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Einleitung

Die vorliegende Arbeit geht zurück auf ein Symposion der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung zum Thema „Mira Lobe“, das 2003 in Wien unter Leitung von Ernst Seibert anlässlich des 90sten Geburtstages der Autorin veranstaltet wurde. Meine Aufgabe auf dieser Tagung war es, sich der Übersetzung und Rezeption des Werkes der Autorin ins Tschechische zu widmen.

Seit diesem Zeitpunkt wurde das Thema meiner Dissertationsarbeit festgelegt und spezifiziert. Neben Mira Lobe habe ich mein Forschungsinteresse auf das Werk österreichischer Autorinnen der Gegenwart gerichtet: Auf Vera Ferra-Mikura, Käthe Recheis, Christine Nöstlinger, Renate Welsh, Lene Mayer-Skumanz und Jutta Treiber.
Die Arbeit gliedert sich in fünf größere Kapitel. Das erste von ihnen behandelt den Stand der Forschung zum Gattungsbegriff „Kinder- und Jugendliteratur“.

Kinder- und Jugendliteratur ist ein ziemlich junges Forschungsgebiet. Die literarische Darstellung eines Kindes um seiner selbst willen beginnt erst im 17. Jahrhundert. Zuerst hat sich das Interesse für die Jungen geäußert; die gesellschaftlichen Klassen spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Wo die Kinder der armen Schichten – der Handwerker und Bauern – noch gemeinsam mit den Erwachsenen betrachtet wurden, wurde den Kindern des Adels und des Bürgertums allmählich eine Sonderstellung eingeräumt. Das Bürgertum glaubte seit der Aufklärung an die allmächtige Kraft der Erziehung. So war die intentionale Kinder- und Jugendliteratur seit ihren Anfängen eng mit der Pädagogik verzahnt. Die sich allmählich verbreitende Lesefähigkeit in der Bevölkerung hatte zur Folge, dass sich die Kinder- und Jugendliteratur in billigen Heftchen vermehrt an arme Sozialschichten wandte, wobei darunter die Qualität der literarischen Produktion litt. Gegen die kommerzielle Tendenz und niedrige Qualität der literarischen Produktion für Kinder und Jugendliche trat Heinrich Wolgast auf, der Mitbegründer der Jugendschriftenbewegung, der in seinem Werk Das Elend unserer Jugendliteratur die Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus forderte und für die Kunst im dichterischen Werk plädierte. Als geeignete Lektüre empfahl Wolgast den Kindern vor allem Kunstmärchen und Gattungen der Volksliteratur. Von der Qualität des Werkes her anerkannte er die Geschlossenheit der Handlung, eine schlichte Sprache und die Gestaltung einfacher, klar strukturierter Charaktere. [Vgl. Schikorsky 2003, S. 86–87]

Den gegenwärtigen Stand der Forschung auf dem Gebiet der Kinder- und Jugend­literatur stellt vor allem das Werk des Frankfurter Professors Hans-Heino Ewers dar. Er versteht die Kinder- und Jugendliteratur in der hoch entwickelten Gesellschaft als ein komplexes kulturelles Handlungs- und Symbolsystem. Er definiert Kinder- und Jugendliteratur als Handlungssystem und erläutert Termini wie intentionale und spezifi­sche Kinder- und Jugendliteratur. In seinem Werk Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung, das im Jahre 2000 veröffentlicht wurde, knüpft er an das Werk seines Vorgängers Göte Klingberg an, der als erster terminologische Fragen der kinder- und jugendliterarischen Forschung geklärt hat. Hans-Heino Ewers erfasst fundamentale Strukturen des Gegenstandes Kinder- und Jugendliteratur und fixiert sie terminologisch. Er definiert den Gegenstandsbereich der Kinder- und Jugendliteraturforschung als die Wissenschaft von der als geeignete potentielle Kinder- und Jugendlektüre angesehenen Literatur samt dem hierauf bezogenen literarischen Handlungssystem. [Ewers 2000, S. 10]

Die Kinder- und Jugendliteraturforschung versteht er im Rahmen des Kontextes der jeweils gegebenen Kinder- und Jugendmedienforschung. Für besonders wichtig hält er die Entwicklung und Präzisierung der Fachterminologie, weil es bisher keine Übereinstimmung bei den Definitionen der verwendeten Termini gibt. Das Ziel ist also die Einigkeit über eine Terminologie zu erlangen. In der Systemtheorie spielt die Unterscheidung zwischen Handlungs- und Symbolsystem eine bedeutende Rolle. Der zeitliche Bezugsrahmen der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung erstreckt sich vom 18. bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert, teilweise kommen jedoch auch frühere Zeiträume der Kinder- und Jugendliteraturentwicklung in den Blick.


Das zweite Kapitel, genannt „Tradition der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur“, bezieht sich auf den Zeitraum vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum 2. Weltkrieg und geht vor allem vom Werk des österreichischen Literaturwissenschaftlers Ernst Seibert aus. An erster Stelle ist seine Bibliographie wissenschaftlicher Arbeiten zur Kinder- und Jugendliteraturforschung in Österreich zu erwähnen. Obwohl die österreichische Kinder- und Jugendliteratur als Bestandteil der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur wahrgenommen wird, beinhaltet sie aufgrund des vielsprachigen Charakters der damaligen Monarchie ihre eigenen Merkmale und Charakterzüge. Auf literaturwissenschaftlichem Forschungsfeld besteht in Österreich im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz noch wenig Bereitschaft, die Kinder- und Jugendliteratur und deren geschichtliche Entwicklung ernst und verantwortlich zu erforschen. Außerhalb einiger Einzelverzeichnisse, -kataloge und
-studien gibt es bislang noch keine Geschichte der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur. Trotz der Unklarheiten, was die österreichische Kinder- und Jugendliteratur eigentlich bestimmt, ist mindestens ein geographisch begrenztes Merkmal klar: Es handelt sich um die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur der ehemaligen Habsburg-Monarchie, wobei manche Schriftsteller aus den damaligen Kronländern stammen. Von großer Wichtigkeit sind literarische Persönlichkeiten, die zwar ihr kinder- und jugendliterarisches Werk deutsch verfasst haben, durch ihre Herkunft oder ihre Beziehungen jedoch mit den damaligen Ländern Böhmen, Mähren, bzw. der Slowakei verbunden waren, wie K. Ch. André, M. von Ebner-Eschenbach, F. K. Ginzkey, J. Glatz, J. May, Ch. Sealsfield (d. i. K. Postl), A. Th. Sonnleitner und A. Stifter. Diese Erscheinung bezeichnet Ernst Seibert in seinem Werk Kindheitsmuster in der österreichischen Literatur (2003) als periphere Genese.

Einige Autorinnen und Autoren haben wegen ihrer Abstammung bzw. ihrer links orientierten Weltanschauung in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts Prag vorübergehend als ihren Exil-Wohnort gewählt, wie A. M. Jokl, A. Wedding, F. Rosenfeld.


Geschichtlich gesehen gibt es Unterschiede im Begriff Kinder- und Jugendliteratur, was die Erste Republik und die Zweite Republik betrifft. Hans-Heino Ewers und Ernst Seibert äußern sich zu diesem Problem folgend: „Nachdem in der Ersten Republik soziale Konflikte in Kinder- und Jugendbüchern durch die Erörterung von Erziehungsproblemen aufgefangen worden waren, scheint sich in der Zweiten Republik diese Tendenz zur Kompensation zunächst als Dominante zu etablieren – mit dem Effekt der Verharmlosung von Generationskonflikten, hinter denen sich nach wie vor soziale und politische Konfliktpotenziale verbergen. Die Ausbreitung der fantastischen Erzählung ab 1955, die als eine genuin österreichische Gattung betrachtet werden kann, bestätigt nur die notwendige Ablösung von starren überkommenen Gattungsmustern der Kinder- und Jugendliteratur.“ [Seibert, Ewers 1997, S. 8]
Im dritten Kapitel, genannt „Österreichische Kinder- und Jugendliteratur nach 1945 bis zur Gegenwart“ befasse ich mich mit der Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur chronologisch, wobei je ein preisgekröntes Werk der erwähnten Autorinnen herausgehoben wird.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam auch das literarische Leben nur allmählich wieder in Gang. Papiermangel, Kontroll- und Zensurmaßnahmen der Alliierten und die Absenz des Werkes junger, politisch unbelasteter Autoren waren mitverantwortlich dafür, dass der Buchmarkt sich erst 1948 normalisierte. Doch wie in der Erwachsenenliteratur, so gab es auch in der Kinder- und Jugendliteratur keine sog. „Stunde Null“. Manche Autoren nationalsozialistischer Prägung schufen weiter ihr Werk. [Vgl. Schikorsky 2003, S. 136]

Nach dem Zweiten Weltkrieg (ab der 2. Hälfte der 50er Jahre) kann man eine Auflösung des fest geprägten Systems traditioneller Genres der Kinderliteratur beobachten. Die Kinder- und Jugendliteratur verändert sich in dieser Zeit auch gattungsmäßig, indem sie sich der Erwachsenenliteratur anpasst. Im Laufe der 70er Jahre tritt das Abenteuerbuch zugunsten der realistischen Erzählprosa zurück, im Laufe der 80er Jahre die geschlechtsspezifischen Gattungen Mädchen- und Jungenbuch zugunsten des Adoleszenzromans. [Vgl. Mikulášová 2004, S. 32]

Mit Fragen zu Gattungen der Kinderliteratur befasste sich als einer der ersten Richard Bamberger, österreichischer Gymnasiallehrer und Herausgeber von Klassikerausgaben für Schulen. Er spezialisierte sich auf Anliegen der Leseerziehung, gründete 1948 den Buchklub der Jugend und 1965 das Internationale Institut für Jugendliteratur und Leseforschung. Bambergers großes Verdienst liegt in der Schaffung von Institutionen im Dienste der Leseforschung und Leseförderung sowie in der Erforschung der Bedingungen, die dem Lesenlernen förderlich sind.

Die besten Werke österreichischer Autorinnen und Autoren werden in Österreich mit literarischen Preisen ausgezeichnet. Seit 1954 besteht der Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien. Der Preis kann nur an lebende österreichische Autorinnen und Autoren für Bücher vergeben werden, die in Wiener Verlagen erschienen sind. Außerdem werden herausragende Illustrationen prämiiert. Die Trennung zwischen Kinderbuchpreis und Jugendbuchpreis wurde 1960 eingeführt, seit 1968 wird auch ein Bilderbuchpreis verliehen.

Seit 1955 gibt es zur Förderung wertvoller Kinder- und Jugendliteratur den Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur. Im Rahmen dieses Preises gibt es auch einen Förderungspreis für die Illustration von Kinder- und Jugendbüchern. Seit 1956 wird neben den preisgekrönten Büchern eine „Ehrenliste“ veröffentlicht, die besonders empfehlenswerte Bücher nennt. Von den in dieser Arbeit erforschten Autorinnen wurden im Zeitraum von 1954 bis 1980 mehrmals Werke von Mira Lobe, Vera Ferra-Mikura, Käthe Recheis, Christine Nöstlinger, Renate Welsh und Lene Mayer-Skumanz preisgekrönt, von den Illustratoren waren es vor allem Susi Weigel und Romulus Candea.

In den Jahren 1980 bis 2004 erhielten sechs von den sieben analysierten Autorinnen – Mira Lobe, Vera Ferra-Mikura, Käthe Recheis, Christine Nöstlinger, Renate Welsh und Lene Mayer-Skumanz – den Österreichischen Würdigungspreis für die Kinder- und Jugendliteratur.

Das Werk der von mir behandelten Autorinnen wurde auch mit den deutschen Preisen für die Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet. So haben z. B. 1973 zwei Werke von Christine Nöstlinger den deutschen Preis erhalten: Maikäfer flieg! den „Buxtehuder Bullen“ und Wir pfeifen auf den Gurkenkönig den Deutschen Jugendliteraturpreis. 1979 erhielt Renate Welsh für ihren Jugendroman Johanna den Deutschen Jugendliteraturpreis und 1981 Lene Mayer-Skumanz für ihre Geschichten vom Bruder Franz den Katholischen Kinderbuchpreis. Obwohl es seit 1950 in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik auch Preise für Kinder- und Jugendliteratur gab, und zwar das Preisausschreiben zur Förderung der sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur und den Alex-Wedding-Preis, wurde kein Werk der von mir erforschten Autorinnen im Zeitraum von 1950 bis 1980 mit einem dieser Preise belohnt. [Vgl. Moransee J. R. 1982 S. 13–26, 225–242, 198–223]


Die nächsten sieben Kapitel dieser Arbeit, die den eigentlichen inhaltlichen Kern bilden, sind sieben österreichischen Autorinnen der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gewidmet: Mira Lobe, Vera Ferra-Mikura, Käthe Recheis, Christine Nöstlinger, Renate Welsh, Lene Mayer-Skumanz und Jutta Treiber. Zwei von diesen Autorinnen – Mira Lobe und Vera Ferra-Mikura, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg schreiben begonnen, sind nicht mehr unter uns.
Mira Lobe (1913–1995) war im Jahre 1980 die erste Autorin, die den Österreichischen Würdigungspreis für Kinder- und Jugendliteratur erhielt, der seit demselben Jahr für Kinder- und Jugendliteraturschaffende vergeben wird. Sie war keine gebürtige Wienerin, sondern stammte aus einer jüdischen Familie aus Görlitz in Schlesien; Österreich wurde jedoch ihre Wahlheimat. 1947/48 veröffentlichte sie ihre ersten Kinderbücher in Hebräisch. Am bekanntesten ist eine Robinsonade, die 1951 unter dem Titel Insu-Pu, die Insel der verlorenen Kinder veröffentlicht wurde. Lobes prosaisches Werk befasst sich zumeist mit Außenseitern, dem Abbau von Vorurteilen und mit dem kindlichen Recht auf Selbstbestimmung. In der realistischen Geschichte Die Sache mit dem Heinrich geht es um die Solidarität der Mitschülerin Julia mit dem misshandelten Jungen Heinrich. Die Geschichte Omama im Apfelbaum spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung der phantastischen Geschichten nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich.
Vera Ferra-Mikura (1923–1997) erhielt für ihr literarisches Schaffen den Österreichischen Würdigungspreis für Kinder- und Jugendliteratur im Jahre 1983. Sie schrieb nicht nur Kinderliteratur, sondern auch Gedichte, Erzählungen und Hörspiele für Erwachsene. Mit ihren fantastischen Erzählungen hat sie sich in Österreich einen Namen gemacht. Es sind Bücher, die in ihrem Titel den Namen Stanislaus tragen, wie z. B. Der alte und der junge und der kleine Stanislaus (1962), Unsere drei Stanisläuse (1963) und Besuch bei den drei Stanisläusen (1964) oder die Bücher Opa Heidelbeer gähnt nicht mehr (1968) und Sigismund hat einen Zaun (1973). Ihre Handlung wird auf zwei Ebenen aufgebaut; die handelnden Personen treten mit dem Irrealen in eine enge Beziehung und dadurch werden sie verändert.

Mit der Geschichte Meine Freundin Rosine (1961), die ebenfalls wie die Bücher über Stanisläuse ins Tschechische übersetzt wurde, schuf sie ein modernes Mädchenbuch. Vera Ferra-Mikura setzte sich in ihrem kinderliterarischen Werk für eine philanthropische und humanistische Weltanschauung ein, in der „die Weisheit des Herzens über die Klugheit des Gehirns siegt “.


Käthe Recheis (*1928), die aus der Familie eines Arztes stammt, erhielt für ihr kinder- und jugendliterarisches Werk Auszeichnungen und Preise im In- und Ausland. 1986 erhielt sie den Österreichischen Würdigungspreis für Kinder- und Jugendliteratur. Die Autorin zeichnet sich durch eine umfassende schriftstellerische Tätigkeit aus: Sie ist als Herausgeberin und Bearbeiterin von Märchen und Sagen, Gespenster-, Spuk- und Kriminalgeschichten tätig, schreibt realistische Umwelterzählungen und Romane. Ein besonderer thematischer Schwerpunkt liegt im Engagement für bedrohte Indianervölker. Auf diesem Gebiet handelt es sich sowohl um Übersetzungen von Indianerliteratur als auch um Originalwerke der Autorin. Biographisch verbunden arbeitet Käthe Recheis Ereignisse der Zeitgeschichte auf – vor allem des Zweiten Weltkrieges. Im Jahre 1968 entstand die Idee von Käthe Recheis, ein kollegiales Treffen – die „Gruppe“ der österreichischen Autorinnen und Autoren und gleichzeitig der Freunde – zu bilden. Dadurch brachte sie Autorinnen wie Lene Mayer-Skumanz, Vera Ferra-Mikura, Christine Nöstlinger, Renate Welsh, Friedl Hofbauer und andere zusammen. Ihr Werk wurde in fünfzehn Sprachen, darunter auch ins Tschechische, übersetzt.
Christine Nöstlinger (*1936) erhielt den Österreichischen Würdigungspreis für Kinder- und Jugendliteratur im Jahre 1989. Die Autorin hat von den von mir erforschten Kinderbuchautorinnen das umfangreichste Werk. Ihr prosaisches Werk erstreckt sich über mehrere Gattungen, von der realistischen zur phantastischen Geschichte, von den Serien für die Kleinsten bis zur Umweltgeschichte für die Adoleszenten. Gleich mit ihrem Erstlingswerk – mit der „Feuerroten Friederike“ (1970) bringt die Autorin neue Aspekte in die Literatur für junge Menschen ein. In ihren realistischen Geschichten schildert sie meisterhaft das Milieu der Wiener „Durchschnittsfamilien“, das Umfeld der typischen Innenhöfe mit zankhaften Nachbarbeziehungen. Mit der Aufarbeitung der Zeitgeschichte beschäftigt sich die Autorin im Werk Maikäfer flieg (1973), in dem ihre eigenen Lebenserfahrungen als eines am Ende des Zweiten Weltkrieges achtjährigen Mädchens geschildert werden. Die schreckliche Zeit des Krieges wird durch Nöstlingers scharfen Sprachwitz und Humor leichter gemacht. Die deprimierende Wirklichkeit einer Trennung der Eltern findet bei Ch. Nöstlinger ihren Ausweg im Werk Wir pfeifen auf den Gurkenkönig (1972). Als Repräsentantin der kinderliterarischen Bewegung „Andere Moderne“, die an die Aktivitäten der Frauen in der Familienpolitik und im Kampf für die Gleichberechtigung in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts anknüpfte, hat Ch. Nöstlinger wesentlich zum modernen, emanzipatorischen Mädchenbuch beigetragen. Vor allem in ihrer Trilogie von „Gretchen Sackmeier“ (1981–1988) wird über den emanzipatorischen Entschluss der Mutter das traditionelle Muster der Familie zerstört, was auch zu Diskrepanzen in den Beziehungen unter anderen Familienangehörigen führt. In diesem als auch in vielen anderen Werken „gelingt Nöstlinger das Kunststück, mit Bissigkeit, Komik und dem lässigen Ton der Wiener Umgangssprache ein heikles Thema angemessen ernsthaft und doch unterhaltsam darzustellen.“ [Schikorsky 2003, S. 175]
Renate Welsh (*1937), die fünfte der von mir behandelten Autorinnen, wird wegen ihrer sozialistischen Einstellung in ihrem Schaffen oft gemeinsam mit Christine Nöstlinger genannt. 1992 erhielt sie den Österreichischen Würdigungspreis für Kinder- und Jugendliteratur. Ihr realistisches Werk für Kinder und Jugendliche beinhaltet nicht soviel Sprachwitz und Ironie wie bei ihrer Zeitgenossin. Renate Welshs größte Leistung der Bearbeitung der Zeitgeschichte beruht vor allem auf ihren präzisen Recherchen und dem genauen Dokumentieren des historischen Umfeldes. Ihr sozialkritischer Jugendroman Johanna (1979), wird auch als Entwicklungsroman bezeichnet. Am Schicksal eines unehelichen Mädchens, das Magd auf einem Bauernhof werden und in einer untergeordneten sozialen Lage leben soll, gelingt es R. Welsh zu zeigen, wie ein Mensch seine Würde bewahren und Selbstvertrauen gewinnen kann. Der Aufarbeitung der Zeitgeschichte des Zweiten Weltkriegs widmet sich die Autorin von verschiedenen Blickwinkeln: In der Erzählung Der Besuch aus der Vergangenheit (1998) wird die Zeit des Krieges am Schicksal einer jüdischen, aus Österreich vertriebenen Frau retrospektiv hervorgerufen. Die Geschichten im Sammelband In die Waagschale geworfen (1988) sind durch Analyse authentischer Aufnahmen der Wiener Gestapo entstanden. Ihre eigenen Erlebnisse aus der Perspektive eines Kriegskindes bearbeitet die Autorin in der Geschichte Dieda oder das fremde Kind (2002). Den Durchbruch zur Mädchengeschichte des neuen Zeitalters schafft die Autorin im Werk Disteltage (1996), in dem die Protagonistin Sarah ihrer durch die Scheidung psychisch zerstörten Mutter den fehlenden Erwachsenen ersetzt und die Führung des Haushalts übernimmt.
Lene Mayer-Skumanz (*1939) erhielt den Österreichischen Würdigungspreis für Kinder- und Jugendliteratur im Jahre 1995. Sie ist unter den sieben behandelten die einzige Autorin, deren Werk moderne religiöse Kinder- und Jugendliteratur darstellt. Ihre Bücher wie Hanniel kommt in die Stadt (1989), Wer wirft die Sterntaler (1989) oder 15 Tino-Geschichten (1977) sind Werke, in denen die eigene Religiosität im Alltag konkretisiert wird. Es geschieht vor allem durch Empathie und Annahme des anderen, Versöhnungsbereitschaft, Solidarität mit Benachteiligten. Auch in ihren anderen realistischen Kinder- und Jugendgeschichten, in denen die religiöse Wahrnehmung der Welt nicht direkt zum Thema wird, wie in den Geschichten Das Lügennetz (1993) oder Gibt Florian auf? (1980) treten die Prinzipien der christlichen Moral deutlich auf: Es ist die Dimension des Einfühlungsvermögens und der Partnerschaft mit einem bezüglich der Schulnoten schwächeren Mitschüler, oder der Grundsatz, dass man nicht lügen darf, weil man sich sonst in das Labyrinth der Unwahrheiten vertieft, aus dem es keinen Ausweg gibt.
Jutta Treiber (*1949) ist die jüngste der behandelten Autorinnen. Nach dem Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Wien war sie zuerst bis 1988 als Lehrerin tätig, seither ist sie freiberufliche Autorin und schreibt für Jugendliche und Erwachsene. Ihre Bücher wie z. B. Solange die Zikaden schlafen (1997), Herz- und Beinbruch (2000) oder Der blaue See ist heute grün (1995) sind Werke, die keine Tabuthemen mehr kennen und dadurch den Kindern die Möglichkeit der Identifikation geben. Das Ziel der Autorin ist es vor allem, die Ängste der Kinder abzubauen. Sie ist fest davon überzeugt, dass die Kindheit ihrer Generation noch leichter war als die der heutigen Kinder. Treibers Bücher wurden unter anderem mit dem Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien und dem Österreichischen Jugendbuchpreis ausgezeichnet.
Bei den behandelten Autorinnen gehe ich auch auf das Problem der Rezeption ihrer Werke in der tschechischen Literatur ein. In diesen Passagen habe ich konkrete Bücher sprachlich, stilistisch bzw. illustratorisch parallel verglichen. Ich habe mir primär die Frage gestellt, ob es überhaupt eine adäquate Übersetzung gibt. Im Sinne der Übersetzungswissenschaft „bekommt der Leser der Zielsprache in seiner Sprache dasselbe Gefühl, das der Leser der Ausgangssprache in seiner Sprache empfindet. …Übersetzung meint auch das Übersetzen einer Denkweise in eine andere.“
[Ito, Akemi, 2005, S. 207]
Das Schaffen der oben genannten Autorinnen wird im elften Kapitel „Zur Gattung Mädchenbuch“ thematisch verbunden und von diesem Gesichtspunkt noch einmal analysiert. Der Grund dafür ist, dass die Gattung Mädchenbuch bei allen behandelten Autorinnen vorkommt. Die einzelnen Werke ordne ich nach den überwiegenden Charaktereigenschaften der Protagonistinnen oder nach schwerwiegenden inhaltlichen Merkmalen in sieben Kategorien. Jede von ihnen wird dann aufgrund der ausgewählten Leseabschnitte näher spezifiziert und kommentiert.

Die abschließende Passage ist der Problematik des tschechischen, bzw. tschechoslowakischen Mädchenbuches der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gewidmet. Zuerst habe ich die von Naděžda Sieglová formulierten Merkmale der Mädchenliteratur genannt, dann befasste ich mich mit dem Werk von Helena Šmahelová, Stanislav Rudolf, Valja Stýblová, Věra Adlová, Iva Hercíková und Alena Santarová. Dieses Kapitel soll als begleitende und ergänzende Passage im Rahmen des vorherigen Kapitels „Zur Gattung Mädchenbuch“ in der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur angesehen werden.





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