1 Familiennamen aus germanischen Sprachen Ulf Timmermann Friesische Familiennamen


Originalname: Àíàñòàñîâ / Anastasov



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Originalname: Àíàñòàñîâ / Anastasov

Ableitung vom männlichen griechischen RN Anastasios, der im Bulgarischen

(und auch im Serbischen40) zu Àíàñòàñ / Anastas geworden ist. Die Bedeutung

des griechischen RN ist ‘der Wiederauferstandene’.

Im Namenregister von MAKEDONSKI (1987, S. 95) kommt der Name nur in

der Form Anastasoff vor.

Getestete Formen auf der Telefon-CD: Anastasov 7, Anastasow 3, Anastasoff 1,

Anastassova 1, Anastassow 0, Anastassoff 3.

Die sieben Einträge von Anastasov haben die RNN Anastas, Kostadin, Ljiljana,



Mile, Mone (weiblicher RN41), Natascha, Zivko. Zu den drei Einträgen der

Form Anastasow sind die RNN Sebastian (2) und Stefan angegeben. Der Eintrag



Anastasoff hat den RN Marliese, Anastassova kommt nur in dieser femininen

Form vor und hat den RN Roumiana, die RNN zu den drei Einträgen zu Anastassoff

lauten Viktor sowie Wassil-Georg. Ein RN ist lediglich mit E. angegeben.

40 Vgl. dazu GRKOVIÆ (1977, S. 28).

41 Wenn man Einträge von der Telefon-CD kopiert und die kopierten Daten in eine Word-Datei

einfügt, wird vor jedem Eintrag meistens entweder „Frau“, „Herr“ oder „Firma“ angegeben, so

auch beim Eintrag mit dem RN Mone: Frau. Warum die Angaben „Frau“, „Herr“ oder „Firma“

nicht auf der Telefon-CD selber erscheinen, konnten wir nicht ermitteln.

Ulrich Obst

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Die Ergebnisse des Online-Telefonbuchs sind:

Anastasov 5 Anastasow 2 Anastasoff 1

Anastasova 0 Anastasowa 0

Anastassov 1 Anastassow 0 Anastassoff 3

Anastassova 1 Anastassowa 0

Die entsprechenden RNN: Anastasov: Darko, Ilinka, Kostadin, Ljiljana, Ljudmil;



Anastasow: Margaretha, Sebastian (2, aber dieselbe Person); Anastasoff:

Marliese; Anastassov: Als Bestandteil des Doppelnamens Sobotka-Anastassoff

mit dem RN Teresa; Anastassova: Evgenia; Anastassoff: E., Viktor, Gretel (Anastassoff

hier in Klammern gesetzt, als eigentlicher FN ist Verhoek angegeben).

Originalname: Áîÿäæèåâ / Bojadžiev

Der Name ist abgeleitet vom türkischen Substantiv boyacý, das seinereits auf türk.



boya ‘Farbe’ zurückgeht. Ein boyacý ist also ein Maler (im Sinne von Anstreicher),

der bulgarische FN Áîÿäæèåâ / Bojadžiev ist ein von der bulgarisierten

Form áîÿäæèÿ / bojadžija ‘Maler, Anstreicher’ abgeleitetes Patronymikon.

Schreibweisen, mit denen in Deutschland theoretisch zu rechnen ist:

Bojadjiev Boiadjiev Boyadjiev Bojadschiev Boiadschiev Boyadschiev

Bojadjiew Boiadjiew Boyadjiew Bojadschiew Boiadschiew Boyadschiew

Bojadjieff Boiadjieff Boyadjieff Bojadschieff Boiadschieff Boyadschieff

Davon sind auf der Telefon-CD belegt: Boiadjiev 4, Boyadjiev 8, Boyadjiew 2,



Boyadjieff 5.

Boiadjiev: Alexander, M., Nedeltcho; ein Vorkommen in femininer Form, also



Boiadjieva, mit RN Violeta.

Boyadjiev: Aleksander, Stefan, Waltraut, fünfmal in femininer Form, also Boyadjieva:



Nadejda (zwei Einträge, beziehen sich auf ein und dieselbe Person, die

zwei Telefonanschlüsse – Festnetz und Mobil – hat), Eva, Gergana, ferner ein

gemeinsamer Anschluss: Eva Boyadjieva-Pospieszny und Borislav Boyadjiev.

Boyadjiew: Iwan und Wesselin.

Boyadjieff: Dieter, Angelika, Wolfgang (2x, unterschiedliche Adressen), eine

Berufsangabe („Filmkfm“, ohne Angabe des RN).

Dieselben Namen sind auch im Online-Telefonbuch bezeugt, mit folgender

Zahl an Einträgen und mit folgenden RNN: Boiadjiev 4, Boyadjiev 3, Boyadjiew

1, Boyadjieff 3.

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Familiennamen südslawischer Herkunft in Deutschland

RNN: Boiadjiev: Alexander, Dobromir, Nedeltcho, Stilian; Boyadjiev: Borislav,



Stefan, Waltraut; Boyadjiew: Wesselin; Boyadjieff: Dieter u. Angelika (gemeinsamer

Anschluss), eine Berufsangabe („Filmkfm“, ohne Angabe des RN),



Wolfgang.

Originalname: Òåðçèåâ / Terziev

Der Name ist eine patronymische Ableitung von dem – im heutigen Bulgarisch

veralteten – Turzismus òåðçèÿ / terzija ‘Schneider’ © türk. terzi ‘ds.’.

Getestet wurden die sechs Varianten mit dem Ergebnis:

Telefon-CD:

Terziev 6 Terziew 0 Terzieff 0

Tersiev 1 Tersiew 0 Tersieff 0

Bei den sechs Einträgen für Terziev fanden sich insgesamt vier verschiedene

RNN, vier deshalb, weil je zwei der Anschlüsse für ein und dieselbe Person zugelassen

waren (Atanas Angelov sowie Iordan), die beiden anderen RNN sind



Georgi und Petar. Der Eintrag Tersiev weist den RN Penko auf.

Online-Telefonbuch: Bei den vier Treffern zu Terziev im Online-Telefonbuch

ist der Name einmal Bestandteil eines Doppelnamens: Terziev-Georgiev. An

RNN kommen vor: Atanas, M., Hristo, Svetoslav.



Fazit

Nicht nur aus Platzgründen, sondern vor allem auch aufgrund der ungemein hohen

Anzahl der FNN in den Ursprungsgebieten Bulgarien, Serbien und Bosnien

konnte im vorliegenden Aufsatz nur ein geringer Teil von FNN, soweit sie auf

dem einen oder anderen Wege nach Deutschland gelangt waren, besprochen werden.

Die Untersuchung konzentrierte sich hierbei auf einige bestimmte Aspekte:

FNN aus Bulgarien, Serbien und Bosnien haben rein theoretisch unterschiedliche

Wiedergabemöglichkeiten, die sich errechnen lassen. Von den errechneten

Wiedergabemöglichkeiten werden jedoch längst nicht alle auch tatsächlich genutzt,

besonders dann nicht, wenn deren Anzahl sehr hoch ist, vgl. z. B. die 18

möglichen Eindeutschungen zu Áîÿäæèåâ / Bojadžiev, von denen jedoch sowohl

auf der Telefon-CD als auch im Online-Telefonbuch nur vier tatsächlich vor-

Ulrich Obst

320


kommen. Warum in solchen Fällen nur einige wenige Formen der Eindeutschung

realisiert sind, bedarf noch weiterer Untersuchungen. Unter anderem muss hier

auch noch geklärt werden, inwieweit Wiedergabevorschriften in kyrillisch schreibenden

Ländern wie Serbien und Bulgarien die Schreibweise der FNN mit lateinischen

Buchstaben für offizielle Dokumente wie Reisepass und Personalausweis

geregelt haben. Dieser gesamte Fragenbereich musste hier ausgelassen werden.

Dort, wo sich bei FNN aus den drei genannten Ländern mehrere tatsächliche

unterschiedliche Wiedergaben feststellen lassen, kann man davon ausgehen, dass

diese Unterschiede zwei Ursachen haben: Zum einen werden sie durch jene Laute

hervorgerufen, die dem Deutschen fremd sind. Hierzu gehören etwa die durch

die Grapheme æ, ð, æ / ž oder äæ / dž repräsentierten Konsonanten des Serbokroatischen,

von denen die beiden letzteren auch im Bulgarischen vorkommen.

Die zweite Ursache für unterschiedliche Wiedergaben bulgarischer oder serbokroatischer

Laute liegt im Verhältnis „Laut : Schrift“ des Deutschen selbst: Einige

Laute können im Deutschen durch unterschiedliche Grapheme repräsentiert

werden, so z. B. der stimmhafte Konsonant [v], der im Deutschen zwar gewöhnlich

durch w wiedergegeben wird, in Fremdwörtern und fremden Namen in der

Schrift aber auch als v erscheinen kann. Steht stimmhaftes [v] in einem fremden

Namen im Auslaut, so tritt im Deutschen bekanntlich Auslautverhärtung ein,

d. h. der Konsonant wird stimmlos. So kann das Endungs-v bei Namen, die auf

-ev oder -ov enden, im Deutschen auch als -ff geschrieben werden. Noch stärker

dürfte vom Alphabet des Deutschen her gesehen die Tendenz sein, lateinisches z

des Serbokroatischen durch s wiederzugeben, da geschriebenes z im Deutschen

eben als die Affrikate [ts] aufgefasst und demzufolge auch so ausgesprochen

wird.

Eine weitere Frage, der in vorliegendem Aufsatz nachzugehen versucht wurde,



ist die Frage nach dem möglichen Alter einer Namensform. Hierbei wurde die

Hypothese zugrundegelegt, dass das Alter einer Namensform mit ihrem Integrationsgrad

korreliert, d. h. je länger ein fremder Name schon in deutschem Milieu

gebräuchlich ist, desto eher dürfte er an das orthographische System des Deutschen

angepasst sein. Dies lässt sich vor allem an der Behandlung des Endungs-æ

serbokroatischer FNN ablesen: Namen, die das serbokroatische Graphem -æ

durch -tz oder -tsch ersetzen, sind älter als jene, bei denen das -æ lediglich durch

deutsches -c ersetzt wird. Zum quantitativen Verhältnis -tz : -tsch ist zu sagen,

dass letzteres deutlich häufiger ist, weil die Aussprache von æ dem deutschen tsch

wesentlich näher ist als deutschem tz. Das höhere Alter von Namen auf -tz und

321

Familiennamen südslawischer Herkunft in Deutschland



-tsch zeigt sich daran, dass die RNN zu derartigen Namensformen überwiegend

aus dem traditionellen RNN-Schatz des Deutschen stammen, während bei den Namensformen

auf -c mit deutlicher Mehrheit typisch südslawische RNN auftreten.

Ein weiteres Ergebnis unserer Untersuchung ist, dass slawische Namen in

den größeren Darstellungen des deutschen Personennamensystems und in den

deutschen Personennamenbüchern kaum nach einer bestimmten slawischen

Einzelsprache differenziert sind. Eine Ausnahme bildet lediglich der im Jahre

2000 von R. und V. KOHLHEIM herausgegebene Familiennamen-Duden. Hier

sind südslawische Namen oft als solche gekennzeichnet, jedenfalls, was den

serbokroatischen Sprachraum betrifft, wobei sich Herausgeberin und Herausgeber

aber zu Recht auf keine bestimmte Nachfolgesprache des Serbokroatischen

festlegen. Kritisch anzumerken ist hier freilich, dass die entsprechenden Namen

nicht mit bloßem -c am Ende wiedergegeben sind, wie es dem tatsächlichen Usus

entspricht, sondern mit -æ. Dies mag an dem eher wissenschaftlichen Charakter

des Familiennamen-Duden liegen. Außerdem können wir natürlich nicht wissen,

ob nicht zumindest handschriftlich manche Trägerinnen und Träger von FNN auf



-iæ, -eviæ oder -oviæ das Endgraphem -æ nicht doch so realisieren, wie sie es in der

Originalsprache gewohnt sind.

Abschließend muss noch darauf hingewiesen werden, dass eine erschöpfende

Ermittlung und Untersuchung bulgarischer, serbischer und bosnischer FNN im

Deutschen erst dann möglich ist, wenn auf Seiten der genannten Sprachen selbst

der FNN-Schatz in möglichst vollem Umfang erfasst und analysiert ist. Zwar

liegen hier schon wertvolle Arbeiten vor, auf die im Aufsatz hingewiesen wurde

und die für den Aufsatz benutzt wurden, aber es gibt auch noch viele Lücken. So

fehlt bis dato sowohl ein umfassendes Personennamenbuch für Serbien als auch

für Bosnien. Für Bulgarien haben wir zwar ILÈEV (1969), aber auch dieses Werk

dürfte inzwischen aktualisierungsbedürftig sein.

Literatur

BACH, A. 1952–1953: Deutsche Namenkunde. Band I.1, I.2: Die deutschen Personennamen. 2.,

stark erweiterte Auflage. Heidelberg.

BRENDLER, A.; S. BRENDLER (Hg.). 2007: Europäische Personennamensysteme. Ein Handbuch

von Abasisch bis Zentralladinisch. Anlässlich der 65. Geburtstage von Rosa Kohlheim und

Volker Kohlheim. Mit einem Geleitwort von E. Eichler. Hamburg (= Lehr- und Handbücher

zur Onomastik 2).

Ulrich Obst

322

DIMITROVA-TODOROVA, L. 2007: Das bulgarische Personennamensystem. In: BRENDLER / BRENDLER,



S. 109–118.

FINKA, B.; P. BUDAK (Hg.). 1976: Leksik prezimena Socijalistièke Republike Hrvatske. Zagreb.

FLEISCHER, W. 1964: Die deutschen Personennamen. Geschichte, Bildung und Bedeutung. Berlin.

GOTTSCHALD, M. 1955: Die deutschen Personennamen. 2., verbesserte Auflage. Berlin (= Sammlung

Göschen 422).

GOTTSCHALD, M. 2006: Deutsche Namenkunde. Mit einer Einführung in die Familiennamenkunde

von R. Schützeichel. 6., durchgesehene und bibliografisch aktualisierte Auflage. Berlin, New York.

HEINTZE, A.; P. CASCORBI. 1925: Die deutschen Familiennamen geschichtlich, geographisch,

sprachlich. 6., verbesserte und vermehrte Auflage, hrsg. von Paul Cascorbi Halle (Saale).

ILÈEV, St. 1969: Reènik na liènite i familni imena u bãlgarite. Sofija.

JACHNOW, H. 1970: Die slavischen Personennamen in Berlin bis zur tschechischen Einwanderung

im 18. Jahrhundert. Eine onomastisch-demographische Untersuchung. Berlin (= Veröffentlichungen

der Abteilung für Slavische Sprachen und Literaturen des Osteuropa-Instituts [Slavisches

Seminar] an der Freien Universität Berlin 37).

JANJATOVIÆ, Ð. 1993: Prezimena Srba u Bosni. Sombor. [In kyrillischer Schrift]

KOHLHEIM, R.; V. KOHLHEIM. 2000: Duden. Familiennamen. Herkunft und Bedeutung. Bearbeitet

von R. und V. Kohlheim. Mannheim u. a.

LAZAREVIÆ, V. 2001: Srpski imenoslov. Odabrane rukoveti. Beograd. [In kyrillischer Schrift]

LOMA, A. 2007: Das serbische Personennamensystem. In: BRENDLER / BRENDLER, S. 669–687.

MAKEDONSKI, A. M. 1987: Bulgarische Familiennamen in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich

Berlin (West). Neuried (= Typoskript-Edition Hieronymus. Slavische Sprachen und

Literaturen 13).

MIHAJLOVIÆ, V. 1992: Ime po zapovesti. Imperativni onomastikon srpskohrvatskog jezika. Beo-

grad. [In kyrillischer Schrift]

MIHAJLOVIÆ, V. 2002: Srpski prezimenik. Novi Sad. [In kyrillischer Schrift]

NIŠKANOVIÆ, M. 2004: Srpska prezimena. Znaèenje – rasprostranjenost – poreklo porodica. Beograd.

[In kyrillischer Schrift]

PETROVSKIJ, N. A. 1980: Slovar’ russkich liènych imen. Okolo 2600 imen. Izdanie vtoroe, stereo-

tipnoe. Moskva.

SPLITTER-DILBEROVIÆ, V. 1966: Beiträge zur Bildung der serbokroatischen Personennamen. Meisenheim

am Glan (= Slavisch-Baltisches Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität

Münster / Westfalen 8).

UDOLPH, J.; S. FITZEK. 2005: Professor Udolphs Buch der Namen. Woher sie kommen. Was sie

bedeuten. 2. Auflage. München

UNBEGAUN, B. O. 1972: Russian Surnames. Oxford.

UNBEGAUN, B. O. 1995: Russkie familii. Perevod s anglijskogo. Obšèaja redakcija i posleslovie

B. A. Uspenskogo. Izdanie vtoroe, ispravlennoe. Moskva.

VIRKKULA, J. 2007: Das kroatische Personennamensystem. In: BRENDLER / BRENDLER, S. 431–440.

ZAIMOV, J. 1988: Bãlgarski imennik. Pãrva èast: Lièni imena u bãlgarite ot VI do XX vek. Vtora

èast: Familni imena ot èužd proizchod. Sofija.

323

Familiennamen südslawischer Herkunft in Deutschland



Elektronische Medien

Telefon-CD: Telefonauskunft für Deutschland 2001. klickTel Gmbh Dorsten.

Online-Telefonbuch = http://www.dastelefonbuch.de/ (eingesehen im Laufe des Jahres 2007 bis

etwa September).



4

Familiennamen aus romanischen Sprachen

Wolfgang Dahmen und Johannes Kramer



Familiennamen aus dem Rätoromanischen

1 Vorbemerkungen

Im Folgenden wird Rätoromanisch synonym zu Bündnerromanisch aufgefasst,

das heißt, es werden Familiennamen aus den in der Schweizer Verfassung als Rätoromanisch

bezeichneten Teilen Graubündens (Surselva, Sutselva, Oberhalbstein,

Unter- und Oberengadin) betrachtet. Dolomitenla dinische und friaulische

Familiennamen, die ganz andere Probleme bieten, werden grundsätzlich ausgeschlossen;

sie finden ihren natürlichen Platz in der italienischen Namenkunde.

Die Namenstruktur der rätoromanischen Idiome (fünf Schriftsprachen: surselvisch,

sutselvisch, surmeirisch, putèr, vallader) ist aus verschiedenen Gründen

sehr uneinheitlich. Neben genuin rätoromanischen Namen gibt es seit altersher

eine deutsche und eine italienische Schicht, wobei es sich dabei sowohl um die

Verdeutschung bzw. Italianisierung ursprünglich rätoromanischer Namen als

auch um die Verwendung von auch sonst in der Schweiz geläufigen deutschen

(alemannischen) Namen handeln kann. Umgekehrt hat die Sprachgeschichte

dazu geführt, dass auch Familien in seit Jahrhunderten eingedeutschten Gebieten

rätoromanische Namen tragen. Das rätoromanische Sprachgebiet ist seit dem

Mittelalter immer weiter zurückgegangen; so ist zum Beispiel die Kantonshauptstadt

Chur, in der ursprünglich die Rätoromanen die Mehrheit stellten, spätestens

seit dem Stadtbrand von 1464 zum Deutschen übergegangen.

Da Graubünden bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ein wirtschaftlich im Vergleich

zu großen Teilen der alemannischen Schweiz unterentwickeltes, landwirtschaftlich

geprägtes Gebiet war, hat es stets eine beachtliche Auswanderung in

das besser gestellte ‘Unterland’ (la Bassa) gegeben; infolgedessen gibt es Namen

aus den räto romanischen Tälern in allen Gegenden der Schweiz, besonders auch

in den prosperierenden Städten (Zürich gilt heute als die Stadt mit der höchsten

Zahl ansässiger Rätoromanen). Diese Auswanderung ist freilich immer individuell

gewesen, so dass die Betrachtung der rätoromanischen Namen für die Ge -

samtschweiz kaum namenkundlich auswertbare Resultate ergeben kann.

327

Vor allem in der Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert gab es vornehmlich aus dem



Engadin, aber auch aus den anderen rätoromanischen Tälern die sogenannte Zuckerbäcker-

Emigration, d. h. die Auswanderung von Konditoren und Eismachern in

andere europäische Länder (besonders Italien, ferner Frankreich und Rußland,

weniger Deutschland) und sogar nach Übersee. Onomastische Spuren dieser

Emigranten findet man vereinzelt bis auf den heutigen Tag. So gibt es in Catania

eine Konditorei mit dem typisch surselvischen Namen Caflisch, in Trier gibt es

eine Eisdiele mit dem engadinischen Namen Calchera. Vom 16. bis zum Anfang

des 19. Jahrhunderts dienten junge Männer aus Graubünden in verschiede nen europäischen

Heeren als Söldner, und auch in der bekannten Schweizer Garde des

Papstes war der Anteil von Bündnern stets überproportional hoch. Dieser individuelle

Eintritt in fremde Armeen hat aber höchstens sporadisch namenkundliche

Spuren hinterlassen und ist heutzutage fast nicht mehr nachzuweisen. Noch weniger

Auswirkungen haben die soge nannten Schwabengänger (schuobacheclers)

gehabt: Hierhinter verbergen sich Graubündner Jugendliche, die im 18. und 19. Jahrhundert

in die schwäbischen Gegenden nördlich des Bodensees gebracht wurden,

wo sie – wie auf einem Jahrmarkt – als Arbeitskräfte angeboten wurden, um dann

vom Frühjahr bis zum Herbst bei deutschen Bauern als Knechte zu arbeiten. Viele

dieser Jugendlichen kamen zwar mehrere Jahre hintereinander auf dieselben

Höfe, doch sind nur wenige auf Dauer dort geblieben.

2 Äußere Erkennungszeichen rätoromanischer Familiennamen

Bei den rätoromanischen Familiennamen muss man genau auf deren geographische

Herkunft schauen, denn die engadinischen Namen sehen ganz anders aus als

die rheinisch-bündnerischen (surselvisch, sutselvisch, surmeirisch). Diese beiden

Gebiete hatten sehr wenig direkte Kontakte; die Berührungen erfolgten normalerweise

durch deutsche Vermittlung.

Der auffälligste Zug bei Namen aus der Sur- und Sutselva sowie dem Oberhalbstein

sind Bildungen mit dem Wortanfang Ca-, das auf lateinisch casa ‘Haus’

zurückgeht; diesem Element folgt normalerweise eine traditionelle männliche

Vornamenform: Cahannes, Capaul, Camathias, Camartin, Caduff (Duff ‘Rudolf’),



Cajochen, Cap(i)eder (zu Peter). Diese Namen sind natürlich ursprünglich

Haus- bzw. Hofnamen, also ‘bei Johannes’, ‘bei Paul’, ‘bei Matthias’ usw. Es

gibt etwa zweihundert Vertreter dieses Namenstyps, und zumeist gibt es auch

Wolfgang Dahmen und Johannes Kramer

328

Entsprechungen ohne Ca-, also Duff/Caduff, P(i)eder/Cap(i)eder, Hannes/Cahannes,



Aliesch (zu Alex) /Caliesch usw.

Weniger auffällig sind andere Namen, die auf Wohnstätten hinweisen, da sie

häufig mit de oder da gebildet werden: Demont ‘vom Berge’, Depuoz ‘vom

Teich’, Decurtins ‘vom Garten’. Nicht selten sind die rätoromani schen Grundwörter

mit der deutschen Ableitungssilbe -er versehen worden: Prader zu prada

‘Wiese’, Fopper zu foppa ‘Grube’, Ploner zu plaun ‘Ebene’. Es gibt zudem einfache

Ortsbezeichnungen, die unzusammengesetzt und ohne Suffix Herkunftsnamen

bilden: Cadruvi ‘Dorfplatz’, Baselgia ‘Kirche’, Fontana ‘Brunnen’.

Selbstverständlich gibt es auch Berufsbezeichnungen und Übernamen: Liver

‘Freibauer’, Catschader ‘Jäger’, Vaschler ‘Kürschner’, Tschuor ‘Kraushaariger’,



Pitschen ‘Klein’, Grond ‘Groß’.

Die engadinischen Namen tragen einen anderen Charakter. Eine Entsprechung

zu den Ca-Namen gibt es nicht: Für den Kenner der Lautlehre ist es klar,

dass sie, wenn es sie gäbe, Ch(i)a- lauten müssten, da in initialer Position lateinisches



c vor a palatalisiert wurde, vgl. z. B. den Namen Chiampel (zu champ

‘Feld’; in der Surselva lebt campus überhaupt nicht weiter, da es durch èr < lat.



ager ersetzt ist) oder Chasper (zu biblisch Caspar; die surselvische Form ist Casper).

Gewisse lautliche Phänomene zeichnen das Engadin aus: Nur dort gibt es

ein ö und ein ü: Tönjachen (< Antonius + Jacobus), Pünchera (zu pünchera ‘Bewässerungsgraben’).

Die graphische Verbindung dsch, gesprochen wie ein italienisches



g vor e oder i, gibt es am Rhein nicht: engadinisch Dschiender (zu

dschiender ‘Schwiegersohn’). Die vereinzelt im Surselvischen und Engadinischen

unterschiedliche graphische Realisierung desselben Lautes spiegelt sich

natürlich auch in Eigennamen wider: Der präpalatale Laut wird im Surselvischen

tg, im Engadinischen aber ch geschrieben: So stehen sich Meltger und Melcher

(nach dem biblischen Namen Melchior) gegenüber.



3 Geschichtlicher Hintergrund

der rätoromanischen Familiennamen

Angesichts der Seltenheit mittelalterlicher Dokumente ist die genaue Datierung

des Aufkommens von Familiennamen schwer. Sicher ist allerdings, dass – wie in

vielen anderen Gegenden auch – die Vererbung von Familiennamen in der Oberschicht

begann. Ein wichtiger Faktor ist natürlich die Einführung eines Notariats-

Familiennamen aus dem Rätoromanischen

329

systems, das im Engadin früher als am Rhein auftauchte. Im 16. Jahrhundert ist



der Prozess der Einführung von Familiennamen endgültig abgeschlossen, da

durch das Konzil von Trient die Personenstandsaufnahme in den Kirchenbüchern

befohlen worden war. In den protestantischen Gegenden hatte die schriftliche

Dokumentation schon frühzeitig einen hohen Stellenwert.

Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, dass in Rheinischbünden das Deutsche

und im Engadin das Italienische einen hohen Status als Dokumentationssprache

hatten, was die Germanisierung bzw. Italianisierung von Eigennamen erklärt;

auch das Lateinische war selbstverständlich eine bevorzugte Kanzleisprache,

aber die Latinisierungen der Namen sind oft auf einem deutschen oder italienischen

Hintergrund erfolgt1. Ein Name, der mit ‘Müller’ (surs. muliner, engad.



mu(g)liner) zu tun hat, kann in der einheimischen Form Muliner, sodann in latinisierter

Form als Molinarius, in lateinischer Übersetzung als Molitor, in der italienischen

Variante als Molinar(i)o oder in der deutschen Form als Müller auftreten.

Oftmals gibt es ursprünglich kein rätoromanisches Wort, sondern nur eine

Entlehnung; die heute in den präskriptiven Wörterbüchern propagier ten rätoromanischen

Entsprechungen sind Neuprägungen meist des 19. Jahrhunderts. Ein

gutes Beispiel hierfür ist das Wort für ‘Schneider’, traditio nell im Rätoromanischen

als surs. schnider, engad. schneder verwendet, von Sprachpflegern durch



cusunz (zum Verb surs. cuser, engad. cusir ‘nähen’ gebildet) ersetzt, das aber

„sich nicht durchzusetzen“ vermochte2: Es gibt also keinen Eigennamen Cusunz,

hingegen Schnider, Schneider sowie italienische und lateinische Formen wie Sartore,

Sartorius. Dass schnider seit jeher gut verankert ist, sieht man am Familiennamen

Caschn(e)ider (seit 1469 belegt!).


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