Menno Simons, der bedeutendste Vertreter
des Täufertums (1496-1561)
sich auf diese Weise das Seelenheil sichern. Das gilt aber auch für den Griff nach dem Schwert (Kreuzzüge, Bauernkrieg), der nur zu Mord und Gewalttat führt. Luthers Auffassung vom landesherrlichen Kirchenregiment, das auch die äußere Ordnung der geistlichen Verrichtungen einbegreift und nur die »Sache« des geistlichen Amtes, die Predigt des Evangeliums und das Sakrament, nicht antasten darf, erinnert an die Kirchenhoheit des Königs im Karolingerreich. Es ist interessant, daß sich die Reformation in jenen Gebieten ausbreitete, die einst karolingisches Missionsgebiet gewesen sind. Auch Luthers heimliches Mißtrauen gegen Zwingli hing damit zusammen, daß dieser Politik machte; für ihn war Obrigkeit, wie es für Sachsen auch zutraf, der Landesherr. Die Möglichkeit, daß der Christ als Bürger eines republikanischen Gemeinwesens selber politische Verantwortung übernimmt, lag ihm fern, wobei die Katastrophe des Bauernkrieges und das irre Täuferregiment in Münster (1534/35) abschreckend wirkten.
Dabei hat das Täufertum, das sich von 1524 an von Zürich aus über ganz Deutschland verbreitete, ein reformatorisches Anliegen radikal aufgenommen, nämlich die reine Glaubensgemeinde. Ungeklärt war zunächst das Verhältnis zur weltlichen Gewalt, das von der Ablehnung des Staates bis zum gewaltsamen »Königreich Zion» der Melchioriten in Münster schwankte (mit Gütergemeinschaft, Zwangs-Wiedertaufe u.a.): In Münster ging es 1534/3 5 um den für das Täufertum völlig unlogischen Versuch, die Königsherrschaft Christi mit eigener, weltlicher Macht zu errichten, wogegen diese für Luther in dieser Welt nur durch die Wirkung des Wortes geschehen kann, das Glauben weckt und aus dem Glauben Früchte des Geistes bringt. Die (Wie- der)Taufe lehnte Luther ab, weil ihre Verfechter aus seiner Sicht die Wirkung des Sakraments vom Menschen, bzw. vom Glauben des Menschen abhängig machten und dieses so seines Charakters als Gottes »eigenes Werk» zu berauben drohen. Wie es ihm im Abendmahl um die reale Gegenwart Christi geht, so in der Taufe um die reale Zuwendung der Gnade, deren Verheißung der Christ im Glauben jeden Tag neu ergreifen soll.
Auch im internen »antinomistischen» Streit (1527 und 1537) ging es um die radikale Anwendung von Luthers Glaubenstheologie. Johann Agricola lehrte, daß Buße ohne vorangehende Gesetzespredigt möglich sei. Luther stellte sich gegen ihn, weil er hier die Gefahr eines schwärmerischen Antinomismus heraufziehen sah. Luther möchte mit allem Nachdruck am Offenbarungscharakter des —» Gesetzes festhalten (H. J. Iwand).
Zum vorläufigen Abschluß kam die lutherische Bekenntnisbildung mit der Konkor- dienformel von 1577, die das Erreichte zusammenfaßt, aber auch bereits die beginnende Rückwendung zur scholastischen Schultheologie spüren läßt.
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DIE GEGENREFORMATION Die römische Kirche reagierte auf die Reformation mit einer inneren Reform, deren Grund das Konzil zu Trient (1545-1563) legte. Zugleich erfolgte der Versuch, durch Ketzerbekämpfung, vor allem aber mit der Hilfe katholischer Fürsten, das Verlorene wieder zu gewinnen. Hauptinstrument in diesem Einsatz war der 1534 von Igilätiüs von Loyola (1491 — 1556} gegründete Jesuitenorden (Societas Jesu), eine streng militärisch aufgebaute Organisation, die äußeren Gehorsam mit der durch Exerzitien erreichten geistlichen Disziplinierung verband. Die Jesuiten wirkten als Erzieher und Beichtväter an den Fürstenhöfen, als Lehrer an den höheren Schulen und als Verfolger der Ketzer (1542 Erneuerung der Inquisition). Seit 1549 ließ sichderOrden in Deutschland nieder. Im 1552 gegründeten Collegium Ger- manicum in Rom wurden deutsche Priester in jesuitischem Geist ausgebildet. Im habsburgischen Gebiet führten brutale Verfolgungen zur Vertreibung der Protestanten (Ferdinand II., Kardinal Khlesl, Erzbischof Firmian von Salzburg). Besonders hart waren die Verfolgungen auch in Bayern und in den geistlichen Territorien, wo in den nach 1570 grauenhaft gesteigerten Hexenverfolgungen (—> Hexenwahn) auch viele Evangelische unter dem Vorwand der Hexerei eingeäschert wurden. Die letzte und blutigste Auswirkung der Religionskämpfe war der dreißigjährige Krieg (1618-1648), nach welchem der Westfälische Frieden 1648 die konfessionellen Gebietsverhältnisse definitiv regelte.
Eine besondere Entwicklung vollzog sich in den Niederlanden, wo die protestantischen Nordprovinzen 1581 ihre Unabhängigkeit erklärten und diese unter Wilhelm von Ora- nien (1533-1584) und Moritz von Oranien im Kampf gegen Spanien auch behaupteten (1648 Haager Frieden).
In England wurde die noch katholische Kirche 1534 durch die Suprematsakte des Parlaments von der römischen Jurisdiktion gelöst, der König wurde als Oberhaupt der Kirche anerkannt. Im Common Prayer Book von 1549 und in den »39 Artikeln« von 1563 erhielt die Staatskirche ein stark calvini- stisch beeinflußtes Bekenntnis. Die Gegenreformation in England scheiterte mit der Hinrichtung der kath. Maria Stuart (1587) und der Vernichtung der spanischen Armada (1588) unter Elisabeth I. Im Innern erlebte England lange Zeit Auseinandersetzungen zwischen der episkopalistischen (und politisch absolutistischen) Kirche und den cal- vinistischen Puritanern, die unter Cromwell (1599—1658), 1653-1658 Protektor Englands, eine Periode verhältnismäßiger —» Religionsfreiheit erlebten.
Lit.: P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers,
1962 - H. J. Iwand, Gesetz und Evangelium, 1964 - ders., Luthers Theologie, 1974-F. Lau/E. Bizer, Reformationsgeschichte Deutschlands (Die Kirche in ihrer Gesch.), 1964 (mit ausf. Lit.)-H. Bornkamm, Luther, Gestalt und Wirkungen, 1975 - J. Haun (Hg.), Zur Zwei-Reiche-Lehre Luthers (Bibliographie), 1973 - B. Moeller, Deutschland im Zeitalter der Reformation, 1977
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Ulrich (Huldrych) Zwingli Ulrich Zwingli, ‘1.1.1484 in Wildhaus, tu.10.1531 in der Schlacht bei Kappeln. 1494 Lateinschule in Basel, 1496 Lateinschule in Bern, dann 1500 Studium der freien Künste in Wien, 1502-1506 in Basel (magi- ster artium). Anfang des Theologiestudiums, 1506 aber bereits Pfarrer in Glarus, seit 1510 daselbst auch Schulmeister. Enge Verbindung mit dem Humanistenkreis um Erasmus. 1516 Leutpriester in Einsiedeln, intensive Studien der Paulusbriefe und der Schriften Augustins, Beginn der regelmäßigen Schriftauslegung noch im Sinn des humanistischen Rückbezuges auf die Quellen. Am 1.1.1519 begann seine Tätigkeit als Leutpriester am Großmünster in Zürich. Anfang der reformatorischen Predigt: Offene Kritik an kirchlichen und politischen Mißständen, wie den Praktiken des Ablaßhändlers Samson und dem Söldnerunwesen (Reislaufen, Annahme von Geldern fremder Mächte für das Recht zur Werbung von Söldnern). Er fordert freie Predigt des Evangeliums und die Priesterehe. Die kirchliche Hierarchie kritisiert er zunächst mehr wegen ihrer Geldgier und des Pfründenwuchers. Im Januar 1523 findet die erste Züricher Disputation statt, für die Zwingli 67 Schlußreden verfaßte. Der Rat beschließt, daß alle Prediger das Evangelium zu verkünden hätten. Oktober 1523 zweite Züricher
Disputation; sie leitete die Durchführung von Reformen bis 1525 ein. (Beseitigung der Bilder, Abschaffung der römischen Messe, der Orgeln, des Kirchengesangs, der Prozessionen, des Reliquien- und Bilderdienstes). Die Sittenzucht wird Sache des Rates. 1526 Badener Disputation (ohne Teilnahme Zwinglis), 1528 Berner Disputation, Zwingli wirkt mit. Durchführung der Reformation in Bern. 1531 Krieg Zürichs gegen die katholischen Orte der Innerschweiz. Zwingli zieht als Feldprediger mit und fällt in der Schlacht bei Kappel. Der (zweite) Friede von Kappel stabilisiert die konfessionellen Verhältnisse in der deutschsprachigen Schweiz. Zwinglis Nachfolger in Zürich wird Heinrich Bullinger (1504-1575), unter dem im Consensus Tigurinus die Einigung mit den Calvinisten in der Abendmahlslehre erfolgte (reale Gegenwart Christi, aber nicht substantielle Wandlung). Weitere wichtige Mitarbeiter waren Leo Jud (1482-1542), der entscheidenden Anteil an derZüricherBibel- übersetzung hatte, die 1529 als erste deutsche Vollbibel im Druck erschien (1531 neue' Ausgabe), und Heinrich Utinger, sowie Erasmus Schmid.
Um 152 5 erwachte in Zürich das Täufertum. 1525 gründete Jörg Blaurock in Zollikon die erste Täufergemeinde. Weitere Führer der Bewegung waren Konrad Grebel und Felix Manz. Die Täufer wollten eine heilige Gemeinde, die sich von der Welt löst. Sie forderten die Erwachsenentaufe als Glaubensund Bekenntnisakt. Die Taufe verliert ihren sakramentalen Charakter und wird zur bekenntnishaften Dokumentation eines vorausgegangenen inneren Prozesses, der Wiedergeburt und Rechtfertigung. Der Rat von Zürich griff hart durch und vertrieb die Anhänger der neuen Bewegung. Felix Manz, der gegen abgelegten Eid wieder in die Stadt zurückkehrte, wurde 1527 in der Limmat ertränkt. Aber die Täufer verbreiteten sich trotz harter Strafen in ganz Deutschland. Zwingli gründete die Kirche auf dem Wort. Wo das Wort gepredigt wird, wird Kirche, so wie es die im Geist Zwinglis abgefaßte erste Schlußrede der Berner Disputation von 1528 klassisch formuliert: »Die heilig Christen- lich Kilch, deren einig Houpt Christus, ist uss dem Wort Gottes geboren, im selben be- lybt sy, und hört nit die Stimm eines Frömb- den«. Kirche ist also die unter dem Wort versammelte Gemeinde. Für die Täufer aber wird Kirche vom Glaubens- bzw. Bekenntnisakt des einzelnen her verstanden. Hieraus ergab sich der Gegensatz.
Mit Luther konnte Zwingli sich in der Abendmahlsfrage nicht einigen. Ersterem geht es um die Realpräsenz des Leibes Christi im Abendmahl, wogegen Zwingli in Brot und Wein bloß ein Zeichen sah für den für uns gekreuzigten Leib Christi.
Zwinglis Reformation in Zürich war von ihrem Ansatz her eine Kirchenreform, die davon ausging, daß nichts gelten soll, als was aus der Schrift begründet ist. Aus der Konsequenz dieses Ansatzes wurde die Reform zur Reformation. Es ist wahrscheinlich, daß Zwingli den Begriff der Glaubensgerechtigkeit, wie Luther ihn lehrte, auch von diesem aufgenommen hat. Er begegnet u.a. 1525 im Kommentar über die wahre und falsche Religion (Kap. vom Evangelium), hingegen noch nicht in den Schlußreden von 1523. Die Reformation in Zürich begann aber mit den Schlußreden. Man darf die Reformation Zwinglis nicht vom lutherischen Ansatz her verstehen und beurteilen. Letzterer hat zwar in Richtung eines vertieften persönlichen Heilsverständnisses eingewirkt, ist aber nicht strukturbestimmend. Zum Verständnis der inneren Struktur der Züricher Reformation ist vielmehr auszugehen vom Begriff des Reiches Christi (regnum Christi). Das Reich Christi ist nicht nur innerlich, es ist auch äußerlich weit wirkend. »Regnum Christi etiam externum«. Es gibt keinen Bereich, der von diesem Reich ausgenommen wäre. Auch die Politik ist nicht ausgenommen. Der Christ, Pfarrer oder Magistrat, ist gehalten, den erkannten göttlichen Willen auch im öffentlichen Leben zu realisieren. Allerdings geschieht dieses Realisieren nicht unabhängig vom Wort. Zwingli vertraut darauf, daß das Wort sich auch im Bürger und Magistraten kräftig erweist. Christi Reich verbreitet sich also durch die Predigt auch in weltlichen, politischen Dingen. Zwingli ist sich der Sündhaftigkeit der Welt bewußt, auch der Sündhaftigkeit der Christen. Aber Christi Herrschaft wirkt durch das Wort eben in diese Sündhaftigkeit hinein, erneuernd, ordnend, Frieden stiftend. Zwingli setzt voraus, daß die Obrigkeit von Gott gesetzt ist. Aber wenn er als Prediger in Zürich an die Obrigkeit appelliert, um Reformen durchzuführen, so gilt dieser Appell einer christlichen Obrigkeit. Eine Gesellschaft, die sich unter das Wort Gottes stellt, d.h. in der gepredigt und das Wort gehört wird, ist Kirche und politische Gemeinschaft in einem. Man darf auch die Zwing- li'sche Reformation nicht zeitlos definieren, sondern muß sie von ihren sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen her betrachten. Ihre geschichtliche Voraussetzung ist die freie Reichsstadt, die als christliche Gemeinschaft, als lokales Corpus christia- num begriffen wird. Die genossenschaftliche Struktur der Stadtgemeinschaft trennt Obrigkeit und Bürgerschaft nur bedingt. Jeder ehrbare Bürger hat verantwortlich am Stadtgeschehen Anteil. In diesen Strukturen ist die Reformation in Zürich durchgeführt worden, als eine durch die Predigt aufgerufene und geweckte, aber von der Bürgerschaft in die Hand genommene und durchgeführte innere und äußere Erneuerung des Gemeinwesens. Das Verhältnis von Obrigkeit und Prediger ist vergleichbar dem Verhältnis von König und Prophet im Alten Testament. Die Freiheit der Predigt ist ebenso vorausgesetzt wie das ius reformandi der Obrigkeit. Der Prediger hat beim Wort zu bleiben. Es ist Sache der Obrigkeit, in ihrer Verantwortung zu prüfen und zu vollziehen. Christliche Gemeinde und Stadt sind nicht an sich eins, die Einheit wird vielmehr erst Ereignis, wenn die Stadt sich durch Gottes Wort anreden läßt, wenn sie durch dieses Wort in das Geschehen der Herrschaft Gottes hineingenommen wird. Regnum Christi ist also nicht ein Territorium, oder eine Ordnungsstruktur, sondern Aktivität, die von Gott in Wort und Geist ausgeht. Andererseits erschöpft sich diese Aktivität nicht in der Kirche, sondern sie wirkt hinein in die Welt zur Seligkeit. Summe des Evangeliums ist, nach der 2. Schlußrede, »dass unser herr Christus Jesus, warer gottes sun, uns den willen seines himmlischen Vaters kundge- thon, und mit siner Unschuld vom tod erlöst und gott versünt hat«. Beides, Gottes Willen tun und Gottes Gnade empfangen, gehört zusammen. Aber es ist nicht zu verkennen, daß die Zwinglische Reformation, insofern sie zunächst Kirchenreform vom Wort Gottes her sein wollte, vom ersteren ausgegangen ist.
Lit.: Hauptschriften, deutsch hg. v. F. Blanke, i94off. - G. W. Locher, Zwingli in neuer Sicht,
1969 - Christof Windhorst, Täuferisches Taufverständnis. Balthasar Hubmaiers Lehre . . ., 1976
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Calvin und der Calvinismus Johannes Calvin, *10.7.1509 zu Noyon
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