Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten


Juristisches Abkürzungsverzeichnis



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Juristisches Abkürzungsverzeichnis

a.F. = alter Fassung

Abs. = Absatz

AG = Amtsgericht

Art. = Artikel

AT = Allgemeiner Teil des StGB

Az. = Aktenzeichen

BGH = Bundesgerichtshof (in Zivil- und in Strafsachen)

BGHSt = Entscheidungssammlung des BGH in Strafsachen

BT = Besonderer Teil des StGB

BtMG = Betäubungsmittelgesetz

BVerfG = Bundesverfassungsgericht

BVerfGG = Bundesverfassungsgerichtsgesetz

E = Entschuldigungsgründe

FL = Fahrlässigkeit

GG = Grundgesetz

GVG = Gerichtsverfassungsgesetz

JGG = Jugendgerichtsgesetz

JR = Juristische Rundschau (juristische Zeitschrift)

LG = Landgericht

NJW = Neue Juristische Wochenschrift (renommierteste juristische Fachzeitschrift)

n.F. = neuer Fassung

Nr. = Nummer

OLG = Oberlandesgericht

OWiG = Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

RF = Rechtfertigung

RG = Reichsgericht (Vorläufer des BGH in Leipzig)

RGSt = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

Rn. = Randnummer

StA = Staatsanwaltschaft

STB = Schuldtatbestand

StGB = Strafgesetzbuch

StPO = Strafprozessordnung

StVG = Straßenverkehrsgesetz

StVO = Straßenverkehrsordnung

UTB = Unrechtstatbestand

VS = Vorsätzlichkeit

WaffenG = Waffengesetz

WStG = Wehrstrafgesetz

Ziff. = Ziffer



I Überlegungen zum Sinn des Strafens




1. Staatliches Strafen in Altertum, Mittelalter und Neuzeit

Das »Recht« - wenn es diesen Namen des »Richtigen« verdient und nicht kodifiziertes, von den mächtigsten Interessensgruppen einer Gemeinschaft gesetztes Unrecht ist, wie es z.B. die NS-Rassengesetzgebung und viele von den Nazis geschaffene Strafbestimmungen waren -, insbesondere das Strafrecht, hat als zentrale Aufgabe die Schaffung des Bewusstseins über das in einer Gesellschaft Erlaubte und die Sicherung des Rechtsfriedens zur Ermöglichung eines relativ gedeihlichen Zusammenlebens der einzelnen Mitglieder des jeweiligen soziologischen Verbandes zum Ziel. Ohne ein Minimum an Regeln ist kein für alle erträgliches Zusammenleben möglich - weder im Überlebenskampf, noch im Spiel des „homo ludens“. Die Notwendigkeit verbindlicher Regeln stellen selbst die Outlaws fest, wenn sie sich - unerreichbar für ihren bisherigen Staat - dessen Einfluss und Regeln, gegen die sie teilweise durch Mord und Totschlag selber gröblichst verstoßen hatten, durch Flucht in eine staatsfreie Exklave entzogen haben. Dann stellen sie in ihrer neuen Gemeinschaft wesentlich härtere Regeln auf, als sie vom Staat zu akzeptieren bereit gewesen waren.


Robinson brauchte keine Regeln, so lange er alleine lebte, nur Vorsichtsmaßnahmen. Aber als Freitag mit ihm zusammenzuleben begann, mussten Regeln aufgestellt werden, denn eine soziale Ordnung ohne eine irgendwie geartete »rechtliche« Ordnung gibt es nicht – und wenn es die Willkür des Stärkeren ist, die brachial durchgesetzt wird.
Aus diesem Grund der Regelungsbedürftigkeit des menschlichen (und selbst des in Rudeln oder Herden stattfindenden tierischen) Zusammenlebens hat der Staat in einem Jahrtausende währenden gesellschaftlichen Entwicklungsprozess die Regeln des Zusammenlebens seiner Bürger durch von ihm gesetztes Recht definiert, das von Staat zu Staat völlig unterschiedlich ausfallen kann und in der Geschichte der Staaten auch immer wieder an die neuen Zeitläufte angepasst, manchmal auch radikal geändert worden ist.

Im Vordergrund stand dabei immer das Strafrecht, das zunächst von dem Geschädigten selbst oder, wenn er getötet worden war, seiner Sippe in Eigenregie wahrgenommen werden musste. In vielen Gesellschaften war es Sache der durch eine Straftat geschädigten Großfamilie, sich Genugtuung für die erlittene Unbill zu verschaffen. Die Strafverfolgung war darum ausschließlich Sache der Familie des Geschädigten. So entstand Blutrache mit ihrem Teufelskreis der Rache-Tötungen, was dazu führte, dass Gegenden schließlich ohne Männer mehr waren; und sind: Die Sendung im Sender Phönix vom 05.12.04: „Ehrensache Mord. Blutrache – Liebe und Tod in Anatolien.“ zeigte auf, dass Blutrache auch in heutiger Zeit trotz bestehenden Verbots noch exzessiv ausgeübt wird, der Staat manchmal nur noch hilflos agiert. Der Bericht hatte die Umgebung von Ceverec(?) als Hintergrund und die dort praktizierte Blutrache zum Thema, vor der das Gewaltmonopol des türkischen Staates bisher kapitulieren musste. Im SO der Türkei beschränke sich der Staat weitgehend nur noch darauf, die Folgen der Blutrache zu verwalten; aber seine Bürger könne der Staat nicht vor der Blutrache schützen! Niemand sei dort der Herr über das eigene Leben. Die Gruppen- oder Familienehre stelle ihre unerbittlichen tödlichen Anforderungen an die Clan-Mitglieder. Die gelebte archaische Vorstellung wurde in dem Satz zusammengefasst: „Du bist kein Mann, wenn du nicht an die Gerechtigkeit aus dem eigenen Gewehrlauf glaubst!“ Die Männer dort hätten nur eines im Kopf: Selbstjustiz und Rache; auch wenn Blutrache nicht ins Bild der modernen Türkei passt! Für ihre Familien sind die Mörder Helden! Vor nicht allzu langer Zeit gab es in dieser Gegend rund 350 aus Blutrachegründen Ermordete pro Jahr, fast jeden Tag einen Ermordeten! Jetzt ist es – u.a. mangels Männer - etwas abgeflaut, sodass »nur noch« wöchentlich ein Ehrenmord passiert. Es wurde von einem Dorf berichtet, in dem im Streit zwischen zwei Familien um eine Grundstücksgrenze in den letzten 21 Jahren 17 Männer nach den Gesetzen der Blutrache getötet worden sind. So kommt es, dass in dem Ort nur noch „ein Mann und 42 Waisenkinder leben“ – wobei der Interviewte die zurückgelassenen Frauen, die nachts mit Gewehren bewaffnet ihre Häuser sichern, für nicht erwähnenswert hielt. Alle anderen Männer außer ihm seien getötet worden - oder vor der Blutrache geflohen.

Diese Selbstjustiz der Geschädigten konnte darum kein wie auch immer gearteter und verfasster »Staat« auf die Dauer hinnehmen. Sprichwörtlich geworden sind die um 624 v. Chr. unternommenen diesbezüglichen Bemühungen des Atheners Drakon mit seinen „drakonischen Strafen“. Drakon wollte wegen der mit der jeweiligen Rachehandlung des Einzelnen oder seiner Sippe - insbesondere der Blutrache - verbundenen negativen Auswirkungen den Strafanspruch von dem überlebenden Geschädigten oder der Sippe des Getöteten in die Hand »des Staates« überleiten. Strafe durch die öffentliche Gewalt des Staates sollte so u.a. symbolisieren, dass die Gesellschaft für das Opfer Partei ergreift. Drakon hat - über die Kodifizierung des Gewohnheitsrechtes hinaus - versucht, die bis dahin nach ergangenem Urteil als Strafvollstreckung üblicherweise geübte Blutrache der Geschlechter, die nur Verwandten bis zu einem eingeschränkten Verwandtschaftsgrad rechtmäßigerweise zustand, durch eine staatliche Strafverfolgung und Strafvollstreckung zu ersetzen. Das war an sich ein positiver Ansatz. Sollten aber die Geschlechter zu einem Verzicht auf die ihnen ihrem Rechtsbewusstsein nach zustehende Blutrache bewogen werden, das Rachebedürfnis einzelner Geschädigter und der Vergeltungsanspruch in einen Strafanspruch und eine Strafvollstreckung der Gemeinschaft umgewandelt werden, so mussten die durch die Tat geschädigten Überlebenden die Gewissheit haben, dass die Gesellschaft den jeweils als Schuldigen Angesehenen erbarmungslos abstrafen würde: Das erklärt die später sprichwörtlich gewordenen harten »drakonischen Strafen«, die von Drakon festgesetzt worden waren. Wer seinem Feind etwas Übleres als Blutrache gönnen wollte, sollte bestrebt sein, ihn der staatlichen Strafvollstreckung auszuliefern. Um den Aufbau eines staatlichen Strafvollstreckungsmonopols in die Wege zu leiten, musste Drakon die staatliche Strafverfolgung und Strafvollstreckung für die Rachegefühle der Hinterbliebenen attraktiv gestalten. So kam es, dass im Volk die Meinung entstand, Drakons Gesetze seien „mit Blut geschrieben“ worden. Darum sind sie dann auch von Solon abgemildert wurden.

Drakons Gesetze waren aber noch sehr milde im Vergleich zu den in den Hexenprozessen6 gegen wehrlose Frauen angewandten gesetzlichen Bestimmungen des "Hexenhammers", mit denen mit den niederträchtigsten und unmenschlichsten Foltermethoden unschuldigen Frauen (und auch - in allerdings geringerer Anzahl - Männern) die unsinnigsten »Geständnisse« abgenötigt wurden: Sie seien auf ihrem Besen zum Bocksberg geritten und hätten dort dem Teufel zunächst den Hinterngeküsst und dann "Beilager" mit ihm abgehalten.

Wir Heutigen leben in Deutschland und den anderen Staaten, die sich demselben abendländisch-kulturellen Wertesystem u.a. der Menschenrechte verpflichtet fühlen, in staatsbürgerlicher Freiheit. In vielen anderen Staaten gibt es noch (z.B. in Indien durch Zinsknechtschaft, vereinzelt in Saudi-Arabien) verschleierte oder (z.B. im Sudan) offene Sklaverei.

Das christlich-abendländisch geprägte Recht, insbesondere das Strafrecht, ist ein völlig anderes als z.B. das islamisch geprägte mit seinen Körper- und Verstümmelungs-, den von unserer kulturellen Tradition inzwischen geächteten Hudud-Strafen. Recht, insbesondere das Strafrecht, ist und bleibt kulturabhängig, und jede Kultur hat das ihr eigene Wertesystem!

Ferner hat der moderne Staat, neben der Setzung von Regeln durch »Recht« und der Festlegung eines bestimmten Reaktionsrahmens auf einen bestimmten Regelverstoß, das Gewaltmonopol an sich gezogen und dem Opfer eines Regelverstoßes oder dessen Angehörigen einen Racheverzicht auferlegt. Das über viele Jahrhunderte geübte »Faust-Recht« - man musste es ja mit der Waffe in der möglichst gepanzerten Faust meist selber suchen - und die Selbstjustiz werden nicht mehr geduldet, sind strafbar.
„Lynchjustiz

ap Halberstadt – Offenbar aus Rache ist ein mutmaßlicher Kinderschänder in Halberstadt (bei Magdeburg) von zwei Nachbarn erschlagen worden. Opfer Rolf B. (42) hatte eine Neunjährige in seine Wohnung gelockt, wollte sie vergewaltigen. Das Mädchen konnte fliehen, erzählte alles ihrem Vater. Der ging mit einem Freund zu dem Mann, schlug ihn zusammen. Als die Polizei kam, war Rolf B. bereits tot.“


Die Sicherung des Rechtsfriedens zur Ermöglichung eines relativ gedeihlichen Zusammenlebens gilt für alle Bereiche des Rechts als zentrale Aufgabe, besonders aber für den des Strafrechts: Das Strafrecht ist des Staates schärfstes Schwert zur Erzwingung von Rechtsfrieden – oder, in Diktaturen, von angstvollem Kadavergehorsam.

In dem Bereich des Strafrechts schlägt die in Hunderttausenden von Jahren des Überlebenskampfes geprägte atavistische menschliche Natur am tiefgreifendsten durch, wenn sie nicht mehr durch Erziehung und ständige Selbstkontrolle gezähmt und auf diese Art und Weise ausreichend domestiziert worden ist.

Aufgabe des Strafrechts ist es, dem Einzelnen zu ermöglichen, „in einer Welt zu überleben, die voller Teufel ist“ (Sack). Schon den Römern wurde die Ansicht:
"Homo homini lupus!" ("Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf."),
in den Mund gelegt7 - und man tat damit den Wölfen und ihrem vorbildlichen Sozialverhalten innerhalb ihres Rudels bitter Unrecht! Die delektieren sich nicht z.B. an der Marterung ihresgleichen durch Folter und Kriegsgräuel8, fraßen nicht gewohnheitsmäßig Gruppenmitglieder, weder aus kulinarischen Gründen, noch als Erscheinungsart des strafenden/juridischen/Gerichts-/Justiz­kannibalismus9, der in verschiedenen Gegenden der Welt praktiziert wurde: Wer sich zu sehr gegen die Gemeinschaftsverbote vergangen hatte, konnte dazu verurteilt werden, dass die über ihn richtende Gruppe sein Blut trank und ihn verspeiste. Wer durch kannibalische Rechtsprechung zum Verspeisen verurteilt wurde, verlor seine Individualität völlig, als zweittiefste Schande wurde er wie ein Schwein zubereitet, am »Strafvollzug« des Verzehrens beteiligte sich die gesamte Gruppe, in manchen Gegenden musste die Verwandtschaft zur besseren Bekömmlichkeit Salz und Zitronen als Speisegewürz stellen, eventuell sogar mitessen; ganz »schlimme« Verbrecher wurden nur zubereitet, dann aber für zu unwürdig befunden, von der Gruppe, deren Normen verletzt worden waren, eines Bissens gewürdigt zu werden.

Wir halten fest: Homo homini peior quam lupus! Der Mensch ist dem Menschen schlimmer als ein Wolf!


Die in diesem Sinnspruch zum Ausdruck kommenden atavi­sti­schen Instinkte des gefährlichsten Raubtieres auf der Welt, des Menschen, der - wie insbesondere wir Deutschen nach der NS-Zeit erinnern sollten - zu jeder Niedertracht und zu jedem Verbrechen fähig ist, müssen domestiziert werden, damit das Leben in einer Gemeinschaft erträglich ist und nicht dass Wort des Dichters Friedrich Rückert zutrifft: „Der Teufel hat die Welt verlassen, weil er weiß, die Menschen machen selbst die Höll’ sich heiß.“ Allerdings bezweifle ich den ersten Teil seiner Aussage: Das Böse ist noch immer in der Welt – denn es ist in »uns«; anders sind z.B. die NS-Vernichtungslager, die „killing fields“ der Khmeer, der Mord der Serben an den Bosniaken 1995 in Srebrenica als blutigstes Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, der Hutus an den Tutsis in Uganda und Ruanda, … nicht zu erklären!

Nicht mehr erträglich ist das Leben, wenn insbesondere die Großkriminalität innerhalb einer Gesellschaft überhand nimmt. Russland ist hierfür ein wohl auch noch längere Zeit tagesaktuelles anschauliches Beispiel in Europa.


1993 er­eignete/n sich in Deutschland an bekannt gewordener Kriminalität als grober Näherungswert u.a.

- weniger als jede Minute ein quer durch alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen verübter Ladendiebstahl durch unerwünschte Kunden oder eigenes Personal, von dem pro Jahr bei einer zehnmal so hohen Dunkelziffer nur etwa 500.000 Tatverdächtige ermittelt werden, von denen 350.000-450.000 bis dahin noch nicht polizeilich aufgefallen waren und als »Neutäter« in die Kriminalstatistik eingehen

- jede Minute ein Fahrraddiebstahl; oft ist es ein vorgetäuschter Versicherungsbetrug zur Finanzierung eines neuen Fahrrades, weil die Diebstahlsanzeige Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Versicherung ist

- jede Minute zwölf Straftaten

- alle 2 Minuten eine Körperverletzung

- alle 2 Minuten ein Wohnungseinbruch

- alle 3 Minuten ein Kfz-Diebstahl

- alle 4 Minuten ein Rauschgiftdelikt

- alle 4 Minuten ein Delikt der Gewaltkriminalität

- alle 6 Minuten ein Taschendiebstahl

- alle 9 Minuten ein Raubüberfall

- alle 12 Minuten ein Sexualdelikt

- alle 22 Minuten ein (oft von Feuerwehrleuten gelegtes) Brandstiftungsdelikt

- jede Stunde ein Brandstiftungsdelikt durch Kinderhand

- in jeder Stunde 718 Straftaten

- alle 1 ½ Stunden eine Vergewaltigung

- alle 3 Stunden ein Tötungsdelikt, davon

- alle 8 Stunden ein Mord

(wobei von pessimistischen Gerichtsmedizinern geschätzt wird, dass überhaupt nur jeder dritte Mord als ein solcher erkannt werde; optimistische Schätzungen gehen dahin, dass jeder zweite Mord als Mord erkannt werde, von denen dann über 90 % aufgeklärt werden).
Die Gesamtanzahl der Delikte ist – mit einigen Verschiebungen hin zu mehr Gewaltkriminalität, insbesondere zu mehr gefährlichen und schweren Körperverletzungen (120.000 angezeigte Delikte), zu mehr schweren sexuellen Nötigungen und Vergewaltigungen (8.600 angezeigte Delikte), mehr Sachbeschädigungen an Kfz (271.000 Fälle), einem Rückgang der Kfz-Diebstähle auf ein Drittel der Delikte von 1993 (2002: 70.600) und gegenüber 1993 fast einer Halbierung der Zahl der Wohnungseinbrüche (130.000) - auch heute noch näherungsweise gültig.
1993 waren in der eine Bevölkerung von 82 Mill. umfassenden Bundesrepublik 6.750.613 Straftaten begangen worden, 1995 nach einem leichten Absinken 6.668.717 und 2002 waren es 6.510.000; das entspricht 17.835 Straftaten täglich. 2003 wies die polizeiliche Kriminalstatistik 6,57 Mill. registrierte Straftaten aus; davon 204.124 Fälle von Gewaltdelikten, eine Zunahme von 3,4 %. Über die Hälfte der registrierten Straftaten machen Eigentumsdelikte aus.

Nur gerade rund 44 % der 1993 registrierten gut mehr als sechseinhalb Millionen Straftaten wurden aufgeklärt; 2003 waren es 53,1 %. Dabei fällt die Aufklärungsquote bei den einzelnen Delikten sehr unterschiedlich aus: Bei z.B. den Raubdelikten lag sie 1998 nur bei rund 50 %, bei den einfachen Diebstahlsdelikten bei ca. 30 % und beim schweren Diebstahl bei annähernd 15 %.

2004 waren 6,6 Mill. Straftaten registriert worden, 2005 waren es knapp 6,4 Mill. und 2006 nur noch 6,3 Mill.; eine kontinuierliche Abnahme in der Anzahl, die aber nicht gleichmäßig auf alle Delikte verteilt ist: Körperverletzungsdelikte, insbesondere auf Grund ihres teilweise noch recht rudimentär entwickelten Affektmanagements insbesondere von Jugendlichen verübt, nahmen zu.

Aber längst nicht alle Straftaten werden registriert: Die Dunkelziffern sind – je nach Delikt verschieden – unterschiedlich hoch und können von den Kriminologen und Viktimologen nur annähernd geschätzt werden. Sogar Mord und Totschlag, die Delikte mit der höchsten Aufklärungsquote von über 90 %, haben eine Dunkelziffer, die auf das drei- bis sechsfache der registrierten Tötungsdelikte geschätzt wird!

Es werden rund 720.000 Menschen jährlich zu Strafen verurteilt, rund 60.000 von ihnen müssen eine Haftstrafe antreten. Mit 96 Männern und Frauen pro 100.000 der Wohnbevölkerung im Knast wird Deutschland in der EU nur noch von Spanien, Großbritannien und Portugal übertroffen; dabei sind die rund 5.000 Straftäter, die als Maßregel der Sicherung und Besserung in psychiatrischen Kliniken oder Erziehungsanstalten, und nicht in Strafhaft sitzen, in diese Berechnung gar nicht mit einbezogen.

Zur relativen(!) Beruhigung: Die Aufklärungsrate bei den - bekannt gewordenen10! - Tötungsdelikten liegt mit meistens weit über 90 % (2001 = 94,1 %) am höchsten, die bei Wohnungseinbruch mit 18,7 % und schwerem Diebstahl mit 14,0 % am geringsten. Zu diesen Zahlen hinzu kommt noch die nach Deliktsart sehr unterschiedlich hohe Dunkelziffer.

Dieses alles berücksichtigend mitgedacht lag die Häufigkeitszahl - die auf 100.000 Einwohner entfallende Zahl der gemeldeten (und nicht die der wirklich passierten) Fälle – für das Jahr 02 bei 7.893 für das gesamte Bundesgebiet. Dabei ist die regionale Verteilung sehr unterschiedlich - wobei es natürlich unfair wäre, Stadtstaaten mit Kiez und Hafen mit Flächenländern direkt zu vergleichen, denn auch in Bayern ist die Kriminalitätsbelastung in den größeren und großen Städten höher als auf dem Land um einen Einödhof herum, und so spielt der prozentuale Anteil der städtischen Bevölkerung eines Bundeslandes eine (mit-)entscheidende Rolle. Trotzdem als kleiner Tipp für die Wohn­ortwahl die Zahlen von 1993 und 2003:
1.) Bayern 5.690 1.) Baden-Württemberg 5.456

2.) Rheinland-Pfalz 6.085 2.) Bayern 5.709

3.) Baden-Württemberg 6.103 3.) Thüringen 6.917

4.) Saarland 6.276 4.) Saarland 7.011

5.) Thüringen 6.322 5.) Rheinland-Pfalz 7.091

6.) Sachsen 7.639 6.) Niedersachsen 7.438

7.) Nordrhein-Westfalen 7.791 7.) Hessen 7.462

8.) Hessen 8.348 8.) Sachsen 8.114

9.) Niedersachsen 8.580 9.) Nordrhein-Westfalen 8.287

10.) Schleswig-Holstein 10.153 10.) Sachsen-Anhalt 8.992

11.) Sachsen-Anhalt 10.801 11.) Schleswig-Holstein 9.348

12.) Brandenburg 12.901 12.) Brandenburg 9.515

13.) Mecklenburg-Vorpommern 13.794 13.) Mecklenburg-Vorpommern 10.762

14.) Bremen 16.111 14.) Bremen 14.361

15.) Berlin 16.325 15.) Hamburg 15.698

16.) Hamburg 16.841 16.) Berlin 16.622

Mittelwert Deutschland 7.963

Es wurden 1993 rund 2 Millionen tatverdächtige Straftäter ermittelt. 88.276 davon waren unter 14 Jahre alt, 207.944 Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre), 208.040 Heranwachsende (18 bis unter 21 Jahre) und 1.547.515 Erwachsene. Von 1994 bis 1999 verdreifachte sich dann die Gefangenenrate der 14-18-Jährigen, die der 18-25-Jährigen verdoppelte sich. Bei den 14-18-Jährigen betrug die Strafgefangenenrate 1999 knapp 36 auf 100.000 Gleichaltrige bei den 18-25-Jährigen fast 190 der Altersgruppe. Die Gewaltdelikte - insbesondere von jugendlichen Tätern - nahmen kontinuierlich zu!


Die Zahlen zeigen: Kriminalität ist nicht mehr nur alltäglich, sie ist allminütlich und ziemlich allgegenwärtig - auch in uns selbst. Die Gruppe „Münchner Freiheit“ hat recht: „Das Böse lauert hier und überall“ - und die meisten von uns sind auch schon irgendwann ein bisschen Teil davon gewesen, denn wir haben alle unsere dunklen Seiten, und wer hätte nicht selber schon einmal ... . „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein ...“ (Johannes 8/7). Doch wer gegen ein staatliches Gebot verstoßen hat, der ist dadurch noch nicht gleich zu einem „Verbrecher“ geworden, wie die Hamburger Bischöfin Jepsen es sieht und am 02.11.98 in der Kolumne einer Tageszeitung zum Schlechtesten gab. „Bei Rot über die Ampel zu gehen, ist keine Sünde, aber ein winziges Verbrechen.“ Bischöfin, bleib‘ bei deinem Krummstab! Die Bischöfin teilt zwar die von Augustinus überlieferte Ansicht: „Daraus, dass jedes Verbrechen eine Sünde ist, folgt noch nicht, dass jede Sünde ein Verbrechen ist“, schießt aber durch ihre - zumindest sprachliche - Abqualifizierung ihres »Nächsten« als „Verbrecher“, wenn der bei Rot die Straße überquert, mit Kanonen auf Spatzen!

Die Straf­ju­ri­sten sehen das zum Glück anders als die (zu) rigide urteilende Bischöfin. Man sollte auch im All­tags­sprach­ge­brauch zwischen jemandem, der ein Ge- oder Verbot übertritt, ohne - wie z.B. in den Parteispendenfällen - dabei Kriminalunrecht zu begehen (weil das Fehlverhalten - zum Glück für die Täter - noch nicht strafbedroht war), einem Kleinkriminellen und einem Verbrecher unterscheiden, oder in den beiden letzteren Fällen vielleicht besser nur von einem Straftäter sprechen.


Bei einer solchen Kriminalitätsbelastungssachlage, wie sie durch die vorstehende Aufstellung offensichtlich wird, kann - im Gegensatz zu z.B. mancher Inuit-Gesellschaft - auf ein ausgefeiltes »effektives« Strafrecht nicht verzichtet werden. Die menschliche (kleine und große) Bosheit erzwingt staatliches Handeln in dem Kernbereich der Ordnung unseres Zusammenlebens! Aber was ist konkret dafür erforderlich, dass das Strafrecht auch »greift«? Es kann einerseits nicht von dem puren Vergeltungsgrundsatz: "Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde!" (2. Moses Exodus 21/24) des ius oder poena talionis (= Vergeltungsstrafrecht11) geprägt sein - wie ihn z.B. einige us-amerikanische Richter aus ihrem möglicherweise alttestamentarischen Bibelverständnis heraus in abgemilderter Form manchmal noch anzuwenden pflegen
„Augenklappe

ap Orlando – Zu einem Jahr Haft wurde ein Jugendlicher (15) in Orlando (Florida/USA) verurteilt. Während dieser Zeit muss er auf Anordnung des Gerichts eine Augenklappe tragen. Die deutsche Touristin Andrea Hartmann (30) war infolge seines Steinwurfs auf ihr Auto teilweise erblindet.“


URTEIL WEGEN TIERQUÄLEREI

US-Richter lässt Frau im Wald aussetzen

Wie du deinen Tieren, so ich dir, dachte sich Richter Michael Cicconetti in Ohio. Gegen eine Frau, die ihre Kätzchen ausgesetzt hatte, verhängte er eine ungewöhnliche Strafe: Die 25-Jährige muss eine Nacht allein, ohne Wasser, Nahrung und Taschenlampe im Wald verbringen.

Washington - Michelle Murray aus Painesville hatte 33 junge Katzen ausgesetzt, nach eigenen Angaben wegen eines Umzugs und persönlicher Probleme, berichtete der US-Fernsehsender ABC. Es ist jedoch nicht das erste ungewöhnliche Urteil, das Richter Cicconetti verhängt hat. Einen Mann, der sein Autoradio zu laut aufgedreht hatte, schickte er ebenfalls in die Wälder, um den Vorteil von Stille zu verstehen. Einen anderen Mann, der einen Polizisten als Schwein beschimpft hat, ließ Cicconetti neben einem lebenden Schwein an einer Straßenecke stehen. …

SPIEGEL ONLINE 18.11.05
und wie seine Anwendung bei uns einem gerade strafmündig gewordenen Kind gegenüber undenkbar ist. Außerdem sind nach zwar unbiblischem, aber alltäglichem Verständnis auf jeden Fall Beulen kein „dauernder Schaden“. Andererseits kann das Strafrecht aber auch nicht aus Gründen größtmöglicher Humanität nur aus Milde bestehen. Milde kann im Bereich des Strafrechts nur selektiv zur Anwendung kommen, Humanität sollte dagegen immer durchgreifen. Ein diesbezüglich weises chinesisches Sprichwort lautet: „Wer Gesetze schafft, muss streng, wer Gesetze handhabt, milde sein.“ Das sollten nicht nur Richter,
11jährige wegen Steinwurfs angeklagt

Fresno – Eine Elfjährige soll in Fresno (US-Staat Kalifornien) vor Gericht gestellt werden, weil sie einen Stein auf einen Jungen (9) geworfen hatte. Der Vorwurf der Richter: Angriff mit einer tödlichen Waffe.

BamS 17.07.05


sondern auch us-amerikanische Polizisten sich zu Herzen nehmen:
Polizisten führen Fünfjährige in Handschellen ab

USA


Polizeibeamte in Florida haben ein fünfjähriges Mädchen nach "unpassendem Benehmen" in Handschellen abgeführt. Der Nachrichtensender CNN zeigte ein Video, das der Anwalt der Mutter veröffentlicht hatte. Dem Mädchen seien die Handschellen in einer Grundschule angelegt worden, nachdem es Papier vom Schwarzen Brett gerissen und einen Lehrer in einer Vorschul-Klasse geboxt habe. Das Video zeige, wie sich das Kind beruhige, bevor ihm drei Polizeibeamte Handschellen anlegten. Erst dann habe es sich gewehrt. Die Kamera war für eine Übung zur Verbesserung der Klassendisziplin eingesetzt worden. AFP

DIE WELT 25. April 2005


Betreff: Only In America

In den USA sorgt mal wieder eine drastische Polizeimaßnahme gegen ein Kind für Aufsehen. Weil sich eine Fünfjährige im Kindergarten nicht benehmen wollte, rief die Kindergärtnerin kurzerhand die Polizei. Vier Cops nahmen das Mädchen schließlich mit - in Handschellen. (AP)

Auf einem Überwachungsvideo ist zu sehen, wie die Fünfjährige Notizzettel vom Schwarzen Brett zerreißt, auf einem Tisch umherspringt und eine Kindergärtnerin boxt. Schließlich treten vier Polizisten auf. Drei von ihnen drücken dem schreienden Mädchen die Arme auf den Rücken und legen Handschellen an.

Ähnliche Vorfälle hatte es in den Vereinigten Staaten schon mehrfach gegeben. Ein Neunjähriger aus Ocala in Florida kam Anfang des Jahres ins Gefängnis, weil er ein Bild gemalt hatte, das nach Ansicht seines Lehrers zeigte, wie er gemeinsam mit einem Klassenkameraden einen Mitschüler mit einem Schwert bedrohe. Auch er wurde mit Handschellen abgeführt.

Weltweit für Aufsehen hatte 1999 der Fall des 11-jährigen Raoul gesorgt, der in Ketten aus seinem Elternhaus abgeholt und für ein halbes Jahr von den Behörden verwahrt worden war, weil eine Nachbarin hatte behauptet, er habe seine kleine Schwester sexuell missbraucht. Nach Angaben der Familie hatte Raoul seiner kleinen Schwester nur beim Pinkeln helfen wollen. Die Eltern waren nach der Verhaftung ihres Sohnes mit ihren drei anderen Kindern in die Schweiz geflüchtet. Der kleine Raoul konnte ein halbes Jahr später, nachdem das Verfahren gegen ihn eingestellt worden war, nachkommen.

Auch manche Eltern in den USA sehen Handschellen als geeignete Erziehungsmaßnahme für ihre Kinder an und setzen die Polizei diesbezüglich ein:


WEIHNACHTSWAHNSINN

Zu früh gespielt - Mutter lässt Sohn in Handschellen abführen

Sie war es leid und griff hart durch: Weil ihr Sohn schon jetzt mit einem seiner Weihnachtsgeschenke gespielt hat, ließ eine Mutter im US-Bundesstaat South Carolina den Sprössling verhaften. Die Ordnungshüter rückten umgehend an und transportierten den Zwölfjährigen in Handschellen ab.

SPIEGEL ONLINE 06.12.06


Der Junge hatte den Angaben seiner Mutter zufolge vor Wehnachten das Haus seiner Urgroßmutter durchwühlt und dabei sein Weihnachtsgeschenk, einen Gameboy, entdeckt. Er nahm das Gerät aus seinem Versteck und spielte damit - zum Ärger seiner Mutter. Die alarmierte die Polizei und ließ den Junior wegen minder schweren Diebstahls festnehmen. Die Beamten legten dem Jungen Handschellen an und nahmen ihn mit aufs Revier.

Die Mutter hatte ihrem ihr zu ungebärdigen, hyperaktiven Sprössling, bei dem die Medikamente bis dahin nicht angeschlagen waren, einen Schuss vor den Bug setzen wollen. Die überforderte Mutter wollte außerdem erreichen, dass ihr Sohn einen Platz in einem Erziehungsprogramm bekomme.

Bezüglich der geforderten Milde der Richter/innen kann ich für mich feststellen, dass mir eine – wegen ihrer jeweiligen Urteile durch Medieninteresse bundesweit bekannt gewordenen – „Mutter Gnädig“ aus Verden wesentlich sympathischer ist als der „Richter Gnadenlos“ aus Hamburg (wo es allerdings auch einen „Richter Straflos“ gab, der allerdings im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit tätig war; aber selbst da ist die ihm seinen Spitznamen eingetragen habende überpointierte Haltung unangebracht, denn ohne Strafe lässt sich auch in dem Bereich der Jugendkriminalität insbesondere Schwerkriminalität nicht bekämpfen). Mit Goethe („Der Gott und die Bajadere“) lässt sich sagen: Soll ein Richter „strafen oder schonen, muss er Menschen menschlich sehen“.

Bezüglich der geforderten Strenge der Gesetze können wir feststellen, dass nach einem Jahrtausende währenden Lernprozess, in dessen Verlauf auch bei »uns« zunächst grausamst gestraft worden war, im Zuge der allgemeinen Säkularisierung unseres Lebens in unserem Kulturkreis z.B. die Körperstrafen abgeschafft wurden, die der Islam als u.a. verstümmelnde Hudud-Strafen aus religiösen Gründen heute und als religiös gegründetes Recht auch in Zukunft noch beibehalten zu müssen glaubt:


„Auge um Auge

rtr Dubai – Ein saudi-arabisches Gericht hat einem Ägypter das linke Auge herausoperieren lassen, weil er einem Landsmann mit einem Säureanschlag die Sehkraft des linken Auges genommen hatte. In Saudi-Arabien gilt das islamische Recht der Scharia.“ (HH A 16.08.00)


Auf jeden Fall wurde, wie wir sehen können, selbst unter der Geltung der Scharia die Strafvergeltung so weit humanisiert, und der Staat als Inhaber der Strafgewalt stellt sich damit nicht mehr so auf die genau gleiche Stufe wie der Rechtsbrecher, dass dem Delinquenten nicht auch verätzende Säure ins Gesicht geschüttet wurde, was ja meistens zusätzlich noch angrenzende Gesichtspartien schädigt, und es wurde ihm auch nicht mehr ein – möglicherweise vorher glühend gemachter – Dolch ins Auge gestoßen.

Die Gegenüberstellung der beiden Zeitungsmeldungen zeigt sehr schön die Humanisierung der Strafvergeltung vom „jus talionis“, dem reinen Vergeltungsstrafrecht, wie es uns als eine der ersten Überlieferungen auf der vor rund 3.700 Jahren geschaffenen Stele des babylonischen Königs Hammurabi (1728-1686 v.Chr.) erhalten geblieben ist,


Auszug:

(§ 196) Wenn ein Bürger ein Auge eines (anderen) Bürgers zerstört, so soll man ihm ein Auge zerstören.

(§ 197) Wenn er einen Knochen eines Bürgers bricht, so soll man ihm einen Knochen brechen.

(§ 229) Wenn ein Baumeister einem Bürger ein Haus baut, aber seine Arbeit nicht auf solide Weise ausführt, sodass das Haus ... einstürzt und er den Tod des Eigentümers des Hauses herbeiführt, so wird dieser Baumeister getötet.

(§ 230) Wenn er den Tod eines Sohnes des Eigentümers des Hauses herbeiführt, so soll man einen Sohn dieses Baumeisters töten.
über das von manchen amerikanischen Gerichten ab und zu angewandte Mittelding zu der in Europa praktizierten Form.

Wie sollte sich ohne ein effektives Strafrecht sonst die Gesellschaft z.B. vor schweren Serienstraftätern schützen, wenn sie solche Täter nicht als ultima ratio, als letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik, in Sicherungsverwahrung nehmen könnte? „Es ist besser, Deiche zu bauen, als darauf zu hoffen, dass die Flut allmählich Vernunft annimmt“ (Erich Kästner). „Wegschließen, und zwar für immer“, wie es der ehemalige Rechtsanwalt Schröder als Bundeskanzler für Sexualstraftäter forderte, die Kinder missbraucht und dann getötet haben.

Aber ist es andererseits human, einen Straftäter, der für eine bestimmte Straftat, die nicht an Leib oder Leben eines Mitmenschen gegangen ist, eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe zu erwarten hat, bei wiederholter Begehung wegen erwiesener Straf­unempfindlichkeit für sein ferneres Leben in Sicherungsverwahrung zu nehmen, wie es mit rund 300 Personen gemacht wird? Humanität und Strafrecht ergänzen sich nicht zwangsläufig gegenseitig; sie bilden stets auszubalancierende Gegensätze!
Die Rechtsordnung erschöpft sich mit rund 85.000 Gesetzen, Verordnungen, Satzungen und Verwaltungsvorschriften mit ungezählten Paragraphen und Artikeln bei weitem nicht im Strafrecht, aber insbesondere das jeweilige Strafrecht dient der Durchsetzung der in der jeweiligen normsetzenden Gesellschaft als unverzichtbar angesehenen Verhaltensweisen. Damit das Strafrecht nicht als zu einschnürende Zwangsjacke empfunden wird, kann es nicht alles regeln, was als anstößig erachtet werden könnte. Das erreicht in manchen Fällen dann, das Strafrecht ergänzend oder sogar übertreffend, die soziale Ächtung, so z.B. die aus Scham verübte Selbsttötung12 eines ostdeutschen Bundestagsabgeordneten, als drei Fälle einer von ihm in jungen Jahren kurzfristig ausgeübten IM-Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst „Stasi“ herausgekommen waren. Für diese (bei ihm wohl wirkliche) Jugendsünde in einem totalitären Spitzelstaat wäre er nicht bestraft worden, aber die soziale Ächtung, mit der er nicht leben zu können meinte, schien ihm - außer der Selbsttötung - keinen Ausweg zu lassen. Und etwas weniger dramatisch: Ein Mann hatte im Juli 2005, lange vor Ausbruch des die islamische Welt Anfang 2006 in Aufruhr versetzenden Streits um Mohammed-Karikaturen, einzelne Blätter Toilettenpapier mit dem Stempel "Koran, der heilige Qur'än" versehen und an Moscheen, Fernsehsender und Nachrichtenmagazine verschickt. In einem beigelegten Schreiben beschimpfte er den Koran als "Kochbuch für Terroristen" und erklärte, die Heilige Schrift des Islam rufe zu Gewalttaten auf. Zudem bot er gestempelte Klopapierrollen zum Verkauf an. Er erklärte, mit dem Erlös eine Gedenkstätte für alle Opfer des islamischen Terrors errichten zu wollen. Der Iran hatte seinerzeit im Juli 2005 offiziell beim Auswärtigen Amt protestiert. In einem Gerichtsverfahren ist der Mann wegen Beschimpfung eines religiösen Bekenntnisses und Störung des öffentlichen Friedens zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und 300 Stunden Sozialdienst verurteilt worden. Aber die zu tragenden gesellschaftlichen Folgen seiner Tat waren für ihn weit schlimmer, da er massive Morddrohungen erhalten hatte und ihm eine Patronenhülse in seinen Briefkasten gesteckt worden war, was ihn wochenlang in begreifliche Unruhe versetzt hatte.

Das Strafrecht kann nur die Beeinträchtigung der als unverzichtbar angesehenen Rechtsgüter schützen: nicht alle Schandtaten sind strafgesetzlich erfasste Straftaten; zumindest kann das Vorliegen einer Starftat recht fraglich sein:


My Space Frau mobbt Mädchen bis zum Selbstmord

Weil sie Rache an einer Freundin ihrer Tochter nehmen wollte, hat einer Mutter aus dem US-Bundesstaat Missouri eine 13-Jährige bis in den Selbstmord getrieben. Die Frau gab sich im Internet als 16-jähriger Junge aus und flirtet online mit dem Teenager. Dann brach sie die virtuelle Beziehung ab. Das Kind erhängte sich.

Eine Frau aus dem US-Staat Missouri, die sich in einem Internetforum als Junge ausgegeben und online ein Mädchen drangsaliert haben soll, muss sich vor Gericht verantworten. Das junge Mädchen beging Selbstmord. Wie die „New York Times“ berichtete, plädierte die 49-jährige Frau auf die Vorwürfe des Internet-Betrugs und der Zufügung von Kummer mit „nicht schuldig“. Die Frau soll im Herbst 2006 mit dem erfunden Profil eines Jungen namens Josh ein 13-jähriges Mädchen in ihrer Nachbarschaft kontaktiert haben. Durch Online-Mobbing habe sie den Teenager dann unter Druck gesetzt, so der Vorwurf. Das Mädchen, das früher mit der Tochter der Angeklagten befreundet war, fiel in Depressionen und nahm sich im Elternhaus das Leben. Der 16-jährige imaginäre Josh hatte zunächst mit dem Mädchen geflirtet, dann aber abrupt die virtuelle Beziehung abgebrochen. In seiner letzten Botschaft an die 13-Jährige hieß es, „die Welt wäre ein besserer Ort“ ohne sie. Noch am selben Tag erhängte sich das Mädchen in seinem Zimmer.

Der Prozess findet in Kalifornien statt, wo die Internet-Plattform MySpace ihren Geschäftssitz hat. Gegen eine Kaution von 20.000 Dollar ist die Frau auf freiem Fuß. Die Verhandlung soll Ende Juli beginnen. Bei einer Verurteilung drohen der Angeklagten bis zu 20 Jahre Haft.


WELT ONLINE 18.06.08
Eine fragliche Strafbarkeit in diesem Fall nach deutschem Strafrecht kann aber erst erörtert werden, wenn das Wissen über mittelbare Täterschaft und die Verwendung eines "undolosen" Opfers als Werkzeug erarbeitet worden ist.
Aus dieser Selbstbeschränkung des staatlichen Rechtsgüterschutzes heraus ergibt sich zwangsläufig der so genannte „fragmentarische Charakter des Straf­rechts“: Nicht jede bloße Ferkelei, ja nicht einmal jeder Gesetzesverstoß ist gleich eine Straftat. Wegen dieses „fragmentarischen Charakters des Strafrechts“ und der damit verbundenen, etwas später noch genauer zu erklärenden Garantiefunktion der strafrechtlichen Bestimmungen ist nicht jede Schandtat und nicht einmal jeder Gesetzesverstoß justitiabel. Es ist aber nicht alles wohlanständig und moralisch vorbild­lich, was nicht unter eine Strafbestimmung fällt. Das hat z.B. der ehemalige Bundeskanzler Kohl nicht glauben wollen, aber dann doch durch öffentliche Ächtung – auch innerhalb der von ihm vordem mehr als 20 Jahre lang dominierten und kontrollierten Partei - erfahren müssen, als seine permanenten, allerdings nicht strafbewehrten Gesetzesverstöße gegen das Parteiengesetz durch das Anlegen und Verwalten von schwarzen Kassen zur Erhaltung politischer Macht publik geworden waren.

Und selbst wenn alle Gesetze eingehalten werden und auch keine sonstige nicht justitiable Schandtat vorliegt, muss ein Verhalten nicht vorbildlich sein und kann zu öffentlich geäußertem Unverständnis, Missfallen, ja sogar zu so großem Unwillen führen, dass die daraus gezogene Konsequenz einer nur »gesellschaftlichen Bestrafung« für den Betroffenen schmerzhafter sein kann, als eine Bestrafung durch ein Gericht: Das hat – um den vorläufig letzten großen Fall einer gesellschaftlichen Abstrafungsaktion in der Bundesrepublik aufzugreifen, bei dem sogar, im Gegensatz zu dem vom ehemaligen Bundeskanzler Kohl ausgelösten CDU-Spendenskandal, bisher kein Gesetzesverstoß bekannt geworden ist - ein „hormonell inspirierter“ (FR 20.09.01) Bundesverteidigungsminister erfahren müssen. Ihm wurde öffentlich vorgeworfen, dass ihn „die Verteidigung seines privaten Glücks mehr beschäftigt habe, als die Verteidigung des Landes“ (Handelsblatt 04.09.01), als er sich für acht nächtliche Stunden von Berlin aus in seinen unterbrochenen Urlaub nach Mallorca zurückfliegen ließ, um dann nach diesen paar Stunden bei seiner Geliebten zu einem Besuch der im Ausland in den Einsatz geschickten Soldaten nach Mazedonien weiter zu fliegen, wozu er am nächsten Morgen den obersten Soldaten der Bundeswehr von Berlin nach Mallorca kommen ließ, damit der ihn auf dem Flug nach Mazedonien begleite, von wo es nach zwei Stunden dortigen Aufenthalts nach Mallorca zurückging und der Generalinspekteur dann wieder nach Berlin fliegen durfte. Es war durchaus rechtens, dass der Bundesverteidigungsminister für die Urlaubsunterbrechung und die Rückkehr an den Urlaubsort die Flugbereitschaft der Bundeswehr in Anspruch nahm, auch wenn die Bundeswehr sich in einer allgemein kritischen Lage der Unterfinanzierung befindet und er darüber hinaus mit seinem „hormongesteuerten Verhalten“ gegen das für die Nutzung der Flugbereitschaft der Bundeswehr geltende „Gebot der Beachtung der Grundsätze einer sparsamen Haushaltsführung“ verstieß. Aber wie politisch instinktlos ist es, wenn seine Soldaten sechs Monate lang nicht von Mazedonien zu ihren Frauen und Kindern nach Hause können, er - noch nicht geschieden - jedoch glaubte, nicht auf die acht Stunden mit seiner neuen (später geheirateten) Lebensgefährtin verzichten, sondern den Steuerzahlern für diesen kurzen nächtlichen Aufenthalt einen Flugkostenbetrag zwischen in der Presse genannten 108.000,- und 400.000,- DM (55.000 und 205.000 €) zumuten zu können! Die Massenmedien geißelten allesamt das Verhalten des „Mallorca-Lovers“. Der Weser-Kurier vom 01.09.01 fand das „beratungsresistente Verhalten“ des Bundesverteidigungsministers „unter aller Kanone“, die SZ (02.09.01) testierte ihm „ein fehlendes Gefühl für das Vertretbare“. Die Zeitungen steigerten sich, jede wollte das Verhalten des Ministers mit immer noch stärkeren Worten abstrafen. Selbst die (ehemals in SPD-Besitz gewesene und immer noch) SPD-nahe Hamburger Morgenpost schrieb nach dem Erscheinen der von ihm bei der BUNTEN kurz vor dem Mazedonieneinsatz der Bundeswehr zur Veröffentlichung extra bestellten, mich schon recht peinlich anmutenden, »privaten« Badefotos mit seiner damaligen Geliebten und dem nachfolgenden legalen, aber von vielen als äußerst unpassend bis maßlos empfundenen Ausnutzen der Möglichkeiten des Amtes von dem „Hormonbomber“ und „Selbstverteidigungsminister“. Sie geißelte seine „exhibitionistische Zurschaustellung seiner mallorquinischen Poolplanschereien mit seiner Lebensgefährtin“. Ein (jedenfalls in der Öffentlichkeit und vielleicht sogar zu Unrecht) als steif wie eine Büroklammer verschriener Verteidigungsminister, der aber von dieser Öffentlichkeit krampfhaft nach dem Motto geliebt sein wollte: „Ich bin’s doch, Euer Rudi!“, ist nun einmal kein Showstar. Und der Minister wird den in Anlehnung an den Namen des meistgesuchten Verbrechers des Jahres 2001 Osama bin Laden erfundenen Spottnamen: „Rudolf bin Baden“ auch nicht als witzig, sondern wohl als öffentliche Abstrafung empfunden haben! Es ist eines, ob jemand so trunken vor Liebesglück ist - was man jedem gönnen sollte -, dass er die gesamte Öffentlichkeit durch zur Hofberichterstattung extra bestellte Klatschjournalisten daran teilnehmen lässt, und ein anderes, ob jemand zum stillosen Ausleben seines Liebesglücks seine dienstlichen Möglichkeiten derart strapaziert, dass er als „liebestoller Poolminister“ (Tageszeitung 08.09.01) an den Pranger gestellt werden kann. Wenn das keine „gesellschaftliche Bestrafung“ für ein im Fall des Mallorca-Urlaubes zwar legales aber stil- und instinktloses Verhalten ist! So durch die Öffentlichkeit abgestraft zu werden, ist sicher eine Erfahrung, auf die im Nachhinein jeder Betroffene gerne verzichtet hätte. Die Liebe, das Sich-zu-jemandem-hingezogen-Fühlen, das Sehnen, Begehren und die Leidenschaft, ist – entgegen der Meinung verliebter Dichter – leider nicht nur, sondern nur in ihrer reinen Form „eine Himmelsmacht“. Sie ist janusköpfig. Die Liebe und noch mehr ihre hässlichen Stiefschwestern, das aus Langeweile und/oder bitterer Enttäuschung geborene Umschlagen der Liebe in enttäuschte Liebe, Ablehnung, Verzweiflung und Hass, oder die Verzweiflung über den Verlust eines geliebten Menschen durch schuldhaftes Verhalten eines anderen, die Leidtragende zu unüberlegten Handlungen verleiten können, verleiten manche von uns sogar zu Totschlag und Mord. Dieses überwiegend um Tötungsdelikte aufgebaute Rechtskunde-Lehrbuch ist voll davon.

Auch wenn der damalige Verteidigungsminister sich in seiner öffentlichen Darstellung zunächst weiterhin bockig gab, sich auf die Rechtmäßigkeit seines Vorgehens versteifte, ohne (zunächst) einen öffentlich geäußerten Gedanken auf die Angemessenheit seines Verhaltens zu verschwenden und erst eine Woche später den Rücken zum Kotau beugte, so wird er aus dem politischen Ärger, der ihn damals schon fast sein Amt gekostet hätte, hoffentlich doch gelernt haben, dass nicht alles, was Rechtens ist, auch vertretbar ist.



Nun blamiert sich jeder, so gut er kann; so auch ich einige (zum Glück nicht allzu häufige) peinliche Male in meinem Leben. Ich nehme mich da ganz bewusst nicht aus, denn sonst, das sagt mir mein Gefühl, dürfte ich nicht so ausführlich darüber berichten, wie andere in dieser Sache den ersten Stein warfen. Ein solches durch die Massenmedien zur gesellschaftlichen Abstrafung hochgezogenes Ereignis ist, wenn es passiert, jedem Verursacher peinlich; aber irgendwo menschlich. Von anderer politischer Qualität ist es jedoch, wenn der oberste Befehlshaber der Bundeswehr in Friedenszeiten als „hormonell übersteuerter Romeo“ eine der Institutionen, über deren Wohl und Wehe er dienstlich zu wachen hat, von der er Schaden nach besten Kräften abzuwehren hat, mit in den Strudel seiner öffentlich abgehaltenen Poolplanschereien und Liebesnächte zieht, sodass dann in der Presse süffisant von der „Lustwaffe“ (Max 06.09.01) gesprochen wurde. Wie schade für ihn, dass er von seinem hormonellen Druck so sehr beseelt gewesen war, dass er darüber Senecas Einsicht vergaß, der als Stoiker befand: „Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand“. Schließlich musste Scharping abdanken
Wir müssen also gleich zu Anfang Abschied nehmen von der Vorstellung, dass alles, was nicht unter Strafe gestellt ist, den Segen der Rechtsordnung und die Billigung der Mitbürger genieße. Das ist beileibe nicht der Fall - und wird es zum Glück auch nie sein! Selbst unser langjährigster Bundeskanzler Kohl wird das irgendwann einsehen müssen! Obwohl er fünfmal den Amtseid geschworen hatte, die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen, hatte er nach Gutdünken gegen das Parteiengesetz verstoßen. Aber diese Verstöße waren gegenüber einem Täter bislang nicht sanktionsbewehrt, sondern durch § 23 a Parteiengesetz nur gegenüber der durch die Finanzmanipulationen begünstigten Partei. Darum barmte deren neuer Vorsitzender auch - mit zielgerichtetem Blick auf den die Höhe der Bußgeldzahlung erst noch festsetzenden Bundestagspräsidenten vor deren Festsetzung und Bekanntgabe - über die Medien, schon hunderttausend Euro würden diese große, immer noch und weiterhin wichtige Volkspartei ins Mark treffen. Und die Generalsekretärin, seine baldige Nachfolgerin im Vorsitz, mahnte die Beachtung der Verhältnismäßigkeit an, obwohl die Höhe der Bußgeldzahlung - das Doppelte eines ergaunerten Betrages - im Gesetz genau festgelegt ist und für das laufende Abrechnungsjahr keinen Ermessensspielraum eröffnet. (Es wurden mehrfach Millionenbeträge fällig, der höchste über 20 Mill. €!) Ein spitzzüngiger Kommentar zu dem Verhalten der CDU-Parteiführung passt genau in die Thematik dieses Buches: „Das ist, als wenn ein Elternmörder mit dem Hinweis, um Strafmilderung zu betteln versuche, man möge gerichtlicherseits bitte berücksichtigen, dass er nunmehr Vollwaise sei.“
»Straf«-Recht ist schon vom Wort her kein »Verzeih«-Recht. Kein Strafrecht kann in einer anonymen Massengesellschaft nur aus Milde bestehen, weil das sonst zu seiner Selbstauflösung führen würde! Solange Menschen in soziologischen Verbänden zusammenleben, gab es, gibt es und wird es immer als Abweichung vom jeweils sozial mehrheitlich gewünschten oder tolerierten Verhalten ir­gend­wie sozial definierte Kriminalität geben, die selbst bei ähnlicher Kultur völlig unterschiedlich ausfallen kann. In Multi-Kulti-Gesellschaften mit sehr differgierenden ethnischen Grup­pen und damit unterschiedlichen Vorstellungen über »richtiges« und bei Verstoß dagegen zwangsläufig davon abweichendem Verhalten kann das sehr problematisch werden. Unterschiedliche soziale Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft gelten nicht nur für die Aborigines oder Anangu, wie sie sich selber nennen, inmitten der von den Weißen dominierten und europäisierten Gesellschaft Australiens. Das gilt auch für unter uns lebende Ausländer mit ihren von uns teilweise als völlig abwegig empfundenen Rechtsvorstellungen: „Du sollst nicht morden!“, heißt es in der Bibel, aber auch in unserer Gesellschaft gibt es für einige Bevölkerungsgruppen von ihnen als solche gewertete – für uns aber nicht als solche wahrgenommene – »Beleidigungen«, die nach Meinung der sich verletzt Fühlenden »mit Blut abgewaschen« werden müssen. Die meist von Südost-Europäern vom Balkan, von Türken aus dem ganzen Land und insbesondere Kurden aus dem Osten und Südosten der Türkei hier verübten „Ehrenmorde“ liefern immer wieder den Beweis hierfür.

Wenn von insbesondere Türken und Kosovo-Albanern begangene Ehrenmorde vor unseren Strafgerichten verhandelt werden, spielte immer die Frage der vom abzuurteilenden Täter aus seiner religiös gestärkten männlichen Dominanzkultur mit ihrem identitätsstiftenden konservativen Ehrbegriff heraus gefühlten »Ehre« und der Grad ihrer empfundenen Verletzung eine entscheidende Rolle: Wird die individuell, durch Gruppenzwang aus partikulärer Sitte verstärkt empfundene, letztlich tatauslösende Ehrverletzung irgendwie als das Unrecht der begangenen Tat bei ihrer Aburteilung strafmildernd berücksichtigt? So ist es in der deutschen Rechtsprechung (auf jeden Fall früher) großenteils der Fall gewesen, weil es für deutsche Staatsbürger keinen vergleichbaren sozialen Drucks aus partikulärer Sitte gibt, sodass die Gerichte meistens nur aus § 212 StGB Totschlag heraus auf zeitige Freiheitsstrafe erkannten.

Die wenigen Albaner machen in der Bundesrepublik nicht das Problem der "Ehrenmorde" aus. "Ehrenmorde" sind in unserer Gesellschsaft ein Problem durch die vielen kurdischstämmigen Türken mit ihren archaischen Wertvorstellungen geworden.
Oder müssten Ehrenmorde nicht vielmehr als aus „niedrigen Beweggründen“ heraus begangen und damit wegen Vorliegens dieses Mordqualifikationsmerkmals aus § 211 StGB Mord heraus mit der Rechtsfolge einer lebenslangen, nach 15 Jahren aber auf Aussetzung der Haft überprüften Freiheitsstrafe abgeurteilt werden?

Da stellt sich den Richtern immer die Frage, welche Wertvorstellungen maßgebend sein sollen: die aus der Täter-Herkunftsregion oder die deutschen?


Da Strafe vom Grundsatz her entsprechend § 46 StGB individuell schuldangemessen aufzuerlegen ist, falls nicht Gründe der die Allgemeinheit in toto vor Begehung einer Straftat abschreckenden Generalprävention einen härteren Strafausspruch erfordern, können es grundsätzlich nur die Maßstäbe des kulturellen Täter-Umfeldes sein. Der BGH hatte deswegen bis 1994 bei Blutrachetötungen geurteilt, dass entsprechend § 46 StGB die subjektiven Wertvor­stellungen des Täters mit seiner Bindung an seinen Lebenskreis ausschlaggebend zu berücksichtigen seien. Gleiches galt für die Aburteilung von Ehrenmorden. Die sozialen Anschauungen des Kulturkreises, aus dem der Täter stammt und dem er verhaftet ist, seien unrechtsabwägend und damit strafzumessend bei der Findung der Höhe der zu verhängenden Strafe zu berücksichtigen. Die Strafgerichte gewährten den Tätern zunächst Strafrabatt, wenn sie aus dem islamischen Kulturkreis stammten und aus ihren Wertvorstellungen heraus "Ehrenmorde" begangen hatten13, bis sich die Rechtsprechung nach langen Fehlversuchen einer tätergerechten Bestrafung dann doch dahingehend eingependelt hat, Mord auch als Mord zu bestrafen.

Seit 1994 hat der BGH seine früher vertretene Auffassung aufgegeben oder teilrevidiert und urteilt jetzt: Grundsätzlich seien die Wertvorstellungen für die Annahme des Vorliegens eines Mordes aus objektiv zu bewertenden „niedrigen Beweggründen“ der deutschen Werteordnung zu entnehmen! Ein kultureller Rabatt auf Straftaten wird nicht mehr gewährt.

Nun nähert man sich langsam dem Ausspruch der Friedensnobelpreisträgerin von 1905, Bertha von Suttner, die Alfred Nobel zur Stiftung der Nobelpreise angeregt hatte, selbst aber, obwohl prominenteste Friedensaktivistin Europas, zunächst bei der Vergabe nicht berücksichtigt worden war: „Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit Blut abgewaschen werden.“

Zwar werden inzwischen in der Türkei Ehrenmorde ebenfalls als Morde mit erschwerter lebenslänglicher Strafe geahndet, sodass eine rechtliche Angleichung der Beurteilung von Ehrenmorden stattgefunden hat. Aber trotzdem gibt es noch die sozialen Bezüge, aus denen die Täter stammen. Darum sei das subjektive Empfinden des Täters dann weiterhin zu beachten, wenn der Täter erst kurze Zeit hier lebe und sich mit den hiesigen Wertvorstellungen bis zum Zeitpunkt der Tat noch nicht hinlänglich hatte vertraut machen können.


Abweichendes Verhalten birgt immer das Risiko von Gegenreaktionen »der Gesellschaft« oder starker gesellschaftlicher Gruppen in sich: In geringerem Umfang abweichendes Verhalten kann durch soziale Missbilligung bis Ächtung informell sanktioniert sein. Größere Abweichungen werden als kriminelle Handlungen gewertet und sind im Allgemeinen durch Strafdrohungen sanktionsbewehrt, die durchzusetzen staatliche Strafmacht bereitsteht und eingesetzt wird: Zur Bekämp­fung der sozial definierten Kriminalität wurde und wird - unterschiedlich hart - formell gestraft. Das Strafen scheint schon seit Adam und Eva unerlässlich zu sein. Die beiden standen jedoch gleich in erster und letzter Instanz vor dem höchsten Richter, aber darauf kann man sich heutzutage nicht in allen Fällen verlassen. Nur manchmal scheint eine göttliche Gerechtigkeit gleich unmittelbar die Strafe zu verhängen:
Vergewaltiger verunglückt

Leiferde – Ein 23-Jähriger hat im Wald in Leiferde (Landkreis Gifhorn) eine Joggerin (18) vergewaltigt. Auf der Flucht wurde der Täter vom ICE Hannover-Berlin überfahren. (dpa)“

(HH A 15.06.04)


Die Strafe folgte auf dem – fliehenden – Fuße!
Nach christlicher Tradition fing es bei Adam und Eva mit der Vertreibung aus dem Paradies an, setzte sich über den ersten Totschlag des Kain an seinem Bruder Abel fort und wird über unsere Zeit hinaus andauern - wohl so lange, wie es Menschen geben wird, auch wenn Kommunisten behaup(te)ten, dass Kriminalität dem Sozialismus wesensfremd sei und nach einer Über­gangsphase aus der sozialistischen Welt verschwunden sein werde; die Sonderkommission "Regierungskriminalität" zur strafrechtlichen Aufarbeitung des von DDR-Spitzenpolitikern begangenen Un­rechts hätte dann aber kein anklagefähiges Verhalten aufspüren dürfen! Und wie inzwischen durch die historische Entwicklung überdeutlich geworden ist, verschwindet eher die kommunistische Herrschaftsform, denn die Kriminalität.
Welche Strafe in welcher Höhe im jeweiligen Kulturkreis durch das für diesen Bereich konzipierte Strafrecht vorgesehen und von den dazu berufenen Stellen verhängt wird, hängt von der dort geltenden, oft religiös geprägten Wertordnung und den mit den Mitteln des Strafrechts verfolgten Zielen ab. Auch wenn es irgendwie definierte Kriminalität immer gegeben hat, so haben sich doch die Anschauungen darüber, was im Einzel­nen als strafwürdig gelten, ob und - wenn im Einzelfall auf strafwürdiges Ver­halten erkannt worden war - welche Form der Strafe aus welcher Überlegung heraus verhängt werden solle, im Laufe der Geschichte in ziemlich allen Kulturen gewandelt und können in ständigem Fluss sein.

Beispielhaft sei auf die Wandlung des Sexualstrafrechts in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten beiden Generation verwiesen: »Früher«, 1957 (und damit zu einer Zeit, als Beamtinnen beim Bekanntwerden außerehelicher Kontakte - bis 1953 - noch mit einem Disziplinarverfahren rechnen mussten), hatte das BVerfG den Paragrafen 175 StGB für mit der Verfassung vereinbar erklärt. So war Homosexualität unter Männern vor 1969 eine mit großer sozialer Ächtung verbundene Straftat. 1973 wurden homosexuelle Handlungen nur noch verfolgt, wenn männliche Jugendliche unter 18 Jahren daran beteiligt waren. Als Homosexualität unter Mänern ab 1994 nicht mehr strafbewehrt war, war sie kein Karrierehemmnis mehr für den Aufstieg in höchste Staats- und Parteiämter!

Oder man denke an die Abänderung des Vergewaltigungsparagraphen, der früher ausschließlich Frauen vor erzwungenem außerehelichen Geschlechtsverkehr schützte, dann auch Ehefrauen in der Ehe und zuletzt auch die Männer. (Das war eine lange Entwicklung, die vielleicht noch nicht abgeschlossen ist, wenn eine Entwicklung angestrebt werden sollte, wie sie in Norwegen Gesetz geworden zu sein scheint und gleich noch durch einen Bericht deutlich gemacht werden wird.)

Vor dem Eingehen einer Ehe war eine Frau in ihrem sexuellen Selbstbestimmungsrecht durch Strafnormen vollständig geschützt, durch Eheschließung ging sie plötzlich eines Teils dieses Schutzes verlustig. Durch das "Ja-Wort", das vor dem Standesbeamten und eventuell auch dem Pfarrer abgegeben worden war und sich nur auf den Willen zur Eheschließung bezog, soll eine »Nunmehr-Ehefrau« automatisch auch ihr Einverständnis zu Vergewaltigungen in der ehelichen Lebensgemeinschaft durch den »Nunmehr-Ehemann« gegeben haben, denn die Möglichkeit einer Vergewaltigung durch einen Ehemann wurde in § 177 a.F. StGB tatbestandlich ausgeschlossen. Durch diese Strafnorm war eine Frau ab Eheschließung nur noch gegen erzwungenen außerehelichen „Beischlaf“ geschützt. (Wenn der Ehemann der Täter war, wurde das ansonsten außerhalb der Ehe als einschlägig angenommene Verbrechen der Vergewaltigung zu dem Vergehenstatbestand einer - sexuellen - Nötigung herunterformuliert. Der BGH belehrte noch 1966 eine Ehefrau dahingehend, dass die Ehe die Gewährung des Geschlechtsverkehrs „in Zuneigung und Opferbereitschaft“ und „ohne Gleichgültigkeit und Widerwillen“ verlange - auch wenn die Ehe schon nicht mehr prickelnd war, die Frau ihren Mann inzwischen vielleicht schon hasste wie die Pest und ein Scheidungsverfahren lief. Natürlich war Gewalt gegenüber einer physisch meist Schwächeren nicht so ganz in Ordnung, aber als ein Verbrechen mochte es der Gesetzgeber nicht werten. Ein bisschen Gewalt gegenüber einer unwilligen Ehefrau wurde - unausgesprochen - vielleicht wie eine Art Notwehrrecht gegen die Verweigerung von „natürlicher und legitimer Befriedigung“ angesehen.) Erst 1995 bahnte sich nach über 20-jährigem Bemühen insbesondere der SPD in diesem Punkt eine Besserung an. Nach Rückzugsgefechten um die Ausgestaltung einer »Verzeih-Klausel«, mit der der durch eine Anzeige der vergewaltigten Ehefrau angeworfene Justizmotor vor Ausspruch eines Urteils "mit Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren" noch wieder hätte abgewürgt werden können, wurde in einem Entwurf auch eine Vergewaltigung durch den Ehemann durch Streichung nur eines Wortes - „durch Gewalt ... zum außerehelichen Beischlaf nötigt“ - unter Strafe gestellt. So einfach kann Rechtsgüterschutz sein; wenn Mann nur will!

Inzwischen wurde, wie eben schon angesprochen, „Vergewaltigung“ im Verlauf der parlamentarischen Beratung völlig umdefiniert: Unter Vergewaltigung versteht man jetzt nicht mehr nur die weitestgehende Einschränkung, eine Frau zum außerehelichen Beischlaf zu zwingen, auch nicht nur, eine Frau überhaupt zum Beischlaf zu zwingen, sondern erweiterte den Rechtsgüterschutz auf das unerlaubte Eindringen mit irgendetwas in den Körper eines anderen - mit der Konsequenz, dass jetzt nicht nur von ihnen ungewollte »Fingerspiele« an Frauen oder erzwungener Oral-Sex durch diese Strafnorm miterfasst sind, sondern nunmehr auch Männer strafrechtlich relevant vergewaltigt werden können, wie es in Gefängnissen durch Analverkehr oder das Reinrammen von Gegenständen in den Anus ja schon öfters passiert war, ohne dass den männlichen Opfern wegen der bisherigen, die Männer ausschließenden Legaldefinition im vormaligen § 177 a.F. StGB der Rechtsgüterschutz des Vergewaltigungsparagraphen mit seiner Mindeststrafdrohung von zwei Jahren Freiheitsstrafe zur Seite gestanden hätte.
„Fünf Jahre Haft für Vergewaltiger

Itzehoe – Das Landgericht Itzehoe hat einen 17-Jährigen wegen Vergewaltigung und räuberischer Erpressung zu fünf Jahren Jugendstrafe verurteilt. Er hatte in Heide zwei Jungen (13) ausgeraubt und in einen Müllcontainer gesperrt und einen von ihnen sexuell missbraucht. (dpa)“ (HH A 24.03.04)
»Vergewaltigung« wird nicht in jeder Gesellschaft gleich gesehen, gleich definiert, rechtlich gleich gewertet und gleich sanktioniert. Der jeweilige Straftatbestand kann, wie eben ausgeführt, auch innerhalb einer Gesellschaft dem Wandel unterliegen. Als Beleg sei auf die frühere Definition von Vergewaltigung in § 177 I StGB a. F.
(1)Wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zum außerehelichen Beischlat mit ihm oder einem Dritten nötigt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
(3) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.
verwiesen. Nach einer Reform dieses Paragrafen ist sexuelle Nötigung nunmehr als Spezialfall der Nötigung gesetzlich geregelt und Vergewaltigung wird jetzt als erzwungener Beischlaf - auch unter Ehe(!)partnern - oder beischlafähnliche Handlung und durch Eindringen in den Körper eines anderen gekennzeichneter besonders schwerer Fall einer sexuellen Nötigung definiert:


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