Evangelisches Gemeindelexikon



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Erweckungsbewegung

  1. Die Erweckungsbewegung hat die ge­samte protestantische Welt erfaßt und ist in ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart greifbar. Dabei sind ihre Zusammenhänge mit dem späten Pietismus des ausgehen­den 18. fh.s nicht zu übersehen. Ganz stark hat auf sie der —> Idealismus und noch stär­ker die Romantik eingewirkt. Besonders letztere hat die -» Aufklärung erschüttert und der E. nicht nur den Weg geöffnet, son­dern sie auch geformt, vor allem ihren späte­ren Übergang aus einer überkonfessionellen E. in eine konfessionelle vorbereitet. Von der Aufklärung sich scharf absetzend über­nimmt die E. auch positive Impulse (Physi- kotheologie, Supranaturalismus) von ihr. Als kritische Emeuerungsbewegung nimmt sie in allen Ländern eine besondere Prägung

an.

  1. Die Anfänge der gesamtprotestantischen E. liegen in England. Sie beginnt in der Kir­che von England seit 1668 (religious socie- ties). Kleine Erweckungsherde bildet die englische -» Brüdergemeine. Doch erst der -> Methodismus als erste Erweckung großen Stils innerhalb des Protestantismus erzeugt jenen anhaltenden religiös-erwecklichen Auftrieb, der schließlich alle Kirchenge­meinschaften Englands erfaßt und sich auf Nordamerika auswirkt. Das Erweckliche verbindet sich hier mit dem typisch calvini- stisch-puritanischen sozialethischen Öf­fentlichkeitswillen. So wird bei beginnender Industriealisierung die Lösung der sozia­len Frage zur ureigenen Angelegenheit der E. Die Aktivierung der Laien ist ein Haupt­kennzeichen der E. Aus dem methodisti- schen Laienpredigerinstitut gehen im 19. Jh. vielfach die Führer der Gewerkschaftsbewe­gung und der britischen Arbeiterpartei her­vor. Politischer —> Sozialismus und Christentum leben sich nicht auseinander wie später auf dem Kontinent. In der Staats­kirche formiert sich die Church Missionary Society. Die Low-Church-Bewegung grün­det mit Freikirchlern zusammen 1804 die »Britische und Ausländische Bibelgesell­schaft« (-*■ Bibel), die »Londoner Mission« u.a. Sehr bald unterstützt die englische E. die kontinentale E., gründet kontinentale Bibel­gesellschaften und hilft ihnen finanziell. Die -» Oxfordbewegung, ein später Ausläu­fer der britischen E., verbindet evangelikale Traditionen mit liturgisch-sakramentalen Anliegen und einem sozialen Verantwor­tungsbewußtsein.

In Schottland setzt die E. später ein und kulminiert in der Gründung der Schotti­schen Freikirche unter der genialen Führung von Thomas Chalmers (1780-1847) mit einer erstaunlichen missionarischen Aktivi­tät. 1929 verbindet sich diese getrennte Freikirche wieder mit der Staatskirche, in die sie ihre evangelikalen Impulse einbringt.

  1. Die Erweckung in den westeuropäisch­

reformierten Kirchen. Die E. in Frankreich geht wesentlich von der Genfer Erweckung aus, mit ihr verbinden sich schottisch-frei- kirchliche Elemente. A. —> Monod

(1802-1856), der geistesmächtige französi­sche Prediger, wird zur Zentralgestalt. Die Pariser Bibelgesellschaft entsteht 1818, eine Traktatgesellschaft 1822 und im gleichen Jahr die Pariser Missionsgesellschaft. Das 1841 gegründete Pariser Diakonissenhaus wird zu einem steten Erweckungsherd.

In der Schweiz tritt zu der Genfer Erwek- kung im französisch-sprachigen Raum die alemannische, bei der Basel mit dem Sitz der Deutschen -» Christentumsgesellschaft eine besondere Ausstrahlungskraft besitzt. Die 1815 gegründete Basler Missionsgesell­schaft wird zum 1. Sammelpunkt der ale­mannisch-schwäbischen Reich-Gottes-Ar- beit. In den Niederlanden sind es im Grunde genialische Einzelträger wie Willem Bilder- ijk (17 5 9-1831), Guillaume Groen van Prin- sterer (1801-1876) u.a., die die Erweckung vorwärtsführen.



  1. die E. in Deutschland. Sie nimmt in den einzelnen Landeskirchen eine verschiedene Ausprägung an. Verbindungslinien gehen von der E. im Süden auf den Norden aus.

  1. In baden steht die E. in naher Beziehung zur Allgäuer kath. E. Der frühere kath. Prie­ster -» Henhöfer (1789-1862) wie der Fabri­kant -» Mez sind ihre wesentlichen Gestal­ten. In Württemberg wirkt die ununterbro­chene Tradition des schwäbischen pieti- stisch gefärbten -* Biblizismus bahnbre­chend. Im Bereich der Theologie ist hier —* Beck ihr wichtigster Vertreter. Der große Erweckungsprediger ist L. —> Hofacker (1798-1828). Für sich steht J. Chr. —>■ Blum­hardt (1805-1880) in Möttlingen und Bad Boll. Nahe Beziehungen entstehen zur E. im Siegerland und am Niederrhein. Tersteegia- ner und vor allem G. D. —» Krummacher (1774-1837), der Prädestinatianer und Alt­orthodoxe, lassen ihre Konventikel in dem kirchlichen Gemeindeleben aufgehen. Im Minden-Ravensberger Land wirkt J. H. —» Volkening (1796-r877) als der Erwek- kungsprediger. Bremen, vielfach mit der E. am Niederrhein verbunden, wird in der E. von G. —» Menken (1768-1831) geprägt. Hannover und Hamburg haben Kristallisa­tionszentren in —» Hermannsburg auf der ei­nen Seite, in —» Wiehern und J. G. —» Oncken (1800-1884), dem Begründer des neueren —» Baptismus in Deutschland, andererseits. Auch in Schleswig-Holstein sind erweckte Gruppen; in Kiel erregt C. -> Harms (1778-1855) 1817 mit seinen 95 Thesen ei­nen weiten Widerhall. In Hessen fehlt eine kräftige E. Hier wirkt F. Chr. —» Vilmar (1800-r 868), ein leidenschaftlicher Vertre­ter des Neuluthertums,

  2. Im Südosten und Nordosten empfängt die E. von vornherein starke Einschläge der Ro­mantik, die die Wendung der anfänglichen überkonfessionellen E. in eine konfessio­nell-lutherische beschleunigen.

In franken liegen die Zentren der E., in Nürnberg und Erlangen. Ein ökumenisches erweckliches Luthertum vertritt von An­fang an W. —> Löhe (1818 1872), das er mit seinem ganzen Neuendettelsauer Werk bekannte. Vielfach verwoben ist die bayeri­sche E. mit der Allgäuer kath. E., deren füh­rende Gestalten wie M. —> Boos, J. B. —» Goß- ner, der schließlich in Berlin die Goßnersche Missionsgesellschaft gründete, und I. Lindl, in die ev. E. abgedrängt werden. In Berlin wirkte v. —» Kottwitz, durch den -» Tholuck zum Glauben fand. Ein Kreis junger märki­scher und pommerscher Adliger wie A. v. —» Thadden, K. v. Lancizolle, M. A. v. Beth- mann-Hollweg, die Brüder v. —» Gerlach und E. v. Senfft-Pilsach, bewirkt den entschei­denden Durchbruch der E. in die Öffentlich­keit und gewinnt auf König —> Friedrich Wilhelm IV. wesentlichen Einfluß und durch ihn mit auf die Landeskirche und die Universität. Diese Adligen übertragen die E. auf ihre Güter in Hinterpommern. Berühmt wird die Triglaffer Pfarrerkonferenz (1829ff.). In Schlesien, Ostpreußen, Bran­denburg und Provinz Sachsen wie im König­reich Sachsen wirken die einzelnen Erwek- kungsherde befruchtend und umgestaltend auf ein durch die Aufklärung erstarrtes Kir­chenleben. In Schlesien kam es in der kon­fessionell geprägten E. durch die schikanöse Behandlung durch preußische Polizei, die einen entschlossenen Widerstand gegen die Unionskirche zu brechen suchte, zur Grün­dung der altlutherischen Freikirche (—» Alt­lutheraner), die über Schlesien hinaus ein weithin noch schlummerndes konfessionel­les Bewußtsein zu wecken half. In Thürin­gen finden sich nur Kleinstkreise zusam­men.

Die deutsche E. besitzt ungeachtet ihrer zeitgebundenen Entstehung eine bleibende Bedeutung durch ihre tiefgehende Wirkung auf die Volksfrömmigkeit, wo sie Fuß fassen konnte, durch ihre volksmissionarischen, diakonischen Werke und durch ihre zentra­len geistlichen Fragen, die sie stellt nach der Wirklichkeit des Glaubens, nach der Rein­heit der Verkündigung, nach der Beglaubi­gung durch Gottes Handeln. Vgl -> Gemein­schaftsbewegung.



5. DIE ERWECKUNGSBEWEGUNG IN SKANDINA­VIEN und Russland. Tiefe Spuren gräbt die E. in Norwegen. H. N. Hauge (1771-1824) ist »Norwegens Spener«. In Schweden ver­binden sich verschiedene Einflüsse von Herrnhut mit denen aus England wie Finn­land. 1815 entsteht die Schwedische Bibel­gesellschaft, 1835 die Schwedische Mis­sionsgesellschaft. Die E. gibt auch den späte­ren großen Gemeinschaften wie der —» Pfingstbewegung und dem »Missionsbund« den Auftrieb. In Finnland lebt die Kirch­lichkeit zu einem großen Teil von den noch sehr lebendigen vier Erweckungsrichtun­gen, die noch treu kirchlich gebunden sind. Nach Rußland dringt die E. auf verschiede­nen Wegen. 1812 wird eine Russische Bibel­gesellschaft in Petersburg gegründet. I. Lindl aus der Allgäuer kath. E. kommt 1819 dort­hin, 1820 Goßner. Eine später erfolgte politi­sche Reaktion hat diese Anfänge unterbun­den. Davon getrennt entwickelte sich die —> Stundistenbewegung in der Ukraine. Starke Anstöße gehen von eingewanderten würt- tembergischen pietistischen Bauern wie von —» Mennoniten aus. Hier entsteht nach dem Bruch mit der Orthodoxen Kirche und im Übergang zum Baptismus diese einzige große protestantische Bewegung unter den Russen im unmittelbaren Zusammenhang mit den Ausläufern der deutschen E. So ist auch bei der kritischsten Beurteilung der E., »das gesamte kirchliche Leben von heute ohne sie nicht vorstellbar«.

Lit.: E. Beyreuther, Die Erweckungsbewegung,

19772 - P. Scharpff, Geschichte der Evangelisation, 1964

Beyreuther

6. erweckungstheologie. Während der frühe Pietismus von profilierten Theolo­gen (Spener, Francke) angeregt und geführt wurde, war die E. stärker eine Gemeindebe­wegung, die erst nachträglich auch auf die Universitätstheologie Übergriff. Man kann deshalb auch kaum von einer einheitlichen Erweckungstheologie sprechen. Gemein­sam war den Theologen der E. zweifellos die Erweckung zu persönlichem Christusglau­ben und eine Frontstellung gegen den Ratio­nalismus der Aufklärung (s.o. unter 1). Darin berührten sie sich mit der Romantik, die vor allem über -> Schleiermacher auch für man­che Erweckungstheologen fruchtbar wurde (C. Harms, -> Neander, -> Erlanger Theolo­gie). Einige kamen auf diesem Wege zu einer bewußt konfessionellen Position, sei es im lutherischen (C. -> Harms, —>■ Löhe, -» Vil­mar, —> Hengstenberg), sei es im reformier­ten (-» Kohlbrügge, Kuyper) Sinne. Dane­ben wurden die von J. G. Hamann ausgegan­genen Anstöße aufgenommen sowie die Tradition der schwäbischen Theosophen (Oetinger) und Biblizisten (Bengel) weiterge­tragen (-» Menken, —» Beck, —> Blumhardt). Als Erweckungstheologen schlechthin aber wird man den besonders als Universitäts­prediger und Studentenseelsorger wirksa­men Tholuck in Halle bezeichnen dürfen. Bevorzugte Themen der Erweckungstheolo­gie waren die -> Wiedergeburt bzw. die Rechtfertigung (mit der Tendenz, über ein bloß forensisches Verständnis hinauszu­kommen, außer bei Kohlbrügge), die —» Heilsgeschichte und das Schriftverständnis (-» Bibel als organische Einheit, pneumati­sche Exegese).

Die von der E. auf die Theologie ausgehen­den Anregungen zeigten sich bis ins 20. Jh. hinein fruchtbar vor allem durch die von Beck beeinflußten -> Schiatter und —> Cre- mer, sowie die Theologen der hallischen Tradition —> Kähler, —» Lütgert, -» Schnie- wind und O. Michel (*1903). Den aus dem schwäbischen Pietismus kommenden -> Heim wird man mehr der -» Gemein­schaftsbewegung zuordnen können (Bekeh­rung durch E. —» Schrenk).

Burkhardt


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