Evangelische Impulse Band 3 Mit Gott reden



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angesichts Gottes und des Himmels als seinem Fingerspiel (Ps 8)? Die Götter unterscheiden sich vor allem darin von den Menschen, dass sie nicht sterben müssen. Obwohl menschengestaltig vorgestellt, verbindet man im Alten Orient mit den Gottheiten durchaus Attribute von Tieren. Auch die Bibel kennt Tiervergleiche und entsprechende göttliche Attribute. Vor allem die Propheten sparen nicht mit drastischen Vergleichen: JHWH brüllt vom Zion wie ein Löwe (Am 1,2) und hat auf seinen Geierschwingen Israel aus Ägypten getragen (2Mose 19,4; 5Mose 32,11); aber er kann sein Volk auch anfallen wie ein Panther, der am Weg lauert, wie eine Bärin, die ihrer Jungen beraubt wurde (Hos 13,7f).

Körperteile Gottes

Ungleich häufiger als Tiervergleiche begegnen menschliche Züge der Gestalt JHWHs. Wie jeder Mensch hat er ein Angesicht. Noch heute endet jeder Gottesdienst mit der Segensbitte: »Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig« (4Mose 6,25). »Seine Augen achten auf alle, die ... auf seine Güte hoffen, dass er sie errette ...« (Ps 33,18f). Deshalb kann man noch in Todesnot rufen: »Neige deine Ohren zu mir!« (Ps 31,3). Zwar redet Gott mit Israel nur durch Vermittlung des Mose, mit Mose aber redet er »Mund an Mund«, also unmittelbar (4Mose 12,8). Gott riecht den lieblichen Geruch des Brandopfers, das Noah nach der Flut darbringt (lMose 8,21); er hat also offenbar eine Nase. Und wenn er die Fliege aus Ägypten und die Biene aus dem Lande Assur herbeipfeift (Jes 7,18), muss er auch Lippen haben; sie werden denn auch zusammen mit Gottes Zunge in Jes 30,27 ausdrücklich erwähnt. In Hi 16,9 knirscht er gar drohend mit seinen Zähnen.

Zur Gestalthaftigkeit Gottes gehören selbstverständlich auch Gliedmaßen. »Deine Hände haben mich gebildet«, sagt Hiob (10,8). Der Mensch verdankt sich Gottes Handarbeit (Ps 119,73), und dessen Hand kann »packen« (Jer 15,17) und »zuschlagen« (Hi 19,21). Aber Gott kann seine Hand auch von der Höhe »ausstrecken«, dass sie bis in das Totenreich unter der Erde reicht und den herauszieht, der schon in des Totenreichs »Fluten« zu versinken droht (Ps 18,17). Vornehmlich »mit seiner Rechten« vollbringt er Krafttaten und erringt den Sieg (Ps 118,15), stärkt den König (Ps 18,36) und sättigt den Frommen mit seiner Güte (Ps 16,11). Er trägt als Hirte die neugeborenen Lämmer auf seinen Armen (Jes 40,11). Auch wer sich Gott ganz jenseitig vorstellt, kann Gottes Nähe im Jerusalemer Tempel geradezu leibhaft erfahren: Dort berührt Gott mit »seinen Fußsohlen« die Erde (Hes 43,7).

Allerdings hat man keineswegs alle menschlichen Körperteile für geeignet befunden, mit Gott in Verbindung gebracht zu werden. So redet die Bibel nie von Gottes Bauch, Nieren, Leber, Fett, Blut, Knochen oder Fleisch. Das »Lärmen der Eingeweide« (Jes 63,15) umschreibt metaphorisch Gottes leidenschaftliches Erbarmen. Deshalb übersetzt die Lutherbibel mit »großer, herzlicher Barmherzigkeit«. Erst recht hat Gott keine Geschlechtsorgane. Die Bibel stattet Gott nicht mit einem Körper aus, der aufgrund seiner biologischen Attribute eindeutig als Mann oder Frau identifiziert werden könnte. Zwar erscheint Gott im Bild der Ehe für sein Verhältnis zu Israel stets in der Rolle des Mannes (Hos 2,4ff; Jes 54; Jer 2-3; Hes 16; 23), doch hindert das keineswegs daran, ihm typisch weibliche Gemütsregungen (Jes 49,15) und Funktionen (4Mose 11,12) zuzuschreiben. So hat JHWH mit seinem Volk »in Wehen gelegen« und es »geboren« (5Mose 32,18). Er vermag denn auch zu trösten, »wie eine Mutter ihren Sohn tröstet« (Jes 66,13).

Die Bibel stellt Gott wie einen Menschen tätig vor. Gott arbeitet wie ein Bauer (Hos 10,1-9) und formt den Menschen wie ein Töpfer (lMose 2,8; Jer 1,5), er forscht

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wie ein Wissenschaftler (Hi 28,27) und ruht sich nach seinem gewaltigen Schöpfungswerk aus, indem er »verschnauft« (2Mose 31,17). Er geht in seinem Gottesgarten im Abendwind spazieren (IMose 3,8). Er steigt vom Himmel herab, um den Turm zu besehen, den die winzigen Menschen in ihrem Übermut bauen (IMose 11). Gott kämpft wie ein »Kriegsmann« (2Mose 15,3) und hat sich als »Held im Krieg« bewährt (Ps 24,8). Anderwärts tritt er wie ein Keltertreter die Völker nieder, dass sein Gewand von rotem Blut trieft (Jes 63,1-6).

Gottes Gestalt in Hesekiel 1 und Daniel 7

Nur zweimal wird in der Bibel die Gestalt Gottes beschrieben. Der erste Text findet sich in Hes 1,26-28 im Zusammenhang mit der Beschreibung des fahrbaren Thrones Gottes. Geradezu detailversessen widmet sich der Verfasser der Beschreibung des Fahrzeugs mit seinem überaus komplizierten Räderwerk. Dem Gefährt -bestehend aus lebenden Wesen, Platte und Thron - gelten 25 Verse. Umso mehr fällt auf, dass die Gestalt, die auf dem Thron sitzt, in lediglich drei Versen nur schemenhaft angedeutet wird:

Und siehe, oberhalb der festen Platte über ihrem Haupt

war es anzusehen wie Lapislazuli-Stein, etwas wie ein Thron,

und oben über dem, was aussah wie ein Thron,

auf ihm war etwas zu sehen, das wie ein Mensch aussah.

Und ich sah einen Glanz wie von Weißgold,

aussehend wie Feuer, das rings umrandet ist,

von dem, was aussah wie seine Hüften, nach oben;

und von dem, was aussah wie seine Hüften, nach unten,

was aussah wie Feuer.

Und er war rings von Glanz umgeben.

Wie der Bogen aussieht, der am Regentag in den Wolken steht,

so sah der Glanz ringsherum aus.

Das war der Anblick der Gestalt der Herrlichkeit JHWHs.

Schon die Materialien Gold und Lapislazuli signalisieren mehr als nur Kostbarkeit; denn sie waren im Alten Orient Götterbildern vorbehalten. Der tiefblaue Lapislazuli in Verbindung mit dem aus IMose 1 bekannten Wort »Feste« (= Platte) für das Firmament geben dem Throngefährt kosmisch-himmlische Qualität. Zwar redet der Verfasser von einer Gestalt, die aussah »wie (!) ein Mensch« und die auch so etwas wie einen Körper hat. Aber diese Gestalt ist ganz von einer überirdischen Aura verhüllt: goldener Glanz und Feuer, Feuer und Glanz ringsum. Der Verfasser belässt so gut wie alles im Ungefähren und begnügt sich mit Andeutungen dessen, »was aussah wie ...«. Er hat etwas gesehen, aber in Worte fassen kann oder will er es nicht. Geblieben sind allein das Feuer und ein Glanz wie von einem Regenbogen. Diese Beschreibung der Gestalt Gottes ähnelt eher einer Verweigerung.

Der zweite Text findet sich in Dan 7,9f, einer Fortschreibung des Daniel-Buches aus der Makkabäerzeit. Es handelt sich um eine königliche Gerichtsszene im Himmel:

Ich schaute, wie Thronsessel aufgestellt wurden

und ein Uralter an Tagen sich setzte.

Seine Kleidung war wie Schnee weiß

und das Haar seines Hauptes wie Wolle rein.

Sein Thronsessel (war aus) Feuerflammen,

dessen Räder brennendes Feuer.

Ein Feuerstrom floss und ging von ihm aus.

Tausend mal Tausende dienten ihm,

und zehntausend mal Zehntausende standen vor ihm.

Der Gerichtshof setzte sich,

und Bücher wurden aufgeschlagen (vgl. Jes 65,6).

Der Himmelskönig, umgeben von seinem ungeheuer großen Hofstaat (»zehntausend mal Zehntausende«), hält Gericht. Deutlich steht die Vision des Thronwagens

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aus Hes 1 im Hintergrund. Darauf spielen vor allem der Thron auf Rädern und das Feuer an, das im Zusammenhang des Gerichts besondere Bedeutung hat (vgl. Ps 50; 97). Neu ist jedoch die Beschreibung des Thronenden als weißhaarigen Alten, angetan mit einem schneeweißen Gewand. Die Vorstellung von Gott als Greis findet sich also schon in der Bibel. Alter meint hier freilich etwas anderes als senile Demenz. Alter bedeutet Würde, hier noch dazu in der Qualität des Uralt-Ewigen. So heißt es in dem gegenüber Dan 7 wenig älteren Ps 102,13.28: »Aber du, JHWH, thronst in Ewigkeit, und dein Gedenken währt Generation um Generation ... und deine Jahre enden nicht.« Dieser Gott steht außerhalb von Werden und Vergehen.

Die Bibel stellt Gott in Menschengestalt vor und lässt ihn zugleich alle irdischen Vorstellungen übersteigen. Diese Einsicht fasst König Salomo anlässlich der Tempelweihe in die staunenden Worte: »Sollte Gott wirklich in der Welt wohnen? Siehe, der Himmel und die Himmel des Himmels können dich nicht fassen, wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe« (lKön 8,27). Die Bibel redet in vielfältigen Bildern von Gott, aber sie zeichnet kein Bild Gottes. Trotz mancher drastischer Aussagen, die Gott ganz nah an die Menschen rücken, war man sich stets bewusst, dass Gott alle menschlichen Vorstellungen sprengt. Deshalb sucht man in der Bibel eine Beschreibung der Gestalt Gottes vergebens.



2.1.3 Gottes Zorn und Erbarmen Gemütsregungen Gottes

Die Bibel schreibt Gott Empfindungen und Gemütsregungen zu, die denen von Menschen gleichen. Er »liebt« Israel (Jes 43,4) oder wenigstens dessen Ahnen (5Mose 7,8) schon von Ägypten her (Hos 11,1), und er ist »eifersüchtig« wie ein Liebhaber (2Mose 20,5). Aber er kann

auch »hassen«: Esau (Mal 1,3), leeren Kultbetrieb (Am 5,21), die Verehrung fremder Götter und deren Bilder (5Mose 12,31). Er »freut sich« über Zion wie ein Bräutigam über seine Braut (Jes 62,5; Zef 3,17). Andererseits hat er sich vor den Meuterern in der Wüste vierzig Jahre lang »geekelt« (Ps 95,10). Er lässt die Glut seines Zorns gegen den Übertreter seiner Weisungen rauchen (5Mose 29,19) und lässt sich doch des Unheils »gereuen«, das er über Ninive bringen wollte (Jona 3,10).

Ein besonders dichter Text, gesättigt von emotionalen Äußerungen Gottes, ist Hosea 11. Israels Geschichte wird als Erweis dauernder Fürsorge Gottes dargestellt, die aber von Anfang an auf Ablehnung stößt. JHWH beruft Israel aus der Knechtschaft in die Freiheit des Sohnes. Der Sohn aber hört nicht auf den Ruf des Vaters, sondern auf die fremden Götter und läuft von seinem Vater weg (V. 1-2). Der Vater wendet sich jedoch weiterhin dem Sohn zu. Er zieht ihn groß, versorgt ihn mit allem Lebensnotwendigen und erzieht ihn mit »Stricken der Liebe«, also mit seinen Weisungen in der Tora (vgl. Jer 2,20; 5,5). Der Sohn aber »weigert sich umzukehren« (V. 3-5). Deshalb tritt nun das ein, was der Vater vermeiden wollte. Seine Erziehung schlägt um in Vernichtung: »Da wird das Schwert in seinen Städten tanzen ...« (V. 6). Das äußerste Ende besteht darin, dass Israel »zurückkehren wird nach Ägypten« (V. 5). Damit macht Gott selber die Geschichte mit seinem Volk rückgängig. Israel hört auf, Gottes Volk zu sein. Weil der Sohn unfähig ist, zum Vater »zurückzukehren« (V. 7), kann die Geschichte Israels als Gottes Volk nur weitergehen, wenn der Vater »umkehrt«, indem er sich von seinem vernichtenden Zorn »abkehrt« und sich seinem Sohn wieder liebend »zukehrt«. Von dieser Umkehr Gottes reden die Verse 8f:

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Wie könnte ich dich preisgeben, Ephraim,

dich ausliefern, Israel?

Wie könnte ich dich preisgeben gleich Adma,

dich zurichten gleich Zeboim?

Umgestürzt ist gegen mich mein Herz,

ganz und gar entbrannt sind meine Mitleidskräfte.

Nicht will ich die Glut meines Zornes vollstrecken,

nicht will ich umkehren, um Ephraim zu vernichten;

denn Gott bin ich, und kein Mensch,

in deiner Mitte heilig,

und nicht mehr will ich in Erregung geraten.

Die entscheidende Umkehr findet in Gottes Herzen statt. Gott bleibt in sich und nach außen beweglich, also durch und durch Person. Er bewegt sich und kehrt um, indem er sein Herz umstürzen und sein Erbarmen entbrennen lässt.

Natürlich wusste man im Alten Orient stets, dass Götter keine Menschen sind. Das gilt selbstverständlich auch für Israel. Deshalb heißt es unmittelbar nach einer der emotionalsten Aussagen über JHWH in Hos 11,9 ausdrücklich: »Gott bin ich, kein Mensch.« Mit dieser Einsicht fällt Hos 11 jeder naiv bildhaften Rede von Gott ins Wort.

Warum stellt sich die Bibel Gott menschlich vor?

Die menschlichen Züge der biblischen Vorstellungen von Gott verhindern das Missverständnis, als sei Gott eine abstrakte Idee, ein in sich ruhendes zeitloses Prinzip oder ein Kraftfeld kosmischer Energie. Sie stellen Gott vielmehr als eine Person vor, lebendig und konkret.

Die Beschreibung einer Gestalt mit Körperteilen und Emotionen zielt jedoch nicht auf zeitlose Eigenschaften, sondern drückt Tätigkeiten aus. Sie ist wie alles Reden über Gott metaphorisch. Wenn es im Hohenlied von der Geliebten heißt: »Deine Augen sind Tauben« (Hld 1,15 u. 4,1), dann ist das keine poetische Beschreibung der

Augenfarbe »blaugrau«, sondern zielt auf das, was die Augen bewirken. Mit den Augen wirft man Blicke, die hin- und herfliegen wie Tauben, die Boten der Liebesgöttin. Mit den Augen nimmt man Kontakt auf, der vielleicht sogar erwidert wird. Die Augen strahlen Güte oder Hass aus. Die Hände wiederum vermitteln Aktion und Tatkraft. Die schwer atmende Nase markiert dagegen große Gemütsbewegungen. All das gilt auch für die unbefangene Rede von Gottes Gestalt.

Der Gott der Bibel ist allerdings auch nicht der Gefangene der für ihn gebrauchten Bilder und Metaphern. Auf die Frage nach seinem Namen antwortet die Erklärung des Gottesnamens »Jahwe« in 2Mose 3,14 mit einem Vordersatz, bei dessen Verb der Unterton wirksamer Gegenwart mitgehört werden muss. Die Erklärung fährt jedoch mit einem eigentümlichen Relativsatz fort, der durch die Wiederholung des Verbs ein Moment der Unbestimmtheit und des Geheimnisses hinzufügt: »Ich werde sein, der ich sein werde.« Dieses befremdliche Satzgefüge drückt damit zugleich herrscherliche Autorität und Freiheit aus (vgl. 2Mose 33,19): Ich werde dasein, wann, wie und für wen ich dasein will. So wahrt es Gottes

wo.

Unverfügbarkeit und wehrt allem Verlangen, Gott festzulegen oder gar sich seiner zu bemächtigen.

Die Bibel redet menschlich von Gott, aber sie weiß den unendlichen Unterschied zwischen Gott und um Mensch. Deshalb werden selbst die drastischen Bilder und Vorstellungen immer wieder von einer kritischen Zurückhaltung gebändigt. Alles Reden von Gott, das die Grenzen seines Geheimnisses nicht wahrt, ist hohl, so tiefsinnig es auch klingen mag.

2.1.4 Vater, Sohn und »Söhne«

Wenn Gott als Vater von Menschen vorgestellt wird, geschieht das in der Bibel in drei Bereichen: Gott erscheint

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zunächst und in besonderer Weise als Vater des Königs, dann aber auch als Vater des Volkes und in der Spätzeit sogar als Vater des einzelnen Frommen.

Gott als Vater des Königs in Psalm 2

Wie im Alten Orient ist auch in Israel der König vor allen anderen Menschen dadurch ausgezeichnet, dass allein er in einem Sohnesverhältnis zu seinem Gott steht. Als ältester Beleg für den König als Sohn Gottes kann Psalm 2 gelten. Er stammt in seiner noch erkennbaren Grundgestalt aus der Königszeit und spiegelt die Situation eines Thronwechsels wider:

Warum toben die Völker,

und die Nationen sinnen Nichtiges?

Es stehen auf die Könige der Erde;

und Fürsten haben sich zusammengerottet

gegen JHWH und seinen Gesalbten:

»Lasst uns zerreißen ihre Fesseln

und abwerfen von uns ihre Stricke!«

Der im Himmel thront, lacht,

der Herr spottet ihrer;

dereinst wird er zu ihnen sprechen in seinem Zorn

und in seinem Grimm sie verstören:

»Ich selbst habe meinen König eingesetzt

auf Zion, meinem heiligen Berg.«

Ich will bekanntgeben JHWHs Dekret:

Er sprach zu mir: »Mein Sohn bist du.

Ich selbst habe dich heute gezeugt.«

Das Verständnis des Psalms hängt an der Bestimmung der wechselnden Sprecher. Der Dichter spricht und der neue König, der seinerseits ein an ihn ergangenes Gotteswort zitiert: »Mein Sohn bist du ...« (V. 7) Meist hat man gemeint, der Jerusalemer König sei dort lediglich durch Adoption zum Sohn Gottes erklärt worden. Das sagt Ps 2,7 jedoch gerade nicht, sondern spricht sehr massiv von »zeugen«. Aber er formuliert das im Stile ei-

ner Deklaration und fügt ausdrücklich »heute« hinzu, also: »Hiermit zeuge ich dich jetzt.« Außerdem wird das über einem mehr oder weniger erwachsenen Kronprinzen gesagt. Vor allem aber liegt alles Gewicht auf der Anerkennung durch Gott: »Mein Sohn bist du!« Ps 2,7 deutet die Inthronisation als den Akt, mit dem der Kronprinz in sein königliches Amt eingesetzt wird. Der König ist als Person Mensch, aber in der Ausübung seines Amtes als Beauftragter JHWHs ist er Gottes Sohn. Der Sohnestitel hebt zugleich die Verantwortlichkeit des Sohnes gegenüber dem Vater hervor und schließt Gehorsam ein.



Gott als Vater des Volkes

Das exklusive Verhältnis Gottes zum König kann nach dem Untergang des Königtums auch auf das Volk Israel gewendet werden. So bringt 5Mose 32,6b Gottes Vaterschaft mit der Erschaffung Israels zu seinem Volk in Verbindung:

Ist nicht er dein Vater, der dich erschaffen hat?

(Ist nicht) er (es), der dich gemacht und dich bereitet hat?

Die Übertragung von Zeugung und Geburt auf Gott verhindert in V 18f ein biologisches Missverständnis göttlicher Vaterschaft:

Den Fels, der dich gezeugt, täuschtest du, du vergaßest den Gott, der dich gebar. JHWH sah (es) und verachtete aus Kränkung seine Söhne und Töchter.

Die Vaterbeziehung schließt nicht nur Gottes Fürsorge (V. 11-14), sondern auch sein Eigentumsrecht an seinem Volk ein. Das verschärft Israels Vergehen gegen das Fremdgötterverbot noch.

Im großen Volksklagelied Jes 63,7-64,11 suchen die Beter ihre Identität nicht mehr in den Ahnvätern Israels, sondern allein in JHWH als ihrem Vater:

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Du bist unser Vater;

denn Abraham kennt uns nicht,

und Israel weiß nichts von uns.

Du, JHWH, bist unser Vater,

»unser Erlöser« ist von Urzeiten an dein Name. (Jes 63,16)

Zwar wissen die Beter um ihre genealogische Herkunft von den Erzvätern, aber sie wollen nicht mehr Abrahams oder Jakobs Kinder, sondern fortan allein Gottes Kinder sein; denn sie bedrückt, dass Gott »sein Angesicht verborgen hat« (64,6). Angesichts der Sündenlast, die den Zorn Gottes erregt hat, erscheinen die Ahnen nutzlos. Deshalb appellieren die Söhne an Gott als ihren Vater, dessen Name und Wesen seit der Herausführung aus Ägypten darin bestehen, »Erlöser« zu sein. Mit diesem Wort wird eine soziale Einrichtung auf das Gottesverhältnis Israels übertragen. Gott erscheint als der nächste Familienangehörige, als »Löser«, der seinen verschuldeten Angehörigen aus der Schuldknechtschaft oder ein verpfändetes Grundstück (Rt 4) freikaufen und damit »erlösen« kann.



2.1.5 Gott, Geist, Boten

Gott und »Geist«

Das hebräische Wort für Gottes »Geist« bezeichnet einerseits meteorologische Phänomene vom leisen Lüftchen über die Winde bis zum gewaltigen Orkan (lKön 19,11), andererseits aber auch den Atem von Lebewesen. So deutet Hes 37,14 mit diesem Wort das, was in lMose 2,7 »Lebensodem« heißt. Dort verwandelt Gott mit seinem Atem die Ackerkrume, die er zu einem Menschen geformt hat, in ein lebendiges Wesen. Deshalb bezeichnet das für Gottes Atem gebrauchte Wort zugleich Gottes dynamische Gegenwart, die lebendig macht. Anderwärts bezeichnet dieses Wort Gottes Kraft, die auf Erden an Gottes Stelle selbständig wirkt. Hier liegt es nahe, von »Gottes Geist« zu sprechen. Der wird geradezu dinglich vorgestellt und kann wie eine Flüssigkeit in Menschen eindringen (Ri 14,6), sie bekleiden (Ri 6,34) oder anderweitig von ihnen Besitz ergreifen (lSam 10; Jes 59,21), sie in Dienst nehmen und mit Energie erfüllen (Jes 11,2; 4Mose 11). Wie eng »Wind« und »Geist« zusammenhängen, sieht man in Ps 104,4. Dort erscheinen die vier Winde als Gottes Boten und machen seine Allgegenwart anschaulich.

In der persischen Zeit redet man häufig vom »Geist« Gottes als einer von Gott unterscheidbaren Größe. Sie wird jedoch nur selten als eine eigene Gestalt personifiziert. Gott befindet sich im Himmel, wirkt aber auf Erden durch Dienst- und Mittlergestalten. Zu denen gehört auch der »Geist«. Er ist es, der das Volk durch die Wüste ins Land führt (Jes 63,14), vor dessen Allgegenwart kein Mensch fliehen kann (Ps 139,7) und der den Frommen auf Gottes Wegen leitet (Ps 143,10). Aber es ist auch »der Geist«, der sich in der himmlischen Ratsversammlung bereit erklärt, als Lügengeist im Munde der Propheten Ahab zu betören, dass er in den Krieg zieht und dort umkommt (lKön 22,19-23).

Für die Zukunft kündigt Gott in Hes 36,27 an, dass er seinen Geist in das Innere seines Volkes geben werde, so dass es gar nicht mehr anders kann, als seine Gebote zu halten. Unter der Voraussetzung, dass Gottes Geist im Menschen Platz genommen hat, bittet Ps 51,13 Gott:

Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.

Hier erscheint Gottes Geist geradezu als Gottes Anwesenheit im Beter. Jes 63,1 Of redet denn auch von Gottes »heiligem Geist« im Volk.

»Geist« und Gott werden im Alten Testament weder begrifflich noch sachlich scharf abgegrenzt. Mit dem

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»Geist« ist Gott seManifestationen als ind Gottes Boten. lbst beim Menschen als Kraft, die lebendig macht, in Bewegung setzt und verändert.



Gottes Boten

Das Wort »Engel« bezeichnet himmlische Wesen unabhängig von ihrer Funktion. Es geht auf das lateinische Wort angelus zurück, das einen Boten der himmlischen Welt bezeichnet. Das hebräische Wort für »Bote« wird dagegen für himmlische und irdische Boten gebraucht. Auch sieht man den Boten in der Bibel nicht in jedem Fall an, ob sie von Gott kommen oder lediglich von dieser Welt sind. »Gottes Engel brauchen keine Flügel« (Claus Westermann). Sie werden in der Gestalt eines Mannes vorgestellt. Wenn jedoch ein Mann als »Engel« erkannt wird, also als Bote, den Gott gesandt hat, ist er meist schon verschwunden. Aber dann identifizieren ihn die Menschen, die seiner himmlischen Botschaft gewürdigt waren, in der Regel als »Gott« selbst. Das ist ganz sachgemäß. Weil die Botschaft des Boten ganz die seines Herrn ist, redet der Bote an Stelle seines Auftraggebers. Deshalb ist das Ich des Boten nicht mehr von Gott zu unterscheiden.

Während der mit einer Botschaft Gottes betraute Bote stets als Einzelner auftritt, begegnet in den Überlieferungen von Jakob wenige Male auch eine Vielzahl himmlischer Wesen, die ebenfalls »Boten Gottes« genannt werden. In IMose 28,12 verkehren sie zwischen der irdischen Schlafstatt Jakobs und dem himmlischen Ort JHWHs. In IMose 32,2 identifiziert Jakob die »Boten Gottes« als »(Heer-)Lager Gottes«. Beide Male heißen die Himmlischen »Boten«, obwohl sie keine Botschaft künden. Aber sie sind für Jakob sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes auf Erden. Insofern überbringen sie durchaus eine Botschaft, wenn auch ohne Worte.
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2.1.6 Der Schöpfergott und die Weisheit

Sprüche 8

Sprüche 8 gewährt einen überraschenden Blick vor die Erschaffung der Welt und zeigt, dass der Schöpfer schon da weder als einsamer Gott noch als ein unpersönliches Kraftfeld oder dergleichen vorgestellt wird. Die Weisheit stellt sich dort als eine Frau vor; sie empfiehlt sich selbst, indem sie auf ihren unvergleichlichen Wert hinweist. Für unseren Zusammenhang sind vor allem die Verse 22-31 von Gewicht.

Die Verse 22-26 geben der Weisheit einen zeitlichen Ort vor der gesamten Schöpfung: Die Weisheit wurde »erschaffen« als »Erstling«, will sagen: als Wichtigstes oder Kostbarstes (V. 22f); und sie wurde »geboren«, als alles andere »noch nicht war« (V. 24-26). Mit dem Wechsel der Bilder von »erschaffen« (V. 22) zu »geboren« (V. 24) soll offenbar die exklusive Nähe der Weisheit zum Schöpfergott betont werden. Sie ist die einzige Größe unter allem Geschaffenen, von der gesagt wird, Gott habe sie »hervorgebracht, geboren«. Alle anderen Schöpfungswerke sind dagegen von Gott hergestellt, ausgestattet oder geordnet worden.

Die Verse 27-31 klären die Rolle der Weisheit während der Erschaffung der Welt: Sie war bei der Erschaffung anwesend (V. 27-30a) und spielte dabei eine aktive Rolle (V. 30b-31). Was macht die Weisheit bei Gott? Sie »entzückt Gott täglich«, indem sie »ständig vor ihm spielt« und »scherzt«. Die Weisheit sorgt also offenbar für anregende Unterhaltung, die Gott bei seinem erschaffenden (V. 27-29) und erhaltenden Tun (»allezeit« vgl. V. 30f) inspirierend begleitet. Deshalb schafft Gott erfreut und spielend, was er schafft. Insofern ist die Weisheit als »Erstling« seiner Werke am erschaffenden Handeln Gottes beteiligt. Die Welt als ganze entsteht auf diese Weise - anders als in IMose 1 - aus der Kooperation zwischen der Weisheit und dem Schöpfergott.

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Aber damit ist nur die eine Seite der Weisheit genannt; denn sie vergnügt nicht nur Gott, vor dem sie »spielt« oder »scherzt«. Vielmehr ist ihr ganzes Wesen »Entzücken«, »Vergnügen« (V. 30). Den beiden Sätzen, die in V. 30 das Verhältnis der Weisheit zu Gott beschreiben, entspricht V 31, der das Verhältnis der Weisheit zu den Menschen in den Blick nimmt. Wie also die Weisheit den Schöpfergott entzückt, so macht sie auch den Menschen auf Erden Vergnügen. Die Freude an der Weisheit verbindet Gott und die Menschen. Das leitet unmittelbar zu der Einladung in V. 32-36 über, bei ihr Leben zu suchen und zu finden.

Es ist die Weisheit, die Gott und Mensch in Beziehung bringt, weil sie selber in einer exklusiven Beziehung zu Gott steht. Sie ist das einzige Geschöpf, dem wie dem Schöpfergott selbst Vor- und Außerweltlichkeit zugeschrieben wird. Und sie lässt sich zugleich in Zeit und Raum von den Menschen finden, weil alles aus dem Zusammenspiel zwischen ihr und dem Schöpfergott hervorgegangen ist.



Sirach 24

Das Verhältnis von Weisheit und Gott wird im Sirach-Buch aus dem 3./2. Jahrhundert v.Chr. mehrfach reflektiert. Neue Wege geht vor allem Sir 24, ein großer Selbstpreis der Weisheit (V 1-2). Zwei Redegänge (V. 3-7+8-12) beschreiben den Weg der Weisheit von ihrem vorweltlichen Sein bei Gott (V. 3.9), bis sie auf Gottes Geheiß (V. 8) auf Zion und in Israel einen Ort auf Erden gefunden hat (V. 10-12). Daran schließen sich Mahnungen an, die Weisheit zu hören und anzunehmen. Schließlich wird die Weisheit ausdrücklich mit der Tora vom Sinai identifiziert (V. 23). Diese neuen Deutungen der Weisheit durch Jesus Sirach haben weitreichende Wirkungen entfaltet:

Zwar redet Sir 24,9 wie Spr 8 von der Erschaffung

der Weisheit am Anfang, schließt aber daraus auf deren ewige Unvergänglichkeit. Bei diesem neuartigen Gedanken könnte Gottes Unvergänglichkeit im Unterschied zu allem Geschaffenen in Ps 102,26-28 Pate gestanden haben. Dieses nur Gott zukommende Prädikat wird in Sir 24,9 auf die Weisheit übertragen. Es zeichnet ihre Sonderstellung als uranfängliche Schöpfung aus, also das, was Spr 8,22 mit »Erstling« auf den Begriff bringt.

Zwar hatte schon Spr 8,30 eine geradezu intime Nähe der Weisheit bei Gott betont, Sir 24,3 geht aber noch weiter: »Ich ging hervor aus dem Munde des Höchsten.« Die »Weisheit« (sophia) kann auf diese Weise einerseits als »Wort« (logos) gedeutet werden. Diese Deutung bereitet die Gleichsetzung mit der Tora in V. 23 vor. Die offene Formulierung »hervorgehen aus dem Munde des Höchsten« kann aber andererseits auch auf Gottes »Atem« oder »Geist« {mach) bezogen werden. Das scheint in V 3 b anzuklingen, der mit der Beschreibung der Weisheit als Urnebel an die Schilderung einer »Vorwelt« in Gen 1,2 (2,6) erinnert.

Die Weisheit erscheint nicht nur durch das Element des Thronens, sondern auch ausdrücklich als Herrscherin über den Kosmos und über die Völker (V 5f). Sie ist also keineswegs auf Israel beschränkt, sondern geradezu international. Indem die Weisheit alle diese Räume durchschreitet, nimmt sie den Kosmos als ihren Herrschaftsbereich in Besitz. »Ruhe« (V. 7) aber findet sie nur auf Zion in Israel. Dort »wurzelt sie ein« für immer (V. 12). Auch dabei wird ihre unüberbietbare Nähe zum Gott Israels betont: »Im Anteil des Herrn war mein Erbe« (vgl. 5Mose 32,9).

Neuartig ist nicht der Gedanke des vorweltlichen Ranges der Weisheit, sondern deren dauerhafte Einwur-zelung auf dem Zion. Überdies gründet ihre bleibende Gegenwart in Israel in einem vorweltlichen, also ewigen Beschluss Gottes, wie V. 8f zeigen.

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V. 10 fasst die gesamte Geschichte Israels allein unter dem Gesichtspunkt des Gottesdienstes zusammen - vom Zelt der Begegnung am Sinai bis zum Heiligtum auf dem Zion. Im Gottesdienst kommt Gott den Menschen nahe, so dass sie ihm begegnen. Indem die Weisheit gleichsam als erste Priesterin im Heiligtum erscheint, vermittelt sie die Nähe Gottes. Ganz auf dieser Linie liegt die Verbindung von Weisheit und Tempelmetaphorik. Die Weisheit erscheint in einer Verbindung von Welten- und Lebensbaum (V. 13-18), als Paradies- und Tempelgarten (V. 30-31). Mit dem Gottesdienst aber sind dessen Ordnungen und Gottes Weisungen in der Tora ungenannt im Blick.

Zahlreiche Vergleiche, Metaphern und Bilder verbinden ab V. 13 die Weisheit mit der Tora. Man vergleiche Honig und Honigwaben in V. 20 mit Ps 19,11. Schließlich identifiziert Sir 24,23 diese Weisheit ausdrücklich mit der Tora und zitiert dazu 5Mose 33,4:

Dies alles ist das Bundesbuch des höchsten Gottes, das Gesetz (tora), das uns Mose aufgetragen hat als Erbe für die Gemeinden Jakobs.

Was hier Tora genannt wird, ist bereits ein Buch, entweder das 5. Mosebuch oder - wahrscheinlicher - der Kanonteil »Tora«, der die Bücher 1.-5. Mose umfasst. Dafür könnte auch der Titel »Bundesbuch« sprechen, der in Sir 39,1 für die fünf Bücher Mose gebraucht wird.



2.1.7 »Mein Gott bist du«

JHWH war zunächst der Staats- und Dynastiegott in Ju-da und in Israel. Aber er wurde schon in der Königszeit zunehmend für die Beamtenschaft und für breitere Kreise des Volkes das, was er für das Königshaus ohnehin war: Schutzgott des Einzelnen. Die Zunahme der mit dem Gottesnamen JHWE gebildeten Personennamen in der Königszeit spricht eine deutliche Sprache. »JHWH,

der Gott Israels« ist nun für viele zugleich »mein Gott« geworden. Er garantiert jetzt nicht mehr nur die kosmische Ordnung und über den König die Abwehr der Feinde nach außen sowie den Schutz der Schwachen im Inneren. Vielmehr binden einzelne und Familien ihr Wohlergehen an seine Fürsorge.

Vollends nach der Zerstörung des Ersten Tempels 587 v. Chr. durchdringen die am Jerusalemer Tempel gepflegten Vorstellungen und die persönliche Frömmigkeit einander. Manche Motive der Tempeltheologie werden individualisiert und als Metaphern von der persönlichen Frömmigkeit aufgenommen und dabei umgeformt. Sie leben außerhalb des Tempels fort und wandeln sich dabei (vgl. Ps 42/43; 84). Als Beispiel diene der Grundbestand von Psalm 63:

2 >JHWH<, mein Gott bist du. Gegenwart


Immerwieder suchte ich dich. Rückblick



Nach dir hat meine Seele gedürstet,

geschmachtet nach dir mein Fleisch

in einem Land, dürr und erschöpft, ohne Wasser.

So hatte ich im Heiligtum Ausschau gehalten nach dir,


zu sehen deine Macht und deine Herrlichkeit.

»Ja, deine Güte ist besser als Leben!« - Gegenwart


loben dich meine Lippen.

So preise ich dich mein Leben lang, erhebe in deinem Namen


meine Hände.

Wie an Mark und Fett (= Festmahl) sättigt sich meine Seele,


und mit jubelnden Lippen rühmt dich mein Mund.

Wenn ich deiner gedachte auf meinem Lager, Rückblick i


n den Nachtwachen immer wieder dir nachsann,

ja, (dann) bist du mir Hilfe geworden,

so dass ich im Schatten deiner Flügel jubeln kann.

9 Geklammert hat sich meine Seele an dich,

mich hält deine Rechte. Gegenwart

Schon der erste Satz zeigt die veränderte Perspektive an: »JHWH, mein Gott bist du.« Er hat den Charakter eines Bekenntnisses: Du und kein anderer bist »mein Gott«.

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Der Beter steht in einem persönlichen Verhältnis zu diesem Gott. Die beiden letzten Sätze (V. 9) fassen zusammen, was das bedeutet: »An dich habe ich mich geklammert; mich hält deine Rechte.« Deshalb weiß sich der Beter in diesem »Du« geborgen.

Diese Geborgenheit »in Gott« versteht sich nicht von selbst. Sie stellt sich auch nicht automatisch ein. Das zeigen die beiden Rückblicke auf Erfahrungen der Ohnmacht und der Ferne Gottes, die in den Versen 2f und 7-9 vorausgesetzt sind. Auf dem Hintergrund dieser negativen Erfahrungen kommt die Sehnsucht nach »meinem Gott« umso eindringlicher zu Wort. Leitwort des Psalms ist das mit »Seele« nur unzureichend wiederzugebende hebräische Wort, das in jedem Abschnitt vorkommt (V. 2.6.9). Der Beter streckt sich mit jeder Faser seines Lebens nach seinem Gott aus.

Dabei hat der Beter die Erfahrung gemacht, dass ihm sein Gott gerade dann hilfreich nahe kommt, wenn er an ihn denkt und über ihn nachsinnt (V. 7). Sein Gedenken schließt die Erinnerungen der eigenen Geschichte mit diesem Gott ein, Erinnerungen, die durchweg von Tempelmotiven bestimmt sind. Selbst die Wüste, die Gottes Verborgenheit bei seinem Frommen hinterlassen hat, ist nichts anderes als ein Gegenbild zum Himmel auf Erden im Tempel. Mit diesem Nachsinnen holt der Beter seinen Gott und den fernen Tempel mit deren Heil in seine alltägliche Welt. So führen die schlaflosen Nächte nicht zur Depression, sondern zum Jubel im Schatten der schützenden Fittiche Gottes.

Dieses persönliche Gottesverhältnis trägt durch die Erfahrungen der Gottferne und Anfechtung: Der Beter dürstet nach seinem Gott (V. 2-3), sättigt sich an seiner Nähe wie an einem Festmahl (V. 4-6) und wird am Ende von seiner Rechten gehalten (V. 7-9). Aus dieser Verbundenheit zwischen Gott und Mensch erwächst in V. 4 als tiefste Erkenntnis: »Deine Güte ist besser als Leben.«



2.2. Gott als Person nach dem Zeugnis des Neuen Testaments

2.2.1 Bildliches Reden von Gott

Der Gott, von dem die neutestamentlichen Autoren sprechen, ist der Gott Israels. Insofern wirken die altte-stamentlichen Gottesaussagen und -Vorstellungen im Neuen Testament fort. Die biblischen Texte Israels sprechen, wie wir im Abschnitt »Gottes Gestalt« gesehen haben, von Gott bisweilen so, dass sie menschliche Attribute auf Gott anwenden. Denen, die solche Aussagen formulierten, war aber immer bewusst, dass sie in bildlicher Redeweise sprechen, zumal in den biblischen Texten konkrete Abbilder Gottes strikt abgelehnt werden.

In den Schriften des Neuen Testaments tritt das bildliche Sprechen von Gott deutlich zurück. Es begegnet aber nach wie vor etwa die Rede vom »Angesicht Gottes« - meist im Zusammenhang von Zitaten aus dem Alten Testament. So wird in IPetr 3,10-12 die Mahnung, Gutes zu tun (V. lOf), mit Ps 34,16-17 verbunden:

Denn die Augen des Herrn sind gerichtet auf die Gerechten

und seine Ohren ihrer Bitte zugewandt;

das Antlitz des Herrn aber steht gegen die, die Böses tun.

Solche Redeweise findet sich aber auch ohne einen direkten Bezug zur biblischen Tradition. So sagt Jesus in Mt 18,10, man dürfe den Kleinen keinen Schaden zufügen, denn »ihre Engel im Himmel schauen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel«; und Paulus schreibt in 1 Kor 13,12: »Jetzt sehen wir alles in einem Spiegel, in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht.« Paulus erläutert dies mit den Worten: »Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch ganz erkannt worden bin.« Dadurch wird klar, dass das Bild vom »Angesicht«

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dazu dient, das unmittelbare Gegenüber des Menschen zu Gott auszusagen.

Nicht anders als das Alte Testament denkt auch das Neue Testament Gott nicht so, als hätte er eine menschliche Gestalt oder Gefühle wie ein Mensch. Dennoch können neutestamentliche Autoren von Regungen Gottes sprechen, die »menschlich« sind: Gottes Liebe, Gottes Barmherzigkeit oder auch Gottes Zorn. Und auch im Reden von Gott als Vater wird ein auf Menschen bezogener Begriff auf Gott übertragen. Gerade hier wahrt das Neue Testament aber zugleich eine besondere Zurückhaltung. Das zeigen die Überlieferungen von der wunderbaren Geburt Jesu in Lk 1 und Mt 1: Der Gedanke, Gott als »Vater« habe mit Maria den gemeinsamen Sohn Jesus im eigentlichen Sinne »gezeugt«, liegt den Erzählungen fern. Und wenn Jesus als »Sohn Gottes« bezeichnet wird, so ist das, anders als bei scheinbar ähnlichen Aussagen in zeitgenössischen Religionen, nicht biologisch gemeint, sondern metaphorisch. Die Evangelisten Matthäus und Lukas schreiben, dass Maria »durch den Heiligen Geist« schwanger wurde, aber das ist - wie schon Lk 2 zeigt (vor allem 33.48) - nicht so gemeint, als hätte Jesus keinen menschlichen Vater gehabt.

In Lk 11,20 sagt Jesus, dass er die Dämonen austreibt »mit dem Finger Gottes«. Gelegentlich ist auch von der »Hand Gottes« bzw. von der »Hand des Herrn« die Rede (Lk 1,66; Apg 11,21; Hebr 10,31); aber an all diesen Stellen denken die Autoren natürlich nicht an »Körperteile« Gottes, sondern sie bringen sein machtvolles Eingreifen zum Ausdruck.



2.2.2 Namen Gottes

Der Name als Zeichen der Zugehörigkeit zu Gott

Gott hat in den neutestamentlichen Schriften keinen Eigennamen, auch wenn gelegentlich von dem »Namen«

Gottes gesprochen wird (1 Tim 6,1; 2 Tim 2,19). Mit dem »Namen Gottes« wird die Zugehörigkeit der Christen zu Gott und zur Gemeinde zum Ausdruck gebracht; wer den »Namen Gottes« trägt, gehört zu Gott, und das schließt auch die Verpflichtung ein, entsprechend zu handeln. Darum erfolgt die christliche Taufe »auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« (Mt 28,19), oder es wird »auf den Namen Jesu« getauft (Apg 8,16 u.ö.). Damit wird der oder die Getaufte Gott bzw. Jesus gleichsam »zugesprochen«.

In Anlehnung an alttestamentliche Sprache oder in Zitaten aus dem Alten Testament wird auch vom »Anrufen« des Namens gesprochen. Dabei ist vorausgesetzt, dass der so Angerufene als Person verstanden ist (vgl. Rom 10,13: »Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden«; 1 Kor 1,2: »... die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen«). Es kann sogar »der Name« unmittelbar für die Person und für den mit ihr verbundenen Inhalt stehen. So heißt es in dem »Apostelbrief« in Apg 15,26, dass Paulus und Bar-nabas »ihr Leben eingesetzt haben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus«, sie haben also für Christus und für seine Botschaft ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Wenn in Joh 2,23 gesagt wird, dass »viele an seinen Namen glaubten«, dann bedeutet dies, dass viele Menschen an Jesus glaubten, dass sie seiner Botschaft vertrauten.

Sehr häufig finden wir im Neuen Testament die Gottesbezeichnung kyrios, »der Herr«. Das entspricht der oben im Einzelnen dargestellten Wiedergabe des Gottesnamens Jahwe (JHWH) in der griechischen Fassung des Alten Testaments, der Septuaginta. Der Begriff kyrios begegnet aber häufig auch als Hoheitsbezeichnung für Jesus Christus, so sehr oft in den Briefen des Paulus und beispielsweise auch in der Weihnachtsgeschichte (Lk 2,11). In manchen Aussagen stehen Gott und Jesus

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Christus als der Herr in einer unmittelbaren Beziehung zueinander; so schreibt Paulus in 1 Kor 6,14: »Gott hat den Herrn auferweckt, und er wird auch uns auferwek-ken durch seine Kraft«, und in 1 Kor 8,6 heißt es, dass es zwar vielleicht »viele Götter und viele Herren« geben mag (V. 5), dass aber

für uns nur ein Gott ist, der Vater,

von dem her alles ist und wir auf ihn hin,

und ein Herr, Jesus Christus,

durch den alles ist und wir durch ihn.

In dem hymnisch formulierten Text Phil 2,6-11 wird im zweiten Teil gesagt, dass Gott den am Kreuz Gestorbenen erhöht hat und dass er ihm geschenkt hat »den Namen, der über jedem Namen ist«. Damit ist offenbar gemeint, dass Jesus zum kyrios, zum Herrn, eingesetzt wurde; durch die abschließende Wendung in Vers 11 wird aber deutlich, dass dies alles geschieht »zur Ehre Gottes, des Vaters«, wodurch die Überordnung Gottes über Jesus Christus nochmals ausgesprochen wird.

Gott, der Vater

Die am häufigsten gebrauchte neutestamentliche Gottesbezeichnung ist der Vater. Jesus spricht in der Bergpredigt, aber auch sonst sehr oft, von »eurem Vater in den Himmeln«. Weil Jesus als Sohn Gottes geglaubt wird, dürfen die Glaubenden Gott ebenfalls als »Vater« ansprechen. Jesus lehrt die Jünger und damit die Gemeinde, im Gebet so zu Gott zu sprechen: »Vater« (Lk 11,2) bzw. »Unser Vater in den Himmeln« (Mt 6,9). Als Anrede im Gebet wird die Bezeichnung Gottes als »Vater« zum Namen.

Man kann das ganze Vaterunser-Gebet, vor allem in der längeren Fassung im Matthäusevangelium, als eine Auslegung der Beziehung des Menschen zu Gott verstehen: Weil Gott in seiner Souveränität (Mt 6,9) sich als

»der Vater« dem Menschen als seinem »Kind« zuwendet, dürfen wir Gott um die tägliche Nahrung, um die Vergebung von Schuld und um Befreiung von der Macht des Bösen bitten, und wir dürfen dankbar darauf vertrauen, dass Gott dies gewähren wird. Die Bitte um Vergebung wird ergänzt durch den Satz: »... wie auch wir vergeben haben jenen, die an uns schuldig geworden sind« (Mt 6,12b). Dies zeigt, dass die Gottesbeziehung des Menschen und die gegenseitige Beziehung von Menschen einander entsprechen.



Gott als Herrseber

Jesus spricht in seiner Verkündigung vom »Reich Gottes«, wörtlich: von der »Königsherrschaft Gottes«; dabei ist Gott zumindest indirekt als »König« gedacht. Aber als eigentliches Gottesprädikat begegnet das Wort »König« lediglich in Mt 5,35 (und daneben als Christustitel in Mt 21,5) sowie in lTim 1,17; 6,15 und in Apkjoh 15,3; 17,14.

Ganz selten wird von Gott als dem Pantokrator, als dem »Allherrscher« gesprochen. Außer in 2 Kor 6,18, innerhalb des vermutlich nicht von Paulus verfassten Textabschnitts 2 Kor 6,14-7,1, ist dieses Gottesprädikat nur in der Johannesoffenbarung belegt (4,8; 11,17 u.ö.); dort steht im Hintergrund wohl die Zurückweisung der Tendenz der römischen Kaiser im zweiten Jahrhundert, den Titel Autokrator, also »Selbstherrscher« für sich zu beanspruchen. Bisweilen wird Gott als Retter, Heiland bezeichnet (Lk 1,47, öfter in den Pastoralbriefen); das Wort begegnet häufiger als Titel für Jesus (beispielsweise in Lk 2,11; Apg 13,23; Phil 3,20). Gott wird der Lebendige genannt (z.B. in Mt 16,16; Apg 14,15), und er wird mit Blick auf sein österliches Handeln an Jesus auch bezeichnet als der, der lebendig macht (Rom 4,17). Ähnlich wird im Sinne einer geradezu formelhaften Wendung von Gott gesagt, dass er der ist, der Jesus aufer-

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weckt hat (Rom 4,24; 8,11 u.ö.). Neutestamentliche Autoren wissen selbstverständlich, dass Gott der Schöpfer ist (Rom 1,25; Eph 3,9) und dass er der ist, der Leben schafft und erhält (1 Tim 6,13); aber ausdrücklich gesagt wird das eher selten.

2.2.3 Die Rede vom Handeln Gottes in den drei ersten Evangelien

Wie sprechen die neutestamentlichen Texte vom Handeln Gottes? Erzählen sie, dass Gott »persönlich« und unmittelbar in ein Geschehen eingreift? Wird gesagt, dass Gott mit Jesus oder mit anderen Menschen persönlich spricht, im Sinne einer unmittelbaren Kommunikation gleichsam von Person zu Person? Im Alten Testament ist von einem solchen Reden und Handeln Gottes sehr oft die Rede; gibt es ähnliche Aussagen auch in den erzählenden Schriften des Neuen Testaments?



Gott und Jesus im Markusevangelium

Im Markusevangelium ist von Gott als einer handelnden Person gar nicht die Rede; es wird nicht einmal gesagt, dass Gott »spricht«. Bei Jesu Taufe ist es »eine Stimme aus dem Himmel«, die zu Jesus sagt: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen« (1,11, vgl. Ps 2,7). Und bei Jesu Verklärung sagt »eine Stimme aus der Wolke« zu den Jüngern: »Dies ist mein geliebter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören!« (Mk 9,7). Gewiss denkt der Erzähler bei diesem »Ich« an Gott als den Sprecher; aber es fällt doch auf, dass dies nicht ausdrücklich gesagt wird. Offenbar sollen die Leserinnen und Leser nicht denken, Gott habe das Tauf- bzw. Verklärungsgeschehen gleichsam »von oben« beobachtet und dann entsprechend »kommentiert«.

In Mk 7,6 zitiert Jesus das Gotteswort aus Jes 29,13 (»Weil dieses Volk sich mit seinem Mund und mit seinen Lippen genähert hat, weil sie mich so zwar geehrt haben, sein Herz aber fern ist von mir ...«) in einer verkürzten Fassung (»Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, ihr Herz aber hält sich fern von mir«), und er zitiert in 7,10 auch das Dekaloggebot »Ehre deinen Vater und deine Mutter« (2Mose 20,12); aber beide Aussagen werden nicht direkt als Aussagen Gottes eingeführt, sondern als Wort Jesajas (»wie geschrieben steht«, Mk 7,6) bzw. als Aussage des Mose (Mk 7,10). Dabei hätte es in beiden Fällen durchaus nahe gelegen, die Zitate mit einer Wendung wie »Gott hat gesagt« einzuleiten; aber der Evangelist vermeidet es offensichtlich bewusst, so direkt vom Reden Gottes zu sprechen.

In seinem Streitgespräch mit den Sadduzäern (Mk 12,18-27) zitiert Jesus in Vers 26 das Gotteswort aus der Szene am Dornbusch (2Mose 3,6) mit den Worten: »Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs«. Eingeleitet wird diese Aussage mit der rhetorischen Frage: »Habt ihr nicht gelesen im Buch des Mose in (der Geschichte vom) Dornbusch?«, doch dann folgt der Hinweis darauf, dass Gott der Sprecher ist. Jesu Folgerung (V. 27): »Er ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden« macht deutlich, dass Gott als Person gedacht ist.

Will das Markusevangelium möglicherweise sagen, dass Jesus das Handeln und die Gegenwart Gottes irdisch repräsentiert? In der Erzählung von der Heilung des Gelähmten (Mk 2,1-12) spricht Jesus dem zu ihm gebrachten Menschen die Sündenvergebung zu (V. 5b). Die anwesenden Schriftgelehrten wenden ein, dies dürfe allein Gott; aber Jesus beweist durch sein Heilungswunder, dass er die Vollmacht zur Sündenvergebung auf Erden besitzt. Jesus vertritt also Gott, und die Anwesenden bestätigen dies, indem sie angesichts des Wunders nicht den Wundertäter preisen, sondern Gott (V. 12).

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Gottes Zuwendung zum Menschen: Lukasevangelium und Apostelgeschichte

Im Lukasevangelium gewinnt man schon im ersten Kapitel bei dem Gespräch des Engels Gabriel mit dem Priester Zacharias den Eindruck, dass Gott sich unmittelbar um das menschliche Geschick kümmert: Gabriel wurde gesandt (Lk 1,19), um dem Zacharias die frohe Botschaft von der wunderbaren Schwangerschaft seiner Frau Elisabeth zu bringen; dabei ist natürlich Gott als der Sendende gedacht. Als Gabriel dann auch zu Maria gesandt wird (1,26), da lautet seine Botschaft (l,30f): »Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott: Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben.« Maria fragt: »Wie soll das geschehen, da ich doch von keinem Mann weiß?«, doch dieser Einwand wird zurückgewiesen: »Heiliger Geist wird über dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten«. Solches Reden vom Handeln Gottes entspricht alttestamentlicher Redeweise; aber der Beginn der Schwangerschaft, also die Zeugung des Kindes, wird mit keinem Wort erwähnt. Gott ist auch im Lukasevangelium, ebenso wie bei Markus, nicht als unmittelbar handelnde Person im Geschehensablauf dargestellt.

In der Apostelgeschichte des Lukas begegnet innerhalb der Rede des Paulus auf dem Areopag in Athen (Apg 17) die abstrakte Rede von »dem Göttlichen«: Der lukani-sche Paulus wendet sich in seiner Rede an die stoischen und epikureischen Philosophen und sagt ihnen (V. 29), man dürfe nicht meinen, »das Göttliche« sei vergleichbar mit Gold oder Silber oder Stein, einem Gebilde der Kunst und Erfindungsgabe des Menschen. Hier übernimmt Lukas offenbar sehr bewusst die Sprache und die Denkkategorien der Philosophie. Aber ebenso bewusst lässt Lukas den Paulus dann sofort anschließend in V. 30f wieder von

Gott als handelnder Person sprechen, unter direkter Bezugnahme auf das Handeln Gottes an Jesus:

Doch über die Zeiten der Unwissenheit sieht Gott nun hinweg und ruft jetzt alle Menschen überall auf Erden zur Umkehr. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, indem er ihn vor allen Menschen beglaubigte durch die Auferstehung von den Toten.



Gottes Reden und Handeln in der Geschichte: Das Matthäusevangelium

Auch im Matthäusevangelium ist von einem unmittelbaren Eingreifen Gottes in das erzählte Geschehen nicht die Rede. Eine indirekte Ausnahme zeigt vielleicht die Szene der Verhaftung Jesu im Garten Gethsemane: Als Petrus zum Schwert greift, sagt Jesus (Mt 26,53): »Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten und er würde mir nicht sogleich mehr als zwölf Legionen Engel zur Seite stellen?« Es folgt aber sofort die rhetorische Frage: »Doch wie würden dann die Schriften in Erfüllung gehen, nach denen es so geschehen muss?« Es liegt also der Gedanke vor, dass Gott auf wunderbare Weise »von außen« in das irdische Geschehen eingreifen könnte, aber Jesus verzichtet darauf, eine entsprechende Bitte auszusprechen.

Vor allem im Zusammenhang alttestamentlicher Zitate setzt Matthäus hinsichtlich der Rede vom Handeln Gottes gegenüber dem Markusevangelium auch einige neue Akzente. So verweist Matthäus, anders als Lukas, als Beleg für den Gedanken der Jungfrauengeburt auf das alttestamentliche Wort in Jes 7,14, wo in der griechischen Übersetzung (LXX), im Unterschied zum hebräischen Text, nicht von einer jungen Frau, sondern ausdrücklich von einer Jungfrau gesprochen wird: »Siehe, die Jungfrau ist schwanger, und sie gebiert einen Sohn.« Das Zitat wird in Mt 1,22 eingeleitet mit der Wendung:

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»Was der Herr durch den Propheten gesagt hat ...«, d.h. es ist vorausgesetzt, dass Gott der Autor des durch den Propheten gesprochenen Wortes ist. In Mk 7,10 hatte Jesus das Zitat des Elterngebots aus dem Dekalog eingeleitet mit der Wendung »Mose hat nämlich gesagt«; jetzt heißt es in Mt 15,4: »Gott nämlich hat gesagt«. Dieselbe Korrektur weist das Streitgespräch mit den Sadduzäern über die Auferstehung auf: Jesus sagt nicht wie in Mk 12,26: »Wie Gott zu ihm [sc. Mose] gesagt hat«, sondern er sagt in Mt 22,31: »Habt ihr nicht gelesen, was euch von Gott gesagt ist?« Der Evangelist Matthäus hat also weniger Scheu als Markus, unmittelbar vom »Reden Gottes« in der Heiligen Schrift, also im Alten Testament, zu sprechen.

Zwei Gleichnisse im Matthäusevangelium sprechen bildhaft von Gott als handelnder Person: Der Gutsherr, der während des ganzen Tages Arbeiter in seinen Weinberg ruft und ihnen am Ende, trotz höchst unterschiedlicher Arbeitsleistung, denselben Lohn auszahlt (20,1-15), steht sicherlich für Gott. Und wenn das Gastmahl-Gleichnis in Mt 22,1-14 im Unterschied zu Lukas (14,16-24) von einem »König« spricht, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtet, dann ist offensichtlich ebenfalls an Gott gedacht.



2.2.4 Gott in der Theologie des Paulus

Der eine Gott und der eine Herr Jesus Christus

Der Apostel Paulus denkt Gott selbstverständlich als personales Gegenüber. Paulus wendet sich in Dank, Bitte und Fürbitte an Gott, und er ist davon überzeugt, dass Gott ihn hört; allerdings zitiert er niemals ein »Gespräch« mit Gott. In 2 Kor 12,8f spricht er davon, dass er »den Herrn« dreimal darum gebeten habe, dass der »Satansengel«, unter dem er litt, von ihm ablassen möge. Die Antwort des »Herrn« - vermutlich ist Christus gemeint - lautete aber: »Du hast genug an meiner Gnade, denn die Kraft findet ihre Vollendung am Ort der Schwachheit« (nach der Luther-Bibel: »Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig«). Paulus fährt fort: »So rühme ich mich lieber meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir Wohnung nehme.«

Als Jude weiß Paulus, dass Gott Einer ist (Rom 3,30; 1 Kor 8,6; Gal 3,19), und selbstverständlich ist der Gott Israels der einzige Gott. Paulus weiß auch, dass es in der Welt »viele Götter und viele Herren« gibt (1 Kor 8,5). Aber »wir« haben mit diesen Göttern nichts zu tun: »Für uns ist ein Gott, der Vater«, Ursprung und Ziel des Lebens (»von dem her alles ist und wir auf ihn hin«), und daneben ist Christus der »eine Herr« (»durch den alles ist und wir durch ihn«). Die Einzigkeit Gottes wird durch Christus aber nicht etwa eingeschränkt, sondern sie wird durch ihn im Gegenteil bestätigt (1 Kor 8,6). Das kommt auch im zweiten Teil von Phil 2,6-11 in den Versen 9-11 zum Ausdruck: Der durch Gottes Handeln Erhöhte erhält den einzigartigen »Namen« kyrios (»Herr«), aber das geschieht »zur Ehre Gottes, des Vaters«.

Gott, der Schöpfer

Paulus spricht davon, dass Gott handelt. In Rom 4,17 schreibt der Apostel, dass Abraham dem Gott glaubte, »der die Toten lebendig macht und was nicht ist, ins Dasein ruft«. Die erste dieser Aussagen (»der die Toten lebendig macht«) bezieht Paulus auf Gottes Handeln an Christus: Gott ist der, »der Jesus, unsern Herrn, von den Toten auferweckt hat« (Rom 4,24). Die zweite Aussage (»der das, was nicht ist, ins Dasein ruft«) ist ein Verweis auf Gottes Handeln als Schöpfer, vielleicht sogar der Gedanke einer »Schöpfung aus dem Nichts«. Die Wendung »Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat« ist möglicherweise geradezu ein festes Gottesprädikat. Und



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