Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten



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V Formelles Strafrecht der StPO



1. Einführung

Richter zu dem angeklagten Kommunarden Fritz Teufel: "Stehen Sie auf!" Der die äußeren Formen und die Zeremonien des Staates bewusst ablehnende, aber sich nun gezwungenermaßen widerwillig erhebende Teufel flapsig: "Wenn es der Wahrheitsfindung dient."


"Der Strafprozess soll Gewißheit schaffen. Er zielt auf Wahrheit durch Aufklärung der Tat und auf Gerechtigkeit durch Festsetzung der Strafe. Dabei gibt er sich feierlich, erfindet die so genannte Würde des Gerichts: was das mit der Wahrheit und Gerechtigkeit zu tun hat? ... Jener Richter, der milde Strafen für die Straftat aber strenge Ordnungsstrafen für das Sitzenbleiben verhängt, ent­larvt den wahren Zweck der Feierlichkeit: sie ist ein Trick, um Unterwerfung und Unterwürfigkeit zu erzwingen. In vielen Studen­ten­prozessen ging es nicht mehr um die Tat, sondern nur noch da­rum, ob der Angeklagte zum Aufstehen zu bringen war.

Die Feierlichkeit verschleiert die wahre Natur des Strafprozesses: Die allmächtige Gesellschaft erteilt sich selbst die Erlaubnis, ih­ren Rachedurst am Angeklagten zu stillen. Denn das Strafverfah­ren ist eine Jagd auf den Täter, und das Urteil ist der Todes­schuss. Viele jagen einen, und damit die Jagd spannender wird, hal­ten sich die Jäger an selbst auferlegte Regeln, die ihnen ver­bie­ten zu schießen, bevor sie den Gejagten in eine bestimmte Po­sition manövriert haben - das erhöht den Nervenkitzel ... . Die Be­diener der Gerechtigkeitsmaschine wissen nicht, was das Endpro­dukt ist: der zerbrochene Mensch. ... Die Verantwortlichen wissen nicht, was sie anrich­ten, und wenn sie es ahnen, ziehen sie sich auf das Recht zurück, auf die Verteidigung der Rechtsordnung, wie man Un­ver­nunft und Unmenschlichkeit umschreibt."111

Dieses harsche Urteil, das sich in seinen letzten Sätzen vermut­lich auf die Verhängung langjähriger Freiheitsstrafen bezieht und sich im Ansatz mit der zu Anfang dieses Buches aus Stefan Zweigs Novelle zitier­ten Ansicht deckt, stammt von einem Insider - darum ist es ja so besonders bedrückend - dem langjährigen Strafrichter Ostermeyer, der in seinem lesens- und bedenkenswerten Buch "Straf­unrecht" mit heißem Herzen und (zu) spitzer Feder gegen die von ihm als solche ausgemach­ten Missstände im Strafjustizwesen zu Felde zieht und sich auch nicht scheut, überzogene und damit angreifbare Formu­lie­rungen zu verwenden, um die Leser, hauptsächlich aber seine Kolle­gen, aufzu­rütteln und zum Nachdenken anzuregen. (Das ist aber schon dem großen Rechtslehrer der Weimarer Zeit Gustav Radbruch mit seinem Wort: „Ein guter Jurist kann nur der werden, der mit einem schlechten Gewissen Jurist ist“, nicht gelungen.)

Besonders bedrüc­kend empfin­det Ostermeyer die von zahlreichen Kritikern des Justizwesens be­hauptete Mentalität vieler seiner Kollegen, über die ein anderer Autor ur­teilte, dass der deutsche Richter typischer- und unglückli­cher­weise die erforderliche empirisch-kritische Gesinnung durch einen pedan­tischen Glauben an die Autorität des Staates ersetze.112 Solche verallgemeinernden Behauptungen lassen im Leser ein bäng­li­ches Gefühl und zunächst noch ungläubi­ges Staunen zurück.



Bäng­lich zu Mute kann einem bei solchen Aussichten werden, weil niemand davor gefeit ist, ein­mal selber als Angeklagter vor seinem für diesen Fall schon jetzt feststehenden gesetzlichen Richter erscheinen zu müssen. Sie können ihn sich anlässlich eines Besuches beim z.B. Amtsgericht schon jetzt ansehen, da wirkt er ganz harmlos. Das kann sich aber schnell ändern: Man braucht bloß als Autofahrer einmal nur eine entscheidende Sekunde in einem "Augenblicksversagen" nicht mit der manchmal er­for­derlichen höchsten Konzen­tra­tion am Straßenverkehrs­geschehen teil­genommen und dadurch einen Verkehrsunfall mit Perso­nenschaden verursacht zu haben, schon lernen Sie ihn dienstlich kennen. Da wirkt er dann wesentlich unangenehmer!
Zunächst ungläubig ist man ob der vorstehend zitierten Richterschelte, weil es doch gar nicht sein kann, dass "die Strafrichter" angeblich typischerweise mit einer eine gerechte Ur­teils­fin­dung hindernden Mentalität ihre Aufgabe wahrnehmen würden, da es einfach nicht sein darf, dass sie nicht wissen oder wahrhaben wollen, was sie tun; zur Beruhigung: die Formulierungen sind nach meinem Dafürhalten überzogen, es gibt »so'ne und so'ne«. Es macht aber (wenigstens mich) nachdenklich, dass ein Richter am OLG Frankfurt Reportern gegen­über das Statement abgab, er sei sich völlig sicher, in seinem Berufsleben noch nie ein Fehlurteil gefällt zu haben. So mögen auch andere Richter denken, ohne es offen auszusprechen. Gott schütze uns vor solchen Richtern!
Nachdenklich stimmt auch, wenn z.B. ein Angeklagter, der einer »Bord­stein­schwalbe« des Autostrichs nach nicht vollzogenem (?;strittig) Werkvertrag die vorher vereinbarten, vielleicht noch gar nicht ge­zahlten (?;str.) DM 50,- (€ 25,-) (angeblich) gewaltsam wieder abge­nommen haben soll (str.; der Angeklagte behauptete durchaus glaub­würdig einen Racheakt der Prostituierten, weil er nach Ankunft auf dem nächtlich einsam gelegenen Bahnhofsparkplatz wegen inzwischen auf­ge­­tre­tener Meinungsverschiedenheiten die Vertragsabwicklung nicht mehr gewollt, darum die bisher nur vereinbarte Zah­lung verweigert habe, und die Gunstgewerblerin deshalb von dort oh­ne Einnahme nächtens zu Fuß zu ihrem Standplatz hat­te zurücklaufen müssen) in einem Prozess vor einer Großen Strafkammer, gegen deren Urteil es - aus rechtsstaat­li­chen Gründen: leider - keine Beru­fung gibt, zu sechs Jahren Frei­heits­strafe verurteilt worden ist, wegen eines Formfehlers in der Ver­handlungsführung mit der Revision teil­weise durchdringt und in ei­ner neu­en Verhandlung vor einer anderen Gro­ßen Strafkammer des­sel­ben LG nunmehr zu drei Jahren Freiheitsstra­fe verurteilt wurde. Ist es "gerecht", wenn bei dem gleichen zu verhandelnden Delikt nach der zufälligen Zusammensetzung einer Straf­kam­mer ein Ange­klag­ter eine doppelt so hohe Strafe zudiktiert erhält wie von einer anderen Kam­mer? (Oder war der Verteidigerkollege im zweiten Durchgang nur doppelt so gut wie ich? Denkbar wär's ja. Nicht nur zwischen Rich­tern, auch bei Anwälten gibt es - wie in jeder Be­rufs­gruppe - gra­vieren­de Qualitätsunterschiede!)

Auch der Angeklagte will Gerech­tigkeit - nicht nur die Gesell­schaft. Für ihn ist letztlich nicht entscheidend, wofür sondern wozu er verurteilt wird.

Mit welcher Mentalität urteilten im vorstehend geschilderten Fall die drei Berufsrichter und die zwei Schöffen der zunächst mit der Sache befassten Kammer? Wussten sie, was sie dem Angeklagten anta­ten? (Der Vor­sitzende der zu­nächst zuständigen Kammer - so stand anlässlich sei­ner bald darauf eingetretenen Pensio­nie­rung in einer örtlichen Zeitung geschrieben - führ­te seine Ver­handlungen immer nach dem Motto: "Wenn es am Ende nicht zu einer Verurteilung reichen soll­te, dann soll sich der Angeklagte wenig­stens unangenehm an die Verhandlung erinnern!") Man stelle sich vor, dem Vorsitzen­den der zunächst zu­ständigen Großen Strafkammer wäre der Formfeh­ler nicht unterlau­fen: Wie viele Tage und Nächte mehr Ver­­zweiflung wären dem möglicherweise unschuldigen Ange­klagten auferlegt wor­den! (Komme mir keiner mit der Rechnung: 3 x 365; das kann ich selber ausrechnen; auch zwei Drittel davon. Das eben war ein "!" und kein "?".)

Dem von Ostermeyer erkannten - und auch von anderen erlebten und be­schriebenen - Missstand sei das von ihm als für eine Strafrichtertä­tigkeit un­ab­dingbar erachtete Anforderungsprofil gegenüberge­stellt:


"Der Richter urteilt über die Schuld des Angeklagten und die Höhe der Strafe; zwei Aufgaben, eine so schwer wie die andere. Um schuldig zu sprechen, braucht er einen klaren Blick für Tatsachen und Zusammenhänge, er braucht Kenntnis des Wertes von Beweismit­teln, Kombinationsgabe und konstruktive Phantasie. Um die Strafe zuzumessen, braucht er ein rechtes Gefühl für die Schwere der Tat, für das Ausmaß ihrer Sozialwidrigkeit, für den Grad der Verant­wort­lichkeit des Täters und für seine Strafempfindlichkeit. ... Der Richter muss rational leidenschaftslos und nüchtern, aber ana­ly­tisch durchdringend urteilen und argumentieren: dazu bedarf es eines tiefen Verstehens gesellschaftlicher und seelischer Wirklichkeiten, des Nachfühlens außergewöhnlicher Schicksale, ... . Es bedarf innerer und äußerer Unabhängigkeit ebenso wie der Mensch­lich­keit, des kühlen Kopfes wie des heißen Herzens für den Ange­klag­ten, aber auch für sein Opfer. Es bedarf der Aufgeschlossen­heit für alle Perspektiven ebenso wie der Unbeirrbarkeit und Über­zeugungstreue gegen Meinungszwänge und Einflüsterungen der Bequem­lichkeit oder des Ressentiments. ... Die Eignung zum Strafrichter ... wird im Examen sowieso nicht geprüft, die Behauptung des Ge­gen­teils ist eine Lebenslüge des Justizapparates. ... Es kümmert sie [die Strafrichter; d. Verf.] auch wenig, was dem Angeklagten in der Strafanstalt widerfährt, daran verschwenden sie keinen Gedanken, aber sie sparen nicht mit Vorwürfen, wenn er als Rückfälliger vor ihnen steht. ... Ohne Übertreibung lässt sich sagen: die zivil­recht­lich geprägte Ausbildung versäumt es nicht nur, die straf­richterliche Eignung zu fördern, sie erstickt sie geradezu. ... Das Richteramt verlangt den Mut, mit der Person für die Entschei­dung einzustehen und die ungeteilte Verantwortung zu tragen. ... Der Richter darf sein Gewissen nicht entlasten, er kann gar nicht gewissenhaft genug sein, er muss sein Urteil auf sein Gewissen neh­men. Er darf sich nicht dem Staat verpflichtet fühlen, sondern dem Menschen. ... Das Gewissen orientiert sich an Gerechtigkeit und Menschlichkeit, und diese zielen auf die Achtung der Menschenwür­de. ... Würde ist Ver­hinderung der Unwürde. Jeder Zwang, jede Ge­walt, an denen der Mensch nicht zu wachsen vermag, sondern zu zer­brechen droht, sind unwürdig. Unwürdig ist die Bestrafung, wenn sie einen Triumph über den Schwachen bedeutet und seinen Lebens­wil­len brechen soll. Würdig ist eine Strafrechtspflege, die den Tä­ter als Menschen achtet und die ihm hilft, sich zu finden."113 Das geht in die Richtung des Wortes von Albert Camus: „Gerechtigkeit ohne Gnade ist nicht viel mehr als Unmenschlichkeit.“ Doch am besten kaufen Sie sich das Buch selbst, wenn Sie an Bedenkenswertem zu unserem Strafrecht interessiert sind, es lohnt sich! Ostermeyer erhielt nach dieser zornigen Abrechnung mit unserem Strafjustizwesen eine Professur.
Und damit Ostermeyers Formulierung wenigstens durch einen berichteten Fall sich um »das Recht« mühender Richter relativiert wird, die Zeitungsnotiz:
"Keine Haftstrafe für gestohlene Milchschnitte

Köln – Der Diebstahl einer Milchschnitte darf keine Freiheitsstrafe nach sich ziehen. Ein solches Urteil ist nicht verhältnismäßig und damit rechtswidrig. Mit dieser Begründung hob das Oberlandesgericht Stuttgart eine Entscheidung des Landgerichts Ravensburg auf, das einen vorbestraften Dieb zu einem Monat Gefängnis verurteilte, weil er eine im Laden verzehrte 26-Cent-Milchschnitte nicht bezahlt hatte.

Die Stuttgarter Richter: 'Weder der Gedanke, weiteren Straftaten vorzubeugen noch die Verteidigung des Rechtsstaates rechtfertigen eine so harte Strafe' (Az.: Ss 138/02). (ddp)"

(HH A 09.11.02)

Das durch die StPO geregelte Strafverfahren bezweckt die Feststel­lung und (möglichst) gerechte Ahndung strafbarer Handlungen in ei­nem vom Prinzip her rechtsstaatlich möglichst fairen Prozess. Muss es da nicht bänglich stimmen, wenn Ostermeyer als Insider berich­tet:

"Die deutschen Richter haben die letzte Strafprozessnovelle schlicht »Verbrecherschutzgesetz« getauft, ein Strafrichter (Middendorf), nennt in seinem Buch »Der Strafrichter« die Strafprozessordnung eine »Zwangsjacke«".114
Das Strafprozessrecht ist ein Instrument, das einem um seine Unbe­scholtenheit oder Freiheit fightenden Angeklagten gegenüber sensi­bel gehandhabt werden muss. An dieser erforderlichen Sensibilität scheinen es eine ganze Reihe von Strafrichtern aus Gründen der Men­talität oder der Berufsroutine fehlen zu lassen. Wie das Skal­pell eines Arztes in der Hand eines Könners heilsam eingesetzt werden kann, in der Hand eines Nachlässigen aber verheerenden Schaden anzurichten in der Lage ist, so kann die Handhabung u.a. des formellen Strafrechts mit den ihm immanenten Machtmitteln sowohl eine faire Prozessführung und Urteilsfindung ermöglichen, als auch das krasse Gegenteil bewirken.
Nachdem so zunächst - hoffentlich - das Problembewusstsein bezüg­lich des gefährlichen Werkzeugs StPO geweckt worden ist, soll nach­folgend kurz der grundsätzliche Gang eines Strafverfahrens skizziert und anschließend etwas näher erläutert werden. Auf Fein­heiten und mögliche Ausnahmen in abgekürzten Verfahren wird dabei nicht eingegangen. Es soll nur das Grundgerüst verdeutlicht werden, denn der Schwerpunkt dieses Buches ist die Einführung in das materielle Straf­recht des StGB, nicht in das formelle Straf(verfahrens)recht der StPO oder gar in das Strafvollzugsgesetz. Die in diesem letzten Kapitel vorzunehmende Inselbildung soll nur der besseren Orientierung und Abrundung dienen, um den Ablauf eines Strafprozesses besser verstehen zu können, in dem der von der Anklagevertretung erhobene Schuldvorwurf dann nach den gesetzlichen Bestimmungen des StGB und der StPO auf seine Tatbestandsmäßigkeit hin untersucht wird.


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