Präteritum
Indikativ Konjunktiv
Ahd. salbōta salbōti
salbōtōs(t) salbōtīs(t)
salbōta salbōti
salbōtum salbōtīm
salbōtut salbōtīt
salbōtun salbōtīn
Mhd. Nhd.
(die Formen des Ind. und Konj. Prät.)
salb(e)te salbte
salbet(e)st salbtest
salb(e)te salbte
salb(e)ten salbten
salb(e)tet salbtet
salb(e)ten salbten
Die oben beschriebenen Verhältnisse führen im Mhd. zur allmähligen Differenzierung der Konjunktive, wobei die ursprüngliche Funktion beider Konjunktive jetzt verändert wird. Der Konjunktiv Plusquamperfekt dient zum Ausdruck der irrealen Handlungen in der Vergangenheit, der Konjunktiv Präteritum der irrealen Handlungen in der Gegenwart und Zukunft.
Der Konjunktiv Präteritum verliert so seinen ursprünglichen Zeitcharakter, seine ursprüngliche Vergangenheitsbedeutung. Jetzt bezieht er sich genauso wie der Konjunktiv Präsens auf das gegenwärtige Geschehen, z. B: Du könntest schreiben. (eig: Du kannst schreiben). Es kommt also zum Schwund der Tempus - Opposition beider Konjunktive, was auch ins Nhd. eingeht. Der Unterschied bleibt nur auf die Ebene der Modalität beschränkt.
Wie schon oben erwähnt wurde, tritt im Mhd. die Entwicklung der relativen Verwendung der Tempora ein, womit auch der relative Gebrauch der Konjunktive in der indirekten Rede zusammenhängt, vgl. noch unten. Die gegenwärtige Form stabilisiert sich jedoch erst im 17./18. Jhd.
Wells macht noch darauf aufmerksam, dass die Verwendung des Konj. Präs. und Prät. im Mhd. in den abhängigen Sätzen je nach der temporalen Umgebung komplementär verteilt ist. Der Konj. Präs. kommt in dem Satz vor, der von einem Hauptsatz mit dem Ind. Präs. oder Konj. Präs. abhängig ist. Der Konj. Prät. ist dagegen in den Sätzen zu finden, deren Hauptsatz den Ind. Prät. oder den Konj. Prät. aufweist. Wells führt einen konkreten Beispiel aus dem Nibelungenlied an: „do sprâchen, die das sâhen, er wære ein kreftic man…” Dieser Satz kann im Nhd. nur mittels des Konj. I ausgedrückt werden: Diejenigen, die das sahen, sagten, er sei ein kräftiger Mann. Wenn man anstatt sei Konj. Prät. wäre verwenden würde, würde diese Konstruktion eine andere Bedeutung gewinnen, u. z. dass der Held in Wirklichkeit nicht so stark war, wie die Menschen behaupteten.
Im Zusammenhang mit dem Konjunktiv erwähnt Wells noch die „Spezialisierung” der einzelnen Dialekte auf einen bestimmten Typ der Konjunktive, z. B. wird der Konj. Präs. von alemanischen, bayrischen und österreichischen Dialekten bevorzugt. Dagegen wird der Konj. Prät. v. a. in niederdeutschen und fränkischen Dialekten gebraucht.
5.4.4. Die Entwicklung der Modi vom Frühneuhochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen
Es kommt zur Fortsetzung und Stabilisierung der bereits im Mhd. eintretenden Prozesse. Auf Grund der mhd. Entwicklung kommt es im Nhd. zu einer neuen Differenzierung beider Konjunktive. Die Bezeichnungen Konj. Präs. und Konj. Prät. werden durch Konjunktiv I und Konjunktiv II ersetzt. (Beide Konjunktive haben den Zeitcharakter bereits verloren, sodass die alte Bezeichnung nicht mehr relevant ist.) Der Konjunktiv I (= die Konjunktive des Präsens, des Perfekts und des Futur I) drückt die erfüllbare Handlung, Bitte, Wunsch, Möglichkeit usw. aus, mit dem Konjunktiv II (= die Konjunktive des Präteritums und des Plusquamperfekts) wird die Nichtwirklichkeit, die ireale Handlung oder einen Wunsch bezeichnet, dessen Erfüllung nicht sicher ist.
Die Verwendung der Konjunktive in der indirekten Rede oder in der Wiedergabe der fremden Meinung unterliegt im Nhd. festen Regeln, die sich etwa im 17. Jhd. zu gestalten beginnen. In der indirekten Rede hängt die Verteilung der Konjunktive davon ab, ob sich die betreffenden Formen vom Indikativ unterscheiden:
Ind: 1. Sie kommen morgen. 2. Er kommt morgen.
Konj. I (Konj. Präs.): 1. Sie kommen morgen. 2. Er komme morgen.
Konj. II (Konj. Prät.): 1. Sie kämen morgen. 2. Konj. II ist nicht nötig.
Dasselbe betrifft auch den Konj. Perf. (Konj. I) und den Konj. Plusq. II
Ind: 1. Sie haben die Oma besucht. 2. Er hat die Oma besucht.
Konj. I (Konj. Perf.): 1. Sie haben die Oma besucht. 2. Er habe die Oma besucht.
Konj. II (Konj. Plusq.) 1. Sie hätten die Oma besucht. 2. Konj. II ist nicht nötig.
Der Formenzusammenfall einiger Formen des Konj. Präs. mit dem Ind. Präs. trägt zum neuen Aufbau und neuer Verteilung der Funktionen der einzelnen Modi bei, vgl. oben. Der Konj. Präs. bleibt im Nhd. nur in der 3. P. Sg. klar differenziert. Im 19. Jhd. war es noch möglich, die 2. P. Pl. durch -est, -et von Ind. -st, -t zu unterscheiden. Diese Formen werden heute als veraltet empfunden. Im Fhnd. ist zunächst auch die 3. P. Pl. Präs. (-ent vs. -en) unterschieden. Wegen der Formengleichheit tritt der Konj. Präs. stark zurück. An seiner Stelle treten die umschreibenden Formen ein, die sich seit dem 14. Jhd. in der Sprache durchzusetzen beginnen. Es handelt sich um die Umschreibung mit würde + Inf. Diese Konstruktion hat keine eigene semantische Schattierung, wie es bei den die Konjunktive umschreibenden Modalverben der Fall ist, vgl. unten. Als Konjunktiv II (Konj. Prät., der sich aber seit dem Mhd. nur noch auf das Präsens bezieht, vgl. oben) dient diese Konstruktion als Modus der Irrealität, also als Ausdruck der Unsicherheit (Würdest du es wirklich annehmen?) und dann auch als Ersatzmodus für undeutliche Formen von einigen Vollverben, z. B. Ind. Prät: du kochtest; Konj. Prät: du kochtest; die Umschreibung mit würde: du würdest kochen.
Der Konjunktiv kann auch durch die Modalverben ausgedrückt werden. Ein Modalverb kann mehrere konjunktivische Bedeutungen umschreiben. Einige der Modalverben bleiben dabei sogar im Indikativ.
Beispiele der Verwendung der Modalverben: Ich möchte dich bald sehen = der erfüllbare Wunsch. Es soll ein kalter Winter kommen = die Möglichkeit einer Tatsache. Möchte sich der Wunsch doch erfüllen! = ein erfüllbarer, aber nicht erfüllter Wunsch. Du hättest sie doch besuchen sollen! = die Unwirklichkeit, immer wird der Konj. II gebraucht, am häufigsten tritt der Konj. Plusq. auf.
5.5. Die Nominalformen des Verbs (Infinite Verbformen)
Als Nominalformen des Verbs werden Infinitive und Partizipien bezeichnet. Im Deutschen werden drei Grundformen unterschieden: Infinitiv, Partizip I und Partizip II.
5.5.1. Der Infinitiv
(lat. infinitus = unbestimmt)
Die Forscher sind nicht dessen einig, ob es bereits im Indoeuropäischen den Infinitiv gegeben hat (nach Beekes nicht, dagegen lässt Krahe seine Existenz im Ide. zu). Ganz sicher scheint dagegen die Existenz der Verbalnomina im Ide. zu sein, die in der Funktion der „Infinitive“ gebraucht werden konnten. Der Form nach sind die Verbalnomina deklinierbare Substantive. Szemerenyi betont, dass diese Verbalnomina im Ide. noch nicht zum Bestandteil des Verbalsystems geworden sind. Sie haben zunächst nur als selbstständige Nominalformen gelebt. Sie haben daher im Ide. weder an dem Modus, noch an dem Tempus teilgenommen. Diese Verbalnomina stehen dann (nach der Zerspaltung des Ide.) bei der Entstehung der verbalen Infinitive, wobei die Entwicklung in den einzelnen Sprachen unterschiedlich verläuft.
Für die Entstehung des Infinitivs spielen die eine Handlung bezeichnenden Verbalnomina (=Nomina actionis) die wichtigste Rolle, die von derselben Wurzel gebildet werden wie das entsprechende Verbum finitum. Auf diese Weise entstehen im Ide. sowohl Konkreta, als auch als Abstrakta. (Vgl. auch z. B. die nhd. Nomina actionis: Ruf, Schlag, Biss, Schnitt (= Ableitungen von den starken Verben); Dank, Kauf (= Ableitungen von den schwachen Verben.)) Wie bereits erwähnt wurde, werden diese Substantive im Ide. regelmäßig dekliniert. In einigen ide. Sprachen kommt es dann zum Erstarren einiger Kasusformen dieser Substantive (die betreffenden Kasusformen sind in den einzelnen Sprachen unterschiedlich), die dann nicht mehr als Nominalformen, sondern als Verbalformen (=Infinitive) aufgefasst werden. Es kommt so zur Veränderung ihrer Funktion. (Bem.: Ähnliche Prozesse kommen in den Sprachen ziemlich häufig vor, vgl. z. B. die Entstehung der Präposition und Konjunktion während dar, die sich im 18. Jhd. aus dem ersten Partizip des Verbs währen entwickelt hat oder die Entstehung des Adjektivsuffixes -bar, das auf das bereits untergegangene ahd. Verb bëran „tragen” zurückkgeht. Die Bedeutung des Verbs bleibt z. T. auch in dem Suffix erhalten, z. B: fruchtbar - eig. „Frucht tragend” usw.)
Man nimmt an, dass der germanische Infinitiv aus dem erstarrten Akkusativ der neutralen thematischen Substantive (o- Stämme) entstanden ist. (Auf dem Akkusativ beruht auch der Infinitiv im Sanskrit - in dieser Sprache entwickelt sich der Infinitiv auf
-tum, z. B: kar -tum zu kar- „machen”. Der Form nach handelt es sich also um den Akkusativ eines Abstraktums auf ide. *-tu-(=Bildungselement) + die Akkusativendung *–m. Im Altindischen wurde die erstarrte Form des Dativs für die Bildung des Infinitivs gebraucht.) Der Akkusativ der neutralen o- Stämme weist im Ide. den Ausgang *-o-m (> germ. *-an auf, später kommt es zu dem lautgesetzlichen Abfall der Endung, vgl. 2.3. Die betreffende germanische Akkusativform könnte als *ber-a-na-m „das Tragen“ rekonstruiert werden, wobei ber- die Wurzel, -a- (< ide. *-o-) den Themavokal, -na- (< ide. *-no-) das Bildungselement (ein Suffix), mittels dessen die Nomina actionis gebildet wurden, -m die Akkusativendung darstellen. Im Germanischen kommt es zunächst zur Schwächung der Endung zu -n, später folgt ihr lautgesetzlicher Schwund, sodass sich die Infinitivformen ahd. bëran, nëman, got. itan, baíran usw. entwickeln. Diese Endung kommt nur bei den starken Verben vor. Bei den schwachen Verben der 1. Klasse erscheint im Ahd. der Ausgang -en im Infinitiv. Die Endung entsteht durch den Lautwandel ja > -e-, z. B. got. hailjan: ahd. heilen (mehr zu dieser Problematik vgl. 6.1.1.) Einige schwache Verben übernehmen im Infinitiv auch die Endung der starken Verben. Die Unterschiede zwischen beiden Endungen verschwinden im späten Ahd., wann die Endung der starken Verben -an zu -en abgeschwächt wird.
Der Infinitiv der schwachen Verben der 2.3. Klasse wird analogisch zu dem Infinitiv der schwachen Verben der 1. Klasse gebildet.
Der Infinitivausgang –en wird im Mhd. oft zu -n synkopiert. In einigen Mundarten wird -n sogar ausgelassen, so entstehen solche Formen wie z. B: nëme, helfe.
Seit dem Fnhd. setzt sich die Form mit -en als Norm durch und bleibt auch heute erhalten. Eine Ausnahme stellen die Ableitungssilben -el, -er dar, bei denen -e synkopiert wird - wandeln, wandern. Der Infinitiv kann nicht flektiert werden (nur in der Form des Gerundiums, vgl. weiter).
Während der Entwicklung der dt. Sprache gewinnen die Infinitive die Möglichkeit, substantiviert zu werden. Zunächst kommt es zur Entstehung der Verbalabstrakta, erst allmählich (im Mhd. noch selten) entstehen auch halbkonkrete Substantive, die nicht mehr als Verbalabstrakta empfunden werden, z. B: daµ eµµen - „die Speise”, daµ trinken - „der Trank”. Der substantivierte Infinitiv kann wie andere „normale” Substantive dekliniert werden.
Der ahd. Infinitiv wird nach Masařík in biverbalen Verbindungen verwendet, z. B: Her frāgēn gistuont „er begann zu fragen”. Die Partikel zu (ursprünglich eine Dativpräposition) wird in diesen Verbindungen zunächst nicht gebraucht. Die Entstehung der Infinitivkonstruktion: die Partikel zu + Infinitiv geht auf das sog. Gerundium zurück (nicht zu verwechseln mit dem Gerundivum, vgl. unten). Das Gerundium stellt die flektierte Form des Infinitivs dar, die in den westgerm. Sprachen neben dem nichtflektierten (aus dem erstarrten Akkusativ entstandenen) Infinitiv steht. In den meisten Fällen kommt das Gerundium im Genitiv und im Dativ vor, Kienle führt auch einen Beispiel des Gerundiums im Intrumental an (nur im Ahd.).
Beispiele: Inf. ahd. nëman - Gen. nëmannes, Dat. nëmanne.
Inf. ahd. zellen „zählen” - Gen. zellenes, Dat. zellene.
Beispiel einer Instrumentalform: sweranniu „durch Schwören.”
Von den Formen des Infinitivs unterscheidet sich das Gerundium dadurch, dass es als ja-Stamm gebildet wird (westgerm. Suffix -annja), wobei j im Ahd. bereits geschwunden ist und nur an der westgerm. Gemination seine ehemalige Anwesenheit zu erkennen ist. Die Gemination wird im Mhd. oft vereinfacht. Da sich die Formen des Gerundiums formal von dem Infinitivstamm unterscheiden, können sie nach Braune als viertes Verbalnomen betrachtet werden.
Der Dativ des Gerundiums tritt immer mit den Dativ regierenden Präpositionen ein, v. a. mit der Präp. zi „zu”. Solche Fügungen hatten dann nach Masařík v. a. finale Bedeutung, z. B: Zilāµµet iuuaru neµµiu zi fâhenne „Werft eure Netze aus, um Fische zu fangen (eig. „zum Fangen”), wobei das auslautende -e in fâhenne noch als die Endung des Dativs wahrgenommen sein muss.
Im Mhd. lebt das Gerundium sowohl im Genitiv, als auch im Dativ weiter, wobei v. a. die Dativform eine wichtige Rolle spielt. Ihre zunächst nur finale Bedeutung allmählich verblasst und wird neu als neutraler Infinitiv aufgefasst. (Die finale Bedeutung bleibt bis heute in solchen Fügungen erhalten, wie z. B: Die Aufgabe ist zu lösen = eig. die Aufgabe muss gelöst werden. Die Fügung kann auch attributiv, durch das sog. Gerundivum ausgedrückt werden: die zu lösende Aufgabe. Die Form des Gerundivums entsteht erst im Fnhd, u. z. als Mischform aus Partizip I und dem präpositionalem Infinitiv, vgl. 5.5.2.) Die Präposition ze verliert ihre ursprüngliche Bedeutung und wird zur Partikel, die den Infinitiv mit dem Verbum finitum verbindet. Der Dativ des Gerundiums mündet in den Inf. ein, der also als Verbalform aufgefasst wird. Da auch der Genitiv des Gerundiums nicht mehr verwendet wird, kommt es zum Schwund des Gerundiums im Deutschen. Der Ausgang des ursprünglichen Gerundiums wird während des Mhd. abgeschwächt, z. B: ahd. zi nëmanne > mhd. ze nëmenn(e). Im Mhd. können so eig. drei Formen vorkommen, die als Infinitiv verstanden werden können: 1. der einfache Infinitiv ohne ze (geben); 2. der flektierte Infinitiv mit ze (ze gebenne); 3. der unflektierte Infinitiv mit ze (ze geben). Paul macht darauf aufmerksam, dass die Unterscheidung zwischen dem einfachen Infinitiv und dem flektierten oder unflektierten Infinitiv mit ze im Mhd noch nicht besonders systematisiert wird. (Der Infinitiv mit ze wird nach Mettke im Mhd. weniger verwendet als im Nhd.) Der flektierte Infinitiv wird später apokopiert: ze nëmenne > ze nëmen, sodass seit dieser Zeit nur zwei Formen des Infinitivs möglich sind.
Die Entstehung des Infinitivs aus einem erstarrten Kasus eines Substantivs beeinflusst nach Jung auch seinen Fügungswert. Der Infinitiv zeigt sowohl nominale Seiten (das Hinzutreten der Präposition zum reinen Infinitiv ist ein nominales Merkmal), als auch verbale Seiten. Aber auch die verbalen Kategorien, wie die Kategorie des Genus, des Tempus, der Modalität, der Person und des Numerus konnten durch den Infinitiv zunächst nicht ausgedrückt werden. Diese verbalen Merkmale konnten im Satz nur vom finiten Verb getragen werden, der Infinitiv war in der Form unveränderlich. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der umschreibenden Formen des Genus und des Tempus gewinnt auch der Infinitiv die Möglichkeit, diese Kategorien teilweise auszudrücken. Demnach unterscheidet man heute: den Infinitiv des Präsens (= Infinitiv I) des Aktivs und des Passivs und den Infinitiv des Perfekts (= Infinitiv II) des Aktivs und des Passivs. Die Unterscheidung ist nicht ganz eindeutig, denn der Inf. Präs. kann z. B: auch beim Futur oder bei dem in der Vergangenheit passierten Geschehen stehen: Ich werde dich besuchen. Es hat mich gefreut, dich zu sehen. Was die Kategorie des Genus betrifft, kann der aktive Inf. auch passiven Sinn haben, z. B: Das Gedicht ist zu lernen = das Gedicht muss gelernt werden. Auch weiterhin steht der Infinitiv ohne den Bezug zu dem Subjekt und zu dem Modus.
5.5.2. Gerundium und Gerundivum
Das deutsche Gerundivum, eine Mischform aus Partizip I (= ursprünglich ein Verbaladjektiv, vgl. weiter) und präpositionalem Infinitiv weist die passive Bedeutung auf und entspricht - völlig in der Bedeutung, teilweise auch in der Bildung dem lateinischen Gerundivum. Das lateinische Gerundium stellt auch ein Verbaladjektiv mit passiver Bedeutung dar und wird durch das Anhängen des Suffixes -(e)ndus, -(e)nda, -(e)ndum an den Präsensstamm gebildet, vgl. z. B: puer monendus est = der zu lobende Junge = der Junge, der gelobt werden soll (oder muss).
Das im Deutschen untergegangene Gerundium kommt im Lateinischen vor. Der Form nach handelt es sich um das Verbum substantivum, das seiner Form nach dem Neutrum des Gerundivums entspricht. Das lateinische Gerundium kann dekliniert werden. Eine Ausnahme stellt nur der Nominativ dar, der durch die Form des Infinitivs ersetzt wird. Ins Deutsche kann das lateinische Gerundium durch den Infinitiv oder durch den mit einer Präposition begleiteten substantivierten Infinitiv übersetzt werden, z. B: Nom. ūtile est legere - „es ist nützlich, zu lesen“.
Gen. ocāsiō legendī - „die Gelegenheit zum Lesen“.
Abl. discimus legendō - „wir lernen durch das Lesen“.
Was die germanischen Sprachen anbelangt, wird das Gerundium noch im Englischen gebraucht, jedoch nur noch in der unflektierten Form, z. B: I like reading. He is talking about travelling in Germany.
5.5.3. Das Partizip
(lat. participare = teilhaben)
Das Partizip Präsens und das Partizip Präteritum waren ursprünglich Verbaladjektive, sodass sie bis heute zwischen Adjektiven und Verben stehen. Sie haben sowohl nominale (sie können als Adjektive verwendet werden – als Attribut, Prädikatsadjektiv, Modalbestimmung), als auch verbale Seiten. Früher (noch z. B. bei Jung) auch als Mittelwörter bezeichnet.
Das Partizip Präsens tritt bereits im Indoeuropäischen ein. Es bezeichnet eine unvollendete, gleichzeitig dauernde Handlung und kann in allen Tempora verwendet werden: das laufende Kind ruft, rief, wird rufen. Vorwiegend hat das Partizip den aktiven Sinn: der lesende Student. Das Partizip Präsens kann auch substantiviert werden, vgl. 5.5.1.
Das Partizip Präsens der thematischen Verben wird vom Präsensstamm abgeleitet, der um das ide. Suffix *-nt- erweitert wird, das im Germanischen lautgesetzlich zu *-nd- > ahd. -nt- wird, vgl. z. B. got. nimands - ahd. nëmanti > mhd. nëmente. (Das -nt- Partizipium kommt in mehreren ide. Sprachen vor.)
Auch bei den schwachen Verben der 1. Klasse wird germ. *-nd- > ahd.-nt- an den Stamm angehängt, vgl. z. B: got. nasjands - ahd. nerienti.
Bei den schwachen Verben der 2. Klasse gilt im Ahd. der Ausgang –ōtni-, z. B: salbōnti (got. salbōnds), bei den schwachen Verben der 3. Klasse dann der Ausgang -ēnti, z. B: habēnti (got. habands).
Im Mhd. kommt es auf Grund der Abschwächung zur Vereinheitlichung der einzelnen Formen des Partizips (es gibt jedoch regionale Unterschiede). Allmählich setzt sich der Ausgang -ende durch.
Im Nhd. wird das auslautende -e apokopiert, sodass der Ausgang -end entsteht, z. B: lernend, schreibend usw. Eine Ausnahme stellen nur die Ableitungssilben -el, -er dar, bei denen -e- synkopiert wird: wandelnd, wandernd.
Das Partizip Präteritum ist der Herkunft nach auch ein Verbaladjektiv und drückt eine vollendete Handlung aus - bei transitiven Verben mit passiver Bedeutung (ein gepflügtes Feld), bei intransitiven Verben mit aktiver Bedeutung (die angekommenen Gäste). Die partizipiale Funktion des Part. Prät., das zunächst nur als Adjektiv gebraucht wurde, entwickelt sich erst im Zusammenhang mit der Bildung der umschreibenden Tempus- und Passivformen.
Das Partizip Präteritum wird bei den starken und schwachen Verben unterschiedlich gebildet, was in den betreffenden Kapiteln beschrieben wird (6.2.2.1. und 6.2.2.2.)
6. Die Konjugation
6.1. Die Hauptklassen der Verben und deren charakteristische Züge
Im heutigen Deutsch werden zwei Hauptklassen der Verben unterschieden – die starken und die schwachen Verben, wobei sich das Kriterium für die Zuordnung eines Verbs in eine der Gruppen aus der spezifischen Bildung des Präteritums ergibt. Diese Gliederung spiegelt jedoch nur die Verhältnisse des Germanischen wider. Die indoeuropäischen Verben müssen aus anderer Perspektive bewertet werden, was sich aus der unterschiedlichen Struktur dieser Verben (die dreiteilige Struktur vgl. 2.2.), aus der spezifischen Bildung der Tempora und selbstverständlich auch aus den differenzeirten Arten der Tempora im Ide. ergibt. Die indoeuropäischen Verben werden in zwei Gruppen geteilt: die thematischen und die athematischen Verben. Die thematischen Verben weisen ein Thema (bzw. ein Stammsuffix, vgl. 2.2.) zwischen der Wurzel und der Flexionsendung auf. Bei den athematischen Verben treten die Endungen unmittelbar an die Wurzel. Sie werden daher auch als Wurzelverben bezeichnet.
Für die Bildung der ide. Tempora stehen sehr viele formale Mittel zur Verfügung. Dies betrifft v. a. das Präsens, was sich aus der ursprünglich sehr engen Verbindung mit den einzelnen Aktionsarten ergibt, vgl. 5.1.1. Davon bleiben im Germanischen nur noch Spuren erhalten. Im Germ. werden primär die Tempora und nicht mehr die Aktionsarten ausgedrückt.
Die üblichste Form der Bildung des ide. Präsens, die auch für das Germ. von Bedeutung ist, stellt die Bildung mit Hilfe des Themavokals *e/o > germ. i/a dar, wobei a kommt in der 1. P. aller Numeri und in der 3. P. Pl. vorkommt, i dann in der 2. P. aller Numeri, z. B.: 1. P. Pl. ahd. nëm - a- mēs > mhd. nëmen; 2. Sg. nim - i- s > mhd. nim(e)st.
Das ide. Perfekt wird meistens mit der Reduplikation gebildet, wobei die Wurzel oft den Ablaut aufweist.
Der Aorist kann im Ide. dreierlei Formen aufweisen: der s-Aorist, der thematische Aorist und der Wurzelaorist.
Die Gruppe der thematischen Verben kann noch in zwei Untergruppen gegliedert werden. In die eine werden die sog. primären Verben einbezogen, die andere umfasst die abgeleiteten Verben - u. a. auch Kausativa (oder Iterativa) zu den primären Verben (Nhd. z. B: fällen stellt das Kausativum zu fallen dar) und die Denominativa, die von Nominalstämmen abgeleitet sind und durch das Antreten eines Suffixes zu einem Verb werden.
Beispiele der Denominativa: an den Nominalstamm tritt ein Suffix ide. *-Ôe/ -Ôo, z. B: lat. custōd - iō „ich bewache” (zu custōd „Wächter”); got. weitwōd-ja „ich bezeuge” (zu weitwōd „Zeuge”) usw.
Beispiele der Ableitungen von ide. ā-Stämmen (< germ. ō-Stämme): lat. plantō (< *plantā - Ôō) „ich pflanze” (zu planta „Pflanze”); ahd. salbōm, got. salbō (< *salbō - Ôō) „ich salbe” (zu salba „Salbe”) usw.
(Es gibt im Ide. auch andere Ableitungsmöglichkeiten, die aber für das Germanische nicht von so großer Bedeutung sind.)
Beispiele der Kausativa: sie werden mit einem Suffix ide.*-eÔo- gebildet, z. B: ide.*sod-eÔō „mache sitzen” > „setze” = ai. sā-d#yā-mi; got. satja – es handelt sich um die Kausativa zu primärem Verb ide.*sedō „sitze” (ide. Wurzel *sod- > germ. *sat-) - got. sita; ide. *lo”h-eÔō „mache liegen” > „lege” = got. lagja - Kausativum zu ide.*le”hō (ide. Wurzel *le”h-) „liege” = got. liga.
Im Lateinischen und Griechischen tritt oft der o-Vokalismus der Wurzelsilbe und die Weiterbildung mit dem Suffix -eÔo ein, z. B: lat. moneō „ermahne”; mordeō „beiße” - eig. „mache Schmerzen“. Diese Variante (= ide. a > germ. o + j Bildung) ist auch im Germanischen sehr produktiv, z. B: got. hnaiwjan „erniedrigen” - hneiwan „sich neigen”; gadrausjan „niederwerfen” - driusan „fallen”; got. nasjan, ahd. nerien - got. ganisan „genesen”.
Beispiele der Iterativa: Sie werden mit demselben Suffix gebildet wie die Kausativa: ide. *wo”heÔō „bewege hin und her” = got. wagja - Iterativum zu ide. *we”hō (ide. Wurzel *we”h-) „bewege” = got. gawiga „bewege”.
Diejenigen Verben, die kein stammbildendes Element enthalten, werden als athematische Verben, bzw. Wurzelverben bezeichnet. Diese Verben kennzeichnen sich durch die zweiteilige Struktur. Im Ide. stellen sie eine den thematischen Verben völlig gleichwertige Gruppe dar. Auf dem Übergang zum Germanischen wird diese Gruppe wesentlich reduziert. Im Germanischen bleiben nur noch vier solche Verben erhalten: ahd. sīn, gān, stān, tuon („sein, gehen, stehen, tun”). Die Reduzierung der Zahl der Wurzelverben hängt auch mit den im Germ. verlaufenen Lautprozessen zusammen, die zu der Abschaffung des Unterschiedes thematisch/athematisch beigetragen haben, vgl. 2.3.
Auf die im Germanischen existierenden Verben wird daher eine neue Gliederung der Verben apliziert, die die neuen Verhältnisse berücksichtigt - u. z. die Bildung des Präteritums. Demnach werden starke und schwache Verben unterschieden. Zu den starken Verben gehören v. a. die primären Verben, die von den verschiedentsten ide. Wurzeln abgeleitet worden sind. Dagegen stellen die schwachen Verben in vielen Fällen die Ableitungen aus den bereits existierenden Verbal - oder Nominalstämmen dar, vgl. oben. Die starken Verben bilden das Präteritum durch den Ablaut der Wurzelsilbe und mit dem Partizip Präteritum auf -n. (Dieses Partizip stellt seinem Ursprung nach ein Verbaladjektiv mit dem ide. Suffix *-eno-/ -ono- > germ. *-ina-/-ana- dar.) Die starken Verben weisen im Germanischen auch eigene, vom Präsens unterschiedliche Endungen auf. Die schwachen Verben bilden das Präteritum mittels des Dentalsuffixes -t (ide. *-to-). Was den Ursprung des Dentalsuffixes betrifft vgl. 5.1.2.2.
Neben den starken und schwachen Verben kommen im Germanischen noch 2 Gruppen von Verben vor, die auch zu erwähnen sind - die sog. Präteritopräsentia und der Rest der athematischen Wurzelverben- gān, stān, tuon, sīn, deren Flexion z. T. unregelmäßige Formen aufweist. (Diese Verben werden in 6.6. behandelt.)
6.1.1. Die schwachen Verben
Der Form nach handelt es sich um sekundäre, von starken Verben oder von Nominalstämmen abgeleitete Verben, vgl. oben. Die Flexion der meisten schwachen Verben kennzeichnet sich durch die während der Geschichte eingetretene Tendenz zur Vereinheitlichung. Im Nhd. werden eig. praktisch alle schwachen Verben sowohl im Präsens, als auch im Präteritum gleich flektiert. Ihre Flexion wurde damit zu der Hauptflexion der deutschen Verben. Im Duden (2005) wird die schwache Konjugation als Normalkonjugation bezeichnet. Die meisten nhd. Verben (nach Hartweg mehr als 90%) und alle neu entstehenden Verben (= Verben, die von Substantiven oder Adjektiven oder durch Suffigierung von anderen Verben abgeleitet sind), die Entlehnungen und Neubildungen werden schwach flektiert.
Nicht selten kommt es während der Entwicklung der Sprache vor, dass einige der starken Verben ihre Flexion aufgegeben haben und werden schwach flektiert (nach Wells betrifft es etwa 54 mhd. starker Verben, Hartweg führt etwa 80 an), u. a. auch mhd. bellen,snîen, spalten, triefen, sûgen, riuwen (stark) > nhd. bellen, schneien, spalten, triefen, saugen, reuen (schwach). Die umgekehrte Richtung tritt nur sehr selten ein, stark werden z. B: ahd. dingōn, mhd. dingen, prîsen (schwach) > nhd. dingen, preisen (stark). Bereits im Mhd. gibt es auch neben vielen starken Verben auch ihre schwachen Varianten, die dann ins Nhd. aufgenommen werden, z. B: brimmen wurde durch brummen verdrängt, brinnen durch brennen, dimpfen durch dampfen. Nur in wenigen Fällen wird im Nhd. die starke Variante bevorzugt, z. B: mhd. gelîchen, laden, wîsen > nhd. gleichen, laden, weisen. (Zu erwähnen ist noch das starke Verb brechen < mhd. brechen < ahd. brehhan, neben dem im Ahd. das schwache Verb brehhōn „niederschlagen“ steht, das im Mhd. untergeht. Bis heute bleibt dieses schwache Verb nur im Kompositum radebrechen erhalten, mit der übertragenen Bedeutung - „eine Fremdsprache unvollkommen sprechen“ - die Vergangenheitsformen: er radebrechte das Russische; er hat das Russische geradebrecht.)
Im Germanischen werden die schwachen Verben in mehrere Gruppen gegliedert, wobei diese Gliederung teils auf die Suffixmorphe, teils auf die Bedeutung (Kausativa, Iterativa)zurückgeht. Dieser Zustand bleibt noch im Gotischen teilweise erhalten. Im Westgermanischen, also auch im Ahd., werden die schwachen Verben in drei Gruppen geteilt, wobei das Kriterium nur in der Form der Bildungselemente liegt:
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