Das E.S. (kath.: Aszetische Literatur) unterscheidet sich von offiziell-kirchlicher und fachtheologischer Literatur durch (i.) Absicht, (2.) Zielgruppe, (3.) Eigenart, (4.) Wirkung und Verbreitung.
Seine Absicht ist die —> Erbauung. Anders als die volksmissionarische Literatur will es das geistliche Leben nicht begründen, sondern pflegen. Es möchte die Beziehung zu Gott stärken und seelsorgerliche Weisung geben für verschiedene Lebenslagen (z.B. Geburt, -> Krankheit). Es läd ein zur —» Nachfolge Christi und erzieht zur Praxis der Frömmigkeit. Lehre und Ermahnung zielen allerdings weniger auf Befestigung kirchlich-konfessioneller Standpunkte als auf die -> Heiligung. 2
oder der einzelne gläubige Leser, seit dem Pietismus auch der erbauliche Zirkel. Neben der Kirche als Ort öffentlicher Verkündigung, Lehre und Sakramentsfeier gibt es immer schon das Haus als Raum eher privater Erbauung. —> Predigt, —> Seelsorge und —» Beichtpraxis wirken jedoch in beiden Bereichen.
Die Eigenart des E.S. entspricht seinem »Sitz« bei Haus- oder Privatandacht, bzw. im Kreis Erweckter. Die allgemeinsten Kennzeichen dieser Literatur sind Volkstümlichkeit, Praxisnähe und meditative Versenkung in Gott. Bereits im —> Mittelalter entwickelte sich eine Fülle charakteristischer Formen und Gattungen, die bis heute prägend wirken: Leben Christi (Passionale), Heiligenlegenden (Viten), Spruchsammlungen (z.B. Geistliches ABC), Schriftauslegungen, Allegorien (z.B. über das Hohelied oder
1958, s. 393-405 den »Seelengarten«), Stundenbücher (Horen), Predigtsammlungen (Postillen), Gebetbücher, Beicht- oder Gewissensspiegel, Sterbehilfen (Ars moriendi) etc.
4- WIRKUNG UND VERBREITUNG des E.S. (s. auch unter II) können nicht leicht überschätzt werden. In der gesamten Kirchengeschichte bildete es eine Art Kontrapunkt zum öffentlichen Wort der Kirche und hat dies oft an Bedeutung weit übertroffen. Das
S. wirkt unauffälliger, mehr unter den —» »Stillen im Lande«, dafür aber umso nachhaltiger. Ihm steht nicht nur der Sonntag zur Verfügung, und es ist viel beweglicher als die amtliche Verkündigung. Da es seine Leser relativ unabhängig macht von kirchlicher Glaubensvermittlung, kann es einerseits das Laienelement in der Kirche stärken, andererseits aber auch die Abwanderung begünstigen oder Formen kirchlicher Subkultur fördern. Das E.S. überwindet mühelos Grenzen von Konfession, Sprache und Kulturraum; darum hat es ökumenische Bedeutung.
II. Aus der Geschichte des E.S.
Die Erfindung des Buchdrucks, die reforma- torische Wertschätzung der Hausandacht und die Ausbildung einer deutschsprachigen Literatur lassen es im 16. und 17. Jh. zu einer stürmischen Verbreitung der Erbauungsbücher kommen. Das E.S. übertraf die Menge der weltlichen Literatur um ein Vielfaches. Erst im 18. Jh. neigte sich die Waage zugunsten säkularer Dichtung.
Der Pietismus konnte also dankbar auf die große Tradition des E.S. zurückgreifen, setzte aber auch eigne Akzente. P. J. Speners »Pia Desideria«, die Programmschrift des Pietismus (1675), erschien als Vorwort zu einer Postille J. Arndts. Dessen »Vier Bücher vom wahren Christentum« (1609) blieben ein Klassiker, höchstens von der vorrefor- matorischen »Nachfolge Christi« des Niederländers Thomas a Kempis übertroffen. Seit 1684 eroberte auch englisches E.S. die Herzen deutscher Leser, z.B. die Bücher R. Baxters und J. Bunyans. Bunyans Allegorie »Die Pilgerreise nach dem Berge Zion« (1665, deutsch zuerst 1694) ist nächst der Bibel das am weitesten verbreitete Erbauungsbuch der Welt. - Der Pietismus griff nicht nur auf »die alten Tröster« zurück, sondern brachte selbst bedeutende Erbauungsschriftsteller hervor. Aus dem Spenerschen
Pietismus ist neben dem Außenseiter G. Arnold vor anderen J. F. Starck zu nennen, aus dem Kreis um A. H. Francke K. H. v. Bogatz- ki, aus Württemberg J. A. Bengel, und vom Niederrhein G. Tersteegen. Die Brüdergemeine Zinzendorfs hat bis heute am meisten gewirkt durch die täglichen —» Losungen. - Pietismus und Aufklärung bedienten sich auch neuer Formen, nämlich einerseits des autobiographischen E.S. als veröffentlichtes Tagebuch oder als Selbstbiographie. Neben Francke haben sich auf dem letzten Gebiet J. C. Lavater, —> Jung-Stilling und J. Wesley hervorgetan.
Sie sind bereits Vorläufer der erwek- kungsbewegung, die ab 1815 von England her auf den Kontinent Übergriff. Aufgrund des missionarischen Impulses kam es nun erstmalig zu weitester Verbreitung des elementarsten Erbauungsbuches, nämlich der Bibel. Auch jetzt gab es hervorragende Autoren von Erbauungsbüchern, z.B. J. E. —* Gossner, L. —»Hofacker und A. —> Tholuck. Die Erweckungsbewegung schuf aber eine neue und wirksamere Form, nämlich das Traktat. Dieses neue Medium der —> Volksmission und Erbauung fand nach seiner Bewährung in England auch in Deutschland energische Befürworter und Autoren, etwa J. H. Wiehern, W. —» Löhe, Th. —» Fliedner,
Fr. v. —*■ Bodelschwingh, A. —> Stöcker. - Ab etwa 1860 wurden auch in Deutschland Predigten und E.S. des Londoner »Fürsten der Prediger«, C. H. —> Spurgeon, gedruckt. Seine »Kleinode göttlicher Verheißungen« finden bis heute viele Leser.
Neue Impulse für das E.S. gingen schließlich von der —» Gemeinschafts- und —» Heiligungsbewegung aus. Namen wie D. —» Rap- pard, O. —» Stockmayer, O. Chambers stehen hier für viele. Eine immer größere Rolle in der Hausandacht spielte der Jahreskalender, besonders der Abreißkalender, von denen der Neukirchener in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg Millionenauflagen erreichte. Die Andachtsbücher von Wilhelm —» Busch und Heinrich —» Giesen werden bis in die Gegenwart immer wieder nachgedruckt. Weite Verbreitung fand in den letzten Jahren das Andachtsbuch von Jörg Zink.
—> Literaturarbeit
Lit.: C. Grosse, Die alten Tröster, 1900 - F.W. Wodtke, Artikel »Erbauungsliteratur« in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. I,