Wandel der abendländischen Schönheitsvorstellungen [Bearbeiten] Frühgeschichte [Bearbeiten]
Häufig wird die sogenannte Venus von Willendorf als Beleg herangezogen, dass Fettleibigkeit in der europäischen Frühgeschichte zum Schönheitsideal gehörte. Bei der altsteinzeitlichen Frauenfigur dürfte es sich jedoch eher nicht um ein Schönheits- sondern um ein Fruchtbarkeitsidol handeln[5].
Antike [Bearbeiten]
In der griechischen Klassik sollte der ideale Körper weder zu dick noch zu dünn sein. Ein fetter Bauch galt als Zeichen der Verweichlichung. Wie an klassischen Statuen wie der Venus von Milo ersichtlich, hatten ideale Frauenfiguren eher kleine, aber feste Brüste, dazu ein für heutige Begriffe kräftiges Becken. Die männliche Traumfigur war die des jugendlichen Athleten. Ausweislich ihrer Statuen und Fresken hatte das Schönheitsideal der römischen Antike starke Ähnlichkeit mit dem seiner griechischen Vorläuferin. Fettleibigkeit hatte jedoch keinen negativen Beiklang, sondern galt im Gegenteil als begehrtes Wohlstandszeichen.
Mittelalter [Bearbeiten] Attr. 084
Die ideale weibliche Schönheit des Mittelalters war mädchenhaft schlank, und besaß kleine, feste Brüstchen und schmale Hüften. Sie hatte hellblonde Locken, blaue, strahlende Augen, eine weiße Haut, rosa Wangen und einen eher kleinen, roten Mund. Im 15. Jahrhundert wurde die Mode der „hohen Stirn“ gepflegt, indem die Haare am Haaransatz ausgerupft wurden.
Mode der "hohen Stirn" im 15. Jahrhundert
Portrait eines jungen Mädchens von Petrus Christus (um 1470)
Blondgelocktes, langes Haar war auch das wichtigste Attribut des schönen Mannes, genauso wie weiße Haut - als Zeichen der edlen, also müßigen Lebensart. Die ideale männliche Figur war die des muskulösen Helden mit breitem Oberkörper und schmalen Hüften.
Renaissance, Barock und Rokoko [Bearbeiten] Attr. 085
Die ideale Frauenfigur der Renaissance ist wohlbeleibt, verfügt über starke Hüften und einen üppigen Busen. Auch im Gesicht werden Zeichen der Wohlgenährtheit wie etwa ein leichtes Doppelkinn geschätzt, ansonsten ist wie im Mittelalter blond die Farbe der Schönheit – allerdings nicht unbedingt hellblond, sondern eher golden. Um dem Ideal zu genügen, greift die Frau von Stand zu allen möglichen Tinkturen, setzt ihr Haar tagelang der Sonne aus oder flicht sich weiße und gelbe Seide ins Haar. Die Haut soll schneeweiß sein, die Wangen leicht gerötet, der Mund weder zu klein noch zu groß, Hauptsache purpurrot. Die Augen hat man am liebsten dunkelbraun.
Auch im Barock stehen üppige Formen hoch im Kurs. So stelle der Barockmaler Peter Paul Rubens in seinen Bildern entsprechend des damaligen Schönheitsideals insbesondere Frauen mit üppigen Rundungen dar. Auf ihn geht die Bezeichnung "Rubensfrau" zurück.
Ab Mitte des 17. Jahrhunderts wird die Leibesfülle in Korsetts gezwungen, für fast drei Jahrhunderte – mit der Ausnahme eines einzigen Jahrzehnts zu Beginn des 19. Jahrhunderts (sog. Directoire-Mode) - wird die so erzielte Sanduhrform zum Zeichen für Weiblichkeit. Im Ausmaß ihres Schönheitsaufwandes unterscheiden sich Männer und Frauen wenig, beide lassen ihr Gesicht unter einer dicken Schicht weißer Tünche verschwinden und tragen stark gepuderte und parfümierte Perücken zur Schau.
Im 19. Jahrhundert, nach der französischen Revolution, wurde die Kleidung für eine Weile bequemer und praktischer - bald aber mussten Frauen sich wieder in enge Korsetts und aufwendige Kleider zwängen. Für Frisuren und Make-up wurde noch immer viel Zeit verwendet, allerdings nur bei Frauen. Inzwischen galt es als unmännlich, sich herauszuputzen. Männer trugen keine Schminke mehr, keine Perücken und hatten vorwiegend kurzes Haar. Zunehmend galt dann auch bei Frauen starkes Make-up als unmoralisch.
Bürgerliches Zeitalter [Bearbeiten] Attr. 086
Während in den Kreisen der Romantiker ein Kult der Zerbrechlichkeit und Blässe getrieben wird und die Frauen bereits Diäten mit Essig und Zitrone betreiben, schätzt das viktorianische Bürgertum Körperfülle als Ausweis von Wohlstand und Respektabilität. Von nun an gelten Frauen als das „schöne Geschlecht“, der Mann dagegen geht seit dem Aufkommen des Anzugs grau in grau. „Schöne“, modebewusste Männer gelten als verweichlicht und effeminiert. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzt mit dem Siegeszug der puritanischen Leistungsethik ein grundlegender Wandel in der Wahrnehmung des Körpers ein: Fett wird mit Trägheit in Verbindung gebracht. Schlankheit dagegen steht nun für Erfolg und Leistungswillen.
20. Jahrhundert [Bearbeiten] Attr. 087
Zur Jahrhundertwende kam das Korsett langsam außer Gebrauch. Mit der Jugendbewegung breitete sich das Ideal des schlanken, jugendlichen, durch Sport geformten Körpers aus, das das gesamte Jahrhundert bestimmen sollte. In den „Roaring Twenties“ gesellte sich zum Ideal der gesunden „Natürlichkeit“ der großstädtisch-dekadente Gegentyp der „Garçonne“ hinzu, deren Kennzeichen der durch einen Leibgürtel flachgedrückte Busen, ein blasser Teint, kurzgeschnittene Haare, schwarz umrandete Augen und ein roter Schmollmund waren.
Die Nationalsozialisten setzten dieser in ihren Augen "entarteten" Schönheitsströmung ein jähes Ende. Schlanksein war jedoch weiterhin ein absolutes Muss, wenn jetzt auch wieder etwas mehr Fraulichkeit sein durfte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine kurze, für das 20. Jahrhundert einmalige Renaissance der üppigen weiblichen Formen ein, verkörpert in Filmstars wie Marilyn Monroe und Brigitte Bardot. In den 60ern schlug das Pendel wieder zurück - mit der Jugendbewegung der 68er griff ein nie dagewesener Schlankheitskult um sich, dessen Ikone das britische Lolita-Model Twiggy wurde.
In den 1980er Jahren erfasste die Bodybuilding-Welle Mann und Frau gleichermaßen.
Bis heute gehört ein durchtrainierter Körper zu den als unerlässlich erachteten Attraktivitätskriterien. In den 1990er Jahren wurde der „Waschbrettbauch“ von den neu entstandenen Männerzeitschriften mit Erfolg als Synonym für männlichen Sexappeal propagiert. Dem idealen weiblichen Körper wird heute neben sportlicher Schlankheit durchaus auch eine „weibliche“ Komponente abverlangt, die sich allerdings mehr auf die Brüste als die Hüften bezieht. Attr. 088
17.04.2004 - Psychologie
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