Zusammenfassung
(1) Die aus dem Polabischen bzw. Altpolabischen stammenden FaN können als
Reliktnamen angesprochen werden. Sie sind über den Sprachwechsel aus dem
slawischen Idiom ins Deutsche gelangt.
(2) Unverkennbares Kriterium für aplb. FaN ist das Fehlen der Metathese – die
ursprüngliche Folge Vokal + r bleibt erhalten: *tort > tart.
(3) Der Erhalt der urslaw. Nasalvokale /Í/ und /À/ kann auch auf Herkunft aus
dem Aplb. deuten, wenn Ursprung aus dem Poln. ausgeschlossen werden muss.
(4) Eine arealspezifische Distribution deutet auf Entstehung im Aplb. hin.
(5) Witte ermittelt auf Grund seiner Sammlung bestimmte Suffixe als für die
Bildung der FaN charakteristisch: -atz, -k-Suffixe, -l-Suffixe, -n-Suffixe,
-mer/mar sowie -slaw- und -mil-Bildungen heben sich von weiteren ab.
(6) Die hier ermittelten Familiennamen stammen zumeist aus Rufnamen, weniger
aus Übernamen (z. B. Balfanz) sowie Berufsbezeichnungen (vielleicht
Palisch), einer vielleicht aus einem Wohnstättennamen (Schoreitz). Herkunftsnamen
sind nicht erfaßt.
Abkürzungen
Klaus Müller
168
aplb. altpolabisch
asorb. altsorbisch
FaN Familienname
nsorb. niedersorbisch
osorb. obersorbisch
plb. polabisch
poln. polnisch
russ. russisch
sorb. sorbisch
sw. südwestlich
urslaw. urslawisch
BB Brandenburg
BE Berlin
BW Baden-Württemberg
BY Bayern
HB Bremen
HE Hessen
HH Hamburg
SH Schleswig-
Holstein
SL Saarland
SN Sachsen
ST Sachsen-
Anhalt
TH Thüringen
MV Mecklenburg-
Vorpommern
NI Niedersachsen
NRW Nordrhein-
Westfalen
RP Rheinland-
Pfalz
Familiennamen aus dem Polabischen im Deutschen
169
Quellen und Literatur
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Telefonauskunft für den PC, powered by klickTel (Datenstand 1. September 2005).
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Witkowski, T. 1978: Die Ortsnamen des Kreises Greifswald. Weimar.
Witte, H. 1906: Wendische Zu- und Familiennamen aus mecklenburgischen Urkunden und Akten
gesammelt und mit Unterstützung des Herrn Prof. Dr. Ernst Mucke zu Freiberg (Sachsen) bearbeitet
(Mit einer Karte). In: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde
Bd. 71, S. 153–290.
Walter Wenzel
Familiennamen aus dem Sorbischen
im Deutschen
0 Einleitung
Genau genommen haben wir es mit Familiennamen (= FamN) aus zwei verschiedenen
westslawischen Sprachen zu tun, mit FamN aus dem Niedersorbischen
(Nso.) und solchen aus dem Obersorbischen (Oso.). Die beiden Namensysteme
weisen viele Gemeinsamkeiten auf, es gibt jedoch auch wesentliche Unterschiede
zwischen ihnen, besonders im Bereich der anthroponymischen Lexik, aber
auch der Phonetik, weniger im Bereich der Namenbildung.1 Beide Sprachen beruhen
auf unterschiedlichen slawischen Stammesdialekten, im Norden auf den
Dialekten der Selpoli (im Raum um Guben) und der Luzici (ursprünglich im
Raum um Cottbus, Lübben, Calau, mit späterer Ausweitung nach Süden, Norden
und Westen).2 Das Oso. hingegen hat den Stammesdialekt der Milzener zur
Grundlage. Diese waren, ebenso wie die Vorfahren der heutigen Niedersorben,
im Zuge der Völkerwanderung im 7. Jh. aus dem Südosten gekommen. Nach Verlassen
der Urheimat der Slawen, die sich wahrscheinlich in Südostpolen und der
Nordwestukraine befand, zogen sie nördlich der Karpaten in das Flußgebiet der
Oder und diese abwärts, um dann nach dem Westen, in die Landstriche der heutigen
Ober- und Niederlausitz abzubiegen. Die Urahnen der Obersorben ließen
sich in der ca. 15 bis 20 km breiten fruchtbaren Offenlandschaft zwischen Löbau
und Kamenz nieder, um sich danach weiter gegen Norden hin auszubreiten, sodass
es schließlich zur Herausbildung einer Sprach- und Namengrenze mit dem
Nso. kam.3 Nach fast 300 Jahren einer relativ ungestörten Eigenentwicklung änderte
sich das Leben der eingewanderten Slawen von Grund auf, denn am Anfang
des 10. Jh. begannen die Kriegszüge der deutschen Kaiser, die zur Eroberung
der Nieder- und Oberlausitz, zu deren Eingliederung in das Deutsche Reich
171
1 Wenzel 2003, S. 181–187.
2 Wenzel 2006, S. 173–184.
3 Wenzel 2008, passim.
und zur Christianisierung der unterworfenen Bevölkerung führten. Auf diesem
historischen Hintergrund gestaltete sich das weitere Schicksal der altniedersorb.
und altobersorb. Personennamen (= PersN).
1 Das altsorbische Rufnamensystem
Ursprünglich besaß bei den Slawen, wie auch bei anderen indogermanischen
Völkern, eine jede Person nur einen Namen, einen Rufnamen (= RufN). Dieses
System, das die Slawen in seiner Grundstruktur aus dem Indogermanischen.
ererbt hatten, bestand aus zweigliedrigen Vollnamen (= VollN), aus von ihnen abgeleiteten
Kurz- und Koseformen (= KurzF, KoseF) sowie aus Übernamen (=
ÜberN), d. h. aus meist metaphorisch oder metonymisch gebrauchten Appellativen,
fast ausschließlich Substantiven und Adjektiven. Die VollN waren ihrer
Grundbedeutung und -motivation nach ursprünglich Wunschnamen, die dem
Neugeborenen auf magische Weise positive Eigenschaften wie Kampfgeist, Mut,
Ruhm, Ehre, Güte, Friedfertigkeit usw. auf dem zukünftigen Lebenswege bescheren
sollten. Das veranschaulichen u. a. folgende Beispiele aus dem altsorb.
Sprachraum: 857 apud Zistiboron, *È÷stiborq, aus urslaw. *É÷st÷ ‘Ehre’ und *borin
*borti (sÍ) ‘kämpfen’, woraus sich eine Grundbedeutung ‘möge er durch
Kampf zu Ehre gelangen’ erschließen läßt. Dieselbe Wurzel *bor- dient als Vorderglied
in 1071 Borislauus, *Borislav, mit dem Hinterglied -slav aus urslaw.
*slava ‘Ruhm’, also ‘möge er durch Kampf zu Ruhm gelangen’.4 Diese ursprünglich
sinnvollen Namengebilde wurden in späterer Zeit meist durch Zusammensetzungen
von Namengliedern abgelöst, die keinen rechten Sinn mehr ergaben.
Der Grund ist darin zu suchen, dass man die VollN bei der Namengebung
auch dazu verwendete, verwandtschaftliche Beziehungen, die Abstammung vom
Familienvater auszudrücken. Zu diesem Zweck nahm man in die Namen der
Söhne jeweils ein Namenglied des Vaters auf. So belegt z. B. in Österreich (mit
einer sehr frühen Namenüberlieferung) eine Urkunde vom Jahre 864 aus einem
Dorf einen *Domomyslq, einen *Godimyslq und einen *Našemyslq, bei denen
es sich wahrscheinlich um Brüder handelt, die das Hinterglied *-myslq, aus urslaw.
*mysl÷ ‘Gedanke’, *mysliti ‘denken’, von ihrem Vater ererbt hatten.5 Der-
Walter Wenzel
172
4 Schlimpert 1978, passim.
5 Kronsteiner 1975, S. 182.
artige Erscheinungen sind auch aus dem Althochdeutschen, so aus dem Hildebrandslied,
und anderen alten indogermanischen Sprachen bekannt.6
Bei der Verwendung im Familien- oder Freundeskreis unterlagen die VollN
mehr oder weniger starken Kürzungen, wodurch Kurz- und Koseformen entstanden.
Hierbei fiel oft das Hinterglied weg, wie z. B. bei 1071 Bor, *Bor, aus *Borislav,
*Borimir, *Borivoj o. ä. VollN. An ein Vollnamenglied konnte ein Suffix
treten: 1276 Borasch, *Boraš, 1296 Borysch, *Boriš. KoseF, in der Fachsprache
auch Hypokoristika genannt, entstanden aus der ersten (offenen, d. h. auf einen
Vokal endenden) Silbe durch Anfügen der Suffixe -ch oder -š, wodurch sich solche
Formen wie Boch oder Boš ergaben, wobei hier sowohl Borislav als auch Boguslav
oder Bodislav zu Grund liegen kann. Bei den KoseF kam es oft zu Erweiterungen
durch solche Suffixe wie -ak, -an, -ik, -k usw., was zu Bošak, Bošan,
Bošik, Bošk usw. führte. Suffixkombinationen sind also keine Seltenheit. Aus
dem Vollnamenglied Rad- wie in Radoslav, zu urslaw. *radq ‘froh, gern’, wurde
z. B. im Nso. mit Hilfe der Suffixe -och und -la der relativ häufige FamN Radochla
gebildet. Kürzungen waren darüber hinaus im In- oder Auslaut von VollN
möglich, so von Radoslav zu Raslav, von Radomir, mit dem Hinterglied aus urslaw.
*mirq ‘Frieden’, zu Radom.
ÜberN waren in den ältesten Zeiten weniger in Gebrauch, nahmen später aber
immer mehr zu, so 1071 Cos, *Kos, aus urslaw. *kosq ‘Amsel’, 1300 Karaz,
*Karas, aus urslaw. *karasQ ‘Karausche (ein Fisch)’. Eine kleine aber altertümliche
und kulturgeschichtlich interessante Gruppe bilden die sog. „Abwehrnamen“,
auch apotropäische Namen genannt, mit deren Hilfe der Namengeber versuchte,
die bösen Geister und Dämonen zu überlisten und sie vom Neugeborenen
abzuhalten, indem er dieses als etwas Hässliches, nicht Liebenswertes, zu Verabscheuendes
und Nichtswürdiges darstellte. Hierher gehören Namen mit der Verneinungspartikel
ne wie oso. Nerad ‘nicht gern’. Eine prohibitive Motivation
liegt dem nso. FamN Nipraš zu Grunde ‘möge der so Benannte von der Räude,
dem Aussatz verschont bleiben’, zur Negationspartikel nso. ni ‘nein, nicht’ und
nso. älter praš ‘Räude, Aussatz’.7 Aus diesem alten Rufnamenrepertoire schöpften
die Namengeber auch bei der Bildung von Ortsnamen (= OrtsN). In der Lausitz
war immer wieder zu beobachten, dass viele der aus den OrtsN erschlosse-
Familiennamen aus dem Sorbischen im Deutschen
173
6 Schmitt 1995, S. 622.
7 Wenzel 2002b, S. 9–10.
Walter Wenzel
174
nen PersN sich später als FamN wiederfanden.8 Als Beispiel aus der Oberlausitz
sei hier Laucha, oso. Luchow, genannt, 1306 Luchowe, altobersorb. *Luchow
‘Siedlung des Luch’, als FamN Luch bereits 1484 in Bautzen bezeugt, eine KoseF
von Luboslaw oder Lutobor, deren Vorderglieder auf urslaw. *Ôubq ‘lieb’
bzw. *Ôutq ‘streng, grausam, grimmig’ beruhen. Das oben erwähnte Nerad, 1649
als FamN Nerath überliefert, diente Jahrhunderte früher zur Bildung des OrtsN
Neraditz, oso. Njeradecy, 1419 Neradewitz, *Neradowici ‘Siedlung der Leute
des Nerad’. Auf diese Weise lassen sich mit Hilfe von FamN Ortsnamendeutungen
präzisieren. Der OrtsN Lömmischau, oso. Lemišow, um 1400 Lemeschaw,
wurde bisher zu poln. lemiesz, tschech. lemeš ‘Pflugschar, Pflugeisen’ gestellt
und als ‘Siedlung, die von gepflügten (bestellten) Feldern umgeben ist’ gedeutet.
Der oso. FamN Lemiš, in Bautzen bereits 1416 Lemischs, 1422 Lemisch, ein BerufsüberN
für den Hersteller von Pflugeisen bzw. Pflugscharen, spricht für ‘Siedlung
des Lemiš.’ 9
2 Von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit
Nach der Eroberung des Slawenlandes durch die Deutschen und nach der Christianisierung
begann ein ständig anschwellender Strom deutscher (dt.) und
christlicher (christl.) RufN dem slaw. Rufnamensystem Konkurrenz zu machen.
Ein entscheidender Umbruch trat mit dem Übergang von der Einnamigkeit zur
Zweinamigkeit ein. Bei der schriftlichen Fixierung der Haus- und Hofbesitzer
zum Zwecke der Festlegung von Abgaben und Steuern griff die weltliche und
kirchliche Obrigkeit auf die bisher üblichen sorb. RufN zurück, die damit ihre
Funktion zu ändern begannen und aus der anthroponymischen Subklasse der
RufN in die Subklasse der Hofnamen (= HofN), später der FamN überwechselten.
Dieser Vorgang war der entscheidende Grund dafür, dass sich viele slaw.
PersN überhaupt erhielten: sie wurden auf den Hof, das Bleibende und dem Interesse
der herrschenden Oberschicht Dienende bezogen, schriftlich niedergelegt
und nahmen einen amtlichen Charakter an.10 Das Wesen der HofN kommt sehr
8 Wenzel 2001, S. 165–180.
9 Wenzel 2008, passim und Karte 6 im Anhang.
10 Wenzel 1987, S. 13–15.
schön in der nachfolgenden Eintragung im Kirchenbuch von Hornow, nö. Spremberg,
zum Ausdruck: 1717 wurde George Budarn von Gary itzo Britza genand
mit Anna Britzin von Horne copuliert. Die Notiz besagt also, dass der neue Hofbesitzer
seinen bisherigen, noch nicht zu einem vollwertigen FamN gewordenen
BeiN *Budaê aufgeben muß und den Namen des Hofes *Brica, in den er einheiratet,
erhält. Auf diese Weise konnten sich diese PersN durch ihre Bindung an
den Hof nicht nur über Jahrhunderte erhalten, was uns die historischen Quellen
immer wieder bestätigen, sondern sie erfüllen durch ihre Ortsgebundenheit
gleichzeitig die Voraussetzungen für die Personennamengeographie, bilden ihre
methodologische Voraussetzung. Wir haben es hier aber, genau genommen, nicht
nur mit HofN, sondern auch mit HausN zu tun, da in den Abgabelisten und sonstigen
Verzeichnissen der deutschen Administration auch Häusler, Büdner und
Cossäten erscheinen, die wenig oder gar kein Land, sondern nur eine Bude besaßen.
Ähnliches gilt für die Stadtbewohner.
Dadurch, dass die ehemaligen slaw. RufN die Funktion von HofN und
HausN, später von FamN zu übernehmen hatten, entstand mit dem Aufkommen
der Zweinamigkeit ein Vakuum: Es war die neu entstandene Stelle der Vornamen
(= VorN) zu besetzen. Das geschah fast ausschließlich mit Hilfe christl. und dt.
RufN. Die christl. und dt. Namengebung machte aber nicht bei den VorN halt,
sondern prägte in bedeutendem Maße auch die Gestaltung der sorb. Zunamen
(= ZuN). Damit sind solche dem RufN hinzugefügte PersN gemeint, bei denen
aus den historischen Quellen nicht eindeutig hervorgeht, ob wir es noch mit
BeiN, HofN (genau genommen Hofbesitzernamen) oder schon mit offiziellen,
unveränderlichen, erblichen FamN zu tun haben. Bei der Bildung dieser sorb.
ZuN kam es in großem Umfange zu Hybridisierungen, d. h. zur Bildung von
PersN aus einem nichtslaw. und einem slaw. Element. Auf diesem Wege entstanden
solche Namen wie Haniš < Johannes und Kuniš < Kuonrad, Konrad. Auch
beim Aufkommen deappellativischer ZuN, also vieler Berufs- bzw. Amts- und
Übernamen, macht sich der dt. Einfluß bemerkbar, so bei nso. Bogot, oso. Bohot
< dt. Vogt, nso. Lenik < dt. Lehmann, oso. Butra über das Lehnwort butra < dt.
Butter.
Die Zweinamigkeit und damit die Herausbildung von FamN aus Bei-, Hofund
Hausnamen setzt in der Lausitz im 14. Jh. ein. Die ältesten Einwohnerverzeichnisse,
die fast ausschließlich abgabenpflichtige Hof- und Hausbesitzer erfassen,
so das Zinsregister des Klosters Marienstern (1374–1382), das Landregister
Sorau (1381) und insbesondere die Geschoßlisten der Stadt Bautzen
Familiennamen aus dem Sorbischen im Deutschen
175
(1399–1408), führen bereits eine beträchtliche Anzahl von Personen mit einem
RufN und einem ZuN an. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jh. erlangen diese anfangs
noch unfesten und unverbindlichen ZuN bei allen Bevölkerungsschichten
in Stadt und Land endgültig den offiziellen Status unveränderlicher und erblicher
FamN. Eine entscheidende Rolle in diesem, sich über einen langen Zeitraum hinziehenden
Prozess spielten seit dem ausgehenden 16. Jh. die Kirchenbücher, d. h.
die Tauf-, Trau- und Sterberegister, die erstmals sämtliche Einwohner, auch die
untersten sozialen Schichten, die Knechte und Mägde, die sog. „Hausgenossen“
usw., mit VorN und ZuN schriftlich festhielten.11
3 Die Bildung der Familiennamen
Die morphematische Grundstruktur aller sorb. FamN läßt sich mit der Formel
P0–1 + AB + S0–4 wiedergeben, wobei P = Präfix oder Partikel, AB = anthroponymische
Basis, S = Suffix symbolisieren, während die klein geschriebenen Ziffern
die Zahl der Affixe anzeigen. Am häufigsten ist der Typ P +AB + S mit den
Subtypen 0 + AB + 0 in Mi³, 0 + AB + ak in Milak, Na + AB + 0 in Nagora,
Pod + AB + ka in Podgorka usw. Den Typ P +AB + S + S realisiert ein solcher
Subtyp wie 0 +AB + aš + k in Domašk. Seltener ist der Typ P + AB + S + S +
S mit einem solchen Subtyp wie 0 +AB + iš + k + ec in Juriškec, wobei -ec aus
der ursprünglichen Suffixkombination *-owic hervorging. Die Untergliederung
erfolgt des Weiteren nach den anthroponymischen Basen, ob also ein VollN zu
Grunde liegt wie bei Dalebog, eine KurzF wie bei Dal, ein gekürztes Vollnamenvorderglied,
versehen mit einem oder zwei Suffixen wie in Daš und Daška. Das
Gesamtsystem, wie es aus Quellen des 14. bis 18. Jh. erschlossen wurde, konstituieren
bei den FamN aus RufN 9 Typen mit ca. 80 Subtypen, bei den FamN aus
Appellativen 4 Typen mit ca. 55 Subtypen.12 Die häufigsten anthroponymischen
Basen bei den FamN aus slaw. RufN sind Dom-, Lub- und Wel-, bei den FamN
aus christl. RufN Han-, Kub- und Jan-, bei den FamN aus dt. RufN Hajn-, Kunund
Her-. Zur Ableitung dienten vor allem die Einzelsuffixe -ik, -iš und -ak sowie
die Suffixkombinationen -š + -k-, -n + -k-, im Nso. -en + ´c. Insgesamt kommen
Walter Wenzel
176
11 Wenzel 2004, S. 9–11.
12 Wenzel 1987, S. 21–25.
rund 75 verschiedene Einzelsuffixe und 120 Suffixkombinationen zur Anwendung.
Recht häufig erscheint für sorb. -k, -ka oder -ko das unter dt. Einfluß aufgekommene
sekundäre Suffix -ke, so z. B. 1621 Domaschk, auf dems. Hof 1647
Dommaschke; 1671 Domaschka, ders. ebenda Domaschke; 1660 Domko, ders.
ebenda Domke. Präfixe bzw. ursprüngliche Präpositionen finden sich vor allem
bei Wohnstättennamen, so bei Nagora ‘der am Berg Wohnende’, bei Nakonc ‘der
am Ende des Dorfes Wohnende’, bei Podgorka ‘der unterhalb des Berges Wohnende’.
13 Sehr selten sind Namen mit den Negationspartikeln ne- oder ni-, so
Neda, Nerad und Nipraš.
4 Die Bedeutung der Familiennamen
Nach ihrer Grundmotivation lassen sich die sorb. FamN, ähnlich wie die dt., in
5 Gruppen einteilen.
4.1 Familiennamen aus Rufnamen
FamN aus slaw., dt. und christl. RufN entstanden dadurch, dass dem RufN einer
Person der RufN einer anderen (verwandten) Person, im allgemeinen der des Vaters,
hinzugefügt wurde, wodurch ursprünglich eine patronymische Bedeutung
zum Ausdruck kam. So erhielt der Sohn des Andrej den VorN Christoph und den
ZuN Andreick (mit Diminutivsuffix), also ‘der kleine Andrej, der Sohn des Andrej’.
Diese Namengruppe ist am umfangreichsten, vor allem durch die FamN
aus christl. RufN. Wie wir unten noch sehen werden, gelangen mehrere von ihnen
unter die 10 häufigsten sorb. FamN.
4.2 Familiennamen nach der Herkunft
Ein Herkunftsname (= HerkN) kennzeichnete eine Person nach dem Ort, aus dem
sie zugezogen war, so nso. Huraz ‘einer aus dem Dorf Huraz, dt. Auras’. Diese
HerkN aus einem genuin sorb. OrtsN begegnen nur vereinzelt, da die meisten
Familiennamen aus dem Sorbischen im Deutschen
177
13 Wenzel 2004, S. 513f., Karten 8, 9; Wenzel 2005a, 29–39.
Lausitzer HerkN auf eingedeutschten sorb. oder dt. OrtsN beruhen. Ein sorabisierter
dt. OrtsN liegt dem FamN Barbuk zugrunde, von dt. Bärenbrück, nso.
Barbuk. Sehr selten sind, ganz im Gegensatz zum Polnischen (Poln.) und Tschechischen
(Tschech.), FamN auf -ski, z. B. oso. Salowski ‘einer aus Salow, dt. Saalau’,
nso. Jab³onski ‘einer aus Jab³on, dt. Gablenz’.14 Zu den HerkN im weiteren
Sinne zählen die von Stammes-, Völker- und Landesnamen abgeleiteten FamN,
so Serb, Serbin, Sarban ‘Sorbe’, Nimc, NÏmc ‘Deutscher’ und einige andere,
darunter auch Mišnaê ‘einer aus der Stadt oder dem Land Meißen’, Brambor,
Brambora und Brambork ‘einer aus (dem Land) Brandenburg, Brandenburger’.
4.3 Familiennamen nach der Wohnstätte
Wohnstättennamen (= WohnstN) benannten Personen nach der Lage ihres Wohnsitzes
in der Landschaft: an/auf einer Anhöhe oder im Tal, so Nagora, Dolan; bei
Bäumen und Sträuchern, so Buk ‘Buche’, Keê(k) ‘Strauch’; bei einem Walde, so
Gaj(k) ‘Hain, Hag, kleiner Wald’; Dubrawa ‘Eichenwald’. Sehr häufig sind Benennungen
nach der Lage des Hofes in der Siedlung: an deren Rande, am Ende,
so Koncak, Nakonc, Nakoncaê, Skonc, vergleichbar den dt. FamN Amend, Endmann;
in einem Winkel, einer Ecke, so Narožk, Nuglišk, Rohak, entsprechend dt.
Winkler, Eckbauer.15
4.4 Familiennamen nach dem Beruf, der sozialen Stellung,
einem Amt usw.
Berufsnamen (= BerN) sind relativ häufig, so nso. Kowal ‘Schmied’, Kjarcmaê
‘Schenk-, Gastwirt’, Kolasaê und Ko³oôej ‘Stellmacher, Wagner’, Tkalc ‘Weber’,
Twaêc ‘Zimmermann’, Rataj ‘Ackermann’, Lenik ‘Lehmann’, Kosac und
Kosak ‘Kossäte’, Budaê ‘Büdner’; oso. Kowar ‘Schmied’, KorÉmar ‘Schenk-,
Gastwirt’, dazu gleichbedeutendes aus dem Tschech. ins Dt., besonders in die
Oberlausitz eingedrungenes Kret(z)schmar, Kret(z)schmer;16 ferner Ko³odôej
Walter Wenzel
178
14 Wenzel 1996a, S. 97–101; Wenzel 1996b, S. 339–346.
15 Wenzel 2004, S. 513–515, Karten 8–10; Wenzel 2005a, S. 29–39.
16 Wenzel 1994a, S. 22 f., Karten 15, 16.
‘Wagner’, CÏsla ‘Zimmermann’, Smoler ‘Köhler’, Po³lenk ‘Halbhüfner’, Zahrodnik
‘Gärtner’. – Aus Amtsbezeichnungen gingen hervor: Starosta ‘Dorfältester’,
Šo³ta ‘Schulze’, Wicaz ‘Lehmann’, Župan ‘Dorfältester oder Vorsteher einer größeren
Siedlergemeinschaft’, nso. Bogot, oso. Bohot ‘Voigt’.17 Eine Anzahl dieser
BerN, vor allem aus Amtsbezeichnungen hervorgegangene FamN wie Lenik,
Šo³ta, Bogot/Bohot u. a. beruhen auf Lehnwörtern aus dem Dt.18
4.5 Familiennamen aus Übernamen
Umfangreich ist die Gruppe der ÜberN, die im Akt der Namengebung etwas über
auffällige körperliche und charakterliche Eigenheiten eines Menschen aussagten,
über seine Verhaltensweisen, Gewohnheiten, seine Haar- und Hautfarbe, Körperteile
usw.: Krotki ‘kurz’, Mudra ‘klug’, BÏlak, BÏlik ‘weiß’, nso. Carnak, -ik, -iš,
oso. Èernak, Èornak, Èernik ‘schwarz’, Broda, Brodak ‘Bart’, nso. G³owa,
G³owac, oso. H³owa, H³owaÉ ‘(Groß)kopf’, Nosak, Nosik, Nosk ‘Nase’ u. a.
Zahlreiche Namen gehen auf Tierbezeichnungen zurück, so Baran ‘Widder,
Schafbock’, Karas ‘Karausche (ein Fisch)’, Liška ‘Fuchs’, Kokot ‘Hahn’, Komor
‘Mücke’, Kozo³, Kozlik ‘Ziegenbock’, Rak ‘Krebs’, Sykora ‘Meise’, nso.
Cyž, oso. Èiž(ik) ‘Zeisig’; auf Pflanzenbezeichnungen RÏpa ‘Rübe’, Sok ‘Linse’,
nso. Groch ‘Erbse’; auf Bezeichnungen verschiedener Gegenstände, Bekleidungsstücke,
Lebensmittel usw., so Brus(k) ‘Wetzstein’, Bubon ‘Trommel’, Koš
‘Korb’, Cholowa ‘Hose’, Kabat ‘Männerrock, Wams’, Piwo, Piwko ‘Bier’, Ca³ta
‘geflochtene Semmel’. Viele dieser Namen beruhen auf Bezeichnungsübertragung,
d. h. ihnen liegen metaphorische und metonymische Benennungsweisen zu
Grunde. Ein schönes Beispiel für Metonymie enthält die Eintragung vom Jahre
1614 im Cottbuser Kirchenbuch: Hans Bruwar oder Chmelik. Neben dem BerN
Bruwaê ‘(Bier)brauer’ gebrauchte man für dieselbe Person als mittelbaren BerN
die metonymische Benennung Chmjelik, zu nso. chmjel ‘Hopfen’.
Familiennamen aus dem Sorbischen im Deutschen
179
17 Wenzel 1994a, S. 18–26, Karten 1–28; Wenzel 2002a, S. 162–171; Wenzel 2004, S. 510–512,
Karten 3–7.
18 Wenzel 1994/95, S. 45–61.
Walter Wenzel
180
5 Die zeitliche Schichtung der Familiennamen
Namenstratigraphisch gesehen lassen sich obige fünf Gruppen verschiedenen
Zeitschichten zuordnen und in sich chronologisch weiter differenzieren. Unter
den FamN aus RufN bilden die aus slaw. VollN, Kurz- und Koseformen hervorgegangenen
Namen zweifellos die älteste Schicht, im Gegensatz zu den jüngeren,
erst nach der dt. Eroberung aus christl. und dt. RufN abgeleiteten FamN, die
bald die Oberhand gewannen, ohne jedoch den genuin slaw. Rufnamenbestand
ernstlich zu bedrohen. Nur die VollN schwanden fast restlos. Unter den ÜberN
können manche ein sehr hohes Alter besitzen, andere wiederum mögen bedeutend
später entstanden sein. Viele BerN, vor allem aber die HerkN und WohnstN
sind erst im Spätmittelalter und in der beginnenden Neuzeit im Zusammenhang
mit der Durchsetzung der Zweinamigkeit zur Entfaltung gekommen. Diese genetisch
unterschiedlichen Namengruppen flossen spätestens im 18. Jh. zu einem
einheitlichen Bestand an FamN zusammen, der sich dann nicht mehr wesentlich
veränderte.
Die BerN haben ihre Zunahme der wachsenden Arbeitsteilung und Differenzierung
der Gesellschaft zu verdanken, die HerkN der ansteigenden Binnenmigration.
Die WohnstN wiederum stehen in einem ursächlichen Zusammenhang
mit der in den Vordergrund gerückten Neuorientierung in der nunmehr größer gewordenen
Siedlung und dem angrenzenden Gelände sowie mit der während der
dt. Ostsiedlung und des fortschreitenden Landesausbaues sich wandelnden Siedelstruktur,
den neuen Dorf- und Flurformen.19
6 Die räumliche Verbreitung der Familiennamen
Die namengeographischen Untersuchungen ließen eine starke räumliche Differenzierung
der sorb. FamN erkennen.20 Zahlreiche FamN kommen nur in der
Niederlausitz vor, andere wiederum nur in der Oberlausitz.21 Zwischen ihnen bildete
sich eine ausgeprägte Grenzzone heraus, die mit vielen nso.-oso. Mundart-
19 Wenzel 1994b, S. 133–140; Wenzel 2004, S. 514f.
20 Wenzel 1994a, S. 18–52, Karten 1–112; Wenzel 2004, S. 508–519, Karten 1–16.
21 Wenzel 2003, S. 181–187.
isoglossen im Sorbischen Sprachatlas konform geht. Das zeigt u. a. die beigefügte
Karte mit der Kowal-Kowaê -Isolexe, die mit der betreffenden appellativischen
Isolexe aus dem Sorbischen Sprachatlas fast genau übereinstimmt.22 Darüber
hinaus treten innerhalb der beiden Sprach- und Namenlandschaften
zahlreiche kleinere und größere Personennamenareale hervor. Die sorb. Arealanthroponomastik
erbrachte viele weiterführende Erkenntnisse, nicht nur für die
sorb. Sprach- und Siedlungsgeschichte, sondern in methodologischer Hinsicht
auch für einen zukünftigen gesamtslawischen anthroponymischen Atlas.23
7 Die Häufigkeit der Familiennamen
In den „Studien zu sorbischen Personennamen“, die insgesamt 25 Kreise auf einem
Territorium erfaßten, das von Wittenberg und Torgau im Westen bis nach
Fürstenberg und Görlitz im Osten, von Zittau im Süden bis nach Beeskow im
Norden reichte, wurden auf der Grundlage von rund 45 000 Belegen aus Quellen
des 14. bis 18. Jh. in 8171 Namenartikeln die Namen von 40 511 Personen untersucht.
24 Hinzu kommen noch weitere 8456 verschiedene Namen mit 48 463
Belegen aus den Niederlausitzer Kirchenbüchern des 16. bis 18. Jh.25 Die statistische
Auswertung bezog auch die anthroponymischen Suffixe und ihre Frequenzen
mit ein, sodass eine Tabelle der 10 häufigsten Suffixe und Suffixkombinationen
erstellt werden konnte.26 Hier sei nur die Liste der zehn häufigsten nso.
und oso. FamN angeführt: Nso. Nowak ‘Neumann’, Kowal ‘Schmied’, Kosac
‘Kossäte, Gärtner’, Juriš ‘Georg’, Koncak ‘Endmann’, Budaê ‘Büdner, Häusler’,
Šejc ‘Schuster’, Ko³oôej ‘Wagner’, Tkalc ‘Weber’, Kja(r)cmaê ‘Gastwirt’; oso.
Nowak ‘Neumann’, Bartuš ‘Bartholomäus’, Šo³ta ‘Schulze’, Hanuš ‘Johannes’,
PÏtšik ‘Peter’, Kral ‘König’, Wicaz ‘Lehmann’, Jank ‘Johannes’, PÏtš ‘Peter’,
JenÉ ‘Johannes’. Auffällig ist bei einem Vergleich zwischen den nso. und oso.
FamN, dass in beiden Anthroponymien Nowak, eigentlich ein indirekter HerkN,
Familiennamen aus dem Sorbischen im Deutschen
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22 Wenzel 1994a, S. 22, Karte 13.
23 Wenzel 1998, S. 76–84.
24 Wenzel 1991, S. 5 und 25.
25 Wenzel 2004, S. 506.
26 Wenzel 1992, S. 231.
Walter Wenzel
182
Kowal/Kowaê-Isolexe
Familiennamen aus dem Sorbischen im Deutschen
183
so wie im Poln. und Tschech. an der Spitze steht. Im Nso. herrschen die BerN
vor, im Oso. dagegen die FamN aus christl. RufN. Die statistische Erfassung aller
verschiedenen Namen und die Zahl ihrer Namenträger sowie die Anzahl der
Suffixe bildete die Voraussetzung für eine allseitige Charakterisierung des sorb.
Familiennamenbestandes, ermöglichte die Bestimmung zentraler und peripherer
Erscheinungen und das Erkennen von Entwicklungstendenzen.27
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