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Diese neue Situation, d.h. der Verlust der alten Balance und die Suche nach einer neuen, die spätestens seit dem Wiedereintritt in die krisenhafte Grundtendenz Mitte der neunziger Jahre evident ist, soll in der weiteren Debatte erörtert werden. Doch zunächst wird ein wesentliches Charakteristikum der Baubranche, die ausgeprägte Kleinbetrieblichkeit, behandelt, weil sich aus ihr weitere Konsequenzen für die zu stellenden Fragen ergeben. Diese Reihenfolge wird gewählt, weil die kleinbetriebliche Struktur, obwohl selbst Resultat der spezifischen Produktionsbedingungen des Sek­tors (Pahl u.a. 1995), ihrerseits wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung hat. Die verschiedenen Versuche der Unternehmen, sich aus den sich verschlech­ternden Verwertungsbedingungen zu befreien, haben einen unmittelbaren Bezug zur jeweiligen Betriebsgröße. An ihr hängt die Fähigkeit der Betriebe, neue Strategien er­folgreich zu praktizieren, zwar nicht exklusiv, aber doch sehr stark ab. Um so überra­schender ist die weitgehende Nichtberücksichtigung bzw. bestenfalls randständige Behandlung in den Branchenanalysen dieser für den Sektor so typischen Betriebs­form. Häufig wird die Kleinbetrieblichkeit gerade mal erwähnt, nicht selten mehr ver­schleiernd als erhellend mit "mittelständische Struktur" bezeichnet. Nur sehr gele­gentlich (z.B. in der Atkins-Studie, Kommission ... 1993) wird die Kleinbetrieblichkeit als (eine) Ursache für spezifische Probleme begriffen, meistens jedoch bleibt es bei der vollständig ungenügenden bloßen Erwähnung. Dieses Defizit soll nun ein wenig gefüllt werden.

3.4 Kleinbetrieblichkeit


"Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Natur­notwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebs ... Hand in Hand mit [der] Monopolisierung der Produktionsmittel geht die Verdrängung der zersplitterten Kleinbetriebe durch kolossale Großbetriebe, geht die Entwicklung des Werk­zeuges zur Maschine" (aus dem Erfurter Programm der SPD, 1891; zit. nach: Miller, Potthoff 1988, 312).

3.4.1 Betriebsgrößenstruktur im Baugewerbe


Aus den skizzierten besonderen Produktionsbedingungen im Baugewerbe resultiert vor allem die Kleinteiligkeit der respektiven Märkte und der dort auftretenden Anbie­ter von Bauleistungen71. So zeigt schon ein oberflächlicher Blick in die Statistiken, dass der Bausektor ausgesprochen kleinbetrieblich strukturiert ist72. Dies gilt sowohl für Deutschland als auch für die anderen europäischen Staaten. In den Ländern der Europäischen Union liegt der Anteil der Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten bei über 90 vH, der Anteil der in solchen Betrieben beschäftigten Menschen schwankt zwischen etwa 35 und 70 vH (Schnepf u.a. 1998). Nachdem bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre eine leichte Konzentrationsbewegung im Baugewerbe stattgefun­den hatte (Janssen 1981, 50), hat sich die kleinbetriebliche Dominanz seit etwa Mitte der siebziger Jahre sogar noch ausgebaut, d.h. heute ist der Anteil der Kleinbetriebe am Gesamtbestand größer als noch vor 25 Jahren und diese Betriebe beschäftigen heute einen größeren Anteil der insgesamt in der Branche arbeitenden Menschen73. Die spezifischen Unterschiede zwischen den Ländern hängen weniger mit Bedingun­gen innerhalb des Sektors zusammen, sondern mit Rahmensetzungen, die auf den Sektor einwirken und z.B. dazu führen, dass in Frankreich von einer "Polarisierung der Betriebsgrößenstruktur" (Lücking, Voswinkel 1996, 15) gesprochen werden kann, während z.B. in Deutschland die nominelle Dominanz der Kleinbetriebe als "dezentra­le, kleinbetriebliche Branchenstruktur" (Syben 1999, 92) bezeichnet wird.
Der Anteil der Kleinbetriebe im Sektor74, gefasst als Anteil der Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten, betrug in Deutschland zuletzt über 85 vH. Die Zahl der Baube­triebe (im Bauhauptgewerbe) in den alten Ländern der Bundesrepublik Deutschland schwankt über viele Jahre mit erstaunlicher Stabilität um 60.000 – offenbar weitge­hend unberührt von konjunkturellen Verläufen und der Zahl der im Baugewerbe ar­beitenden Menschen, so dass auch schon mal das "Gesetz der 60.000" (Ekardt) kon­statiert wurde. War das Baugewerbe eigentlich schon immer von Kleinbetrieben do­miniert, so hat sich diese Dominanz aufgrund verschiedener Einflüsse in den letzten zweieinhalb Dekaden noch ganz erheblich erhöht. Hatten Mitte der siebziger Jahre nur gut die Hälfte aller Baubetriebe in Westdeutschland weniger als zehn und ein weiteres gutes Fünftel weniger als 20 Beschäftigte, so ist bis heute der Anteil der Kleinstbetriebe (1-9 Beschäftigte) um ein Viertel auf insgesamt mehr als zwei Drittel gestiegen. Der Anteil der Kleinbetriebe (10-19 Beschäftigte) ist in dieser Zeit zwar schon leicht von einem guten auf ein knappes Fünftel zurückgegangen, aber erst Be­triebe der dritten Größenklasse (20-49 Beschäftigte) haben mit einem Rückgang von immerhin einem Drittel von ursprünglich 15 auf gerade noch knapp 10 vH deutlich mehr verloren. Alle anderen Größenklassen, also von 50 bis 1.000 und mehr Beschäf­tigte, haben heute jeweils einen Anteil, der nur noch halb so hoch ist wie Mitte der siebziger Jahre. In dieser Zeit hat sich entsprechend auch die durchschnittliche Be­triebsgröße kontinuierlich von 25 (1973) auf gerade noch 12 Beschäftigte (2000) re­duziert, also halbiert. Insgesamt also steigt von einer sowieso hohen Ausgangsbasis die quantitative Bedeutung der Kleinstbetriebe des Baugewerbes weiter an und mit ihr die kleinbetriebliche Struktur der Branche. Auch in den neunziger Jahren setzte sich diese Entwicklung fort, so hat sich der Beschäftigungsanteil der Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten seit 1995 um 7,6 Prozentpunkte von weniger als einem Drittel auf annähernd 40 vH erhöht (siehe dazu die Tabelle 9 im Anhang). Hinter die­sen Zahlen verbergen sich unterschiedliche Entwicklungen der Betriebe mit 1-9 und der Betriebe mit 10-19 Beschäftigten. Es sind – wie oben ausgeführt – gerade die Kleinstbetriebe, die ihren Anteil erhöhen konnten, wohingegen die Kleinbetriebe in ihrer relativen (quantitativen) Bedeutung schon leicht verloren haben. Diese Entwick­lung übrigens ist noch nicht sehr alt. Von 1988, dem Jahr, in dem sich der Bauboom durchzusetzen begann, bis 1994, als dieser langsam zu Ende ging, hat sich der Anteil der Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten überhaupt nicht verändert (bei gewis­sen Schwankungen innerhalb dieses Zeitraums). Erst 1995 wurde die vor 1988 fest­gestellte Dekonzentrationstendenz fortgeführt. Aus der so ermittelten zyklischen Be­wegung – in Krisenzeiten erhöht sich der Anteil der kleinen Betriebe, in Boomphasen ist dies nicht der Fall – lässt sich schlussfolgern, dass es sich um eine abgeleitete und nicht um eine gewissermaßen setzende Entwicklung handelt.

3.4.2 Kleinbetriebe als Indiz für Rückständigkeit?


Neben der augenscheinlich sehr stark auf die unmittelbare Anwendung menschlicher Muskelkraft abstellende Bauarbeit, ist es vor allem diese dauerhaft kleinbetriebliche Struktur der Branche, die ihr den Ruf der Rückständigkeit eingebracht hat75. Denn lange Zeit galt der großindustrielle stationäre Betrieb als Ideal der produktiven Ent­wicklung. Mehr noch: Die sozialwissenschaftlichen Theorien zur industriellen Entwick­lung wurden von dem naturnotwendig zur großen Industrie führenden Entwicklungs­modell geprägt. Insbesondere die deutschen Marx-Rezeptionen der siebziger und achtziger Jahre verwiesen über die Formel des "Anstiegs der organischen Zusam­mensetzung des Kapitals" als spezifische Reaktion auf die Konkurrenz auf diese säku­lare Tendenz. Nur in wenigen Publikationen wird der "streng gesetzmäßige Zusam­menhang zwischen Steigerung der Produktivkraft und Steigerung der organischen Zusammensetzung" verneint (Bader u.a. 1975, 199). Dafür werden sie von Krüger (1986, 188ff) kritisiert, der mit Marx zu der Auffassung kommt, dass das "Gesetz des steigenden Wachstums des konstanten Kapitalteils im Verhältnis zum variablen" (Marx 1984, 651) "keineswegs bloß auf 'empirischer Anschauung' (beruht), sondern auf dem Prinzip der Steigerung der Produktivkraft der Arbeit bei Anwendung von Ma­schinerie" (Krüger 1986, 190)76. Mit dieser steigenden organischen Zusammenset­zung des Kapitals geht mittelbar einher die Konzentration und Zentralisation von Ka­pitaleinheiten. Die große Industrie ist Ausgangspunkt der Argumentation, die Zusam­menfassung vieler Einzelkapitale zu wenigen (wenn schon nicht unbedingt einem) ist kausaler Endpunkt in einem gegebenem Produktions- und Reproduktionsraum.
Industrielle und damit gesellschaftliche Entwicklung schien dem Großbetrieb vorbe­halten, ihm wurde eine "periodenbildende Funktion" (Pirker 1955) zugemessen, die Großbetriebe waren Schrittmacher der technischen und sozialen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Gerade auch von kapitalismuskritischer Seite wurden mit dem Kleinbetrieb vorkapitalistische und also überholte Produktions- und Herrschafts­strukturen assoziiert. In der fordistischen, aber auch marxistischen Interpretation ka­pitalistischer Produktionsweise war der Kleinbetrieb ein Relikt der Vergangenheit, der bald von der alles verschlingenden Kraft der Großbetriebe ausgelöscht werden wür­de. Wenn es denn in dieser Lesart auch künftig noch Kleinbetriebe geben sollte, dann nur als komplementäre, keinesfalls als gleichberechtigte Organisationen neben den Großbetrieben77. Technische und soziale Entwicklung in solchen kleinen Betrie­ben war in diesem Sinne wesentlich nachholende Modernisierung.

Obwohl sich das tayloristisch-fordistische Produktionsmodell mit seinen spezifischen Strukturen (Versachlichung der Bezüge, rigide Trennung der Arbeitssphäre von le­bensweltlichen Bezügen, strikte Trennung von ausführenden und dispositiven Tätig­keiten, Zergliederung der Produktionsprozesse, hierarchische Kontrollstrukturen; Hirsch, Roth 1986) bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts – wenigstens nor­mativ – durchgesetzt hatte und gerne gleichgesetzt wird mit der Ära der Großbetrie­be, hat es doch nie eine quantitative Dominanz von Großbetrieben gegeben. Tat­sächlich lässt sich bis etwa 1970 ein fortgesetzter quantitativer Bedeutungsgewinn der größeren und großen Unternehmen (und Betriebe) nachweisen. Jedoch hat sich – wie das schon für die Betriebe des Baugewerbes gezeigt werden konnte – seitdem der Trend umgekehrt. In den vergangenen dreißig Jahren ist der Beschäftigungsan­teil der kleineren und kleinen Betriebe ganz erheblich gestiegen. Dieser Trend setzte sich bis zuletzt fort (siehe dazu die Tabellen 10 und 11 im Anhang).


Bei genauerer Betrachtung zeigt sich die Entwicklung seit dem späten 19. Jahrhun­dert bis in das letzte Quartal des 20. Jahrhunderts als eine immense Reduzierung der Allein- und Kleinstbetriebe (bis fünf Beschäftigte) und durch eine enorme Expansion des Beschäftigtenanteils von Großbetrieben geprägt. "Von einer Verdrängung oder einem Aufsaugen der Klein- und Mittelbetriebe kann deshalb keine Rede sein" (Stock­mann 1987, 142). Dies verträgt sich sehr gut mit dem von Marx formulierten Ver­schwinden der vielen Privatproduzenten und dem so erfolgenden Schaffen kapitalis­tischer Strukturen. Es kann also gesagt werden, dass diese Entwicklung als Teil des Prozesses der inneren Landnahme (Lutz 1984) des traditionellen Sektors durch den wegen der höheren Produktivität überlegenen industriellen Sektor zur ursprünglichen Durchsetzung kapitalistischer Produktions- und Verwertungsbedingungen gehörte. Dieser Prozess scheint nun abgeschlossen zu sein, so dass sich neue Formen kapi­talistischer Produktions- und Verwertungsbedingungen entwickeln können.
Erst seit Beginn der fordistischen Krise, die auf den Eintritt in die Phase der Massen­arbeitslosigkeit datiert wird, wird diese Position, also die behauptete Rückständigkeit der Kleinbetriebe und die notwendige Entwicklung hin zu immer größeren Einheiten, zunehmend kritisch hinterfragt. Waren Großbetriebe also empirisch im Durchschnitt schon der produzierenden Zweige der Wirtschaft quantitativ nie dominant, so hat sich nun auch die normative Bedeutung dieser Wirtschaftseinheiten sehr stark relati­viert78. Inzwischen gelten Kleinbetriebe beinahe in Verkehrung der alten Postulate als Hoffnungsträger künftiger Beschäftigung – kein Regierungs- und Beschäftigungspro­gramm ohne die Zauberformel KMU. Weitgehend unberücksichtigt bleibt in dieser schönen neuen Kleinbetriebswelt (Manz 1993, der hinter diesen Titel aber ein Frage­zeichen setzt) die qualitative Dominanz der Großunternehmen, die vor allem in der Möglichkeit besteht, sich gegen die immanenten Unsicherheiten der Marktbeziehun­gen abzusichern, indem z.B. Risiken externalisiert werden. Auch bleibt die Funktion dieser Großunternehmen als Kernmächte des Wirtschaftsprozesses häufig genug un­belichtet. Die daraus womöglich resultierende qualitative Subalternität der Kleinbe­triebe bzw. ihre Abhängigkeit von in Großunternehmen getroffenen Entscheidungen kann so nicht erfasst werden79. Spätestens mit der Behauptung vom Ende der Mas­senproduktion (Piore, Sabel 1989), die Mitte der achtziger Jahre aufgestellt wurde mit der expliziten Betonung der Vorteile kleiner Betriebseinheiten gerade bezüglich der (damals noch nicht so genannten) Zukunftstechnologien, sind die Kleinbetriebe aus dem Schatten der großbetrieblich fixierten Industriesoziologie herausgetreten. Bemerkenswert ist die dort vorgenommene Versöhnung von Modernität und Traditio­nalität. "Es ist eine der Ironien des Wiederauflebens handwerklicher Produktion, daß der Einsatz moderner Technologie vom Wiedererstarken von Beziehungsformen und Loyalitäten abhängig ist, die in der Regel der vorindustriellen Vergangenheit zuge­schrieben werden" (ebd., 305)80. Eine ähnliche Auffassung findet sich schon ein Jahr vor dem behaupteten Ende der Massenproduktion bei Gorz (1986, 37; erste Veröf­fentlichung 1983), der in der Mikroelektronik die Möglichkeit für Kleinbetriebe sieht, mit den Großunternehmen zu konkurrieren81. Die Schaffung eines weit verzweigten Netzes von kleinen und mittleren Betrieben ist für ihn ein wichtiges Element in der Umkehrung der Produktionsziele weg von der kapitalistischen Maximierung hin zur optimalen Bedürfnisbefriedigung.
Die enge Beziehung von Kleinbetrieb und Rückständigkeit wird also aufgelöst zu Gunsten der These von der Modernität aufgrund der Traditionalität der sozialen Be­ziehungen in diesen Kleinbetrieben, die hervorragend und jedenfalls sehr viel besser als im anonymen auf externer Kontrolle beruhenden Großbetrieb für den Einsatz der neuen flexiblen Fertigungsmethoden qualifiziere. Damit wird dem technisch gepräg­ten Verständnis der Produktionsbedingungen die Kategorie der sozialen Beziehungen hinzugefügt, die ja in der Versachlichung der Beziehungen im Kapitalismus gerade abgelöst zu werden schienen82.
Es ist mit dieser Feststellung aber noch überhaupt nicht geklärt, ob die momentane, wenn auch schon seit einiger Zeit anhaltende quantitative Bedeutungszunahme der kleinen Betriebe gleichzusetzen ist mit einem neuen und grundlegend anderen Kon­zept kapitalistischer Entwicklung83. Wenn die Behauptung richtig ist, dass der Bedeu­tungsverlust der Kleinbetriebe bis in die siebziger Jahre Ausdruck einer prinzipiellen kapitalismusimmanenten Entwicklungsrichtung war, die in spezifischer Weise indus­triell-gesellschaftlich reguliert war, dann muss das augenscheinliche Ende dieses Be­deutungsverlusts nicht unbedingt gleichgesetzt werden mit dem Ende der zugrunde liegenden Entwicklungstendenz. Es könnte auch einfach das Ende einer spezifischen Akkumulationsphase bzw. der spezifischen industriell-gesellschaftlichen Regulierung sein. Der Fordismus könnte in diesem Sinne an seine inneren Grenzen gestoßen sein. Dies ist in der Vergangenheit mehrfach beschrieben worden (z.B. Bischoff, Detje 1989; Hirsch, Roth 1986; Piore, Sabel 1989). Insbesondere wurde dabei auf den Konflikt der starren, auf Hierarchie und Entwertung der Arbeit setzenden Produk­tionsregimes verwiesen, die sich nicht mehr vertrügen mit der fortschreitenden Ent­wicklung der Produktionsmittel, zu denen in diesem Zusammenhang ganz wesentlich die Mikroelektronik gerechnet wird. Birgit Mahnkopf (1988, 119ff) verweist zudem auf den eklatierenden Konflikt zwischen reduzierten Arbeitsvollzügen tayloristischen Typs (repetitive Teilarbeit) und den über die komplexere Bildung gewachsenen An­sprüchen an die Arbeit (vgl. zur assoziierten Diskussion der berechtigten Verwendung des Begriffs des Taylorismus: Pries 1988).
Weiterhin führte die "beschleunigte Akkumulation von Kapital" (Krüger 1989) der for­distischen Ära zu einem enormen Anwachsen des vagabundierenden Kapitals, das nach Anlagemöglichkeiten suchte. So ist die Anzahl der Austauschpunkte der kapita­listischen Marktbeziehungen stark angestiegen, die Außenhandelsquoten stiegen an, Direktinvestitionen wurden verstärkt als Mittel zur Erschließung neuer Märkte be­nutzt, aber auch zur Aneignung der mittels des modifizierten Wertgesetzes über­durchschnittlichen Profitraten in weniger entwickelten Ländern. So hat ein spezifi­sches Akkumulationsregime Bedingungen hervorgebracht, die seine eigene Abschaf­fung vorbereiteten. Aus dieser Argumentation lässt sich durchaus die Möglichkeit ab­leiten, dass wir aktuell in einer Phase der Etablierung eines neuen Akkumulationsre­gimes stehen, zu dessen Charakteristika eben auch die Reorganisierung der betriebli­chen, zwischenbetrieblichen, intra- und intersektoriellen Arbeitsteilung gehört. Inso­fern könnte der quantitative Bedeutungsgewinn der Kleinbetriebe Ausdruck dieser Etablierungsphase und also Ausdruck einer vom normalen Gang der kapitalistischen Produktion abweichenden Situation (die ja gewissermaßen nur friktional zwischen dem Ende des einen normalen Ganges und dem Beginn des anderen normalen Gan­ges steht) sein, mehr aber nicht.

3.4.3 Mit Kleinbetrieben in die Zukunft?


Diese Debatte macht die Unsinnigkeit deutlich, überhaupt in kategorischer Manier darüber zu spekulieren, ob Kleinbetriebe nun rückständig sind oder nicht. Im Sinne der kapitalistischen Entwicklungsdynamik spricht einiges dafür, dass sie innerhalb be­stehender Abteilungen und Sektoren der Wirtschaft in langer Frist von größeren Ein­heiten verdrängt oder aufgesaugt werden. Insofern repräsentieren sie vielleicht einen dereinst vergangenen Typ84. Für den weiteren Gang der hier zu führenden Debatte spielt das jedoch keine herausragende Rolle. Das hat aber wenig mit der ideologi­schen Dimension des Rückständigen zu tun. Viel spannender ist die Frage, ob Klein­betriebe Arbeitsbedingungen aufzuweisen haben, die hinter denen in Großbetrieben zurückstehen, ob die Produktivität hier geringer ist als dort, ob die Position im intra- und intersektoriellen Wettbewerb davon tangiert wird usw. Spannend ist aber auch die Frage, inwiefern die ideologisch gebrochene Betrachtung von Kleinbetrieben zu Konsequenzen in Bezug auf ihre Position im Wettbewerb um z.B. qualifizierte Arbeits­kräfte führt85.
Und tatsächlich: In vielerlei Hinsicht sind die Bedingungen in Kleinbetrieben schlech­ter als in Großbetrieben – die Rückständigkeit lässt sich also empirisch an verschiede­nen Dimensionen festmachen. Die Beschäftigten werden unabhängig von ihrem Sta­tus erheblich schlechter bezahlt, die betrieblichen Sozialleistungen erreichen nur ei­nen sehr geringen Wert, das Kündigungsrisiko ist erheblich höher, Kleinbetriebe sind weit häufiger von Konkursen betroffen, die Arbeitsproduktivität ist dort regelmäßig deutlich niedriger, der Produktionsapparat ist im Schnitt älter und seine Modernisie­rung, d.h. die Anwendung neuer Techniken usw. geschieht sehr oft mit erheblichem zeitlichen Rückstand (Wassermann 1988, 44ff). Die organische Zusammensetzung in den kleinen Betrieben ist sehr viel geringer als in den großen, d.h. die Investitionen in Anlagekapital sind weit kleiner. Dies ist gleichbedeutend mit einer besonderen Be­tonung der einfachen, im Gegensatz zur potenzierten Arbeit. Dies geht einher und wird begründet durch die sehr viel schlechtere Kapitalausstattung der kleinen Betrie­be im Vergleich zu den großen Unternehmen gerade in der Baubranche (Schütt 1996, 14). Daran macht sich die voranschreitende Segmentierung der Branche fest.
Nach der eben geführten Diskussion zum Stellenwert von Kleinbetrieben in der sozi­alwissenschaftlichen, politischen und gewerkschaftlichen Interpretation ist immerhin die in der Einleitung dieser Arbeit von Uwe Hunger dokumentierte Verwunderung über die Inflation der Arbeiten zum Bausektor in Deutschland zu beantworten. Der Bausektor als kleinbetrieblich strukturierter Wirtschaftszweig galt für lange Zeit (des­halb, aber nicht nur deshalb) als rückständig. Wenn sich Industriesoziologie über­haupt für den Bausektor interessierte, dann nur unter Verwendung des großbetriebli­chen Musters. Also wurde der Bausektor entweder als rückständig bestätigt oder es wurden von vornherein nur solche Bereiche untersucht, die in dieses Muster passten (also z.B. stationäre Fertigteilproduktion). Syben (1992a, 8) wundert sich darüber nicht86, wenn er fragt: "Warum hätte sie [die industriesoziologische Forschung; S.H.] auch etwas anderes tun sollen? Wenn diese Gesellschaft zu Recht als Industriegesell­schaft bezeichnet wird, weil das Leben in ihr durch industrielle Produktion geprägt wird, wenn Paradigma dieser industriellen Produktion technisierte und automatisierte Verfahren und stationäre, überdauernde Großbetriebe sind, die die Form der Arbeit und noch die der Zeitverwendung in anderen Lebensbereichen prägen – warum soll­te industriesoziologische Forschung dann ausgerechnet dorthin gehen, wo wie vor hundert und mehr Jahren Handwerksgesellen noch mit der Hand Stein auf Stein le­gen?" Die Verwunderung Hungers muss mit dieser Argumentation also vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Warum interessiert sich Industriesoziologie plötzlich für den Bausektor? Diese Frage kann mit der Wiederentdeckung der Kleinbetriebe und dem an Breite gewinnenden neo-liberalen Diskurs (wenn nicht sogar dessen sich durchsetzende hegemoniale Position; Voswinkel, Lücking 1996; auch: Bourdieu 2000; Heise 1999a) beantwortet werden87. Ganz unabhängig davon, ob Kleinbetriebe als Zukunftsmodell kapitalistisch flexibilisierter Produktion taugen oder nicht; ganz unab­hängig davon, ob die Hinwendung zu kleinen, überschaubaren Produktionseinheiten ein (romantischer) Reflex auf bestehende kapitalistische Dynamiken ist oder nicht (kritisch dazu: Stefaniak 1981, 138ff)88, der paradigmatische Wechsel eröffnete die Chance, den Bausektor mit seinen kleinen Betrieben und seinen (damit und mit allge­meinen Produktionsbedingungen korrelierenden) in diesem Sinne modernen arbeits­organisatorischen Rationalisierungsstrategien (Syben 1992b, 210) in den Blick zu nehmen. Jedenfalls kann schon jetzt die Vermutung angestellt werden, dass der Um­bruch in den Rationalisierungsstrategien bedingt ist durch sowohl veränderte gesell­schaftliche Rahmenbedingungen, die als externer Veränderungsdruck gelten können, als auch durch die Erschöpfung bisheriger Rationalisierungsstrategien, was als inne­rer Veränderungsdruck bezeichnet werden kann (Manz 1993, 42).

3.4.4 Der Schwanz wedelt mit dem Hund


Doch auch in neueren Publikationen wird die kleinbetriebliche Struktur des Bauge­werbes verantwortlich gemacht für spezifische Restriktionen. So wurde 1993 im At­kins-Report konstatiert: "Da die Bauwirtschaft so zersplittert ist, investiert sie nicht genügend in Ausbildung, Forschung und Marketing. Viele kleine Unternehmen wer­den schlecht geführt und verfügen über unzureichende fachliche Voraussetzungen. Viele Kleinstunternehmen entziehen sich den Kontrollen und Regelungen. Die Ar­beitsplätze in diesen Kleinstunternehmen sind unsicher und häufig nicht vertraglich geregelt" (Kommission ... 1993, 16; siehe ausführlicher auch: ebd., 43).
Tatsächlich muss davon ausgegangen werden, dass die kritische Position der Atkins-Gruppe eher der Realität entspricht als die Euphemismen, die im Zusammenhang mit dem Come back der Kleinbetriebe Verwendung fanden. Die Kleinbetriebseuphorie der achtziger Jahre, die sich bis heute in der in Deutschland und Europa betriebenen Ar­beitsmarktpolitik niederschlägt, fußt auf Annahmen, die durchgängig als ungerecht­fertigt optimistisch kritisiert werden müssen. Weder sind Kleinbetriebe Job-Maschinen sui generis noch sind sie die Keimzellen künftiger Innovationen. Die beschriebene Entwicklung im Bausektor, die diesen voreiligen Schluss nahe legen könnte, stellt sich bei näherem Hinsehen als Ergebnis einer Politik dar, die nicht von den Kleinbetrie­ben, sondern von den Großunternehmen der Branche betrieben wird. Hinzu kommt der politisch gewollte Trend zur Selbstständigkeit, der im Aufgreifen früher hand­werksromantischer Aufstiegspläne den eigenen kleinen Betrieb zum Zielpunkt einer erstrebenswerten Erwerbsbiografie macht.

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