Plenarprotokoll


Vizepräsident Dr. Gerhard Papke



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Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie. Würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schatz von den Piraten zulassen?

Monika Düker (GRÜNE): Ich würde gern erst zu Ende vortragen, vielleicht dann am Ende per Intervention.

Unser Grundgesetz definiert rechtsstaatliche Leitplanken, das heißt Grund- und Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Überwachung. Und – das hat sich die Legislative bei jedem Gesetzgebungsverfahren vorzunehmen –: Grundrechtseingriffe müssen verhältnismäßig und erforderlich sein. Der Gesetzgeber hat diesen Nachweis zu führen und immer wieder zu evaluieren, ob das nachher auch noch zutrifft.

Diese Abwägung haben viele Gesetzgeber in unserem Land – das muss man leider sagen – in den letzten Jahren nicht getroffen. Sie sind über das Ziel hinausgeschossen. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit diesen verfassungswidrigen Grundrechtseingriffen leider sehr viel zu tun.

Grüne meinen – um das hier zum wiederholten Male darzustellen –: Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung stellt kein angemessenes Instrument für die Strafverfolgung dar. Das steht auch in unserem Wahlprogramm; das kann jeder nachlesen. Teile der SPD sehen das übrigens auch so. Und die Bundestagsfraktion hat das kürzlich im Bundestag auch noch mal eingebracht.

Gerne, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, können wir das hier alle paar Wochen wiederholen. Aber es ändert nichts daran, dass wir das – erstens – im Landtag gar nicht zu entscheiden haben, denn das ist ein Bundesgesetz.

Zweitens. Wenn mal ein Gesetz in den Bundesrat kommen sollte, zu dem wir im Kabinett kein Einvernehmen erzielen können, dann enthält sich NRW. Dazu gibt es eine klare Vereinbarung im Koalitionsvertrag – wie im Übrigen auch in den Koalitionsverträgen der anderen Länder. Dieses Verfahren hat sich bewährt.

Aber da sind wir ja noch lange nicht. Die Große Koalition hat nämlich, wie ich finde, zu Recht angekündigt: kein Gesetz vor der EuGH-Entscheidung. Und je Ausgang wird unter Umständen die Richtlinie neu diskutiert, neu verfasst. Dann wird es einen Kabinettsbeschluss geben, danach wird sich der Bundestag damit befassen. Zwischendurch wird es, denke ich, wieder auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz stehen. Da gilt das Ressortprinzip: Die Fachminister der Länder dürfen sich da eigenständig eine Meinung bilden.

(Minister Ralf Jäger: Gut so!)

Das ist auch ihr gutes Recht.

Und dann wird es vielleicht spannend. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, dann sollten Sie es auf Wiedervorlage legen. Denn dann, wenn es denn mal so weit ist, wird es im Bundesrat – davon gehe ich aus – ein zustimmungspflichtiges Gesetz. Und im Bundesrat – wir können alle zählen – hat die Große Koalition derzeit keine eigene Mehrheit.

Was machen wir dann? Wir werden natürlich versuchen – das kann ich Ihnen auch zusichern –, unseren geschätzten Innenminister mit guten Argumenten von unserer Position zu überzeugen.

(Minister Ralf Jäger: Und umgekehrt!)

Genauso wird er versuchen – wie es in einer guten Demokratie Brauch ist –, uns von seiner Position zu überzeugen. Dann werden wir uns verhalten. Und wenn wir uns nicht einigen können, gibt es demokratische Spielregeln, die im Vertrag festgelegt sind.

Dann kommt die spannende Frage: Was machen die anderen Bundesländer? Herr Lindner, ich gucke Sie mal an: Was ist denn dann mit den sächsischen Kollegen von der FDP? Stehen die dann auch im Bundesrat? FDP in Länderregierungen haben wir oft genug erlebt –

(Christian Lindner [FDP]: So ein Quatsch! Das stimmt gar nicht!)

siehe Innenminister Wolf. Der hat auch einige Bundesverfassungsgerichtsurteile einkassiert. Die Frage ist also: Steht dann da jemand wie Sachsen und andere?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie kann eine ganz spannende Sache sein. Ich bin auch gespannt, wie diese Geschichte weitergeht und ausgeht.

Liebe Piraten, es ist natürlich Ihr gutes Recht, die Vorratsdatenspeicherung – gleich wird der Innenminister sagen: Mindestspeicher …

(Minister Ralf Jäger: … dauer!)

– Entschuldigung, Mindestspeicherdauer –, …



Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Achten Sie auf die Redezeit, bitte.

Monika Düker (GRÜNE): … die Mindestspeicherdauer jeden Monat im Landtag zu thematisieren. Das ändert aber nichts an dieser Lage. Ich freue mich auf die weiteren Debatten mit Ihnen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)



Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Schenken Sie uns noch einen Augenblick die Freude Ihrer Anwesenheit am Rednerpult, Frau Kollegin. Denn wie kaum anders zu erwarten, ist die Fraktion der Piraten Ihrer freundlichen Einladung zu einer Kurzintervention gefolgt.

(Monika Düker [GRÜNE]: Immer gerne!)

Jetzt hat Herr Kollege Schatz für 90 Sekunden das Wort. Bitte sehr.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Düker, mir geht es weniger um eine Frage als um eine Richtigstellung. Sie sagten am Anfang Ihrer Rede, dass die Piraten quasi jegliche Speicherung von persönlichen Daten als rechtswidrig ansähen und als schweren Grundrechtseingriff empfänden. Ich möchte klarstellen: Das ist nicht so.

Es geht nicht darum, dass jegliche Speicherung schlimm und grundsätzlich verkehrt ist. Herr Golland hat gerade das Beispiel der organisierten Kriminalität gebracht. Das ist das dümmste Beispiel im Bereich der Vorratsdatenspeicherung, weil gerade diese Verfahren ohnehin immer jahrelang dauern.

Und selbstverständlich dürfen die Daten von konkreten Verdächtigen gespeichert werden. Das hat nie jemand von uns bestritten.

Worum es uns geht – das möchten wir klarstellen –, das ist ausschließlich die anlasslose Speicherung von Daten eines jeden Bürgers, der überhaupt nichts getan hat. Und das ist das Problem. Bei Verdächtigen ist das überhaupt kein Thema. Das möchten wir nur mal klarstellen.



Monika Düker (GRÜNE): Danke für die Klarstellung. Das finde ich ganz spannend. Dann übersetze ich Ihre Äußerung so, dass die Grundhaltung der Piraten die ist, dass Sie das Quick-Freeze-Verfahren für ein zustimmungsfähiges Verfahren halten. Das ist genau das, was Sie gesagt haben. Interessante Bandbreite der Meinungen bei den Piraten! Aber das ist ja legitim. Von daher danke für die Klarstellung!

Ich freue mich, wie gesagt, auf weitere Debatten dazu.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wunderbar. So weit die Kurzintervention und die Antwort darauf. Jetzt sind Sie entlassen, Frau Düker. – Vielen Dank.

Weitere Kurzinterventionswünsche gab es nicht.

Wir fahren fort mit dem Redebeitrag von Herrn Kollegen Ellerbrock für die FDP-Fraktion. Bitte, Herr Kollege.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Kollege Schwerd, bei Ihrer Rede habe ich viel Positives gehört, dem konnte ich folgen. Leider aber ist zwischen Reden und Antrag ein großer Unterschied. In Ihrem schriftlich vorliegenden Antrag unterscheiden Sie nämlich nie zwischen anlassloser und anlassbezogener Ermittlung und Vorratsdatenspeicherung. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Diese mangelnde Differenzierung ist auch der Grund, weswegen wir als FDP den Antrag ablehnen würden.

Wenn Sie dem Votum von Frau Düker folgen und sagen würden: „Es wird zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr interessant werden, über solche Probleme zu reden“, wenn Sie Ihren Antrag also Ihrer Rede anpassen würden, dann könnten wir uns sehr gut darüber unterhalten. Da Sie das aber nicht tun, werden wir den Antrag gleich ablehnen.

Im Übrigen, meine Damen und Herren – Frau Düker, das betrifft die Bemerkung, die Sie dem Kollegen Lindner zugerufen hatten –: Unserer Überzeugung nach ist eine Bundesregierung, die Ihre Bürger mithilfe der Vorratsdatenspeicherung anlasslos überwachen lassen will, nicht glaubwürdig, wenn sie zugleich in Sonntagsreden über Datensicherheit und Datenschutz redet. Das ist eine ganz klare Sache. Da gibt es über die Ländergrenzen hinweg bei uns in der FDP auch überhaupt keinen Diskussionsbedarf.

(Beifall von der FDP)

Lassen Sie mich zum Ende kommen, meine Damen und Herren.



Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, ich unterbreche Sie ungern. Aber Herr Kollege Schwerd von der Piratenfraktion würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Lassen Sie die zu?

Holger Ellerbrock (FDP): Ja, klar.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank, das ist nett von Ihnen. – Ich freue mich ja über das Lob. Der Bewertungsunterschied liegt darin, dass Vorratsdatenspeicherung für uns anlasslos ist. Alles andere ist eine Überwachungsmaßnahme aufgrund eines Anlasses.

Ich wollte aber die Frage stellen: Wenn es wirklich nur um diese zwei Worte ging, warum war es nicht möglich, einen Änderungsantrag zu stellen? Wir hätten uns dem nicht verschlossen. – Danke schön.



Holger Ellerbrock (FDP): Darüber müssen wir das nächste Mal nachdenken. Wenn Sie den Antrag zurückziehen und ihn entsprechend überarbeiten, sehen wir dem durchaus positiv entgegen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)



Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz objektiv muss man eingestehen, dass diese Diskussion um die Mindestspeicherdauer, Frau Düker, in Deutschland anders als in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Symbol, zum Glaubensbekenntnis dafür geworden ist, ob man in Freiheit leben kann oder ob es eine Überwachung durch den Staat gibt.

Ich sage Ihnen ganz offen: Die Mindestspeicherdauer stellt weder die Totalüberwachung durch den Staat dar, noch ist sie polizeiliches Allheilmittel, um Straftaten aufzuklären.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Lassen Sie die Finger davon!)

Ich halte auch das Bild, das in dieser Diskussion oft gebraucht wird – auf der einen Seite die Sicherheit und auf der anderen Seite die Freiheit, die sich wie auf einer Waage austarieren müssen –, für unzutreffend. Denn das würde rational bedeuten: Reduziert man die Sicherheit, hat man mehr Freiheit. Oder: Reduziert man die Freiheit, hat man mehr Sicherheit.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Nichts anderes sagt das Bild!)

Ich glaube, beides bedingt einander. Parlamente und Regierungen sollten bemüht sein, beides gut auszustatten, sich beides möglichst ergänzen zu lassen und das Ganze auf einem möglichst hohen Niveau stattfinden zu lassen. – So weit zur Theorie.

In der Praxis heißt das doch nichts anderes, als dass der Gesetzgeber, die Regierung im Einzelfall gucken müssen: Was nutzt den Menschen in diesem Land? Und was ist vor dem Hintergrund von Freiheit und Sicherheit eine verhältnismäßige Maßnahme?- Wenn man so vorgeht, glaube ich, kann man sich der Mindestspeicherdauer mehr rational und weniger emotional nähern.

Herr Ellerbrock, ich finde die Formulierung „anlasslos“ völlig irreführend. Wenn das so wäre, dass man anlasslos keine Informationen und Daten vorhalten sollte, dann müssten wir das Kraftfahrzeugbundesamt abschaffen. Denn dort werden die Daten völlig anlasslos miteinander verknüpft: Welches Fahrzeug gehört zu welchem Halter? – Stellen Sie sich einfach mal vor, was auf den deutschen Straßen stattfinden würde, wenn niemand befürchten müsste, bei einer Übertretung der Straßenverkehrsordnung zur Verantwortung gezogen zu werden.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: In Ansätzen ist das inzwischen so im Internet. Das Internet ist Tatort und Tatmittel. Auch die nicht vorhandene Mindestspeicherdauer führt zunehmend dazu, dass Kriminelle, die das ja wissen, dieses Tatmittel zunehmend nutzen.

Deshalb meine dringende Bitte: Streichen Sie das Wort „anlasslos“ – bei aller berechtigten Kritik! Es kann mit Blick auf Straftaten nicht sein, dass ein Rechtsstaat grundsätzlich auf bestimmte Informationen verzichten muss.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ist ja der Punkt! Das ist die absichtliche Irreführung in dieser Diskussion, Herr Minister!)



Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordnetenkollegen Herrmann zulassen?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte schön.

Frank Herrmann (PIRATEN): Herr Minister, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Zur Klarstellung: Beim Kraftfahrtbundesamt ist nur dann eine Beziehung zwischen Fahrzeug und Halter herstellbar, wenn ein Halter ein Fahrzeug angemeldet hat. Da Steuern bezahlt werden müssen, ist ein dauerhafter Anlass gegeben, diese Beziehung zu speichern.

Bedeutet Ihre Argumentation, dass Sie möchten, dass von jedem Netznutzer, wenn er einen Telefon- bzw. Internetanschluss hat, die Beziehung, also IP-Nummer, Name und Adresse, direkt dauerhaft gespeichert wird?



Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Herrmann, eigentlich sollte man Fragen, die so gestellt sind, weil man jemanden bewusst missverstehen will, am besten gar nicht beantworten. Ich tue es trotzdem: Nein!

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Das ist trotzdem Käse! – Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Ich finde, Frau Düker hat zu Recht auf das Verfahren hingewiesen, das zurzeit am Europäischen Gerichtshof läuft – völlig zutreffend formuliert.

Unzutreffend ist, was hier in der Diskussion auch von Herrn Schwerd vorgebracht worden ist: dass sozusagen der Vortrag des Generalanwalts insgesamt die Mindestspeicherdauer in den Richtlinien der Europäischen Union für unzulässig erklärt hat. Das, Herr Schwerd, ist Quatsch.

Richtig ist, dass der Generalanwalt festgestellt hat, dass die Beschränkung des Zugangs zu den Daten und ihre Auswertung in der Richtlinie selber zu treffen ist und nicht den einzelnen Mitgliedsstaaten in der Umsetzungsakte überlassen bleiben darf.

Übersetzt heißt das, dass die im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Berlin formulierten hohen Hürden – richterlicher Vorbehalt; nur bei schweren Straftaten; nicht der Staat selbst speichert, sondern die Provider speichern – in etwa dem entsprechen, was der Generalanwalt selbst vorgetragen hat. Die Fachwelt geht davon aus, dass sich der Europäische Gerichtshof den Aussagen des Generalanwalts anschließen wird.

Also: Diese Richtlinie wird Bestand haben. Sie wird modifiziert werden, um insbesondere die in Deutschland bereits formulierten hohen rechtlichen Hürden mit aufzunehmen.

90 Jahre lang gab es eine Mindestspeicherdauer oder Vorratsdatenspeicherung. Seit etwa 90 Jahren gibt es das Telefon. Seit 90 Jahren werden Verbindungsdaten gespeichert.

Wenn man so alt ist wie ich, kann man sich an die alte Erik-Ode-Sendung „Der Kommissar“ erinnern, in der bei einem Tötungsdelikt nachgesehen wurde, mit wem der Mensch in den letzten Wochen vor seinem Tod Kontakt hatte, auch über das Telefon.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist Fernsehen!)

Es ist, glaube ich, für jeden Menschen nachvollziehbar, dass solche Daten möglicherweise benötigt werden.

(Zurufe von den PIRATEN)

Ich glaube, dass diese Diskussion auch deshalb falsch geführt wird, weil Grundrechte in unzulässiger Weise pauschal gegenübergestellt werden, ohne sie gegeneinander abzuwägen. Ja, es gibt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Völlig klar! Das ist auch zu bewahren.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Klares Ziel, weg damit!)

Aber Herr Kern, Grundrechte wie das Recht auf Freiheit, das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Achtung der Würde des Menschen sind mindestens gleichwertig zu beachten. Die Grundrechte sind gegeneinander abzuwägen.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Es bringt Ihnen überhaupt nichts, ein einziges Grundrecht über alle anderen zu stellen und – das ist das Problem – zu leugnen, dass die Mindestspeicherdauer ein stumpfes Schwert ist.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Tun wir doch gar nicht! Genau darum geht es doch!)

Ich erneuere übrigens mein Angebot, mit Ihnen und dem LKA gemeinsam mal Hunderte von Fällen zu diskutieren, in denen die Strafverfolgung an der nicht vorhandenen Mindestspeicherdauer gescheitert ist.

Weil Sie das gerade geleugnet haben, will ich Ihnen einen Fall aus dem Jahre 2013 vortragen. Ich zitiere aus einem Vermerk des LKA: Im Rahmen eines Ursprungsverfahrens wegen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischer Schriften wurden bei der Auswertung des Computers des Beschuldigten 27 Nutzer eines Messengerdienstes festgestellt, an die der Beschuldigte Dateien kinderpornografischen Inhalts geschickt und erhalten hat. Zwar konnte der Messengerdienst die IP-Adressen übermitteln. Die Provider der IP-Adressen konnten jedoch nur in drei Fällen zugeordnet werden, in 24 Fällen nicht.

Hier ist eine Ermittlung ins Leere gelaufen, weil die Mindestspeicherdauer nicht existiert. Das heißt für mich: Wir müssen an diesem Fall sehr konkret abwägen, ob die Würde und das Recht auf körperliche Unversehrtheit dieses Kindes weniger zu achten ist als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Da haben wir uns in klarer Weise entschieden.

(Nicolaus Kern [PIRATEN], an das Präsidium gewandt: Ich hatte mich zu einer Zwischenfrage gemeldet!)

Ich hätte mich gefreut, wenn Sie diesen Antrag heute nicht wieder einmal zur direkten Abstimmung gestellt, sondern uns Gelegenheit gegeben hätten, im Ausschuss sachlich und ausführlich über diese Tatbestände zu diskutieren. Sie entziehen sich. Sie verweigern sich dieser inhaltlichen Diskussion. Wahrscheinlich werden Sie in wenigen Wochen denselben Antrag wieder stellen und feststellen, dass Sie mit Ihrer Haltung die Minderheit darstellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)



Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen noch drei Fragen der Piratenfraktion und eine Kurzintervention vor.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ich finde es echt schlecht, dass die Zwischenfragen nicht vernünftig abgearbeitet werden! – Gegenrufe von der SPD)

– Herr Kollege, wann ich dem Redner Zwischenfragen zu Gehör bringe, das müssen Sie bitte schon mir überlassen.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ich habe meinen Kommentar dazu gemacht!)

Sie haben es auch nicht gerne, dass, wenn Sie oder ein anderer Kollege Ihrer Fraktion vorträgt, der sitzungsleitende Präsident in einen Satz „hineinspringt“.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ist aber Usus hier!)

Ich bin dabei, das zu sortieren. Im Übrigen habe ich überhaupt kein Interesse daran – und werde das auch nicht tun –, das mit Ihnen zu diskutieren, Herr Kollege.

(Beifall von der SPD und der FDP – Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Ich habe festgestellt, dass es noch den Wunsch nach drei weiteren Fragen aus den Reihen der Piratenfraktion gibt. Nach der Geschäftsordnung sollen pro Rede bis zu zwei Fragen zugelassen werden. Diese wurden von Kollegen der Piratenfraktion bereits gestellt.

Zudem gibt es, ebenfalls vonseiten der Piratenfraktion, den Wunsch nach einer Kurzintervention. Deshalb möchte ich um Verständnis dafür bitten, dass ich diese drei Fragen jetzt nicht mehr zulasse, zumal die Rede beendet war, und stattdessen die Kurzintervention des Herrn Kollegen Herrmann von der Piratenfraktion aufrufe.

Herr Minister, seien Sie so nett, die Kurzintervention am Redepult entgegenzunehmen.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: So viel zur Behandlung von Minderheitenrechten in diesem Plenum! – Gegenruf von Sigrid Beer [GRÜNE]: Geschäftsordnung, Herr Kollege, lesen! – Gegenruf von Nicolaus Kern [PIRATEN]: So führt man hier Debatten! – Gegenruf von Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist Ihr Job: erstmal zu wissen, wovon Sie reden! – Weitere Zurufe)

Jetzt hat Herr Kollege Herrmann das Wort. 90 Sekunden.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Ich warte, bis es ein bisschen ruhiger geworden ist.

Herr Minister, ich musste mich einfach noch mal melden, weil ich es wirklich unerträglich finde, dass Sie wieder mit dem Argument „Suche nach Kinderpornografie im Internet“ kommen. Es ist wirklich unerträglich, sich ständig dieses Argument anhören zu müssen.

Es wird immer – egal, um welches Verbrechen es sich handelt – den Fall geben, wenn nicht die ganze Menschheit komplett 24 Stunden pro Tag überwacht wird, dass etwas nicht aufgeklärt werden kann, wie schlimm oder wie einfach ein Verbrechen auch immer ist. Ein solches Beispiel, wie Sie es gerade herausgestellt haben, wird es also immer geben – egal, wie viel Vorratsdatenspeicherung wir haben.

Sie unterschlagen völlig, dass 99 % des Kindesmissbrauchs im familiären Umfeld stattfindet und nichts mit dem Internet zu tun hat. Was tun Sie für diese 99 %? Wo sind Ihre Initiativen, dass zum Beispiel alle Männer und Frauen Fußfesseln oder was auch immer bekommen, um diese 99 % Kindesmissbrauch aufzuklären? Da passiert nichts.

Ich finde es unerträglich, dass Sie ständig mit diesem Argument kommen.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der SPD)



Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, bitte, Ihre Antwort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Wenn wir schon bei Unerträglichem sind: Aus einer, wie ich finde, unglaublich nichtwissenden und arroganten Haltung heraus zu behaupten, dass derartige Informationen und Daten keinerlei Nutzen für die polizeiliche Arbeit hätten, das finde ich von Ihrer Seite inzwischen wirklich unerträglich.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Dass Sie nicht einmal bereit sind, sich in ansprechendem Maße zu informieren und mit uns zu diskutieren, dass Sie nicht bereit sind, einen solchen Antrag an den Innenausschuss zu überweisen, wo wir ihn sachlich miteinander beraten könnten, dass Sie auf Angebote nicht eingehen, sich das von Kriminologen erklären zu lassen, das finde ich übrigens auch unerträglich.

(Beifall von der SPD – Lachen von Kai Schmalenbach [PIRATEN] – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Wer hier auf Dialogangebote nicht eingeht, haben wir gerade gesehen!)

Ich sage Ihnen ganz offen: Ein Rechtsstaat hat die Aufgabe, die Menschen vor schweren Straftaten zu schützen, und muss im Rahmen der Abwägung der Verhältnismäßigkeit die entsprechenden Instrumentarien haben.

Ich glaube, dass ein Rechtsstaat es beispielsweise nicht hinnehmen kann, dass solche Verbindungsdaten auch im Rahmen von Tötungsdelikten, auch im Rahmen von organisierter Kriminalität, aber eben auch im Rahmen von Kinderpornografie im Netz nicht zur Verfügung gestellt werden. Das kann nicht richtig sein.

(Beifall von der SPD – Frank Herrmann [PIRATEN]: Totale Überwachung ist das falsche Mittel!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – So weit Kurzintervention und Reaktion darauf.

Vorher hatte die Landesregierung, meine Damen und Herren, ihre vereinbarte Redezeit bereits um zwei Minuten und 27 Sekunden überzogen. Das heißt, diese knapp zweieinhalb Minuten stehen potenziell auch den Fraktionen zur Verfügung. Ich darf fragen: Möchte davon Gebrauch gemacht werden?

(Nicolaus Kern [PIRATEN] meldet sich. – Zurufe von der SPD: Ah! Unerträglich!)

Ich sehe eine Wortmeldung. – Weitere Wortmeldungen anderer Fraktionen sehe ich nicht. – Bitte schön.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich finde die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt äußerst … Mir fehlen da die Worte. Es ist einfach deprimierend, das mitanzuschauen. Es ist unerträglich.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Herr Minister, ich wollte das eigentlich im Rahmen einer Zwischenfrage klären. Die haben Sie ebenso wie die beiden weiteren Zwischenfragen meiner Kollegen nicht zugelassen.

(Rainer Schmeltzer [SPD] und Sigrid Beer [GRÜNE]: Laut Geschäftsordnung! – Weitere Zurufe)

Ich möchte das an dieser Stelle nachholen.

Sie haben so getan, als sei uns Piraten nicht bewusst, dass es eine Vielzahl von Grundrechten gibt, die jeweils im Rahmen einer praktischen Konkordanz – so sagt es das Verfassungsgericht – in Ausgleich zu bringen sind. Das ist richtig.

Aber dabei hat die Menschenwürde einen ganz besonderen Wert. Und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist genau aus diesem Grundrecht abgeleitet.

Es war doch der Bundesinnenminister, der versucht hat, uns ein Supergrundrecht zu verkaufen und einzuführen, das es so gar nicht gibt. Da Sie ja auch zu diesem Chor gehören, der da gerne einstimmt und die Sicherheit hochhält, frage ich Sie: Wie bringen Sie das denn bitte mit Ihrem Grundrechtsverständnis in Einklang, dass hier einfach ein Grundrecht erfunden wird, das es gar nicht gibt?

(Beifall von den PIRATEN)

Sie sehen, bei wem die Grundrechte hier hoch im Kurs stehen und bei wem offensichtlich nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Lachen und Zurufe von der SPD: Oh!)


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