1 Familiennamen aus germanischen Sprachen Ulf Timmermann Friesische Familiennamen



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4 Westfriesland

4.1 Geschichtliches

Wie in Ostfriesland wurde auch in Westfriesland erstmals 1811 durch die damals

napoleonische Verwaltung die Führung eines festen Familiennamens angeordnet.

Bis dahin war patronymische Namengebung zumal auf dem flachen Lande die

Regel. Um 1750 trugen hier nur 5 bis 8% der Bevölkerung einen Familiennamen

im Gegensatz etwa zur Stadt Leeuwarden/Ljouwert, wo schon rund die Hälfte einen

solchen hatte.35 Durch den Erlass wurden in der Regel die aktuellen Patronymika

und Familiennamen festgeschrieben, doch wurden sehr oft auch nach bekannten

Mustern neu geschaffene Namen angenommen, besonders modenhaft

solche auf -a.

Die nicht seltenen Familiennamen aus Beinamen nach Beruf bzw. nach Herkunft,

Eigenschaft usw. (oft mit vorangestelltem de ‘der’, z. B. de Boer, de Jager,

de Vries, de Zee, de Groot, de Haan) oder von Beinamen mit allgemeinen toponymischen

Elementen wie van Dijk, van der Meer, Aan het Rot zeigen in der Regel

niederländische Gestalt und ihre Behandlung gehört nicht in diesen Beitrag.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen jedoch die zahlreichen aus einem friesischen

Siedlungsnamen bestehenden Familiennamen mit oder ohne van wie z. B. van

Staveren oder Dokkum.

Die Namen adliger Familien haben oft als zentralen Bestandteil eine friesische

Form auf anthroponymischer Grundlage mit vorangestelltem niederländischem

van (z. B. van Heemstra), das allerdings erst im 16. Jahrhundert angenommen

wurde. Sie können wie bei van Harinxma thoe Slooten noch weitere

niederländische Bestandteile umfassen.36

30

Ulf Timmermann



35 Ebeling 2001b, S. 176f.

36 Vgl. Sipma 1952, S. 103 f.

4.2 Morphologisches

Kennzeichen der heutigen westfriesischen Familiennamenlandschaft ist das

Vorherrschen der auf -a endenden Namen, die 1947 zusammen fast 14 % des

westfriesischen Familennamenbestandes ausmachten und von gut 36 % der Gesamtbevölkerung

getragen wurden,37 in den die Nordhälfte der Provinz bestimmenden

Marschgebieten sogar fast überall von 40 % bis 50 %, stellenweise von

noch mehr.38 Ihnen folgen (nach Anzahl der verschiedenen Namen) die genitivischen

Ruf namenformen – Patronymika bei Einführung der Familiennamen oder

damals nach diesem Muster neu gebildet –, die jedoch bedeutend weniger Namenträger

als die erste Gruppe aufweisen. Die einst sehr häufigen Sohn-Patronymika

sind durch Verkürzung der Endung zu bloßem -s bzw. -z in den genitivischen

Formen aufgegangen, wobei zu bemerken ist, dass in neuerer Zeit

Genitivpatronymika durchgehend mit -s gebildet werden, von Rufnamen mit vokalischem

Ausgang früher aber auch mit -n oder hybridem -ns, so dass z. B. von



Hette sowohl Hettis als Hetten zu finden sind.39

Bei den auf -a endenden Familiennamen kommen die schon für Ostfriesland

beschriebenen Typen vor, doch, wie es scheint, mit Ausnahme der Variante -unga

von -inga, wobei es eine westfriesische Eigentümlichkeit ist, dass sich dieses

Suffix außer zu -enga, -nga noch weiter zu -iga, -ega und davon zu -ia, -ja, -je

entwickeln konnte. Das Inventar der -a-Suffixe ist in Westfriesland vermehrt um

das für diesen Raum charakteristische und – wie übrigens auch -ma – sehr frequente

-stra. Dieses „hat sich aus einem Gen. Pl. -satera entwickelt, dem zugleich

afr. seta/sata und afr. sitter zugrunde liegen. Beide Lexeme bedeuten ‘Sasse,

Bewohner’. Das Suffix verbindet sich ursprünglich nur mit Toponymen oder

geographischen Appellativa und drückt die Zugehörigkeit zu den Bewohnern der

genannten Örtlichkeiten aus.“40 Als Beispiele können Dijkstra, Hoekstra, Terpstra

dienen. Allmählich hat sich -stra auch auf andere als topographische Appellativa

und sogar auf Anthroponymika ausgedehnt wie z. B. bei Kroonstra,

Schaafstra, Spaanstra bzw. bei Tjaardstra. Schließlich begegnet wie im ostfriesischen

Raum auch in Westfriesland eine kleine Gruppe Familiennamen mit den

31

Friesische Familiennamen



37 Ebeling 2001b, S. 178.

38 Wie Anm. 25.

39 Sipma 1952, S. 84; Ebeling 2001b, S. 176, 178.

40 Ebeling 2001b, S. 178; vgl. im weiteren auch Ebeling 1996.

Suffixen -ker/ -tjer, -ster und (selten) -mer, die hier ganz überwiegend von Siedlungsnamen

gebildet sind.41

4.3 Typisches

Auf den friesischen Gesamtraum bezogen sind in Westfriesland nicht selten begegnende

lateinische bzw. latinisierte oder gräzisierte Familiennamen auffallend,

die oft schon lange vor 1811 in Gebrauch waren wie z. B. die in jüngster Zeit sehr

frequenten Faber, Nauta, Nicolai, Posthumus oder – von Rufnamen – Gatsonides

(zu Gatse), Mensonides (zu Menso), Simonides.42 Im Übrigen liegt, ganz wie in

Ostfriesland, das Typische besonders in den morphologischen Besonderheiten,

allen voran den erwähnten, auf -a endenden Namen (mit dem „Markenzeichen“



-stra) sowie in der Gestalt der den Familiennamen auf anthroponymischer Basis

zugrunde liegenden Rufnamen, insbesondere der germanischen und bei diesen

dann vor allem in der Häufigkeit gewisser Suffixe und Lautentwicklungen. Hierher

gehören beispielsweise mit Gj-, Sj- und Tj- anlautende Rufnamen wie Gjalt,



Sjerp, Tjasse (im Ganzen allerdings eine eher kleine Gruppe), die zu Familiennamen

wie Gjaltema, Sjerps, Tjassen führen,43 aber u. a. auch solche, die -ds-, -ts-,



-z- enthalten wie Edse, Eitse, Eitze, Jetse, Ritse mit davon gebildeten Familiennamen

wie Edsinga, Eyzinga, Yetsenga, Ritsma. Für bestimmte Regionen Westfrieslands

durch ihre Häufigkeit typische Familiennamen (wie z. B – nicht friesisches

Visser ab 19. Jahrhundert auf Schiermonnikoog)44 sind allgemeiner nicht

nachgewiesen, schon gar nicht solche friesischen Gepräges. Es bleibt abschließend

hervorzuheben, dass in Westfriesland im Vergleich jedenfalls zu Ostfriesland

östlich der Ems und auch zu Nordfriesland der Anteil der Träger von

Familiennamen mit eindeutig friesischen Merkmalen auf die jeweilige Gesamtbevölkerung

gesehen markant höher ist, wodurch das Gebiet trotz der niederländischen

Einwirkung die geschlossenste friesische Namenlandschaft im gesamtfriesischen

Raum darstellt.

32

Ulf Timmermann



41 Ebeling 2001b, S. 179.

42 Ebeling 2001b, S. 179; vgl. Sipma 1952, S. 114.

43 Vgl. Ebeling 2001b, S. 178.

44 Feenstra 1996, S. 51.



Literatur

Århammar, N. 1995: Namen in Nordfriesland. In: Nordfriesisches Jahrbuch. Neue Folge 31,

S. 119–146.

Blechenberg-Martens, W. 1983: Die Familiennamen auf Amrum bis um 1850. In: Familienkundliches

Jahrbuch Schleswig-Holsteins 22, S. 55–56.

Brons, B. 1877: Friesische Namen und Mittheilungen darüber. Emden.

Carstensen, P. 1956: Namengebung in Niebüll-Deezbüll. In: Jahrbuch des Nordfriesischen Vereins

für Heimatkunde und Heimatliebe 31, S. 127–141.

Ebeling, R. 1984: Familiennamen im Landkreis Leer um 1940. Teil II: Namenlandschaft. Groningen,

Aurich.


Ebeling, R. 1996: Het suffix -stra: een litertuuroverzicht. In: Friezen. In bondel stúdzjes oer persoansnammen

(Fryske nammen 10). Ljouwert [Leeuwarden], S. 9–24.

Ebeling, R. 2001a: Ostfriesische Personennamen (nach 1500). In: Munske, S. 463–472.

Ebeling, R. 2001b: Westfriesische Personennamen (nach 1500). In: Munske, S. 170 –183.

Faltings, V. 1997: Zur Bildung und Verwendung metronymischer Namenformen in Nordfriesland.

In: Beiträge zur Namenforschung 32, S. 175–206.

Feenstra, H. 1996: De achternamen van het eiland Schiermonnikoog in de achttiende eeuw: een

voorlopige inventarisatie. In: Friezen. In bondel stúdzjes oer persoansnammen (Fryske nammen

10). Ljouwert [Leeuwarden], S. 45–67.

Haan, R. de 2002: Fryske voornamen. Friese foarnammen. Leeuwarden/Ljouwert.

Heeroma, K. 1965: Die friesischen Familiennamen auf -a. In: Namenforschung. Festschrift für

Adolf Bach zum 75. Geburtstag, hg. von R. Schützeichel und M. Zender. Heidelberg, S. 168–177.

Munske, H. (Hg.). 2001: Handbuch des Friesischen. Handbook of Frisian Studies. Tübingen.

Niebaum, H. 2001: Der Niedergang des Friesischen zwischen Lauwers und Weser. In: Munske,

S. 430–442.

Richthofen, K. von 1882: Untersuchungen über Friesische Rechtsgeschichte. Theil II. Berlin.

Schumacher, H. 1980: Jeder 30. heißt Janssen. In: Ostfreesland. Kalender für jedermann 30,

S. 214–210.

Sipma, P. 1952: Fryske Nammekunde. I. Foar- en Skaeinammen. Drachten.

Timmermann, U. 1996: Metronymika in Nordfriesland. In: Friezen. In bondel stúdzjes oer persoansnammen

(Fryske nammen 10). Ljouwert [Leeuwarden], S. 69–86.

Timmermann, U. 1997: Der nordfriesische Rufnamenschatz. Teil I Die germanischen Namen

dänisch-nordischer Herkunft (= Navnestudier udgivet af Institut for Navneforskning 37). Kopenhagen.

Timmermann, U.1998: Systeme attributiven Gebrauchs von Rufnamen in den friesischen Sprachräumen

des Mittelalters, insbesondere in Nordfriesland. In: Us Wurk 47, S. 1–18.

Timmermann, U. 2001: Nordfriesische Personennamen. In: Munske, S. 381–395.

Versloot, A. 1996: De foarming fan famyljenammen yn it dialekt fan Wangereach. In: Friezen.

In bondel stúdzjes oer persoansnammen Ljouwert [Leeuwarden]. (= Fryske nammen 10),

S. 37– 44.

Vries, O. 2001: Geschichte der Friesen im Mittelalter: West- und Ostfriesland. In: Munske,

S. 538–550.

Werbe, G. 1968: Über wurtfriesische Vornamen und Familiennamen (Patronymika). In: Jahrbuch

der Männer vom Morgenstern 49, S. 65–80.

33

Friesische Familiennamen



ANN MARYNISSEN

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet

in Deutschland

1 Geschichtliches (nach KREMER 1983)

1.1 Die Einwanderung von Niederländern und Flamen in Deutschland

Deutschland hat zwei historische Einwanderungsschübe aus den Niederlanden

und Flandern erfahren. Zuerst haben sich im Mittelalter bereits im 12. Jh. Flamen

und Holländer in einigen Gegenden Nieder- und Mitteldeutschlands niedergelassen,

u. a. in den Kultivierungsgebieten entlang und zwischen den Weser- und

Elbemündungen, in Ostholstein am Mittellauf der Weser, und vor allem in der

Mark Brandenburg, in Sachsen und Thüringen (siehe Karte 1). Diese Zuwanderer

haben in den niederdeutschen und ostmitteldeutschen Dialekten ihre sprachlichen

Spuren hinterlassen.

Später hat es im 16. Jh., insbesondere während der Wirren des Achtzigjährigen

Krieges, eine Migrationswelle von Niederländern und Flamen nach Deutschland

gegeben. Als Folge der Unterdrückung der Protestanten durch die katholischen

Spanier verließen Tausende von Flüchtlingen ab etwa 1560 die südlichen Niederlande.

Die Glaubensflüchtlinge migrierten nicht nur in den protestantischen

Norden ihres Landes, sondern in all die europäischen Staaten, deren Fürsten mit

ihnen sympathisierten. Das waren besonders die Herrscher Englands und einiger

protestantischer deutscher Länder, vor allem die von Kleve, Bentheim, Ostfriesland,

Schleswig und Holstein, Brandenburg, Nassau und der Pfalz. Hinzu kamen

freie Reichsstädte wie Bremen, Hamburg, Aachen, Köln, Nürnberg und Frankfurt

(siehe Karte 1). Die Flüchtlinge gründeten – vielfach auf Einladung deutscher

Fürsten wegen ihrer besonderen Geschicklichkeit als Handwerker oder Künstler

oder wegen ihrer außergewöhnlichen Qualifikation auf den Gebieten des Deichbaus

und der Binnenkolonisation – in verschiedenen Städten niederländische

Kolonien. Diese waren ökonomisch vollständig in das Leben ihrer Gaststädte

integriert, führten aber auf kulturellem und kirchlichem Gebiet ein eigenes Leben

und gebrauchten ihre eigene Sprache. Diese Immigranten haben ihre Muttersprache

zwar einige Generationen bewahren können, haben sich dann aber sprach-

35

Ann Marynissen



36

lich in ihre deutschsprachige Umgebung integriert, jedoch nicht ohne sprachliche

Spuren in den Dialekten der Ansiedlungsgebiete zu hinterlassen.

1.2 Das Niederländische als Kultursprache deutscher Gebiete

Der bedeutendste und längste Kontakt zwischen dem Niederländischen und

dem Deutschen ist in den Gebieten entlang der niederländischen Grenze zustande

gekommen, besonders in Ostfriesland, den Grafschaften Bentheim, Lingen

und Steinfurt, den Herrschaften Gronau, Gemen, Werth und Anholt, und den

Herzogtümern Kleve, Geldern und Jülich sowie der Grafschaft Moers und dem

kurkölnischen Amt Rheinberg (siehe Karte 1). Die Immigranten, die sich aus

religiösen und / oder ökonomischen Gründen in der deutsch-niederländischen

Grenzzone niederließen, haben den Prozess der Niederlandisierung in diesen Gebieten,

welche von alters her (der Niederrhein) oder als Folge der konfessionellen

Entwicklung (Bentheim, Lingen, Ost-Friesland) das Niederländische als Kultursprache

gebrauchten, gefördert. Die deutschen Gebiete, in denen das Niederländische

entweder als autochthone oder als allochthone Kultursprache funktioniert

hat, müssen also in sprachlicher Hinsicht von den niederländischen Kolonien in

Deutschland (siehe 1.1) unterschieden werden.

Der deutsche Niederrhein wurde am meisten vom Niederländischen geprägt.

Hier wurde die niederländische Schriftsprache vom 16. Jh. bis zur ersten Hälfte

des 19. Jh. als autochthone Kultursprache neben dem Hochdeutschen verwendet:

Das Niederländische war hier bei den ständigen Bewohnern in bestimmten Domänen

als Kultursprache in Gebrauch.

Im Südwesten Ostfrieslands, in den Grafschaften Bentheim und Lingen

und in verschiedenen Teilen des Münsterlandes, erfüllte das Niederländische

eine Rolle als allochthone importierte Kultursprache. Diese Gebiete haben

das Niederländische im Lauf der Zeit erst als dritte Kultursprache kennen

gelernt: Nach der Ablösung der niederdeutschen Schriftsprache im 16. Jh.

kam mit der Reformation das Hochdeutsche als Kultursprache auf und erfüllte

diese Funktion für etwa ein bis anderthalb Jahrhunderte, um dann erst

vom Niederländischen abgelöst zu werden, allerdings nicht in allen Kommunikationssituationen.

Spätestens im letzten Viertel des 19. Jh. wurde hier das

Niederländische widerum als allochthone Kultursprache vom Hochdeutschen

abgelöst.

37

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Deutschland



Während das Niederländische als Kultursprache in Deutschland also im 19. Jh.

definitiv vom Hochdeutschen verdrängt wurde, sind die Familiennamen der Niederländischsprachigen,

die sich im Laufe der Zeit in Deutschland angesiedelt hatten,

möglicherweise durch Vererbung von späteren Generationen bewahrt geblieben.

Im Folgenden wird untersucht, ob die Verbreitung gegenwärtiger, eindeutig niederländischer

Familiennamen in Deutschland mit den Gebieten, in denen historisch

Karte 1: aus KREMER 1983

Ann Marynissen

38

ein deutsch-niederländischer Sprachkontakt stattgefunden hat, übereinstimmt.



2 Prototypische niederländische Familiennamen

und ihre Verbreitung in Deutschland

Viele niederländische Familiennamen haben ein deutsches Pendant, aber diese

These kann ebenso umgekehrt werden: Viele deutsche Familiennamen treten

auch im niederländischen Familiennamenbestand auf, dann aber in einer niederländischen

Version, z. B. niederländisch (nl.) Rademaker – dt. Rademacher. Andere

Beispiele von sich ähnelnden Familiennamen, die in beiden Sprachgebieten

unabhängig voneinander entstanden sind, wo aber die phonologische und / oder

lexikalische Gestaltung Aufschluss über ihre sprachliche Herkunft gibt, sind: nl.



Timmerman – dt. Zimmermann; nl. Mulder – dt. Müller; nl. Zwart – dt. Schwarz;

nl. Bos – dt. Busch; nl. Beekman – dt. Bachmann; nl. Hendriks – dt. Heinrich; nl.



Wolters, Wouters – dt. Walther.

Das Auftreten derartiger niederländisch / deutscher Namenpaare verdeutlicht,

dass die beiden angrenzenden Sprachgebiete, in denen eine eng verwandte germanische

Sprache gesprochen wird, auch große Übereinstimmungen bezüglich

der Bildung der Familiennamen aufweisen. Dennoch weist die niederländische

bzw. die deutsche Familiennamenbildung eine Anzahl struktureller Unterschiede

auf, insbesondere in Bezug auf den morphosyntaktischen Aufbau der Namen (näheres

dazu in MARYNISSEN / NÜBLING 2008).

Eine Auswahl von drei Familiennamentypen, die formal typisch niederländische

Merkmale aufweisen, eignet sich dazu, die Familiennamen niederländischer

Herkunft in Deutschland zu ergründen. Im Folgenden erläutern wir erst

die Bildung und die Verbreitung der ausgewählten niederländischen Typen im

niederländischen Sprachraum. Anschließend betrachten wir die gegenwärtige

Verbreitung dieser niederländischen Namen in Deutschland und vergleichen sie

mit L. KREMERS Karte der historischen Verbreitung des Niederländischen in

Deutschland (Unterkapitel 1).

39

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Deutschland



2.1 Familiennamen mit vorangestelltem nl. Artikel De

Anders als im Deutschen gibt es im Niederländischen viele Familiennamen, bei

denen der vorangestellte Artikel erhalten ist, z. B. die Berufsnamen De Decker,

De Backer, De Cuyper; die Übernamen De Wit, De Groot, De Jong, De Bruine,

De Lange; die Tiernamen De Haas, De Leeuw, De Pauw; oder die Herkunftsnamen

De Vries, De Vlaminck, De Hollander.

Während für die deutschen Familiennamen der Wegfall des Artikels als formales

Kriterium für die Abgrenzung zum Beinamen herangezogen wird (vgl. Beiname:

Heinrich der Ham burger > Familienname Heinrich Hamburger), gilt dies

für die niederländisch-flämischen Familiennamen nicht. Der Wegfall des Artikels

im niederländischen Sprachgebiet ist sowohl geographisch als auch morphologisch

konditioniert: In der südlichen Hälfte des Sprachraums gilt grundsätzlich

Erhalt des Artikels; im Norden (d. h. in den Niederlanden nördlich der großen

Flüsse, wo Rijn, Maas, Schelde und Waal zusammenfließen) gilt grundsätzlich

Wegfall des Artikels, in Abhängigkeit von folgenden morphologischen Bedingungen:

Bei mehrsilbigen Wörtern fällt der Artikel eher weg, bei einsilbigen

Wörtern weniger. Typischerweise ergeben sich demnach im Norden Gegensätze

wie Brouwer, Bakker vs. De Wit, De Jong.

Im Südosten des Sprachraums sind die Artikelnamen außerdem genitiviert

worden: de Bakker > des Beckers > Beckers; de Vlaminck > des Vleminckx >



Vleminckx; de Jonge > des Jongen > Jongen; de Bruyne > des Bruynen > Bruynen.

Insbesondere in der Motivgruppe der zweisilbigen Berufsnamen zeichnet sich

ein großes südöstliches Areal mit genitivierten Varianten ab.

Abhängig vom Erstlaut (nl. vor m, p, w, l, g und vor Vokal) und von der

geographischen Lage ist ggf. ein vorangestelltes s- als Relikt des Genitivs erhalten:

de Mulder > des Mulders > Smulders; de Lange > des Langen > Slangen;

de Haan > des Haenen > Saenen. Eine Parallele findet sich in den niederländischen

Zeitangaben ’s avonds, ’s ochtends, wo ebenso ein Rest des deklinierten

Artikels im Genitiv konserviert ist.

Auf Karte 2 wird die Verbreitung der Übernamen im niederländischen Sprachgebiet

vorgestellt, die mit dem Appellativ ‘wit’ gebildet werden: Der Typ mit Artikel (Familiennamen

De Wit, De Witte, Dewit, Dewitte) wird dem Typ mit Genitivendung(en)

und / oder -anlaut gegenübergestellt (Familiennamen Witten, Switten, Wittens).1

1 Verwendetes Material: Belgien: Familiennamen nach dem belgischen Melderegister 1987 (Ein-

Ann Marynissen

40

Der Typ mit vorangestelltem Artikel De ist hochfrequent: In der Rangordnung



nach Frequenz nimmt der Familienname De Wit in den Niederlanden den 21.

Platz ein. Auch andere Übernamen sind sehr zahlreich vertreten: Der Name De



Jong ist der frequenteste Name in den Niederlanden; der Name De Groot steht

auf Platz 12 und der Name De Bruin steht auf Platz 34 in der niederländischen

Frequenztabelle. Berufs- und Tiernamen mit erhaltenem Artikel in den niederländischen

Top 100 sind: De Vries (Platz 3), De Boer (10), De Graaf (25), De Haan

(30), De Vos (70), De Koning (84), De Leeuw (93).

Auch in Flandern erreichen Berufs- und Tiernamen mit dem Artikel De hohe

Werte: In den flämischen Top 100 treten die folgenden De-Namen auf: De Smet

(Platz 10), De Vos (16), De Clercq (20), De Backer (25), Devos (27), De Cock

(34), De Smedt (37), Declercq (39), De Meyer (41), De Ridder (44), De Pauw

(46), De Coninck (92). Die Familiennamen De Wilde (Platz 45) und De Groote

(79) sind die frequentesten flämischen Übernamen, die mit De anfangen.

In Flandern sind zwei Schreibweisen im Gebrauch: Artikel und Eigenname

können in einem oder in zwei Wörtern geschrieben werden. Die zusammengeschriebenen

Varianten sind westlich: Sie kommen vor allem in der Provinz Westflandern

vor. Die Varianten, die in zwei Wörtern geschrieben werden, kommen vor

allem in der Provinz Ostflandern und ggf. östlich davon vor. In den Niederlanden

hingegen werden Namen mit Artikel in der Regel in zwei Wörtern geschrieben.

Auf den Karten 3 und 4 wird die Verteilung von Übernamen mit dem Artikel



de + den Lexemen jong (‘jung’), bruin (‘braun’), groot (‘groß’) und wit (‘weiß’)

in Deutschland wiedergegeben.2 Karte 3 enthält die Varianten, die in zwei Wörtern

geschrieben werden; auf Karte 4 werden die zusammengeschriebenen Varianten

abgebildet.

Die Übereinstimmung mit Karte 1 ist erstaunlich: In allen Gebieten Deutschlands,

wo sich im Laufe der Zeit Immigranten aus den Niederlanden und Flandern

niedergelassen haben, kommen Kerngebiete mit niederländischen Familiennamen

mit vorangestelltem Artikel vor.

trag ab 5 Namensträgern pro Gemeinde); die Niederlande: Familiennamen nach Telefonanschlüssen

1993 (Eintrag ab 2 Namensträgern pro Gemeinde).

2 Ich danke von Herzen Frau Dr. Rita HEUSER (Universität Mainz), wissenschaftliche Mitarbeiterin

beim DFG-Projekt „Deutscher Familiennamenatlas“, die alle Karten mit der Verbreitung

(niederländischer) Namen in Deutschland für mich erstellt hat. Weitere Informationen über den

Deutschen Familiennamenatlas, vgl. MNF. Verwendetes Material: deutsche Familiennamen

nach Telefonanschlüssen 2005.

41

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Deutschland



Die größte Konzentration der Familiennamen De Jong, De Bruin, De Wit

und De Groot wird in Deutschland in den Gebieten entlang der niederländischen

Grenze angetroffen, die auch sprachhistorisch am stärksten niederlandisiert

gewesen sind: Der Niederrhein, die Grafschaften Bentheim und Lingen sowie

Ost-Friesland. Aber auch in den historischen Ansiedlungsgebieten in der Mark

Brandenburg, an den Weser- und Elbemündungen, in Thüringen, Sachsen und in

Karte 2: Die Verbreitung des Übernamens ‘wit’ (‘weiß’) im niederländischen Sprachraum. Typ

mit vorangestelltem Artikel: De Wit, De Witte, Dewit, Dewitte gegenüber Genitivtyp: Witten,



Switten, Wittens

Ann Marynissen

42

Karte 3: Übernamen mit ‘de’ + jong, bruin, wit,



groot : in zwei Wörtern geschriebene Varianten

(Kartentyp: absolut, Kreise pro dreistellige

PLZ, insgesamt: 971 Tokens)

Kartierte Namen + Anzahl:



de Bruijn 19, de Bruin 45, de Bruyn 57,

de Groot 273, de Groote 27, de Jong 255,

De Jong 10, de Jonge 80, de Wit 40,

de Witt 137, de Witte 28

Karte 4: Übernamen mit ‘de’ + jong, bruin,



wit, groot : zusammengeschriebene Varianten

(Kartentyp: absolut, Kreise pro fünfstellige

PLZ, insgesamt 101 Tokens)

Kartierte Namen + Anzahl:



Debruijn 2, Debruyn 5, Debruyne 12,

Degroot 16, Degroote 1, Degroth 2,

Dejong 5, Dejongh 1, Dejonghe 3,

Dewit 9, Dewitt 40, Dewitte 5

43

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Deutschland



der Pfalz wohnen bis heute einige Menschen, deren Familienname von niederländischer

Herkunft zeugt.

Karte 4 bietet darüber hinaus einen Einblick in die Herkunft der Migranten in

ihrem Heimatland. Die zusammengeschriebenen Varianten sind typisch westflämische

Formen: Sie sind vermutlich Flamen zuzuordnen, die während der Konfessionsunruhen

den Westen der südlichen Niederlande, der als erstes von Calvins

Reformationsbewegungen beeinflusst wurde, verlassen haben und im (Süd-)

Westen Deutschlands einen sicheren Zufluchtsort gesucht haben.

2.2 Familiennamen mit vorangestellter nl. Präposition

van + ggf. Artikel den / der / de

Ein zweiter markanter morphosyntaktischer Unterschied zwischen den niederländischen

und den deutschen Familiennamen besteht darin, dass niederländische

und flämische Wohnstättennamen und Herkunftsnamen oft Präposition und / oder

Artikel enthalten, deutsche Familiennamen hingegen eher nicht. Für die dt. Familiennamen

gilt genau der Schwund von vorangestellten Präpositionen und Artikeln

als das formale Kriterium für den Übergang vom Bei- zum Familiennamen:

z. B. Heinrich von / aus Ham burg > Heinrich Hamburger.

Dieses Kriterium ist im Niederländischen inexistent: Hier stellt der Erhalt dieser

Funktionswörter den unmarkierten Fall dar, vgl. dt. Felder, Lindner, Berger;



Kölner, Wiener vs. nl. / flämisch (fläm.) Van de Velde, Van der Linden, Vermeulen

(ver < van der), Van Damme, Vandeplas, Vandepoel, Vandeweyer, Van den Bos,



Van den Berg, Van Acker; Van Keulen, Van Parijs.

Wohnstättennamen, eingeleitet mit der vorangestellten Verbindung von der

Präposition van + ggf. Artikel den / der / de oder mit ver- – als zusammengezogene

Form von van + der (die feminine Beugungsform des Artikels) – zählen sowohl

in den Niederlanden als auch in Flandern zu den frequentesten Namen. Die niederländischen

Top 100 ergeben eine ganze Reihe solcher Wohnstättennamen: Vd



Berg (Platz 4), Van Dijk (6), Vermeulen (26), Vd Linden (28), Vd Meer (29), Vd

Heuvel (31), Vd Broek (32), Vd Veen (33), Van Vliet (39), Vd Ven (40), Van Dam

(43), Vd Wal (47), Vd Heijden (51), Vd Brink (62), Vd Velde (74), Vd Laan (79),



Vd Velden (85), Vd Horst (89), Vd Meulen (90), Vd Bosch (91), Vd Pol (99).3

3 In niederländischen Telefonbüchern wird Van der, Van den und Van de einheitlich zu Vd abgekürzt.

Ann Marynissen

44

Frequente flämische Wohnstättennamen mit vorangestellter Präposition + ggf.



Artikel sind: Vermeulen (Platz 11), Van Damme (23), Van de Velde (28), Van den

Broeck (33), Verhoeven (35), Vandenberghe (52), Verheyen (53), Verbeke (60),

Verlinden (61), Verschueren (63), Vermeiren (65), Van Dyck (66), Verstraeten

(67), Vermeersch (69), Verhaeghe (75), Van den Bossche (78), Verhaegen (83),



Van Hecke (87), Van Hoof (88), Van Damme (89), Vercammen (90), Van Acker

(94), Vandevelde (95), Verbruggen (97).

Die zusammengezogenen Varianten mit Ver- sind im Süden des Sprachgebiets

häufiger vertreten als im Norden.

Wohnstättennamen mit vorangestellter Präposition + ggf. Artikel wurden in

den ganzen Niederlanden und in ganz Flandern gebildet: Sie kommen überall im

niederländischen Sprachgebiet vor, wie Karte 5 mit der Verbreitung der Namen

Van Dijk(e) / Van den Berg(e) und ihren Schreibvarianten zeigt.

Wohnstättennamen mit vorangestelltem Van (den) oder Ver- sind in Deutschland

eher selten. Diese Namen niederländischer Herkunft sind stark am Niederrhein

konzentriert, mit Ausläufern im Münsterland. Sie betonen den niederländischen

Charakter des deutschen Niederrheins.

Auch die Familiennamen Verhoeven, Verheyen, Verbeek, Vermeulen, Versteegen



/ Verstegen, die sowohl von der Bildung als von der Schreibweise her eindeutig

als niederländische Namen zu betrachten sind, sind hauptsächlich am unteren

Niederrhein vertreten: Die höchste Anzahl Träger dieser Namen wird im Landkreis

Kleve vorgefunden.

45

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Deutschland



Karte 5: Die Verbreitung der Namentypen Van Dijk(e) und Van den Berg(e)

im niederländischen Sprachgebiet

Ann Marynissen

46

Karte 6: schwarz: Typ ‘van Dijk’, grau: Typ ‘van den Berg’



(Kartentyp: absolut, Kreise pro dreistellige PLZ, insgesamt 827 Tokens)

Kartierte Namen + Anzahl:



van Deijk 1, van Deyck 3, van Deyk 22, Van Deyk 1, van Dick 25, van

Dieck 6, van Dijck 12, Vandijck 4, van Dijk 107, van Dyck 90, Vandyck 1, Van Dyck 2, van Dyk 99,

Vandyk 1, Van Dyk 1;

van den Berg 394, Van den Berg 9, van den Bergh 48, Van den Bergh 1

47

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Deutschland



2.3 Familiennamen mit dem Suffix -sen

Auch in der Motivgruppe der Rufnamen treten beträchtliche morphologische

Unterschiede zwischen den deutschen und den niederländischen Familiennamen

hervor. Während im Deutschen der häufigste Typ von nichtflektierten (urspr.

juxtaponierten) Rufnamen dargestellt wird (z. B. Hartmann, Werner, Herrmann,

Walter, Friedrich), treten im Niederländischen blanke Rufnamen als Familiennamen

hauptsächlich bei alten, zweisilbigen Rufnamen germanischer Herkunft auf:



Huyghebaert, Ringoot, Aelbrecht. Das Verbreitungsgebiet von Familiennamen

aus juxtaponierten Patronymika beschränkt sich außerdem auf den flämischen

Südwesten.

Bei der großen Mehrheit der niederländischen Patronyme aber setzt sich der

Rufname im Genitiv durch das Suffix -s fort: Willems, Adriaens, Gerrits, Bastiaans,

Dierckx, Hendrickx, Harms, Berends.

Darüber hinaus gibt es im Zentrum des Sprachraums ein Gebiet, wo die volle

Verbindung -sone ‘Sohn’ tradiert wird, im Niederländischen geschwächt zu -sen:

Willemsen, Adriaensen, Gerritsen, Dierksen, Hendriksen, Harmsen, Berendsen.

Niederländische Patronyme mit dem Suffix -sen < -sone werden in Holland,

Utrecht, Gelderland, der Region Achterhoek, den Provinzen Nord-Brabant und

dem Norden der flämischen Provinz Antwerpen vorgefunden. Im gesamten genannten

Gebiet sind auch Patronyme mit -s- Genitiv üblich: Hier erscheinen also

die Namen Derks / Derksen, Willems / Willemsen als Varianten nebeneinander.

In Deutschland konzentriert sich der patronymische -sen-Typ im Norden: Die

vollen -sen-Namen (Knudsen, Andersen, Feddersen, Friedrichsen, Hinrichsen,



Petersen etc.) treten besonders stark in Schleswig-Holstein (eher Schleswig) auf.

Südlich und westlich schließen sich die -s-Namen an (siehe MARYNISSEN / NÜBLING

2008).

D. NÜBLING zeigt in ihrem Beitrag, dass die -sen-Namen in Norddeutschland



sowohl auf dänische Einwanderer (Knudsen, Pedersen, Andersen, Feddersen) als

auch auf einen vom Dänischen übernommenen Gebrauch der Namensgebung zurückgehen.

Man darf also nicht zuletzt auch von genuin norddeutschen -sen-Bildungen

ausgehen, manchmal erkennbar an der deutschen Form des Rufnamens:



Friedrichsen, Hinrichsen.

Ein zweites, kleineres Gebiet mit -sen-Namen wird am deutschen Niederrhein

vorgefunden (siehe Karte 8): Die Verbreitung eindeutig niederländischer

Patronyme mit dem Suffix -sen, wie Roelofsen und Gerritsen (siehe Karte 7),

Ann Marynissen

48

beschränkt sich in Deutschland hauptsächlich auf die niederrheinische Grenzregion,



die im Laufe der Geschichte am stärksten vom Niederländischen geprägt

wurde.


Dass es keine Verbindung zwischen den niederrheinischen und den norddeutschen

-sen-Namen gibt, tritt auch aus der Verbreitung der Familiennamen Harmsen

und Hermsen in den Niederlanden (Karte 9) bzw. Deutschland (Karte 10) hervor.

Die niederländischen Namen Hermsen / Harmsen (< Rufname Herman) in

Deutschland gehen wohl auf West- Ost-Einwanderung von Niederländern nach

Karte 7: Gerritsen / Roelofsen

49

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Deutschland



Deutschland zurück: Die Variante mit -a- ist vor allem in der Grafschaft Bentheim

und in der angrenzenden niederländischen Provinz Overrijssel vertreten;

die -e-Variante konzentriert sich sowohl auf den deutschen als auch auf den benachbarten

niederländischen Niederrhein.

Beide Familiennamen sind onomastische Zeugen des niederländischen Charakters

der deutsch-niederländischen Grenzregion.

Karte 8: schwarz: ‘Gerritsen’ (111), grau: ‘Roelofsen’ (69).

(Kartentyp: absolut, Kreise pro dreistellige PLZ)

Ann Marynissen

50

Karte 9: Hermsen/Harmsen



51

Familiennamen aus dem niederländischen Sprachgebiet in Deutschland

Karte 10: schwarz: ‘Hermsen’ (587), grau: ‘Harmsen’ (422).

(Kartentyp: absolut, Kreise pro fünfstellige PLZ)

Ann Marynissen

52

3 Schlussfolgerung

Anhand der heutigen Namensverbreitungen lassen sich historische Wanderbewegungen

rekonstruieren.

Obwohl ohne historisch-genealogische Untersuchungen nicht mit Sicherheit

bestimmt werden kann, wie alt die Immigration von Niederländern und Flamen

nach Deutschland ist, sieht es so aus, dass viele niederländische Namen

in Deutschland onomastische Zeugen zweier historischer Einwanderungsschübe

von Niederländern und Flamen nach Deutschland (im 12. Jh. resp. im 16 Jh.)

sind, die zuvor mit Hilfe sprachhistorischer Studien festgestellt wurden (vgl.

KREMER 1983). Eine Vielzahl von Einwohnern verließ in unsicheren Zeiten das

niederländische Sprachgebiet aus ökonomischen und / oder religiösen Gründen,

um sich in gewissen Teilen Deutschlands niederzulassen.

Die deutschen Gebiete, in denen zu Beginn des 21. Jh. Familiennamen niederländischer

Herkunft angetroffen werden, und die Gebiete in Deutschland, in

denen historischer niederländisch- deutscher Sprachkontakt stattfand (KREMER

1983), stimmen jedenfalls erstaunlich gut überein. Insbesondere die deutsch-niederländische

Grenzregion, wo das Niederländische eine historische Rolle als autochthone

(der Niederrhein) oder als allochthone Kultursprache (die Grafschaften

Bentheim und Lingen, Ostfriesland) gespielt hat, weisen einen ausgesprochen

niederländischen onomastischen Charakter auf.

Literatur

KREMER, L. 1983: Das Niederländische als Kultursprache deutscher Gebiete. Bonn (= Nachbarn

27).

MARYNISSEN, A.; D. NÜBLING. 2008: Familiennamen in Flandern, den Niederlanden und Deutschland



– ein diachroner und synchroner Vergleich. Erscheint in: Themen-Band „Kontrastive germanistische

Linguistik“. Reihe Germanistische Linguistik. Hildesheim, Zürich, New York.



Internetadressen

MNF = http: / / www.igl.uni-mainz.de / forschung / namenforschung.html (16. 06. 2008).

Damaris Nübling

Familiennamen

aus den skandinavischen Sprachen

1 Skandinavier/innen in Deutschland und ihre Namen

1.1 Skandinavier/innen in Deutschland

Nach Ausweis des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden lebten am 31.12.2006

• 18 502 Dän/inn/en,

• 16 919 Schwed/inn/en,

• 6 327 Norweger/innen und

• 1 254 Isländer/innen

in Deutschland, dabei deutlich mehr Frauen als Männer. Im Folgenden wird

„skandinavisch“ aus linguistischer Perspektive mit „nordgermanisch“ gleichgesetzt,

d.h. Finnland bleibt hier unberücksichtigt (siehe hierzu den Beitrag von

Mirko Meier).

Historisch hat Deutschland keine Einwanderungsschübe aus Skandinavien erfahren,

sieht man vom 30-jährigen Krieg ab, der kaum onymische Spuren hinterlassen

haben dürfte, sowie von jahrhundertelangen politischen, kulturellen und

wirtschaftlichen Beziehungen. Die großen skandinavischen (vor allem schwedischen)

Auswanderungsschübe wegen der durch Missernten verursachten Hungersnöte

im 19. Jh. betrafen in erster Linie Nordamerika, wohin ca. 1 Mio

Schwed/inn/en übersiedelte. Die meisten heute in Deutschland lebenden Skandinavier/

innen halten sich aus beruflichen oder privaten Gründen (z. B. Heirat) hier

auf. Deutschland grenzt jedoch an Skandinavien, und traditionell gab es vielfältige

Beziehungen zwischen Norddeutschland bzw. norddeutschen Hansestädten

wie Hamburg und Skandinavien. Altona war lange Zeit dänisch. Heute beherbergt

Deutschland eine dänische nationale Minderheit in Schleswig, die seit der

Teilung Schleswigs nach der Volksabstimmung 1920 besteht (Südschleswig:

deutsch, Nordschleswig: dänisch). Diese dänische Minderheit wird auf maximal

50 000 Personen geschätzt, von denen ca. 10 000 dänische Muttersprachler sind.

Wieviele von dieser Minderheit auch dänische Familiennamen tragen, dürfte

53

Damaris Nübling



54

Abbildung 1:

Verteilung von sen-Namen und anderen

Namen („ikke-sen“) um 1970 auf die

dänische Bevölkerung (aus Søndergaard

1979, S. 261).

kaum zu ermitteln sein. Doch lässt diese dänische Minderheit sowie die Tatsache,

dass allein in Schleswig-Holstein außerdem ca. 6 000 dänische Staatsbürger leben,

eine Konzentration entsprechender Namen in Schleswig-Holstein erwarten.

1.2 Die prototypischen Namen:

dän. Jensen, norw. Hansen, schwed. Johansson

Der prototypische dänische Familienname endet auf das geschwächte patronymische

Suffix -sen. Ihm geht ein männlicher, meist christlicher Rufname voraus,

der meistens nicht (mehr) im Genitiv (der auf -s enden müsste) steht, zumindest

graphisch (Peder-sen). Selbst wenn der Rufname schon auf -s auslautet, wird in

aller Regel nur ein einziges geschrieben (Hansen). Jensen, Nielsen, Hansen,



Pedersen und Andersen bilden bereits die fünf häufigsten dänischen Familiennamen

(siehe Abbildung 1 und Tabelle 1). Allein diese fünf Namen werden von

23 % der dänischen Bevölkerung getragen, also von fast einem Viertel. Jensen,

die Nr. 1, wird heute von 4% der Bevölkerung geführt, 1970 waren es Meldgaard

Villarsen (1984, S. 51) zufolge noch 7,7 % (diese älteren Zahlen liegen

Abb. 1 zugrunde). Gemäß Søndergaard (2000) teilen sich mehr als zwei

Drittel der Bevölkerung die 50 häufigsten Namen. Ca. 70 % führen einen sen-Namen.

Bezüglich des sen-Suffixes unterscheidet sich der prototypische norwegische

Familienname nicht vom dänischen: Hier dominiert der gleiche Namentyp –

und nicht nur dies: Es sind teilweise exakt die gleichen Namen, die die Frequenzlisten

anführen (siehe Tabelle 1).

Doch auch in Deutschland ist der sen-Name autochthon, nicht nur im dänischen

Minderheitsgebiet, vor allem in Schleswig-Holstein einschließlich Hamburg

und Umgebung sowie im Nord- und Ostseeküstengebiet. Hieran schließt

sich in Richtung Westen bis hinunter in den Kölner Raum der reine Genitiv ohne

Suffix (Typ Peters, Friedrichs). Grohne (1925, S. 75) geht davon aus, dass die



sen-Namen ursprünglich auf „dänische Grundbevölkerung oder Einwanderung“

zurückgehen, während die reinen Genitivnamen (auf -s oder -en) sächsischer

bzw. friesischer Besiedlung entstammen. Später, d.h. etwa ab dem 16. Jh., seien

allerdings die sen-Namen von der (nieder)deutschen und friesischen Bevölkerung

häufig nachgeahmt worden, manchmal erkennbar an der deutschen (bzw.

friesischen) Form des RufN, z. B. Friedrichsen, Hinrichsen mit zweiter Lautverschiebung

oder Feddersen mit niederdt. Metathese. Auch für genuin dänische

sen-Bildungen liefert oft (aber nicht immer) der RufN Indizien: Typisch dänische

Formen sind Knudsen, Pedersen, Nissen, Lassen, Svendsen (Laur 1983, S. 24).

Damit gehen die sen-Namen in Norddeutschland sowohl auf dänische Einwanderer

als auch auf einen vom Dänischen übernommenen Namengebungsgebrauch

zurück, und nicht zuletzt ist auch von genuin norddeutschen sen-Bildungen auszugehen

(so auch Laur 1987). Grohne (1925, S. 79) macht die interessante

Beobachtung, dass die sen-Namen deutlich monotoner sind als die reinen Genitivnamen,

indem sie weniger unterschiedliche RufN verarbeiten. Zu weiteren

Verfahren der Patronymbildung in Deutschland siehe Laur (1983), Kunze

(2003, S. 78) und SCHMUCK (i. Dr.).

Kartiert man die sen-Namen in Deutschland, so dokumentiert man also nicht

nur dänische, sondern auch norddeutsche (und, zumindest theoretisch, norwegische)

Namen. Der Ausgang -sen kann gemäß Grohne (1925, S. 79) und Kunze

(2003, S. 79) auch auf einen schwachen (en-)Genitiv eines auf -s auslautenden

RufN zurückgehen (Andres-en, Claas-en) oder auf einen OrtsN mit -husen

(Mackensen < Mackenhusen, Bensen < Benenhusen). Solche opaken bzw. eindeutig

nicht auf einen männlichen RufN zurückgehenden Erstglieder kann man

zwar bei einer Familiennamenrecherche in der Datenbank 2005 der Deutschen

Telekom (im Rahmen des DFG-Projekts „Deutscher Familiennamenatlas“, das

von Kunze/Nübling in diesem Band vorgestellt wird) ausschließen, doch weniger

die anderen genannten Faktoren. Dennoch soll einleitend die Karte für die

auf das patronymische Suffix -sen endenden Familiennamen gezeigt werden

(Karte 1). Statistisch teilen sich in Deutschland 2,8 Personen einen Festnetzanschluss,

weshalb man davon ausgehen kann, dass sich auch knapp ein Drittel

Familiennamen aus den skandinavischen Sprachen

55

der Skandinavier in den Telefondaten der Telekom 2005 befindet. Dass die Mobilfunkrate



in Skandinavien höher und die Festnetzrate niedriger ist, soll hier unberücksichtigt

bleiben. Die blanken Zahlen hinter den Familiennamen beziehen

sich auf deren Vorkommen in der Datenbank 2005, d. h. auf die Festnetzanschlüsse

(Näheres zum DFA siehe auch bei Kunze/Nübling 2007).

Karte 1 enthält nur eindeutige Fälle des sen-Suffixes. Potentielle schwache

Genitive von auf -s auslautenden Rufnamen wurden ausgeschlossen wie z.B.



Claas(s)en, Hans(s)en, Jans(s)en, Rasmussen, Andresen, Mathiessen etc. (alle

sind hochfrequent belegt), gleich ob sie mit einem oder mit zwei verschriftet

werden. Deutlich zeichnet sich das Gebiet suffigierender Patronymik ab:

Das Zentrum bildet Schleswig-Holstein mit einigen Ausläufern nach Süden

(Großraum Hamburg).

Karte 2 kontrastiert einige identische Rufnamen, einmal mit sen-Suffix, einmal

im starken Genitiv auf -s wie z.B. Petersen (13 155) und Peters (30 830),

Carstensen (2 185) und Carstens (2 405; es sind insgesamt 8 gut belegte Namen-

Damaris Nübling

56

Karte 1:


Namen mit patronymischem

Suffix -sen 56 841 – Auswahl

eindeutiger Fälle

(Kartentyp: Kreise: relative Verbreitung

pro dreistellige PLZ; Fläche: relative

Verbreitung pro zweistellige PLZ)

paare). Deutlich zeichnet sich durch die Flächendarstellung die Grenze zwischen

dominierenden sen-Bildungen in Schleswig-Holstein und den südlich und westlich

sich anschließenden s-Genitiven ab (wobei deren Anteil v.a. in Holstein auch

ziemlich hoch ist).

Etwas anders verhält es sich mit den Namen auf -son: Während im Deutschen

und Dänischen spätestens ab dem 10. Jh. die Nebensilbenabschwächung greift,

haben sich im Schwedischen volle Endsilben erhalten (zusätzlich begünstigt

durch den Akzent 2, der Nebensilben unter bestimmten sprachhistorischen Bedingungen

über die Tonhöhe exponiert). Wirft man einen Blick auf Tabelle 1 auf

S. x, so tut sich ein zweifacher Kontrast des schwedischen zum dän./norw./niederdt.



sen-Typ auf: Sämtliche (auch für das Schwedische als prototypisch geltende)

Patronyme unter den 50 häufigsten Namen enden konsequent auf <-sson>,

d. h. nicht nur mit voller Endsilbe, sondern auch mit stark flektierendem Erstglied

im Genitiv. Hier bilden Johansson, Andersson, Karlsson, Nilsson und Eriksson

die fünf häufigsten Namen. In Schweden enden die 19 häufigsten Namen ausnahmslos

auf <-sson>. Karte 3 zeigt das Vorkommen dieser Namen in Deutsch-

Familiennamen aus den skandinavischen Sprachen

57

Karte 2:



Namen auf -s (Gen.) und auf -sen

(patronym. Suffix) – Typ Peters und



Petersen

hellgrau: -s 40 026

schwarz/dunkelgrau: -sen 21 293

(Kartentyp: Kreise: relative Verbreitung

pro dreistellige PLZ; Flächen: relative

Verbreitung pro zweistellige PLZ)

land. Eindeutig isländische Patronyme (die mit den schwedischen die Endung

-(s)son teilen) wurden aussortiert, ebenso nur einfach belegte Namen (aus arbeitsökonomischen

Gründen; solche sog. Frequenzfilter liegen auch anderen Karten

zugrunde). Dies ergibt ca. 140 unterschiedliche Patronyme mit knapp 4 000 Telefonanschlüssen.

Hinter diesen Zahlen dürften sich viele, aber nicht ausschließlich

schwedische Namen verbergen. Karte 2 weist das Gebiet aus, das sich auf Schleswig-

Holstein, Hamburg und weitere Umgebung konzentriert.

Laur (1983, S. 31) legt indessen nahe, dass es in Holstein und Hamburg vom

14.–17. Jh. einen (neuen) Schub an Patronymbildungen zunächst mit dem Appellativ

-son(e) gab. Tatsächlich muss dieser Typ in Norddeutschland autochthon

sein, denn zum einen kann es sich bei dem -Areal auf Karte 3 nicht ausschließlich

um schwedische Einwanderer handeln, zum anderen kommt der in

Schweden wenig frequente Typ mit nur einem in Norddeutschland ausgesprochen

zahlreich vor, d.h. auch Schreibungen mit zwei können für genuin deutsche

Namen gelten. Karte 4 dokumentiert sowohl das - als auch das -

Areal: Beide überlagern sich, doch dominiert im Nordwesten der sson- und im

Nordosten der son-Typus.

Damaris Nübling

58

Karte 3:



Namen auf -sson 3 915

ca. 140 Types; ohne die eindeutig

isländischen Patronyme

(Kartentyp: Kreise: relative Verbreitung pro

dreistellige PLZ; Fläche: rel. Verbreitung

pro zweistellige PLZ)

Karte 4:

Familiennamen auf 3 676 (hellgrau) und



5 778 (dunkelgrau)

(Kartentyp: Kreise: relative Verbreitung pro dreistellige PLZ; Fläche:

relative Verbreitung pro zweistellige PLZ; mit Frequenzfilter)

Ein weiteres Indiz dafür, dass viele son-Namen autochthon sein müssen, liefert

ein südlich sich anschließendes sohn-Areal (Karte 5): Ander(s)sohn, Petersohn,

Heinsohn (zu Heinrich), Mendel(s)sohn (zu Immanuel) etc.; dabei haben

die Komposita ohne Genitiv-s weitaus mehr Tokens (Telef.). Die einschlägige Literatur

weist diesen Typ gelegentlich als jüdische Namenbildung aus, doch zeigt

die Verteilung , dass es sich um ein angestammtes patronymisches Areal handelt,

das möglicherweise auf die (graphematische) Verhochdeutschung von son- bzw.

sen-Namen zurückgeht. Immerhin gibt es hiervon über 2 500 Telefonanschlüsse.

Hier können keine schwedischen Namen zugrundeliegen, denn die Schreibung

mit


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