden Ideen generiert und verschiedenste Verbindungen sichtbar gemacht. Die Komplexität des Systems wird dadurch vereinfacht, dass die Verbindungen durchschaubar gemacht werden. Es ist besser ersichtlich, was sich verändert und wo Verbindungen oder Rückkoppelung herrschen zwischen den Elementen. Ein Element ohne Pfeile bedeutet, dass es nicht verändert wird. Demzufolge fehlt eventuell ein anderes Element.
Beispiel eines Vernetzungskreises:
Aktiv teilnehmend: Aktivitätsspiel
Komplexe Themen scheinen anfangs abstrakt, aber sie bekommen für die Kinder eine Alltagsrelevanz, wenn der handelnde Schüler oder die handelnde Schülerin im jeweiligen System den Ausgangspunkt der Themenschließung bildet (Frischknecht-Tobler/Nagel/Wilhelm Hamiti 2007: 50). Wesentlich ist es, immer die Rolle des Menschen als Teil des Systems zu betrachten. Dies wird nicht nur das Beschreiben von Vernetzungen erreicht, sondern auch durch aktives Teilnehmen.
Beispiel eines Aktivitätsspiels:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verteilen sich im Raum und wählen sich je zwei andere Teilnehmer aus. Alle beginnen sich frei im Raum zu bewegen mit der Bedingung, immer den gleichen Abstand zu den beiden ausgewählten anderen Teilnehmern einzuhalten.
Anschließend wird das Erlebte mit den Schlüsseleigenschaften eines sich von selbst regulierenden Systems verglichen.
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Ein System besteht aus vernetzten Einzelteilen und ist dynamisch.
Vergleich mit dem Spiel: Zwischen allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern bestand eine gegenseitige Abhängigkeit und eine ständige Aktivität beim Suchen und Erhalten des Gleichgewichts.
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Ein System ist selbst regulierend, da die Elemente in ständiger Wechselwirkung miteinander stehen.
Vergleich mit dem Spiel: Den ganzen Prozess von einer Person aussen dirigieren zu lassen, resp. alle Bewegungen von aussen zu steuern, damit ein Gleichgewicht entsteht, wäre unmöglich. Die vielen Wechselwirkungen können nicht alle überblickt werden.
Vergleich mit dem Spiel: Die visuelle Wahrnehmung steuerte das Verhalten aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Mit geschlossenen Augen hätten sie es nicht geschafft.
Zwei Teilnehmer mischen sich ins Aktivitätsspiel. Sie stören nicht. Das Erlebte wird mit einem sich selbst regulierenden System verglichen:
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Ein Mensch spaziert durch ein Ökosystem (zum Beispiel einen Wald oder ein Moor), ohne das System zu zerstören.
Die zwei neu dazugekommenen Teilnehmer rempeln nun andere Teilnehmer an, stören sie und halten sie an. Die Frage zur Schlüsseleigenschaft eines Systems wird gestellt:
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Was ändert sich in diesem Fall? Was könnten die Folgen sein?
Ziel eines Aktivitätsspieles ist zu erfahren, dass im Leben weniger die einzelnen separaten Lebewesen als vielmehr die Wechselwirkungen zwischen ihnen zählen und dass sich ein System kontinuierlich selber organisiert.
Lernzielkontrollen
Mit den Versuchsklassen wurden Lernzielkontrollen durchgeführt. Die Schülerinnen und Schüler mussten beispielsweise zu einem neuen Thema ein Mindmap mit Begriffen und Vernetzungspfeilen erstellen oder auf einem Bild Vernetzungspfeile einzeichnen (zum Beispiel
in einem Wald-Bild den Zusammenhang zwischen abgebildeten Tieren und Pflanzen durch Pfeile markieren).
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