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In der europäischen Bauwirtschaft liegt eine solche Situation vor. Hier ist über die breite Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte ein Trend eingeleitet worden, der der skiz­zierten Grundtendenz entgegensteht. Nicht der vermehrte Einsatz von Produktions­mitteln, sondern der verstärkte Rückgriff auf menschliche Arbeitskraft prägt weite Teile des Sektors. Mit diesem Rückgriff auf menschliche Arbeitskraft geht in der Ten­denz eine Dequalifizierung einher. Jedoch ist dies keine einheitliche Entwicklung, viel­mehr findet die Dequalifizierung vor allem in der Produktionsarbeit statt, woraus die stärkere Notwendigkeit einer überwachenden Koordinierung (mit entsprechendem Qualifikationserfordernis) entsteht. Es ist dies die Entwertung allgemeiner Arbeit und die Aufwertung qualifizierter Arbeit. Verdrängungskonkurrenz findet also vor allem bei einfacher Arbeit statt. Die europäischen Regierungen antworten mit der Deregu­lierung ehemals gesicherter Standards. Das Ergebnis ist Standortkonkurrenz und eine sich beschleunigende Spirale von Disparität über Deregularität. Nicht nur die Staaten, sondern vor allem die Unternehmen geraten so in ein Gefangenendilemma: Selbst wenn sie wollten, könnten sie nicht aus der allgemeinen Entwicklung ausbrechen, weil sie diesen Versuch mit höheren Kosten und somit Profitminderung bezahlen müssten. Sie werden Träger einer Entwicklung, die sie selbst nicht wollen. Gerade die mittelständische und kleinbetriebliche Bauwirtschaft ist dafür ein gutes Beispiel. Obwohl sich die kleinen und mittleren Betriebe letzten Endes der eigenen Basis be­rauben, sind sie gezwungen, sich an der begonnenen Entwicklung zu beteiligen. Über deren Verallgemeinerung entsteht die Gefahr einer reduktiven Spirale, in der sich die einzel- und gesamtwirtschaftlichen Akteure zu unterbieten versuchen.
Mit dieser so entstehenden "competitive deregulation" (Scharpf) sind auch jene Sys­teme gefährdet, die die nationale Ökonomie überhaupt erst mit den notwendigen Ressourcen ausstatten, die diese zur Entfaltung von Dynamik brauchen. Ganz beson­ders ist hier das gesamte System der beruflichen Bildung zu nennen, das Qualifika­tion in einem Wechselspiel von aus den Unternehmen kommender Nachfrage und selbst geschaffenem Angebot zur Verfügung stellt. Diese Gefährdung entsteht vor al­len Dingen über die mit der beschriebenen nach unten gerichteten Spirale einherge­hende Verkürzung der Verwertungshorizonte. Weil bei derart verschärften Wettbe­werbsbedingungen der kurzfristig zu erzielende Profit ins Zentrum des betrieblichen Interesses rückt, verlieren auf mittel- und langfristige Verwertung angelegte Systeme an Attraktivität.
Einerseits wird diese Entwicklung verschärft, andererseits aber auch gebremst über die ebenfalls in diesem Prozess angelegte Segmentierung der Branche. Über die sich neu bildenden Unternehmensstrategien gelingt es den großen Unternehmen, sich aus spezifischen Beengungen der Baubranche zu lösen und größere Teile der Wertschöp­fungskette an sich zu binden. Die kleinen Betriebe haben diese Möglichkeit nicht und verlieren so weiter an dispositivem Spielraum. Die Verschärfung der Entwicklung er­folgt über den sich so noch beschleunigenden Rückgriff auf billige menschliche Ar­beitskraft und den weiteren Verlust an Wettbewerbsposition. Gebremst wird dieser Prozess über die bei den großen Unternehmen entstehende Notwendigkeit, den ge­samten Produktionsprozess zu koordinieren, was nur mit qualifiziertem Personal möglich ist. Deshalb bilden diese Unternehmen in Deutschland seit einiger Zeit ver­mehrt außerhalb des dualen Berufsbildungssystems ganz gezielt für ihren eigenen Bedarf aus. Sie versuchen damit, der in der beschriebenen Dynamik liegenden Ge­fahr der "Qualifikationsfalle" (Syben) zu entkommen.
Die Dominanz des Preiswettbewerbs und die prinzipielle Angleichung der nationalen Standorte macht den quantitativ messbaren Vorteil ausschlaggebend. Gerade weil die Nationalstaaten ihren Verlust an Souveränität mit der Aufgabe noch verbliebener Souveränität beantworten ("Globalismus"; Beck), geht der normative Charakter von Standards verloren, zu denen auch Ausbildung zu zählen ist, die nicht auf partikulare Verwertungsinteressen abgestellt ist. Es wird zumindest bezweifelt, ob die Strategie der großen Bauunternehmen, das eigene Personal für Überwachungs- und Koordinie­rungsaufgaben zu qualifizieren, genügt, wenn gleichzeitig die Bauausführung in den Händen von Nach- und Subunternehmen liegt, die nach dem hier verwendeten argu­mentativen Bild eben nicht mehr ausbilden. Die "Falle der einzelbetrieblichen Orien­tierung" (Wendl) und die damit einhergehende Ignorierung gesellschaftlicher bzw. makroökonomischer Verflechtungen führt zur Auflösung gesellschaftlicher Zusam­menhänge und letztlich zur Atomisierung mit hochprekären Beschäftigungs- und Le­bensverhältnissen als möglichem Ergebnis.
Die Forschungsrelevanz des diskutierten Themas ergibt sich aus der faktischen Dyna­mik der europäischen Integration und der bevorstehenden Osterweiterung mit den enormen Disparitäten zwischen den Kernstaaten der EU und den fünf bzw. zehn Auf­nahmeländern in Mittel- und Osteuropa. Seit mehreren Jahren findet eine sich inten­sivierende breite Globalisierungsdebatte statt, in der auch die Rolle der auf nationale Belange zugeschnittenen Systeme diskutiert wird, so dass von einem allgemeinen In­teresse ausgegangen werden darf. In der wissenschaftlichen Literatur nimmt die Glo­balisierungsdebatte ebenso wie die Diskussion um die Folgen der europäischen Inte­gration einen bedeutenden Raum ein. Dort finden sich auch Indizien für den langsa­men Abschied von der neoklassischen Theorie, die die Globalisierung nie problemati­siert hat. Gerade die Gefahr der reduktiven Spirale und des "regime-shopping" wird hier in jüngster Zeit hervorgehoben. Andererseits kann die derzeitige konfrontative Stellung von Globalisierungsbefürwortern und -gegnern auch als Kampf um die Durchsetzung eines bestimmten Typs von Kapitalismus verstanden werden, dessen essentiell globale Struktur nach dem Ende der Systemkonkurrenz möglich scheint. Das heißt aber, dass die Globalität des Systems noch nicht gleichgesetzt werden kann mit der derzeitigen hegemonialen Interpretation. Auch in Bezug auf die gesell­schaftliche Stabilität findet diese Auseinandersetzung statt, wobei hier die Struktur tolerabler bzw. tolerierter Ungleichheit als Maß genommen und die Gefahr einer "neuen Architektur von Ungleichheit" (Traxler) gesehen wird. Die Infragestellung ehemals gesicherter Standards und die Verabschiedung der Unternehmen aus dem System der gesellschaftlichen Reproduktion wird u.a. auch in Bezug auf die Erhaltung und Weiterentwicklung von Qualifikation diskutiert.
Trotz der großen Zahl von Vorarbeiten zu den Komplexen Europäisierung und Inter­nationalisierung und auch der breiten Palette von Beiträgen zu Fragen der Qualifika­tion muss doch ein wesentliches Defizit konstatiert werden: Die Verknüpfung dieser Fragen nämlich findet nicht statt. Zwar gibt es seit etlichen Jahren Forschung zu Fra­gen der beruflichen Bildung auf internationalem Niveau, jedoch klammern die betrie­benen Analysen die Bauwirtschaft mit ihren spezifischen Charakteristika komplett aus. Erst neuerdings scheint sich dies zu ändern.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist nun, die dargestellten teilweise hypothetischen Entwicklungslinien im Einzelnen zu überprüfen. Insbesondere die Bedeutung der ver­schiedenen Momente der Veränderung für die Bereitstellung, Erhaltung und Weiter­entwicklung von Qualifikation und die sie herstellenden und normierenden Systeme steht dabei im Zentrum des Interesses. Dieses Interesse begründet sich mit der ver­muteten besonderen Betroffenheit des gesamten Berufsbildungssystems und der die Dynamik des Sektors fundierenden Qualifikation und Qualifikationsstruktur der Be­schäftigten.
In der Arbeit erfolgt eine Orientierung an diesen Schlüsselfragen: Wie verändert sich der Bausektor selbst und welche Konsequenzen hat dieser Veränderungsprozess für die Struktur der Beschäftigung? In welcher Weise wirkt die europäische Integration im Verbund mit mobilen Arbeitskräften auf die Bauwirtschaft ein? Gibt es den be­haupteten negativen Einfluss auf die Qualifikation und die Qualifikationssysteme und wie sieht dieser Einfluss aus? Welche Rolle spielen allgemeine gesellschaftliche Ver­hältnisse? In welcher Weise interdependieren die inneren und die äußeren Momente der Entwicklung? Ist ein möglicher zu ermittelnder Befund unausweichlich oder gibt es Mechanismen und Zugriffschancen zur Verhinderung oder Rückgängigmachung (ungewollter) negativer Auswirkungen?
Neben dem Studium der verfügbaren Literatur beruhen die präsentierten Ergebnisse auf der Auswertung allgemeiner Statistiken, der begleitenden Debatte mit Experten in den Verbänden der Bauwirtschaft und der Diskussion mit Vertretern amtlicher Stel­len. Eine eigene Primärerhebung wurde nicht durchgeführt.
Zur Bearbeitung der genannten Leitfragen wird nach dieser Einleitung zunächst das Feld erschlossen, das für den Bausektor in Deutschland und Europa von Relevanz ist. Die Gliederung dieses Problemaufrisses folgt der oben eingeführten Dreiteilung, in­dem nach inneren und äußeren Momenten des Strukturwandels getrennt und zur He­rausstellung möglicher Konsequenzen für die qualifikatorische Struktur auch vermit­telte Aspekte wie Ideologiebildung etc. eingeführt werden.
Im nächsten Kapitel wird dann der Sektor in seiner ganzen Komplexität dargestellt und diskutiert. Nach einer kurzen statistischen Abgrenzung wird die konjunkturelle Entwicklung etwas genauer nachvollzogen und bewertet. Daran schließt sich die aus­führlichere Charakterisierung des Sektors für sich und gegen andere Sektoren an. Das Phänomen der quantitativen Dominanz kleiner Betriebe wird wegen seiner Be­deutung für die weitere Diskussion gesondert behandelt. Das Kapitel wird abge­schlossen mit der Darstellung der sektoriellen Entwicklung und der gegenwärtigen Tendenzen. Dieses Kapitel bildet sozusagen den argumentativen Boden für die wei­tere Debatte, weil hier die Charakteristika des Sektors, die ihn von vielen anderen Sektoren scheiden, in die Diskussion eingeführt werden. Gerade in Bezug auf mögli­che von innen und von außen provozierte Veränderungstendenzen und daraus fol­gend für die hier verfolgte Fragestellung sind diese Besonderheiten von immenser, wenn auch nicht immer ausschlaggebender Bedeutung.
Das vierte Kapitel gibt in weiten Teilen die Ergebnisse der Auswertung der statistisch erfassten Veränderungen in der Beschäftigtenstruktur im Baugewerbe in den neunzi­ger Jahren wieder. Mit den hier präsentierten und ausführlich diskutierten Werten sollen die vorher formulierten Thesen (also wesentlich der Einfluss der verschiedenen Veränderungstendenzen auf die Qualifikation) überprüft werden. Dabei folgt die Struktur dieses Kapitels der Struktur des Beschäftigtenkörpers im Baugewerbe.
Diese Diskussion wird im fünften Kapitel fortgesetzt und erweitert, wo die verschie­denen quantitativen Aspekte der beruflichen Ausbildung thematisiert werden. Auch dieses Kapitel dient also der Überprüfung der These vom (negativen) Einfluss auf die Qualifikation. Dazu wird die Entwicklung in den Bauberufen und im Baugewerbe im Detail untersucht und gegen andere Sektoren gestellt.
Nach einer Einführung zur europäischen Integration wird im nachfolgenden Kapitel der Komplex der Migration behandelt. Neben einer allgemeinen Auseinandersetzung mit diesem Begriff und den insgesamten Dimensionen wird vor allem die Bedeutung internationaler Arbeitskräftewanderung für den Bausektor diskutiert. Insbesondere die seit dem Systemwechsel Ende der achtziger Jahre eingetretenen neuen gesell­schaftlichen Realitäten in Bezug auf ihre Auswirkung für den Sektor stehen dabei zur Debatte.
Bevor ein Gesamtfazit versucht wird, steht im letzten großen Kapitel die Diskussion verschiedener theoretisch gefasster Aspekte im Zentrum. Dazu zählen z.B. die Dis­kussion um einen Paradigmenwechsel in den Arbeitsbeziehungen oder auch Gründe für fundamentalere Schwierigkeiten der Bauwirtschaft im Wettbewerb mit anderen Sektoren um qualifizierte (oder geeignete) Arbeitskräfte. Teil dieses Kapitels ist auch die Verhandlung allgemeiner Organisationsweisen. Mit diesem Kapitel wird der Ver­such verfolgt, nach der Eröffnung des Feldes und der Überprüfung der Thesen im Feld wieder zu einer theoretisch fundierten Einbindung zu kommen. Dieses Vorgehen ist Ausdruck der Überzeugung, dass die Aussagekraft auch detaillierter empirischer bzw. statistischer Befunde ohne theoretische Rückkopplung beschränkt ist. Insofern stellt dieses letzte Kapitel neben der Erweiterung der Diskussionsgrundlagen auch und vor allem die Öffnung der Debatte über diese Arbeit hinaus dar.

2 Problemaufriss

Die in der Einleitung skizzierte Situation am Bau soll in diesem Problemaufriss in ein­zelne Aspekte aufgegliedert werden, um eine systematischere Darstellung des Prob­lemkomplexes zu erreichen. Dabei wird versucht, das Spektrum der gegenwärtigen Dynamik zu entfalten, ohne dass aber damit die Auffassung intendiert wäre, diese verschiedenen Aspekten ließen sich in der Realität in jedem Fall trennscharf vonein­ander scheiden. Weiterhin bewegt sich die Diskussion nicht immer auf letztlich gesi­chertem Boden, vieles bleibt noch hypothetisch und gelegentlich auch spekulativ. Dies dient aber der Öffnung des Feldes und mag deshalb gestattet sein. Außerdem ist es gerade das Wesen jeder gegenwärtigen und nicht abgeschlossenen Entwick­lung, dass über letzte Sicherheiten noch nicht verfügt wird.

2.1 Europäisierung und Strukturwandel


Die seit einigen Jahren andauernden konjunkturellen, vor allem aber strukturellen Veränderungen, von denen der Bausektor betroffen ist, führen zu Handlungszwän­gen, die in der Praxis den einzelnen Betrieb isolieren und so in eine das Baugewerbe sowieso prägende prekäre Position bringen. Zu diesen strukturellen Veränderungen gehören zunächst die inneren z.B. mit der zunehmenden Sättigung der Märkte ein­hergehenden Momente (Stroink 1996a und b). Daneben spielt aber vor allem die neue europäische Realität eine wichtige Rolle. Mit dem Ende der nationalstaatlichen Grenzziehung und dem Ende der Blockkonfrontation mit der Konsequenz der sich pa­rallel zum westeuropäischen Integrationsprozess vollziehenden Einbindung der mit­tel- und osteuropäischen Länder in den nun gesamteuropäischen16 Einigungsprozess sind ausreichend qualifizierte, aber wegen des niedrigeren Kostenniveaus in den Hei­matländern unter dem Lohnniveau in Deutschland arbeitende Menschen breit verfüg­bar geworden mit erheblichen Konsequenzen auf die Verfasstheit der Bauwirtschaft. Diese Entwicklung ist – zumindest bezüglich der gesamteuropäischen Integration, nicht unbedingt bezüglich der sozialen Auswirkungen – politisch gewollt und muss als realer Ausgangspunkt zur Kenntnis genommen werden. Jedoch entstehen mit dem gesamteuropäischen Einigungsprozess besondere Anforderungen an die national- und suprastaatliche Sozialpolitik, die nicht mit dem Verweis auf die Übergängigkeit des Anpassungsprozesses zu erledigen sind. Dabei bestehen zwei geradezu polare Auffassungen. Besonders die Vertreter der neoliberalen Schule behaupten, der be­sondere Schutz einzelner Volkswirtschaften oder auch einzelner Branchen, wie bei­spielsweise die Baubranche, sei kontraproduktiv, weil so sowieso fällige Anpassungen an einen sich verändernden Markt verhindert, wenigstens aber verschleppt würden. Sie plädieren daher für eine möglichst rasche und nicht an besondere Bedingungen geknüpfte Öffnung der Grenzen; so sei der allgemeine Wohlfahrtsgewinn am besten verteilt. Dagegen argumentieren insbesondere Vertreter der Gewerkschaften der betroffenen Branchen, eine allzu schnelle Öffnung der Grenzen und vor allem die gleichzeitige und übergangslose Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit führe auf­grund der beträchtlichen Einkommensdifferenzen zwischen den Grenzstaaten zu ganz massiven sozialen Problemen. Daher fordern sie wenigstens für die sensiblen Bran­chen mehrjährige Sonderregelungen.
Unabhängig davon wie diese politische Frage beantwortet wird, muss die Existenz von enormen und an Schärfe eher noch gewinnenden Disparitäten zwischen den Anrainerstaaten des Wohlstandsgebietes in West- und des Armutsgebietes in Mittel- und Osteuropa konstatiert werden. Ebenfalls unabhängig von der Beantwortung die­ser Frage wird die in absehbarer Zeit verschwindende politische Grenze zu erhebli­chen Problemen sowohl in den industriellen Beziehungen als auch in der Erhaltung und Weiterentwicklung der produktiven Ausstattung der Betriebe in besonders be­troffenen Branchen (darunter die Baubranche) führen – dies wird auch nicht von den Liberalisierungsbefürwortern bestritten17. Hierunter fallen nicht nur Maschinen und sonstige Anlagen, sondern auch und insbesondere Menschen, die über den aktuellen Tagesbedarf hinaus qualifiziert sein sollten, wenn die Gefahr einer bornierten Produk­tion vermieden werden soll (Syben 1996). Hermann Bömer (2000, 101) betont des­halb bezüglich der regionalökonomischen (und damit in gewisser Weise auch bezüg­lich der branchenökonomischen) Dimension richtig, "daß die konkrete sozialökonomi­sche Form der EU-Osterweiterung einen enormen Druck in Richtung auf die Deregu­lierung des Arbeitsmarktes und des Sozialstaates im Westen und damit natürlich vor­nehmlich in den Krisenregionen der Bundesrepublik Deutschland ausübt".
Auch die im Zuge des an Breite gewinnenden Strukturwandels sich neu formierende Betriebs- und Branchenorganisation mit einer Zunahme von hierarchischen Bezügen verdient als zweiter Pfeiler, auf dem die gegenwärtige Dynamik der Baubranche auf­baut, und somit als ebenso realer Ausgangspunkt wie die Europäisierung eine nähere Betrachtung. Aus beiden solcherart identifizierten Ausgangspunkten resultieren ganz erhebliche Konsequenzen für die Branche. Beide stellen auch den Kernpunkt der hier vorgelegten Arbeit dar. Es stellt sich die Frage, wie den damit einhergehenden und in der Praxis sich bereits abzeichnenden negativen Effekten auf die Ausstattung der Be­triebe mit einer die Produktivität sichernden Qualifikation zu begegnen ist. Zuvor je­doch ist die Frage zu beantworten, ob tatsächlich ohne weiteres von einer negativen Beeinflussung von Qualifikation ausgegangen werden kann. Aktuell jedenfalls gibt es Indizien, die eine Segmentierung der Branche entlang der Fähigkeit der Betriebe, sich auf die neue Situation einzustellen, andeuten. Wesentliches Element dieser Fä­higkeit ist die adäquate Ausstattung mit entsprechend qualifizierten Beschäftigten. Kleine Betriebe verfügen über diese Fähigkeit weniger gut als große.

2.2 Einsatz von Fremdpersonal


Seit Mitte der achtziger Jahre kommt es in der Baubranche zu einer erheblichen Zu­nahme des Einsatzes von firmenfremdem Personal. Dabei handelt es sich sowohl um inländische als auch in wechselndem Umfang um ausländische Arbeitskräfte. Neben allgemeinen in allen Wirtschaftsbereichen vorzufindenden betriebswirtschaftlichen Motiven, die zu einem Einsatz von Fremdpersonal führen, spielen in der Baubranche bauspezifische Gründe und eine zunehmende Internationalisierung der Arbeitsbezie­hungen eine wichtige Rolle für diese Entwicklung (Knechtel 1992, 60ff; Bosch u.a. 2000a und 2000b; siehe auch die Beiträge in: Köbele, Leuschner 1995).
Im Zentrum der Logik des Fremdpersonaleinsatzes steht die Unternehmensstrategie, Funktionsbereiche auszugliedern, um sich entweder nur noch auf Kerngebiete zu be­schränken oder das Leistungsspektrum im Gegenteil zu vergrößern (Bock 1996, 29ff). Die Produktionstiefe wird dabei verringert, die Wertschöpfungskette durch Auf­nahme neuer Leistungsangebote einschließlich der Grundstücksbeschaffung, Pla­nung, Projektentwicklung, Finanzierung und dem Gebäudebetrieb in die Geschäftstä­tigkeit dagegen verlängert (Hochstadt u.a. 1999, 125; Syben 1999b). Die Möglich­keit, im Zuge dieser neuen Rationalität Fremdpersonal im Rahmen von Unterneh­menskooperationen in großem Umfang einsetzen zu können, hat auf diesen struktu­rellen Veränderungsprozess eine katalytische Wirkung (Sandbrink 1998, 118; Hoch­stadt, Janssen 1998), wobei insbesondere der Einsatz von sog. Scheinselbstständigen und entsandten ausländischen Arbeitskräften für die verzerrte Wettbewerbssituation in der Bauwirtschaft und die Zunahme der Unternehmensinsolvenzen in der Branche verantwortlich gemacht wird (Peipp 1996, 156ff; DGB 1995).
Zu den negativen Auswirkungen der Beschäftigung von firmenfremdem Personal ge­hören weiterhin vermehrte Maßnahmen zur Mängelbeseitigung und erhöhte Kontroll- und Anleitungskosten (Pontiggia 2000, 91f). Ein weiteres mit dem Fremdpersonalein­satz verbundenes Problem ist die Qualitätssicherung. Vor allem der Zusammenarbeit mit ausländischem Fremdpersonal werden aufgrund mangelhaften technischen und arbeitsorganisatorischen Know-hows negative Auswirkungen auf die Produktqualität zugeschrieben (Syben 1997b). Jedoch werden bei aller Beschäftigung mit den mit dem Einsatz von Fremdpersonal verbundenen Aspekten die Auswirkungen auf Quali­fikationserfordernisse wenig untersucht. Obwohl bereits heute erkennbar ist, dass es einen wechselseitigen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von firmenfremdem Personal und der Herstellung, Erhaltung und Weiterentwicklung von Qualifikation gibt, ist dies ein bislang wenig erforschter Aspekt18.
Die skizzierte Umstrukturierung der Baubranche als Ergebnis veränderter innerer und äußerer Bedingungen führt einerseits Betriebe zusammen, andererseits und gleich­zeitig atomisiert sie aber dieselben Betriebe. Die neue Rationalität (so soll hier die neue Realität genannt werden, in die sich der Bausektor gestellt sieht und von der er selbst ein Teil ist, um den säkularen Wandel anzudeuten) übersteigt den einzelbe­trieblichen Rahmen, indem über die verlängerte Wertschöpfungskette der Zwang wächst, in größeren Maßstäben zu denken und zu handeln, als es der einzelne Be­trieb ermöglicht. Gleichzeitig wirft dieselbe neue Rationalität jeden und insbesondere die kleinen und kleinsten Betriebe der Branche über den sich verschärfenden Wett­bewerb und die prekärer gewordene Notwendigkeit, rentabel zu produzieren, aber auch über die teilweise zerstörerischen Abhängigkeiten auf sich selbst zurück. Die Verfügbarkeit billigen Fremdpersonals unterstützt diese Tendenz (Bosch, Zühlke-Ro­binet 2000).

2.3 Qualifikation


Dieser doppelte Wirkungsmechanismus führt zu dem Problem der Qualifikation, das vor allen Dingen thematisiert und gelöst werden muss. Denn es sind die Beschäftig­ten in den Betrieben, von denen der Erfolg einer aktiven Marktstrategie zur Überwin­dung der sich verschärfenden Wettbewerbssituation abhängt (Dressel 1997). Jede unternehmerische Strategie kann so gut sein wie sie will, sie scheitert, wenn sie die Beschäftigten und das von ihnen repräsentierte Potenzial ignoriert oder nicht in an­gemessener Weise berücksichtigt bzw. sogar dieses Potenzial sozusagen auf den Kopf stellt (vgl. dazu die etwas ältere Debatte um das Ende des tayloristischen Ar­beitsverständnisses). Für die zentral auf Facharbeit aufbauende Bauarbeit gilt dies sicher noch mehr als für die großindustrielle repetitive Teilarbeit. Seit einiger Zeit aber wird das Prinzip "Bauarbeit ist Facharbeit" zunehmend infrage gestellt (Syben 1999b). Dabei wird allgemein attestiert, dass die Beschäftigten in einer Weise quali­fiziert werden müssen, dass sie Träger des vom Strukturwandel geprägten Prozesses werden können. Zur Zeit ist das besonders in den kleinen Betrieben ganz sicher nicht der Fall. Die großen Unternehmen sind aufgrund ihres professionellen Marktzutritts, begleitet und organisiert von i.d.R. professionellem Management, sehr viel eher in der Lage, auf diese neuen Anforderungen zu reagieren. Sie entwickeln Strategien, die sie aus dem entstandenen Dilemma befreien sollen (BWI-Bau 1998; Dressel 1997; RG-Bau 1999). Ein wesentlicher Teil dieser Strategien ist die forcierte betriebs­partikulare Qualifizierung sowieso schon gut ausgebildeter Beschäftigten. Diese auf die jeweiligen betriebsspezifischen Belange abgestellten und reduzierten Maßnahmen sind aber nicht geeignet, die Branche insgesamt auf ein höheres Niveau der Problem­lösungskompetenz bzw. Produktivität und auch Profitabilität zu bringen. Im Ergebnis kommt es zu einem weiteren Auseinanderfallen der Branche. Einerseits gibt es die großen potenten Unternehmen, die über die nötigen Mittel verfügen, die neue Ratio­nalität zu betreiben. Dazu zählt die technologische genauso wie die personelle Aus­stattung. Auf der anderen Seite gibt es das Gros der kleinen Betriebe, die über diese Möglichkeiten nicht verfügen. Diese Tendenz zur Segmentierung wird zum Nachteil der beschäftigungsintensiven Kleinbetriebe über die zwar allgemeine Verfügbarkeit, aber nach Betriebsgrößen unterscheidbare Möglichkeit des tatsächlichen Rückgriffs auf Fremdpersonal (Bosch u.a. 2000a und b) insbesondere aus dem Ausland ver­schärft. "Die deutschen Unternehmen stehen vor der Alternative, entweder die Segel zu streichen oder sich rechtzeitig ausländische Subunternehmer zu sichern. Letzteres ist nur den größeren unter ihnen möglich; insbesondere handwerklich strukturierte Betriebe haben so gut wie keine Chance mehr" (Däubler 1995, 67).

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