Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten



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IV Hinweise zu den Fällen aus II

Fall 1


Ein klassischer Verstoß gegen § 222 fahrlässige Tötung, wie ihn der moderne Massenverkehr 2002 leider 6.842-mal pro Jahr mit sich brachte. [Zum Vergleich eine andere erschreckende Zahl: 2002 betrug die Selbst­tö­tungsrate demgegenüber 11.163 Selbsttötungen pro Jahr. Knapp drei Viertel der Suizidanten sind Männer, ein gutes Viertel Frauen. Ein Drittel der Suizide wird von Personen über 60 verübt.]

Erstaunlich ist aber, dass der greise Landwirt nicht verurteilt, sondern das Verfahren gegen ihn nach § 153 a II StPO mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft (StA) und des Angeschuldigten vom Gericht gegen eine Bußgeldzahlung von nur DM 690,- (€ 353,-) eingestellt worden ist. Eine Einstellung nach dieser Norm darf an sich aber nur vorgenom­men werden, wenn die ergehenden Auflagen und Weisungen geeignet sind, bei geringer Schuld das öffentliche Interesse an einer Straf­verfolgung zu beseitigen.

Mit DM 690,- soll der schuldhaft verursachte Tod eines Menschen ausreichend gesühnt worden sein?

Das Urteil erweckte Aufmerksamkeit! (Darum berichteten ja auch die Zeitungen darüber.)


Fall 2


Die Jugendlichen wurden wegen Verstoßes gegen § 222 fahrlässige Tötung verurteilt. Da sie wussten, dass die Holzstöße bewacht wurden, sie aber niemanden in der Nähe gesehen hatten, hätten sie - nach Meinung des Gerichts - den Holzstoß näher untersuchen müs­sen.

Fall 3


Der Getötete war selber der aufsichtsführende Ausbilder gewesen. Der das Ziel anvisierende Schütze konnte nicht sehen, ob jemand hinter ihm gegen die Sicherheitsbestimmungen verstieß. Das zu kon­trollieren ist ja gerade die Aufgabe der Aufsicht beim Schützen. Der Panzerfaustschütze handelte schuldlos.

Es liegt kein Fall einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 vor, sondern ein Fall von letztlich letaler Selbstgefährdung durch den Obergefreiten UA.

Fall 4

Neben dem durch T begangenen Mord gemäß § 211 ("zur Verdeckung ei­ner Straftat") liegt ein ungewöhnlicher Fall einer fahrlässigen Tötung vor: Gemäß § 222 wird als Einheitstäter bestraft, wer durch FL den Tod eines Menschen irgendwie verursacht. Das hat die Ärz­tin dadurch getan, dass sie den wiederholten Triebtäter auf eine halboffene Station hatte verlegen lassen und ihm so das Entkommen ermöglicht hatte. Sie wurde - obwohl bisher unbestraft, damals we­gen fehlender Kollegen als einzige Ärztin völlig überlastet und zur Zeit der Verhandlung inzwischen aus Altersgründen pensioniert, sodass keine Möglichkeit eines erneuten Dienstvergehens zu be­fürch­ten war - zu DM 12.000,- (€ 6.135,-) Geldstrafe verurteilt.



Die als Nebenkläger aufgetretenen Eltern des getöteten Mädchens leg­­ten wegen des ihrer Meinung nach zu geringen Strafausspruchs Be­rufung ein.

Erinnert sei an den Strafausspruch zu Fall 1): DM 690,- (€ 353,-) Bußgeld, und die offensichtliche Diskrepanz zwischen beiden Strafmaßen.

Fall 5

Es liegt ein durch die Cliquenmitglieder und den Erwachsenen, der das spätere Opfer durch seine Hänseleien mit unter Druck gesetzt und die Kosten für den Whisky übernommen hatte, be­gan­genes Vergehen einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 vor. Sie alle setzten eine Ursache für den Tod des Gehänselten. Sie alle werden sich noch nicht in den Zustand der Schuldun­fähigkeit gesoffen haben, als sie das Opfer zu der "Mutprobe" drängten.



An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts dadurch, dass der Arzt den Jungen zunächst ins Leben zurückholen konnte, und der dann erst 20 Tage später starb. Der Tod des Jungen ist dem gewollten Tun der Einheitstäter objektiv zurechenbar.

Fall 6


Früher § 217 Kindestötung (+); jetzt Normalfall eines Tötungsdeliktes.

Fall 7


Eine Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 226 ist keinem der Be­teiligten als individuelle Verfehlung nachzuweisen, wenn alle von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, oder alles auf den nun toten S schieben, denn dann gilt die Unschuldsvermutung zu Gunsten eines jeden einzelnen Angeklagten.

Aber: Möglicherweise sind die Ehefrau (des Schwiegervaters) F und der Bruder (des Ehemannes) B wegen eines Verstoßes gegen § 323 c un­ter­lassene Hilfeleistung zu bestra­fen, weil ein solcher delikti­scher Angriff - von wem auch immer geführt - auch ein Unglücks­fall im Sinne des § 323 c ist. Da F und B vermutlich keine Täterschaft bezüglich des § 226 nachzuweisen sein wird, können sie automatisch Täter gemäß § 323 c sein.


Die juristische Delikatesse dieses Falles liegt im Verhalten des Ehemannes M, der in dem Haus vermutlich am zweitwenigsten zu sagen gehabt, aber die O geheiratet hatte. Damit war er Garant für das Leben der O geworden. Trotzdem hatte er es unterlassen, den Tö­tungserfolg abzuwenden. Sein Unterlassen entspricht der Verwirkli­chung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun. Darum §§ 212, 13 Tötung durch Unterlassen (+). Bezüglich des erschossenen Babys trifft weder F noch B oder M ein Verschulden. Dieser so genannte Täterexzess des S, von dem alle anderen nichts wussten und auch nichts wissen konnten, muss nicht von ihnen verantwortet werden.
Ein Wort sollte noch über den unqualifizierten Arzt verloren wer­den, der für den Tod der O eine "natürliche Todesursache" beschei­nigt hatte. Er ist leider keine Ausnahme! In Deutschland wird nach einer Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin von 1997 jedes zweite Tötungsdelikt nicht erkannt!102 So hat­te ein Arzt in einem Fall einen natürlichen Tod bescheinigt, in dem der Bestatter, der die Leiche für die Einsargung umdrehen musste, im Rücken des Toten das dort noch zwischen den Schulterblät­tern steckende Messer fand. Ein anderer Bestatter entdeckte elf Messerstiche in der Brust eines Toten, dem der Arzt einen natürlichen Tod bescheinigt hatte. Was bitte ist an Messerstichen in der Brust natürlich? Die Recherchen der Journalistin Rückert103 ergaben: Es werden nicht genügend Sektionen angeordnet und es wird nicht gut genug untersucht. „Deutschland hat eine Sektionsrate, die an Niedrigkeit nicht zu unterbieten ist.“ In Deutschland kommen auf 10.000 Tote (»nur«) 22 (erkannte!) Getötete, in z.B. Finnland sind es dagegen 33. Und die Finnen gelten nicht als rauflustiges, zänkisches, sondern als gastfreundliches Volk. Aber wer viel nachforscht, der findet auch viel. Die phantastische deutsche Aufklärungsrate bei Kapitalverbrechen von 96 % wird so als statistischer Witz entlarvt.

Wegen der erschreckenden Details der mangelhaften Mordaufklärungen ein kurzer Artikel im Zitat:


"Nur dem Bestatter fiel der Strick um den Hals auf

Ärzte erkennen wahre Todesursache oft nicht

Die meisten Morde in Deutschland bleiben vermutlich unent­deckt, weil Ärzte die wahre Todesursache nicht erkennen. Diese Ansicht vertraten führende Rechtsmediziner bei einer dpa-Um­fra­ge. So kämen nach kriminologischen Schätzungen auf ein er­kanntes Tötungsdelikt drei bis sechs nicht erkannte. Nach An­gaben des Bundeskriminalam­tes in Wiesbaden wurden im vergan­ge­nen Jahr 780 Tötungsdelikte of­fiziell festgestellt.

Der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Frankfur­ter Universität, Hansjürgen Bratzke, weiß von haarsträubenden Fehlur­teilen: So habe ein Arzt in einem Fall den Totenschein auf natür­lichen Tod ausgeschrieben - obwohl dem Selbstmörder noch der Strick um den Hals hing. Das fiel aber erst dem Be­stat­ter auf. Ein anderer Fall: Beim Abtransport eines Toten kullerte ein Geschoss aus dem Leichnam. Der Arzt hatte auf ei­nen `natürlichen Tod' er­kannt.

Aufgrund fehlender eingehender Untersuchungen blieben nicht nur `raffinierte perfekte Verbrechen', sondern auch ganz `pri­mitive Morde' unentdeckt, stellte der Leiter des Instituts für Rechtsme­di­zin an der Gießener Universität, Professor Günter Wei­ler, kürzlich fest.

Unnatürliche Todesursachen wie Selbstmord oder Mord, aber auch Unfalltod würden häufig übersehen. Das Ausmaß der nach­weis­baren Fehldiagnosen bei der ärztlichen Leichenschau sei erschreckend, so auch Professor Hans-Joachim Wagner aus Hom­burg/Saar. Bei einer Untersuchung von 13.000 Todesfällen sei die Diagnose in 62 Prozent der Fälle falsch gewesen, darunter sechs Prozent mit verkanntem Fremdverschulden.

Als Ursache nannten die Experten unter anderem mangelnde Er­fah­rung des Arztes oder Sorgfalt, aber auch `Druck' von Ver­wand­ten oder Polizei auf den Arzt, in vermeintlich eindeutigen Fällen ei­ne natürliche Todesursache zu bescheinigen. Oft werde die Leiche noch nicht einmal entkleidet. Viele Todesursachen könnten zudem erst durch eine Obduktion erkannt werden. In Deutschland werde aller­dings nur in acht Prozent der Fälle die genaue Todesursache von einem Gerichtsmediziner festgestellt." (Berliner Zeitung 07.11.91)
Im Gegensatz zu der Praxis in anderen Ländern, z.B. in Österreich, wird - wegen der Kosten von rund 500,- € pro Obduktion – nur rund jeder 50. Tote obduziert. So wird ca. mindestens jeder 2(!) Mord nicht entdeckt (3sat 21.05.07).

Dieses Wissen könnte bei sehr risikobereiten Zeitgenossen den Ge­danken wecken, die Scheidungskosten zu sparen. Nicht unbedingt der Fernseh-Pathologe „Quincy“ oder die berühmte Krimi-Autorin Patricia Cornwell (mit ihrer Hauptfigur „Kay Scarpetta“), die alle fachspezifischen Angaben in ihren Büchern von den Wissenschaftlern des pathologischen Institutes in Richmond (der Stadt mit der höchsten Mordrate in den USA)/Virginia, an dem sie früher als Protokollantin gearbeitet hatte, zur Absicherung gegenlesen lässt und so ihren Lesern immer den aktuellsten Forschungsstand vermittelt, sondern besser die wirklich lebende Anthropologie- und Pathologieprofessorin und Krimiautorin Kathy Reichs, deren Hauptfigur „Tempe Bennan“ das in langen Forscherjahren erarbeitete Fachwissen der Professorin verwertet, müsste in Deutschland einige Semester Vorlesungen in Ge­richts­medizin halten! Aber auch ohne ihre Hilfe wurde der folgende Fall geklärt:


"Sohn erstickt

ADN Lichtenfels - Der Tod eines Vierjährigen im November '92 ist erst jetzt als Gewalttat entlarvt worden. Seine Eltern, ein Ehepaar aus dem fränkischen Kreis Lichtenfels, wurden verhaftet. Sie gestanden, das Kind schwer mißhandelt und mit einer Bratwurst erstickt zu haben."

Fall 8

Die Beweislage soll nach den Worten des Staatsanwaltes sehr schlecht gewesen sein: Man sei "an der Mauer des Schweigens, der Ignoranz, des Wegsehens, der Vertuschungen und der Absprachen ge­scheitert. Es ist nicht konkret nachweisbar, welcher Angeklagte dem Opfer die tödlichen Verletzungen beibrachte, aber jeder ein­zel­ne nahm mit seinem Tatbeitrag die Folgen in Kauf. Die Handlung des einen ist ohne die Handlungen der anderen nicht denk­bar." Einige Angeklagte stritten eine Tatbeteiligung rundweg ab, andere gestanden wenigstens einen oder einige harmlose Faustschlä­ge ein.



Das Gericht wertete den tödlich verlaufenen Überfall als "jugend­typische Verfehlung". Ein "Ritual mit Gruppendynamik" habe zu dem Tod des Angolaners geführt, der letztlich durch die mittels einer Stiefelspitze herbeigeführte Zertrümmerung seiner Augenhöhle verursacht worden sei.

Für die - teilweise unter Einbeziehung noch anderer Straftaten zu­stande gekommenen - Verurteilungen von 3mal 4 Jahren, 3 Jahren und 6 Mona­ten und schließlich 2 Jahren auf Bewährung wurden hauptsäch­lich die Delikte Körperverletzung mit Todesfolge, Körperverletzung und Landfriedensbruch zugrunde gelegt.

Es erfolgte keine Verurteilung wegen Totschlags/Mordes. Das ist unverständlich! So kann man nicht den Anfängen wehren! In Lehrbüchern sollte man „den Ball möglichst flach halten“ und sich nicht zu weit „aus dem Fenster lehnen“, aber bei solchen juristischen Fehlleistungen geht das nicht! Bei den Aussagen des "Täter-Zeugen": "Alle haben gewusst, worum es geht. Alle wollten es. Es gibt keinen, der nicht mitgemacht hätte. Drei, vier Schritte Anlauf und dann volle Pulle druff auf den Kopf gesprungen“, hätte man durchaus zu einer in Mittäterschaft aus Rassenhass begangenen Tötung und damit zu Mord (BGHSt 18/37) kommen können, ja müssen! Wer so auf den Kopf eines Liegenden springt, der nimmt billigend in Kauf, dass er das Opfer irgendwie tödlich verletzen kann - auch wenn er sich diese spezielle Verletzung vielleicht nicht vorgestellt hat. (Ein solcher Täter hätte auch z.B. dem Op­fer den Kehlkopf eintreten und auf diese Weise den Tod ver­ursachen und sich diesen Ablauf vorstellen können.) Damit wären Tat- und Unrechtsbewusstsein hinsichtlich eines Mordes und damit dessen vorsätzliche Begehung zu bejahen.

Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen, sei darauf hingewiesen: An dieser Stelle wird - im Gegensatz zu insbesondere dem Fall 39, der Aburteilung des rechtsradikalen Pogroms gegen Asylanten in Ro­stock, die sowohl in dem abgeurteilten Delikt wie auch dem Strafausspruch eindeutig rechtsfehlerhaft war - nicht ausdrücklich am er­kannten Strafmaß rumgemäkelt [S. B. (20), Tierpfleger aus Casekow, 3 ½ Jahre; S. H. (19), Lehrling aus Eberswalde, 4 Jahre; R. J. (20), Dreher aus Eberswalde, 2 Jahre auf Bewährung; M. J. (19), Schlosser aus Eberswalde, 4 Jahre; G. K. (21), Heizer aus Eberswalde, 4 Jahre], sondern (nur) am Verkennen des ein­schlägigen Delikts durch das Gericht. Würde allerdings als abzuurteilendes Delikt richtigerweise Mord angenommen, müsste meines Erachtens auch das Strafmaß korrigiert werden, denn man kann ja nicht für den vom Gericht abgeurteilten „Nicht-Mord“ eine genau so hohe Strafe zuerkannt bekommen, wie sie für den eigentlich abzuurteilenden Mord ausgesprochen werden müsste!


Die Justiz kann auch anders – wenn sie will:
„V-Mann unter Mordanklage

ADN Schwerin – Die Staatsanwaltschaft in Schwerin hat einen früheren V-Mann des Verfassungsschutzes wegen versuchten Mordes angeklagt. Der 22 Jahre alte Mann soll gemeinsam mit drei rechtsextremen Männern im März 1999 einen schon am Boden liegenden Jugendlichen gegen den Kopf getreten und lebensgefährlich verletzt haben.“


Zurück zu dem Ausgangsfall von Nummer 8, in dem bei ziemlich ähnlicher Fallgestalt für das Opfer wie in der vorstehenden Zeitungsmeldung nicht auf mindestens Totschlag erkannt worden ist: Zumindest der Jugendliche, der nur wegen Landfriedensbruchs und (vermutlich ge­fährlicher) Körperverletzung verurteilt worden war, hätte auch wegen einer in Tateinheit (= "Idealkonkurrenz") began­genen Beteiligung an einer Schlägerei verurteilt werden müssen, da der Tod eines Menschen verursacht worden ist. Aber vielleicht haben die Presseberichte die Sach- und Rechtslage in manchen Punkten nicht genau genug wiederge­geben.

Die zuschauenden bewaffneten(!) Polizisten müssten sich mindestens wegen ihrer unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323 c verantworten. Zu erwägen wäre auch eine Anklage wegen einer begangenen Körperverletzung im Amt gemäß § 340 in der Tatmodalität "begehen lässt", oder sogar wegen einer Tötung durch Unterlas­sen gemäß §§ 212, 13, wenn man die 3 bewaffneten Polizisten als staatlicherseits dafür bestellte Garanten sehen will, dass in ihrer unmittelbaren Nähe und Einflusssphäre keine Straftaten begangen werden, insbesondere niemand in einem sogar noch längere Zeit andauernden lautstarken Handeln von grölenden Rowdys totgetreten werde. Die Staatsanwaltschaft hätte auf jeden Fall versuchen können, eine solche Anklage bei Gericht einzureichen!

Fall 9

Keiner der Mitschüler legte dem Opfer die Schlinge um den Hals, oder stieß es vom Stuhl. Damit scheidet ein eigenhändiges vorsätz­liches Tötungs­delikt der Mitschüler aus. Auch eine Tötung in mit­tel­barer Täter­schaft, indem sich das Opfer zum willfährigen Werk­zeug der Mit­schü­ler gemacht hätte und sich - von ihnen "aufgefor­dert" - in die Schlinge stürzt, sollte angedacht und erörtert wer­den, liegt nach der Fallkonstellation jedoch nicht vor.



Aber RG 1945/22 und BayObLGSt 60/286 haben entschieden, dass § 226 auch dann anwendbar sei, wenn ein vom Täter seelisch Gequälter Selbsttötung begeht. Dann besteht aber die Klippe des § 226 in der Form, dass ne­ben der vorsätzlich vorgenommenen KV der Todeserfolg fahrlässig herbeigeführt worden sein muss. Und Fahrlässigkeit war z.B. defi­niert als zwar nicht vorhandenes, aber dem Täter in der konkreten Situation gleichwohl potentiell erlangbares Tat- und Unrechtsbewusstsein, hier hinsichtlich des späteren Todeserfolges. Aus Fall 8 hatten wir gelernt: Wer mit Stiefeln auf den Kopf eines Liegenden springt, dem kann unter­stellt werden, dass er über dieses Tat- und Unrechtsbewusstsein ver­füge, mindestens aber - wenn man (zu) großzügig ist -, dass dem Tä­ter das Tat- und Unrechtsbewusstsein hinsichtlich der Tötung er­langbar gewesen sein muss.

Hätten aber die sich so unsozial verhal­tenden Mitschüler damit rechnen müssen, dass ihr Klassenkamerad die ständigen Beschim­pfun­gen eines Tages nicht mehr ertragen und sich deswegen töten werde? Ohne Vorankündigung wohl nicht. Damit schei­det (nach meinem Dafürhalten) eine Bestrafung aus § 226 aus.

Auch eine fahrlässige Tötung muss aus diesem Grunde scheitern und wird darum mit Hinweis auf die Vorüberlegungen nicht weiter geprüft.

Möglich bleibt aber eine - vom Deliktsvorwurf und dem zu erwarten­den Ergebnis her unbefriedigende - Bestrafung aus § 185 Beleidi­gung. Eine Verurteilung wegen Beleidigung würde den Tod des tür­ki­schen Jungen aber nicht oder nicht ausreichend sühnen. Doch mit diesen strafrechtlichen Peanuts müssten wir uns in diesem Fall zufrieden geben. Das fällt eben auch unter die Garantiefunktion der Straftat­bestände: Nicht jedes "schweinische" Verhalten ist gleich eine Straftat.

Für die Verfolgung einer Straftat der Beleidigung ist gemäß § 194 I 1 die Formalie eines Strafantrages erfor­der­lich. Eine bloße Strafanzeige genügt nicht. Die StA wird bei Beleidigungen nur dann tätig, wenn dieser Antrag vorliegt - und sie darüber hinaus tätig werden will. Die Straftat der Beleidi­gung ist damit kein so genanntes "Offizialdelikt", das von den staat­lichen Organen von Amts wegen (ex officio) bei Bekanntwerden verfolgt werden muss. Es ist ein so genanntes "Antrags-" oder "Privatklagedelikt", das von der StA im Falle der Bejahung eines „öffentlichen Interesses“ übernommen und verfolgt werden kann. Tut sie es nicht, muss der Beleidigte (sinnvollerweise mit Hilfe eines Anwaltes) gemäß § 381 StPO selber beim Gericht tätig werden.

Da der türkische Junge tot ist, kann er als der durch die ständi­gen Beleidigungen direkt Verletzte erklärlicherweise diesen erfor­derlichen Antrag nicht mehr stellen. Für einen solchen Fall regelt § 194 I 2, dass das Antragsrecht nach § 77 II auf die Angehörigen übergeht, die nach der Regelung des § 77 b I 1 innerhalb einer Frist von drei Monaten von ihrem Antragsrecht Gebrauch gemacht haben müssen; andernfalls ist es unwiederbringlich verloren! Ver­spätet sich z.B. das Einwerfen ihres Antrages im Nachtbriefkasten des Gerichts auch nur um eine Sekunde, ist also die zeitschaltuhrgekoppelte Tagesklappe gerade gefallen, dann ist Verfolgungsverjährung eingetreten. Rien ne va plus! Staatliche Instanzen dürfen dann nicht mehr zur Strafver­folgung tätig werden.

Ähnliche Antragserfordernisse sind für die vorsätzliche Körperver­letzung nach § 223 und die fahrlässige nach § 230 in § 232 gere­gelt, für Haus- und Familiendiebstahl/-unterschlagung in § 247, für Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen (typischer Fall eines Ladendiebstahls) in § 248 a und für die entsprechenden Be­trugssachverhalte in § 263 IV. Dadurch soll die StA von der Ver­fol­gung der Bagatell-Kriminalität freigehalten werden, um ihre Kräfte für die größeren Sachen bündeln zu können. Allerdings be­steht in diesen Fällen - mit Ausnahme der Regelung des § 247 - für die StA die Möglichkeit zur Strafverfolgung auch ohne Antrag, wenn sie im Rahmen ihres Ermessens wegen des "besonderen öffentlichen Interesses" ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Ganz lässt sich die StA selbst bei Privatklagedelikten das Schwert nicht aus der Hand winden. Hiervon macht sie üblicherweise bei der fahrlässigen KV durch Verkehrsun­fäl­le Gebrauch, nicht aber bei geringwertigen Ladendiebstählen (Groß­stadtpraxis).

Erstattet ein Geschäftsinhaber wegen eines Ladendiebstahls nur Straf­anzeige, ohne gleichzeitig einen Strafantrag zu stellen, so legt sich der überlastete Großstadt-Staatsanwalt die Akte auf drei Monate zur Frist und schließt sie dann wegen des fehlenden Straf­antrages durch Einstellung des Verfahrens ab. Dadurch gewinnt er Arbeitszeit zur Verfolgung schwerwiegenderer Delikte.

Fall 10

Dieser Fall wurde wegen des in § 222 fahrlässige Tötung verwandten Begriffs des "Einheitstäters" ("wer ... verursacht") und seine An­wen­dung durch das Gericht in diese Fallsammlung aufgenommen.



Normalerweise gilt der Grundsatz: "Wer auffährt, hat Schuld." Nach diesem Grundsatz ist T wegen einer in Tateinheit begangenen fahr­läs­sigen Tötung in drei Fällen gemäß §§ 222, 52 zu bestrafen.

Von diesem Grundsatz gibt es aber auch Ausnahmen, z.B. wenn für einen Unfall ein liegengeblie­be­nes aber nicht ausreichend gesichertes oder ein auf einer Landstraße nachts abgestelltes aber nicht oder nicht aus­reichend beleuchtetes Fahrzeug ursächlich geworden ist, usw.. Nach diesen Überlegungen und Wertungen sahen die Rich­ter auch in dem Verhalten des E eine schuldhafte Verursachung des Todes der drei Mitfahrer des T: Mit einer solch geringen Geschwin­digkeit von 20 km/h hätte E nicht ohne Einschaltung der Warn­blink­anlage auf der Autobahn entlangkriechen dürfen, da eine Autobahn gemäß § 18 StVO nur von Kraftfahrzeugen benutzt werden darf, deren bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit über 60 km/h beträgt. Da kann man davon ausgehen, dass diese Geschwindigkeit auch mindestens gefahren wird, wenn die Strecke vor dem Fahrzeug frei ist und keine Geschwindigkeitsbeschränkung besteht. Die ohne Warnblinkanlage gefahrene Geschwindigkeit von 20 km/h war für den Auffahrenden deswegen nicht absehbar. Der E hätte sein sich kaum noch fortbewegendes Verkehrshindernis wenigstens deutlich kenntlich machen und so auf die davon ausgehende Gefahr aufmerksam machen müs­sen. Indem E durch Nichteinschaltung seiner Warnblinkanlage die ge­botene Sicherung seines PKW unterließ, habe auch er den Tod der drei Insassen des auffahrenden PKW mit-»verursacht«. E wurde folgerichtig eben­falls gemäß §§ 222, 52 wegen einer tateinheitlich in drei Fällen begangenen fahrlässigen Tötung bestraft.

Fall 11

§ 226 KV mit Todesfolge (+).



Fall 12

§ 251 Raub mit Todesfolge (+).

Raub in jeder Form ist ein aus Diebstahl und Nötigung zusammenge­setztes eigenständiges Delikt und verdrängt darum diese beiden Strafvorschriften und die Sonderform der Nötigung, die Freiheits­be­raubung, soweit sie zur Begehung des Raubes deliktstypisch not­wendig sind. Man spricht in solchen Fällen von einer "Gesetzeskon­kurrenz", die in solchen Fällen wie dem zugrunde liegenden nur eine Bestrafung aus dem Raubparagraphen zulässt: Das Opfer wird mit vorgehaltener Pistole am Ort des Überfalls festgehalten, bis es sein Geld ausgehändigt hat; dann nur § 250 I Nr. 1 (+).

Geht die Freiheitsberaubung darüber hinaus - um z.B. einer Verfol­gung vorzubeugen, wird das Opfer eingeschlossen -, so liegt Ideal­kon­kurrenz von Raub und Freiheitsberaubung vor. Durch ein und dieselbe Handlung werden dann zwei Delikte verwirk­licht. Das Ergebnis lautet dann: §§ 251, 239; 52 (+).

Fall 13

§ 216 Tötung auf Verlangen (+).



Nach Meinung »der Juri­sten« gebiete unsere Rechtsordnung, auch das verlöschende Leben (teilweise gnadenlos) so lange wie möglich zu schützen. Der strafrechtliche Schutz des - nach Meinung: un­ver­zichtbaren - Grundrechts auf Leben dauere so lange, wie noch »Leben« in einem menschlichen Körper sei - auch gegen den Willen des Leidenden. Niemand könne durch Einwilligung auf sein Leben verzichten, auch nicht ein Todgeweihter.

Doch was ist das überhaupt: »Le­ben«?

Gegenüber der Meinung »der Juristen« vertrat Prof. Zeidler in sein­er Zeit als amtierender Präsident des BVerfG trotz des insbesondere für Verfassungsrichter als Selbstverpflichtung geltenden Gebots der richterlichen Zu­rück­haltung bei Meinungsäußerungen in der Öf­fentlichkeit in Diskussionen die Mei­nung, eine Tötung auf Verlangen kön­ne unter Umständen sogar human sein. Dann müsste sie aber straffrei bleiben, denn es fehlt dann an dem Unwertgehalt, der erst eine Handlung zu ei­ner Straftat macht.

Eine solche prononcierte Äußerung entgegen dem Gebot der richterlichen Zurückhaltung ist deswegen so erstaunlich, weil sich ein »erkennender« Richter in einer Diskussion ja zu einem Problem äußern könnte, mit dem er einmal dienstlich befasst sein könnte, und da will er nicht - wie im Fall des Streites um die Neuregelung des § 218 ins Spiel gebracht - als befangen, sondern für alle realistischerweise denkbaren Entscheidungen offen gelten.


In den Nie­der­landen, wo seit 1993 pro Jahr inzwischen ca. bis zu 4.000 der Lebenslast überdrüssige und meist sterbenskranke Menschen von Ärzten durch aktive Sterbehilfe mit­tels Verabreichung von Spritzen auf deren Verlangen hin gezielt getötet wer­den, um die dafür Nachsuchenden, selbst wenn der Sterbeprozess noch nicht(!) unumkehrbar eingesetzt hat, von der Last des Lebens zu befreien oder den schon eingetretenen Sterbeprozess abzukürzen, ließ man die als Sterbehelfer agierenden Ärzte zunächst »nur« straffrei, wenn sie eine genau reglementierte Vorgehensweise beachteten. Diese vom niederländischen Strafgesetzgeber bis 31.03.02 weiterhin als Tötung qualifizierten aber von den Strafverfolgungsbehörden geduldeten Straftaten mussten bis 2000 der StA ge­mel­det werden, ab 2001 dann einem der fünf regionalen Expertengremien (die erst dann die Justiz einschalten, wenn sie an dem korrekten Vorgehen des Arztes Zweifel haben). Die Tötungen wurden dort aber nur noch registriert, jedoch nicht mehr verfolgt (s. Fall 15)!

Inzwischen wurde in den Niederlanden auf dieser Grundlage ein Sterbehilfegesetz erlassen, das die Tötung Todkranker unter den gesetzlichen Voraussetzungen nicht nur straffrei lässt, sondern legalisiert!


1986 schon hatte eine Gruppe von 16 deutschen Straf­rechts- und 6 Medizinprofesso­ren einen "Alternativentwurf eines Ge­set­zes über Sterbehilfe" for­muliert, demzufolge so verfahren wer­den sollte, wie es jetzt in den Niederlanden praktiziert wird. Prof. Zeidler unterstützte die­ses Vorhaben. Für diese Äußerungen war er damals trotz seiner herausragenden beruflichen Stel­lung als Präsident unseres höchsten Gerichts und damit oberster Richter Deutschlands von der katholischen Kirche und der CDU-Bundesregierung hef­tig angegriffen worden.
Der Angeklagte des vorliegenden Falles ist zu einer symbolischen Strafe von drei Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt worden.
In Schweden hatte sich vor langen Jahren der Fall ereignet, dass ein Lastwagenfahrer in einsamer Gegend von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt war. Der Beifahrer überstand den Unfall leicht verletzt, aber der Fahrer war mit beiden Beinen und dem Unterkörper so hinter seinem Steuer eingeklemmt worden, dass sein Beifahrer ihn nicht aus dem brennenden Lastzug befreien konn­te. Als der Fahrer seine aussichtslose Lage erkannte, flehte er seinen Beifahrer an, ihm einen qualvollen Flammentod und weitere Schmerzen zu ersparen und ihn mit einem schweren Werkzeug zu erschlagen. Der Beifahrer tat ihm diesen "letzten Freundschafts­dienst", der nach meinem Dafürhalten eher als ein Fall einer Tötung auf Verlangen denn einer aktiven Sterbehilfe anzusehen ist - und ist nicht verurteilt worden.

Der Britin Diane Pretty, die vom Kopf an abwärts gelähmt war, sich nur noch per Sprachcomputer verständigen konnte und auf Grund ihrer Erkrankung an der Lou-Gehrigs-Krankheit, einer amyotrophen Lateralsklerose elend ersticken musste, ist vom House of Lords die klageweise begehrte Zusage verweigert worden, dass ihr Mann straffrei bleiben werde, wenn er der vollständig Gelähmten „beim Sterben“ helfen werde. Obwohl es sich bei der Ganzkörperlähmung der Klägerin – je nach schwierig vorzunehmender Abgrenzung - »nur« um eine Tötung auf Verlagen oder eine aktive Sterbehilfe handeln konnte, weil die Kranke ganz eindeutig nicht mehr zu einer Selbsttötung in der Lage war, wurde in den Medien von (laut Pressemeldungen in Großbritannien mit bis zu 14 Jahren Haft bedrohter) „Beihilfe zum Selbstmord“ gesprochen; aber mit „selbst“ ist da nichts mehr! Und mit „Mord“ auch nicht! (Wenn das Delikt in dieser Meldung richtig wiedergegeben sein sollte, dann hat es sich in diesem Fall geplanter aktiver Sterbehilfe wohl um eine Tötung auf Verlangen gehandelt, da der Sterbeprozess noch nicht akut unumkehrbar eingesetzt hatte. Die verbliebene Lebensdauer von Wochen oder Monaten war nur ungefähr abzuschätzen, aber noch nicht konkret absehbar am Ablaufen.) Die Richter des Europäischen Menschen­gerichtshofes lehnten die Klage ab: Die Weigerung der britischen Gerichte, die Tötung durch den Ehemann zuzulassen, verstoße nicht gegen die Menschenrechte der Klägerin. Das Grundrecht auf Leben eröffne keinen Anspruch auf Tötung (in diesem Fall durch den Ehemann).

Die Britin klagte dann 2002 vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg. Der Suicide Act von 1961, der die seitdem geltende Straflosigkeit der versuchten Selbsttötung anordnet, Anstiftung und Beihilfe aber weiterhin strafbewehrt lässt, verletze ihre Menschenrechte, argumentierte sie: Erstens stelle es eine menschenunwürdige Behandlung dar, wenn sie gezwungen werde, auf den sicheren Tod durch Ersticken zu warten. Andererseits sei es eine Ungleichbehandlung, wenn Menschen, die physisch in der Lage wären, sich selbst umzubringen, für Selbstmord nicht bestraft würden, sie aber als behinderte Frau keinen Selbstmord verüben dürfte, nur weil sie auf die Hilfe anderer angewiesen sei. Außerdem lasse sich ihrer Meinung nach aus dem Recht auf Leben, das die Europäische Menschenrechtskonvention wie die meisten europäischen Verfassungen zusichert, auch ein Recht auf den selbstbestimmten Tod ableiten. Dieses Argument wird von Sterbehilfe-Organisationen in vielen europäischen Staaten verwendet, so auch von der britischen Gesellschaft für freiwillige Euthanasie (VES), die die Klägerin unterstützte. Deswegen galt das Verfahren, das Diane Pretty angestrengt hatte, auch als europäischer Präzedenzfall. Diane Pretty scheiterte mit ihrer Klage auf einen selbstbestimmten Tod unter Einschaltung ihres Ehemannes ebenfalls – an demselben Tag, an dem die Frau aus der vorstehenden Zeitungsmeldung durch Abschaltung ihres Atemgerätes aus dem Leben scheiden durfte.. Die Richter sahen die Menschenrechte von Diane Pretty nicht verletzt. Das Recht auf Leben beinhalte nicht konkludent das Recht auf einen selbstbestimmten Tod, entschieden die Richter des Europäischen Gerichtshofes. Der Suicide Act, argumentierte das Gericht, beschneide zwar die Rechte der Engländer, bleibe aber im Rahmen des Zulässigen, da der Staat damit der Verpflichtung nachkomme, das Leben schwerkranker Menschen zu schützen, die besonders leicht in den Tod gedrängt werden könnten. Die Richter beriefen sich in ihrer Entscheidung auch auf die Empfehlung 1418, die die Parlamentarische Versammlung des Europarates 1999 verabschiedet hat. Diese »Empfehlung zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde der tödlich Kranken und der Sterbenden« bezieht ausdrücklich gegen jede Form der aktiven Sterbehilfe Stellung. Und die wäre hier durch den Ehemann zu leisten gewesen, da der Klägerin eine Selbdttötung nicht mehr möglich gewesen war. „Hier stößt das Recht an seine Grenzen“, lautete ein Kommentar. 14 Tage später war die Frau so erstickt, wie es absehbar gewesen war – und wie sie es sich hatte ersparen wollen.

Um solches Sterben zu vermeiden, fordern viele Menschen die Ermöglichung von Sterbehilfe, um nicht Mitglied bei Dignitas oder Exit werden und dann, wenn es so weit kommen sollte, zur assistierten Selbsttötung ins Ausland ausweichen zu müssen. Auch in Deutschland müsse ein menschenwürdiges Sterben ermöglicht werden. Der verhindernde Einfluss der Kirchen auf dieses hochsensible Thema dürfe nicht weiter hingenommen werden.

Sterbehilfe neu regeln
Ärzte und Anwälte fordern klare Regeln im Umgang mit Patienten am Lebensende.

Es wird beklagt, dass sich beim Thema Sterbehilfe fühlen viele Mediziner vom Gesetzgeber im Stich gelassen fühlten, weil die gesetzlichen Bestimmungen zu unklar und deren Interpretation zu widersprüchlich sei. Aus Angst vor Strafverfolgung würden daher Ärzte oft restriktiver handeln, als es die Vorschriften verlangen.

Unter maßgeblicher Beteiligung eines Bonner Rechtswissenschaftlers haben Strafrechtler aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nun einen Entwurf für ein neues Sterbebegleitungsgesetz vorgelegt. Ihre Befürchtung: Die augenblickliche Verunsicherung lasse den Ruf immer lauter werden, auch aktive Sterbehilfe zuzulassen.

Die Juristen kritisieren u.a. die bisher verwandte Terminologie. Momentan ist "passive" Sterbehilfe zulässig, "aktive" Sterbehilfe dagegen verboten. Unter passiver Sterbehilfe verstehe man die Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen, sofern der Patient das verlangt.

Für manche Ärzte suggeriere das Adjektiv 'passiv', sie dürften nicht aktiv einschreiten. Viele Mediziner würden denken, sie dürften zwar entscheiden, nicht mit einer künstlichen Beatmung zu beginnen. Sie dürften die Beatmungsmaschine aber nicht aktiv abschalten, wenn der Patient schon beatmet wird. Doch beides ist unter dem Oberbegriff "passive Sterbehilfe" von der Rechtsprechung und den Großkirchen akzeptiert.104 Wegen der aus der terminologischen Begrifflichkeit entstandenen Unsicherheit wird vorgeschlagen, statt von "passiver Sterbehilfe" zu sprechen, den in den Grundsätzen der Bundesärztekammer verwendeten Begriff der "Behandlungsbegrenzung" zu verwenden.

Um Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte zu schaffen, sollte im Strafgesetzbuch der bislang völlig ausklammerte Komplex zulässiger Sterbehilfe eindeutig geregelt werden.

Auch in Bezug auf die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erlaubte Schmerzlinderung durch Vergabe starker Medikamente mit der absehbaren Folge der Beschleunigung des Sterbens wegen ihrer lähmenden Wirkung auf das Atemzentrum müsste eine Klarstellung erfolgen, weil Mediziner in Unkenntnis der Rechtslage vor einer ausreichenden Schmerztherapie zurückscheuten, da sie sich nicht dem Vorwurf der "indirekten Sterbehilfe" ausgesetzt sehen wollen. In einem Gesetz solle ausdrücklich festhalten werden, dass eine optimale Behandlung eines Sterbenden auch jede medizinisch mögliche und nach dem Stand der Medizin durchgeführte Schmerzlinderung umfasst, selbst wenn dadurch der Eintritt des Todes beschleunigt wird.

Schon 1986 hatten 16 Strafrechtslehrer und sechs Professoren der Medizin einen "Alternativ-Entwurf Sterbehilfe" vorgelegt, um mehr rechtliche Klarheit zu schaffen. Damals hatte es der Gesetzgeber es aber für unnötig gehalten, den Vorschlägen zu folgen.

Fall 14

Für seine Entscheidung in diesem Fall (BGHSt 19/135) ist unser ober­stes Gericht in Strafsachen von der "Lehre" - den publizierenden Juristen, die die erdachten oder sich ereignenden Fallkonstellationen wis­senschaftlich aufarbeiten - ziemlich einhellig gescholten worden.



Es geht um das Problem, wie aktive Selbsttötungsbeihilfe von einer Tötung auf Verlangen abgegrenzt werden kann. Es ist der Grat zwi­schen einer Verurteilung aus § 216 Tötung auf Verlangen einerseits und Straffreiheit andererseits, weil Selbsttötung bei uns (im Ge­gensatz zu manchen meist katholisch geprägten Ländern und der ge­setz­lichen Regelung durch den "Siucide Act" in Großbritannien bis 1961) vom Gesetzgeber bewusst straffrei gelassen worden ist – wenn der Suizidant ausschließlich sich selbst verletze. In Großbritannien hingegen konnten bei missglücktem Selbsttötungsversuch die "Täter-Opfer" und eventuelle Gehilfen bestraft werden; bei geglückter wie auch bei versuchter Selbsttötung schwebt das Damokles-Schwert des staatlichen Strafanspruchs weiterhin über einem eventuellen Gehilfen105. In den USA und Kanada gibt es auch jetzt noch die Strafbarkeit einer Beihilfe zur Selbsttötung. Vermutlich darum hat ein Arzt in den USA eine Selbsttötungsmaschine konstruiert. Aber auch durch die Maschine leistete „Doc Death“ zumindest indirekt eine Beihilfehandlung..

Für unsere Rechtsordnung ist in § 27 Beihilfe geregelt, dass als Gehilfe (»nur«) bestraft wird, "wer vorsätzlich einem anderen zu des­sen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat". Es muss also zunächst eine vorsätzlich begangene rechtswidri­ge Haupttat vorliegen, bevor eine Gehilfenhandlung zu dieser Haupt­­tat vom staatlichen Strafanspruch erfasst wird. Ohne eine sol­che Haupttat gibt es folglich keine strafbare Beihilfe.


Zurück zu dem Ausgangsfall: Ist T Täter einer Tötung auf Verlangen und damit gemäß § 216 zu bestrafen, oder ist er nur Teilnehmer (Ge­hil­fe) an der Selbsttötung der O?

Im Rahmen der Prüfung des § 216 ist im Unrechtstatbestand die Ab­gren­zung zwischen Täterschaft und Teilnahme vorzunehmen.

Aufbereitet ist dieses Problem in dem schon zitierten Buch:

Hillenkamp, Th.: 36 Probleme aus dem Strafrecht BT, 2. Problem.

Dort sind mit Literaturnachweisen die einzelnen Lösungsansätze skizziert, die anschaulich machen, wie um die Ergebnisse straf­recht­licher Probleme gerungen wird (leider ohne dass das Problem der Sterbenskranken dabei in den Blick genommen wird):
1. "Subjektive Lösung":

Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme sei - auch im Bereich des § 216 - nach subjektiven Gesichtspunkten vorzunehmen.

Ergebnis für den Fall: O war zur Selbsttötung entschlossen, T ordnete sich ihr unter und wollte subjektiv nur Beistand leisten, er hatte keinen Täterwillen; § 216 (-).
2. "Allgemeine Tatherrschaftslösung":

Für die Unterscheidung komme es darauf an, wer nach dem Gesamtplan und den einzelnen Tatbeiträgen das zum Tode führende Gesamtgesche­hen tatsächlich beherrscht hat.

Ergebnis des BGH für den Fall: T führte die auf den Tod zielende Handlung des Gasgebens aus, O nahm die Auswirkung seiner Handlung duldend hin; § 216 (+).

Getreu dieser seiner "Tatherrschafts-Theorie" hat der BGH die Mitglieder des DDR-Verteidigungsrates als (mittelbare) Täter der Erschießungen an der Mauer und den anderen Grenzlinien angesehen, und nicht nur als Anstifter, geschweige denn als Gehilfen. Mit ihren staatlichen Pressionsmöglichkeiten zwangen sie die Mauerschützen, die in ihrem Gewissen die Richtigkeit der Radbruchschen Formel spürten, dass weder ein einzelner Befehl noch ein Gesetz bei einem Verstoß gegen die Menschenrechte Geltung beanspruchen dürfe, zum tendenziell tödlichen Schuss. Viele fühlten sich zum gezielten Schuss gezwungen, wenn sie keine Nachteile erleiden wollten. Die Mitglieder des DDR-Verteidigungsrates hatten es in der Hand, die Schüsse auf Flüchtlinge zu stoppen, wenn sie es wollten, weil es ihnen gerade opportun erschien - was oft gemacht wurde, wenn ein Staatsgast im Lande war und nicht durch einen jede Nacht möglichen Todesschuss kompromittiert werden sollte, weil er mit Totschlägern dinierte.


3. "Modifizierte Tatherrschaftslösung":

Die Abgrenzung müsse zwar nach den Kriterien der Tatherrschaft vor­genommen werden. Ausschlaggebend sei dabei aber nicht der Ge­samtplan, sondern die Herrschaft über den todbringenden Augen­blick. Danach begeht Selbsttötung, wer bis zuletzt die Entschei­dung über sein Leben in eigener Hand behält und selbst die Schwel­le zum Tod überschreitet. Gibt der Getötete aber die Entscheidung über sein Leben aus der Hand und lässt er sich von dem anderen qua­si über die Schwelle hinwegstoßen, so ist für den Handelnden § 216 zu bejahen.

Ergebnis für den Fall: O hätte bis zum letzten Augenblick die Wa­gentür öffnen und damit das Tötungsvorhaben abbrechen können. Da­rum hat sie die Entscheidung über ihr Leben bis zuletzt in eigener Hand gehabt; § 216 (-).
4. "Rollen-Lösung":

Tötung auf Verlangen liege vor, wenn sich das Opfer auf die im Ge­setz beschriebene Rolle als "Quasi-Anstifter" beschränke ("... durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt ...") und somit nur motivatorisch auf den Täter einwirke. Wirke das spätere Opfer aber darüber hinaus fördernd an der Tötungshandlung mit, so liege Selbsttötung vor, und der Teil­neh­mer hieran bleibe straflos.

Ergebnis für den Fall: O stieg in den Wagen ein und verriegelte selbst die Tür; wohl § 216 (-?), obwohl O aber nicht Gas gegeben hatte.
5. "Psychologische Lösung":

Wäre das spätere Opfer zur Vornahme der konkreten Tötungshandlung seelisch auch selbst in der Lage gewesen, liege für den Handelnden straflose Beihilfe zum Suizid vor. Andernfalls sei Tötung auf Ver­langen anzunehmen.

Ergebnis für den Fall: O drängte auf die Tötung, T ordnete sich ihr nur unter. Vermutlich(?) hätte O den Platz mit T tauschen, selber den Wagen starten und Gas geben können; § 216 (-?).

6. "Ganzheitliche Lösung":

Man dürfe nicht isoliert ein Kriterium herausgreifen, sondern müs­se alles im Zusammenhang sehen und bewerten. § 216 wohl (-).
Keiner weiteren Erörterung bedurfte es, da unstrittig, und sei deshalb nur in Erinnerung gerufen, dass zur Ausführung der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung begangene Straftaten abgeurteilt werden: Ein Täter, der 04/05 über das Internet die verschreibungspflichtigen Medikamente Truxal und Luminal als "Todespillen" verkauft hatte, nach deren Einnahme mindestens zwei Menschen gestorben und sieben weitere ins Koma gefallen waren, ist zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden.
Fall 15

Der Fall führt mitten hinein in die aufregende und teilweise auf­geregt geführte Dis­kussion um die aktive Sterbehilfe als Segen oder Fluch, die durch die staat­lichen Tötungshand­lungen der Nazis in Deutschland weitestgehend tabuisiert ist, weil die Nazis von ihnen als "lebensunwert" definiertes Leben mit ihrem "Eu­thanasie"-Programm durch staatlichen Massenmord an rund 275.000 Behinderten beseitigt hatten. Das machte es bisher unmög­lich, Todkranken so zu helfen, wie es jetzt in den Niederlan­den als erstem Staat der Welt geschieht, wie es Belgien inzwischen auch ermöglicht - und wie es eine Gruppe deut­­scher Strafrechts- und Medizin­professoren 1986 in einem "Al­ter­na­tiv­ent­wurf eines Ge­set­zes über Sterbehilfe" schon for­mu­liert und gefordert hat­te.

Natürlich ist in diesem Zusammenhang der meist von fundamental-christlicher Seite vorgenommene Rückgriff auf das Euthanasieprogramm der Nazis ein falsches Argument, denn dabei handelte es sich um fremdbestimmten, ideologisch motivierten Mord durch den Staat auf Grund einer Ideologie der (behaupteten) Minderwertigkeit der Opfer.

Die aktive Sterbehilfe hingegen ist im Kern eine Tötung auf das ganz private autonome Verlangen eines Sterbenskranken oder schon Todgeweihten, dessen Sterbeprozess (meist) schon unumkehrbar eingesetzt hat, ihm aber solche Schmerzen oder solches Leid bereitet, dass der Sterbende es als Erlösung empfindet, wenn ihm ein anderer nach seiner freien Willensentscheidung über die Schwelle des irdischen Lebens hilft, wenn er zur assistierten Selbsttötung nicht (mehr) in der Lage ist, weil ihm entweder die Mittel dazu fehlen, oder er ein ihm zur Verfügung stehendes Mittel nicht mehr selber einsetzen kann.


Es besteht kein irgendwie gearteter juristischer oder ethischer Zusammenhang zwischen dem staatlichen Euthanasie-Programm der Nazis zur (von den Opfern nicht gewollter) Vernichtung möglichst vieler europäischer Juden oder heutigentags geschehender verbrecherischer Tötungsdelikte Einzelner einerseits und einer Legalisierung der Tötung auf ausdrückliches Verlangen des Patienten durch einen Arzt bei Beachtung gesetzlich vorzugebender Rahmenbedingungen andererseits. Darum sollte der belastete Begriff der „Euthanasie“ nicht in der anstehenden Diskussion um die aktive Sterbehilfe verwandt werden; auch nicht als »Totschlagsargument«!
In den Niederlanden blieb die Tötung auf Verlangen in der Form der aktiven Sterbehilfe ("Euthanasie") nach Verabschiedung des Gesetzes über die "medizinischen Belange des Lebensendes" von 1993 zwar weiterhin illegal, ihr Vollzug wurde aber nach der gesetzlichen Legalisierung der Euthanasie nicht mehr verfolgt. Aktive Sterbehilfe wurde von den niederländischen Juristen zwar nicht als eine "normale ärztliche Handlungsweise" bewertet - obwohl nach eigenen Angaben 54 % der dortigen Ärzte schon mindestens einmal aktive Sterbehilfe geleistet haben -, sie wurde aber von der An­kla­gebehörde in den Fällen nicht mehr ver­folgt, in denen die Tö­tung auf Verlangen der Patienten von Ärzten vorgenommen und pro­to­kolliert wurde, wobei folgende Voraussetzungen für eine Straflosig­keit eingehalten werden mussten: (1.) Zwei Ärzte mussten bestä­tigen, dass die Tötung auf den (2.) bei klarem Bewusstsein im Vollbesitz der geistigen Kräfte (3.) wiederholt geäußerten Wunsch des (4.) unheilbar Tod­kranken hin er­folge, der sich (5.) seines unheilbaren Zu­standes mit unabwendbarem töd­lichen Verlauf voll bewusst sein und (6.) sein Leiden als unerträg­lich empfinden müsse. (7.) Jede Phase des Entschei­dungs­pro­zes­ses musste protokolliert werden: Es musste (8.) erklärt werden, warum in die Euthanasie eingewilligt wird, und auf welche Weise sie vollzogen werden sollte. Dieser Bericht musste (9.) einem Gerichtsmediziner zugeleitet werden, von wo wohl eine Meldung an die StA erfolgte. Im Februar 1994 haben sich die Niederlande nach rund 25-jähriger Debatte dann ein Gesetz zur Sterbehilfe gegeben, das 2000 noch einmal modifiziert wurde. Nach dieser Modifizierung erfolgt die Meldung über geleistete aktive Sterbehilfe seit 2001 an eines der fünf regionalen Expertengremien, dass erst dann die Justiz einschaltet, wenn sich Zweifel am korrekten Vorgehen eines Arztes ergeben. Der unnatürliche Tod muss dem Leichenbeschauer gemeldet werden. Deutsche, die in den Niederlanden Sterbehilfe zu erhalten suchen, scheitern an der weiteren gesetzlichen Vorgabe, dass (10.) Arzt und Patient in einem langen(!) Vertrauensverhältnis stehen müssen, was – offiziell gewollt – nicht in den Niederlanden lebende Ausländer von diesem Verfahren ausschließt.

Mit einer gesetzlichen Neuregelung zur Sterbehilfe Ende 2000 war Euthanasie in den Niederlanden ab 2001 unter bestimmten Voraussetzungen, die den bisherigen zur Straflosigkeit der aktiven Sterbehilfe geführt habenden entsprechen, nunmehr keine »nur« nicht mehr verfolgte Straftat mehr gewesen. Sterbehilfe war damit legalisiert worden - was die aus den Reihen der christlichen Parteien stammenden Gegner dieser mit überwältigender parlamentarischer Mehrheit beschlossenen gesetzlichen Neuregelung mit den Worten geißeln: Durch diese Neuregelung werde medizinische Fürsorge nunmehr durch Totschlag ersetzt. Ab 01.04.02 gilt in den Niederlanden als dem ersten Land der Welt nunmehr ein Gesetz zur Sterbehilfe, das unter (den schon bisherigen) einschränkenden Voraussetzungen aktive Sterbehilfe bei (zunächst) mindestens 16 Jahre alten Personen erlaubt. Nach amtlichen Angaben werden etwa 1,7 % aller Sterbefälle durch aktive Sterbehilfe beendet. 2005 waren es 2.297 Fälle; hinzu kommen Fällen so genannter palliativer Sedierung, bei denen Ärzte Sterbende mit Medikamenten in einen tiefen Schlaf versetzen und ihnen dann keine Nahrung und keine Flüssigkeit mehr zuführen. (Deren Zahl ist von 8.500 im Jahre 2001 auf etwa 9.600 in Jahre 2005 gestiegen.

Doch das ist (nur) die amtliche Version. Kritiker befürchten – wohl zu recht -, dass eine Reihe von Ärzten aktive Sterbehilfe leisten, ohne das wie gesetzlich vorgeschrieben zu melden!
Kurz darauf wurde in Belgien eine ähnliche, aber nicht ganz so weitgehende gesetzliche Regelung wie in den Niederlanden beschlossen: Kinder und Jugendliche sind von der nunmehr auch in Belgien legalisierten Sterbehilfe für Schwerstkranke durch Euthanasie ausgeschlossen. Nur unheilbare Kranke ab mindestens 18 Jahre sollen die Hilfe eines Arztes in Anspruch nehmen dürfen, ihr Leben auf ausdrückliche schriftliche Aufforderung des unheilbar Kranken hin zu beenden; ist der unheilbare Kranke zu einer schriftlichen Abfassung seines Wunsches nach Euthanasie nicht mehr in der Lage, muss eine Person seines Vertrauens diesen Wunsch niederschreiben. Dem schriftlich geäußerten Wunsch darf frühestens einen Monat später entsprochen werden. Wenn permanent physisch oder psychisch leidende unheilbar Kranke, die sich noch nicht im Endstadium befinden und darum noch Jahre zu leben und zu leiden hätten, den Wunsch nach Sterbehilfe äußern, muss ein weiterer Arzt, entweder ein Spezialist dieser Krankheit oder ein Psychiater, hinzugezogen werden.

Die Kritik der belgisch-christdemokratischen Gegner dieser Regelung und des Vlaamsblock richtet sich dagegen, dass sowohl psychisch Kranke wie auch junge Menschen, deren Krankheit »möglicherweise«(?) in einigen Jahren heilbar sein könnte, den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe erfüllt bekommen können.


Das Bundesjustizministerium und deutsche Interessenverbände fühlten sich durch diese belgische Gesetzgebung von 2002 zu sofortigen Äußerungen provoziert: Das Bundesjustizministerium und die Bundesärztekammer kritisierten die Regelung scharf. Es gebe keinen Handlungsbedarf, Schwerstkranke dürften „nicht in den Tod gedrängt“ werden; hat aber auch keiner vor: da wird ein Popanz aufgebaut, um mit ihm drohen zu können!

Demgegenüber begrüßte erwartungsgemäß die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) das neue belgische Gesetz.

Ende 2005 kam in Deutschland die Diskussion um die aktive Sterbehilfe wieder in Gang, als die Schweizer Organisation „Dignitas“ in Hannover ihre erste Geschäftsstelle in Deutschland eröffnet hatte und der christdemokratische Hamburger Justizsenator unter Berufung auf christliche Normen die Ermöglichung der aktiven Sterbehilfe forderte. Eine daraufhin vom Land Niedersachsen erarbeitete Gesetzesinitiative (Bundesrats-Drucksache 230/06) sieht vor, die Beihilfe zur Selbsttötung dann unter Strafe zu stellen, wenn die Gelegenheit zur Selbsttötung mit Wiederholungstendenz ("geschäftsmäßig") vermittelt oder verschafft wird. Der neue § 217 StGB soll demnach lauten: "Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit vermittelt oder verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Als erster CDU-Politiker forderte der Hamburger Justizsenator Kusch, dass aktive Sterbehilfe unter den drei von ihm für erforderlich angesehenen Voraussetzungen nicht mehr unter Strafe gestellt werde, dass 1.) mindestens ein Arzt bescheinigt habe, dass es sich bei der Krankheit des Sterbewilligen um eine tödliche Krankheit mit unumkehrbarem Verlauf handele, 2.) ein intensives ärztliche Beratungsgespräch stattgefunden und 3.) der Todkranke seinen Wunsch nach aktiver Sterbehilfe bei vollem Bewusstsein notariell beglaubigt zum Ausdruck gebracht habe. "Verantwortungsvolle, mitfühlende Sterbehilfe ist für mich kein Verstoß gegen humane Grundwerte, sondern ein Gebot christlicher Nächstenliebe", meint Roger Kusch.

Entweder durch Erweiterung des § 216 Tötung auf Verlangen oder an Stelle des 1998 abgeschafften Privilegierungstatbestandes § 217 Kindestötung solle ein neuer § 217 eingefügt werden, der gewerbsmäßige Hilfe bei „aktiver“ Sterbehilfe unter Strafdrohung stellen solle.

Mit dem von ihm ernst gemeinten religiösen Argument der Sterbehilfe als Gebot der christlichen Nächstenliebe will der ehemalige Hamburger Justizsenator die Gegner einer aktiven Sterbehilfe mit deren eigenen religiösen Waffen schlagen. Solange aber beide Seiten religiöse Werte ins Feld führen, stockt der Disput um die Sterbehilfe. Befürworter und Gegner berufen sich auf christliche Grundnormen, und wer mit Gott argumentiert, pocht auf ein höheres, von Menschen unantastbares und damit undiskutierbares Recht. Die Bundesspitze der CDU distanzierte sich jedoch von der Haltung des christdemokratischen Hamburger Justizsenators, die Kirchen liefen Sturm und die Hospizbewegung sprach von „Volksverdummung“.


Justizminister lehnen aktive Sterbehilfe ab

Hamburgs Justizminister Roger Kusch (CDU) hat auf der Justizministerkonferenz in Berlin eine herbe Niederlage einstecken müssen

Berlin - Einstimmig wurde sein Antrag abgelehnt, eine Novellierung des Paragraphen 216 (Töten auf Verlangen) in Angriff zu nehmen und damit die aktive Sterbehilfe zu legalisieren. Als Begründung verwiesen die Minister auf die Unantastbarkeit fremden Lebens sowie auf "die Gefahr eines Dammbruchs beim Lebensschutz und auf die Sorge vor einem Mißbrauch". Wie die WELT am Rande der Konferenz erfuhr, habe sich Kusch "politisch völlig isoliert".

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DIE WELT 18.11.05

Da der Rückbezug auf christliche Werte in diesem Fall nicht weiterhilft, bleibt als ethischer Maßstab nur Art. 1 GG: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt". Da zu einem würdevollen Leben die Selbstbestimmung gehört, muss letztlich immer der Wille des Menschen den Ausschlag geben. Und da zu einem Leben in Würde ein dieses Leben beendendes Sterben in Würde gehört, muss auch für die Beendigung des Lebens der Wille des sterbenskranken Patienten ausschlaggebend sein: Andernfalls würde ein Todkranker immer dann, wenn er die Wahrheit und damit Klarheit über seinen hoffnungslosen Zustand erfährt, durch die Eröffnungen des mit ihm sprechenden Arztes automatisch rechtlos unter Kuratel gestellt. Die Autonomie eines den Freitod als Erlösung suchenden Menschen steht jedoch über dem Interesse der Gesellschaft an einem unbeeinflussten Ablauf des Sterbeprozesses.

Gegner einer aktiven Sterbehilfe, die in fast allen parteipolitischen Strömungen zu finden sind, führen außer den religiösen an »irdischen« Argumenten u.a. ins Feld, dass eine die aktive Sterbehilfe ermöglichende Regelung großen Druck auf todkranke Patienten ausüben könnte, diese Möglichkeit in Anspruch zunehmen, um nicht das Gesundheitssystem mit den Kosten einer längeren Pflege zu belasten und den Angehörigen die Teilnahme am Sterbeprozess über eine längere Zeitdauer zu ersparen.

Die erforderliche Debatte über eine eventuelle Ermöglichung der Sterbehilfe gehört in den Deutschen Bundestag.


In Frankreich wird aktive Sterbehilfe selbst bei Einwilligung des Patienten als Mord oder Totschlag bewertet. Ab 2005 gilt eine gesetzliche Regelung der passiven Sterbehilfe. Das Gesetz wahrt die Selbstbestimmung von Kranken und ermöglicht wirksame Schmerztherapie. Das Gesetz stellt Ärzte straffrei, wenn sie passive Sterbehilfe leisten, das heißt, auf Wunsch des Todkranken die Behandlung abbrechen. Auch eine vor Verlust des Bewusstseins abgegebene Patientenverfügung soll genügen. Nicht bestraft wird außerdem die Gabe von wirksamen Schmerzmedikamenten, auch wenn diese als indirekte Sterbehilfe den Eintritt des Todes beschleunigt. Verboten bleibt dagegen die aktive Sterbehilfe, also die Gabe einer Todespille oder Todesspritze durch Ärzte oder Angehörige.

Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtslage in Deutschland, nur dass die französischen Regeln jetzt auch im Gesetzbuch stehen, während in Deutschland die Grenzziehung bisher dem BGH überlassen blieb. Allerdings ist die gesetzliche Klarstellung in einer so wichtigen Frage vorzuziehen, weil sie für Ärzte und Patienten Transparenz und Sicherheit schafft und dann nicht mehr von Juristengezänk verunsicherte Ärzte befürchten müssen, dass die "aktive" Beendigung einer eingeleiteten apparativen Lebenserhaltung verbotene aktive Sterbehilfe sei.

In Deutschland erhalten darüber hinaus außerhalb der Hospizbewegung und der Palliativmedizin viele Patienten nicht die nötigen Schmerzmittel, um das Erlöschen ihres Lebens schmerzfrei erwarten zu können, weil Ärzte unnötig Angst vor der Staatsanwaltschaft haben.
In Großbritannien wird bislang jede Form der Sterbehilfe als Tötungsdelikt angesehen. Diese formaljuristisch rigide Haltung wird durch eine liberale Strafpraxis gemildert. Es wird auf schwere Strafen verzichtet. Zumeist wird auf "verminderte Zurechnungsfähigkeit" des Helfers zur Zeit der Tat erkannt.
In den USA war zumindest in einigen Staaten, wie z.B. in Michigan, Sterbehilfe durch einzelstaatliche Gesetzgebung, die von hier aus nicht genau verfolgt werden kann, unter Strafe gestellt, in Oregon ist sie seit 1994 durch das Gesetz „Sterben in Würde“ legalisiert, in weiteren acht Staaten wird darüber debattiert, die in Oregon getroffene gesetzliche Regelung zu übernehmen. Der Fall der Wachkoma-Patientin Terri Schiavo brachte dort die Diskussion in die gesamte Öffentlichkeit, als ihr Ehemann in einem jahrelang geführten juristischen Kampf gegen den Willen der Eltern seiner 15 Jahre zuvor nach einem Autounfall ins Wachkoma gefallenen Ehefrau mit gerichtlicher Hilfe durchsetzte, dass die Magensonde entfernt und damit die Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr der Zwangsernährung unterbunden werden dürfe, um seine Ehefrau so zu erlösen und der Frau mit (durch Röntgenaufnahmen nachgewiesen) schon zersetzter Großhirnrinde das Sterben zu ermöglichen, das schon längst eingetreten wäre, wenn nicht rund 20 Jahre zuvor die durch die Bauchdecke und den Bauchnabel eingeführte PEG-Magensonde erfunden worden wäre. Bei einer so schweren Hirnschädigung ist es nach medizinischem Ermessen unmöglich, Hunger- oder Durstgefühle zu entwickeln. Lippen und Mund werden gleichwohl befeuchtet. Der Flüssigkeitsverlust im Körper bringt den Stoffwechsel zum kippen, weil die Nieren die Giftstoffe mangels Flüssigkeit nicht mehr ausscheiden können. Der Tod gleicht nach Meinung von Palliativmedizinern dem langsamen Verlöschen einer Kerze.

Wegen des großen Drucks der neokonservativen fundamentalistischen „Christen“ aus dem Bibel-Gürtel der USA, an ihrer Spitze der US-Präsident George W. Bush, wurde als juristischer Schnellschuss ein Gesetz erlassen, dass dem Ehemann – trotz des durch Zeugenvernehmung nachgewiesenen erklärten Willens der Patientin, nicht durch einen Terror medizinischer Maschinen am Sterben gehindert zu werden – die Entscheidungsbefugnis, den Willen seiner Frau vollstrecken zu lassen, aberkennen wollte. Aber kein Gericht der USA hat trotz des enormen öffentlichen Drucks die Wiedereinsetzung der Magensonde angeordnet! Der Vatikan sprach unqualifiziert von „Mord“.


In der Schweiz, wo - wie in der BRD - die Beihilfe zum Freitod nicht strafbar ist, der Helfende aber auch dannnicht, im Gegensatz zu der Rechtslage in der Bundesrepublik, wegen unterlassener Hilfeleistung (möglicherweise) belangt werden kann, wenn der Suizidant bewusstlos wird und die Tatherrschaft über das Geschehen verliert, diese nach Auffassung des BGH dann auf den Helfer übergeht und der nicht hilft, leisten die Organisationen „Exit“ und „Dignitas“ „Frei­tod­beglei­tung“/ “Freitodhilfe“ und ermöglichen so „assistierten Suizid“ in Fällen von „hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung“. Dort muss ein Arzt das Rezept über die tödliche Dosis eines Medikamentes ausstellen. Sterbebegleiter, häufig Pfarrer - aber nie Mediziner, denen dieser Dienst verboten ist - überbringen dann dem Sterbewilligen das Medikament „zur selbständigen Einnahme“ nach Hause, weil in der Schweiz - mit der Ausnahme von Zürich, wo seit 2000 Sterbebegleiter auch in Heimen empfangen werden dürfen, um ihre todbringenden Medikamente (in der Schweiz auf Rezept aus der Apotheke erlangbare 15 g Pentobarbital-Natrium in einem Zehntelliter Wasser und zuvor 40 Tropfen Paspertin auf ein Glas Wasser, um zu verhindern, dass der Körper das Gift von sich gibt, bevor man tot ist) zu den sterbewilligen Menschen bringen zu können, um denen in diesem Stadium die Belastung eines erneuten Umzugs zu ersparen - aktive Sterbehilfe nur zu Hause erlaubt ist. Mitarbeiter von Exit helfen auch in Deutschland, wo der 83-jährige Psychologe und Pfarrer Rolf Sigg im Dezember 99 vom LG Berlin wegen des Verstoßes gegen das BTM-Gesetz zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, als er die in einem Medikament enthaltene Substanz Natrium-Pentobar­biral zu einem Sterbewilligen brachte. Der BGH bestätigte das Urteil im Februar 01, hob aber die Geldstrafe wegen des „Ausnahmecharakters“ der Tat auf und sprach nur noch eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus.
In Dänemark kann passive Sterbehilfe mit Gefängnis bis zu drei Monaten, aktive Sterbehilfe mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden. Allerdings können die Motive des Täters strafmildernd berücksichtigt werden.

In Österreich wird die aktive Sterbehilfe als Tötungsdelikt verfolgt. Wegen einer aktiven Sterbehilfe bei Einwilligung des Patienten kann eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verhängt werden.


In Schweden ist durch Erlasse geregelt, dass passive Sterbehilfe als "nicht falsch bezeichnet werden" könne. Aktive Sterbehilfe kann dagegen als Tötung verfolgt werden; allerdings liegt es im Ermessen der Staatsanwaltschaft, in solchen Fällen von einer Anklage abzusehen.

Bei der Diskussion um die Sterbehilfe muss zwischen deren passiver und einer ak­tiven Begehungsweise unterschieden, und die aktive Ster­behilfe muss zur anderen Seite hin von dem bei der Formulierung des § 216 vom Gesetzgeber gemeinten Normalfall einer Tötung auf Verlangen abge­grenzt werden.


In Hamburg tötete ein 77-jähriger Mann aus Eimsbüttel seine Frau (76) in der gemeinsamen Wohnung am Eppendorfer Weg aus Mitleid, weil sie seit Jahren unter zum Teil kaum erträglichen Schmerzen litt. Nach Aussagen des 77-Jährigen habe ihn seine Frau immer wieder angefleht, ihrem Leiden ein Ende zu setzen. Doch er hatte bislang abgelehnt. Als sich nach einem neuerlichen Krankenhausaufenthalt herausstellte, dass es keinerlei Behandlungsmethoden mehr gebe, die seiner Frau helfen könnten, gab der 77-Jährige seiner Ehefrau Schlaftabletten. Als sie eingeschlafen war, erstickte er sie nach Polizeiauskunft mit einem Kissen. Er schrieb einen Abschiedsbrief, rief dann aber eine Angehörige an und berichtete ihr davon, was er getan hatte, und dass er plane, nun auch seinem Leben ein Ende zu setzen. Schließlich ließ er jedoch zu, dass sie die Polizei benachrichtigte.

Das Obduktionsergebnis bestätigte die Angaben des Rentners. Nach Rücksprache mit dem Staatsanwalt wurde der 77-Jährige zunächst bis zur Ansetzung seines Verfahrens wegen des Deliktes der Tötung auf Verlangen nach Hause entlassen.

(Nach HH A 20. Februar 2006)

"Passive" oder "indirekte" Sterbehilfe liegt vor, wenn durch Abbruch der Behandlung oder durch Unterlassen von Maßnahmen zur Lebensverlängerung bei verlöschendem(!) Leben kein Eingreifen lebensverlängernder Maßnahmen um jeden Preis mehr vor­genommen wird, um nicht den unumkehrbar eingetretenen Sterbeprozess zu verlängern.

In einem solchen Fall werden die behandelnden Ärzte als erstes juristisches Zwischenergebnis dieser auch in Deutschland geführten Diskussion um die Sterbehilfe nicht mehr wegen einer Tötung durch Unterlassen als durch die Übernahme der Behandlung zum Handeln verpflichtete Obhutsga­ranten zur Rechenschaft gezogen.

Die Haltung der christlichen Großkir­chen in diesem Punkt ist ein­heitlich zustimmend. Der Vatikan mahnte in einer "Erklärung zur Eu­thanasie" im Juni 1980, "die Würde des Men­schen zu wahren". Wenn der Tod näher komme und durch keine Thera­pie mehr verhindert wer­den könne, "darf man sich im Gewissen ent­schließen, auf weitere Heilversuche zu verzichten". Sonst - so der immer sprachgewaltig gewesene evangelische Theologe H. Thielicke - "... schlägt der vermeintliche Dienst am Menschen um in einen Terror der Humanität". Wie gut, wenn beherzte Richter einen solchen Terror stoppen:
„Kranke darf sterben

Erstmals urteilte ein Gericht in Großbritannien zugunsten einer Frau, die sterben möchte, aber nicht todkrank ist

LONDON afp v Zum ersten Mal hat ein britisches Gericht einer nicht todkranken Patientin das Recht zu sterben zugebilligt. Richterin Elisabeth Butler-Sloss gab gestern in London dem Wunsch einer vollständig gelähmten Frau nach, das für sie lebenswichtige Beatmungsgerät abzuschalten. Die behandelnden Ärzte hatten sich aus ethischen Gründen gegen eine Abschaltung ausgesprochen. Die Heilungschancen gaben sie mit weniger als 1 Prozent an. Die Frau ist seit einer Schlagaderverletzung vor einem Jahr vom Hals ab gelähmt und kann nicht mehr selbstständig atmen.

Auf diese Weise könne die Patientin ihr Leben in Frieden und mit Würde beenden, begründete die Richterin ihre Entscheidung. Für derart schwerbehinderte Menschen könne das Leben schlimmer als der Tod sein. Weil die Patientin gegen deren Willen am Leben erhalten wurde, muss das Krankenhaus 100 Pfund (162 Euro) Schadenersatz zahlen.“ (taz 23.03.02)

Die Diskussion um die Sterbehilfe entzündet sich heutzutage insbesondere an dem Problem­kreis der aktiven Sterbehilfe. Sie wurde in den 90er Jahren von dem damals führenden Bio-Ethiker Australiens und jetzigen Princeton-Professor, dem Juden Peter Singer trotz der von den Nazis an seinen Glaubensgenossen verübten Verbrechen - mit zahlreichen herzzerreißenden Beispielen von schwerstbehinderten Säuglingen - ins Gespräch gebracht. Auf diesem gesellschaftspolitischen Konfliktfeld prallen die Meinungen der Be­für­worter und der Gegner unversöhnlich aufeinander.

Aktive Sterbehilfe liegt vor, wenn bei Todgeweihten durch künstli­che Eingriffe eine gezielte Lebensverkürzung vorgenommen wird, um das Eintreten des Todes zu beschleunigen. Aktive Sterbehilfe ist das Herbeiführen des Todes mit künstlichen Mitteln. (Fall 13 kann für den tö­tenden Bruder unter die­sem Aspekt gesehen werden, denn der durch den Bolzen­schuss­apparat Verletzte war nicht mehr lebensfähig gewe­sen. Weil die behandelnden Ärzte aber noch nicht einmal zu einer passiven Ster­behilfe bereit gewesen waren, hatte der Lebensunfähige sogar die ganze Zeit ohne Hoffnung auf eine Besserung künstlich beatmet werden müssen! An diesem Fallbeispiel müsste jeder Thielickes Wort von dem "Terror der Humanität" nachvollziehen können.)
Die Bewertung der aktiven Sterbehilfe ist seit rund 20 Jahren in der Gesellschaft in eine Diskussion geraten, in der sich Befürworter und Geg­ner einer Euthanasie an Todkranken gegenseitig Menschenverach­tung vorwerfen. Die einen malen etwa aus, wie immer mehr Menschen mit den Appara­turen der modernen Hochleistungsmedizin am Ende ihrer Tage gegen ihren erklärten Willen statt länger am Leben nur noch unter Qualen länger am Sterben gehalten werden. Da wer­de der Tod zum Freund, der Arzt zum Feind.106 Die anderen malen das Menetekel eines erneuten Mas­senmordes, dieses Mal nicht an Juden, sondern an den vergreisenden Menschen, an die Wand. Statt alte Men­schen zu pflegen, wolle man sie "entsorgen", damit sie nicht län­ger Kosten verursachen und Wohnraum blockieren. Befürworter einer selbstbestimmten Lebensendes fordern die Möglichkeit zumindest der assistierten Selbsttötung als ein Freiheitsrecht des Menschen. 194 vorwiegend süddeutsche Ärzte, Juristen, Philosophen, Politiker und Naturwissenschaftler warnten in ihrem »Kinsauer Manifest«: "Ist die Tötung auf Verlangen erst ein­mal legalisiert und gesellschaftlich akzeptiert, dann hat auch der, der nicht freiwillig aus dem Leben geht, die Last zu verantworten, die sein Leben für andere bedeutet. Es wird bald zur gesellschaftlichen Pflicht jedes dauerhaft Pflegebedürfti­gen, die Umwelt von der Last seiner Pflege zu befreien, indem er um Tötung ersucht."

Es steht unabweislich fest, dass aufgrund der demographischen Entwicklung die Gesellschaft vergreise und bei zurückgehenden Geburtenzahlen immer weniger Junge für immer mehr Alte werden sorgen müssen. Das Zeit­geist­-Magazin »Wiener« sagte eine Kündigung des Generationenvertrages voraus, der bislang die Jüngeren zur Versorgung der Ruheständler, die ihnen mit ihrer Lebensleistung durch Schulen, Krankenhäuser, Straßen, den Start in ihr Leben ermöglicht haben, verpflichtet.

Eine Langzeitstudie der Universität Göttingen registrierte seit 1970 ein stetiges Ansteigen der Zahl alter Menschen, die es zum Freitod drängt und von denen immer mehr die Selbsttötung schließlich auch gelingt. Von den rund 9.000 bundesdeutschen Frei­todfällen des Jahres 1989 betraf jeder dritte Menschen im Alter von 60 Jahren und mehr. Sit 2003 hatte sich die Zahl der Suizi­danten auf etwas über 11.000 stabilisiert.

Kaum noch zu überbieten ist das Grauen, wenn Todkranke durch körperliches Elend selbst zum Suizid nicht mehr in der Lage sind und mangels eines hilfsbereiten Arztes die eigene Familie zur Sterbehilfe zwingen.

In der folgenden kleinen Fallsammlung wird auf den gerichtsnotorisch bekannt gewordenen Fall eines 78jäh­ri­gen, an Bauchspeicheldrüsen-Krebs erkrankten und auf 40 Kilo abgemagerten Kunsthändlers in den 80-er/90-er Jahren aus Bad Aibling verwiesen. Der Mann litt zu Hause unter großen Qualen und drängte sei­ne beiden erwachsenen Söhne, ihm »endlich zu helfen« Er hatte sich früher zwei Ampullen eines in Überdosierung als tödlich geltenden Schmerzmittels beschafft und überredete seine Söhne schließlich, das Präparat in einen Schlauch zu geben, durch den er Infusionen in den Arm erhielt. Der Mann starb, sein Hausarzt meldete den Vorfall der Polizei, und die Staats­anwaltschaft erhob gegen die Söhne Anklage wegen »Tötung auf Verlangen«. Nur weil nicht zu beweisen war, ob der Ampulleninhalt ursächlich den Tod herbeiführte, ließ es das Schöffengericht Rosenheim bei einer Geldstrafe bewenden.
Mit den Worten: "Lebensverlängerung ist sicher ein Therapieziel. Sterbeverlängerung ist aber kein Therapieziel", begründete der Münchner Medizinprofessor Gian Borasio auf dem 66. Deutschen Juristentag, der sich 2006 in Stuttgart zum dritten Mal innerhalb von zwanzig Jahren mit dem Thema Sterbehilfe und Sterbebegleitung befasste, dass Therapien an Sterbenskranken ohne jede Heilungsaussicht nicht vorgenommen werden sollten.

Anmerkung: Für 2004 wurde die Zahl der Selbsttötungen mit rund 11.000 angegeben – alle 47 Minuten eine; für 2005 lautete die Zahl der Suizide 10.260.

Noch sind die juristischen Bastionen un­erschüttert, die einen nach seiner eigenen Überzeugung barmherzig handelnden aber dabei "unge­schickt" vorgehenden Arzt oder Verwandten wegen Tot­schlags gemäß § 212 oder - bei einem nachweisbaren und beachtlichen diesbezüglichen Wunsch des Pa­tienten - wegen einer Tötung auf Verlangen gemäß § 216 verurteilt wissen wollen.
"Sterbehilfe

»Nicht moralisch verurteilen«

Bei Prozessen um Sterbehilfe tun sich deutsche Gerichte schwer - das Gesetz erlaubt nur selten einen Freispruch


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