Evangelisches Gemeindelexikon



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Schiatter, Adolf, *16.8.1852 St. Gallen, 119.5.1938 Tübingen, ev. Theologe. 1871-75 Studium in Basel und Tübingen; 1875-80 Pfarrer in Kilchberg bei Zürich, in Zürich-Neumünster und in Keßwil am Bo-





densee; 1880 Privatdozent, außerordentli­cher Professor in Bern, 1888 Professor in Greifswald, 1893 in Berlin, seit 1898 in Tü­bingen.



S.s Elternhaus war von der Erweckungs­frömmigkeit geprägt. Dem geistigen Ange­bot der Universität begegnete er mit vielsei­tiger Aufgeschlossenheit; besonders nach­haltige Eindrücke empfing er von dem Base­ler Philosophen Karl Steffensen und von J. T. —» Beck in Tübingen. Nach Bern wurde er be­rufen, um an der dortigen Fakultät ein posi­tives Gegengewicht gegen die herrschende —» liberale Theologie zu schaffen. In Greifs­wald stand S. in enger Arbeitsgemeinschaft mit H. —»• Cremer. Aus der Freundschaft mit

  1. v. —> Bodelschwingh erwuchs S.s Beteili­gung an den Theologischen Wochen in —» Bethel und an der Gründung der dortigen Theologischen Schule. Daß liberale und po­sitive Theologie nebeneinander in der Kir­che wirksam waren, hat S. als gegebene Tat­sache bewußt bejaht. Er war bereit, auch von den Liberalen zu lernen. Dabei ist seine ganze theologische Arbeit zu verstehen als ein Kampf darum, daß gerade in die gegebene Situation hinein das biblische Evangelium und die biblische Gotteserkenntnis über­zeugend zur Geltung komme und dadurch der zerspaltenen Kirche wieder eine eini­gende Erkenntnis und ein einigendes Be­kenntnis geschenkt werde (Uber Licht und Schatten unserer kirchlichen Lage, in: Der Kirchenfreund, 15, 1881, S. 3 57ff.). Das Hauptgewicht seiner Arbeit lag darum auf der Auslegung des NT; er wollte zu gewis­senhafter eigener Beobachtung des Textes anleiten und so diesen selbst zu Wort kom­men lassen. Dem Verstehen des NT diente auch das intensive Studium des Judentums. Daneben stand von Anfang an die dogmati­sche Arbeit, weil es ihm um Aneignung des biblischen Wortes in der Gegenwart ging, nicht in einer unfreien bloßen Übernahme biblischer Aussagen, sondern in einem auf eigene Wahrnehmung gegründeten eigenen Urteil. Seine Ethik zeichnet sich durch die außergewöhnliche Konkretheit ihrer Darle­gungen aus. S.s ganze theologische Arbeit wäre nicht denkbar ohne seine intensive Auseinandersetzung mit der Philosophie. Schwerpunkte bilden die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Wissenschaft und die damit zusammenhängenden Me­thodenfragen der Theologie. Gerade weil S.

Glauben und Erkennen als zwei verschie­dene Vorgänge streng unterscheidet, kämpft er gegen die seit Kant (—» Aufklärung) übli­che Verdrängung der Gotteserkenntnis aus der Wissenschaft. Damit wendet er sich zu­gleich gegen die angebliche Autonomie der Wissenschaft gegenüber dem Leben: der »Denkakt«« muß im »Lebensakt«« verwurzelt bleiben, wenn in ihm Wirklichkeit und Wahrheit erfaßt werden sollen. In S.s Lehrtä­tigkeit fanden ungezählte Studenten die geistliche und geistige Ausrüstung für ihr Pfarramt. Wissenschaftlich wurde S. zu­nächst von den herrschenden liberalen Rich­tungen nicht ernst genommen, dann wurden seine Ansätze durch anders gelagerte Ent­wicklungen (dialektische Theologie, form­geschichtliche Schule) überdeckt und ver­drängt. Seit einigen Jahren werden sie jedoch in zunehmendem Maß als wesentlich er­kannt und wieder aufgegriffen.

Lit.: Von S.: Der Glaube im NT, 1885, Nachdruck 1963 - Neutestamentliehe Theologie, 2 Bde., 1909/10 Nachdruck 1977 - 9 wissenschaftliche Kommentare zu Schriften des NT, r 92 9ff. - Erläu­terungen zum NT, 1908 -10, ständig neu aufgelegt - Hülfe in Bibelnot, 1926/27, 19533 - Geschichte Israels von Alexander d.Gr. bis Hadrian, 1901, Nachdruck 1972 - Die Geschichte der ersten Chri­stenheit, 1926, Nachdruck 1971 - Das christliche Dogma, 1911, Nachdruck 1977 - Die christliche Ethik, 1914,19614- Die philosophische Arbeit seit Descartes, 1906,19594-Zur Theologie des NT und zur Dogmatik. Kleine Schriften, hg. v. U. Luck, 1969 - Rückblick auf meine Lebensarbeit, 1952, Nachdruck 1977; - Über S.: A. Bailer, Dassystema- tische Prinzip in der Theologie A.S.s, 1968-G. Egg, A.S.s kritische Position, 1968

Hafner

Schleiermacher, Friedrich



  1. LEBEN UND SCHRIFTEN

*21.11.1768 Breslau, 112.2.1834 Berlin, durchlief die Schule der —»Brüdergemeine in Barby, bevor ihn die Lektüre von Goethe und Kant sowie Einflüsse der Aufklärungstheo­logie des nahen Halle zur Ablehnung der bi­blisch-altevangelischen Christologie (Ver­söhnungslehre) und Erbsündenlehre führ­ten. Semler, Lessing und Herder markieren die geistige Tradition, der er sich anschließt. Sein Weg verläuft über die —» Aufklärung zur Romantik (F. Schlegel). 1799 richtet er an die gebildeten Religionsverächter seine »Reden über die Religion«. Religion ist ihm weder Wissen (Intellektualismus) noch Tun (Kant- sche Moral), sondern »Anschauung« und »Gefühl«. Geschult an Kant, Spinoza und Fichte findet er seinen eigenen Weg. Wich-




Friedrich Schleiermacher


tigste Wegmarken: Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803); Dialektik (ab 1811); Kurze Darstellung des theologi­schen Studiums (1811; 18302) und Der christliche Glaube (1821/2; 18302). Seit 1809 Prediger an der Dreifaltigkeitskirche in Ber­lin und ab 1810 Professor an der neugegrün­deten Universität.

2. SYSTEM UND BEDEUTUNG

S. möchte einen »ewigen Vertrag« zwischen Glauben und Wissenschaft stiften. Seinen Ansatz findet er im »Gefühl« oder im »un­mittelbaren Selbstbewußtsein« als dem Urakt des Geistes vor der Differenzierung des Geistes in Denken und Wollen (M. Re- deker), »Sich-schlechthin-abhängig-Füh- len« und »Sich-seiner-selbst-als-in-Bezie- hung-mit-Gott-bewußt-Sein ist einerlei«. Das Gefühl ist ein »unmittelbares Sein Got­tes in uns«. Will man von Gott reden, muß man vom Menschen reden: Glaubenslehre ist deshalb Darstellung christlich frommer Gemütszustände in Redeform. Mit dem Ausdruck —» Gott wird das Woher des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls, die schlechthinnige (absolute) Ursächlichkeit, bezeichnet. Dieser Gottesidee ist jede ge­genständliche Rede von Gott unangemes­sen. Die breitangelegte Christologie in der Glaubenslehre erschien K. —> Barth als »große Störung«. Christus ist der Erlöser nicht aufgrund von Kreuz und Auferstehung (Scheintodtheorie), sondern kraft seiner »göttlichen Natur«. Mit Christi Geburt trat eine in der inneren Entwicklung der Natur angelegte höhere Stufe des geistigen Ge­samtlebens der menschlichen Gattung auf den Plan. Erlösung ist »Einströmung geisti­ger Lebenskraft aus der Fülle Christi«, wo­durch die —> Sünde, d. i. der Widerstand des Fleisches gegen den Geist aufgehoben bzw. das zu schwach entwickelte Gottesbewußt­sein gekräftigt wird. Humanistische Kultur als Sieg des Geistes über die Natur wird da­mit identisch mit Wesen und Auftrag des Christentums. Ob S. für die ev. Theologie als Glück oder Unglück zu werten ist, hängt ab vom Standort des Urteilenden: E. Hirsch und M. Redeker (liberal) würdigen S. positiv, E. —> Brunner und K. —» Barth kritisch. Be­eindruckend ist die ausgewogene Symme­trie und meisterhafte Dialektik seines phi­losophischen und theologischen Systems. S. ist die fundamentlegende Gestalt der —»libe­ralen Theologie. Bibeltreuer Denkweise ist die Entleerung von Kreuz und —>■ Auferste­hung am bedenklichsten: es ist der Preis, den

S. für den Vertrag mit dem —> Humanismus bezahlt hat, und dies bleibt grundsätzlich die Gefährdung jeder anthropozentrischen Theologie.

Lit.: S.-Auswahl, hg. v. H. Bolli, 1968-F. Flückiger, Philosophie und Theologie bei S., 1947 - F. W. Kantzenbach, S., 1967 Sierszyn




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