Revolution für die Freiheit



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Bei der POUM


Wir wurden mit zwei Kameraden aus Pina sofort aufgenommen, nicht jedoch Clara. Nun waren die Zeiten endgültig vorbei, da Frauen in vorderster Linie mitkämpfen konnten. Trotzdem fuhr sie mit uns an die Front. Die uns zugewiesene Einheit war ein Stoßtrupp aus Deutschen, Holländern und wenigen Spaniern. Die deutschen Emigranten kamen fast ausschließlich aus der SAP und machten 80 Prozent der Formation aus. Ihr Quartier lag in Fananas, einem Dorf in der Nähe von Sietamo, an der Aragonfront. In einigen Punkten unterschied sich das Leben von demjenigen in Pina. Gegessen wurde in einer Kantine, das Kochen besorgte eine Feldküche. Die Besoldung betrug noch immer zehn Peseten, doch gab es Offiziere mit höherem Sold, überdies auch straffere Disziplin und eine Befehlsausgabe wie in einer regulären Armee. Das Milizsystem der Anarchisten war hier schon stark durchlöchert. Einen Tag lang blieb Clara bei uns, dann kehrte sie nach Barcelona zurück, wo sie mit Moulin wieder Verbindung aufgenommen hatte.

Bataillonschef war der ehemalige deutsche Fremdenlegionär Hans Reiter, ein Haudegen ohne jede politische Meinung. Wie sich bald herausstellte, war es auch mit seinen militärischen Kenntnissen nicht weit her.

Schon in der ersten Woche gab es Nachtalarm. Binnen einer Viertelstunde waren wir auf Lastwagen verfrachtet und sausten davon. Nach kurzer Fahrt wurden wir ausgeladen und umstellten in weitem Kreis eine Waldlichtung. Ein seltsames Bild bot sich uns da im Morgengrauen: Auf einer großen Wiese lagerten etwa zweitausend Milizionäre, ohne Waffen, in den buntscheckigen Monturen der FAI. Wir umzingelten diesen Haufen, ohne zu ahnen, für was wir hier eingesetzt wurden. Im Gespräch mit den Männern erfuhren wir, daß es sich um eine Einheit einer anarchistischen Kolonne handelte, die sich geweigert hatte, länger an der Front zu bleiben. Seit Monaten ohne Ablösung in der vordersten Linie, hatten sie mehrere verlustreiche Scharmützel durchgestanden und schwere Einbußen erlitten. Eine größere, gemeinsam beschlossene militärische Aktion scheiterte blutig, da die republikanischen und kommunistischen Truppen nicht wie angeordnet zur Unterstützung herbeieilten. Die Männer waren fest überzeugt, daß es sich um Sabotage handelte. Diese «Meuterer» sollten wir bewachen? Scham und Wut packte mich; denn um Polizei zu spielen, war ich nicht gekommen. Den anderen Kameraden ging es ebenso, wir verständigten uns, sandten einen Kameraden zu Reiter und verlangten kategorisch, zurückgenommen zu werden. Reiter wußte natürlich von nichts, setzte sich aber sofort mit dem Oberkommando der POUM in Verbindung. Eine halbe Stunde später konnten wir abziehen. Den anarchistischen Kameraden hatten wir deutlich zu verstehen gegeben, daß unsere Sympathien auf ihrer Seite lagen, und so verabschiedeten wir uns von ihnen herzlich.

In einer dunklen Aprilnacht schob ich am Dorfeingang Wache. Die Dorfkirchenuhr schlug Mitternacht, als ein Motorradfahrer herange rast kam und nach dem Bataillonsbüro fragte. «Was ist los?» fragte ich ihn. «Alarm», erwiderte er knapp.

Fünf Minuten später gellte die Trompete, in aller Eile bestiegen wir unsere Wagen und fuhren davon. In der Ferne war Geschützdonner zu vernehmen, dem wir uns rasch näherten. Hinter einer Gruppe Olivenbäume duellierte sich eine leichte Artillerieabteilung mit dem Feind. Der Feuerleitoffizier fiel mir auf, weil er weiße Handschuhe trug. (Später stellte sich heraus, daß es sich um den belgischen Sozialisten Kopp handelte; er geriet nach den Maitagen in die Hände der russischen Polizei und konnte erst nach einer internationalen Kampagne befreit werden.)

Wir sprangen ab und formierten uns. Reiter erläuterte kurz: «Der Gegner ist in unsere Stellungen eingedrungen, wir müssen ihn wieder hinauswerfen, in zehn Minuten gebe ich das Zeichen zum Angriff.» Wir pflanzten die Bajonette auf und warteten. Das Zeichen kam. Die Internationale singend, stürmten wir in das nächtliche Dunkel. Der Kanonendonner dauerte an. In der Finsternis war nichts zu sehen. Neben mir lief Georg Gernsheimer, ein Pfälzer, wir erkannten uns nur an der Stimme. Plötzlich schlugen wir lang hin, beide waren wir über knöchelhohen dünnen Draht gestolpert. Im gleichen Moment setzte von vorne rasendes Maschinengewehrfeuer ein, dicht über unseren Köpfen sausten die Geschosse dahin. Sich aufzurichten war reiner Selbstmord; keuchend lagen wir nebeneinander im Gras. Rings um uns hörten wir Stimmen, Gebrüll, Explosionen, sahen flüchtige Schatten springender Männer, leblose Gestalten am Boden liegen. Ein starker Schlag ganz in der Nähe ließ den Boden erzittern, ein kurzer Blitz erhellte die Nacht, jemand begann laut zu stöhnen: «Madre, madre ...»

«Die Schweine schmeißen uns Handgranaten an den Kopf!» schrie mir Georg ins Ohr. Das Maschinengewehrfeuer brach plötzlich ab, wir konnten uns erheben. Wir rannten zu dem Verletzten, der sein «Madre, madre» in die Nacht jammerte. Es war ein Spanier, von einer Handgranate verwundet, zusammen trugen wir ihn zum Gefechtsstand zurück. Nach und nach kamen die meisten unserer Leute zurück, ein Teil von ihnen hatte sich bis in die - leeren - feindlichen Gräben vorgearbeitet. Zwei Deutsche und ein holländischer Kamerad waren gefallen, es gab mehrere Leichtverletzte, darunter der Spanier, der nicht zu unserer Einheit gehörte.

In Katalonien, der anarchistischen Hochburg, war das Milizsystem im Prinzip intakt geblieben, während es den Kommunisten im übrigen Spanien gelungen war, ein Volksheer unter ihrer Führung zu bilden. Sie konnten allerdings die politisch-militärischen Formationen nicht aufheben, unterstellten sie aber ihrem militärischen Oberkommando. Nun versuchten sie dasselbe mit aller Energie auch in Katalonien. Die FAI, die CNT, vor alle die «Juventud libertaria» leisteten dagegen verzweifelten Widerstand. Die Schaffung einer regulären Armee war ihnen ihrer ganzen Tradition nach verhaßt. Sie wollten am Milizsystem festhalten, seiner Freiwilligkeit, der Wahl der Offiziere, der demokratischen Gleichheit. Keineswegs leugneten sie die Notwendigkeit einer besseren Organisation, einer einheitlichen Kriegsführung, doch glaubten sie, das sei auch auf der Basis der Milizarmee und ohne die Vorherrschaft einer politischen Partei zu erreichen. Mochte die politische Schulung, das intellektuelle Niveau der anarchistischen Arbeiter und Bauern gering sein, sie wußten und fühlten instinktiv, daß die Aufhebung des Milizsystems das Ende der revolutionären Periode einleitete. Dem wachsenden Einfluß der kommunistischen Parteiherrschaft wollten sie sich nicht unterwerfen.

Bei der POUM, einer marxistischen Partei, war der Widerstand gegen eine reguläre Armee geringer, vielleicht auch deshalb, weil ein Teil der POUM stark autonomistisch eingestellt war und ein anderer Teil den überragenden Einfluß der Anarchisten brechen wollte. Diese Entwicklung spürten wir in der Einheit der POUM sehr deutlich. Die formale Disziplin wurde immer stärker betont, die Besoldung war bereits gestuft, jetzt sollten die Offiziere von der Mannschaft gegrüßt werden. Zum öden Gewehrgriffeklopfen kam, daß man die bisherigen praktischen Übungen durch Kehrtwendungen sowie Sauberkeitsprüfungen der Waffen und Uniformen ersetzte. All diese Erscheinungen wurden in der Gruppe lebhaft diskutiert. Die Mehrheit, Mitglieder der SAP, befürwortete die Bildung einer regulären Armee, hielt das Milizsystem für überholt und veraltet, einer wirksamen Kriegsführung nicht gewachsen. Mit einigen wenigen verfocht ich den Milizgedanken, wies auf die wahren Hintergründe der angeblich nur militärischen Reformen hin.

Inzwischen hatten mehrere Exemplare meiner Broschüre Eingang in Spanien gefunden. Auch in unserem Bataillon wurden die dort vertretenen Gedanken besprochen; viele ahnten wohl, wer hinter dem Pseudonym steckte, obwohl ich es nie lüftete.

Da ich mit meinen Befürchtungen allein auf weiter Flur blieb, stand ich vor der Entscheidung, mich in das von den Kommunisten dirigierte Volksheer einzugliedern oder die Front zu verlassen. Ich entschied mich für das letztere. Reiter, dem ich meine Ansicht vortrug, war bitterböse, warf mir Feigheit vor und erklärte, die Bewilligung zum Verlassen der Einheit müsse ich beim Militärkommando der POUM einholen. Als Reiter einige Tage später ins Hauptquartier von Sietamo fahren mußte, nahm er mich mit. Ganz offen vertrat ich vor dem Militärkommando meine Auffassung. Die Männer hörten mir schweigend zu, berieten sich in katalanischer Sprache, die ich nicht verstand, und erklärten sich dann mit meiner Entlassung einverstanden. Auf der Rückfahrt sagte mir Reiter, er werde bereits am nächsten Tag ganz in die Nähe von Barcelona fahren, um für die Truppe Wein einzukaufen, und ich könne mitkommen.

Die Kameraden nahmen meine Entlassung und Rückkehr nach Barcelona sehr frostig auf. Einige machten kein Hehl aus ihrer Ansicht, meine politische Begründung sei nur ein Vorwand, um mich zu drücken.

Mit Reiter fuhr ich nach Abgabe der Waffen und Effekten los. In jedem größeren Dorf hielten wir an, und Reiter probierte in den Weinkellern den Wein. Genußvoll sog er aus dem ins Faß getauchten Schlauch tiefe Züge, um die Güte des Weines zu prüfen. Lange vor der Hauptstadt war er schon ordentlich besoffen und wurde gesprächig.

«Weißt du, mein Lieber», vertraute er mir an, dabei dauernd aufstoßend, «ich hätte dich ja unterwegs abknallen können, kein Hahn hätte nach dir gekräht. Schon bei deiner Ankunft im Bataillon wurde mir vom Militärkommando befohlen, auf dich gut aufzupassen, du seist als gefährlicher Trotzkist bekannt. Ich habe ja keine politische Meinung und verstehe von deinen Ansichten nichts, aber persönlich habe ich nichts gegen dich, ich laß' dich laufen. Mach was du willst, sieh zu, daß du einen Wagen bis nach Barcelona bekommst, ich kehre hier um, unseren Wein hab ich bestellt...» Schweren Schrittes wankte Reiter davon.



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