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Sozialer Status aktiviert Gehirnpartien



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Sozialer Status aktiviert Gehirnpartien

Einen ganz anderen Hinweis, wie tief verwurzelt Statuswahrnehmung und Statusdenken sind, liefern gehirnphysiologische Untersuchungen. Meyer-Lindenberg und sein Team (2009) führten kontrollierte Experimente mit willkürlich zugewiesenem Status durch und erfassten dabei mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) gehirnphysiologische Prozesse. Die Probanden lösten Reaktionsaufgaben oder schätzten die Anzahl der Bildpunkte auf dem Bildschirm und erhielten dabei die Information über zwei Mitspieler, die allerdings fiktiv waren. Der eine war besser und wurde mit drei Sternen versehen, der andere schlechter und erhielt nur einen Stern, während der Proband mit zwei Sternen dekoriert wurde. Die Leistung wurde jedoch unabhängig von der Rangposition mit Geld honoriert. Obwohl also der zugewiesene Rangplatz der Spieler für den Gewinn keine Bedeutung hatte, beachteten die Probanden sehr wohl den Status. Vor Spielbeginn sahen sie nämlich ein Bild des fiktiven Mitspielers. War dieser ranghöher, so gab es eine Aktivierung des ventralen Striatums, das ein Zentrum für die Wichtigkeit von Reizmustern und deren Belohnungsqualität darstellt. Beim Anblick des rangniedrigeren Spielpartners traten diese Veränderungen nicht auf.

In einem zweiten Experiment lag die Rangposition nicht fest. Die Probanden, die zunächst wieder im Mittelfeld platziert wurden, konnten bei Erhöhung der Gewinne einen höheren Rangplatz erringen. Diese experimentell induzierte Unsicherheit wirkte sich auch auf die Aktivierung zusätzlicher Hirnareale aus. Während die Probanden wie im ersten Experiment auf die Wahrnehmung einer Person mit höherem Status mit der Aktivierung der gleichen Areale reagierten, zeigten sie zusätzlich eine erhöhte Aktivität der Amygdala (des Mandelkerns), die zuständig für emotionale Reaktionen ist. Diese Veränderung könnte mit dem Stresserlebnis zusammenhängen, denn je bedeutsamer für die Probanden das Gewinnen war, desto stärker reagiert auch die Amygdala. Abbildung 5.3 zeigt die gehirnphysiologischen Veränderungen bei der Wahrnehmung von Statushöheren.

Diese spektakulär zu nennende Untersuchung lässt zweierlei Thesen als wahrscheinlich erscheinen: (1) Ranghöhere werden unwillkürlich stärker beachtet als Rangniedrigere und (2) stabile Rangordnungen sorgen auch für emotionale Stabilität. In Gruppen des frühen Homo sapiens wie der Hominiden generell haben sich stabile Rangordnungen mit einem stabilen Alpha evolutionär durchgesetzt. Status- und Rangreihenbildung findet, wie die Sozialpsychologie gezeigt hat, in jeder Gruppe gewissermaßen naturgesetzlich statt. Die empirischeEvidenz, diewirzusätzlichinsFeldgeführthaben, untermauertdieevolutionäre Basis dieses sozialen Phänomens.

Van Vugt (2009) versucht zu zeigen, wie sich Führer und Gefolgschaft im Laufe der Menschheitsgeschichte geändert haben. Der Rückschluss auf die Zeit vor 13.000 Jahren

5.4 Status





Abb. 5.3 Neurologischer Beleg für die evolutionäre Basis: Personen mit höherem Status schenkt man mehr Aufmerksamkeit. (Meyer-Lindenberg 2009, S. 19, mit freundlicher Genehmigung des Autors).

Tab.5.3 Führung aus evolutions- und kulturhistorischer Perspektive. (Rolf Oerter, nach: Spektrum der Wissenschaft 9/2009, S. 74)

Zeitalter

Gesellschaft Gruppengröße

Führungsstruktur

Anführer

Verhältnis

Anführer –

Geführter


Vor mehr als 2,5 Mio.

Jahren


Vormenschen

Klein

Situationsoder

Dominanzhierarchie



Individuum,

Alphamann,

Alphafrau


Demokratisch oder despotisch

1 Vor 2,5 Mio.

Jahren bis vor 13.000 Jahren



Gruppen,

Klans,


Stämme

Dutzende bis Hunderte

Informell, situativ, prestigegestützt

Big Man

Anführer


Egalitär und konsensorientiert

2 Vor 13.000

Jahren bis vor 250 Jahren



Stammesfürstentümer, Königreiche

Tausende

Formalisiert, zentralisiert, erblich

Häuptlinge,

Könige,


Kriegsherren

Hierarchisch und unilateral

3 Vor 250

Jahren bis heute



Nationen, Staaten, Unternehmen

Tausende bis Millionen

Gegliedert, zentralisiert,

demokratisch



Staatsoberhäupter, Politiker,

Manager


Hierarchisch, aber partizipativ

erfolgt bei ihm durch Vergleich mit jetzt noch lebenden Jägern und Sammlern. Der für unsere Fragestellung entscheidende Schritt vollzog sich seiner Meinung nach beim Übergang von der Jäger- und Sammler-Gesellschaft zur Sesshaftigkeit. Während zuvor eher egalitäre Beziehungen vorherrschten und der Anführer eher Primus inter pares war, bildeten sich in sesshaften Gesellschaften aufgrund der reichlich vorhandenen Ressourcen Führer heraus, die Macht anhäufen und zentralisiert regieren konnten. Ihre Macht wurde dann vielfach erblich. Tab. 5.3 zeigt seine Auffassung und bietet einen Überblick über die von ihm vermutete Entwicklung. Sie soll hier aber noch nicht weiter diskutiert werden. Was jedoch aus der Tabelle deutlich wird, ist die enge Verflechtung zwischen Evolution und Kultur. Es zeigt sich auch, dass die kulturelle Entwicklung die Evolution überlagert. Führer werden kulturell definierte Personen, wobei Vererbung der Führungsposition auf die nächste Generation bedeutsam sein kann. Sowohl genetische Führungsdisposition als auch Machtweitergabe an genetisch Verwandte haben evolutionäre Wurzeln, aber die Führungsaufgaben und die Gruppengröße bestimmen sich durch die kulturelle Entwicklung.

Man kann festhalten, dass sich die Herausbildung natürlicher Rangordnungen im Laufe der Menschheitsgeschichte mehr und mehr überlagert hat durch Positionszuweisungen, die in der jeweiligen Kultur die Gesellschaftsstruktur diktieren. Waren anfangs Körpergröße, KörperkraftundGeschicklichkeitbestimmendeMerkmalefürdieFührungspersönlichkeit, so traten sie später in den Hintergrund, wenn andere Fähigkeiten wichtiger wurden. Aber auch heute noch gibt es eine Korrelation zwischen Merkmalen körperli-

5.5 Aggression

cher Fitness und Führungspositionen: viele Großbetriebe stellen nur Führungskräfte mit Übergröße ein. Doch zeigt die Geschichte, dass das Äußere, vor allem die Körpergröße gerade bei exzeptionellen Führern nicht entscheidend war. Napoleon war sehr klein, ebenso eine Reihe von Königen und Fürsten, wie Pippin der Kurze (wohl nicht nur der Jüngere, sondern auch der Kleine gemeint), Dschingis-Khan, Alexander der Große (zumindest nach damaligen Berichten) und viele andere mehr. Fast grotesk mutet es uns heute an, dass der kleine und schmächtige, wenig attraktive Adolf Hitler eine so mächtige totalitäre Führungsposition erringen konnte.



5.5 Aggression

Evolutionspsychologische Ableitung

Der Terminus Aggression hat viele Bedeutungen. Da man unter evolutionärer Perspektive auch tierische Aggression einbeziehen muss, begnügen wir uns mit einer Verhaltensdefinition. Wir wollen im Folgenden Aggression eingrenzen als Verhalten, das gegen Individuen der gleichen Spezies gerichtet ist und in einer Zerstörung oder Verletzung des Opfers resultiert. Beginnen wir mit Aggressionen bei Tieren.

Sigmund Freud (1938) nahm an, dass Sexualität und Aggression die beiden Grundkräfte der menschlichen Psyche seien, aus denen sich das gesamte Seelenleben entwickelt. Evolutionsbiologisch sind Aggression und Sexualität in der Tat zwei zentrale Verhaltensmodi, die für die Weitergabe der Gene sorgen. Bei den meisten Säugetierarten und auch bei anderen Tiergattungen erkämpft sich das Männchen in der Dominanzhierarchie seinen Platz. Will es nämlich seine Gene weitergeben, muss es gegen Konkurrenten antreten. Das dominantere Tier ist aggressiver als das dominanzniedrigere Tier. Bei Tierarten, in denen die Weibchen den höheren Aufwand für die Pflege des Nachwuchses betreiben, ist aggressives Verhalten geschlechtsspezifisch verschieden. Die Männchen können ihre Gene am besten verbreiten, wenn sie sich mit mehreren Weibchen oder infolge ihrer Dominanzposition mit einem Weibchen ihrer Wahl paaren können. Im Gegensatz dazu wird die weibliche DNA-Weitergabe nicht durch eine Dominanzhierarchie unter den Weibchen begünstigt. Zur Sicherung des Nachwuchses sind Ressourcen nötig, die weniger durch Aggression, als durch risikoarme und indirekte Strategien erreichbar sind. Vor allem ist das Weibchen zeitlich durch das Austragen der Nachkommen und die Aufzucht stärker als das Männchen gebunden und würde während dieser kritischen Zeit durch offenes aggressives Verhalten, also durch Kampf, das Überleben des Nachwuchses gefährden.

Übertragen auf den Menschen sollte man erwarten, dass Frauen weniger Wert auf Dominanzhierarchien legen. Während der menschlichen Entwicklung zeigen in der Tat Jungen mehr und mehr offene Aggression, die sich auf Status und Selbstwert bezieht, während Mädchen eher verdeckte Formen indirekter Aggression entwickeln (Campbell 1984, 1995). So einleuchtend diese evolutionäre Ableitung des aggressiven Verhaltens ist, würde mansichdochbessereBelege, vorallemfürgeschlechtsspezifischeAusprägungvonAggression, wünschen. Junge weibliche Hyänen beispielsweise sind regelrechte Kampfmaschinen undverhaltensichdurchaus„unweiblich“. DerGrundfürdieseMerkwürdigkeitliegtdarin, dass die weiblichen Föten während der Schwangerschaft einen hohen Testosteronspiegel haben (Goymann et al. 2001).

Lorenz (1965) glaubte noch, dass es zwischen Artgenossen eine Tötungshemmung gibt und belegte dies an den Scheinkämpfen des Damwildes und an der Reaktion des Aggressors auf die Demuthaltung des Angegriffenen. Volker Sommer (2008) beschrieb einen Schimpansenkrieg am Ufer des Tanganjika-Sees. Die Kasaleka-Männchen siegten über die Kahamas und besetzten deren Gebiet. Die Kahama-Männchen wurden auf grausame Weise umgebracht. Sommer folgert aufgrund seiner Studien über wild lebende Schimpansen, dass es bei Kämpfen nicht nur um Verteidigung des eigenen Territoriums, sondern um Verletzung, Schwächung und zum Teil sogar um Vernichtung des Gegners geht. Was Primatenforscher früher noch allein den Menschen zuschrieben, nämlich einen Krieg zwischen Gruppen mit dem Ziel der Vernichtung oder zumindest Schwächung des Gegners, gibt es auch bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen. Die Tötung von Kindern ist im Tierreich weitverbreitet. Bei den Berggorillas wird ein Drittel der Kinder bis zum Alter von drei Jahren getötet (Sommer und Ammann 1998).

Die menschliche Geschichte lehrt, dass der Homo sapiens den Schimpansen in nichts nachsteht. Der Neuropsychologe Thomas Elbert berichtet aus eigenen Beobachtungen vom Genozid in Ruanda. Dort wurden am 16. April 1994 20.000 Tutsi von den Hutus erschlagen. Nach seiner Rekonstruktion war das nur unter der Voraussetzung möglich, dass sich alle überfallenden Hutus am Morden beteiligt hatten (SZ-Interview vom 28./29. August 2010).

Kennedy und seine Mitarbeiterin Couppis (2008, Bericht der Vanderbilt-Universität in Nashville) konnten an Experimenten mit Mäusen zeigen, dass Aggression das Glückshormon Dopamin freisetzt. Aggression wirkt auf das Belohnungssystem ähnlich wie andere glücksstimulierendeReize. BeiAusschaltungdesGlückshormonsreagiertendieMännchen nicht aggressiv. Kennedy folgert, dass auch beim Menschen Aggression das Lustzentrum aktiviert, da die Belohnungspfade bei Mensch und Maus ähnlich seien.

In seinem Buch „Das sogenannte Böse“ von 1965 überträgt Konrad Lorenz die Hauptelemente seiner Instinkttheorie auf den Menschen. Demnach hat der Mensch im Wesentlichen vier Triebe, die Lorenz als Nahrungs-, Fortpflanzungs-, Flucht- und Aggressionstrieb bezeichnet. Laut Lorenz sind diese Triebe wichtige Schutzmechanismen, die das Überleben des Individuums und den Fortbestand der Art sichern. Die individuelle Selbstverteidigung, dieVerteidigungvonNahrungsrevierenunddieAusbildungvonHierarchien bezeichnete Lorenz als Funktionen des Aggressionstriebs. Er deutete Aggressionen also als „Urinstinkt“, der sich naturwüchsig seine Bahn breche und allenfalls durch geeignete kulturelle Rahmenbedingungen in bestimmte – ungefährliche und gesellschaftlich akzeptierte – Bahnen gelenkt werden könne. Lorenz empfahl zum Abreagieren (Ausagieren) des Aggressionstriebs unter anderem die Teilnahme an sportlichen Großveranstaltungen.

5.5 Aggression

EstauchenimmermehrFundeauf, diedaraufhinweisen, dassdieMenschenderVorzeit (auch) hochaggressiv waren. Es gibt Massengräber, abgenagte Menschenknochen und andere Hinweise auf Kannibalismus (White 2001). Fry und Söderberg (2013) untersuchten 21 Jäger- und Sammler-Kulturen aus Gegenwart und Vergangenheit, und eruierten die Mordfälle, die nachweislich dort verübt wurden. Dabei zeigte sich, dass in 85% aller Todesfälle Mörder und Opfer zur gleichen Gruppe gehörten. Die Autoren folgern daraus, dass Kriege in Form von Gruppenüberfällen auf fremde Gruppe erst eine Errungenschaft von sesshaften Kulturen sei. Dagegen spricht die oben beschriebene Kriegführung der Schimpansen, denn sie belegt, dass Gruppenkriege evolutionär früh auftreten. Die Funde des Thalheimer Massengrabs bei Heidelberg, das 34 Skelette enthält und 7.100 Jahre alt ist, weisen ebenfalls in eine andere Richtung. Bentley und Mitarbeiter (2008) vermuten aufgrund ihrer Analysen, dass eine durchreisende, also nicht sesshafte Gruppe den Überfall ausgeübt hat und dass der Zweck des Überfalls der Raub der Frauen war, denn es befand sich keine einzige erwachsene Frau im dem Massengrab.



Biochemische und neurologische Faktoren von Aggression

Da Testosteron stark das männliche Geschlecht mitbestimmt, könnte man annehmen, dass es auch aggressives Verhalten fördert. Hierzu gibt es in der Tat eine Reihe von empirischer Evidenz. Besonders aggressive (und kriminelle) Männer weisen einen erhöhten Testosteronspiegel (Konzentration des Bluttestosterons) auf (Berman et al. 1993). Mit zunehmendem Alter verringern sich der Testosteronspiegel und die Aggressivität. Auch bei Mäusen korreliert der Testosteronspiegel mit Aggressivität (Mazur und Booth 1998). Andere Untersuchungen fand dagegen einen solchen Zusammenhang bei Menschen nicht (Albertetal. 1993). AuchbeiFrauengibteseineEntsprechung. AggressivekriminelleFrauen hatten einen höheren Testosteronspiegel als normale Frauen. Der Testosteronspiegel steigt bei Athleten kurz vor dem Wettkampf an, und der Ausgang des Kampfes bestimmt danach das Hormonniveau. Der Verlierer hat ein niedriges, der Gewinner ein hohes Testosteronniveau. Bei Athletinnen zeigt sich diese Veränderung jedoch nicht (Mazur und Booth 1998).

Zusätzlich zur Testosteronhypothese gibt es das Modell der serotoninen Unterfunktion. Bei Aggressiven wurden in mehreren Untersuchungen ein niedrigerer Serotoninspiegel gefunden als bei wenig Aggressiven (Lesch und Merschdorf 2000), wobei aber nicht das aggressive Verhalten selbst, sondern die Impulsivität der Aggression und die herabgesetzte Kontrolle ausschlaggebend zu sein scheint. Serotonin gilt als Neurotransmitter des Hemmungssystems. Niedrige Serotoninfunktion bewirkt also, dass die Hemmung und Kontrolle von Aggressionen wegfällt.

Gibt es ein Aggressionszentrum im Gehirn? Wohl kaum, denn Aggression entsteht aus recht unterschiedlichen situativen Bedingungen. Im Daseinskampf war Aggression gegenüber dem Rivalen bei einer Frau angebracht, aber genauso bei der Auseinandersetzung mit Angehörigen einer Außengruppe, die den eigenen Sozialverband angriff. Untersuchungen an Säugetieren haben gezeigt, dass bei aggressivem Verhalten die Amygdala, der Hypothalamus, der präfrontale Kortex, der dingulate Kortex, der Hippocampus und weitere Bereiche des Mittelhirns beteiligt sind.



Resümee

Heute ist offene Aggression als Schädigung oder Vernichtung von Menschen evolutionär dysfunktional geworden, da wir das Potenzial zur Vernichtung der Menschheit und des meisten Lebens auf der Erde entwickelt haben. Aggressive Gesellschaften werden zur Gefahr für die gesamte Menschheit, aggressive Einzelpersonen zur Gefahr für die Familie, die Gruppe, das Gemeinwesen. In zukünftigen Gesellschaften werden nicht die offen Aggressiven, sondern diejenigen, die intelligent genug sind, ihre Aggression zu unterdrücken, überleben. Nur wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Aggression zur menschlichen Ausstattung gehört und immer im Hintergrund darauf lauert, zum Durchbruch zu kommen, können wir ihr angemessen begegnen. Die entscheidende Aufgabe besteht darin, die Aggression hemmen zu können und unter Kontrolle zu halten. Drei Wege gibt es für die Kontrolle menschlicher Aggression: Kanalisierung, neuronale Kontrolle aggressiver Impulse und gesellschaftliche Schutzmechanismen. Alle drei greifen ineinander. Die zivilisatorische Entwicklung kann Aggression kanalisieren, z.B. in Form von sportlichen Wettkämpfen, sie kann offene Aggression durch moralische Regeln tabuisieren und durch Sozialisationsagenturen, wie die Schule, die mentale Kontrolle aggressiver Impulse fördern. Wenn eine Gesellschaft schon Kindern Schusswaffen in die Hand drückt, handelt sie nicht nur kriminell, sondern auch dumm. In den meisten Gesellschaften wurden bis in die jüngste Zeit hinein Kinder und Jugendliche zu Kampf und Krieg erzogen, die dem Schutz und der Verteidigung des eigenen Landes dienten. Selbst der Präventivschlag wird noch bis heute legitimiert. Auch in der Ontogenese gibt es Aggression als anerzogene unerwünschte Nebenwirkung. Mein Kollege Lutz von Rosenstiel pflegte zur Illustration folgende Geschichte zu erzählen:

Der Vater sieht, wie Fritzchen einen kleinen Jungen prügelt. Er ruft streng: Fritzchen, komm sofort her! Komm sofort her! Als Fritzchen erscheint, legt der Vater ihn übers Knie, versohlt ihn und ruft dabei: Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass man kleine Kinder nicht prügeln darf.

Wichtig bleibt festzuhalten, dass wir alle oder fast alle in Situationen geraten können, in denen unsere Aggression zum Durchbruch kommt: in Kriegen, bei Massenveranstaltungen, kurzum in allen Lebenslagen und gesellschaftlichen Konstellationen, in denen Regulationsmechanismen unserer Zivilisation außer Kraft gesetzt werden.
5.6 Prosoziales Verhalten

Der Homo sapiens gehört nach Meinung vieler Evolutionsbiologen zu den aggressivsten Spezies dieser Erde, aber auch zu den Spezies mit hoher Empathie und Hilfsbereitschaft. Aus evolutionsbiologischer Sicht dient prosoziales Verhalten genau wie Aggression dem Erhalt und der Verbreitung der Spezies. Die Evolutionstheorie geht heute davon aus, dass der individuelle Egoismus, also das individuelle Interesse an der Weitergabe von Genen, und nicht die Erhaltung der Gruppe (Gruppenegoismus) die Evolution steuert. Daher mag man zunächst bezweifeln, ob prosoziales Verhalten für die Weitergabe der eigenen Gene nützlich ist. Dann aber wäre „gutes“ Handeln ein Erzeugnis menschlicher Kultur. Wilson (2013), der Altmeister der Soziobiologie, macht allerdings Schluss mit dem Genegoismus und behauptet, dass die menschliche Evolution im Gegensatz zur Bildung von Ameisenstaaten, aus einem Wechselspiel von Merkmalen individueller Gruppenmitglieder und der Gruppe als Gesamtheit vor sich geht. In menschlichen Gruppen belohnt die Selektion normalerweise den Altruismus zwischen den Gruppenmitgliedern.



Altruismus nach Verwandtschaftsgrad

Nun gibt es aber im Tierreich ebenfalls eine riesige Palette prosozialen Verhaltens. Besonders bei den staatenbildenden Insekten sind Kooperation, „aufopferndes“ Verhalten und Dienstleistung für das Ganze bestimmend. Aus evolutionärer Sicht gibt es keinen uneigennützigen Altruismus. Hilfeleistung muss sich auszahlen. Diese Annahme wurde in der Hamilton-Ungleichung (1963) als mathematische Beziehung präzisiert:

K < rN (5.1)

K: Kosten des altruistischen Akts

r: Verwandtschaftsgrad zwischen Helfer und Empfänger N: Nutzen auf Seiten des Empfängers

Ein Individuum verhält sich dann altruistisch, wenn die Kosten K des Verhaltens geringer sind als der Nutzen für den Empfänger, gewichtet mit dem Verwandtschaftsgrad.

Altruistisches Verhalten dient also zunächst der Weitergabe der eigenen Gene. Die Hamilton-Ungleichung stimmt beispielsweise bei staatenbildenden Insekten. Die Weibchen verfügen dort nämlich über einen doppelten Chromosomensatz (sie sind diploid, wie wir auch), aber die Männchen haben nur einen Chromosomensatz, sie sind haploid. Das bedeutet, dass die Arbeiterinnen im Insektenstaat enger miteinander verwandt sind als mit ihren Brüdern. Sie sollten, sofern die Altruismusrechnung zutrifft, ihren Schwestern dreimal mehr an Nahrung und Hilfeleistung zukommen lassen als ihren Brüdern. Untersuchungen an 21 Ameisenstaaten erbrachten, dass das Gewicht der Männchen nur ein Drittel des Gewichts der Weibchen betrug (weitere Beispiele s. Schmidt-Salomon 2009). Bei Mensch und Tier gibt es daher den Nepotismus, die Unterstützung anderer nach dem Verwandtschaftsgrad. Nepotismus in heutigen Gesellschaften wird zwar als Korruption angeprangert, dürfte aber ein Relikt unserer Evolution sein und ist deshalb nur durch die Etablierung des Wertes menschlicher Gleichheit und Gleichberechtigung unter Kontrolle zu bringen.

Die Hamilton-Ungleichung reicht aber nicht mehr aus, um das altruistische Verhalten der Primaten zu erklären. Boesch und Mitarbeiter (2010) von der Abteilung Primatologie am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie berichten von 18 Fällen bei freilebenden Schimpansen, in denen verwaiste Jungtiere von Gruppenmitgliedern im Ta¨ı-Nationalpark (Elfenbeinküste) adoptiert wurden. Die Hälfte der Waisen wurde von Männchen adoptiert, die außer in einem Fall nicht die Väter der Kinder waren. Erwachsene Tiere nahmen sich der Waisen für mehrere Jahre an und kümmerten sich während dieser Zeit intensiv um die Jungtiere. Diese Beobachtungen zeigen, dass Schimpansen unter den geeigneten sozio-ökologischen Bedingungen durchaus für das Wohl anderer nicht verwandter Gruppenmitglieder Sorge tragen und dass Altruismus bei frei lebenden Schimpansen sehr viel weiter verbreitet ist, als es Studien mit im Zoo lebenden Tieren bisher nahegelegt hatten. Schon zuvor wurde beobachtet, dass wild lebende Schimpansen ihr Essen teilen. Bei in Gruppen lebenden Tieren zählt der Schutz der Artgenossen über die Weitergabe der eigenen Gene hinaus, denn der Schutz der Gruppe bedeutet auch eigene

Sicherheit.

NebenderErweiterungaltruistischenVerhaltensaufnichtverwandteArtgenossenspielt die Kommunikation zwischen Hilfsbedürftigen und Helfern eine Rolle. Eine japanische Forschergruppe (Yamamoto et al. 2009) führte eine experimentell kontrollierte Studie an im Zoo lebenden Schimpansen durch. Sie stellte den Tieren Werkzeuge zur Verfügung, die diese einem Tier im Nachbarkäfig reichen konnten, wenn es das Werkzeug zur Erlangung von Nahrung benötigte. Während der 24 Versuche, bei denen die Rollen immer wieder getauscht wurden, beobachteten die Forscher, dass die Tiere das benötigte Werkzeug herüberreichten, um ihren Partnern zu helfen. Diese Übergaben erfolgten jedoch erst, nachdem der Partner aktiv um Hilfe nachgesucht hatte, in dem er beispielsweise die Hand durch ein Loch streckte oder in die Hände klatschte. Die Tiere halfen auch dann, wenn keine Gegenleistung durch den Partner zu erwarten war, und Hilfe wurde auch bei nicht verwandten Paaren beobachtet. Da die Hilfe vorwiegend nur auf die Bitten des Partners gewährtwurde, dürftedieKommunikationbeialtruistischemVerhalteneinewichtigeRolle spielen. Im Falle des Experiments bestand die Kommunikation in artgerechten Signalen der Anforderung von Hilfe.



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