Familiennamen aus dem Lettischen
und Litauischen in Deutschland1
Der Zirkusdirektor und Raubtierdompteur Gerd Siemoneit und Berlins Regierender
Bürgermeister Klaus Wowereit haben zumindest eines gemeinsam: Sie
tragen beide Familiennamen (FamN) baltischer Herkunft.
Dieser Beitrag gilt FamN wie ihren, die aus den lebenden2 baltischen Sprachen
Lettisch und Litauisch stammen und nach Deutschland gelangt sind. Baltisch
wird hier im Sinne der Sprachfamilie und nicht der geographischen Lage
gebraucht, weshalb das zur ostseefinnischen Sprachfamilie gehörige Estnische
ausgeschlossen bleibt.
1 Balten in Deutschland – Gegenwart und Geschichte
Zunächst zur gegenwärtigen Situation: Das Statistische Bundesamt (Stand
5 / 2004) verzeichnet 9 775 Personen lettischer und 19 030 Personen litauischer
Staatsangehörigkeit in Deutschland, die sich besonders in Nordrhein-Westfalen
konzentrieren (s. Abb. 1). Da der absolute Bezug wenig über besondere Verdichtungen
verrät, bezieht Abb. 2 die Bevölkerungsstärke der Bundesländer mit ein.
Hierbei zeigt sich, dass überdurchschnittlich viele Litauer in Bremen, Hessen
und Hamburg leben. Bei den Letten führen ebenfalls die Stadtstaaten Bremen,
Hamburg und Berlin, gefolgt von Schleswig-Holstein.
Die Gruppe lettischer und litauischer Staatsbürger in Deutschland ist mit rund
29 000 Personen relativ klein (rund 0,4 % aller Ausländer). Das liegt zum einen
1 Für die gründliche Lektüre des Manuskripts, Hilfe bei den Etymologien und wertvolle Anmerkungen,
besonders zum herausragenden Status der preußisch-litauischen FamN in Deutschland,
danke ich Dr. Christiane SCHILLER (Erlangen) ganz herzlich. Verbleibende Fehler und Ungenauigkeiten
verantworte ich allein.
2 Zur baltischen Sprachfamilie gehört auch das Prussische (Altpreußische), das auf ostpreußischem
Gebiet gesprochen wurde und spätestens zu Beginn des 18. Jh. ausgestorben ist. (Zu prussischen
FamN in Deutschland s. BLAŽIENE in diesem Band.)
Antje Dammel
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Baden-Württemb.
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Meckl.-Vorp.
Niedersachsen
Nordrh.-Westf.
Rheinl.-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anh.
Schleswig-Holst.
Thüringen
Anteil (%) aller Letten in Dtld. Anteil (%) aller Litauer in Dtld.
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Baden-Württemb.
Bayern
Berlin
Brandenburg
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Hamburg
Hessen
Meckl.-Vorp.
Niedersachsen
Nordrh.-Westf.
Rheinl.-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anh.
Schleswig-Holst.
Thüringen
Letten/Gesamtbevölkerung Litauer/Gesamtbevölkerung
Abb. 1: Verteilung der in Deutschland lebenden Letten und Litauer auf die Bundesländer (absolut)
Abb. 2: Verteilung der in Deutschland lebenden Letten und Litauer auf die Bundesländer
relativ zur Stärke von deren Gesamtbevölkerung
133
Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland
daran, dass es sich um Länder mit vergleichsweise geringer Bevölkerungsstärke
handelt (Lettland: ca. 2,3 Mio., Litauen: ca. 3,4 Mio. Einwohner). Zum anderen
konnte eine Einwanderung in größerem Umfang erst mit der Öffnung des Eisernen
Vorhanges und der Unabhängigkeit der baltischen Staaten (1991) stattfinden
und durch den EU-Beitritt (1. Mai 2004) weiter erleichtert werden. Die Namen
der neu Eingewanderten behalten entsprechend dem geltenden Namenrecht
auch bei Einbürgerung weitgehend ihre baltische Form (s. u., 2.3.1). Doch diese
junge Einwanderungswelle stellt weder die einzige Schicht baltischer FamN in
Deutschland, noch hat sie die tiefsten Spuren hinterlassen: Intensive Kontakte
zwischen Deutschen und Balten bestanden seit dem Mittelalter (2. Hälfte 12. Jh.)
und fanden auf dem Terrain der genuin baltischen Bevölkerung statt (s. K. 3).
Sie gehen zurück auf die Expansion des deutschen Ordens (v. a. in Ostpreußen,
Kur- und Livland) und die wirtschaftlichen Interessen der Hanse. Diese Kontakte
bestanden über Jahrhunderte und reichten bis zum Ende der Deutschen im Baltikum
mit dem Zweiten Weltkrieg.
Es lassen sich grob drei Räume unterscheiden, die durch unterschiedliche
Kontaktsituationen geprägt sind: das heutige Lettland, das heutige Litauen und
das nördliche frühere Ostpreußen (Preußisch-Litauen) inklusive des heute litau-
Abb. 3: Deutsche Siedlungsgebiete im Baltikum (Grenzen von 1937); graue
Schattierung: deutschsprachige Bevölkerung außerhalb des Reichsgebiets
(nach ZIEGLER 1999, Bd. 1, S. 6)
Antje Dammel
134
ischen Memelgebietes. In Kurland und Livland, die heute zu Lettland gehören,
dominierte eine deutsche adelige Oberschicht, welche fast den gesamten Grundbesitz
innehatte und die durchgehend lettische Schicht leibeigener Bauern überlagerte.
Auch in den Städten stellten die deutschen Bürger und Handwerker die
Ober- und Mittelschicht (82 % der Deutschen wohnten v. a. in den kurischen
Städten). Deutsch war Verwaltungs-, Gerichts- und Schulsprache. Die asymmetrische
Kontaktsituation in Lettland spricht für eine geringere Integration und
lässt den Übergang lettischer Namen auf deutsche Sprecher (etwa durch Mischehen)
als seltener erscheinen. Die Gegenrichtung, deutsche Lexik im lettischen
FamN-Sys-tem, findet sich dagegen häufig. Dennoch muss hier relativiert werden:
in Städten wie Riga waren deutsch-lettische Mischehen für die freien Letten
durchaus normal (vgl. POLANSKA 2002, S. 24). Die privilegierte Stellung der
Deutschen wurde durch den Machtverlust des Deutschen Ordens (mit der Reformation,
dann der schwedischen und polnischen Herrschaft und der Eingliederung
ins Zarenreich) zunächst nicht wesentlich geschwächt. Erst in der zweiten Hälfte
des 19. Jh. wurde diese Vormachtstellung durch das erstarkende Nationalbewusstsein
der Letten und die zunehmende Russifizierung eingedämmt. Von da
an setzte allmählich die Abwanderung von Deutschbalten aus Lettland ein (vgl.
DEUTINGER 1999, S. 950).
Ganz anders stellt sich die Kontaktsituation in den Gebieten des heutigen Litauens
dar (vgl. DEUTINGER 1999, S. 945 f.; HINDERLING/HASSELBLATT 2004,
S. 3272; GARLEFF 2001, S. 27 f.): Hier konnte sich der Deutsche Orden nie durchsetzen.
Die Rolle einer Prestigesprache nahm das Polnische ein (Polen und Litauen
wurden ab 1386 für lange Zeit in Personalunion regiert), als Kanzleisprache
nutzte das Großfürstentum Litauen bis Mitte des 17. Jh. das Altweißrussische.
Der Kontakt mit diesen slav. Sprachen spiegelt sich in der starken Slavisierung
der litauischen FamN (s. u., 2.1). Die Deutschen in Litauen waren im Vergleich
zu den lettischen Gebieten weniger an der Zahl, stärker an die einheimische Bevölkerung
assimiliert und hatten nur geringen kulturellen oder politischen Einfluss.
Sie konzentrierten sich nicht so sehr in Städten, sondern siedelten verstreut
(v. a. in den ans Deutsche Reich angrenzenden Gebieten). Außerdem waren sie
unterschiedlicher regionaler (Ostpreußen, Hessen, Württemberg, Salzburg etc.)
und ständischer Herkunft. In dieser Situation sind Mischehen und Transferenzen
litauischer Elemente in die FamN der Deutschen eher zu erwarten.
Die bei weitem meisten baltischen FamN in Deutschland stammen jedoch
aus dem früheren nördlichen Ostpreußen (auch Preußisch- oder Klein-Litauen
135
Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland
in Abgrenzung zu Polnisch- oder Groß-Litauen). Hier lebten über Jahrhunderte
Deutsch- und Litauischsprachige in engstem Kontakt (vgl. HINDERLING/HASSELBLATT
2004, S. 3272). Die Sprecher des Litauischen wurden stark assimiliert
u. a. durch Mischehen und Deutsch als Schulsprache (SCHILLER 2008). Nur das
Memelgebiet (141 546 Bewohner im Jahr 1925) blieb bis ins 20. Jh. litauischsprachig
und wurde 1923 an Groß-Litauen angegliedert. Hier lebten fast gleich starke
Anteile Deutscher und Litauer in besonders starker Integration bei öffentlicher
Zweisprachigkeit. DEUTINGER (1999, S. 946 f.) charakterisiert die Situation als
„friedliche Symbiose“ und „kulturelle Verschmelzung“. Bei einer Volkszählung
1925 wurde eigens die Nationalität des „Memelländers“ für Personen geschaffen,
„bei denen aufgrund der nationalen Durchmischung eine Unterscheidung zwischen
deutsch und litauisch nicht mehr zu treffen“ war. Diese Gruppe stellte 25 %
der memelländischen Bevölkerung (ebd., S. 952). WENSKUS (1990) beschreibt
die Auswirkungen des Kontakts in Preußisch-Litauen auf die FamN beider Ethnien
(Hybridisierungen etc.). Preußisch-litauische FamN gelangten in die heutige
Bundesrepublik in mehreren Schüben: Seit Mitte des 19. Jh. wanderten viele Träger
dieser FamN in andere Reichsteile ab, besonders das Ruhrgebiet und Berlin
(SCHILLER 2008). Ende des Zweiten Weltkriegs flohen die meisten Preußisch-
Litauer bzw. Memelländer genau wie die Deutschen Ostpreußens in die spätere
BRD und DDR.
Ostpreußen war auch der Schauplatz des Kontakts zwischen Deutschen und
Prussen. Die hier schon vor der deutschen Besiedlung ansässigen Prussen assimilierten
sich bis in die letzte Konsequenz an die deutsche Bevölkerung: Die letzten
von ihnen vollzogen zu Anfang des 18. Jh. den Sprachwechsel zum Deutschen.
Als Substrat überleben auch prussische Elemente in deutsch-baltischen FamN
(vgl. TRAUTMANN 1974; BLAŽIENE in diesem Band).
Die deutsch-litauische Integration im nördlichen Ostpreußen spiegelt sich in einer
Schicht baltischer FamN in Deutschland, die – im Gegensatz zu den unassimilierten
FamN der seit 1990 Eingewanderten – partiell ins deutsche System integriert sind
(graphisch, phonologisch, morphologisch, s. 2.3.2) und oft Hybridcharakter haben
(Schneidereit, Balzereit). Während diese litauischen FamN ostpreußischer Herkunft
sehr deutliche Spuren in Deutschland hinterlassen haben (SCHILLER 2008 setzt sie
nach slavischen FamN an zweite Stelle) sind lettische und groß-litauische FamN
weitaus seltener, was in der abweichenden Kontaktsituation begründet liegt.
Die Deutschen in Lettland und Groß-Litauen bildeten von jeher eine relativ
kleine Minderheit (vgl. DEUTINGER 1999, S. 950–952). Seit der zweiten Hälf-
Antje Dammel
136
te des 19. Jh. nahm ihre Zahl kontinuierlich ab, was auf Assimilation, auf die
einsetzende Russifizierungspolitik und die Russischen Revolutionen von 1905
und 1917 zurückgeführt werden kann. Den tiefsten Einschnitt erzeugten aber
von 1939–1941 die Umsiedlungen der Deutschbalten3 und am Ende des Zweiten
Weltkriegs die Flucht vor der Sowjetarmee (vgl. DEUTINGER 1999, S. 993–997):
Ein Großteil der Umsiedler wurde zunächst nach Ostpreußen und in die neu eroberten
Ostgebiete der Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland gebracht,
nur Nachzügler kamen schon jetzt ins „Altreich“.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges flohen die umgesiedelten Deutschbalten
genau wie die in Ost- und Westpreußen ansässigen Deutschen vor der Roten
Armee meist über den Seeweg in die westlichen Gebiete des zerfallenden Reichs.
Zusammen mit den Deutschen flohen 1944 / 45 auch Letten (ca. 120 000) und
(Groß-)Litauer (ca. 66 000), oft Intellektuelle, vor dem kommunistischen Regime
(GARLEFF 2001, S. 177). Für viele war Deutschland aber nur Zwischenstation auf
dem Weg nach Nordamerika.
Leider fehlen genaue Angaben über die spätere Ansiedlung der Flüchtlinge
aus dem Baltikum und Ostpreußen in DDR und BRD. Im Jahr 1964 lebten in der
DDR wohl ca. 8 000 Lettlanddeutsche, 5 000 Deutschlitauer und 10 000 Memeldeutsche;
in der BRD lebten 30 000 Lettland-, 20 000 Litauen- und 60–70 000
Memeldeutsche; knapp 10 % davon waren schon vor 1939 im Reich ansässig. In
der BRD nahmen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen langfristig etwa die
Hälfte aller aus dem Baltikum Stammenden auf (DEUTINGER 1999, S. 996 f.).
Es sind also grob zwei Schichten baltischer FamN in Deutschland zu unterscheiden:
eine junge schmale Schicht, die auf die seit 1990 eingewanderten Letten
und Litauer zurückgeht und die kaum ins deutsche System integriert ist und
eine ältere breite Schicht, die auf den deutsch-baltischen Kontakt, v. a. im nördlichen
Ostpreußen, seit dem Mittelalter zurückgeht und für die Adaptionen und
hybride Bildungen charakteristisch sind (für eine Feindifferenzierung s. SCHILLER
2008).
3 Im geheimen Zusatzprotokoll zum „Hitler-Stalin-Pakt“ (23. 08. 1939) steckten die beiden Diktatoren
auch ihre Interessensphären im Baltikum ab. Die baltischen Länder sollten an Russland
fallen und die dort lebenden Deutschen wurden umgesiedelt.
137
Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland
2 Baltische Familiennamen in Deutschland
2.1 Prototypisch baltische Familiennamen
Lettische und litauische Personennamen sind i. d. R. zweigliedrig (auch wenn
mehrere Vornamen vorkommen können und es unter russischem Einfluss Tendenzen
zu patronymischen MittelN gab). Ein typisches Kennzeichen der FamN
beider Sprachen ist die Nutzung onymischer Morphologie, v. a. von Diminutiv-
bzw. patronymischen Suffixen.
Die Frage, was man als prototypisch verstehen sollte, ist nicht so eindeutig zu
beantworten, wie es zunächst scheint: Ist der Prototyp das Muster, nach dem die
meisten FamN gebildet sind (Typenfrequenz) oder bilden ihn die Namen, die die
meisten Namenträger vorweisen können (Tokenfrequenz)? Ersteres ist für beide
Sprachen leider nicht übergreifend untersucht; deshalb werden hier die tokenfrequentesten
FamN als Prototypen vorgestellt (s. Tab. 1). Es finden sich für beide
Sprachen keine Häufigkeitslisten über die 15 frequentesten FamN hinaus, so dass
sich ein nur rudimentäres Bild ergibt. Beide Listen enthalten nicht nur genuin
baltische FamN, sondern in unterschiedlichem Umfang auch Fremdnamen: Während
in Lettland die genuin lettischen Namen auch die häufigsten sind, nehmen in
Litauen FamN slavischer Herkunft die meisten der ersten zehn Plätze ein.
Der prototypisch lettische FamN speist sich aus der Appellativik, und zwar
dem Bereich Natur (Flora, Fauna, aber auch unbelebte Natur). Dies zeigt sich
sehr schön an den häufigsten FamN (13 von 15), bei denen klar die Baumbezeichnungen
dominieren. LINI NA-MOURA (2005, S. 50) hat für den von ihr untersuchten
Distrikt Talsi (Nordwesten) festgestellt, dass Naturnamen nahezu die
Hälfte aller genuin lettischen Tokens ausmachen und – wenn auch nicht so deutlich
– auch typenfrequentiell das häufigste Motiv bilden.
Sehr häufig wird die naturmotivische Basis mit den Diminutivsuffixen -in-
(meist) oder -it- (seltener) erweitert, vgl. in Tab. 1 Ozolinš ‘Eiche-Dim.’ mit
Ozols ‘Eiche’ (Ränge 3 und 5) und Eglitis ‘Tanne-Dim.’ (Rang 9) mit dem FamN
Egle (mehr dazu in Abschnitt 3.1). Diesem Muster: ‚Naturmotivik + Diminutiv‘,
entsprechen der häufigste lett. FamN Berzinš und acht weitere der 15 häufigsten
FamN voll. Jansons und Petersons, die einzigen Fremdnamen auf der Liste, sind
niederdeutschen (oder schwedischen) Ursprungs (vgl. LINI NA-MOURA 2005,
S. 56 f. und NÜBLING in diesem Bd., K. 3–4 zu dt. -son). Deutsche FamN sind
insgesamt recht tokenfrequent und gut integriert. Die slavischen Namen der ein-
Antje Dammel
138
gewanderten Russen stellen zwar sehr viele Typen, fallen tokenfrequenziell aber
kaum ins Gewicht (vgl. LINI NA-MOURA 2005, S. 55 f.).
Der prototypisch litauische FamN ist dagegen ein fixiertes Patronym und hat
meist einen christlichen, seltener einen genuin baltischen RufN als Basis (Verhältnis
2 : 1). Wie im Lettischen wird auch hier die Basis oft erweitert durch onymische
Morphologie: patronymische bzw. diminuierende Suffixe, wobei hier der
Übergang fließend ist. Durch den intensiven Kontakt mit den slavischen Nachbarsprachen
sind FamN slavischer Herkunft sehr häufig (z. B. Stankevièius, Rang
2). Auch bei genuin litauischen Basen und den litauischen Formen christlicher
RufN sind Slavisierungen mit entlehnten Suffixen an der Tagesordnung, z. B. lit.
Šimkunas (heimisches Suffix) vs. Šimkevièius (Lehnsuffix). Teils wurde auch
voll übersetzt, z. B. Vabalas ‘Käfer’ in Žukauskas. Das Lehnsuffix -eviè(-ius) entspricht
dem slav. patronymischen Suffix (z. B. poln. -iewicz ‘-sohn’), Lehnsuffixe
wie -ausk(-as), -insk(-as), -sk(-is) entsprechen slav. -sk-Suffixen (vgl. poln. -owski
/ -ewski; vgl. BLAŽIENE/BILKIS 2001, S. 246; MACIEJAUSKIENE 2007, S. 480).
Sieben der zehn häufigsten lit. FamN enden in -auskas und einer in -vièius. Nur
ein FamN, Butkus, ist genuin baltisch.
Die hier beschriebene Prototypik spiegelt sich jedoch kaum in den litauischen
FamN in Deutschland (s. die Tokenangaben für Dtld. in Klammern in Tab. 1),
denn letztere sind v. a. preußisch-litauischer Provenienz (SCHILLER 2008). Hier
fand keinerlei Slavisierung statt; es gelten Entsprechungen genuin litauischer patronymischer
Suffixe wie -eit zu lit. -ait-is (s. u., 2.2).
Die häufigsten FamN beider Länder sind in Deutschland nur schwach belegt,
so dass sich Karten dazu kaum lohnen (s. die Tokenangaben für Dtld. in Tab. 1).
In ihren unangepassten Varianten repräsentieren sie die rezente – und schmälere
– Schicht baltischer FamN in Deutschland (s. o., 1).
Nr. Lettland (2005) Litauen (2005, 2007)
1 Berzinš ‘Birke-Dim.’
(D: Berzin(s) 3 + 43,
Bersin(sch) 36 / 7)
Kazlauskas < poln. Koz³owski
(D: 6)
2 Kalninš ‘Berg-Dim.’
(D: Kalnin(s) 17 + 58,
-insch 3)
Stankevièius < poln. Stankiewicz
< slav. Stanislaw
(D: 2)
3 Ozolinš ‘Eiche-Dim.’
(D: Ozolin(s) 4 + 25,
Osolin(sch) 6 + 2)
Jankauskas < Jankowski < Jan
< christl. Johannes
(D: 8)
139
Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland
Nr. Lettland (2005) Litauen (2005, 2007)
4 Jansons < dt. o. schwed. ‘Jan-Sohn’ Petrauskas < christl. ‘Peter’; viell.
< poln. Piotrowski (D: 12)
5 Ozols ‘Eiche’
(D: Ozols 20, Osol(s) 13 + 1,
Ozoll 1)
Vasiliauskas < poln. Wasi³owski
(D: 1)
6 Liepinš ‘Linde-Dim.’
(D: Liepin(s) 3 + 29, -insch 1)
Žukauskas < poln. ¯ukowski
(D: 2)
7 Kruminš ‘Busch-Dim.’
(D: Krumin(s) 1 + 17,
-insch 1)
Paulauskas < poln. Pawlowski
< christl. Paulus
(D: 5)
8 Balodis ‘Taube’
(D: 11)
Urbonas < christl. RufN Urban
(D: 2, Urbanas 3)
9 Eglitis ‘Tanne-Dim.’
(D: Eglitis 17,
Eglit(e) 10 + 15)
Butkus < balt. RufN mit -but-,
z. B. Narbutas
(D: But(t)kus 60 + 204)
10 Zarinš ‘Zweig-Dim.’
(D: Zarin(s) 5 + 9)
Kavaliauskas
< poln. Kowalewski
(D: 4) ‘Schmied’
11 Petersons
< dt. o. schwed. ‘Peter-Sohn’
12 Vitols ‘Weidenbaum’
(D: V-/Witols 6 + 1)
13 Klavinš ‘Ahorn-Dim.’
(D: Klawin 45, -vins 12,
-wien 2, Kluwin 4)
14 Karklinš ‘Weidenbaum-Dim.’
(D: Karklin(s) 5 + 17,
-insch 1)
15 Vanags ‘Habicht’
(D: Vanags 5 + Wanag 3)
Tabelle 1: Die häufigsten FamN in Lettland und Litauen4
4 (Nur männl. Form; Quellen: Latvian Institute, STALI; D: Tokens in Deutschland.) Die Zahlen
für Deutschland basieren auf den Telefon-Festnetzanschlüssen der Deutschen Telekom
(Stand 2005), die die Datenbasis des Projekts „Deutscher Familiennamenatlas (DFA)“ (Freiburg
/ Mainz) bilden. Auf sie wird im Folgenden mit „DFA-Datenbasis“ referiert. Mit „Tokens“
wird hier die Anzahl der auf einen FamN angemeldeten Telefonanschlüsse bezeichnet. Die ungefähre
Anzahl der Namenträger erhält man, wenn man die Anschlusszahl mit 2,8 multipliziert.
Antje Dammel
140
2.2 Typen und Erkennungszeichen baltischer Familiennamen
Neben den oben beschriebenen Prototypen kommen in beiden Sprachen alle
aus dem Deutschen bekannten Motivbereiche vor (vgl. BALODE/BUŠS 2007, S.
263 f.; MACIEJAUSKIENE 2007, S. 480 f.). Einige Beispiele aus dem Lettischen:
ÜberN Sproðis ‘Krauskopf’, Patronyme Reinis, direkte und indirekte BerufsN
Podnieks ‘Töpfer’, Ratinš ‘Spinnrad’ sowie StandesN Kalpinš < kalps ‘Knecht’,
HerkunftsN, z. B. Vacietis ‘Deutscher’ und WohnstättenN Strauts/Strautinš
‘Bach’, letztere mit unscharfer Grenze zu den Naturnamen. Einige litauische
Beispiele: ÜberN Kairys ‘der Linkshänder, der Linkische’, BerufsN Kalv(ait)
is ‘Schmied’, Plaktùkas ‘Hammer’, HerkunftsN Žemait(ait)is ‘Niederlitauer
(+ Patr.)’, WohnstättenN Aukštakalnis ‘hoher Berg’ und NaturN Vanagas ‘Habicht’.
Leider waren zur Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Benennungsmotive
keine umfassenden (Lettland) bzw. eindeutigen (Litauen) Angaben zu
finden. Bei MACIEJAUSKIENES Angabe (2007, S. 480), dass christl. Patronyme
60 % und baltische Patronyme 30 % ausmachen, wird die genaue Bezugsgröße
(alle Patronyme / alle genuin lit. Namen / alle FamN?) leider nicht ganz klar.
Sowohl im Lettischen als auch im Litauischen zeigen Suffixe am FamN ‘Sexus’
an, z. B. lett. Ozolin-š (männl.) – Ozolin-a (weibl.). Das Litauische geht hier
noch weiter (und steht damit weltweit allein): Am FamN weiblicher Personen
wird zusätzlich der Familienstand (verheiratet oder ledig) markiert. Männliche
Suffixe sind -as, -is, -ys, -us u. a., das Suffix für verheiratete Frauen ist -iene, und
ledige Frauen sind durch Suffixe gekennzeichnet, die auf -te enden (-aite, -ute,
-ute und -yte). Am Beispiel von lit. Petrausk-as (männl.) hieße die Ehefrau nach
diesem Modell Petrausk-iene (weibl. + verheiratet) und die Tochter Petrauskaite
(weibl. + ledig).5 Weibliche Varianten sind in Deutschland so selten belegt,
dass sich auch hier Karten nicht lohnen (z. B. keine FamN auf -iene / -iene über
drei Tokens).
Von den aus dem Baltischen stammenden FamN sind zumindest die komplexen
Bildungen gut anhand ihrer charakteristischen Suffixe aufzuspüren. Einige
5 Diese auf Frauen beschränkte und damit asymmetrische Distinktion nach Familienstand ist in Litauen
umstritten. Dabei kollidieren emanzipatorische mit sprachpflegerischen Interessen, vgl. die
Artikel NZZ (2000) und Baltic Times. Seit 2003 besteht die (kaum genutzte) Möglichkeit, eine
familienstandsneutrale Version auf -e zu wählen, vgl. MACIEJAUSKIENE 2007, S. 475. Am Bsp.
der weibl. Ableitung zu Urbonas (männl.) wäre das Urbone (weibl. neutral) anstatt Urboniene
(verh.) bzw. Urbonaite (ledig).
141
Familiennamen aus dem Lettischen und Litauischen in Deutschland
dieser Endungen sind spezifisch für bestimmte Sprachen, andere gesamtbaltisch.
Das Litauische erscheint dabei weitaus besser profiliert als das Lettische (zu dessen
Suffixen s. STALTMANE 1981, S. 40, Tab. 5). Letzteres liegt nicht nur an
der Verwechselbarkeit der lettischen Suffixe z. B. mit deutschen s-Genitiven, die
durch die Basis disambiguiert werden kann, sondern auch an der grundsätzlich
verschiedenen Kontaktsituation im Vergleich zu Preußisch-Litauen (s. o., 1).
Frequente Flexionsendungen sind im Litauischen (Mask., Nom.): -is, -as, -us
und -ys [i:s]. Beim lettischen Pendant ist der Vokal geschwunden und kontextabhängig
tritt eine palatalisierte Variante auf, also lett. -s bzw. -š. Auch -is, -as und
-us können vorkommen, doch weitaus seltener als im Litauischen.
An Derivation nutzt das Lettische wie beschrieben v. a. Diminutive. Dem lettischen
-in- und -it- entsprechen in der deutschen Datenbasis -in- und (selten)
-it-. Als Erkennungszeichen wird das Suffix -in- aber erst bei baltischer Lexik der
Basis verlässlich, denn viele slav. Namen enden ebenfalls auf -in(-a).
Das Litauische nutzt neben den schon vorgestellten Lehnsuffixen aus dem
Slavischen weitere genuin litauische Suffixe, die i. d. R. patronymische Semantik
hatten (mit fließender Grenze zur Diminution): -ait(-is), -on(-is), -un(-as) und
-en(-as). Weitere Suffixe, die verschiedenen baltischen Sprachen entstammen
können und u. a. diminutive Semantik haben, sind z. B. -at-, -ul-, -ut- und -el-.
Einen Einblick in die Variationsbreite der Suffixe, ihre Kombinatorik und ihre
Adaptionen im Deutschen geben die Ableitungen zum balt. RufN Jurgis (< Georg)
in der DFA-Datenbasis:
lit. -ait- Jurgeleit 160, Jurgeit 78, Jurgait 24, Jurgeneit 20, Jurgaitis 10,
Jurgelaitis 5, Jurgelait 2, Jurgoleit 2
lit. -at- Jurgutat 5, Jurgat 2, Jurgelat 2
balt. -el- Jurgeleit 160, Jurgel 7, Jurgelaitis 5, Jurgelait 2, Jurgoleit 2,
Jurgelionis 1, Jurgilas 1
lit. / lett. -on- Jurgelionis 1
lit. / pruss. -ut- Jurgutat 5, Jurguttis 1
lit. / pruss. -ys, -is Jurgies 6, Jurgsties 3, Jurgis 1
hochlett. (Selen) -an- Jurgahn 10
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