Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten



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Das Gericht ist aber durch seine Entscheidung, die Anklage zuzulassen, nicht auf einen späteren Schuldspruch festgelegt, denn sonst könnte es ja nie zu Freisprüchen kommen.
Mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses beginnt das Hauptverfahren unter der alleinigen Verantwortung des erkennenden Gerichts. Das Hauptverfahren zerfällt gemäß § 234 StPO in zwei Abschnitte:

1.) Die Vorbereitung der Hauptverhandlung mit Terminanberaumung, Ladung der Beteiligten, Herbeischaffung der Beweismittel und even­tuell vorweggenommener Beweiserhebung, z.B. Zeugenvernehmung am Krankenhausbett bei sehr ungünstiger ärztlicher Prognose für den Zeugen, nicht für Leute wie die Gerontia des ehemaligen SED-Re­gimes als Angeklagte.

2.) Die Hauptverhandlung gemäß §§ 226 - 275 StPO als Herzstück des Straf­prozesses. Sie zerfällt in die folgenden Abschnitte:

a) Aufruf zur Sache, Feststellung der Anwesenheit (Angeklagter, ev. mit Verteidiger; Zeugen und Sachverständige als Beweismittel). Nach gemeinsamer Belehrung über ihre Wahrheitspflicht verlassen die Zeugen dann den Sitzungssaal bis zu ihrem Aufruf, damit sie ihre spätere Aussage jedenfalls unbeeinflusst vom Gang der Hauptverhandlung (§§ 243 ff StPO) vorbringen können - und das Gericht sie manchmal der Falschaussage überführen kann. Eine intensive Befragung kann den Puls hochtreiben!

b) Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnis­se. Wer dabei auf die Frage des Richters: "Was machen Sie zurzeit?", nicht seine bis zur Zeit der Verhandlung ausgeübte beruf­li­che Tätigkeit angibt, sondern als Rückfalltäter antwortet: "Ich versuche, möglichst wenig Straftaten zu begehen“, hat hinterher nicht unbedingt einen gnädigen Richter. (Honorar hat dieser Mandant mir nie bezahlt. Aber er hat mich wenigstens mit diesem Bonmot entschädigt, das der Richter gar nicht witzig fand. Der war ziemlich in Brass!)

Bei der Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Ver­hält­nis­se hakt der Verteidiger das erste Mal ein, wenn er in seiner am Schluss der Hauptverhandlung zu haltenden Verteidigungsrede ("Plädoyer") das Schwerge­wicht auf die bei fast allen seiner Mandanten immer als vorhanden behaupteten negativen frühkindlichen Prägungen und auf das schlechte Milieu legen will, aus dem der Angeklagte (angeblich) kommt. Hier werden oft die ersten Krokodilstränen vergos­sen - warum sollte ein Anwalt in diesem Punkte auch allzu zurückhaltend sein? Manchmal ist dieses das einzige Pfund, mit dem er ein bisschen wuchern kann - aber nicht so krebsartig wuchern sollte, dass es für alle Beteiligten (außer ihm) nur noch peinlich ist.

c) Verlesung des "Anklagesatzes" durch den Sitzungsvertreter der StA. (Das braucht nicht der sachbearbeitende Staatsanwalt zu sein, ist es meistens auch nicht. Dann ist der Sitzungsvertreter der StA in der Sache selber gar nicht drin und hat bei Aufruf der Sache von dem zu verhandelnden Sachverhalt meist genau so viel Ahnung, wie die Schöffen, nämlich keine. Und aus seiner kleinen Handakte ergibt sich oft nicht genug. Nur der Vorsitzende, der seine Verhandlung vorbereitete und dazu alle Akten hatte, ist dann über die Details im Bilde.)

Die Verlesung der Anklage ist notwendig, damit der Angeklagte erfährt, was ihm konkret vorgeworfen wird. Wenn er - meist aus Kostengründen - keinen RA eingeschaltet hat, muss er wissen, wegen welchen strafrechtlich relevanten Vorwurfs verhandelt wird, wogegen er sich verteidigen muss.

Für die Rentner und Schüler im Zuhörerraum ist die Verlesung der Anklageschrift die erste Gelegenheit zu erfahren, was an dem Tag »gegeben« wird. Hier taucht(e) in manchen Bundesländern der eventuell viele Seiten lange »Indem-Satz« auf (der hoffentlich irgendwann überall abgeschafft sein wird). Er beinhaltet u.a. die Darstellung und Aufzählung der einschlägigen Tatbestandsmerkmale der herangezogenen Strafnorm/en des StGB oder des jeweiligen Nebenstrafrechts, deren Verletzung geahndet werden soll, und verbindet sie mit dem Wörtchen "indem" mit der manchmal seitenlangen Schilderung des ermittelten und bewerteten Sachverhaltes – und das alles in einem einzigen(!) Satz! Ein richtig gebauter »Indem-Satz« war Hohe Kunst und gleichzeitig Voraussetzung für die Erstellung einer lege artis verfassten Anklageschrift, als ich bei der Staatsanwaltschaft arbeitete. Aber denken Sie bitte zurück an die 2.500 Einzeldelikte aus dem Fall der „Glas-Mafia“, von denen ich mir aber nicht vorstellen kann, dass sie alle einzeln verlesen wurden, obwohl der Anklagevorwurf – jedenfalls im Normalfall – vollständig verlesen und damit dem Angeklagten vollständig zu Gehör gebracht werden muss, damit er die Chance hat, sich zu jedem Vorwurf äußern zu können. Seitenlang sind Sachverhaltsschilderungen z.B. auch in vielfältigen Bandende­likten. Und das alles in einem Satz! Da musste man schon eine gute Deutschnote haben, wenn man Staatsanwalt werden wollte. Es ist eine (brotlose) Kunst, manchmal über 20 Seiten und mehr einen einzigen Satz durchzuhalten. Dementsprechend ermüdend kann für alle Beteiligten und Zuhörer dieser Teil der Hauptverhandlung sein. Aber der Schuldvorwurf muss vollständig vorgetragen werden - gnadenlos. Darum wurde in manchen Bundesländern der ermüdende »Indem-Satz« zu­gunsten eines verständlicheren Satzbaus abgeschafft. Aber Tradi­tionen wiegen schwer im Bereich der Justiz!

Die Verlesung der Anklageschrift ist ein absolutes Muss!

Ein Fall aus der Tagespresse, der diese gesetzliche Anforderung anschauliche illustriert:
Prozeß gegen Boxer geplatzt

Fahren ohne Erlaubnis: Gericht vergaß Anklage zu verlesen

Der Ex-Boxweltmeister im Fliegengewicht A. G. war wegen des Deliktes Fahren ohne Fahrerlaubnis angeklagt. Er war gesehen und angezeigt worden, als er im Februar 2004 wegen Trunkenheit im Verkehr angeklagt gewesen, mit seiner Freundin zu der Verhandlung erschienen war und ihr Auto, ohne auf Grund des vorherigen Verfahrens im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein, eingeparkt hatte.

Mit A. G. saß seine Bekannte Beate K. (39) auf der Anklagebank, weil sie dem Sportler ihr Auto zum Einparken überlassen haben soll.

Ein Fotograf bestätigte als Zeuge, dass er den Boxer damals fotografierte, als der den Wagen einparkte. Der Angeklagte habe zu seiner Begleitung gesagt: "So macht man das." Der Zeuge: "Ich habe gedacht, das ist der Hammer, dass er am Steuer ist."

Das Gericht verurteilte die Halterin des Wagens, Beate K., zu 900 Euro Geldstrafe. Der Prozeß gegen A. G. aber platzte. Grund: Es war vergessen worden, die Anklage auch gegen ihn zu verlesen. Kurz vor den Plädoyers machten Medienvertreter die Staatsanwaltschaft und das Gericht darauf aufmerksam. Der Vorsitzende: Das sei ein "unangenehmer" Fehler. Nun müsse die Sache gegen Grigorian neu verhandelt werden. Das sei aber – so hatte der Richter blitzschnell eine die unangenehme Situation mildernde Begründung nachgeschoben – auch deswegen notwendig, um die Vermögensverhältnisse des Angeklagten weiter aufgeklären zu können. Der Boxer habe angegeben, im Jahr 2003 rund 124 00 Euro verdient, ein Jahr zuvor seien es aber 228 000 Euro gewesen und nun sei der Ex-Star Boxtrainer.

(Nach HH A 28. Juni 2005)
d) Belehrung des Angeklagten über sein generelles Aussageverweige­rungs­recht. Bei Verzicht auf dieses Recht erfolgt die Vernehmung zur Sache selbst. Der Satz: "Herr Vorsitzender, ich bin immer un­schuldig!", wäre dabei aber taktisch nicht sehr geschickt, denn er weckt starke Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Beteuerungen des Angeklagten. Ein solcher Angeklagter erscheint manchen Richtern als noch unglaubwürdiger, als er es einigen von ihnen gemeinhin ist.

Theoretisch dürfen einem Angeklagten noch so handfeste Lügen nicht zu seinem Nachteil gereichen, denn es darf niemandem zugemutet werden, strebsam seine eigene Bestrafung zu fördern. Praktisch aber kann das Gericht wegen der (manchmal nur scheinbaren) "Verstocktheit" des Angeklagten - ein wirklich unschuldiger Angeklag­ter, dem das Gericht aber nicht glaubt, wirkt auf die Richter genauso wie ein faustdicke Lügen auftischender Angeklagter; und im Bereich des Strafrechts passieren oft unwahrscheinliche Sachen, ohne die manche Leute gar nicht vor den Schranken eines Gerichts ständen - zu einem härteren Strafausspruch kommen. Richter sind auch nur Menschen! Ähnliche Erfahrungen muss Ostermeyer gesammelt haben, der bei seinen Kollegen eine Gefahr des "Ganovisierens" ausgemacht hat: Ein Strafrichter hat mit zu vielen Ganoven zu tun und muss sich ständig deren Lügereien anhören, sodass er bald nichts mehr zu glauben bereit sei119: "Der im Prozess streitbare und deshalb für den Richter lästige Ga­nove ist ein in Not befindlicher Mensch, den die Gesellschaft im Stich gelassen und einem erbarmungslosen Apparat ausgeliefert hat, ein Mensch, den der Apparat mit langjährigen Freiheitsstrafen zer­brochen hat oder zerbrechen wird, ... . Die eigentliche Gefahr des Ganovisierens liegt darin, dass sie, einmal zur Gewohnheit gewor­den, auch Angeklagte trifft, die sie in keinem Betracht verdienen, sondern die völlig normal und vielleicht sogar wirklich unschuldig sind; denn leugnen tut nicht nur der Ganove, sondern auch der Un­schuldige."

e) Beweisaufnahme. Es werden Zeugen und Sachverständige gehört, Tatobjekte in Augenschein genommen, Beweismittel beigebracht120 usw. Die Wahrheitsfindung darf aber nur mit den prozessual zulässigen Mitteln in prozessual zulässiger Weise geschehen. Daumenschrauben und andere Zwangsmittel wie bewusst herbeigeführte Übermüdung bei der polizeilichen Vernehmung sind gemäß § 136 a StPO verboten. Das gilt auch für unzulässig erlangte Beweismittel. Sie unterliegen einem Verwertungsverbot. Ein instruktives Beispiel aus den USA:
"Mordbeweis auf Tonband - aber Mörder bleibt frei

Fort Lauderdale - Per Tonband hat in Florida ein Mordopfer sei­nen Mörder überführt - Doch der Täter kann nicht bestraft werden: Die Tonbandaufnahme war illegal!

Der bislang einmalige Fall: In seinem Büro bekam Geschäftsmann Earvin Trimble im Juli 1982 Streit mit seinem Partner Anthony Inciarano. Was Inciarano nicht wusste: Trimble ließ bei allen Unterhaltungen heimlich ein Tonband mitlaufen.

Auf dem Band hört man, wie Trimble von seinem Geschäftspartner angeherrscht wird: ‘Du hast das Geschäft doch gemacht, ja oder nein?' Dann fallen fünf Schüsse. Man hört, wie der Kopf des To­ten auf die Schreibtischplatte schlägt, der Körper dann auf den Teppich plumpst.

Für die beiden Polizisten, die die Leiche und das Band fanden, war der Fall klar. Doch dann kam der Anwalt von Inciarano mit dem Gesetz Nr. 934 des Staates Florida: Ohne Einwilligung des Sprechers darf keine Tonbandaufnahme gemacht oder verwertet wer­den. Voraussetzung: Inciarano musste seine Rechte am Mit­schnitt geltend machen.

So kam es jetzt im Gericht von Fort Lauderdale zu einer para­do­xen Situation: Der Staatsanwalt befragte den Mörder: ‘Ist das Ihre Stimme?' Inciarano: ‘Ja.' Damit war das Band als Be­lastungsmaterial wertlos. Andere Beweisstücke aber hatte der Staatsanwalt nicht - der Geschäftsmann kam frei."


Ein etwas entfernt ähnlicher Fall hat sich in Deutschland ereignet:

Die Strafverfolgungsbehörden klagten seit Jahren darüber, dass Verbrecher sich in eine „Wohnung“, z.B. in der durch die »World-Trade-Building-Bomber« bundesweit bekannt gewordene „Marienstraße“ in der Nähe der Technischen Universität Hamburg-Harburg, zurückziehen und dort unter dem Schutz von Art. 13 I GG: „Die Wohnung ist unverletzlich.“, schwere und schwerste Straftaten planen könnten. Um dieses die Strafverfolgungsbehörden seit einigen Jahren drückende Problem angemessen zu lösen, sind durch Artikel 13 GG Möglichkeiten zum Einsatz von „technische[n] Mittel[n] zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält“ geschaffen worden, „technischen Mitteln“ sprich: »Wanzen«, die grundsätzlich nur nach vorheriger richterlicher Anordnung eingesetzt werden dürfen. Eine Ausnahme besteht bei „Gefahr im Verzug“. Da darf gemäß Art. 13 IV 2, 1. HS. GG die Staatsanwaltschaft die nötigen Anordnungen treffen, hat aber gemäß Art. 13 IV 2, 2. HS. GG die ausstehende „richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen“. Das Ganze firmiert unter dem Stichwort „großer Lauschangriff“. So weit, so gut; die Neufassung des Art. 13 GG wurde teilweise mit erheblichem juristischen Bauchgrimmen vorgenommen: nicht nur, weil die Grundrechte der von den Strafverfolgungsbehörden Belauschten unzulässig eingeschränkt werden könnten – Motto: Wer sich so verhält, dass er den Argwohn erweckt, möglicherweise Straftaten zu begehen, willigt damit automatisch in den Verlust von Grundrechten ein, die die Strafverfolgungsbehörden daran hindern könnten, ihm seine Straftaten nachzuweisen - sondern weil durch einen Lauschangriff zwangsläufig auch das Grundrecht aus Art. 13 GG der an geplanten Verbrechen Unbeteiligten, die sich ebenfalls in einem der Räume der Wohnung aufhalten, verletzt wird. Deshalb skandieren die Gegner eines großen Lauschangriffs: „Man kann den Rechtsstaat nicht schützen, indem man ihn abschafft!“

Auf der Grundlage der vorstehend angeführten Verfassungsänderung des Art. 13 GG wurden dann in einigen Bundesländern Gesetze erlassen, die der Polizei nunmehr weitergehende Lauchmaßnahmen auf gesetzlicher Basis erlauben sollten. Nun neigen Strafverfolgungsbehörden aus beruflichem Jagdinstinkt heraus dazu, Grundrechte im von ihnen gerade noch für zulässig erachteten engen und teilweise von ihnen zu eng gezogenen Rahmen zu beschneiden. Dann müssen die Obergerichte mit ihrer höchstrichterlichen Rechtsprechung und letztlich muss das BVerfG eingreifen und den Grundrechtsschutz wiederherstellen. Bezüglich des großen Lauschangriffs ist das spektakulär 2005 geschehen: Zunächst hatte das BVerfG das zu weit gehende diesbezügliche »Abhörgesetz« Niedersachsens für verfassungswidrig erklärt - und damit gleichzeitig entsprechenden Gesetzen anderer Bundesländer den Boden entzogen. Die Richterkönige hatten im Grundsatz das Abhören von Gesprächen in dem grundgesetzlich geschützten Bereich von „Wohnungen“ zwar erlaubt, wegen der Bedeutung dieses Grundrechts für die private Lebensgestaltung für die Anwendung von Abhörmaßnahmen aber äußerst enge Grenzen gezogen: Nur beim Verdacht des Vorliegens von Schwerstkriminalität solle in Privaträumen ein Abhören erlaubt sein, damit sich Schwerverbrecher nicht einfach in eine Wohnung zurückziehen und dort ihre verbrecherischen Vorhaben ungestört von polizeilichen akustischen Fernaufklärungsmaßnahmen planend besprechen können. Sobald aber in dem Gespräch der Abgehörten private Dinge angesprochen werden, müsste die laufende Abhörmaßnahme unterbrechend abgebrochen werden! Nach einer gewissen Schamfrist dürfe dann wieder verdeckt gelauscht werden, um zu überprüfen, ob noch immer privat parliert oder schon wieder Verbrechen planend Tacheles geredet werde.

Die Polizei hält ein auf solchen einschränkenden Vorgaben basierendes Gesetz für nicht praktikabel, weil es bedeutet, dass immer nur live abgehört werden könne und nicht mittels automatischer Aufzeichnungen. Darum müssten zwangsläufig Übersetzer vor Ort stundenlang in Bereitschaft gehalten werden, und das könne man gar nicht bezahlen. Weil die Aufdeckung von Schwerstkriminalität so nicht möglich sei, laufe der Zweck des »Wohnraumüberwachungsgesetztes« leer. Aber das BVerfG erlaubt keine andere Handhabung des Abhörens von „Wohnungen“. Und letztlich gilt allein der Wille des BVerfGs, wenn beurteilt wird, ob Gesetze grundrechtskonform seien - oder eben nicht; denn nach dem Grundgesetz steht allein dem BVerfG die Gesetzesverwerfungskompetenz zu.

Ein paar Monate später, und damit kommen wir nach diesem für das Verständnis des nachfolgend geschilderten Falles unbedingt erforderlichen Prolog endlich zu dem ähnlichen deutschen Fall, folgte die praktische Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils in Sachen „großer Lauschangriff“ durch den BGH in Strafsachen: Ein mutmaßlicher Mörder, der sich nach einem Arbeitsunfall in einer Reha-Klinik aufgehalten hatte, war durch Maßnahmen der Polizei gezielt verunsichert worden, indem eine Bekannte von ihm nach seiner Aggressivität in der richtigen Annahme befragt worden war, dass sie ihm das brühwarm telefonisch berichten werde. Zuvor hatte die Polizei sein Zimmer in der Reha-Klinik »verwanzt«. Die Maßnahme war ein großer Erfolg: Die Bekannte rief den Verdächtigten nach ihrer Befragung umgehend an, der daraufhin ein Selbst(!)gespräch führte, das von der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Landgericht München als Beweis für die Schuld des Belauschten an der ihm zur Last gelegten Tat gewertet worden war, weil der Verdächtige in einem Selbstgespräch in bayrischem Dialekt laut überlegt hatte: "Sehr aggressiv! Sehr aggressiv! In Kopf hätt' i eam schiaß’n soll’n." Der Mann war daraufhin wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Der BGH hatte zu prüfen gehabt, ob durch das Abhören und Belauschen in einem Krankenzimmer eine Verletzung des privatesten Bereiches in einer durch Art. 13 GG geschützten „Wohnung“ vorliege. Das überprüfte Urteil wurde im Laufe des Revisionsverfahrens, in dem nicht mehr die Tatsachen untersucht werden, sondern nur noch entschieden wird, ob das ergangene Urteil ohne Verletzung materiellen oder formellen Rechts, des Strafrechts also oder des Strafprozessrechts, zustande gekommen ist, vom BGH aufgehoben. Der in seiner Rechtsprechung an sich zur Erweiterung der Strafbarkeitsgrenzen neigende BGH, durch das gerade ergangene »Abhör«-Urteil des BVerfGs eingenordet, in möglicher Missweisung korrigiert und feinjustiert, vertrat die Ansicht, dass ein in einem zum Wohnen vorgesehenen Raum geführtes Selbstgespräch zum absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehöre und darum strafprozessual nicht verwertet werden dürfe. "Auch die Aufklärung eines Mordes rechtfertigt hier keine Ausnahme", erklärte der Vorsitzende Richter. Die Bundesanwaltschaft schloss sich dieser Ansicht an: "Das Selbstgespräch ist das Denken der Seele", sagte ihr Vertreter in Abwandlung eines Platon-Zitats. Darum bestehe ein absolutes Beweisverwertungsverbot für die mitgeschnittene Aufnahme. Quintessenz: Die Gedanken sind frei – selbst wenn sie in einem Selbstgespräch laut geäußert werden; aber eben nur intentional in einem Selbst(!)gespräch geäußerte Gedanken!

Es bestehen bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen gemäß §§ 52 ff StPO eine Reihe von Zeugnisverweigerungsrechten. So besteht z.B. für nähere Verwandte ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen. Ein dieses Verfahrenserfordernis illustrierender Fall:
"Verfahrensfehler - Angeklagter frei

Zeugen nicht über Rechte aufgeklärt

Weil die Polizei schlampig gearbeitet hat, musste gestern das Verfahren gegen einen 51 Jahre alten Rumänen vor dem Amtsgericht Harburg eingestellt werden. Gheorge B., der wegen Vergehens gegen das Ausländergesetz angeklagt war, verließ das Gericht als freier Mann.

Der Grund: Die Vernehmungsbeamten hatten die Zeugen vor dem Verhör von der Polizei nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Verwandte unterrichtet, das ihnen nach § 52 der Strafprozessordnung zusteht. Damit konnten die Zeugenaussagen nicht verwertet werden. Sonst hätte den Angeklagten eine Haftstrafe erwartet. Außerdem hätte er laut Staatsanwaltschaft ‘massive Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde bekommen.'

Am 18. Januar war der 51jährige in Gudow als Fahrer eines Kastenwagens aufgefallen, in dem 31 Menschen eingepfercht waren. Gheorge B. wurde angeklagt, die Menschen über die grüne Grenze von Rumänien nach Deutschland geschmuggelt zu haben. Die Fahrer des Wagens, die Stieftochter und der Stiefsohn, wurden von Polizei und Staatsanwaltschaft in Schwerin vernommen.

Dabei belasteten sie ihren Stiefvater. Sie warfen ihm vor, sie zu der Aktion gezwungen zu haben. Der Angeklagte bestritt die Vorwürfe.

Die Stiefkinder konnten gestern als Zeugen nicht gehört werden, da sie unauffindbar nach Rumänien verschwunden sind. Sie ließen beim Verteidiger eine Erklärung abgeben, in der sie ihre Anschuldigungen zurücknahmen. Sie seien von der Polizei zu der Aussage gezwungen worden.

Um das polizeiliche Vernehmungsprotokoll vor Gericht verwerten zu können, fehlte jedoch das Wichtigste: der Hinweis auf die Belehrung, dass die Stiefkinder nicht als Zeugen aussagen mussten. Trotz der Beteuerungen des Vernehmungsbeamten blieb Richter Udo Brück nichts anderes übrig, als das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft einzustellen."

Für z.B. den bestellten Verteidiger, wie für alle anderen Rechtsanwälte, für Ärzte, Seelsorger und - im Gegensatz zu den USA, die bis wenigstens 2005 nur in einigen Bundesstaaten einzelstaatliche Zeugnisverweigerungsrechte für Journalisten kannten, nicht aber ein nationales Zeugnisverweigerungsrecht – auch für Journalisten besteht ein solches Recht aus be­ruflichen Gründen - das, lange umkämpft, auf Drogenberater ausge­dehnt werden soll -, wenn ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft ein Geheimnis anvertraut worden ist. Berufsgeheimnisträger sind in ihrer Berufstätigkeit darauf angewiesen, dass die Personen, die ihren sachkundigen Rat suchen, sicher sein müssen, dass ihr Berater sie nicht hinterher dem neugierigen Staat verraten muss: Ein katholischer Priester oder evangelischer Pfarrer darf z.B. ohne weiteres schildern, wie es nach seiner Wahrnehmung zu einem Verkehrsunfall oder einem Mord gekommen ist, dessen Augenzeuge er zufällig geworden ist. Nicht aber darf er ein ihm anvertrautes Beichtgeheimnis preisgeben - auch dann nicht, wenn er durch die Beichte den wahren Täter kennt und nur durch sei­ne Aus­sage der Unschuldige vor der sonst unweigerlich drohenden Ver­ur­tei­lung gerettet werden könnte. Darüber wacht nicht nur der Staat, sondern auch die jeweilige Kirche mit ihrem Strafenkatalog. Es gibt immer wieder packende Filme, die diesen Konflikt und die damit verbundenen Gewissensqualen des Priesters eindringlich dar­stellen und dabei auf das Extrem der einem Unschuldigen drohenden Todesstrafe zurückgreifen, weil sich in dieser auf das Extremste zugespitzten Situation der Kon­flikt für den Priester am unausweichlichsten stellt. Solche Drehbücher sind nicht reine Glasperlenspiele. Oft werden Drehbuchautoren zu ihrer im Film zu erzählenden Story durch eine Begebenheit angeregt – die sich immer wieder ereignen kann:
"Mölln: Pfarrer muss schweigen

Die Nordelbische Kirche verweigert Aussagegenehmigung

Im Mordprozeß um die Brandanschläge von Mölln am 22./23. November 1992 (drei Tote) fällt ein Zeuge aus, der vielleicht wichtig gewesen wäre. Einem Gefängnispfarrer verweigert die Nordelbische Kirche die Aussagegenehmigung.

Dem Lübecker Geistlichen sollen die beiden inhaftierten Angeklagten Lars Christiansen (20) und Michael Peters (26) die Tat gestanden haben. Das behauptet die 18 Jahre alte Zeugin Sandra T., die wegen Brandanschlägen auf Asylbewerberheime in Gudow und Kollow zu einer noch nicht rechtskräftigen Haftstrafe verurteilt ist. Der Pfarrer habe aus Gesprächen mit Christiansen und Peters berichtet: ‘Christiansen bereut die Tat, Peters ist sogar noch stolz darauf.'

Wenn das stimmt, wäre das ein eklatanter Vertrauensbruch des Pastors. Seelsorgerische Gespräche von Gefängnispfarrern mit Häftlingen sind immer vertraulich.

Die Nordelbische Kirche teilte denn auch mit, sie habe mit ihrem Pfarrer auch im Hinblick auf disziplinarrechtliche Schritte gesprochen. Die Kirchenleitung begründete die Verweigerung einer Aussagegenehmigung für den inzwischen pensionierten 62 Jahre alten Pfarrer, der heute als Zeuge geladen ist, mit grundsätzlichen Bedenken. Jeder Geistliche müsse über alles, was ihm anvertraut werde, schweigen. Dies gelte besonders für die Seelsorge in Gefängnissen. Würde ein Pfarrer in einem Verfahren ‘je nach Interessenlage als Be- oder Entlastungszeuge auftreten, wäre dies das Ende der Seelsorge'. Die Versagung der Aussagegenehmigung lasse keine Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage der Zeugin zu, betonte das Kirchenamt.

Der Angeklagte Christiansen bestreitet, dem Pfarrer gegenüber die Tat gestanden zu haben. Er hatte ebenso wie Peters den Geistlichen von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden."
Erstaunlich ist darum in diesem Zusammenhang die Meldung aus dem HH A vom 15.06.01 aus dem mehrheitlich katholischen Frankreich, das ja den Regelungen der Kirche gegenüber besonders aufgeschlossen sein müsste:
„Bischof vor Gericht

Sex-Priester nicht verraten

afp Paris – In Frankreich steht erstmals ein Bischof vor Gericht, weil er einen wegen Kindesmissbrauchs geständigen Priester nicht angezeigt hat. Der pädophile Geistliche René Bissey hatte einem Abt seine sexuellen Vergehen mehrfach gebeichtet. Dieser informierte Bischof Pierre Pican (66) von Bayeux (Nordfrankreich). Doch der behielt alles für sich. Jetzt drohen ihm drei Jahre Haft. Unabhängig vom Beichtgeheimnis sind Geistliche in Frankreich verpflichtet, den Missbrauch von Jugendlichen unter 15 Jahren anzuzeigen.“
Eine wirklich erstaunliche Regelung, wenn man bedenkt, über wie viele Jahrhunderte das Beichtgeheimnis als unantastbar galt! Und eine solche Regelung in einem katholisch geprägten Land. Was gäbe es für einen Aufstand der Kirchen, wenn der deutsche Gesetzgeber eine analoge Regelung beschließen wollte, wie sie der vorstehenden Meldung zu entnehmen ist!
Macht ein Familienangehöriger von dem ihm zustehenden Aussagever­weigerungsrecht nicht Gebrauch, worüber er vor seiner möglichen Aussage zu belehren ist, und sagt er aus, dann muss auch er, wie alle anderen Zeugen, die volle Wahrheit sagen, um sich nicht selbst strafbar zu machen. Im Gegensatz zum Angeklagten darf er dann nicht lügen. Über ihm schwebt dann das Damokles-Schwert der §§ 153 falsche uneidliche Aussage und 154 Meineid. Gut zu wissen, dass man sich als (zunächst) aussagewilliger Angehöriger, wenn die Fragen zu peinlich werden und der Entlastungsversuch zum Eigentor zu werden droht, jederzeit wieder auf sein Aussageverweigerungs­recht zurückziehen und von da an den Mund halten kann!

Wem kein Aussageverweigerungs­recht zur Seite steht, der muss aussa­gen, und zwar wahrheitsgemäß! Notfalls muss der Zeuge seine Aussage sogar beeiden, um die Wahrheitsfindung durch eine erhebliche Strafdrohung von Gefängnisstrafe nicht unter einem Jahr (und theoretisch nach oben offen bis zu 15 Jahren) zu ermöglichen. Sagt der Zeuge nicht wahrheitsgemäß aus, droht ihm nach Offenbarwerden seiner Lüge ein Strafverfahren in eigener Sache - günstigstenfalls gemäß § 153 wegen falscher uneidlicher Aussage, was »nur« ein Vergehen ist und mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird (bloße Geldstrafe ausgeschlossen), oder ungünstigstenfalls gemäß § 154 wegen des Verbrechens eines Meineides. Aber auch für diesen Prozess des ehemaligen Zeugen und nunmehrigen Angeklagten gelten die aus Art. 1 GG abgeleiteten prozessualen Schutzbestimmungen, dass z.B. nur prozessual zulässige Beweismittel gegen ihn verwandt werden dürfen, die nicht gegen die Würde des Menschen verstoßen. Ein diesbezüglich ganz instruktiver Fall ist folgender:


Ein Lehrer hatte seinen Job gerne gemacht - das passiert schon mal - und sich einer Schülerin freudevoll gewidmet - mehr, als zu seinen Dienstpflichten gehörte; auch das passiert ab und zu. Als das ruchbar wurde, war er wegen Unzucht mit einer Abhängigen angeklagt worden. Die emotionale Bindung zwischen Schülerin und Lehrer bestand wohl noch unverbrüchlich weiter, denn die als Zeugin geladene Schülerin bestritt unter Eid jede sexuelle Beziehung zu diesem Lehrer. Der Lehrer wurde daraufhin freigesprochen.

Irgendein Staatsanwalt oder Richter glaubte dann wohl, besonders pfiffig zu sein. Als sich unser Rechtsstaat gegen den Willen der Schülerin ihres Tagebuches bemächtigte, wurde offenbar, dass mehr als eine schwärmerische Liebe vorgelegen hatte. Die Schülerin hatte die Stunden des freudevollen Zusammenseins inhaltlich sehr detailliert festgehalten.

Bevor man sich den Lehrer für ein Wiederaufnahmeverfahren greifen konnte, musste der zum Freispruch führende Meineid der Schülerin rechtsstaatlich sauber nachgewiesen werden. Wenn die Schülerin unter dem Druck ihrer eigenen Tagebucheintragungen nicht gestand, musste sie in einem Indizienprozess rechtskräftig verurteilt werden. Sie gestand nicht und wurde in erster Instanz verurteilt - hatte aber gleichwohl einen guten Rechtsanwalt, der dieses Urteil mit Hinweis auf die durch das Vorgehen des Staates verletzten Kernbereiche der Schülerin aus Art. 1 GG, Verstoß gegen ihre Menschenwürde durch Missachtung ihrer Intimsphäre, und Art. 2 I GG, freie Entfaltung der Persönlichkeit, anfocht.

Im Revisionsverfahren hob der BGH das Urteil auf, weil das durch Art. 2 I GG geschützte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit dem unabdingbar dazugehörenden Schutz der Intim­sphäre, zu der der Sexualbereich ganz unbezweifelbar dazugerechnet werden muss, verletzt worden war. Der grundgesetzlich geschützte Lebens- und Geheimbereich sei nicht hinreichend geachtet worden. Das nicht grundrechtlich geschützte Strafverfolgungsinteresse des Staates habe hinter das durch die in diesem Fall unzulässige Beschlagnahme des Tagebuches in seinem Kernbereich verletzte Grundrecht der Schülerin auf private(ste) Lebensgestaltung zurückzutreten (BGH NJW 64/1139).


Man kann sich aber nicht darauf verlassen, dass Tagebucheintragungen für den Staat absolut tabu wären. In einem anderen Fall hat das BVerfG entschieden, dass Tagebücher, die Aufzeichnungen eines Verdächtigen über die Planung bevorstehender oder Berichte über begangene Straftaten enthalten, nicht dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen seien und somit auch gegen den Willen des Beschuldigten verwertet werden dürfen, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung einer der schwersten Straftaten wie Mord leisten.

Doch zurück zu den Zeugnisverweigerungsrechten. Da auch dem/der Verlobten des/der Beschuldigten bislang ein Aussageverweigerungs­recht Recht zu­steht, sind inhaftierte oder andere Zuhälter sehr oft plötzlich mit der Belastungszeugin verlobt. Da knirscht der Staatsanwalt bisher mit den Zähnen, denn seine ganze Ermittlungsarbeit und die mühsam gebaute Anklageschrift, die Arbeit von Tagen, ist plötzlich hin­fällig, wenn sich die von den Freunden des Angeklagten oder ihm selbst unter Druck gesetzte Schöne der Nacht, auf deren Aussage die ganze An­klage aufbaute, sich plötzlich als mit dem Angeklagten verlobt aus­gibt und nun die Aussage verweigert. Dann können auch ihre bis­heri­gen Aussagen nicht mehr verwertet werden - außer, der Staats­anwalt hat die Dame noch vor der Hauptverhandlung von einem Er­mitt­lungs­rich­ter vernehmen lassen. Dann darf der in der Verhand­lung gegen den Angeklagten als Zeuge aussagen, was ihm in seiner dienstlichen Eigenschaft von der nunmehr nicht mehr aussagewilli­gen "Angehörigen" mitgeteilt worden ist. Das fällt – im Gegensatz zu Aussagen vor der Polizei oder einem Staatsanwalt - dann nicht un­ter das Verwertungs­ver­bot. Manchmal versuchen die Mädels, ihren Lu­den, wenn die sich zu rabiat benommen und ihnen z.B. mal wieder ein Veilchen verpasst haben, durch eine Strafan­zei­ge oder sogar eine Aus­sage vor einem Staatsanwalt zu diszipli­nieren. Ein Hamburger Staatsanwalt reagiert darum erst dann, wenn die Dame zu einer Aussage vor dem Ermittlungsrichter bereit ist. Doch die Damen haben nicht nur das »gewisse Extra« als Basis ihres Gschäftserfolges, sondern durch­aus im alltäglich erforderlichen Umfang auch Basis-Rechtskenntnisse: Wenn es so ernst wird, dass es zu einer nicht nur polizeilichen oder staatsanwaltlichen, sondern einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung kommen soll, dann wollen sie oft plötzlich wegen ihres – angeblichen(!) – Verlöbnisses nichts mehr sagen müssen. Diesen Zustand will eine Bundesratsinitiative Hamburgs ändern: Der Senat hat dafür 05 eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte auf den Weg gebracht. Das bedeutet, dass Verlobte in Strafverfahren gegen ihren Partner nicht mehr die Aussage verweigern dürfen. Zur Begründung betonte der Justizsenator, die rechtliche Verankerung des Verlöbnisses im bürgerlichen Gesetzbuch sei überholt. Da Gerichte und Behörden kaum eine Möglichkeit haben, das Bestehen eines Verlöbnisses zu überprüfen, sei damit in der Vergangenheit immer wieder Mißbrauch getrieben worden. So konnten Täter, auch bei schweren Straftaten, immer wieder nicht belangt werden, weil sich Hauptbelastungszeugen auf ein angebliches Verlöbnis beriefen. Der Missbrauch des Verlöbnisses dürfe nicht länger die Arbeit von Staatsanwaltschaft und Gerichten behindern. Die Abschaffung werde die Missbrauchsmöglichkeiten beseitigen und die Strafverfolgung verbessern.

Der sicher nicht mit den Justizschwierigkeiten und den sich daraus ergebenden Erfordernissen einer Großstadt vertraute rechtspolitische Sprecher der GAL-Fraktion kritisierte den Vorstoß - wie bei Politikern leider zu häufig zu beobachten - »dummschwätzerisch«: "Dieses Vorhaben stellt alle verlobten Paare unter den Generalverdacht des Missbrauchs des Verlöbnisses und lässt jene ohne Schutz, die tatsächlich heiraten wollen." Außerdem greife der Entwurf zu kurz, weil er sich nicht an den gesellschaftlichen Realitäten orientiere. Der Justizsenator hätte in seinem Gesetzesentwurf für den Bundesrat "rechtliche Alternativen für alle Lebensformen berücksichtigen müssen" (HH A 02.02.05).

Weil der Entwurf zur Abschaffung des Zeugnisverweigerungsrechts für »Verlobte« wegen der vorgezogenen Neuwahl des Deutschen Bundestages 2005 dem Diskontinuitätsgrundsatz121 zum Opfer gefallen war, wurde er für 2006 wieder aufgegriffen: Auch Verlobte sollen gegeneinander aussagen müssen!

Jetzt muss ein Lude dasjenige seiner »Pferdchen«, das er am liebsten verprügelt, zunächst einmal heiraten!

Jeder Zeuge darf die Aussage auf Fragen verweigern, deren Beant­wor­tung ihn oder einen seiner Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Irgendwann sind dann die letzten Meineide geschworen. (Athena: „Aus Schwüren wird das Recht noch nicht erkannt!“ in Aischylos: Orestie/Die Eumeniden)

Wenn alles bisher Vorgebrachte und Erörterte nicht so recht zur Ver­urteilung reicht, beginnt der Poker zwischen Angeklagtem und sei­nem Verteidiger einerseits und der StA und dem Gericht anderer­seits um eine mögliche Verfahrenseinstellung. Grundlage sind wieder die zuvor schon angesprochenen §§ 153 und 153 a StPO. Der Unterschied: Bei Einstellung nach § 153 StPO hat das Gericht so gut wie nichts in der Hand, und der Angeklagte kommt ungeschröpft davon; bei Einstellung nach § 153 a glaubt das Gericht und droht damit, ein bisschen was in der Hand zu haben, und darum lässt es den Angeklagten ein bisschen bluten.



Im Klartext heißt das: Ist der An­geklagte bereit, einen bestimmten Geldbetrag - Richtwert ist dabei oft die im Falle einer Verur­tei­lung zu erwartende Geldstrafe ohne die Gerichtskosten - für eine gemeinnützige Institution, neuerdings geplant zur Hälfte an eine Organisation der Opferhilfe, zu spenden oder einer bestimmten Anzahl von Arbeitsauflagen nachzukommen, dann sind Gericht und StA im Zu­sammenwirken in leichteren Fällen geneigt, das Verfahren nicht bis zum Äußersten, bis zu einer (Fehl-?)Ver­ur­teilung voranzutreiben. (Vgl. aber Fall 1, wo bei dem Tod des Motorradfahrers von einer geringen Schuld eigentlich nicht mehr gespro­chen werden dürfte.) Davon wird vor­nehmlich kurz vor Weihnachten Gebrauch gemacht, oder wenn das Ge­richt durchblicken lässt, den Un­schuldsbeteuerungen des Angeklagten nicht recht zu glauben, an­de­rerseits aber auch nicht hinreichende Bewei­se für die Schuld des Angeklagten hat, sich jedoch nicht zu der An­wen­dung des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes entschließen mag und nun die Staatsanwaltschaft unter stillschweigender Billigung des Ge­richts - da sind die ein einge­spieltes Team! - mit dem Angeklagten und seinem Rechtsanwalt nach dem Motto zu pokern beginnt: Ein bisschen quälen muss sein, denn der Angeklagte könnte ja auch schul­dig sein. Es wird die Mög­lichkeit einer dro­hen­den Verurteilung mit allen ihren Auswirkungen wie Stra­fe, Ein­tragung ins Zentralregister und der Auferlegung der Ge­richts­kosten betont, andererseits damit ge­lockt, dass der (vielleicht sogar unschul­dige) Angeklag­te, sollte er auf den (in diesem Fall sein Gerechtigkeits­ge­fühl be­leidigenden) Vorschlag eingehen, nicht als bestraft gilt. Auch wenn es nicht so benannt wird: Der § 153 a StPO wird von StA und Gericht in solchen Fällen als vom Gesetz so nicht vorgesehene Möglichkeit einer "hilfsweisen Verurteilung und Bestrafung" virtuos gehand­habt. Da hat die um Straffreiheit ringende Gegenseite ganz schlech­te Karten. Der Ange­klagte hat keine Möglichkeit, der Zwick­mühle zu entkommen und muss nun ganz kaufmännisch kalkulierend abwägen: Ich bin zwar unschuldig, aber was nützt es mir, wenn mir das Gericht nicht glauben sollte, wohin es zu ten­die­ren scheint. (So etwas kann sehr fein aber äußerst wirk­sam angedeutet werden und wird dann von dem Gericht als für­sorgliche Maß­nahme ausgegeben.) Gegen eine Ver­ur­tei­lung würde ich zwar Berufung einlegen (wollen), hätte dort erneut die seelischen Belastungen einer zweiten Hauptverhandlung durchzustehen, und wer weiß, ob mir die nächsthöhere Instanz glauben oder das Verfahren ein­stellen wird. Dann entstän­den mindestens die doppelten Ge­richts- und Rechtsanwaltsko­sten. Das ist mehr als die abgeforderte "freiwillige Spende" und die schon ent­stande­nen Rechtsanwaltskosten jetzt für diesen er­sten Rechtszug: Ab mit Schaden! (Das ist als eine aus mehrjäh­riger Strafverteidigertätig­keit bewusst so formulierte Lebenshilfe gedacht, auch wenn in einem möglichen späteren Verfahren das eingestellte als Beleg dafür angesprochen werden wird, dass die Weste des neuerlich Angeklagten nicht lebenslang weiß geblieben ist.)

Stimmt der Angeklagte zu, kommt oft in die Augen von Richter und Staatsanwalt ein triumphie­rendes Leuchten: Wussten wir's doch! Wir konnten es ihm zwar nicht recht bewei­sen, aber der war doch schul­dig, denn sonst hätte er nicht zuge­stimmt. Angeklagter und Rechts­anwalt ärgern sich die Platze! Sie tröstet dann nur der abkühlende Gedanke der - trotz Unschuld - erfolg­reichen Schadensbegrenzung. Da muss man ganz pragmatisch sein - obwohl es einem das eigene belei­dig­te Gerechtigkeitsempfinden schwer macht, sich mit diesem Aus­gang abzufinden!

Andererseits beginnt der Verteidiger von sich aus dieses eben be­schriebene Pokerspiel und bringt den Gesichtspunkt der Verfah­rens­einstellung gegen eine Bußgeldzahlung dann ins Spiel, wenn der Man­­dant (vermutlich; der ist auch seinem Rechtsanwalt ge­genüber nicht unbedingt ehrlich!) Dreck am Stecken haben könnte, was nicht ganz klar zu beweisen ist, aber im ungünstigsten Fall zu einer Ver­ur­tei­lung führen könnte. Dann sind aber Staatsanwalt und Ge­richt we­sent­lich weniger geneigt, diesen Vorschlag auch nur zu er­örtern, ge­schweige denn, darauf einzugehen. Ihre Überlegung geht da­hin: Wenn der Rechtsanwalt das Verfahren von sich aus über § 153 a StPO abwür­gen will, dann hat sein Mandant etwas zu verbergen. Da müssen wir bei den Zeu­gen noch einmal ein bisschen intensiver nach­fassen. Vielleicht fällt doch noch einer um.

In einstellungsverdächtigen Verfahren geht das Gepoker von Rechts­an­walt und Mandant mit StA und Gericht praktisch nur noch darum, ob gemäß. § 153 StPO (ohne Geldleistung, weil StA und Gericht beson­ders schlechte Karten haben, maximal ein Zehner-Pärchen) oder gemäß § 153 a StPO (gegen teilweise erhebliche Geldleistungen oder Ar­beits­­auflagen, weil StA und Gericht ihre Akten zwar nicht als ein Full-House, aber als ein As-Pär­chen oder einen Siebener-Dreier taxieren) eingestellt werden sollte: Je mehr die StA glaubt, durch die von ihr vorgelegten Beweise eine Ver­ur­teilung wahrscheinlich machen zu können, desto mehr drängt sie in die Richtung des § 153 a StPO. Wenn aber der Angeklagte sei­ne Un­schuld weiterhin beteuert, gibt es auch für seinen Verteidiger keine Veran­las­sung, mal eben "a" zu sagen - und so kann es, weil der Angeklagte (und mit ihm dann sein Verteidiger) sich sperrte, Geld locker zu machen und die Brüc­ke über den § 153 a StPO zu ge­hen, das Gericht seinerseits aber nicht die andere Brücke über den § 153 StPO freimachen wollte, mangels einverständlicher Einstellung schließ­lich doch zu einer Verurtei­lung kommen, weil sich das Gericht in seinem das Verfahren in dieser Instanz damit erst einmal abschließenden Urteil die Sichtweise der StA zu eigen macht und die eigenen Zweifel überwin­det. Es behauptet dann plötzlich - entgegen dem bisherigen Verlauf der Verhandlung -, keine Zweifel mehr zu haben. Bei dem überraschend ein­genommenen Standpunkt "keine Zweifel mehr vorhanden" ist dann kein Platz mehr für die Anwendung des fundamentalen Rechtsgrundsatzes: "Im Zweifel für den Angeklagten!" Ein hilflose Wut verursachendes Ergebnis! Dann ärgert sich der nunmehr Verurteilte sehr - und sein Rechtsanwalt ein bisschen. Nicht nur wenn man vom Rathaus, sondern auch wenn man vom Ge­richt kommt, ist man oft klüger. An dem nunmehr vorliegenden Ergebnis der Verurteilung gemessen wäre es nicht nur finan­ziell klüger gewesen, dem Staatsanwalt mal "a" ge­sagt, sich den ge­forderten Be­trag vom Herzen gerissen und die An­gelegenheit dann möglichst bald verdrängt zu haben. Dann hätte der Verurteilte nicht nur letztlich Geld, sondern auch viele seelische Energien gespart! Angeklagter und Anwalt benötigen manchmal pro­phe­tische Gaben! Denn: "Auf See und vor Gericht ist man nur noch in Gottes (oder des Teufels?) Hand." Darum muss letzt­lich der Angeklagte entscheiden, wie weit er sein Blatt ausreizen will, denn schließlich hat er die Folgen zu tragen.

Was verharmlosend als Pokerpartie um eine mögliche Verfahrenseinstellung en detail erklärt wurde, dieses Handeln und Schachern, wird auch in aufwendigen Strafprozessen praktiziert, wenn die Beweislage zweifelhaft ist. Da bietet dann das Gericht unter Federführung des Vorsitzenden der zuständigen Kammer in einem „Rechtsgespräch“ einen Deal an. Ja, auch Richter dealen: Sie dealen zwar nicht mit Rauschgift, aber mit Jahren. „Wir gehen davon aus, dass bei der Sachlage üblicherweise sechs bis acht Jahre eine schuldangemessene Strafe sind. Wenn sich in einer langwierigen Beweisaufnahme herausstellen sollte, dass die Schuld größer als zunächst angenommen ist, wird der Strafrahmen eher an der oberen Grenze liegen. Sollte aber ihr Mandant gestehen, wird das Gericht die offensichtliche, durch ein umfassendes Geständnis gezeigte Reue strafmildernd zu würdigen wissen und Ihr Mandant bekäme nur vier Jahre.“ Für das Gericht eine durchaus übliche Schwankungsbreite von zwei Jahren nach oben oder unten, für den Angeklagten vier Jahre eingekerkert sein, von denen er üblicherweise zwei Drittel »abzusitzen« hat, – oder das Doppelte. Da kann man sich nicht mehr unbedingt schweren Herzens zu einer „kaufmännischen Betrachtungsweise“ durchringen und in nüchterner Abwägung der Prozessaussichten als Unschuldiger ein die Richter zufriedenstellendes aber sachlich falsches Scheingeständnis ablegen, um zu »nur« vier Jahren Haft verurteilt zu werden und so wesentlich schneller wieder »rauszukommen«. Was auf der Strecke bleibt, ist der unschuldig gestehende Angeklagte, der aber seine Unschuld nicht beweisen kann – was auch gar nicht seine Aufgabe ist(!) - und die Gerechtigkeit!

f) Schlussvorträge ("Plädoyers"). Zunächst fasst der Vertreter der StA das Ergebnis der Hauptverhandlung so zusammen, wie es sich ihm nach seiner Bewertung darstellt. Anschließend tritt ihm der Ver­tei­di­ger mit der Darlegung seiner Sicht der Dinge entgegen. Der Verteidiger darf immer nach dem Staatsanwalt plädieren, damit er eine möglichst große Chance hat, dass seine Ausführungen möglichst lange im Ge­dächt­nis der Richter haften bleiben und nicht durch ausführliche Gegendarstellungen des Staatsanwaltes überdeckt werden. Nicht jeder Strafverteidiger verfügt über die Eloquenz eines Demostenes. Aber ein Verteidiger sollte wenigstens wissen, wovon er redet und in nachvollziehbarer Weise zur Sache sprechen, denn sonst sind seine Ausführungen nur peinlich - wobei man nicht weiß, ob einem Angeklagten die Unerfahrenheit oder Unsachlichkeit seines Strafverteidigers strafmildernd in Rechnung gestellt wird, oder ein verärgerter Richter seinen Unmut auslebt. Würde der Staatsanwalt als Letzter plädieren, müsste er sein Plädoyer manchmal mit den Worten schließen: „Im Vergleich zur Beweisführung des Verteidigers ist der Mäander ein Lineal!“

g) "Dem Angeklagten gebührt das letzte Wort" (§ 258 II letzter Halbsatz StPO). Vom Gesetz gemeint sind die Schlussvorträge vor der Urteilsberatung, denn das wirklich letzte Wort in einer Rechts­sache haben ja die Richter. Das ganze Lügengebäude der Ver­teidigung durch das teilweise bewusst wahrheitswidrige Aufzeigen denkbarer anderer Geschehensabläufe kann bei diesem letzten Wort des Ange­klagten zusammenbrechen, wenn der sich dabei verplappert. Das muss nicht so plump geschehen wie in dem Witzchen, demzufolge der Verteidiger einen Freispruch für seinen Mandanten gefordert hat und der Angeklagte dann zur ihm wichtigen Klarstellung in sei­nem letzten Wort den Vorsitzenden fragt: "Herr Vorsitzender, wenn ich freigesprochen werde, darf ich dann die gestohlene Sache behalten?" Bei dem letzten Wort des Angeklagten haben schon manche Verteidiger ihr Waterloo erlebt! Darum, damit das möglichst nicht geschieht, aus sprachlicher Unbeholfenheit, aus Anspannung, weil es ja schließlich um seinen Kopf geht und weil eigentlich alles Wichtige des Langen und Breiten in der oder den Sitzungen erörtert worden ist, sagt der Angeklagte meist nur den einen Satz: "Ich schließe mich den Ausführungen meines Herrn Verteidigers an."

h) Geheime Beratung und Abstimmung. Dazu ziehen sich die Richter, und zwar ausschließlich(!) die Richter, in das Beratungszimmer zurück. Selbst in der NS-Diktatur wusste man, was sich eigentlich gehört hätte, und schämte sich deshalb ein wenig, wenn man bei unlauteren Praktiken erwischt worden war und der schöne Schein nicht mehr gewahrt werden konnte – was die parteilichen Parteijuristen aber nicht davon abgehalten hatte, weiterhin gegen fundamentale Rechtsstaatsprinzipien zu verstoßen; zukünftig nur halt diskreter:


„Anordnung des Reichsjustizministeriums

In der Öffentlichkeit dürfen keine Mißverständnisse entstehen. Staatsanwaltschaft und Gericht dürfen nicht vor den Augen des Publikums gemeinsam in das Beratungszimmer gehen. Nach Berichten finden immer noch Beratungen zwischen Staatsanwalt und Gericht in einer Form statt, die dem Ansehen der Rechtspflege abträglich sind. In einem Falle hat der Angeklagte vom Flur durch eine offenstehende Tür die Beratung des Gerichts in Anwesenheit seines Staatsanwaltes mitverfolgen können.

15.01.45“ (DIE WELT 15.01.05)
Die Beratungen und Abstimmun­gen der Richter stehen dabei unter dem "Bajazzo-Motto": "Doch wie's da drinnen aussieht, geht niemanden was an." Das Beratungsgeheimnis wird - bis auf die Entscheidungen des BVerfG, zu denen jeder unterlie­gen­de Richter zur Erleichterung der Rechtsfortbildung sein "dissenting vote" veröffentlichen darf - strikt gewahrt.

Es ist gemäß § 263 StPO mindestens eine Zweidrit­tel-Mehr­heit der Richterstimmen für jede dem Angeklagten nachtei­li­ge Ent­scheidung über die Schuld- und gegebenenfalls die Straffrage er­forder­lich, die hin­terher von allen mitgetragen werden muss. Jeder muss dann selbst das mittragen, was er persön­lich gar nicht gewollt, ja vielleicht sogar bewusst zu verhin­dern gesucht hat, bevor er von seinen Mit-Richtern überstimmt wurde. Da drängt sich mir - als Teil meines Schluss­plä­doy­ers in Sachen dieses Buches an meine Leser, die viel­leicht selber einmal das Schöffenamt bekleiden könnten - das etwas anders gemeinte Ringel­­natz-Gedicht auf:


Schenken
Schenke groß oder klein,

aber immer gediegen!

Wenn die Bedachten die Gabe wiegen,

sei dein Gewissen rein.


Schenke herzlich und frei!

Schenke dabei,

was in Dir wohnt

an Meinung, Geschmack und Humor,

sodass die eigene Freude zuvor

Dich reichlich belohnt.


Schenke mit Geist ohne List!

Sei eingedenk,

dass Dein Geschenk

Du selber bist!


i) Urteilsverkündung mit Rechtsmittelbelehrung.
Damit ist das erstinstanzliche Verfahren abgeschlossen.

Für einen jugendlichen Angeklagten war es schlimm, wenn er, weil im Jugendstrafverfahren der Erziehungsgedanke im Vordergrund steht und Jugendstrafvollzug Erziehungsvollzug sein sollte, zu einer Jugendstrafe von unbestimmter Dauer zwischen x und y Jahren verurteilt wurde, damit auf ihn erzieherisch nachhaltig eingewirkt werden konnte, denn es war misslich, wenn der Jungendliche in einer Maßnahme steckte und die abgebrochen werden musste, weil er z.B. bei Strafaussetzung zur Bewährung einer fest terminierten Strafdauer vorzeitig entlassen werden musste. Weil aber im Falle einer Verurteilung auf unbestimmte Dauer das Ende einer Haftstrafe nicht glasklar abzusehen war, machten sich Ohnmachtsgefühle breit, die den perspektivischen Erziehungsgedanken konterkarierten! Darum ist die Möglichkeit der Verhängung einer Jugendstrafe auf unbestimmte Dauer 1990 abgeschafft worden.


An das erstinstanzliche Verfahren kann sich ein Rechtsmittelver­fah­ren vor dem nächsthöheren Gericht anschließen. Welches Gericht im Rechtszug das nächst höhere ist und welche Rechtsmittel zur Ver­fügung stehen, richtet sich danach, welches Gericht in erster Instanz verhandelt hat.

Gegen ein erstinstanzliches amtsgerichtliches Urteil steht sowohl dem Angeklagten wie auch der StA das in Strafsachen gemäß § 314 StPO binnen einer Woche nach Ver­kündung des in Anwesenheit des Angeklagten verkün­deten Urteils beim Gericht des ersten Rechts­zuges einzulegen­de Rechtsmittel der Berufung zu; klar, dass ein Angeklagter nur im Falle einer Verurteilung davon Gebrauch machen wird, wohingegen die StA nach beiden Seiten offen ist: Sie kann sowohl bei Freispruch wie bei Verurteilung des Angeklagten Berufung einlegen, doch letzteres geschieht sehr selten.

In diesem dann beginnenden neuen Tatsachen­verfahren vor einer Kammer des LG wird - falls das Verfahren dort nicht eventuell schon vor einer erneuten Verhandlung eingestellt wird, wofür der Vertei­diger sich bei günstiger Fallkonstellation in seiner binnen einer weiteren Woche anzufertigenden Berufungs­schrift aber wirklich sehr ins Zeug legen und messerscharf argu­men­tieren muss! - dann alles noch einmal auf­ge­rollt, werden alle Zeugen noch einmal gehört. Zum Abschluss des Berufungsverfahrens ergeht ein zweitinstanzliches Urteil.

Eine erneute Tatsachenüberprüfung in einer Berufungsinstanz wird dann nicht gewährt, wenn mindestens das LG die Eingangsinstanz ge­wesen ist - obwohl auch dort schon (zu)viele Fehlurteile gefällt worden sind.

Anlässlich eines Strafprozesses in Mannheim wegen versuchten Totschlages titelte DIE WELT vom 31.05.05:
Jahrelang zu Unrecht hinter Gittern

Experte: Jeder 100. Gefangene befindet sich unschuldig oder zu hart bestraft in Haft - Exemplarischer Strafprozeß in Mannheim


1997 war der Angeklagte schon einmal angeklagt gewesen, versucht zu haben, seine Ehefrau mit einem Schal zu erdrosseln. Dafür war er von einem Schwurgericht in Karlsruhe zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ganz anders sah es jedoch eine Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe, die 2001 über ein Schmerzensgeld für die schwerstbehinderte Ehefrau befinden mußte. Die Zivilrichter hielten die Schuld des Angeklagten für nicht nachweisbar und kritisierten, es sei "in manchen Punkten nicht objektiv ermittelt worden".

Nach Einschätzung des Strafrechtsexperten Helmut Kury sitzt in Deutschland vermutlich etwa jeder 100. Gefangene unschuldig oder auch zu lange - weil zu hart bestraft - hinter Gittern. Kury, Professor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Recht in Freiburg, sieht dafür aber nicht nur die Arbeit der Richter als Ursache. So gebe es auch Ermittler, die sich durch den Druck der Öffentlichkeit vorschnell auf einen vermeintlichen Täter konzentrierten. "Bei manchen tritt dann eine Verfolgermentalität ein", so Kury, "und sie nötigen Verdächtige zu Aussagen, die nicht der Wahrheit entsprechen" (DIE WELT 31.05.05). Fehler könnten aber auch durch die mangelhafte Arbeit der Rechtsanwälte begünstigt werden, seien doch schlechtbezahlte Pflichtverteidiger oft nicht ausreichend eingearbeitet.

Der renommierte Münchner Strafverteidiger Rolf Bossi beanstandet in seinem Buch "Halbgötter in Schwarz - Deutschlands Justiz am Pranger" auch grundsätzliche Fehler im Strafprozeßrecht, die seiner Meinung nach Fehlurteile begünstigten. So sei es unverständlich, dass an Amtsgerichten, wo nach GVG ausschließlich die »kleine Kriminalität« verhandelt wird, über die mündliche Verhandlung detaillierte Protokolle geführt würden. An Landgerichten sei das jedoch nicht der Fall. Dort würde nur "ein formelles Verlaufsprotokoll" geführt, in dem der Wortlaut von Zeugenaussagen keine Rolle spiele. "Die Ergebnisse der Beweisaufnahme", so Bossi, "sind daher einzig und allein in der späteren Urteilsbegründung zu finden." Geschrieben von einem Richter, dessen Ziel "das revisionssichere" Urteil sei - "auch wenn es womöglich ein Fehlurteil ist".

Ein Beispiel dafür könnte das Verfahren gegen den Angeklagten im Mannheimer Strafprozess sein, der beim Bundesgerichtshof Revision beantragte und scheiterte. Die höchsten Richter waren bei ihrem Entscheid, wie vorgeschrieben, von dem Sachverhalt in der Urteilsbegründung des Landgerichts ausgegangen. So war es für den wegen eines versuchten Mordes in einem Strafprozess rechtskräftig Verurteilten ein glücklicher Umstand, dass im davon unabhängigen Zivilverfahren eine neue Beweisaufnahme erfolgte, die nun zum Wiederaufnahmeverfahren des Strafverfahrens vor dem Landgericht Mannheim führte.


In der Bundesrepublik hatten nur allein in Mordsachen schon sechs zunächst endgültig gefällte und revisionssicher abgefasst gewesene Urteile, die die Revisionsüberprüfung durch den BGH auf Rechtsfehler und die Strafmaßhöhe hin - etwas anderes darf und will der BGH nicht überprüfen - überstanden hatten, durch ein nach Vorbringen neuer Tatsachen äußerst mühselig erzwunge­nes Wiederaufnahmeverfahren nach teil­weise 16 Jah­ren ver­büßter Haft revidiert werden müssen, die dann mit Frei­sprüchen endeten. Wie schön für den unrechtmäßig Verur­teilten nach einem vielleicht nur deswegen zerbrochenen Leben, weil sich über dem LG als Eingangsinstanz "nur der blaue Himmel wölbt" und keine Berufungsinstanz mehr zugelassen ist! Aber spä­testens seit Luther wissen wir: "Auch Konzilien können irren!" Wie sollte es auch anders sein: Nach Aussage seines ehemaligen Präsi­denten Zeidler irrt auch das BVerfG - wieso sollte das dann bei LG, OLG und BGH ausgeschlossen sein? Nur weil 5 Richter zu Gericht sa­ßen? Beim BVerfG sind es sogar 8!

Ein solches ohne Berufungsmöglichkeit ergangenes, revisionssicher abgefasstes Urteil kann von der Wertung des abzuurteilenden Le­bens­sach­verhaltes her noch so falsch sein, es bleibt trotzdem beste­hen, wenn kein Wiederaufnahmegrund für die Durchführung eines Wie­deraufnahmeverfahrens - wie in dem bekannten Fall des doppelten Kindsmordes Weimar/Böttcher oder dem in "Rechtskunde - Einführung in das Recht der Bundesrepublik Deutschland" nä­her dargestellten Fall Holger G. - anerkannt wird, oder die Re­vi­sionsrichter keinen Revisionsgrund finden, der es ihnen ermög­licht, ein (nur) nach ihrem Gefühl falsches Urteil wegen eines Gesetzesverstoßes aufzuheben.


Wer sich nach einer eventuellen Berufung noch immer nicht mit dem neuen Urteilsspruch zufrieden gibt - erinnert sei an den grundgesetzgläubigen, hartnäckigen Rechts­anwalt in Sachen "Bluttransfusions-Fall" -, oder wessen Ver­fahren erst auf der Ebene des LG (Große Strafkammer und Schwurge­richt) oder OLG begann, der kann versu­chen, gemäß § 341 StPO auch wieder binnen ei­ner Woche nach Verkündung des Urteils das ihm durch und im Rahmen des § 333 StPO eröffnete Rechtsmittel der Revi­sion einzulegen, wenn ihm einer der in § 338 StPO geregelten „absoluten“ Revisionsgründe oder auch nur ein allgemeiner „relativer“ Revisionsgrund zur Seite steht. Das Rechtsmittel der Revision eröffnet keine neue Tatsacheninstanz, in der z.B. wieder Zeugen gehört würden und u.U. der Tatort erneut begangen würde, um zu sehen, wo und wie die Leiche verscharrt worden war. Es ist eine Instanz, in der nur noch geprüft wird, ob die jeweils angewandten Paragraphen des materiel­len (Normen des StGB und der Nebenstrafrechte) oder des formellen Strafrechts (StPO und JGG) bei Ermittlung und Verhandlungsfüh­rung nicht verletzt worden sind, nicht gegen Denk- und Sprachgesetze und auch nicht gegen Erfahrungssätze verstoßen wurde und die Höhe des Strafmaßes schuldangemessen ist. Dabei ist § 358 II StPO mit seinem Verbot der "reformatio in peius" wichtig, die erstens für den Fall, dass ausschließlich die Verteidigung für den Angeklagten das Revisionsverfahren betrieben hat, eine »Verböserung« im Strafmaß ausschließt: Ein Angeklagter soll sich nicht durch die Wahrnehmung ihm zustehender Rechtsmittel letztlich »ins eigene Knie geschossen« haben. War die StA mit dem Urteil zufrieden, soll der Angeklagte nicht weiter drangsaliert werden, als wenn er keine Revision hätte einlegen lassen. Gleiches gilt zweitens auch für den Fall, dass die StA ihrerseits zu Gunsten des Angeklagten das Revisionsverfahren betrieben hatte.

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