Aktuelles Inhaltverzeichnis



Yüklə 9,63 Mb.
səhifə82/86
tarix08.11.2017
ölçüsü9,63 Mb.
#31113
1   ...   78   79   80   81   82   83   84   85   86
überall unter Druck. "Vor dem Hintergrund dieser in­ternationalen Tendenzen erscheint die relative Stabilität der mittelständischen Unternehmensstruk­turen im deutschen Bauhauptgewerbe als ein Sonderfall. Die starke Stellung der unabhängigen lo­kalen Mittelunternehmen auf den regionalen Baumärkten, die auch durch die Baukrise nicht nach­haltig erschüttert wurde, scheint international eine Ausnahme zu sein."

62"Der Transport von Geräten und auch von Arbeitskräften über weitere Strecken ist ... nicht nur zeitraubend und unpraktisch, er verursacht auch Kosten. ... Die meisten Bauunternehmen haben unter anderem aus diesem Grunde einen Einzugsbereich ..., der sich etwa an einer Autostunde orientiert" (Pahl u.a. 1995, 12f).

63Überhaupt muss auch in Bezug auf diese Politik die Frage nach der Ideologie der Normalität ge­stellt werden. Unabhängig davon hat übrigens seit dem doch eine Normalisierung der Bauproduk­tion stattgefunden: Der Anteil der Vorfertigung ist gestiegen und steigt aktuell weiter; ob dies im Sinne einer nachholenden Modernisierung verstanden werden kann, muss dennoch bezweifelt wer­den (vgl. Syben 1991 und weiter unten in dieser Arbeit).

64Dieser Begriff stellt neben der intendierten Netzwerkstruktur auch die Geschlechtlichkeit des Bau­marktes heraus. Syben (1999b) spricht von den Männern am Bau, den Frauen widmet er das mit fünf Seiten bei weitem kürzeste Kapitel in derselben Publikation, womit er schon positiv von den anderen Publikationen zur Baubranche abweicht, in denen Frauen überhaupt keine Erwähnung fin­den. Dabei korrespondiert der Bau als das Geschäft von Männern mit der ebenfalls von Männern dominierten sektoriellen Forschung; es sind nur wenige Frauen bekannt, die sich in Europa mit dem Bausektor beschäftigen oder in den vergangenen Jahren beschäftigt haben. In Großbritannien sind dies Linda Clarke, Janet Druker und Christine Wall, in Frankreich Elisabeth Campagnac und Myriam Campinos-Dubernet. Edith Gross und Brunhild Spannhake (beide inzwischen außerhalb der Forschung tätig) sind die deutschen Vertreterinnen in dieser kleinen Gruppe. Linda Clarke ist es übrigens nach mehrjährigen Versuchen erst kürzlich gelungen, die Mittel für ein europäisches Pro­jekt "women in construction" einzuwerben.

65Die bereits erwähnte niedrige Marktzutrittsschwelle, die einen enormen Unternehmensumschlag zur Folge hat, und die in den letzten Jahren sogar noch gesunken sein dürfte (darauf deutet die gestiegene Zahl der Unternehmensneugründungen hin), spricht allerdings gegen die "Schutzglo­cke", jedenfalls sofern damit eine Insider-Outsider-Konfrontation konnotiert ist.

66Die Wohneigentumsquote in Deutschland liegt trotz der seit inzwischen einigen Jahren forciert be­triebenen Politik mit dem Ziel ihrer Erhöhung mit etwa 42 vH in West- und 34 vH in Ostdeutschland im europäischen Vergleich noch immer am unteren Ende. In Frankreich (ca. 55 vH) und Großbri­tannien (ca. 70 vH) werden deutlich höhere Werte erreicht. Auch in den meisten anderen europäi­schen Staaten liegen die entsprechenden Werte bei über 60 vH, zum Teil sogar deutlich über 70 vH. Nur in der Schweiz liegt dieser Wert noch etwas niedriger als in Deutschland.

67Derzeit liegen die (anfänglichen effektiven) Zinsen für einen Baukredit in Deutschland bei etwas mehr als 5 vH, im langjährigen Mittel aber bei über 7,5 vH. Bei einer (überhaupt nicht hochgegrif­fenen) Leihsumme von € 150.000,- ergibt sich eine monatliche Belastung bei einem Prozent Til­gung und 5 vH bzw. 7 vH Zinsen (also keineswegs einem Spitzenwert) von € 750,- bzw. € 1.000,-. An der Differenz von € 250,- (die einer zusätzlichen Belastung von 33 vH entsprechen) dürfte so mancher Immobilienwunsch scheitern (auch wenn sich die Gesamttilgungszeit von etwa 35 auf etwa 29 Jahre verringert), zumal dieser Betrag erst der Nettokaltmiete entspricht, dem weitere 1,5 bis 2,5 €/m² Nebenkosten hinzugerechnet werden müssen. Da weiterhin mit dem Erwerb von Wohneigentum normalerweise auch eine größere Wohnfläche angestrebt und realisiert wird, er­höht sich die finanzielle Belastung gegenüber dem Wohnen zur Miete nochmals (zur ideologischen Dimension des Wohneigentums siehe: Bourdieu u.a. 1998).

68Beispielsweise war es erklärtes Ziel der konservativen Regierung Großbritanniens in den siebziger Jahren über die massive Förderung des Immobilienerwerbs die Sozialkosten zu verringern. Dabei wurde der Immobilienbesitz als Möglichkeit gesehen, das Rentenniveau zu senken: Wer im Alter keine Miete mehr zahlen muss und sein Häuschen abgezahlt hat, lebt billiger. Dass bis dahin eine erhebliche finanzielle Anstrengung vonnöten ist, die sogar bei vergleichsweise niedrigen Baukosten in Großbritannien viele Immobilienerwerber überfordert, zeigt die enorm hohe Zahl der Zwangsver­steigerungen im Süden Englands als Folge dieser Politik.

69In den die vorliegende Arbeit vorbereitenden Gesprächen mit Vertretern städtischer Bauämter wur­de die Existenz solcher Positivlisten (bzw. ausnahmsweise auch Negativlisten) durchgängig bestä­tigt. Allerdings gab es Unterschiede in der Anlage dieser Listen. Das Spektrum reichte von der for­malen Existenz bis zur informellen Gedankenliste der zuständigen Sachbearbeiter mit identischer Wirkung. Wer nicht negativ auffällt und im Sinne der beauftragenden Stellen gut funktioniert, hat gute Chancen, bei der nächsten Ausschreibung wieder berücksichtigt zu werden.

70Immer wieder wurde aber von den befragten Eigentümern oder Geschäftsführern vor allem der kleinen Betriebe beklagt, dass sich die Zahlungsmoral gerade der öffentlichen Auftraggeber in den letzten Jahren erheblich verschlechtert habe. Von den in den entsprechenden Ämtern beschäftigten Personen wird dies jedoch vehement bestritten. Unabhängig vom jeweiligen Wahrheitsgehalt kann dieser nach außen getragene Konflikt als Ausdruck sich insgesamt verändernder Beziehungen ge­deutet werden. Die Zusammenarbeit klappt nicht mehr so selbstverständlich und so reibungslos wie früher.

71Wollte man eine Hierarchisierung von Besonderheiten vornehmen, so ließe sich durchaus von pri­mären oder fundamentalen Spezifika und daraus ableitbaren bzw. von ihnen hervorgerufenen se­kundären oder resultierenden Spezifika reden. Pahl u.a. (1995, 11) bezeichnen in diesem Sinne die Standortbindung und die Rolle des Kunden als fundamentale Bedingungen der Bauproduktion. Das Faktum der ausgeprägten Kleinbetrieblichkeit wird so nur nebenbei erwähnt und erfährt keine tie­fere Analyse. Dies soll in der hier vorgestellten Arbeit in der gebotenen Ausführlichkeit geschehen, weil gerade daraus weitreichende Folgen für die Arbeitskräfterekrutierung und damit für die Quali­fikationsentwicklung abgeleitet werden können.

72Diese ausgeprägte Kleinbetrieblichkeit mit der daraus entstehenden Notwendigkeit der zwischenbe­trieblichen Arbeitsteilung und Kooperation hat der Bauwirtschaft schon vor den aktuellen Rationali­sierungsbestrebungen die Bezeichnung "fraktale Fabrik" eingebracht (Sandbrink 1998, 90; Schütt 1996, 17; Syben 1999b, 94).

73Dies ist einerseits auf die tatsächlich gestiegene Zahl dieser Betriebe, andererseits aber auch auf den umfangreichen Beschäftigungsabbau in den großen Betrieben und Unternehmen zurückzufüh­ren – zwei gegenläufige Bewegungen, die aufeinander verweisen und im weiteren Verlauf dieser Diskussion noch thematisiert werden.

74Wegen der besseren Datenbasis beziehen sich die hier verwendeten Zahlen nur auf das Bauhaupt­gewerbe bzw. die unter diese alte Bezeichnung zu fassenden Abteilungen des Baugewerbes (zur Problematik der statistisch unvollständigen Erfassung siehe z.B.: Rußig u.a. 1996, 6ff; Syben 1999b, 14ff). Die zum Ausbaugewerbe zu rechnenden Abteilungen sind aber noch stärker von ei­ner kleinbetrieblichen Struktur geprägt, so dass die Hinzuziehung dieser Sparte die hier ermittelten Befunde bestenfalls bestätigen und betonen würde. Die in diesem Abschnitt referierten Zahlen ent­stammen der amtlichen Statistik: Statistisches Bundesamt, FS 4, Reihe 5.1.

75Wie sehr diese beiden Aspekte (Kleinbetrieblichkeit und Rückständigkeit) im Verständnis der die Bedingungen der industriellen Produktion thematisierenden wissenschaftlichen (und politischen) Arbeiten zusammenhängen, macht die Argumentation von Janssen (1981) deutlich, der sich explizit gegen die behauptete Rückständigkeit des Baugewerbes wendet. In seiner Argumentation setzt er sich auch mit dem Phänomen der Kleinbetrieblichkeit auseinander, das er zunächst nicht abstreitet. Allerdings klagt er eine differenzierte Betrachtung des Sektors ein, die offenbare, dass generell kei­neswegs von Kleinbetrieblichkeit gesprochen werden könne. Wer nicht differenziere, tue dies in der Absicht, zu zeigen, dass "das Baugewerbe ein rückständiger Wirtschaftszweig ist" (51). Am Ende seiner Ausführungen, die u.a. die Loslösung der Sparten Instandsetzung und Modernisierung, die Abtrennung des Untersektors Ausbau und die Bereinigung um solche Zweige, "die im umgangs­sprachlichen Verständnis gar nicht als Baubetriebe angesehen werden, wie Feuerungs- und Indus­trieofenbau, Gebäudetrocknung, Abdichtung und -dämmung, Abbruch, Putz und Stuck, Zimmerei, Dachdeckerei, Gerüstbau und Fassadenreinigung" (51), beinhalten, kommt er zu dem Ergebnis, dass "in diesem Sektor auch der Konzentrationsgrad noch wesentlich höher liegt, als die Statistik zeigt" (52). Wesentliche Entwicklungshemmnisse sieht er im von Klein- und Mittelbetrieben domi­nierten Wohnungsbau. Als höchst entwickelte Sektoren bezeichnet er den Tief- und Straßenbau bzw. den öffentlichen Hoch- und Tiefbau – beides Domänen der wenigen Großunternehmen (60). Gerade die Reduzierung der Branche auf ein populäres Verständnis muss als methodisch bedenk­lich zurückgewiesen werden. Damit lässt sich jedenfalls die in der Tat reduzierte Wahrnehmung vom Bau nicht überwinden; übrigens widerspricht diese Reduzierung auch der Festlegung im "Bun­desrahmentarifvertrag für das Baugewerbe", wo 42 (!) Bereiche explizit als zum betrieblichen Gel­tungsbereich gehörend genannt werden, darunter all jene, die Janssen nicht gelten lassen will.

76Tatsächlich findet sich bei Marx (1984, 789ff) am Ende des ersten Bands des Kapital eine längere Textpassage, in der er diese – über den Kapitalismus hinaus weisende – Entwicklungslinie skizziert, auf die sich die eingangs dieses Kapitels zitierte Passage aus dem Erfurter Programm der SPD we­sentlich stützt: "Das Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die Grundlage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine notwendige Bedingung für die Entwicklung der gesell­schaftlichen Produktion und der freien Individualität des Arbeiters selbst ... Diese Produktionsweise unterstellt Zersplitterung des Bodens und der übrigen Produktionsmittel. Wie die Konzentration der letztren, so schließt auch die Kooperation, Teilung der Arbeit innerhalb derselben Produktionspro­zesse, gesellschaftliche Beherrschung und Reglung der Natur, freie Entwicklung der gesellschaftli­chen Produktivkräfte aus ... Sie verewigen wollen hieße, ... die allgemeine Mittelmäßigkeit dekre­tieren. Auf einem gewissen Höhegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernichtung zur Welt ... Sie muß vernichtet werden, sie wird vernichtet. Ihre Vernichtung, die Verwandlung der in­dividuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte, daher des zwer­genhaften Eigentums vieler in das massenhafte Eigentum weniger ... bildet die Vorgeschichte des Kapitals ... Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der inneren Kräfte der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewußte technische Anwendung der Wissenschaft, die planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Ökonomisierung aller Produkti­onsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit, die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts und damit der internationale Charakter des kapitalistischen Regimes ... Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden ex­propriiert".

77Im Kapital leitet Marx diese untergeordnete Position, die gleichwohl nur eine befristete, wenn auch unbestimmte Existenz impliziert, aus dem mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionswei­se wachsenden Minimalumfang des individuellen Kapitals ab. "Die kleineren Kapitale drängen sich daher in Produktionssphären, deren sich die große Industrie nur noch sporadisch oder unvollkom­men bemächtigt hat. Die Konkurrenz rast hier im direkten Verhältnis zur Anzahl und im umgekehr­ten Verhältnis zur Größe der rivalisierenden Kapitale. Sie endet stets mit Untergang vieler kleineren Kapitalisten, deren Kapitale teils in die Hand des Siegers übergehn, teils untergehn" (Marx 1984, 654f).

78Lutz (1984, 103ff) charakterisierte die ökonomische Struktur Deutschlands bis in die Nachkriegszeit mit dem Schlagwort des 'Wirtschaftsdualismus', also dem Nebeneinander von industriellem und traditionellem Sektor. Gerade die trotz fehlender realwirtschaftlicher Basis etablierte Leitfunktion der Großbetriebe muss bezüglich der ideologischen Bedingungen noch diskutiert werden.

79Das heißt also, dass zu diesem Zeitpunkt der Analyse noch offen bleiben muss, inwieweit die Trendumkehr zu kleineren Produktionseinheiten durch "Reorganisationsstrategien der Großunter­nehmen, Dezentralisierungsstrategien zum einen, d.h. Schaffung dezentraler Einheiten bei Beibe­haltung der zentralen Eigentümerschaft, und Devolutionsstrategien zum anderen, d.h. Abgabe der bisherigen Eigentümerschaft bei Aufrechterhaltung eines Abhängigkeitsverhältnisses" (Manz 1993, 57) beeinflusst ist; beides Reorganisationsprozesse unter der Kontrolle der großen Unternehmen.

80Obwohl in der industriesoziologischen Debatte seit den siebziger Jahren, die ganz wesentlich ge­prägt war von der Suche nach neuen Erklärungen, der Kleinbetrieb in dieser expliziten Form sonst kaum gefeiert wurde, sich die Forschung tatsächlich weiterhin auf großbetriebliche Strukturen kon­zentriert, ist die Renaissance der Kleinbetriebe in der Begrifflichkeit selbst schon angelegt: "Neue Produktionskonzepte", "systemische Rationalisierung", "lean production", "Ende der Arbeitsteilung" sind hier nur einige Schlagworte.

81Schon 1982 formulierte Charles Sabel dieselbe Überzeugung: Mittels der neuen Spitzentechnolo­gien in Verbindung mit regionalen (genossenschaftlichen) Dienstleistungsbetrieben entstünde eine Hyperkonkurrenzfähigkeit von Handwerksbetrieben (220f). Über die Referierung von Tofflers Third Wave vertritt Gorz (1986, 119ff) darüber hinaus die Auffassung, dass die schiere Größe der Einhei­ten ihre Beherrschbarkeit unmöglich mache. "Die Rettung ist ... nur von einer Aufsplitterung der großen zentralisierten und zentralisierenden Systeme in sehr viel kleinere Untereinheiten zu erwar­ten, die sich selbstverwalten lassen und imstande sind, sich den Veränderungen sofort anzupas­sen" (123). Würde die so initiierte Dezentralisierung und Diversifizierung der Gesellschaft nicht be­trieben, bliebe nur der Weg in die totalitäre Diktatur. Allerdings wiesen die "derzeitigen technisch-kulturellen Veränderungen ... eindeutig in die Richtung einer Dezentralisierung, Entstandardisie­rung und Individualisierung der Gesellschaft" (ebd.).

82Versachlichung ist eine Marx'sche Kategorie, die die doppelte Konsequenz der Warenform bezeich­net. Erstens, indem die gesellschaftlichen Verhältnisse eine sachliche und damit selbstständige Ge­stalt gegenüber den einzelnen Menschen, den Individuen annehmen; zweitens, indem die Individu­en die Macht über ihre eigenen Verhältnisse verlieren (Subjekt-Objekt-Verkehrung). Nicht mehr persönliche Abhängigkeitsverhältnisse prägen die Beziehungen, sondern die geldvermittelte Markt­handlung des Kaufs und Verkaufs einer Ware (vgl. Marx, Engels 1973: Die deutsche Ideologie; sie­he auch: Oppolzer 1974). Mit der Neuentdeckung der sozialen Beziehungen wird der Warencharak­ter nicht außer Kraft gesetzt, er wird aber womöglich ideologisch verdeckt. Die prinzipielle Egalität des Kapitals gegenüber den nicht-sachlichen Aspekten der Warenbeziehung (Herkunft, Geschlecht, Rasse etc.), die ebenfalls mit der Verdinglichung der Verhältnisse einhergeht, wird auf diese Weise von persönlichen entdinglichten Beziehungen überlagert. Dies ist ein wichtiges Motiv für die ideolo­gisch begründete, wenn auch meist nicht explizierte, sondern ökonomisch abgeleitete Ablehnung dieser Produktionseinheiten in den Werken der sechziger und siebziger Jahre.

83Diese Aussage impliziert die Behauptung eines gegebenen Konzepts kapitalistischer Entwicklung, das u.a. durch die langfristige Bedeutungszunahme des Großbetriebs charakterisiert ist. Diese Aus­sage ist teilweise richtig, teilweise falsch. Falsch ist sie in Bezug auf die ständige Neuentstehung von Kapitaleinheiten in ständig neu entstehenden Sphären. Gerade weil es immanenter Teil kapita­listischer Produktion ist, die Anzahl der Austauschpunkte beständig zu erhöhen und ebenso bestän­dig, neue Bedarfe zu wecken, ist auch die Möglichkeit schon im System selbst angelegt, neue Be­triebseinheiten in neuen Produktionssphären zu gründen. Dies lässt sich auf alle materiellen und immateriellen Produkte anwenden. Richtig ist die Aussage in Bezug auf die über die – in der Ten­denz – steigende organische Zusammensetzung des Kapitals sich notwendigerweise erhöhende Marktschwelle und die mittels der Konkurrenz stattfindende Verdrängung schwächerer Einzelkapi­tale. Kleinere Betriebe haben hier einen systematischen Nachteil, der dauerhaft in dieser Interpre­tation nicht aufgewogen werden kann.

84Ohne diese reichlich spekulative Diskussion überreizen zu wollen, ist doch auch folgendes Kon­strukt möglich: Über die Entwicklung der individuellen Kapazitäten und die Fortsetzung der Ideolo­gie der individuellen Selbstbestimmtheit werden wir in Zukunft in einer Gesellschaft der Selbststän­digen leben. Das ist aber keineswegs gleichzusetzen mit einer von "großökonomischen" Einflüssen unabhängigen Existenz. Es wäre die Vorantreibung des Wettbewerbes, der letztendlich von den großen Unternehmen betrieben werden würde – auch wenn die vielleicht gar nicht mehr so groß erscheinen. Ein Indiz für die bereits bestehende Evidenz dieser Vermutung ist die trotz der erfolg­ten Betonung der Kleinbetrieblichkeit im Baugewerbe seit Jahren voranschreitende Umsatzkonzen­tration: Immer weniger Großbetriebe oder Großunternehmen vereinigen einen immer größeren An­teil des Branchenumsatzes auf sich (Hochstadt u.a. 1999, 120; siehe auch: Schütt 1996).

85Wir sind hier möglicherweise mit einem Paradebeispiel einer self-fulfilling prophecy bzw. dem dia­lektischen Zusammenhang von Ursache und Wirkung konfrontiert: In der aus der tayloristisch-for­distischen Denkweise bzw. aus der empirischen Beobachtung herrührenden Gewissheit, Kleinbe­triebe hätten keine Zukunft, wurde auch nicht daran gearbeitet. Die Arbeits- und Produktionsbedin­gungen in und von Kleinbetrieben sind also nicht nur Ausgangspunkt einer spezifischen Politik, son­dern auch deren Ergebnis. Zuvor beobachtete oder konstatierte inferiore Bedingungen führten zum weiteren Abkoppeln der Kleinbetriebe in der Teilhabe der dort arbeitenden Menschen am gesell­schaftlichen Reichtum. Die Arbeitsbedingungen sind demnach das Ergebnis der Erwartungen.

86Horst Kern und Michael Schumann (1985, 7) stellen im Vorwort zur Neuauflage ihres Klassikers In­dustriearbeit und Arbeiterbewußtsein für sich selbst allgemein klar: "Sozialwissenschaftliche Unter­suchungen sind immer auch historische Dokumente; Ansatz und auch Rezeption tragen den Stem­pel ihrer Zeit." Diese Einsicht auf die Aufmerksamkeit übertragen, die der Bausektor erfährt, spricht für sich.

87Die in der Einleitung dieser Arbeit beispielhaft aufgeführten jüngeren Veröffentlichungen zum Bau­sektor sind ja größtenteils eher nicht industriesoziologisch, sondern politikwissenschaftlich ange­legt. Deshalb spielt dort neben der Struktur des Baugewerbes vor allem die Debatte um z.B. das Entsendegesetz eine entscheidende Rolle. In Ergänzung zum paradigmatischen Wechsel ist also auch die gestiegene mediale Bedeutung als Grund für die intensivere Auseinandersetzung mit dem Bausektor zu nennen, kann sie doch als populäre Fassung der Diskussion um Anlass und Ziel des Entsendegesetzes und allgemein der Branchenregulierung genommen werden.

88Übrigens ist es in der Tat eine Wiederentdeckung, denn in der Tradition der bürgerlichen Wirt­schaftswissenschaften entsprechen Kleinbetriebe sowieso sehr viel stärker dem Ideal der Markt­wirtschaft als Großunternehmen, die aufgrund ihrer schieren Größe Marktmacht entwickeln kön­nen, die sie gegen die zur optimalen Funktion frei zu wirkenden Marktkräfte einsetzen. So ist der price taker oder Mengenanpasser, schon im ausgehenden 19. Jahrhundert konzeptionell entwickelt und, auf Adam Smith zurückgehend, in der neoklassischen Auffassung ein Betrieb ohne Markt­macht. Unter der Bedingung der vollkommenen Konkurrenz können sich Betriebe nur als solche verhalten. Unendlich viele Anbieter und Nachfrager können keinen Einfluss auf das Marktgesche­hen nehmen und reagieren ausschließlich über Mengenanpassung auf gegebene Preise. Daraus folgt notwendig der Kleinbetrieb als konstitutives Element. Der Verdacht ist so immerhin nicht aus­zuschließen, dass Kleinbetriebe weniger ein Wert für sich sind, sondern im Sinne dieser wirtschafts­politischen Auffassung als Mittel zum Zwecke der Deregulierung und Rückführung vermeintlicher institutioneller Überregulierung instrumentalisiert werden oder werden sollen (Sengenberger 1988, 497ff).

89In der Frühphase der hier vorgestellten Arbeit wurden mehrere offene Gespräche mit Vertretern der drei sektoriellen Tarifvertragsparteien auf unterschiedlichen Ebenen geführt. Daneben wurden Expertengespräche mit Vertretern der Bundesanstalt für Arbeit auf bezirklicher und Landesebene und mit Vertretern des Bundesinstituts für Berufsbildung geführt. Hinzukommen offene und leitfa­dengestützte Gespräche und teilstandardisierte Interviews mit Unternehmensvertretern (Baustel­lenbeschäftigte, Poliere, Management) und mit Vertretern der sektoriellen Bildungseinrichtungen.

90Diese lokale bzw. regionale Struktur der Baumärkte ist wiederum das Ergebnis spezifischer Produk­tionsbedingungen der Bauwirtschaft. In erster Linie ist hier die Baustellengebundenheit, d.h. die Immobilität des Produkts zu nennen.

91Damit ist gemeint, dass die oben skizzierte spezifische Struktur des Baugewerbes geradezu die häufige Neugründung hervorruft (die enorme und in den neunziger Jahren stark angestiegene Zahl der Pleiten hat die Rate der neu gegründeten Betriebe im Osten, aber auch im Westen Deutsch­lands nicht aufgewogen; über einen längeren Zeitraum ist die Gesamtzahl der Betriebe dennoch gestiegen). Diese Betriebe entsprechen dem Bild der Bauwirtschaft, das zu ihrer Gründung beige­tragen hat: Sie sind kapitalex- und arbeitsintensiv. Sie bestätigen so das anachronistische Produk­tionsregime der Branche. Diese Betriebe können aufgrund fehlender Ressourcen (in jeder Hinsicht) keine komplexen Aufträge abwickeln. Sie brauchen einfache Strukturen. Die Schlichtheit der Wirk­lichkeit provoziert die Schlichtheit der Betriebe, die die Schlichtheit der Wirklichkeit verlangt usw.

92Marx (1984, 16) schreibt im Vorwort zur ersten Auflage des
Yüklə 9,63 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   78   79   80   81   82   83   84   85   86




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©muhaz.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

gir | qeydiyyatdan keç
    Ana səhifə


yükləyin