Evangelische Impulse Band 3 Mit Gott reden



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Das Verständnis des dreieinigen Gottes als Liebe hat darum weitreichende Konsequenzen für alles, was die Christenheit im Glauben an Gott von Gott bezeugt und im Leben darzustellen trachtet. Denn alles, was sie von Gott sagt und wofür sie eintritt, muss sich, wenn der Gott ihres Glaubens der dreieinige Gott ist, mit der Liebe reimen. Dass dies in der Geschichte der christlichen Kirche nur gebrochen der Fall gewesen und auch heute nicht einfach selbstverständlich ist, hängt vielleicht damit zusammen, dass sich in ihr immer wieder ein EinGott-Glaube durchgesetzt hat, der die Beziehungen der Liebe, in denen Gott ist und handelt, nicht ernst genommen hat. Wenn wir aber verstanden haben, dass der Gott des christlichen Glaubens die Liebe ist, dann stehen wir vor der Aufgabe, alles, was von Gott - von seiner Macht, seiner Ewigkeit, seiner Wahrheit und Gerechtigkeit, aber auch von seinem Zorn - weiter zu sagen ist, auf die Liebe zu beziehen, die das Leben des ewigen, dreieinigen Gottes ausmacht und sein Handeln in Jesus Christus und in Israel bestimmt.

Was aber unser Interesse am Personsein Gottes betrifft, so ist klar, dass die Liebe, die Gott ist, niemals unpersonal verstanden werden kann. Der trinitarische Glaube an Gott ist die Absage an alle Versuche religiöser Gewitztheit, einen unpersonalen Gott hinter seinem offenbaren Wesen als Liebe aufzuspüren. Es gibt kein Beispiel, dass solches Bemühen je der Wahrheitsverantwortung des christlichen Glaubens an Gott gedient hat. Im Unterschied dazu bringt der Glaube an den dreieinigen Gott, der sich der Anrede der trinitarischen Personen und insbesondere des Heiligen Geistes verdankt, Gott immer als uns anredendes, sich zuwendendes, hingebendes Du zur Sprache. Denn dieser Glaube lebt ja zuallererst darin, dass er sich selber eingeladen findet, auf die Anrede des dreieinigen Gottes selbst zu antworten und ihn als Vater, Sohn und Geist anzurufen. Personales Reden von Gott ohne solche Anrufung ist hohl und abstrakt. Es kann angesichts der unabsehbaren Dimensionen von Geschichte, welche der dreieinige Gott

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mit der Menschheit und mit jedem einzelnen Menschen eröffnet, nur bittend verantwortet werden.

4.4 Die Glaubenserfahrung des Schöpfers, Versöhners und Erlösers

Wir können den Glauben an den dreieinigen Gott nach dem Gesagten schwerlich als Fixierung auf die individuelle Religiosität von Menschen verstehen. Schon eingangs haben wir deutlich gemacht, dass in ihm eine universale Geschichte Gottes mit der Menschheit vergegenwärtigt wird. Wer an den dreieinigen Gott glaubt, wird nicht in den religiösen Winkel getrieben, sondern an einer umfassenden Geschichte Gottes mit der Welt von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende beteiligt. Dieser Glaube widersteht darum aller religiösen Privatisierung des Gottesglaubens, die für unsere Zeit des religiösen Pluralismus charakteristisch sein soll. Er verneint die »private« Zuspitzung des Glaubens nicht schlechthin. Für jeden Menschen hat der Glaube auch eine besondere persönliche Ausrichtung. Der Glaube an den dreieinigen Gott aber vereinigt in sich beides: das Teilnehmen an Gottes großer Absicht mit der Weltgeschichte und das intime Verbundensein mit Gott, dessen der Heilige Geist einen Menschen gewiss macht.

Dabei geben die trinitarischen Personen, in denen Gott uns begegnet, der Gotteserfahrung des Glaubens jeweils eine bestimmte Prägung. In der Beziehung auf den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist wird dem Glauben jeweils eine besondere Dimension der Wirklichkeit Gottes gegenwärtig. So begegnet der Vater uns in seiner uns unendlich überlegenen Schöpfermacht, in der er alles, was ist, ins Dasein ruft und im Dasein erhält. Ohne Ehrfurcht vor dieser uns überlegenen Macht kann der Glaube an Gott nicht sein. Aber diese Ehrfurcht macht uns nicht klein und unwichtig. Weil der Sohn die Schöpfermacht Gottes mit bestimmt, lernen wir es als Auszeichnung und Ehrung unseres geschöpflichen Seins zu verstehen, dass der Schöpfergott uns Menschen in Raum und Zeit zu Partnerinnen und Partnern seiner göttlichen Macht erwählt und bestimmt. Indem wir uns als Geschöpfe dieses Gottes verstehen können, ist es mit uns unendlich weit her. Unser Leben, alles menschliche Leben, hat den Sinn, in der Gemeinschaft mit dem Schöpfer-Gott aufzublühen und an einer Geschichte teilzuhaben, die von Ewigkeit und zu Ewigkeit währt.

In der Realität unseres geschöpflichen, irdischen Daseins ist die Absicht des Schöpfers mit uns bis zur Unkenntlichkeit von Unglauben, Irrglauben und nicht zuletzt von den Untaten seiner Geschöpfe zersetzt, zerfetzt und verleugnet. Gott, der gekreuzigte Sohn, führt das einem glaubenden Menschen täglich vor Augen. Er treibt ihm allen religiösen Illusionismus aus, der meint, die Menschheit aus menschlicher Kraft bessern zu können. Wer an Jesus Christus glaubt, ist demgegenüber Realist. Aber er ist Realist ohne Resignation. Denn er lernt im Glauben an diesen von Menschen geschändeten Gottessohn, dass allein die Gewaltlosigkeit der Liebe, die im Leiden mit Gottes Geschöpfen das Böse entmachtet, Zukunft hat. An der Seite Jesu Christi ist die weltliche Ohnmacht, zu welcher der dreieinige Gott im Sohne Gottes fähig ist, keine Schwäche, sondern eine Gotteskraft zu neuem Leben in der Freiheit vom Bösen und von der Sünde.

Der Glaube an den dreieinigen Gott und damit auch die Freiheit des christlichen Lebens sind in der Welt, in welcher das Böse und die Sünde noch Macht haben, von vielen Seiten bedroht und angefochten. Die Fragen, warum Gott es zulässt, dass Menschen unschuldig leiden müssen, warum der Unglaube solche Triumphe feiert, warum die Religionen zerstritten sind und was ange-

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sichts wirklicher und prophezeiter Katastrophen aus unserer Erde werden soll, setzen heute jedem zu, der an den dreieinigen Gott glaubt. Es sind Fragen, denen wir nicht standhalten könnten, wenn der Heilige Geist uns nicht unablässig der Klarheit und Weisheit des Weges versichern würde, den der trinitarische Gott mit der Menschheit geht. Er macht uns persönlich gewiss, dass wir zu Gott gehören und dass in Gott die Antwort auf unsere Fragen zu suchen ist. Er schenkt uns Gotteserkenntnis inmitten der Herausforderungen unserer Zeit und unseres Lebens. Er inspiriert uns, Gott immer klarer den Menschen zu bezeugen. Er eröffnet uns Möglichkeiten, so zu handeln und uns so zu verhalten, wie es Gott gefällt und unseren Mitmenschen zugute kommt. Er belebt immer aufs Neue die Hoffnung, dass der dreieinige Gott unser Leben und die Welt mit der Liebe vollenden wird, die er uns als Vater und Sohn schon erwiesen hat.


5. Leben und Reden aus der Begegnung mit Gott als Person

Bei der theologischen Besinnung auf Gott als Person ist deutlich geworden: Der in sich beziehungsreiche Gott geht über sich hinaus, lässt die unerschöpfliche innergöttliche Liebe überströmen, um den Geschöpfen Anteil an dieser Liebe zu geben. Darin erfährt die Personalität Gottes ihre letzte Bestimmung: Der biblische Gott ist zu einer Hingabe fähig, die aller Lieblosigkeit, ja sogar dem Tod trotzt. Das Person-Geheimnis Gottes wird hier offenbar - und zum Grund menschlichen Personseins. Von daher ist zu bedenken, was Gottes Personsein für das Verständnis und die Bewährung menschlicher Personalität bedeutet. Abschließend wird illustriert, weshalb der christliche Gottesdienst der zentrale Ort des Lebens und Redens aus der Begegnung mit Gott als Person ist.


5.1 Gottes Personsein als Grund menschlichen Personseins - die kulturelle und gesellschaftliche Relevanz der Rede von Gott als Person

Die Wahrnehmung, dass Gott Person ist, bestimmt entscheidend unser Verständnis der menschlichen Personalität. In den bisherigen Darlegungen hat sich gezeigt, dass durch die biblischen Zeugnisse und das theologische Nachdenken unser Verständnis menschlichen Personseins von Gott her neu entworfen und weiter entwickelt wird. Welche Konsequenzen sich daraus für die Bewährung menschlicher Personalität ergeben, soll nun für

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die heutige Lebenswirklichkeit exemplarisch aufgezeigt werden.

Menschliches Personsein als Zusage

Menschliche »Personalität« ist keine Eigenschaft des Menschen, sondern sie wird ihm zugesprochen. Die jedem Menschen als Geschöpf zukommende Würde der Person gründet im Anruf Gottes: »Du bist mein und ich bin Gott für Dich.« Sie gründet nicht in der biologischen Existenz oder der individuellen, kulturell vermittelten Biographie, in deren Wechselwirkung sie sich freilich entfaltet. Menschliche Personalität ist unverfügbar. Weder der Mensch selbst, noch die anderen Menschen, noch nicht einmal die Natur - also keine Macht im Himmel und auf Erden - vermögen sie auszulöschen.

Diese Sichtweise ermöglicht es, die gängigen Konstruktionen der Person in der Moderne einer Kritik zu unterziehen. Das gilt heute besonders für die Auseinandersetzung mit rein kulturalistischen oder naturalistischen Sichtweisen. Die Menschen sind weder allein durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt, noch ist die Person ausschließlich eine soziale oder kulturelle Konstruktion. Gegenüber der Vorstellung einer natürlich gegebenen sozialen Ordnung und einer davon abhängigen Personwürde haben diese Sichtweisen zwar eine berechtigte und befreiende Kritik zum Ausdruck gebracht. Aber sie sind nicht in der Lage, die menschliche Personalität auch jenseits der sozialen Verhältnisse und biographischen Entwürfe zu begründen.

Das Personsein des Menschen lässt sich auch nicht durch biologische Gegebenheiten begründen. Es ganz an physikalisch-chemischen Vorgängen festzumachen, zerstört den Schutz des Person-Geheimnisses und eröffnet die Möglichkeit, menschliches Leben vor allem an seinem Beginn und an seinem Ende als a-personal frei verfügbar zu machen. Gegenüber einer entmaterialisierten und entleiblichten Vorstellung, die den Menschen von einem radikalen Leib-Seele-Dualismus her versteht, ist die biologische Sichtweise durchaus berechtigt. Aber sie vermag menschliche Personalität nicht jenseits der biologischen Existenz zu begründen.



Befreiende Personalität

Indem ihr Personalität zugesprochen wird, wird die Person auch an die anderen Personen gebunden, denen Gott dieses Versprechen ebenfalls gemacht hat. Der in sich beziehungsreiche Gott hat sich den Menschen verbündet. Die innige Verbindung von Vater, Sohn und Heiligem Geist ist ohne die innige Verbindung mit dem Gottesvolk Israel und dem Menschen Jesus nicht vorstellbar. Der innere Beziehungsreichtum und die äußeren Bündnisse gehören in der Personalität Gottes zusammen. Die durch Gottes Zuspruch begründete menschliche Personalität ist entsprechend zu verstehen. Sie drängt auf Beziehungsreichtum, sie ist aber nicht allein durch ihre sozialen Bezüge beschreibbar.

Die menschliche Person wird - so ist angesichts heutiger gesellschaftlicher Tendenzen zu betonen - nicht allein durch die Fülle ihrer Beziehungen definiert. Ein Mensch wird nicht durch »networking« oder durch die Zahl seiner Freundinnen und Freunde in den neuen Netzgemeinschaften im Internet zur Person. So wie sich Gott nicht in Beziehungen verrechnen lässt, so darf auch die menschliche Person nicht veräußerlicht werden. Das Ich wird letztlich nicht durch das menschliche Du begründet, sondern durch die Anrede Gottes, durch die Zusage der Personalität. In dieser Erkenntnis wurzelt die Freiheit der menschlichen Person.

Die zugesprochene Personalität steht in Spannung zu der Vorstellung, das menschliche Subjekt müsse sich selbst konstituieren. In der heutigen, in stetem Wandel begriffenen Gesellschaft finden Menschen sich in ständig

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wechselnden Rollenerwartungen wieder, sie müssen sich immer wieder neu als Subjekte in Szene setzen. Die Menschen werden genötigt, sich auf alle erdenklichen Weisen selbst zu optimieren. Eine Folge ist das »erschöpfte Selbst« (Alain Ehrenberg). Burnout und Depression sind zu Begleiterscheinungen des Lebens geworden.

Gegenüber dieser Sichtweise ist mit Nachdruck die Personalität Gottes als Begründung menschlicher Personalität ins Spiel zu bringen. Die äußere Bündnisfähigkeit Gottes kommt aus dem inneren Beziehungsreichtum, aus einer überfließenden Liebe, die sich nicht erschöpft. Aus dieser dynamischen Personalität Gottes empfangen Menschen ihre Personalität. Sie müssen sich nicht als Subjekte selbst hervorbringen, sie müssen sich auch nicht ständig selbst optimieren. Statt sich zu erschöpfen, können sie aufatmen.



Personalität und Öffentlichkeit

Gott hat sich ansprechbar gemacht, hat seinen Namen offenbart, veröffentlicht. Zum Personsein Gottes gehört die Öffentlichkeit. Wer den Namen Gottes kennt, kann Gott anrufen. So wird die öffentliche Liturgie der Gemeinde, die im Namen des dreieinigen Gottes zusammenkommt, zum Raum der Erkenntnis von Gottes Personsein.

So wie Gott sich durch seinen Namen als ansprechbar zu erkennen gibt, so wird auch der Mensch, der sich ansprechen lässt und im Bekenntnis antwortet, namhaft. Bei der Taufe wird der Name des Täuflings öffentlich genannt und mit dem Namen des dreieinigen Gottes verbunden. Mit dem Akt der Taufe wird das Leben dieses Menschen sichtbar hineingenommen in das Heilsereignis von Tod und Auferstehung Jesu Christi. Ihm wird eine neue, nämlich eine christliche Identität verliehen. Mit der Taufe wird ein Mensch in seiner Beziehung zu Christus als Gotteskind namhaft; damit wird ihm auch seine Personalität ein für allemal bezeugt.

Auch im Abendmahl treten Menschen öffentlich vor Gott. In der Erwartung, dass Gott Sünden vergibt und dass wir die Fähigkeit haben, den anderen Schuld zu vergeben, erschließt sich ein weiterer Aspekt der biblischen Vorstellung vom Personsein. Gott und die Menschen können zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort von der Freiheit der Vergebung Gebrauch machen. Diese Freiheit Gottes - und damit ein wesentliches Merkmal von Personalität - erschließt sich durch den in der Feier des Abendmahls öffentlich gemachten Akt der Vergebung.

Die Erkenntnis, dass das eigene Leben immer vergebungsbedürftig bleibt, und die Gewissheit, dass Gott die Bitte um Vergebung erhört, machen Neuanfänge möglich. Gottes Vergebung richtet in sich verkrümmte und in der Vergangenheit gefangene Menschen auf und befreit sie von ihrer Schuld. Und sie entzieht der Suche nach ominösen Mächten hinter dem geschichtlichen Prozess den Boden. Dem Bösen, von dem nur Gott uns erlösen kann, kommt keine eigene Personalität zu.

Leben im Leib Christi: Personsein und Gemeinschaft

Das Ringen um Identität gehört zur gegenwärtigen Lebenswirklichkeit. Die individuelle oder kollektive Identität, das was ein Einzelner oder eine Gruppe ist, soll entdeckt und entfaltet werden. Dieses Beharren auf der -dabei jedoch immer gefährdeten - individuellen oder kollektiven Identität ist ein Kennzeichen der Gegenwart. Dabei wird gemeinhin übersehen, dass Identität und Alternat einander bedingen: Wer das Eigene festschreibt, legt auch das Fremde fest. Gemeinschaften werden durch Inklusion und Exklusion, durch Einschluss und Ausschluss definiert. Diese Mechanismen der Ausschließung, die der kollektiven Suche nach Identität zu eigen sind, müssen aus christlicher Sicht kritisch befragt werden.

Die christliche Person ist - so macht etwa Paulus

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deutlich - ein Individuum, dessen Identität nicht durch Entfaltung seiner Eigenschaften, sondern durch das neue Leben in Christus radikal neu begründet wird. Damit wird die christliche Gemeinschaft weder durch gemeinsame Werte noch durch gemeinsame Regeln noch durch den Respekt vor Andersheit begründet, sondern allein durch die Zugehörigkeit zum Leib Christi geschaffen. »Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau, denn ihr seid alle eins in Christus Jesus« (Gal 3,28). Sogar die prägendsten Vorgaben menschlicher Existenz - Ethnizität, ökonomisch-sozialer Status und Geschlecht - werden in der Gemeinschaft Christi aufgebrochen. In der Gemeinschaft der Glieder am Leib Christi wird Personalität erfahren: »Nehmt einander an, gleich wie Christus uns angenommen hat zu Gottes Lob« (Rom 15,7).

Diese Perspektive könnte wiederum eine fragwürdige Totalität begründen, wäre sie nicht in einer Gotteserfahrung verankert, die Gott als niedrig und verletzlich beschreiben kann. Die Gemeinschaft der Heiligen ist durch die Selbsthingabe Jesu Christi am Kreuz und die österliche Auferweckungstat Gottes begründet. Die Hingabe des Sohnes überwindet den tödlichen Sog der Selbstbehauptung, weil sich in Kreuz und Auferstehung die Liebe des Vaters und die Kraft des Heiligen Geistes stärker als der Tod erweisen, und schließt eben deshalb alle Verlierer, alle verletzten, marginalisierten und zu Opfern gemachten Menschen mit ein.

5.2 Der Gottesdienst als öffentlicher Ort personaler Begegnung mit Gott

Im öffentlichen Gottesdienst antworten wir im Lobpreis auf die Herrlichkeit Gottes und preisen den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist. Die christliche Gottesrede kommt vor allem im Gottesdienst, dem öffentlichen Ort der Begegnung zwischen Gott und Mensch zur Darstellung. Im Gottesdienst vergegenwärtigt sich der dreieinige Gott und wendet uns sein Angesicht zu. Im Evangelium verheißt Gott seine Gerechtigkeit und Güte, in der er die Menschen, die ihm vertrauen, allein aus Glauben ohne alle Werke gerecht macht. Die Feier des Gottesdienstes will solchen Glauben immer wieder neu wecken. Hier vergewissert sich die Gemeinde, dass dieser Glaube im Leben wie im Sterben trägt. Am Beispiel der Elemente eines sonntäglichen Gottesdienstes in lutherischer oder unierter Tradition lässt sich dies erläutern:

Im eröffnenden Votum wird der Gottesdienst zum Forum des dreieinigen Gottes. Was gesagt und getan wird, das geschieht »im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«. Wer hier einstimmt, lässt sich auf eine personale Gottesbegegnung ein und traut der Zusage eigener Personalität. Diese Gottesbegegnung schließt niemanden aus. Das wird auch daran erkennbar, dass der Gottesdienst in der Regel nicht im privaten Raum, sondern in einer Kirche stattfindet, also an dem Ort, der als »Haus Gottes« bezeichnet wird. Der regelmäßige Gottesdienst findet nicht nur in einem besonderen Raum statt, sondern auch zu einer besonderen Zeit: am »Tag des Herrn«. Er entzieht damit eine bestimmte Spanne der menschlichen Lebenszeit der Verfügbarkeit und (Selbst-)Ausbeutung. Hier gilt die Maxime »Zeit ist Geld« einmal nicht; hier wird das Fest der Auferstehung Jesu von den Toten gefeiert, die Erneuerung der Schöpfung.

Und so singt die gottesdienstliche Gemeinde zum Lobe Gottes. Sie preist ihn mit einem Psalm. Sie stimmt an: »Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.« Das eigene Leben wird damit in den größeren Horizont der Gemeinschaft

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der Heiligen gerückt, die Gott zu allen Zeiten und an allen Orten gepriesen haben und preisen werden. Das Lob sprengt Raum und Zeit. So wird die menschliche Personalität in den Horizont der Ewigkeit gerückt. Sie ist allein begründet in jener Zusage Gottes, die in der Zeit keinen Anfang und kein Ende hat und eben dadurch die Zeit der Menschen erfüllen kann. Weil die Zeit nicht selber erfüllt werden muss und weil allein Gott die vergangene Zeit heilen kann, wird Gottes Erbarmen erfleht: »Herr, erbarme dich; Christe, erbarme dich; Herr, erbarm dich über uns.« Die eigene Menschlichkeit und die der anderen hat keinen anderen Grund als diesen: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, den Menschen ein Wohlgefallen.«

Der Verkündigungsteil lässt sich als Wechsel von Anrede und Antwort, von Wort Gottes und Lied beschreiben. Die biblischen Lesungen werden in Beziehung gesetzt zum trinitarischen Glaubensbekenntnis. Die Predigt spricht das Evangelium von Jesus Christus zu, indem sie einen biblischen Text in lebendiger Weise auslegt: vergewissernd und tröstend, orientierend und ermahnend. Sie bezeugt die Fülle, Tiefe und Weite des Handelns Gottes im Evangelium und konzentriert die Lebenswirklichkeit auf die Grundsituation allen Daseins vor Gott. Wo Menschen so vom Evangelium angesprochen und ergriffen werden, begegnet ihnen der dreieinige Gott als Person: Gott »für mich« und »für uns«. In den Fürbitten werden die Sorgen, Nöte und Aufgaben der Welt vor Gott gebracht, in der Gewissheit, dass er sie hört und sich ihrer annimmt. Die Fürbitten haben einen prägnanten Adressaten.

Die Gemeinde hat eine Sprachhilfe, indem sie das Gebet Jesu gemeinsam spricht: »Vater unser im Himmel ...« - indem Gott als Vater angesprochen wird, zeigen wir uns als Gotteskinder. »... geheiligt werde dein Name« - damit werden alle Mächte und Gewalten, »im

Himmel und auf Erden«, die Anspruch auf unser Leben erheben, öffentlich begrenzt: Nichts und niemand kann an die Stelle Gottes treten. »Dein Reich komme. Dein Wille geschehe« - wer so betet, ist nüchtern: Gottes Reich, Gottes Wille trifft auf Widerstand. Die Betenden bitten darum, dass Gott diesen Widerstand überwindet. Dass alle Menschen ihr tägliches Brot haben, dass Schuld vergeben wird, ist nicht selbstverständlich - es muss erbeten werden: »Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.« Brot und Vergebung - nichts brauchen Menschen mehr für ihre Existenz, die so fragil erscheint, so leicht verführ bar. »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen« - im Beten selber wird uns hier eine Grenze auferlegt. Vom Bösen erlöst allein Gott. Die Vorstellung, dass wir uns mit Gewalt vom Bösen befreien könnten, wird damit verabschiedet, dass wir all unsere Hoffnung auf Gott richten: »Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.«

Wenn im Gottesdienst das Abendmahl gefeiert wird, versammelt sich die Gemeinde am Tisch des Herrn. Ihr Dank vereint sich mit den Stimmen aller Kreatur zu einem Lobgesang, der Zeit und Raum überschreitet. Vor allem in älteren Präfationen wird das deutlich: »Durch ihn loben die Engel deine Herrlichkeit, durch ihn beten dich an die Mächte und fürchten dich alle Gewalten. Die Himmel und aller Himmel Kräfte preisen dich mit einhelligem Jubel. Mit ihnen lass auch unsere Stimmen sich vereinen und anbetend dir lobsingen«. Auch das folgende Sanctus versetzt die Gemeinde in die Gegenwart des dreieinigen Gottes: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll. Hosianna in der Höhe! Gelobet sei der da kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe!« Das Mahl selbst wird zur Feier der Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen

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Christus. Die Einsetzungsworte Jesu und das folgende »Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd' der Welt ... gib uns deinen Frieden« nehmen die Gemeinde mit hinein in das Geschehen der Vergebung der Sünden: »Christi Leib für dich gegeben. Christi Blut für dich vergossen.« Mit diesen Worten werden Brot und Wein geteilt, werden fremde Menschen zu Schwestern und Brüdern im Leib Christi, die einander den Frieden zusagen, der aus der Vergebung kommt. So ist das christliche Leben durch ein einziges Wort zu beschreiben: Dank!

Wie der Gottesdienst mit dem Votum Raum und Zeit für Gott eröffnet hat, so öffnet der Segen den Alltag für die Gegenwart des dreieinigen Gottes. »Es segne und behüte dich der allmächtige und barmherzige Gott - Vater, Sohn und Heiliger Geist.« Erbarmen und Durchsetzungskraft des biblischen Gottes sollen auch den Alltag prägen, sollen dem eigenen Leben Grund und Richtung geben. Die empfangene Zusage der Personalität soll Wirkung entfalten. Mit den Worten des aaronitischen Segens: »Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.«

5.3 Die Heiligung des Namens - Ermutigung zum Leben mit Gott

Richten wir unseren Dank und unsere Klage an Gott, vertrauen wir darauf, dass Gott um die Wahrheit in allen Dingen weiß, dann sprechen wir Gott als Person an. Die Sprache des Gebets setzt Gott voraus; in ihr liefern wir uns aber auch Gott aus. Im Beten sind wir als ganze Person beteiligt: Wir erkennen uns vor Gott und setzen uns zu ihm in ein Verhältnis. Im Beten erblicken und bejahen wir unser Menschsein. Wir lassen uns von Gott einnehmen: durch den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist. Wir leben uns ein in Gottes Gegenwart. So erschließt sich uns auch unser eigenes Personsein: »Du erforschest mich und kennest mich [...], du verstehst meine Gedanken von ferne« (Ps 139,lf).


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