Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, meine Damen und Herren. Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Zu dieser direkten Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/4815 kommen wir also. Wer möchte dem vorliegenden Antrag der Piratenfraktion zustimmen? Den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Das ist die Piratenfraktion. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Stein ist der Antrag Drucksache 16/4815 mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich schließe die Beratung zum Tagesordnungspunkt 4 und rufe auf den Tagesordnungspunkt
5 „Karenzzeit“ für ausgeschiedene Regierungsmitglieder und (Parlamentarische) Staatssekretäre in Anlehnung an EU-Recht einführen
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4816 – Neudruck
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Marsching das Wort.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Wir debattieren heute über unseren Antrag, für ausgeschiedene Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretäre sowie Staatssekretäre eine Karenzzeit in Anlehnung an das EU-Recht einzuführen.
Eine kurze Vorwarnung: Ein Großteil meiner Rede besteht aus Zitaten, die ich auch entsprechend benennen werde.
Ich erzähle Ihnen kein Geheimnis, wenn ich verrate, dass die Diskussion natürlich durch den Fall Pofalla aufgekommen ist. Unser Antrag ist Folge der vielen Zuschriften und der vielen Anfragen, die uns dazu erreicht haben.
Sicherlich: Insgesamt stellen Antikorruptionsorganisationen der Bundesrepublik ein sehr gutes bis gutes Zeugnis aus. Aber trotz dieser positiven Bewertung sehen sie – Zitat – Spielraum für Verbesserungen in der Praxis. Karenzzeiten für Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretäre, das wäre eine solche Verbesserung.
In unserem – Zitat – Recht fehlt dazu bisher jegliche Regelung. Es gibt aber ein Bedürfnis für eine vernünftige Regelung. Wir wollen diese in Anlehnung an die Regeln der Europäischen Kommission machen. Danach muss ein Kommissionsmitglied nach dem Ende der Dienstzeit innerhalb von 18 Monaten eine berufliche Tätigkeit nach Anhörung von einer Ethikkommission genehmigen lassen. – Zitat Ende.
Neues Zitat: Die EU-Kommission hat damals eine solche Regelung nach dem Wechsel von Bangemann zu Telefonica eingeführt. Es ist da nämlich derjenige in ein Telekommunikationsunternehmen eingetreten, der zuvor als EU-Kommissar den Telefonmarkt in Europa reguliert hat. Solche Sachen gehen nicht. Es kann nicht einfach das versilbert werden, was man im Amt geleistet hat. – Zitat Ende.
(Beifall von den PIRATEN)
– Die Kollegen klatschen für ein Zitat des Kollegen Volker Beck aus der Grünen-Bundestagsfraktion.
Verschiedene Nichtregierungsorganisationen wie LobbyControl und Transparency International fordern allerdings eine längere Karenzzeit von drei Jahren, und das auch zu Recht, denn – Zitat – Transparenz ist kein Selbstzweck. Transparenz soll sicherstellen, dass nicht Interessen in illegitimer Weise auf parlamentarische und exekutive Entscheidungen Einfluss nehmen. – Zitat Ende.
Es muss einfach klar sein – Zitat –, dass die Anschlussbeschäftigung eine allein berufliche Tätigkeit ist und kein Dankeschön für Entscheidungen im Amt und kein Einkaufen von Amtswissen durch Konzerne und Wirtschaftsverbände.
(Beifall von den PIRATEN)
– Das ist eigentlich schon traurig, denn da wird wieder für den Kollegen Beck aus dem Bundestag geklatscht. Aber vielleicht kriege ich das ja für mich auch noch hin.
Diese Offenheit liegt auch im Interesse der Betroffenen. Denn so und nur so können alle Zweifel daran ausgeräumt werden, dass Regierungsmitglieder und Staatssekretäre sich nach ihrer Amtszeit integer und sauber verhalten.
Sicherlich kennen wir alle die Diskussion im Bund. Wir wissen auch, dass nach langem Hin und Her jetzt endlich eine gesetzliche Regelung geschaffen werden soll und keine Selbstverpflichtung.
Wir Piraten sehen aber keinen Grund, warum wir in Nordrhein-Westfalen das nicht einfach auf Landesebene regeln und damit Vorreiter sein dürften. In vielen Bereichen machen wir im Land doch wegweisende Regelungen zur Transparenz des Parlamentarismus. Ich nenne unsere Diäten als Beispiel. Die sind klar und verständlich. Da sind keine versteckten Zusätze. Die sind in einem Gesetz aufgeschlüsselt, und das kann man nachlesen. Das finden wir als Piraten richtig gut.
(Beifall von den PIRATEN)
Lassen Sie uns auch in diesem Bereich bei der Nachvollziehbarkeit vorne mit dabei sein. Lassen Sie uns einfach für den Bund ein gutes Beispiel bieten.
Mir ist wichtig, noch einmal zu sagen: Wir fordern hier keine fertige Lösung. Wir wollen der Landesregierung die Möglichkeit geben, bei einer sie betreffenden Regelung mitzureden. Bitte tun Sie das. Bitte legen Sie einen Vorschlag vor! Und bitte – Zitat – rechtfertigen Sie das Vertrauen, das die überwiegende Mehrheit der Menschen noch in diese Institution – Zitat Ende –, den Landtag, das Land Nordrhein-Westfalen, in seine Regierung und in die Demokratie hat. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Prof. Bovermann das Wort.
Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auch noch am Freitagnachmittag! In seinem Vortrag „Politik als Beruf“ aus dem Jahr 1919 unterscheidet Max Weber, der Vater der modernen Sozialwissenschaft, zwischen zwei Typen von Politikern: denen, die „für“ die Politik leben, und denen, die „von“ der Politik leben. Weiter heißt es bei Weber – nun zitiere ich auch einmal –:
„Der v o n der Politik lebende Berufspolitiker kann sein: reiner ,Pfründner‘ oder besoldeter ,Beamter‘.“
In unserer heutigen Debatte geht es um den Übergang von Politikern als besoldete Beamte in Funktionen und Positionen der Wirtschaft, die ihren Unterhalt sichern sollen. Auch fast 100 Jahre später tun wir uns dabei in Deutschland immer noch schwer mit dem Typus des Berufspolitikers. Sei es bei Diätenerhöhungen, Nebentätigkeiten oder, so wie heute, den Aktivitäten nach dem Ausscheiden aus der Politik – stets droht die Zunahme der Politikerverdrossenheit.
Daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die Piraten sich um die – jetzt zitiere ich aus dem Antrag – „Glaubwürdigkeit des Parlamentarismus als Ganzem“ sorgen. Das hat man, lieber Herr Marsching, nicht von Ihnen, aber von anderen Mitgliedern Ihrer Fraktion auch schon anders gehört.
(Vereinzelt Beifall von der SPD – Michele Marsching [PIRATEN]: Bitte?)
Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Der Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft ist durchaus erwünscht. Doch es gibt Bedenken, die die Piraten in ihrem Antrag am Beispiel des Falles Pofalla aufgreifen. Unabhängig davon, ob es sich um einen Wechsel zu einem Unternehmen des Bundes oder in die freie Wirtschaft handelt, muss die Mitnahme von Insiderwissen und die Verwendung dieses Wissens gegen staatliche Interessen und zum persönlichen Vorteil unterbunden werden.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie bitte. Herr Kollege Marsching würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Möchten Sie sie zulassen?
Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD): Nein, ich möchte keine Frage zulassen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Okay.
Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD): Als weiteres Problem kommt bei einem Wechsel während der Wahlperiode der Vertrauensverlust an der Wählerbasis hinzu. In diesem Fall, dem Fall Pofalla, fehlte es wohl an der notwendigen Verantwortungsethik, die stets die Folgen des Tuns einbezieht. Oder, um es wieder mit Max Weber zu formulieren: Nicht jeder Berufspolitiker hat auch den „Beruf zur Politik“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir nun zu den Forderungen der Piraten. Sie präsentieren uns in Ihrem Antrag eine bunte Mischung von Indikatoren, ohne sich klar festzulegen. Zum einen sollen sich die Aufgabengebiete oder Ressorts von früherer und neuer Tätigkeit nicht überschneiden. Zum anderen dienen Interessenverflechtungen und Konflikte als Kriterium. Schließlich soll der Zusammenhang zwischen im Amt getroffenen Entscheidungen und einer nach dem Ausscheiden aufgenommenen Tätigkeit vermieden werden.
Gefordert werden eine dreijährige Karenzzeit und die Einrichtung einer Ethikkommission. Letzteres dürfte angesichts der vorhin angedeuteten ethischen Fragen besonders problematisch sein.
Was ich überhaupt nicht verstehen kann, liebe Piraten, ist die Behauptung, dass es in Nordrhein-West-falen keine diesbezüglichen Regelungen gebe. Ein Blick in das Korruptionsbekämpfungsgesetz und das Beamtenstatusgesetz hätte Sie eines Besseren belehrt. Dort finden sich eindeutige Bestimmungen, die für ausgeschiedene Regierungsmitglieder gelten, wenn durch ihre Tätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt sind. Auch ein Karenzzeitraum ist klar definiert.
Was wollen die Piraten uns also mit ihrem Antrag sagen? Vielleicht erfahren wir es nach der Überweisung in den Hauptausschuss, der wir zustimmen. Dort können wir auch über die Überlegungen auf Bundesebene diskutieren und abwarten, ob dort überzeugende Lösungen gefunden werden. Für Nordrhein-Westfalen jedenfalls sehen wir zurzeit keinen Handlungsbedarf. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bovermann. Bitte bleiben Sie noch einen Augenblick hier; denn die Piratenfraktion hat eine Kurzintervention angemeldet. Ich vermute, dass der Kollege Marsching das Wort ergreifen wird. Wenn er sich freundlicherweise eindrückt, kann ich ihm auch für 90 Sekunden das Wort geben. Bitte.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Bovermann, wenn Sie während Ihrer Rede keine Zwischenfrage zulassen, muss ich meine Frage leider am Ende stellen. Zwischenfragen sind ja auch vorgesehen, um Verständnisfragen zu stellen. Sie haben gerade gesagt, zum Thema „Glaubwürdigkeit des Parlamentarismus“ hätten Sie von anderen Mitgliedern meiner Fraktion schon etwas anderes gehört. Diesen Punkt hätte ich von Ihnen gerne noch einmal erläutert, wenn es geht.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Bovermann.
Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD): Ich beziehe mich hier auf Aussagen, die aus Ihrer Fraktion gekommen sind und das System des Parlamentarismus als ein krankes System bezeichnen.
(Thomas Stotko [SPD]: Genau so ist es!)
Das halte ich für eine Formulierung, bei der es nicht nur um sicherlich immer wichtige Verbesserungen unseres parlamentarischen Systems geht, sondern um eine fundamentale Kritik. Daher habe ich mich gewundert, dass Sie sich jetzt in diesem Fall der Karenzzeiten zum Retter oder zur Retterin des Parlamentarismus aufschwingen. Ich begrüße es aber, wenn es einen entsprechenden Gesinnungswandel gibt. Ich habe ja auch deutlich gemacht, dass das nicht auf Ihre Fraktion insgesamt zutrifft
(Daniel Düngel [PIRATEN]: Sie haben einfach nichts verstanden! Aber das ist egal!)
und dass es bei Ihnen ganz unterschiedliche Positionen dazu gibt. Wir freuen uns immer darüber, wenn jemand dafür eintritt, den Parlamentarismus im Detail zu verbessern. Allerdings kann ich die dort gefallenen Äußerungen nur mit großem Unverständnis zurückweisen. – Danke schön.
(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Prof. Bovermann. – So weit Kurzintervention und Antwort darauf. – Nächster Redner für die CDU-Fraktion ist Herr Kollege Jostmeier. Bitte, Herr Kollege.
Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Völlig losgelöst von dem aktuell diskutierten Fall hatten wir die Frage und das Problem, wenn Sie so wollen, des Wechsels von der Politik in die Wirtschaft oder umgekehrt von der Wirtschaft in die Politik auch in früheren Jahren und Jahrzehnten, und zwar völlig unabhängig von der Farbe der Partei, die gerade in Bonn oder hier in Düsseldorf das Sagen hatte.
Auch vor dem Hintergrund des Antrags der Piratenfraktion denke ich, dass bei den Parteien in diesem Hause Konsens dahin gehend besteht, dass wir gemeinsam sagen: Ein Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft, Politik und Kultur sowie Politik und Verwaltung und auch umgekehrt ist nicht nur gewünscht; es ist auch notwendig, dass solche Wechsel stattfinden.
(Beifall von der CDU)
Je mehr Normalität wir bei dieser Frage haben, je mehr Normalität wir bei dem Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft haben, desto besser ist es für die Parlamente, und desto besser ist es auch insgesamt für die Politik, denke ich.
Sie kennen wahrscheinlich alle den Spruch, den wir uns häufiger in den Wahlkreisen anzuhören haben: Wir wollen kein Beamtenparlament; wir wollen auch nicht, dass nur Berufspolitiker im Parlament sitzen. – Häufig kommt dann hinterher noch der schöne Satz: Das Parlament ist mal voller und mal leerer, aber ständig voller Lehrer. – Jeder von uns weiß, dass das nicht stimmt und dass wir dem entgegentreten. Die Art und Weise aber, wie wir dieses Thema behandeln, kann auch dazu beitragen.
Meine Damen und Herren, die Große Koalition hat sich ebenfalls mit dem Thema befasst. Der Koalitionsvertrag besagt, dass man eine angemessene Regelung anstreben will. Am 16. Januar dieses Jahres hat sich der Bundestag damit befasst.
Ich denke, es wäre völlig falsch, wenn sich die Parteien jetzt in einen Überbietungswettbewerb begeben, wer die höhere Karenzzeit fordert. Aus meiner Sicht ist der Antrag der Piraten hier schon nicht stringent. Die Piraten verweisen auf die europäische Regelung. Danach sind es anderthalb Jahre für Kommissare und für Kommissionsmitglieder – Sie haben das vorhin zitiert, Herr Marsching –, Sie selber fordern aber die doppelte Karenzzeit, nämlich drei Jahre, begründen das in Ihrem Papier aber nicht.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Wie viel fordern Sie denn? Fünf, zehn?)
Meine Damen und Herren, wir sollten uns hüten, bei dieser Frage eine generelle, pauschale Regelung zu finden. Jeder Fall unterscheidet sich. Es ist etwas völlig anderes, ob sich ein früherer Bundeskanzler in den Dienst des Präsidenten Putin stellt. Das ist auch keine Frage der Karenzzeit. Wenn sich ein früherer Bundeskanzler in den Dienst einer fremden Macht stellen will, dann sollte es nicht auf Karenzzeiten ankommen – das sollte er nie tun.
(Beifall von der CDU)
Er hat im Übrigen keine drei Jahre abgewartet. – Die Karenzzeit ist also nicht das Thema an sich.
Meine Damen und Herren, wir verschließen uns einer sachlichen Diskussion, um zu Regelungen zu kommen, nicht. Das können wir gerne im Hauptausschuss sachlich konkret behandeln. Ich gebe aber zu bedenken, ob es nicht klug wäre, um keinen Flickenteppich zu bekommen, dass wir abwarten, was der Bund in dieser Angelegenheit regeln wird. Unterschiedliche Regelungen zwischen Bund und Ländern sollten wir vermeiden. Noch schlimmer wäre es, wenn die 16 Bundesländer ebenfalls völlig verschiedene Regelungen zu dieser Thematik beschließen würden.
Wir freuen uns auf die Diskussion im Hauptausschuss. Ich hoffe und wünsche, dass wir dann zu einer Regelung kommen, die – da gebe ich Ihnen recht – mit dazu beiträgt, dass die Politik- oder die Politikerverdrossenheit nicht weiter zunimmt, sondern das Gegenteil sollte stattfinden. Je mehr wir den Wechsel zur Normalität werden lassen, desto mehr hilft es den Parlamenten. – Danke schön.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Engstfeld das Wort.
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Marsching, Sie haben in Ihrer Rede gesagt: „Achtung, jetzt kommen ein paar Zitate“, und Sie haben die Stellen dann auch kenntlich gemacht. Ich habe mir Ihren Antrag angeguckt.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Oh! Jemand, der es gemerkt hat!)
Sie wissen ganz genau – das hätten Sie auch dazuschreiben können –, dass er in ganz großen Teilen deckungsgleich mit dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 15. Januar 2014 ist.
(Beifall von den PIRATEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Sehr gut erkannt!)
Was Sie gemacht haben, ist sehr „piratig“. Sie haben einen aktuellen Anlass genommen, den Sie auch benannt haben – den Fall Pofalla –, und dann haben Sie ein bisschen geguckt, was die anderen aufgeschrieben haben, in diesem Fall unsere Bundestagsfraktion. Dabei haben Sie die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen – der Kollege Bovermann hat es angedeutet – nicht richtig erfasst; ich weiß gar nicht, ob willentlich nicht, oder ob Sie dazu nicht in der Lage gewesen sind. Ich gehe davon aus, dass der Minister gleich noch das eine oder andere zur Rechtslage sagen wird.
(Minister Ralf Jäger: Auf jeden Fall! Ich freue mich darauf!)
Dann haben Sie geguckt: Was gibt es noch? – Ach ja, auf der europäischen Ebene gibt es eine eigene Regelung. Sie hatten keine eigene Idee und haben gesagt: Vielleicht können wir doch die Regelung der Kommission übernehmen. – Festlegen wollen Sie sich aber auch nicht. Sie sind ein bisschen auf Ihrem Piratenschiff dahingesegelt, laues Lüftchen, haben geguckt, was am Strand herumliegt, das eingesammelt, hier zusammengerührt und dann ins parlamentarische Wasser geworfen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Positiv gesprochen: Über das Ziel sind wir uns einig. Es darf keine hoch dotierten Tätigkeiten von ausgeschiedenen Regierungsmitgliedern und Parlamentarischen Staatssekretärinnen und Staatssekretären im Bereich der Privatwirtschaft zum Dank für während der Regierungszeit geleistetes Entgegenkommen geben. Das ist völlig unstreitig.
Eine Karenzzeitregelung ist auch im Hinblick auf eine andere Argumentation sinnvoll; denn sie schützt Wirtschaftsunternehmen und ehemalige Mitglieder von Landesregierungen vor Unsicherheiten und vor ungerechtfertigter Kritik. Insofern ist es immer gut, da einen Abstand zu haben.
Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, dass die europäische Regelung besser sein soll als das, was wir derzeit in Nordrhein-Westfalen haben. Der Kollege Jostmeier hat es angesprochen: Im Bund gibt es eine Bewegung, ausgelöst durch den Fall Pofalla. Da soll es jetzt auch Überlegungen geben und eine Karenzzeit eingeführt werden. – Ich persönlich glaube, wir brauchen eine gesetzliche Regelung. Es muss eine gesetzliche Regelung sein. Unsere Fraktion hat dazu Vorschläge gemacht.
Der Überweisung stimmen wir zu. Wir werden dann sehen. Sollte es Lücken oder irgendwelche Umgehungsmöglichkeiten der nordrhein-westfälischen Gesetzeslage geben, sind wir immer offen, darüber zu diskutieren, das zu thematisieren und gegebenenfalls Veränderungen vorzunehmen. Das ist derzeit aber nicht erkennbar.
Insofern stimmen wir der Überweisung zu. Das ist mir alles aber ein bisschen zu wenig. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.
Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich ist ein Wechsel zwischen der Politik und der Wirtschaft, zwischen der Politik und den unterschiedlichen Bereichen unserer Gesellschaft erwünscht und eine Bereicherung für die politische Landschaft. In gleicher Weise ist es von Vorteil, wenn politische Erfahrungen in die anderen gesellschaftlichen Bereiche einfließen.
Regierungsämter und Parlamentsmandate sind regelmäßig nur Ämter auf Zeit. Der Wechsel von einem politischen Amt in ein Unternehmen der privaten Wirtschaft, möglicherweise mit der Unterscheidung, ob es lediglich die private Rechtsform hat, ansonsten aber vielleicht staatsbeherrscht, im Eigentum des Staates oder der öffentlichen Hand ist, wirft regelmäßig Fragen auf.
Diese Fragen stellen sich insbesondere dann, wenn der Wechsel innerhalb eines Aufgabenbereiches stattfindet und wenn es darum geht, ob durch Insiderwissen oder spezielles Wissen an anderer Stelle Einfluss genommen werden könnte.
Meine Damen und Herren, aus welcher Funktion jemand exakt wohin wechselt, kann bei all diesen Fragen den entscheidenden, großen Unterschied machen. Es gibt ganz und gar unbedenkliche wie auch sicherlich höchst kritisch zu bewertende Wechsel.
Wechselt zum Beispiel ein ehemaliger Innenminister …
(Minister Ralf Jäger: Keine Gerüchte streuen!)
– Sie sind doch, dachte ich, noch amtierend, Herr Jäger. Wenn sich das ändern sollte, lassen Sie es mich wissen. – Also, für den Fall, dass ein ehemaliger Innenminister zu einem privaten Industrieunternehmen der Nahrungsmittelindustrie wechselt, wird man sich vielleicht weit weniger darüber aufregen, als wenn ein Energieminister zu einem großen Stromkonzern geht. Diese Unterscheidung spielt aber im Antrag der Piraten überhaupt keine Rolle.
(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Natürlich tut sie das! Wie nennen Sie „Interessenkonflikt“ sonst?)
– Sie unterscheiden überhaupt nicht zwischen den hier zur Abwägung anstehenden Fragen.
(Beifall von der FDP)
Gerade beim Wechsel in ein staatseigenes oder vom Staat beherrschtes Unternehmen wird oftmals auch die Frage aufgeworfen, ob zum Beispiel auf diese Weise politische Einflussnahme gesichert werden soll oder ob es sich um einen sogenannten Versorgungsposten handelt. All das sind ebenfalls Aspekte, die in Ihrem Antrag keine Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, eine Karenzzeit ist ein Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgte Berufsfreiheit, also in Grundrechte. Das macht eine Abwägung erforderlich. Die Piraten gerieren sich hier immer als Grundrechtspartei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass es dann auch noch andere Rechte bzw. Grundrechte als nur – ohne diese relativieren zu wollen – die auf dem Gebiet des Datenschutzes gibt.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Ich darf im Hinblick auf das Wechselverbot, das Sie in Ihrem Antrag thematisieren, darauf hinweisen, dass dies einen massiven Eingriff in die Berufsfreiheit des jeweils Wechselwilligen bedeutet. Das ist unabhängig davon, ob es freiwillig geschieht oder ob er dieses Amt – zum Beispiel nach einem Regierungswechsel – nicht mehr ausübt und sich deswegen selbstverständlich eine neue berufliche Existenz aufbauen muss.
Wechselverbote müssen verhältnismäßig sein, es muss gegeneinander abgewogen sein. Das spielt in Ihrem Antrag nicht die geringste Rolle. Auf die Widersprüche bezüglich der Fristen auf der europäischen Ebene – drei Jahre oder 18 Monate im Rahmen einer Selbstverpflichtung – haben die Kollegen gerade schon hingewiesen. Mit Blick auf die Zeit will ich nicht näher darauf eingehen. Für die FDP-Fraktion jedenfalls sage ich: Ich halte eine Karenzzeit von drei Jahren für unverhältnismäßig. Die Diskussion über eine Karenzzeit von einem Jahr rückt jedenfalls wesentlich eher an eine Verhältnismäßigkeit heran.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interessant ist, dass das im Antrag der Piraten auch noch auf die Landesbeamten übertragen werden soll. Auch hier muss man auf das Detail schauen: Sind das Letztentscheider oder Entscheidungsvorbereiter, die ihre Arbeit sehr gewissenhaft verrichten, sich dann aber möglicherweise eine andere berufliche Perspektive aufbauen wollen?
Wir können deshalb nicht – wenn man in Ihrer Kategorie bleiben will – sagen: Die haben dreijähriges Berufsverbot. Außerdem wissen wir, dass im Zweifel nach drei Jahren Kenntnisse entscheidend veraltet sind. Brüche im Lebenslauf, die dann im Übrigen nirgendwo zum Beispiel durch Übergangsgelder abgefangen würden, werfen weitere Fragen auf.
Ihr Antrag – Herr Präsident, das ist der Schluss – soll Beratungsgrundlage im Hauptausschuss werden. Wir stimmen der Überweisung selbstverständlich zu, sehen aber noch erheblichen Diskussionsbedarf. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
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