1 Familiennamen aus germanischen Sprachen Ulf Timmermann Friesische Familiennamen



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Familiennamen aus dem Lettischen

und Litauischen in Deutschland1

Der Zirkusdirektor und Raubtierdompteur Gerd Siemoneit und Berlins Regierender

Bürgermeister Klaus Wowereit haben zumindest eines gemeinsam: Sie

tragen beide Familiennamen (FamN) baltischer Herkunft.

Dieser Beitrag gilt FamN wie ihren, die aus den lebenden2 baltischen Sprachen

Lettisch und Litauisch stammen und nach Deutschland gelangt sind. Baltisch

wird hier im Sinne der Sprachfamilie und nicht der geographischen Lage

gebraucht, weshalb das zur ostseefinnischen Sprachfamilie gehörige Estnische

ausgeschlossen bleibt.

1 Balten in Deutschland – Gegenwart und Geschichte

Zunächst zur gegenwärtigen Situation: Das Statistische Bundesamt (Stand

5 / 2004) verzeichnet 9 775 Personen lettischer und 19 030 Personen litauischer

Staatsangehörigkeit in Deutschland, die sich besonders in Nordrhein-Westfalen

konzentrieren (s. Abb. 1). Da der absolute Bezug wenig über besondere Verdichtungen

verrät, bezieht Abb. 2 die Bevölkerungsstärke der Bundesländer mit ein.

Hierbei zeigt sich, dass überdurchschnittlich viele Litauer in Bremen, Hessen

und Hamburg leben. Bei den Letten führen ebenfalls die Stadtstaaten Bremen,

Hamburg und Berlin, gefolgt von Schleswig-Holstein.

Die Gruppe lettischer und litauischer Staatsbürger in Deutschland ist mit rund

29 000 Personen relativ klein (rund 0,4 % aller Ausländer). Das liegt zum einen

1 Für die gründliche Lektüre des Manuskripts, Hilfe bei den Etymologien und wertvolle Anmerkungen,

besonders zum herausragenden Status der preußisch-litauischen FamN in Deutschland,

danke ich Dr. Christiane SCHILLER (Erlangen) ganz herzlich. Verbleibende Fehler und Ungenauigkeiten

verantworte ich allein.

2 Zur baltischen Sprachfamilie gehört auch das Prussische (Altpreußische), das auf ostpreußischem

Gebiet gesprochen wurde und spätestens zu Beginn des 18. Jh. ausgestorben ist. (Zu prussischen

FamN in Deutschland s. BLAŽIENE in diesem Band.)

Antje Dammel

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Bayern

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Sachsen


Sachsen-Anh.

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Anteil (%) aller Letten in Dtld. Anteil (%) aller Litauer in Dtld.

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Baden-Württemb.

Bayern

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Rheinl.-Pfalz

Saarland

Sachsen


Sachsen-Anh.

Schleswig-Holst.

Thüringen

Letten/Gesamtbevölkerung Litauer/Gesamtbevölkerung



Abb. 1: Verteilung der in Deutschland lebenden Letten und Litauer auf die Bundesländer (absolut)

Abb. 2: Verteilung der in Deutschland lebenden Letten und Litauer auf die Bundesländer

relativ zur Stärke von deren Gesamtbevölkerung

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Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland

daran, dass es sich um Länder mit vergleichsweise geringer Bevölkerungsstärke

handelt (Lettland: ca. 2,3 Mio., Litauen: ca. 3,4 Mio. Einwohner). Zum anderen

konnte eine Einwanderung in größerem Umfang erst mit der Öffnung des Eisernen

Vorhanges und der Unabhängigkeit der baltischen Staaten (1991) stattfinden

und durch den EU-Beitritt (1. Mai 2004) weiter erleichtert werden. Die Namen

der neu Eingewanderten behalten entsprechend dem geltenden Namenrecht

auch bei Einbürgerung weitgehend ihre baltische Form (s. u., 2.3.1). Doch diese

junge Einwanderungswelle stellt weder die einzige Schicht baltischer FamN in

Deutschland, noch hat sie die tiefsten Spuren hinterlassen: Intensive Kontakte

zwischen Deutschen und Balten bestanden seit dem Mittelalter (2. Hälfte 12. Jh.)

und fanden auf dem Terrain der genuin baltischen Bevölkerung statt (s. K. 3).

Sie gehen zurück auf die Expansion des deutschen Ordens (v. a. in Ostpreußen,

Kur- und Livland) und die wirtschaftlichen Interessen der Hanse. Diese Kontakte

bestanden über Jahrhunderte und reichten bis zum Ende der Deutschen im Baltikum

mit dem Zweiten Weltkrieg.

Es lassen sich grob drei Räume unterscheiden, die durch unterschiedliche

Kontaktsituationen geprägt sind: das heutige Lettland, das heutige Litauen und

das nördliche frühere Ostpreußen (Preußisch-Litauen) inklusive des heute litau-

Abb. 3: Deutsche Siedlungsgebiete im Baltikum (Grenzen von 1937); graue

Schattierung: deutschsprachige Bevölkerung außerhalb des Reichsgebiets

(nach ZIEGLER 1999, Bd. 1, S. 6)

Antje Dammel

134

ischen Memelgebietes. In Kurland und Livland, die heute zu Lettland gehören,



dominierte eine deutsche adelige Oberschicht, welche fast den gesamten Grundbesitz

innehatte und die durchgehend lettische Schicht leibeigener Bauern überlagerte.

Auch in den Städten stellten die deutschen Bürger und Handwerker die

Ober- und Mittelschicht (82 % der Deutschen wohnten v. a. in den kurischen

Städten). Deutsch war Verwaltungs-, Gerichts- und Schulsprache. Die asymmetrische

Kontaktsituation in Lettland spricht für eine geringere Integration und

lässt den Übergang lettischer Namen auf deutsche Sprecher (etwa durch Mischehen)

als seltener erscheinen. Die Gegenrichtung, deutsche Lexik im lettischen

FamN-Sys-tem, findet sich dagegen häufig. Dennoch muss hier relativiert werden:

in Städten wie Riga waren deutsch-lettische Mischehen für die freien Letten

durchaus normal (vgl. POLANSKA 2002, S. 24). Die privilegierte Stellung der

Deutschen wurde durch den Machtverlust des Deutschen Ordens (mit der Reformation,

dann der schwedischen und polnischen Herrschaft und der Eingliederung

ins Zarenreich) zunächst nicht wesentlich geschwächt. Erst in der zweiten Hälfte

des 19. Jh. wurde diese Vormachtstellung durch das erstarkende Nationalbewusstsein

der Letten und die zunehmende Russifizierung eingedämmt. Von da

an setzte allmählich die Abwanderung von Deutschbalten aus Lettland ein (vgl.

DEUTINGER 1999, S. 950).

Ganz anders stellt sich die Kontaktsituation in den Gebieten des heutigen Litauens

dar (vgl. DEUTINGER 1999, S. 945 f.; HINDERLING/HASSELBLATT 2004,

S. 3272; GARLEFF 2001, S. 27 f.): Hier konnte sich der Deutsche Orden nie durchsetzen.

Die Rolle einer Prestigesprache nahm das Polnische ein (Polen und Litauen

wurden ab 1386 für lange Zeit in Personalunion regiert), als Kanzleisprache

nutzte das Großfürstentum Litauen bis Mitte des 17. Jh. das Altweißrussische.

Der Kontakt mit diesen slav. Sprachen spiegelt sich in der starken Slavisierung

der litauischen FamN (s. u., 2.1). Die Deutschen in Litauen waren im Vergleich

zu den lettischen Gebieten weniger an der Zahl, stärker an die einheimische Bevölkerung

assimiliert und hatten nur geringen kulturellen oder politischen Einfluss.

Sie konzentrierten sich nicht so sehr in Städten, sondern siedelten verstreut

(v. a. in den ans Deutsche Reich angrenzenden Gebieten). Außerdem waren sie

unterschiedlicher regionaler (Ostpreußen, Hessen, Württemberg, Salzburg etc.)

und ständischer Herkunft. In dieser Situation sind Mischehen und Transferenzen

litauischer Elemente in die FamN der Deutschen eher zu erwarten.

Die bei weitem meisten baltischen FamN in Deutschland stammen jedoch

aus dem früheren nördlichen Ostpreußen (auch Preußisch- oder Klein-Litauen

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Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland

in Abgrenzung zu Polnisch- oder Groß-Litauen). Hier lebten über Jahrhunderte

Deutsch- und Litauischsprachige in engstem Kontakt (vgl. HINDERLING/HASSELBLATT

2004, S. 3272). Die Sprecher des Litauischen wurden stark assimiliert

u. a. durch Mischehen und Deutsch als Schulsprache (SCHILLER 2008). Nur das

Memelgebiet (141 546 Bewohner im Jahr 1925) blieb bis ins 20. Jh. litauischsprachig

und wurde 1923 an Groß-Litauen angegliedert. Hier lebten fast gleich starke

Anteile Deutscher und Litauer in besonders starker Integration bei öffentlicher

Zweisprachigkeit. DEUTINGER (1999, S. 946 f.) charakterisiert die Situation als

„friedliche Symbiose“ und „kulturelle Verschmelzung“. Bei einer Volkszählung

1925 wurde eigens die Nationalität des „Memelländers“ für Personen geschaffen,

„bei denen aufgrund der nationalen Durchmischung eine Unterscheidung zwischen

deutsch und litauisch nicht mehr zu treffen“ war. Diese Gruppe stellte 25 %

der memelländischen Bevölkerung (ebd., S. 952). WENSKUS (1990) beschreibt

die Auswirkungen des Kontakts in Preußisch-Litauen auf die FamN beider Ethnien

(Hybridisierungen etc.). Preußisch-litauische FamN gelangten in die heutige

Bundesrepublik in mehreren Schüben: Seit Mitte des 19. Jh. wanderten viele Träger

dieser FamN in andere Reichsteile ab, besonders das Ruhrgebiet und Berlin

(SCHILLER 2008). Ende des Zweiten Weltkriegs flohen die meisten Preußisch-

Litauer bzw. Memelländer genau wie die Deutschen Ostpreußens in die spätere

BRD und DDR.

Ostpreußen war auch der Schauplatz des Kontakts zwischen Deutschen und

Prussen. Die hier schon vor der deutschen Besiedlung ansässigen Prussen assimilierten

sich bis in die letzte Konsequenz an die deutsche Bevölkerung: Die letzten

von ihnen vollzogen zu Anfang des 18. Jh. den Sprachwechsel zum Deutschen.

Als Substrat überleben auch prussische Elemente in deutsch-baltischen FamN

(vgl. TRAUTMANN 1974; BLAŽIENE in diesem Band).

Die deutsch-litauische Integration im nördlichen Ostpreußen spiegelt sich in einer

Schicht baltischer FamN in Deutschland, die – im Gegensatz zu den unassimilierten

FamN der seit 1990 Eingewanderten – partiell ins deutsche System integriert sind

(graphisch, phonologisch, morphologisch, s. 2.3.2) und oft Hybridcharakter haben

(Schneidereit, Balzereit). Während diese litauischen FamN ostpreußischer Herkunft

sehr deutliche Spuren in Deutschland hinterlassen haben (SCHILLER 2008 setzt sie

nach slavischen FamN an zweite Stelle) sind lettische und groß-litauische FamN

weitaus seltener, was in der abweichenden Kontaktsituation begründet liegt.

Die Deutschen in Lettland und Groß-Litauen bildeten von jeher eine relativ

kleine Minderheit (vgl. DEUTINGER 1999, S. 950–952). Seit der zweiten Hälf-

Antje Dammel

136

te des 19. Jh. nahm ihre Zahl kontinuierlich ab, was auf Assimilation, auf die



einsetzende Russifizierungspolitik und die Russischen Revolutionen von 1905

und 1917 zurückgeführt werden kann. Den tiefsten Einschnitt erzeugten aber

von 1939–1941 die Umsiedlungen der Deutschbalten3 und am Ende des Zweiten

Weltkriegs die Flucht vor der Sowjetarmee (vgl. DEUTINGER 1999, S. 993–997):

Ein Großteil der Umsiedler wurde zunächst nach Ostpreußen und in die neu eroberten

Ostgebiete der Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland gebracht,

nur Nachzügler kamen schon jetzt ins „Altreich“.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges flohen die umgesiedelten Deutschbalten

genau wie die in Ost- und Westpreußen ansässigen Deutschen vor der Roten

Armee meist über den Seeweg in die westlichen Gebiete des zerfallenden Reichs.

Zusammen mit den Deutschen flohen 1944 / 45 auch Letten (ca. 120 000) und

(Groß-)Litauer (ca. 66 000), oft Intellektuelle, vor dem kommunistischen Regime

(GARLEFF 2001, S. 177). Für viele war Deutschland aber nur Zwischenstation auf

dem Weg nach Nordamerika.

Leider fehlen genaue Angaben über die spätere Ansiedlung der Flüchtlinge

aus dem Baltikum und Ostpreußen in DDR und BRD. Im Jahr 1964 lebten in der

DDR wohl ca. 8 000 Lettlanddeutsche, 5 000 Deutschlitauer und 10 000 Memeldeutsche;

in der BRD lebten 30 000 Lettland-, 20 000 Litauen- und 60–70 000

Memeldeutsche; knapp 10 % davon waren schon vor 1939 im Reich ansässig. In

der BRD nahmen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen langfristig etwa die

Hälfte aller aus dem Baltikum Stammenden auf (DEUTINGER 1999, S. 996 f.).

Es sind also grob zwei Schichten baltischer FamN in Deutschland zu unterscheiden:

eine junge schmale Schicht, die auf die seit 1990 eingewanderten Letten

und Litauer zurückgeht und die kaum ins deutsche System integriert ist und

eine ältere breite Schicht, die auf den deutsch-baltischen Kontakt, v. a. im nördlichen

Ostpreußen, seit dem Mittelalter zurückgeht und für die Adaptionen und

hybride Bildungen charakteristisch sind (für eine Feindifferenzierung s. SCHILLER

2008).


3 Im geheimen Zusatzprotokoll zum „Hitler-Stalin-Pakt“ (23. 08. 1939) steckten die beiden Diktatoren

auch ihre Interessensphären im Baltikum ab. Die baltischen Länder sollten an Russland

fallen und die dort lebenden Deutschen wurden umgesiedelt.

137


Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland

2 Baltische Familiennamen in Deutschland

2.1 Prototypisch baltische Familiennamen

Lettische und litauische Personennamen sind i. d. R. zweigliedrig (auch wenn

mehrere Vornamen vorkommen können und es unter russischem Einfluss Tendenzen

zu patronymischen MittelN gab). Ein typisches Kennzeichen der FamN

beider Sprachen ist die Nutzung onymischer Morphologie, v. a. von Diminutiv-

bzw. patronymischen Suffixen.

Die Frage, was man als prototypisch verstehen sollte, ist nicht so eindeutig zu

beantworten, wie es zunächst scheint: Ist der Prototyp das Muster, nach dem die

meisten FamN gebildet sind (Typenfrequenz) oder bilden ihn die Namen, die die

meisten Namenträger vorweisen können (Tokenfrequenz)? Ersteres ist für beide

Sprachen leider nicht übergreifend untersucht; deshalb werden hier die tokenfrequentesten

FamN als Prototypen vorgestellt (s. Tab. 1). Es finden sich für beide

Sprachen keine Häufigkeitslisten über die 15 frequentesten FamN hinaus, so dass

sich ein nur rudimentäres Bild ergibt. Beide Listen enthalten nicht nur genuin

baltische FamN, sondern in unterschiedlichem Umfang auch Fremdnamen: Während

in Lettland die genuin lettischen Namen auch die häufigsten sind, nehmen in

Litauen FamN slavischer Herkunft die meisten der ersten zehn Plätze ein.

Der prototypisch lettische FamN speist sich aus der Appellativik, und zwar

dem Bereich Natur (Flora, Fauna, aber auch unbelebte Natur). Dies zeigt sich

sehr schön an den häufigsten FamN (13 von 15), bei denen klar die Baumbezeichnungen

dominieren. LINI NA-MOURA (2005, S. 50) hat für den von ihr untersuchten

Distrikt Talsi (Nordwesten) festgestellt, dass Naturnamen nahezu die

Hälfte aller genuin lettischen Tokens ausmachen und – wenn auch nicht so deutlich

– auch typenfrequentiell das häufigste Motiv bilden.

Sehr häufig wird die naturmotivische Basis mit den Diminutivsuffixen -in-

(meist) oder -it- (seltener) erweitert, vgl. in Tab. 1 Ozolinš ‘Eiche-Dim.’ mit

Ozols ‘Eiche’ (Ränge 3 und 5) und Eglitis ‘Tanne-Dim.’ (Rang 9) mit dem FamN

Egle (mehr dazu in Abschnitt 3.1). Diesem Muster: ‚Naturmotivik + Diminutiv‘,

entsprechen der häufigste lett. FamN Berzinš und acht weitere der 15 häufigsten

FamN voll. Jansons und Petersons, die einzigen Fremdnamen auf der Liste, sind

niederdeutschen (oder schwedischen) Ursprungs (vgl. LINI NA-MOURA 2005,

S. 56 f. und NÜBLING in diesem Bd., K. 3–4 zu dt. -son). Deutsche FamN sind

insgesamt recht tokenfrequent und gut integriert. Die slavischen Namen der ein-

Antje Dammel

138


gewanderten Russen stellen zwar sehr viele Typen, fallen tokenfrequenziell aber

kaum ins Gewicht (vgl. LINI NA-MOURA 2005, S. 55 f.).

Der prototypisch litauische FamN ist dagegen ein fixiertes Patronym und hat

meist einen christlichen, seltener einen genuin baltischen RufN als Basis (Verhältnis

2 : 1). Wie im Lettischen wird auch hier die Basis oft erweitert durch onymische

Morphologie: patronymische bzw. diminuierende Suffixe, wobei hier der

Übergang fließend ist. Durch den intensiven Kontakt mit den slavischen Nachbarsprachen

sind FamN slavischer Herkunft sehr häufig (z. B. Stankevièius, Rang

2). Auch bei genuin litauischen Basen und den litauischen Formen christlicher

RufN sind Slavisierungen mit entlehnten Suffixen an der Tagesordnung, z. B. lit.



Šimkunas (heimisches Suffix) vs. Šimkevièius (Lehnsuffix). Teils wurde auch

voll übersetzt, z. B. Vabalas ‘Käfer’ in Žukauskas. Das Lehnsuffix -eviè(-ius) entspricht

dem slav. patronymischen Suffix (z. B. poln. -iewicz ‘-sohn’), Lehnsuffixe

wie -ausk(-as), -insk(-as), -sk(-is) entsprechen slav. -sk-Suffixen (vgl. poln. -owski



/ -ewski; vgl. BLAŽIENE/BILKIS 2001, S. 246; MACIEJAUSKIENE 2007, S. 480).

Sieben der zehn häufigsten lit. FamN enden in -auskas und einer in -vièius. Nur

ein FamN, Butkus, ist genuin baltisch.

Die hier beschriebene Prototypik spiegelt sich jedoch kaum in den litauischen

FamN in Deutschland (s. die Tokenangaben für Dtld. in Klammern in Tab. 1),

denn letztere sind v. a. preußisch-litauischer Provenienz (SCHILLER 2008). Hier

fand keinerlei Slavisierung statt; es gelten Entsprechungen genuin litauischer patronymischer

Suffixe wie -eit zu lit. -ait-is (s. u., 2.2).

Die häufigsten FamN beider Länder sind in Deutschland nur schwach belegt,

so dass sich Karten dazu kaum lohnen (s. die Tokenangaben für Dtld. in Tab. 1).

In ihren unangepassten Varianten repräsentieren sie die rezente – und schmälere

– Schicht baltischer FamN in Deutschland (s. o., 1).



Nr. Lettland (2005) Litauen (2005, 2007)

1 Berzinš ‘Birke-Dim.’

(D: Berzin(s) 3 + 43,

Bersin(sch) 36 / 7)

Kazlauskas < poln. Koz³owski

(D: 6)


2 Kalninš ‘Berg-Dim.’

(D: Kalnin(s) 17 + 58,

-insch 3)

Stankevièius < poln. Stankiewicz

< slav. Stanislaw

(D: 2)


3 Ozolinš ‘Eiche-Dim.’

(D: Ozolin(s) 4 + 25,



Osolin(sch) 6 + 2)

Jankauskas < Jankowski < Jan

< christl. Johannes

(D: 8)


139

Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland



Nr. Lettland (2005) Litauen (2005, 2007)

4 Jansons < dt. o. schwed. ‘Jan-Sohn’ Petrauskas < christl. ‘Peter’; viell.



< poln. Piotrowski (D: 12)

5 Ozols ‘Eiche’

(D: Ozols 20, Osol(s) 13 + 1,

Ozoll 1)

Vasiliauskas < poln. Wasi³owski

(D: 1)


6 Liepinš ‘Linde-Dim.’

(D: Liepin(s) 3 + 29, -insch 1)



Žukauskas < poln. ¯ukowski

(D: 2)


7 Kruminš ‘Busch-Dim.’

(D: Krumin(s) 1 + 17,

-insch 1)

Paulauskas < poln. Pawlowski

< christl. Paulus

(D: 5)


8 Balodis ‘Taube’

(D: 11)


Urbonas < christl. RufN Urban

(D: 2, Urbanas 3)

9 Eglitis ‘Tanne-Dim.’

(D: Eglitis 17,



Eglit(e) 10 + 15)

Butkus < balt. RufN mit -but-,

z. B. Narbutas

(D: But(t)kus 60 + 204)

10 Zarinš ‘Zweig-Dim.’

(D: Zarin(s) 5 + 9)

Kavaliauskas

< poln. Kowalewski

(D: 4) ‘Schmied’

11 Petersons

< dt. o. schwed. ‘Peter-Sohn’

12 Vitols ‘Weidenbaum’

(D: V-/Witols 6 + 1)

13 Klavinš ‘Ahorn-Dim.’

(D: Klawin 45, -vins 12,

-wien 2, Kluwin 4)

14 Karklinš ‘Weidenbaum-Dim.’

(D: Karklin(s) 5 + 17,

-insch 1)

15 Vanags ‘Habicht’

(D: Vanags 5 + Wanag 3)

Tabelle 1: Die häufigsten FamN in Lettland und Litauen4

4 (Nur männl. Form; Quellen: Latvian Institute, STALI; D: Tokens in Deutschland.) Die Zahlen

für Deutschland basieren auf den Telefon-Festnetzanschlüssen der Deutschen Telekom

(Stand 2005), die die Datenbasis des Projekts „Deutscher Familiennamenatlas (DFA)“ (Freiburg

/ Mainz) bilden. Auf sie wird im Folgenden mit „DFA-Datenbasis“ referiert. Mit „Tokens“

wird hier die Anzahl der auf einen FamN angemeldeten Telefonanschlüsse bezeichnet. Die ungefähre

Anzahl der Namenträger erhält man, wenn man die Anschlusszahl mit 2,8 multipliziert.

Antje Dammel

140

2.2 Typen und Erkennungszeichen baltischer Familiennamen



Neben den oben beschriebenen Prototypen kommen in beiden Sprachen alle

aus dem Deutschen bekannten Motivbereiche vor (vgl. BALODE/BUŠS 2007, S.

263 f.; MACIEJAUSKIENE 2007, S. 480 f.). Einige Beispiele aus dem Lettischen:

ÜberN Sproðis ‘Krauskopf’, Patronyme Reinis, direkte und indirekte BerufsN



Podnieks ‘Töpfer’, Ratinš ‘Spinnrad’ sowie StandesN Kalpinš < kalps ‘Knecht’,

HerkunftsN, z. B. Vacietis ‘Deutscher’ und WohnstättenN Strauts/Strautinš

‘Bach’, letztere mit unscharfer Grenze zu den Naturnamen. Einige litauische

Beispiele: ÜberN Kairys ‘der Linkshänder, der Linkische’, BerufsN Kalv(ait)



is ‘Schmied’, Plaktùkas ‘Hammer’, HerkunftsN Žemait(ait)is ‘Niederlitauer

(+ Patr.)’, WohnstättenN Aukštakalnis ‘hoher Berg’ und NaturN Vanagas ‘Habicht’.

Leider waren zur Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Benennungsmotive

keine umfassenden (Lettland) bzw. eindeutigen (Litauen) Angaben zu

finden. Bei MACIEJAUSKIENES Angabe (2007, S. 480), dass christl. Patronyme

60 % und baltische Patronyme 30 % ausmachen, wird die genaue Bezugsgröße

(alle Patronyme / alle genuin lit. Namen / alle FamN?) leider nicht ganz klar.

Sowohl im Lettischen als auch im Litauischen zeigen Suffixe am FamN ‘Sexus’

an, z. B. lett. Ozolin-š (männl.) – Ozolin-a (weibl.). Das Litauische geht hier

noch weiter (und steht damit weltweit allein): Am FamN weiblicher Personen

wird zusätzlich der Familienstand (verheiratet oder ledig) markiert. Männliche

Suffixe sind -as, -is, -ys, -us u. a., das Suffix für verheiratete Frauen ist -iene, und

ledige Frauen sind durch Suffixe gekennzeichnet, die auf -te enden (-aite, -ute,

-ute und -yte). Am Beispiel von lit. Petrausk-as (männl.) hieße die Ehefrau nach

diesem Modell Petrausk-iene (weibl. + verheiratet) und die Tochter Petrauskaite

(weibl. + ledig).5 Weibliche Varianten sind in Deutschland so selten belegt,

dass sich auch hier Karten nicht lohnen (z. B. keine FamN auf -iene / -iene über

drei Tokens).

Von den aus dem Baltischen stammenden FamN sind zumindest die komplexen

Bildungen gut anhand ihrer charakteristischen Suffixe aufzuspüren. Einige

5 Diese auf Frauen beschränkte und damit asymmetrische Distinktion nach Familienstand ist in Litauen

umstritten. Dabei kollidieren emanzipatorische mit sprachpflegerischen Interessen, vgl. die

Artikel NZZ (2000) und Baltic Times. Seit 2003 besteht die (kaum genutzte) Möglichkeit, eine

familienstandsneutrale Version auf -e zu wählen, vgl. MACIEJAUSKIENE 2007, S. 475. Am Bsp.

der weibl. Ableitung zu Urbonas (männl.) wäre das Urbone (weibl. neutral) anstatt Urboniene

(verh.) bzw. Urbonaite (ledig).

141


Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland

dieser Endungen sind spezifisch für bestimmte Sprachen, andere gesamtbaltisch.

Das Litauische erscheint dabei weitaus besser profiliert als das Lettische (zu dessen

Suffixen s. STALTMANE 1981, S. 40, Tab. 5). Letzteres liegt nicht nur an

der Verwechselbarkeit der lettischen Suffixe z. B. mit deutschen s-Genitiven, die

durch die Basis disambiguiert werden kann, sondern auch an der grundsätzlich

verschiedenen Kontaktsituation im Vergleich zu Preußisch-Litauen (s. o., 1).

Frequente Flexionsendungen sind im Litauischen (Mask., Nom.): -is, -as, -us

und -ys [i:s]. Beim lettischen Pendant ist der Vokal geschwunden und kontextabhängig

tritt eine palatalisierte Variante auf, also lett. -s bzw. -š. Auch -is, -as und



-us können vorkommen, doch weitaus seltener als im Litauischen.

An Derivation nutzt das Lettische wie beschrieben v. a. Diminutive. Dem lettischen



-in- und -it- entsprechen in der deutschen Datenbasis -in- und (selten)

-it-. Als Erkennungszeichen wird das Suffix -in- aber erst bei baltischer Lexik der

Basis verlässlich, denn viele slav. Namen enden ebenfalls auf -in(-a).

Das Litauische nutzt neben den schon vorgestellten Lehnsuffixen aus dem

Slavischen weitere genuin litauische Suffixe, die i. d. R. patronymische Semantik

hatten (mit fließender Grenze zur Diminution): -ait(-is), -on(-is), -un(-as) und

-en(-as). Weitere Suffixe, die verschiedenen baltischen Sprachen entstammen

können und u. a. diminutive Semantik haben, sind z. B. -at-, -ul-, -ut- und -el-.

Einen Einblick in die Variationsbreite der Suffixe, ihre Kombinatorik und ihre

Adaptionen im Deutschen geben die Ableitungen zum balt. RufN Jurgis (< Georg)

in der DFA-Datenbasis:

lit. -ait- Jurgeleit 160, Jurgeit 78, Jurgait 24, Jurgeneit 20, Jurgaitis 10,



Jurgelaitis 5, Jurgelait 2, Jurgoleit 2

lit. -at- Jurgutat 5, Jurgat 2, Jurgelat 2

balt. -el- Jurgeleit 160, Jurgel 7, Jurgelaitis 5, Jurgelait 2, Jurgoleit 2,

Jurgelionis 1, Jurgilas 1

lit. / lett. -on- Jurgelionis 1

lit. / pruss. -ut- Jurgutat 5, Jurguttis 1

lit. / pruss. -ys, -is Jurgies 6, Jurgsties 3, Jurgis 1

hochlett. (Selen) -an- Jurgahn 10


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