1 Familiennamen aus germanischen Sprachen Ulf Timmermann Friesische Familiennamen


Entstehung, Entwicklung und Motivation



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3 Entstehung, Entwicklung und Motivation

der baltischen Familiennamensysteme

3.1 Das lettische Familiennamensystem

Mehr oder weniger stark fixierte Beinamen bildeten sich v. a. in größeren Städten

und einigen Landbezirken ab dem 14. Jh. mit einer Hochphase im 15. / 16. Jh. heraus.

Die vielen Bauern auf dem Land wurden jedoch in der Zeit der Leibeigenschaft

meist nach dem System „unfester HofN (im Genitiv) + RufN“ benannt.

Mit der Aufhebung der Leibeigenschaft Ende des 18. Jh., die zur Mobilität der

vorher ortsfesten Landbevölkerung führte, brach das alte System zusammen. Zur

verlässlichen Identifizierung dieser Personen wurden nach Verordnungen in den

1820er und 30er Jahren (in Lettgallen erst 1866) verpflichtend FamN eingeführt,

die sich – zumindest theoretisch – die Familienoberhäupter aussuchen durften.

Die meisten entschieden sich für die in Abschnitt 2.1 beschriebenen Naturnamen,

möglicherweise auf behördliche Empfehlungen hin. Das lettische FamN-System

war damit weitgehend fixiert. (Zu diesem Abschnitt s. STALTMANE 1981, S. 7;

LINI NA-MOURA 2005, Kap. 2.2; BALODE/BUŠS 2007, S. 462 f.).

Die Entstehung des lettischen FamN-Systems verlief also nur teilweise spontan,

in dem das System am meisten prägenden Abschnitt aber behördlich gesteuert.

Sie begann vergleichsweise spät und war innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne

vollendet. Dies erklärt zusammen mit der besonderen soziolinguistischen

Situation bis zu einem gewissen Grad die große Homogenität und die besondere

Motivik der lettischen FamN (vgl. LINI NA-MOURA 2005, S. 39).

Wie bereits beschrieben ist deren charakteristische Quelle appellativische Lexik

aus dem Bereich Natur. Dazu kommt typischerweise onymische Morphologie

in Form der Diminutivsuffixe -in- und -it-, vgl. Ozols ‘Eiche’ – Ozolinš ‘Eiche-

Dim.’. NÜBLING (2004, S. 472–275) analysiert diese Kombination als ein sehr

effizientes Verfahren, um in Abgrenzung vom appellativischen Wortschatz, der ja

auch Personenbezeichnungen enthält, den Status als EigenN zu markieren: Mit

Naturbegriffen referiert man normalerweise nicht auf Menschen, daher besteht

bei Naturnamen (anders als z. B. BerufsN) keine Verwechslungsgefahr mit appellativischen

Personenbezeichnungen. Diese Abgrenzung wird zusätzlich durch

das Diminutivsuffix gestützt, indem letzteres bei FamN intensiver genutzt wird

(von den 15 häufigsten FamN sind 9 diminuiert) als bei deren appellativischen

Pendants.

153


Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland

3.2 Die litauischen Familiennamensysteme



3.2.1 Das groß-litauische System

Die Entstehung der litauischen FamN in (Groß-)Litauen (s. MACIEJAUSKIENE

1991, S. 301–306, 2007, S. 477–480; BLAŽIENE/BILKIS 2001, S. 245) wird früher

und über einen längeren Zeitraum angesetzt als im Lettischen. Vom 15. Jahrhundert

an war der Vorläufer des heutigen Prototyps, RufN + patronymischer BeiN,

am produktivsten. Im 16. Jh. überwogen dabei noch Patronymika aus litauischen

RufN, wurden im 17. Jh. aber von Patronymika aus christlichen RufN übertroffen

(heute im Verhältnis 2 : 1). Feste FamN entstanden ab dem 15. Jh. zunächst

beim Adel, ab dem 16. Jh. bei den Bewohnern der Stadt Kaunas und ab dem 17.

Jh., das generell die intensivste Entstehungsphase war, auch bei den Bauern, so

dass die FamN-Entstehung im 18. Jh. weitgehend abgeschlossen war.

Hinsichtlich der Benennungsmotivik und der Art onymischer Morphologie

bestehen klare Unterschiede zum Lettischen: Es herrschen FamN aus

christlichen RufN mit patronymischen Suffixen vor, Typ Abromaitis (Abromas

+ patron. Suffix < Abraham). Der EigenN-Status der litauischen FamN

wird dadurch markiert, dass mit RufN als Basis bereits aus anthroponymischem

Material geschöpft wird. Einer Verwechslung mit RufN wird durch die ehemals

patronymischen, heute aber den Status als FamN anzeigenden Suffixe entgegengewirkt.

Bis zum 18. Jh. bildete sich die heutige Konvention heraus, Sexus und – bei

Frauen – Familienstand durch spezifisch weibliche Suffixe zu markieren (s. o.,

2.2).

Das (groß-)litauische FamN-System durchlief im engen Kontakt mit den angrenzenden



slavischen Sprachen im 18. / 19. Jh. eine starke Slavisierung, wovon

besonders die onymischen Suffixe betroffen waren. Die aus dem Slav. entlehnten

Suffixe -aviè / -eviè- und -sk- traten massenhaft auch an heimische Basen an, z. B.

Butkauskas, Narkevièius.

Nach der Fixierung der Patronymika gab es eine Tendenz, die nicht mehr motivierten

patronymischen Suffixe abzulegen, etwa Abromas statt der älteren Form

Abromaitis. Soweit sich im Litauischen Telefonbuch (= TLI) und in VANAGAS/

MACIEJAUSKIENE u. a. (1985, 1989) erkennen lässt, hat sich diese Tendenz aber

nie klar durchgesetzt.

Antje Dammel

154

3.2.2 Das preußisch-litauische System

Vom groß-litauischen System getrennt muss die Entstehung der preußisch-litauischen

FamN betrachtet werden (SCHILLER 2008), doch kann hier nur kurz auf

die wichtigsten Unterschiede eingegangen werden.

Auch wenn genauere Untersuchungen noch ausstehen, scheint die Benennungsmotivik

nicht ganz so stark durch RufN dominiert wie im Groß-Litauischen;

besonders die im Deutschen frequentesten BerufsN treten im preußischlitauischen

System stärker hervor.

Wie historisch im groß-litauischen System stellen patronymische Bildungen

mit genuin litauischen Suffixen das Fundament. Weit stärker als im Groß-Litauischen

finden sich wegen der abweichenden Benennungsmotivik neben primären

Patronymen aus RufN wie Joneleit zu Jonas auch zahlreiche sekundäre

Patronyme v. a. aus BerufsN wie Kallweit ‘Sohn des Schmieds’ aber auch zu anderen

Benennungsmotiven. Eine Slavisierung der patronymischen Suffixe fand

nicht statt. Bei den primären Patronymen kommen, verglichen mit dem großlitauischen

System, häufiger deutsche und seltener baltische oder slavische RufN

als Basis vor.

Nach SCHILLER (2008) war das preußisch-litauische System zunächst viergliedrig:

Neben einer vom Familiennamen des Mannes abgeleiteten Form für

die Ehefrau gab es nach Sexus differenzierte Formen für die Kinder, z. B. Mann:

Kurpius ‘Schuster’, Frau: Kurpjuw(i)ene, Sohn: Kurpjuwaitis oder Kurpjunas,

Tochter: Kurpjuwaite. Bei der Fixierung der Familiennamen setzte sich häufig

die männliche patronymische Form durch, also Kurpjuwaitis, heute Kurbjuweit

etc. Das viergliedrige wurde damit zum eingliedrigen System (SCHILLER 2008).



4 Fazit, Nachschlagewerke und Überblicksartikel

THOMASON/KAUFMANN (1988) haben mit ihrer „borrowing scale“ einen Maßstab

dafür entwickelt, wie empfänglich die verschiedenen sprachlichen Teilsysteme

für kontaktinduzierte Veränderungen sind. Die Lexik reagiert dabei am empfindlichsten

auf Sprachkontakt. DEBUS (1980, S. 188) hat darüber hinaus angeregt,

dass man innerhalb der Lexik noch weiter differenzieren und das Onomastikon

als sensibelste Schicht ansetzen kann. Dem kann man aufgrund der Ergebnisse

dieses Beitrags nur zustimmen und ergänzen, dass dies auch und besonders für

155

Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland



die FamN gilt, die wie keine andere Namenart an gesellschaftliche und politische

Verhältnisse geknüpft sind. Die FamN aus den baltischen Sprachen in Deutschland

bilden wie ein Seismograph die jahrhunderte währenden Sprachkontakte

zwischen Deutschen und Balten und die bevölkerungsgeschichtlichen Umwälzungen

der Nachkriegszeit ab.

Die FamN aus den baltischen Sprachen in Deutschland und ihre Interferenzen

mit dem deutschen FamN-System, z. B. die hybriden Bildungen und

vielfältigen Adaptionen, sind ein spannendes Thema, das – auch historisch – in

einer Monographie aufgearbeitet werden müsste. Sehr zu wünschen ist auch

ein Lexikon baltischer FamN in Deutschland, das deren bessere Berücksichtigung

in den vorhandenen Lexika ermöglichen würde. Ein Korpus dafür zu

erstellen ist heute mit elektronischen Telefon-Datenbanken wie der des DFA

unproblematisch. Es müssten aber auch Quellen zur Vorkriegszeit wie das

„Ortsfamilienbuch Memelland“ (= OFB), KENKEL 1972 und WENSKUS 1990

herangezogen und die heutigen FamN Lettlands und Litauens vergleichend

einbezogen werden.

Zu den lettischen, litauischen und preußisch-litauischen FamN in Deutschland

existieren also bisher mit Ausnahme von SCHILLER 2008 keinerlei Untersuchungen,

Überblicksartikel oder Nachschlagewerke. Im Internet findet sich

lediglich ein „Kleines Lexikon litauischer Familiennamen“ (= KLF), das aber

keinesfalls für wissenschaftliche Zwecke geeignet ist.

Die Nachschlagewerke und Monographien zu den baltischen FamN in Lettland

und Litauen sind für viele Deutsche nur bedingt nutzbar, da sie entweder auf

Litauisch (MACIEJAUSKIENE 1991; VANAGAS/MACIEJAUSKIENE/RAZMUKAITE

1985, 1989) oder auf Russisch verfasst sind (STALTMANE 1981 mit großem, rückläufig

geordnetem Korpus lettischer FamN in lat. Schrift). Eine Ausnahme bilden

die beiden deutschsprachigen Überblicksartikel MACIEJAUSKIENE 2007 zum Litauischen

und BALODE/BUŠS 2007 zum Lettischen.



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Antje Dammel

156


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3

Familiennamen aus slawischen Sprachen

Klaus Müller



Familiennamen aus dem Polabischen

im Deutschen

1 Geschichtlicher Überblick

Vom 6./7. Jahrhundert an besiedeln in einem breiten Streifen Slawen weithin

Landschaften südlich der Ostsee (mitsamt deren Inseln) bis zur Kieler Förde und

nehmen in einer Gegend westlich der Elbe bis zur Mündung der Saale, die im

Wesentlichen als Westgrenze gelten kann, ihre Wohnsitze. In diesem nördlichen

Raum, also in den späteren Regionen Westpreußen, Pommern, Mecklenburg, im

östlichen Holstein, in Teilen der Provinz Hannover sowie in Brandenburg bis zu

einer Linie Saalemündung – Eisenhüttenstadt/Oder, lebten slawische Stämme,

die sich sprachlich mit dem Polnischen verbinden, also zur Gruppe der Lechen

gehören. Diese Gebiete sind unter dem Namen Elb- und Ostseeslawisch (der östliche

Teil ist vor allem als Pomoranisch) bekannt, jene an der Elbe gehen unter

der Bezeichnung Polabisch in die Geschichte ein. Zum Elbslawischen, dessen älteste

Ausdehnung bis nach Brandenburg sowie Hannover, nach Mecklenburg und

in die Altmark, auch nach Schleswig-Holstein (Ratzeburg) reicht, gehört auch

das Drawänopolabische um Lüneburg, das zwischen 1700 und 1750 ausstirbt,

doch durch einige wenige Texte bekannt geworden ist.1 Die Sprache der übrigen

Landschaften lässt sich nur über Namen, zumeist Siedlungsnamen, auch Personennamen,

erschließen.

In dieser Studie werden Namen des alten polabischen Gebietes an der Elbe

behandelt, jedoch auch solche aus sich östlich bis zur Oder wie nördlich bis zur

Ostsee anschließenden ostseeslawischen Gegenden berücksichtigt. Die Idiome

der Stämme dieser Gebiete werden auch unter Polabisch angesprochen. Quellen

für Personennamen (PN) aus diesen Landschaften sind einerseits Ortsnamen

(ON) und andererseits mittelalterliche Texte.

In den oben bezeichneten Gebieten wird bereits seit langem – mit Sicherheit

seit dem späten Mittelalter – nicht mehr slawisch gesprochen. Die Aneignung

161

1 Vgl. Olesch 1983–1987.



des Deutschen durch die slawische Bevölkerung beginnt sehr früh und vollzieht

sich unter historisch sehr unterschiedlichen Bedingungen, doch wird die eigenständige

ethnische, politische sowie soziale Entwicklung der hier ansässigen

westslawischen Stämme trotz bisweilen hartnäckigen Widerstandes behindert

bzw. unterbrochen. Zunächst entsteht vielfach für lange Zeit ein Nebeneinander

von deutsch- und slawischsprachigen bäuerlichen Siedlungen, und es kommt bei

dem gemeinsam betriebenen Landesausbau zu einem friedlichen Zusammenwirken

von Alteingesessenen sowie Neusiedlern. Die Konsequenzen der deutschen

Ostsiedlung bringen es jedoch mit sich, dass das Slawische in den „altpolabischen“

Gebieten mit Ausnahme des „Lüneburger Wendlandes“ ausstirbt, und

vom 13. Jahrhundert an wird das relativ geschlossene slawische Siedlungsgebiet

kleiner. Das Zusammenleben von slawischer sowie deutscher Bevölkerung führt

zu gegenseitiger sprachlicher Beeinflussung, und schließlich geben die Slawen

dieser Gebiete ihre Sprache auf und sprechen fürderhin deutsch. Keines der Idiome

dieser Region lebt in der Gegenwart weiter.

Die Übernahme slawischen Sprachgutes in diesen Landschaften ins Deutsche

kann auf zweierlei Art vonstattengehen: (1) slawische Namen – ebenso Appellative

– können von Slawen beim Sprachwechsel beibehalten und als Reste ihres

früheren Idioms in ihre neue Muttersprache eingebracht werden, (2) die Namen

gelangen bereits vor dem Sprachwechsel, also noch in Siedlungsgemeinschaft,

ins Deutsche. Eine Trennung dieser beiden Typen unterdes ist nach Verklingen

des Substrats kaum noch überzeugend möglich, denn eine detaillierte wie präzise

Beschreibung der Kontakte zwischen Slawen sowie Germanen bzw. Deutschen

vor sowie während der Eroberung der slawischen Siedlungsgebiete ist auf

Grund mangelnder Kenntnisse der geschichtlichen Gegebenheiten nicht zu erreichen,

ebenso wenig die Bestimmung koarealer Integrate dieser Zeit. Bei den Familiennamen

(FaN) aus dem Altpolabischen handelt sich um „Reliktnamen“,

also um solche, die zur Sprache einer früheren im Siedlungsgebiet ansässigen

Bevölkerung gehören, die sich die Sprache der Ankömmlinge aneignet, ihre eigene

aufgibt, allerdings beim Sprachwechsel Reste ihrer alter Sprache beibehält

und sie an die Neusiedler weitergibt.2

Klaus Müller

162

2 Vgl. Müller 1972.



2 Forschungsstand

Die Zahl der aus Siedlungsnamen dieser Region erschlossenen Personennamen

ist groß und vielfältig. Es sind Vollnamen, Kurznamen daraus sowie Zunamen.

Sie gelten bis zur Zweinamigkeit ausschließlich. Hernach erscheinen sie zunächst

als Beinamen. Da in früher Zeit mit Einfluss aus anderen slawischen Sprachen

in den beschriebenen Gebieten, zumindest im Westen dieses Sprachraumes,

kaum zu rechnen ist, kann die Bezeugung eines Namens in Quellen der angesprochenen

Gegenden als Argument für seinen Ursprung aus dem Altpolabischen

gelten.

Die Bände des „Berlin-Brandenburgischen Namenbuches“, Weimar ab 19673,



erfassen fast ausnahmslos polabische ON. Die für die Namenkundlichen Informationen

77/78 bis 81/82 genannten Arbeiten berücksichtigen zugleich die Ergebnisse

der Darstellungen von A. Schmitz. Neben den aus Siedlungsnamen

rekonstruierten aplb. PN erlangen auch die in den deutschen Quellen des Mittelalters

bezeugten Anthroponymica Geltung. Hierzu ist insbesondere Schlimpert

1978 zu nennen.

Bereits vor 100 Jahren hat sich der Archivar Hans Witte dieses Themas angenommen

und aus mecklenburgischen Urkunden sowie Akten bis 1600 etwa

800 plb. FaN gesammelt. Bei einigen seiner Sammlung hegt er Bedenken, ob es

sich wirklich um solche plb. Herkunft handelt, z. B. Krull. Bei weiteren wie beispielsweise



Boye, Boie u. ä. sind starke Zweifel an plb. Provenienz angebracht.

Auf keinen Fall sind PN mit anlautendem H- plb. Herkunft, bestenfalls plb. vermittelt

wie Huiup aus Hiob.

Eine beachtenswerte Anzahl der von Witte exzerpierten FaN begegnet,

wenn auch in anderer Schreibung, heute noch. Bei einigen stellt sich die Frage,

ob es sich um FaN slawischer Herkunft handelt wie beispielsweise bei Ba(h)lke,



Basel, Bick, Loske, Muntzel, Neuper, Pommerening, Prange u. a.

Familiennamen aus dem Polabischen im Deutschen

163

3 Vgl. Namenkundliche Informationen 79/80, S. 222. – Dazu vom Verf. in Namenkundliche Informationen:



„Altpolabische Vollnamen in Ortsnamen Brandenburgs“ (77/ 78, S. 103–119),

„Altpolabische Zunamen“ (79/80, S. 195–224), „Altpolabische Kurznamen in Ortsnamen

Brandenburgs und westlich benachbarter Gebiete Holsteins sowie Niedersachsens“ (81/82,

S. 95–118) ; weiterhin: „Altpolabische Personennamen aus Ortsnamen der Altmark sowie

des Landkreises Jerichower Land“ (87/ 88, S. 159–169).

3 Sprachliche Merkmale für altpolabische Familiennamen

Die Ähnlichkeit der westslawischen Idiome untereinander lässt zumindest in

späterer Zeit Zuweisung auch zu anderen westslawischen Sprachen zu.4 Hier

kommt insbesondere das angrenzende Sorbische in Betracht. Es müssen zur

Identifizierung eines Namens5 also zusätzliche Kriterien gefunden werden, die

speziell das Polabische kennzeichnen. Und das sind im Wesentlichen zwei: (1)

der Verzicht auf die Metathese (Umstellung) der ursprünglichen (urslawischen)

tort-Gruppen wie bei *gord ‘Burg, Stadt’ (vgl. beispielsweise Naugard, eigentlich

Neustadt bzw. Neu(en)burg, bei Neubrandenburg, gegenüber russ. Nowgorod)

sowie (2) die Reflexe der ursprünglichen Nasalvokale, die im Urslawischen

entstehen und phonetisch denen im Französischen vergleichbar sind. Bei den Namen

mit Reflexen der urslawischen (urslaw.) Nasale gilt es polnische Herkunft

auszuschließen. Hier kann die Tatsache hilfreich werden, dass sich die in Betracht

kommenden Namen als Vergleichsbezug im heutigen Polnischen finden

oder ein weiteres Merkmal enthalten, das sie eindeutig dem Polnischen zuweist

(vgl. beispielsweise den FaN Bialowons ‘Weißbart’, zu poln. bialy ‘weiß’ usw.

‘Bart’)6, für das ausgestorbene Polabische entfällt diese erste Möglichkeit.

(1) Eindeutig sind Namen mit dem spezifischen Reflex der ursprünglichen

tort-Gruppe zuzuordnen, und solche mit darg- für urslaw. *dorg- ‘lieb, teuer,

wert’ sind unverkennbar polabischer Herkunft und heute noch vorzugsweise im

niederdeutschen Sprachgebiet anzutreffen:7 Darfschlag (MV, NRW) < *Dargoslaw

(Namenkundliche Informationen 77/78, 105, und 81/82, 99), Dargoslaus

(EO I, 47), Darguzlaf (EO I, 113; MH 46), Darg(h)eslaw(e) (EO I, 47), Darchslav

1270 Rostock (Bahlow, 90), Dargatz, Dargaz (MH 46, fast überall, doch

besonders stark vertreten in NI, NRW), Dargel (häufig, fast überall, doch in

NRW zu 40 %), Dargal (EO I, 136), Dargol, Dargusch (HE, MV, NI, NRW; EO

Klaus Müller

164


4 Naumann 1994 ordnet S. 38 die aus slawischen Sprachen stammenden Familiennamen bei Angabe

von prozentuellen Anteilen Einzelsprachen zu, das Polabische unterdes fehlt in dieser Aufzählung.

Auch bei Kunze 2004, S. 171 fehlen Hinwesie auf polabische Namen.

5 Die angeführten Familiennamen stammen aus Naumann 1994, Bahlow 2004, DUDEN

2000.

6 Müller 2006, S. 327.



7 Die heutige Distribution folgt der Darstellung bei GEOGEN 2007. – Berlin wird vernachlässigt,

da es keine ursprüngliche Verbreitung signalisiert.

I, 113, MH 46), Dargent (MV, NRW 65%, ST), Dargan (sehr selten, MH 45 f.)

gegenüber vorzugsweise in den Lausitzen, auch östlichem Brandenburg, bezeugtem



Drogan (< asorb. Drogan u. a.)8. Ferner Darga (HE, HH, NRW), Darges (NI,

NRW, ST/ Salzwedel), Dargies (HB, HE, HH, NI, NRW, ST), Darge (BB, NI,

NRW), Dargus (selten), Dargus (EO I,113), Dargacz/Dargatsch (sehr selten),

Dargaz (MH 46), Dargasz (sehr selten, MH 46), Darg (sehr selten), Dargula

(sehr selten), Dargwill (sehr selten); wohl auch Dargemann (sehr selten).9 Die

seltenen Namen Dargen (auch Ort auf Usedom) sowie Dargitz (auch Ort bei Pasewalk)

sind Herkunftsnamen. Weitere Namen sind: Barnick (MV, NI, NRW, ST;

in Sachsen begegnet der Name nicht) zu aplb. Barnk < Barnimer, Barnislaw (EO

I, 46, 52, 153, MH 24) u. a., zu urslaw. born- ‘Streit, Kampf ’. – Warbel (NRW;

EO II, 64, MH 159) gehört zu urslaw. vorb- ‘Sperling’; vgl. Warbelow (s. u.);

ebenso Wrobel, Robel zu osorb. wrobl, nsorb. (w)robel ‘Sperling’, vgl. poln. wróbel

‘dasselbe’. Auch Witt kennt von diesem Typ einige PN: Dargaz u. ä., Dargen,

Darges, Darghemer, Dargis, Dargus; Barnam u. a.

Aus Garz (bei Stendal) u. Gartz (Lebus) sowie Gaarz (an der Elbe) lässt sich

ebenso eine tart-Lautung ermitteln. Allerdings darf man wohl mit großer Sicherheit

davon ausgehen, dass es sich bei den FaN Garz, Gartz sowie Gaarz wie auch

bei Karwe (Ort Ruppin) sowie Warbelow (Ort sw. Greifswald) um Herkunftsnamen

handelt, die erst in deutschem Munde entstanden sind. Die Zahl dieser Namen

nach Orten polabischer Herkunft ist groß, hier seien jedoch nur die mit tart-

Lautung erwähnt.

(2) Nasale Reflexe der ursprünglichen Nasalvokale sind ebenfalls ein sicheres

Merkmal für Herkunft aus dem Polabischen. Der sehr häufige Name Bandemer

(BB, HH, NI, NRW; EO I, 55, 59, MH 11) mit den sehr viel weniger gebräuchlichen

Nebenformen Bandemehr, Bandemir, Bandomer, Bandomir (allesamt stark

im niederdeutschen Sprachgebiet verbreitet) stellt sich zu aplb. BÀdemer, zu

bÀd(i)-, Präsens zu byti ‘sein, werden’ u. -mer ‘ruhmreich, berühmt’ (Namenkundliche

Informationen 77/78, 104). Bandusch, dem die Kurzform zu Grunde

liegt (Namenkundliche Informationen 81/82, 96, und 87/88, 161) begegnet selten.

Der bei Bahlow für Breslau genannte FaN Bandemer kann auf sehr alter

mündlicher Übernahme aus dem Polnischen beruhen. – Wentzlaff (MV, NRW,

NI, SH), auch Venzlaff und Fenzlaff (beide recht selten; EO I, 48, 56, 71, MH

Familiennamen aus dem Polabischen im Deutschen

165


8 Vgl. Wenzel 1990, S. 97.

9 Vgl. Namenkundliche Informationen 81/82, 99 f.

162), mit den Nebenformen Wenzke (BB, HE, NI, NRW, SH), Venzke (BB, HH,

MV, NI, NRW, SH) und Fenzke (BB, HE, MV, NI, NRW, SH) entstehen aus aplb.



WÍc(e)slaw (Namenkundliche Informationen 87/88, 160); bei Witt finden sich

u. a. Ventzan, Ventzke. – Prenzlaff (sehr selten), dazu Prenzel (BB, HE, NI, NRW,

SH, ST), geht zurück auf aplb. PrejÍ-s³aw (Í entspricht als Nasalvokal etwa der

Aussprache von frz. -in; Namenkundliche Informationen 77/78, 108).10 – Dörband

(HE, HH, MV, NI, NRW, SH, ST) lässt sich sicherlich auf aplb. DargobÀd

(EO I, 44, MH 46) zurückführen.

(3) Wo die genannten phonologischen Charakteristica keine Geltung erlangen,

muss die für die Landschaft „Polabica“ ermittelte frühe Bezeugung als ausreichendes

Argument für Zuweisung zum Polabischen erlaubt sein, falls nicht andere

Landschaften heute unverkennbar starke Präsens des Namens zeigen. Die

gegenwärtige Distribution, wie sie GEOGEN angibt, muss diese ursprüngliche

Verteilung nicht bestätigen, insbesondere scheidet eine besondere Beleglage für

Berlin sowie andere Großstädte aus, da sie keine genuine Distribution bietet, sondern

im Wesentlichen eine durch Zuwanderungen. Gewisse deutliche Konzentrationen

auf heutige Gebiete empfehlen allerdings bei gegebener sprachlicher Anbindung

eine Entscheidung für Zuordnung zum Polabischen, ebenso wie äußerst

schwache Belegung das Ausscheiden des Namens angeraten erscheinen lässt.

Falls ein Name heutzutage in Sachsen nicht begegnet, darf man wohl sorbische

Herkunft ausschließen, und – falls nicht polnische oder tschechische in Betracht

kommt – für polabische plädieren, wie beispielsweise: Bockslaff (< Bogos³aw/



Bogus³aw; NRW; EO I, 95), Borsch (< Borš, Boriš; MV, NI, NRW; vgl. MH

30), Butzlaff (< Bogos³aw/Bogus³aw; MV, NI, NRW, SH; EO I, 95), Dierschke,



Dirschka (< Deržk; NI, NRW), Dobrosch (< Dobrš[a]; NI, NRW; in Sachsen begegnet

der Name nicht; vgl. MH 49), Domrath (< Domarad; NI, NRW; EO I,

43), Dumrath (< Domarad; MV, NI, NRW, SH), Gotzmer (< Godimer ?), Kasemir

(MV, NI, NRW; in Sachsen begegnet der Name nicht), Kasimir (MV, NI,

NRW, ST; gegenüber Kazimirek, 20. Jh. aus dem Polnischen), Milbradt (<

Mi³obratr; MV, NI, NRW, SH), Milosch (< Milš; NI, NRW), Mierke (< Mirk;

MV, NI, NRW; EO I, 63, MH 14), Mühlbradt (< Mi³obratr; NI, NRW, SH), Prieb

(NI, NRW), Priewe (MV, NI, NRW; beide < Priba; vgl. EO I, 165), Prinzler

(< PrejÍs³aw; NI, NRW), Radmer (< Radomer; MV, NI, NRW, SH; EO I 55),

Klaus Müller

166


10 Vgl. DUDEN 2000, S. 513. – Der ON Prenzlau wird auch auf plb. Premislaw zurückgeführt.

Ratzlaff (< Rados³aw; BB, MV, NI, NRW, SH; EO I, 56), Tetzlaff (< TÏš(i)s³aw;

NI, NRW, MV). – Die Belege Witts, soweit als FaN plb. Herkunft gesichert,

liefern zu dieser Gruppe eine Reihe von Zeugnissen.

(4) Unsicherheiten: Altsorbische Herkunft ist bei manchen Namen natürlich

nicht auszuschließen, insbesondere in den Grenzbereichen zwischen dem Altpolabischen

und dem Altsorbischen, z. B. Dobr (< asorb., aplb. Dobr; EO I, 75;

auch bei Witte Dober), sowie auch bei Doppelentlehnung, z.B. bei Mierke (< asorb.

Mirik und aplb. Mirk; EO I, 63; MH 14), Palisch (< PaliÉ ‘Anzünder [beim

Brandroden]’; heute mit über 50 % in Sachsen bezeugt, deshalb wohl auch eher

sorbischer Herkunft), Radisch (< Radiš; vgl. EO I, 118; heute vor allem im Niederschlesischen

Oberlausitzkreis [NOL] bezeugt, deshalb wohl auch oder ausschließlich

sorbischer Herkunft), Resag (< sorb., aplb. RÏzak ‘Schneider,

Schlächter’, heute stark im Landkreis Spree-Neiße [SPN] bezeugt, deshalb wohl

auch sorbischer Herkunft), Sobe (< Soba, < SobÏslaw; NRW, NI, MV, doch zu

50 % in Sachsen bezeugt, was auch sorbische Herkunft nahelegt; EO I, 64, MH

41), Wen(t)zlaff (< WÍc(e)slaw; NI, NRW, MV, doch in Sachsen ist der Namen zu

20 % bezeugt; EO I, 48).

(5) Ein weiteres Argument für Erklärung eines FaN als polabisch kann seine

heutige dominante Bezeugung im Drawän (Drawehn) sein. Unterdes gelten in

dieser ehemals polabischen Gegend im Wesentlichen keine anderen Namen als

anderswo. Auffällig sind folgende FaN: Schoreitz (9-mal: HE, NI; 3-mal im

Landkreis Lüchow-Dannenberg) kann auf Tschorei(t)za < TaîrÏce < *kuricÏ

‘Vorstadt’11 wohl eher Wohnstättenname, zurückgehen, Redwanz (89-mal: MV,

NI, NRW, SH; vor allem Lüchow-Dannenberg), -wanz gehört sicherlich zu plb.

wÀs ‘Bart’ (s. u. Balfanz), Greibke (23-mal: NI zu 60 %, vor allem im Landkreis

Lüchow-Dannenberg) zu aplb. *greib ‘Pilz’, Balfanz (264-mal: HH, MV, NI,

NRW, ST, vor allem im Landkreis Stendal), wohl als aplb. *bol(Ï)wÀs (vgl. poln.

bia³owÀs, s. o.) ‘Weißbart’ aus plb. bolÏ ‘weiß’ und wÀs „Bart“ zu deuten.

Familiennamen aus dem Polabischen im Deutschen

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11 Olesch Bd. 3, 1987, 1166.



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