7Bauaufsichtliche Befugnisse
Aufgabe der Bauaufsichtsbehörden ist es, darüber zu wachen und darauf hinzuwirken, dass bauliche Anlagen, Grundstücke und Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht entsprechen (§ 65 I NBauO).
7.1Überblick über die bauaufsichtlichen Befugnisse -
Ermächtigungsgrundlagen
Die Bauaufsichtsbehörde hat in Verfolgung dieser Aufgaben die folgenden speziellen bauaufsichtlichen Befugnisse:
1. Präventive Rechtmäßigkeitskontrolle
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Baugenehmigungspflicht (§ 68 I NBauO)
2. Überwachung der Bauausführung
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Bauüberwachung (§ 79 NBauO)
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Bauabnahmen (§ 80 NBauO)
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Untersagung der Verwendung bestimmter Bauprodukte
(§ 89 I Satz 2 Nr. 3 NBauO)
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Anordnung der Ausführung erforderlicher Arbeiten
(§ 89 Satz 2 Nr. 1 NBauO)
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Einstellung bestimmter Arbeiten/Baustopp (§ 89 I Satz 2 Nr. 1, 2 NBauO)
3. Nachträgliches Einschreiten zur Herstellung rechtmäßiger Zustände
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Regelmäßige Überprüfung bestimmter baulicher Anlagen
(§ 87 NBauO)
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Nutzungsuntersagung (§ 89 I Satz 2 Nr. 5 NBauO)
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Beseitigungsanordnung (§ 89 I Satz 2 Nr. 4 NBauO)
Im Übrigen hat die Behörde generell das Recht, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Rechtmäßigkeit des Vorhabens sicherzustellen (§ 89 I Satz 1 NBauO). Dazu gehört z.B auch der Erlass nachträglicher Anordnungen, die Anordnung von Nutzungsbeschränkungen statt einer Nutzungsuntersagung usw.)
Die Behörde hat in Ausübung ihres Amtes ferner das Recht, Grundstücke und bauliche Anlagen einschließlich Wohnungen - auch gegen den Willen der Betroffenen - zu betreten
(§ 88 NBauO).
4. Abbruch verfallener baulicher Anlagen (§ 54 NBauO)
Die Bauaufsichtsbehörde kann nach § 54 NBauO den Abbruch im Verfall begriffener nicht genutzter Anlagen anordnen.
7.2Eingriffsbefugnisse nach § 89 I NBauO
Die zentrale Norm für Eingriffe der Bauaufsichtsbehörde ist § 89 I NBauO.
§ 89 I Satz 1 NBauO verleiht der Bauaufsichtsbehörde, sofern bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen oder ein solcher Widerspruch zu besorgen ist, ganz allgemein die Befugnis, diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die erforderlich sind, um rechtmäßige Zustände herzustellen oder zu sichern. In
§ 89 I Satz NBauO werden einige mögliche Maßnahmen aufgeführt (vgl. 7.1). Der Katalog ist jedoch nicht abschließend. In Betracht kommt z.B. auch die Verhängung nachträglicher Auflagen oder die Nutzungsbeschränkung.
7.3Formelle Rechtmäßigkeit einer Bauordnungsverfügung
nach § 89 I NBauO
Zuständig ist wiederum die untere Bauaufsichtsbehörde (§ 65 III NBauO), d.h. die Landkreise, kreisfreien und großen selbständigen Städte (§ 63 I NBauO). Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 I Nr. 1 VwVfG: Zuständig ist diejenige Behörde, in deren Bezirk das Grundstück liegt.
Im Hinblick auf das Verfahren gelten die Vorschriften des VwVfG. Allerdings enthält § 89 III NBauO eine Sonderregelung zur Anhörung des Betroffenen. Normalerweise würde hier § 28 VwVfG anwendbar sein. § 28 VwVfG verpflichtet die Behörde, den Betroffenen bei einer Maßnahme, die in seine Rechte eingreift (ein solcher Eingriff ist mit jeder bauaufsichtlichen Verfügung verbunden), anzuhören. § 28 II VwVfG lässt von diesem Anhörungsrecht Ausnahmen zu (insbesondere bei Gefahr im Verzuge). § 89 III NBauO formuliert demgegenüber weicher (im Ergebnis aber ähnlich):
„Die Bauaufsichtsbehörde soll vor Anordnungen nach Absatz 1 die Angelegenheit mit den Betroffenen erörtern, sofern die Umstände nicht ein sofortiges Einschreiten erfordern“.
Maßnahmen der Bauaufsicht nach § 89 I NBauO unterliegen keiner speziellen Formvorschrift. Auch hier ist das allgemeine Verwaltungsrecht anwendbar. Nach § 37 II VwVfG kann ein VA schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Wird er schriftlich erlassen, muss er die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, eines Vertreters oder seines Beauftragten (§ 37 III VwVfG) sowie eine Begründung enthalten (§ 39 VwVfG).
7.4Materielle Rechtmäßigkeit einer Bauordnungsverfügung 7.4.1Voraussetzung des § 89 I NBauO: Baurechtswidrigkeit
Voraussetzung für ein Einschreiten ist, dass die bauliche Anlage, das Grundstück, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen oder die Gefahr besteht, dass ein solcher Widerspruch eintritt.
Ein Widerspruch zum öffentlichen Baurecht kann aus zwei Gründen bestehen, und zwar weil das Vorhaben formell oder materiell baurechtswidrig ist.
a) Formelle Baurechtswidrigkeit
Ein Vorhaben ist formell baurechtswidrig, wenn es ohne die erforderliche Genehmigung errichtet worden ist oder aber das Vorhaben von der erteilten Genehmigung abweicht oder wenn das Vorhaben anzeigepflichtig ist, die Anzeige aber nicht eingereicht wurde.
Formelle Baurechtswidrigkeit ist ebenfalls gegeben, wenn eine Baugenehmigung zwar vorliegt, diese aber nicht vollziehbar ist (z.B. weil die Behörde auf den Antrag des Nachbarn hin die Vollziehung gemäß § 80 IV VwGO ausgesetzt, oder das Gericht gemäß § 80 V VwGO die aufschiebende Wirkung des Nachbarwidespruchs/seiner Klage wieder hergestellt hat (Pieper, S. 125).
b) Materielle Baurechtswidrigkeit
Es ist materiell baurechtswidrig, wenn es Vorschriften des materiellen öffentlichen Baurechts widerspricht, die das Vorhaben in der Weise, wie es ausgeführt worden ist oder noch ausgeführt wird, verbieten. Zum materiellen öffentlichen Baurecht gehören alle Vorschriften, die bei einer Genehmigung zu prüfen sind, also alle Regelungen des Bauordnungsrechts (NBauO), des Bauplanungsrechts (§§ 29-37 BauGB und BauNVO) und alle Vorschriften des sonstigen Baurechts (z.B. Immissionsschutz, Naturschutz, Wasserrecht etc.), die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Vorhabens stellen.
Merke: Solange eine Baugenehmigung vorhanden ist, ist von der - formellen und materiellen - Rechtmäßigkeit des Vorhabens auszugehen, da die Genehmigung verbindlich feststellt, dass ein Vorhaben dem öffentlichen Baurecht entspricht. Die Baugenehmigung müsste erst aufgehoben werden (über Widerspruch/Anfechtungsklage des Nachbarn oder einen Widerruf bzw. Rücknahme durch die Behörde nach §§ 48, 49 VwVfG), um der Behörde die Möglichkeit eines Vorgehens gegen das Vorhaben zu eröffnen. Diese "Legalisierungswirkung" der Baugenehmigung ist ein großer Vorteil, den genehmigte Bauten gegenüber solchen haben, die von der Genehmigungspflicht freigestellt sind. Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist kann die Baugenehmigung vom Nachbarn nicht mehr in Frage gestellt werden. Die Behörde kann zwar die Baugenehmigung auch nach Ablauf dieser Frist noch aufheben. Dies ist aber nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG der Fall und ist in der Regel mit einer Entschädigungspflicht ggü. dem Bauherrn verbunden (vgl. dazu nach unten Kapitel 9).
Im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß § 75a NBauO, in dem der Prüfungsumfang eingeschränkt ist, tritt die Legalisierungswirkung nur soweit ein, wie die behördliche Prüfung reicht.
7.4.2Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
Die Maßnahme muss bestimmt genug formuliert sein, so dass der Betroffene weiß, was er zu tun hat. Außerdem muss ihre Durchführung dem Betroffenen rechtlich und tatsächlich möglich sein.
So wird die Behörde nicht einfach anordnen können, "baurechtsgemäße Zustände wieder herzustellen", sondern wird dem Betroffenen genau angeben müssen, welche Maßnahmen sie von ihm verlangt.
7.4.3Keine Ermessensfehler
Liegen die Voraussetzungen für ein Eingreifen der Behörde vor, so steht es in ihrem pflichtgemäßen Ermessen ob sie tatsächlich eingreifen will ("Entschließungsermessen") und welche Maßnahme sie anwendet ("Auswahlermessen"). Sie hat aber die im Skript "Grundlagen des Umweltrechts" dargelegten Grenzen für eine rechtmäßige Ausübung des Ermessens einzuhalten (Gebrauch des Ermessens, Abwägen aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles, keine sachwidrigen Erwägungen, keine unzutreffenden Tatsachen). Besondere Bedeutung hat die Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
a) Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 I GG)
Der Gleichheitsgrundsatz verlangt, dass eine unterschiedliche Behandlung nur dort erfolgt, wo sie sachlich gerechtfertigt ist.
Der Gleichheitsgrundsatz wäre daher verletzt, wenn eine Behörde bei der Überschreitung der Grenzabstände von einer Vielzahl von baulichen Anlagen nur gegen eine Anlage einschreiten würde, obwohl alle die Grenzabstände in ähnlicher Weise verletzen.
Dagegen entspräche es durchaus dem Gleichheitssatz bei einem Verstoß gegen Vorschriften des materiellen Baurechts nur gegen diejenigen Vorhaben einzuschreiten, die in besonders gravierender Weise gegen das Baurecht verstoßen. Im letzteren Fall gibt es einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung.
Mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar wäre es auch, gegen vergleichbar baurechtswidrige Anlagen systematisch in aufeinanderfolgenden Schritten einzuschreiten oder zunächst gegen ein Vorhaben einzuschreiten, um auf den Ausgang eines Musterprozesses zu warten. Auch hier kann die Behörde sachliche Gründe für ihr Vorgehen ins Feld führen.
(vgl. dazu: Koch/Hendler, § 27 Rn. 27; Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, § 89 Rn. 49ff.; außerdem das Skript "Grundlagen des Umweltrechts")
b) Verhältnismäßigkeitsprinzip
Die Verhältnismäßigkeit ist nur dann gewahrt, wenn die Behörde ein legitimes Ziel hat, welches sie bei ihrem Einschreiten verfolgt. Außerdem muss die Maßnahme zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und zumutbar sein.
Legitimes Ziel
Bauaufsichtliche Maßnahmen nach § 89 I NBauO verfolgen regelmäßig das vom Gesetz vorgegebene Ziel, Verstöße gegen das Baurecht zu beseitigen oder ihnen vorzubeugen. Die Verstöße können verschiedene Ursachen haben. Es kann z.B. um die Einhaltung von Grenzabständen, um die Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen, um die Einhaltung der Genehmigungspflicht o.ä. gehen.
Geeignetheit
Im konkreten Fall können verschiedenste Maßnahmen geeignet sein, ein Ziel zu erreichen. Geeignetheit bedeutet, dass die Erreichung des Ziels durch eine Maßnahme zumindest gefördert wird.
So ist bei der ungenehmigten Umwandlung eines Kellerraumes in eine Werkstatt die Nutzungsuntersagung dieses Kellerraumes ein geeignetes Mittel, um einen rechtmäßigen Zustand zu erreichen. Ebenso geeignet wäre es, die Nutzung des gesamten Wohngebäudes zu untersagen oder den Abriss des Gebäudes anzuordnen. In jedem Fall wird der Verstoß gegen das Baurecht, nämlich die ungenehmigte Nutzung des Kellerraumes zu gewerblichen Zwecken, beendet.
Erforderlichkeit
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gestattet der Bauaufsichtsbehörde jedoch, aus dem Katalog der prinzipiell geeigneten Maßnahmen nur solche auszuwählen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände auch erforderlich sind. Dies ist in § 89 I NBauO sogar ausdrücklich aufgenommen. Erforderlichkeit bedeutet, dass unter den zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände in gleicher Weise geeigneten Maßnahmen diejenige auszuwählen ist, die den Betroffenen am wenigsten belastet (Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs).
Nicht erforderlich wäre der Abriss oder die Beseitigung einer baulichen Anlage, die lediglich formell baurechtswidrig ist, wenn sie genehmigungsfähig wäre. Ausreichend wäre hier, eine Baueinstellung vorzunehmen oder - wenn die Anlage bereits vollendet ist - die Nutzung zeitweise zu untersagen bis die Baugenehmigung erteilt ist. Möglicherweise reicht im Einzelfall auch eine Belehrung des Betroffenen über die Notwendigkeit, eine Baugenehmigung einzuholen. Eine Abrissverfügung darf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit daher nur ergehen, wenn das Bauvorhaben nicht nur formell, sondern auch materiell rechtswidrig ist, also eine Genehmigung gar nicht erteilt werden könnte. Lässt sich die materielle Rechtswidrigkeit durch nachträgliche Auflagen oder die Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung herstellen, wäre dies das mildere Mittel. Auch in diesem Fall wäre die Beseitigung nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig (Koch/Hendler, § 27 Rn. 21ff.; Ortloff, NVwZ 2004, S. 942; Pieper, S. 135).
Auch in unserem Ausgangsfall wäre der Abriss des Gebäudes nicht erforderlich, um die rechtswidrige Nutzung des Kellerraumes zu unterbinden. Eine Nutzungsuntersagung für das gesamte Gebäude würde genauso wenig erforderlich sein. Ausreichend wäre es, lediglich die Nutzung der Kellerräume für gewerbliche Zwecke zu untersagen und zwar zunächst befristet bis zu dem Zeitpunkt, zu dem im Baugenehmigungsverfahren über die Genehmigungsfähigkeit entschieden wäre, um zu prüfen, ob diese Nutzung nicht eventuell genehmigungsfähig ist.
Zumutbarkeit
Im Rahmen des Ermessens bleibt ferner die Zumutbarkeit einer Maßnahme zu untersuchen. Eine Maßnahme ist unzumutbar, wenn der damit verbundene Eingriff in die Rechts des Betroffenen außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg der Maßnahme steht. Notwendig ist es, eine Güterabwägung zwischen den Belastungen für den Betroffenen und den mit dem Eingriff verbunden Vorteilen für die Allgemeinheit durchzuführen. Letztere hängen davon ab, wie schwerwiegend der Verstoß gegen das Baurecht ist. Je gravierender der Verstoß gegen das Baurecht, desto größer sind die mit der Maßnahme verbundene Vorteile für die Allgemeinheit, desto tiefgreifender dürfen demnach auch die Eingriffe in die Rechte des Betroffenen sein.
Unzumutbar wäre es, bei nur minimalem Verstoß gegen das Baurecht (z.B. Überschreitung des Grenzabstands um nur wenige Zentimeter) zu einer so einschneidenden Maßnahmen wie dem Abriss eines Gebäudes zu schreiten (so OVG Lüneburg bei einer Überschreitung von nur 3-6 Zentimetern, zitiert nach: Stollmann, S. 249). Das OVG Lüneburg hat als Faustformel für einen tolerablen Baurechtsverstoß die Verfehlung des richtigen Maßes "um einen halben Stein" aufgestellt (Urteil vom 8.7.1999, NVwZ-RR 2000, S. 142ff., 143). In diesem Fall sei ein Beseitigungsverlangen unverhältnismäßig. Im entschiedenen Sachverhalt ging es um eine Überschreitung der zulässigen Höhe um 45 cm. Hier wurde eine Beseitigung für zumutbar gehalten (ebd.).
Nachdem es sich bei einer Nutzungsuntersagung nur um eine vorübergehende Maßnahme handelt, wird sie normalerweise bereits für zulässig erachtet, wenn ausschließlich ein Verstoß gegen formelles Baurecht vorliegt, also keine Baugenehmigung beantragt wurde, obwohl diese vorgeschrieben ist (Ortloff, NVwZ 2004, S. 942). Ein Verstoß gegen das materielle Baurecht ist dann nicht mehr notwendig. „Für eine Baueinstellung reicht der durch Tatsachen belegte Anfangsverdacht eines formellen … Rechtsverstoßes aus. Die Bauarbeiten dürfen demgemäß schon dann gestoppt werden, wenn die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit … ernstlich zweifelhaft ist“ (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.2.2005, BauR 2005, S. 1461f.). Im Einzelfall kann die Nutzungsuntersagung bei lediglich formeller Baurechtswidrigkeit jedoch unzumutbar sein, wenn ihre Wirkungen einer endgültigen Maßnahme gleichkommen. So kann es für einen Gewerbebetrieb (wegen der zu erwartenden Umsatzeinbußen, dem Ausstellen der Mitarbeiter, der Auswirkungen auf die Kundschaft) im Einzelfall unzumutbar sein, den Betrieb bis zum Erlangen der Baugenehmigung einzustellen. Natürlich ist die Nutzungsuntersagung auch bei ernstlichen Zweifeln im Hinblick auf die materielle Rechtmäßigkeit zumutbar.
Die Beseitigungsverfügung setzt wegen ihrer schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen voraus, dass das Vorhaben sowohl formell als auch materiell baurechtswidrig ist. Wenn weder eine Genehmigungs-, noch eine Zustimmungs- oder Anzeigepflicht für ein Vorhaben besteht, genügt selbstverständlich die materielle Baurechtswidrigkeit.
Bei der Güterabwägung im Rahmen der Zumutbarkeit müssen grundsätzlich wirtschaftliche Aufwendungen des Betroffenen unberücksichtigt bleiben, die dieser gemacht hat, obwohl er die Baurechtswidrigkeit des Vorhabens kannte. In diesem Fall handelt er auf eigenes Risiko. Die bewusste Schaffung von Tatsachen als Hinderungsgrund für ein behördliches Eingreifen zu werten, hieße denjenigen zu belohnen, der bewusst gegen die Rechtsordnung verstößt (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, § 89 NBauO, Rn. 41).
"Einem Bauherrn soll grundsätzlich nicht zu Gute kommen, vollendete Tatsachen geschaffen zu haben und sich danach auf die (vermeintliche) Unverhältnismäßigkeit der mit einer Wiederherstellung (Zustände) verbundenen Kosten berufen zu können. Andernfalls litte in nicht hinzunehmender Weise die Ordnungsfunktion des Bau(ordnungs)rechts und bestünde die Möglichkeit, dass gerade derjenige Vorteile genießt, der anders als der rechtstreue Bürger ein baurechtswidriges Verhalten an den Tag legt" (OVG Lüneburg, Urteil vom 8.7.1999, NVwZ-RR 2000, S. 143).
(Vgl. zur Verhältnismäßigkeit auch das Skript "Grundlagen des Umweltrechts")
c) Verstoß gegen Art. 14 I GG (Bestandsschutz)
Aus dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes folgt, dass eine bauliche Anlage, die zu irgendeiner Zeit (mindestens für 3 Monate) dem materiellen Baurecht entsprochen hat, nicht beseitigt werden darf, auch wenn sich die Rechtssituation inzwischen geändert hat und die Anlage jetzt nicht mehr genehmigungsfähig wäre. Der Bestandsschutz endet, wenn die bislang zulässige Nutzung aufgegeben wird oder die bauliche Anlage in ihrer Substanz oder Nutzung geändert wird, so dass sich die Genehmigungsfrage neu stellt (Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert, § 99 NBauO, Rn. 22; Piper, S. 142).
Ausnahmsweise "Ermessensreduzierung auf Null"
In der Regel hat die Behörde - selbst wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten gegeben sind und die Grenzen des Ermessens eingehalten wurden - einen Ermessensspielraum, d.h. sie kann nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheiden, ob sie tatsächlich einschreitet. Die konkreten Umstände des Einzelfalles können jedoch im Ausnahmefall dazu führen, dass sich das behördliche Ermessen zu einer Pflicht auf Einschreiten verdichtet (sog. „Ermessensreduzierung auf Null“), z.B. wenn durch den baurechtswidrigen Zustand erhebliche und schwerwiegende Gefahren für wichtige Rechtsgüter eines Dritten drohen, dessen Belange also unzumutbar beeinträchtigt sind.
Eine solche "unzumutbare Beeinträchtigung" des Nachbarn wird man z.B. bei einer Überschreitung des seitlichen Grenzabstands um 0,5 m durch eine Garage annehmen können, sofern dadurch bewirkt wird, dass die - anderenfalls besonnte - Terrasse vom Sonnenlicht nicht mehr erreicht wird (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, § 89 NBauO, Rn. 63 mit weiteren Nachweisen).
7.4.4Richtiger Adressat
Die bauaufsichtliche Verfügung ist an denjenigen zu adressieren, der für den baurechtswidrigen Zustand verantwortlich ist. §§ 57ff. NBauO benennen mögliche Verantwortliche (u.a. Bauherr, Entwurfsverfasser, Unternehmer, Grundstückseigentümer etc.). Die Auswahl unter mehreren Pflichtigen steht im Ermessen der Behörde. Sie wird unter dem Kreis der Verantwortlichen denjenigen wählen müssen, der den baurechtswidrigen Zustand am ehesten beseitigen kann und dessen Verantwortlichkeit am größten ist. Dies wird bei der Beseitigung der Anlage in erster Linie der Bauherr selbst sowie der Grundstückseigentümer sein, bei Nutzungsuntersagungen derjenige, der die Anlage tatsächlich nutzt (Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert Stollmann, NBauO, § 89 Rn. 71f.). Die Anordnungen gelten auch gegenüber dem Rechtsnachfolger (§ 89 II Satz 3 NBauO).
7.4.5Vollstreckung
Zur Vollstreckung der Verfügungen können nach Unanfechtbarkeit oder bei Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 II Nr. 4 VwGO) die nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung verfügbaren Zwangsmittel (Zwangsgeld, Ersatzvornahme) eingesetzt werden
Die formelle Illegalität einer Nutzung rechtfertigt ungeachtet ihrer Genehmigungsfähigkeit grundsätzlich bereits den Erlass eines sofort vollziehbaren Nutzungsverbots (= Nutzungsverbot, das mit der Anordnung des Sofortvollzugs ausgestattet ist – VGH Hessen, Beschluss vom 6.2.2004, BauR 2005, S. 598 – Leitsatz). Baueinstellungen sind nach Meinung der Gerichte sogar in aller Regel für sofort vollziehbar zu erklären, ohne dass in der Begründung auf den konkreten Einzelfall eingegangen werden muss (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.2.2005, BauR 2005, S. 1461ff., 1461).
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