Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten


Untauglicher und abergläubischer Versuch, wegen der Garantiefunktion des Strafrechts straflos gelassene Wahndelikte



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4.1.2 Untauglicher und abergläubischer Versuch, wegen der Garantiefunktion des Strafrechts straflos gelassene Wahndelikte

Bisher war von Versuchen gesprochen worden, bei denen die auf De­liktsverwirklichung gerichtete Handlung zwar geeignet gewesen wä­re, den angestrebten Erfolg herbeizuführen, das Tatgeschehen dann aber aus irgendeinem Grund vorher steckengeblieben ist. Manchmal jedoch passiert es, dass der Täter durch seine Handlung zwar ein Rechtsgut verletzen will, seine aktuelle Vorgehensweise aber von vornherein ungeeignet ist, diesen Erfolg herbeizuführen. Wenn T den O erschießen wollte, zu diesem Zweck aber eine versehentlich ungeladene Pistole abdrückte, so handelte er gleichwohl mit dem Willensziel zu töten. Ein solches Handeln ist als untauglicher Versuch strafbares Unrecht. Versuch ist also auch dort gegeben, wo es wegen der gewählten Mittel an der Vollendbarkeit von vornherein fehlt, der im Gesetz genannte Unrechtstatbestand aber generell mit anderem Mitteleinsatz hätte erfüllt werden kön­nen.


"Verhinderter Brandstifter

ak Wilhelmsburg - Nach einem Streit wollte ein 34jähriger Fa­mi­li­envater die Wohnung am Niedergeorgswerder Deich, in der er mit seiner Frau und seiner 14jährigen Tochter wohnte, anzün­den. Der Mann hatte schon im Kinderzimmer 10 Liter Diesel über das Bett seiner Tochter geschüttet. Der Kraftstoff ließ sich aber nicht entzünden."


In Fällen »exquisiter Dummheit« (Hilfsformel: "Wie kann man nur so dämlich sein!") besteht gemäß § 23 III die Möglichkeit, fakultativ die Strafe zu mildern oder ganz von ihr abzusehen. Es ist jedoch nur eine Möglichkeit, keine Garantie! Grober Unverstand i.S.d. § 23 III liegt aber nur bei krassesten Irrtümern über Gesetzmäßigkei­ten von Geschehensabläufen vor - Schwangere S isst Traubenzuc­ker, weil sie glaubt, auf diese Weise abtreiben zu können -, nicht aber bei Irrtümern über Sachverhalte: T rührt in den Kaffee sei­ner schwangeren Freundin F, weil er das werdende Kind nicht haben will, heimlich Traubenzucker, den er mit dem mitgebrachten Abtrei­bungspulver verwechselt hat. Die S des vorhergehenden Beispielfalles konnte wegen ihres groben Unverstandes gemäß § 23 III straffrei gelassen werden, T dagegen nicht, sondern nur über die allgemeine Strafmilderungsmöglichkeit des Versuchs gegenüber der vollendeten Tat gemäß § 23 II fakultativ milder bestraft werden.

Strittig ist die Behandlung des abergläubischen Versuchs, z.B. im Falle von "Totbeten" und anderer Hexerei:


Die uns wegen ihrer Dämlichkeit eben schon aufgefallene S stellt bestürzt fest, dass ihr Bauch trotz wiederholten Essens von Trau­benzucker immer dicker geworden ist. (Von Ernährungsfragen hat sie also auch keine Ahnung.) Verzweifelt greift sie nach dem Rat einer "weisen Frau" zu dem letzten ihr zugänglichen Mittel und verbrennt um Mit­ternacht eine kleine Spielzeugwiege, weil das die Schwangerschaft beenden solle.
Solcher Voodoo- oder anderer Zauber wird als abergläubischer Versuch teilweise als Straftat angesehen. Das mag (gerade noch) für die Fälle angehen, in denen der Täter an eine unmittelbar kausale Beherrschung des Geschehensablaufes durch Zauberhandlungen glaubt, er also an­nimmt, mit seinem Vorgehen den erstrebten Erfolg unfehlbar erzwin­gen zu können. Wenn S aber eine kleine Wiege verbrennt, weil ihr dann an­geblich geheime Mächte den sehnlichen Wunsch des Schwangerschaftsabbruches erfüllen würden, dann fehlt es bei ihr an dem Wollen einer eigenen Deliktsverwirkli­chung. Bei ihr liegt dann kein Wollen vor, sondern nur ein Wün­schen: Fremde Mächte sollen helfen. "Heiliger Sankt Florian, verschon' mein Haus, zünd' das des Nachbarn an!" Wegen des Fehlens einer auch nur im Ansatz auf eine eigene Deliktsverwirklichung gerichteten Handlung muss eine Versuchsstrafbarkeit entfallen.

Wenn aller fauler Zauber nicht hilft, muss zur angestrebten Deliktsverwirklichung dann doch noch gehandelt werden; und das ist dann wieder strafbar:


„Drei Killer und viel fauler Zauber

dpa Bielefeld - Voodoo-Zauberei, Gift im Essen, drei wenig entschlossene Killer: In einem ungewöhnlichen Kriminalfall stehen seit gestern eine 48jährige Kauffrau und eine Wahrsagerin (51) wegen versuchten Mordes vor dem Bielefelder Schwurgericht. Die Kauffrau wollte ihren prügelnden Ehemann ins Jenseits befördern. Und die Wahrsagerin ließ ihr ganzes Repertoire spielen: Zunächst versuchte sie es mit nächtlichem Voodoo-Zauber im Wald, dann mit Gift im Essen. Doch der Ehemann überlebte. Dann heuerte die Ehefrau einen Killer an - ein Gastronom kassierte 30.000 Mark, ließ aber die Finger von der Sache. Der zweite Killer strich 15.800 Mark und zwei goldene Ringe ein - wurde aber ebensowenig aktiv wie ein dritter angeheuerter Killer. Nach soviel Mißerfolgen griff die Wahrsagerin schließlich selbst zur Waffe und schoss dem ahnungslosen Mann im April 1995 mit einer Pistole in den Hals. Doch der 56jährige überlebte das Attentat - und versöhnte sich wieder mit seiner Frau. Der Prozess wird fortgesetzt.“

(HH Abendblatt 30.01.96)
Bei dieser Fallgestalt könnte eventuell auch für den ersten Versuch, der Zauberei im Wald zu nächtlicher Stunde, ein deliktisches Handeln angenommen werden. Da könnte es sich nicht bloß um das Erflehen des Beistandes satanischer Mächte gehandelt haben. Aber die Kammer hatte so viele andere Ansatzpunkte für ihre Verhandlung, dass sie diesen Teilaspekt wohl aussondern konnte und wohl auch ausgesondert haben wird.
Bei einem Wahndelikt, das unstreitig straf­los ist, glaubt der Täter irrig, mit seinem Handeln einen Straf­tat­be­stand zu verwirklichen. Aber wegen des fragmentarischen Cha­rakters des Strafrechts ist seine Handlung nicht strafbedroht. Irr­tümliches Unrechtsbewusstsein kann dann kein strafrechtliches Unrecht begründen:
T glaubt, er mache sich heute noch strafbar, wenn er seine Frau mit deren bester Freundin betrüge. Er tut es dennoch - mit schlechtem Gewissen zwar, aber sehr lustvoll.
Nach dem Wegfall des alten § 172 aufgrund des 1. Strafrechtsre­form­gesetzes von 1969, der bis dahin die Strafbarkeit des Ehebruchs geregelt hatte, kann Ts auch noch so schlechtes Gewissen kein staatliches Strafverfah­ren in Gang setzen. Das ist wieder auf die Garantiefunktion der Strafgesetze zurückzuführen: Was nicht verboten ist, kann auch nicht mit Kriminalstrafe geahn­det werden.
Das war in Deutschland vor gerade mal zwei Generationen unter der NS-Diktatur anders! Dafür wurde 1935 das nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Gesetz erlassen:
„Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28.06.1935

Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, dass hiermit verkündet wird:

...

§ 2 Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.“


Die Anwendung dieses Gesetzes erklärte der Reichsjustizministers Gürtner 1935 mit dem Satz:
"Unrecht ist also in Deutschland künftig auch da möglich, wo es kein Gesetz mit Strafe bedroht!",
und die Nazis trotzdem zu einer Verurteilung gelangen wollten. Vorsichtshalber wurden dazu unbestimmte, offene Rechtsbegriffe90 geschaffen, nach denen z.B. ein Verstoß gegen die "deutsche Ehre", das "gesunde Volksempfinden" oder die "Liebe zum Führer" strafrechtlich geahndet werden konnte. Mit einem Federstrich war die in davor rund 150 Jahren Rechtstradition entwickelte Garantiefunktion des Strafgesetzes als Selbstbeschränkung staatlicher Gewalt wieder beseitigt. Strafbar war nun nicht mehr nur, was in den sofort nach der Machtergreifung verschärften Gesetzen stand, sondern auch das, was den Nationalsozialisten darüber hinaus eventuell einmal nicht passen würde, nicht genau bestimmbar war oder auch gar nicht genau bestimmt werden sollte, aber mit der vorstehenden Generalklausel im Bedarfsfalle eine einschüchternde Strafrechtsanwendung ermöglichen sollte.

4.1.3 Rücktritt

"Räuber resignierte

hei Essen - Nur wenige Minuten nach seinem Überfall auf eine Essener Boutique brachte ein 20 Jahre alter Räuber die erbeuteten 500 Mark wieder zurück. ‘Die kriegen mich ja doch', sagte er resigniert und legte der verdutzten Verkäuferin die Geldscheine auf den Ladentisch. In diesem Moment ging die Tür auf, und Polizisten stürmten in den Raum."
Um einen Straftäter, der schon unmittelbar zur Deliktsverwirkli­chung angesetzt hat, nicht bis zur Vollendung der begonnenen Straftat zu trei­ben, weil der sich sonst sagen könnte: "Jetzt ist eh' alles egal, nun mach' ich ihn auch alle“, wird ihm unverdien­termaßen gnadenweise oder mehr noch aus kriminalpolitischen Erwä­gungen he­raus durch die Rücktrittsregelung des § 24 eine letzte goldene Brücke für den Weg zurück in die Gemeinschaft der anderen (meistens) Rechtstreuen gebaut. § 24 I 1 be­stimmt dabei, dass wegen eines noch nicht fehlgeschlagenen Versuchs – von der zeitlich später liegenden Deliktsvollendung kann nach dem Wortlaut dieser Norm sowieso nicht mehr strafbefreiend zurückgetreten werden - nicht bestraft wird, wer beim unbeendeten Versuch freiwil­lig die wei­tere Ausführung der Tat aufgibt oder beim schon beendeten Versuch deren Vollendung verhindert oder wenigstens zu verhindern trachtet auch wenn es dabei nur durch Zufall nicht zur Vollendung kommt..

Die Regelung, dass nur vom unbeendigten und sogar noch vom beendigten Versuch, nicht aber von einer vollendeten Tat zurückgetreten werden kann, wenn nach dem »versuchten Rücktritt« gar kein Schaden mehr vorhanden ist, wird von manchen Rechtslehrern als ungerecht empfunden: Sogar ein Mensch, der einem anderen schon ganz konkret nach dem Leben trachtete und damit eines der höchstrangigen Rechtsgüter verletzen wollte, könne - losgelöst von einer vielleicht sogar sehr egoistischen Motivation des Täters, die sein Handeln als Mordversuch qualifizieren würde - unbeschadet in die Rechtsordnung zurückfliehen, wenn er rechtzeitig seine Deliktsverwirklichungsabsichten aufgibt, nicht aber ein kleiner Ladendieb, der (bisher unentdeckt) die eingesteckte Sache zurücklegen will, weil ihn sein Vorgehen reut und er nun die Sache zurücklegen will, dabei aber beobachtet wird. Doch so ist die gesetzliche Regelung.


Beim Rücktritt sind zwei ver­schiedene Fallgestalten der Versuch gebliebenen Handlung zu unterscheiden. Erstens: Der Täter hat nach sei­nen Vorstellungen noch nicht alles zur Deliktsverwirkli­chung Er­forderliche getan; und zweitens: Der Täter hat nach seiner Vor­stellung schon alles getan, damit ohne sein weiteres Handeln die Straftat vollendet werde.

Der erstere Fall wird als "unbeendeter Versuch" bezeichnet: Der Täter, der dabei ist, sein Opfer zu erdrosseln, braucht nur frei­willig den Würgegriff am Hals des Opfers zu lösen, um vom Tötungs­versuch strafbefreiend zurückzutreten.

(Wegen der durch das Wür­gen schon vollendeten Körperverletzung wird er aber trotzdem zur Verantwortung gezogen werden, denn von diesem vollendeten Delikt konnte er wegen des schon erreichten Vollendungsstadiums nicht mehr strafbefreiend zurücktreten. Das geht nur vom Versuch gebliebenen Delikt! Bei Vollendung eines "Begleit-De­liktes" wird also kein 100prozentiger Rabatt auf alle durch die Handlung verwirklichten Delikte gewährt. Aber der Unterschied zwischen den möglichen Mindeststrafen - Geldstrafe einerseits oder 5 Jahren Freiheitsstrafe andererseits - und den Höchststrafen für die Verwirklichung des § 223 a(!) wegen der das Leben gefährdenden Behandlung - von 5 Jahren einerseits oder 15 Jahren für einen "normalen" Totschlag andererseits - ist für jeden umkehrwilligen Täter ein „gutes Geschäft“!)

Zum Rücktritt vom unbeendeten Versuch genügt also das bloße Nichtweiterhandeln.

Darum ein Tipp von Mann zu Mann für die eigene Lebensführung: Wer seine Ehefrau noch etwas unschlüssig loswerden will, sollte sie nicht zu erwürgen trachten, sondern aus nicht zu großer Entfernung auf sie schießen, dabei aber immer mindestens noch eine Patrone im Magazin behalten, um bei Änderung seiner Absichten während der Tatausführung einen Rücktrittswillen wenigstens behaupten zu können. (Der Tip ging von Mann zu Mann, weil die gewalttätige Beendigung einer Ehe durch Waffeneinsatz oder Erdrosselung eher die Domäne der Männer ist. Frauen töten tendenziell eher mit Gift.)
Der zweite Fall, dass der Täter schon alles ihm notwendig Erschei­nen­de getan hat, wird als "beendeter Versuch" bezeichnet.
"Rattengift in der Leberwurst

Braunschweig - Mit Rattengift hat ein Unbekannter Leberwurst­gläser der Marke ‘S...' in einem Braunschweiger Supermarkt ver­giftet. Bislang wurden drei Gläser mit dem rot-braunen ‘Gift­wei­zen' entdeckt."


In einem solchen Fall muss der Täter als Zeichen seines subjektiven Rückzugs von dem von ihm bis dahin angestrebten Deliktserfolg eine auf Erfolgsabwendung ge­rich­tete Tä­tigkeit vornehmen, z.B. das Geschäft anrufen, damit die vergifteten Nahrungsmittel aus den Auslagen entfernt werden, wenn er die Wohltat des § 24 erlan­gen will; und es darf zwischenzeitlich kein Erfolg eintreten, denn sonst wäre es ja kein Ver­such mehr, sondern ein vollendetes Delikt, von dem auf jeden Fall nicht mehr strafbefreiend zurückgetreten werden kann! „Die abgeschossene Kugel ist des Teufels“ (Schmidhäuser). Ehefrau F, die ihrem nicht mehr geliebten Ehemann M vergiftetes Essen hingestellt hat, damit er es nicht nur aufwärme, sondern auch esse, müsste im Falle des Rücktritts zu verhindern suchen, dass ihr von der Ar­beit heimkommender Mann von der vergifteten Speise esse: Kommt sie vor ihm nach Hause und schüttet das Essen weg, so ist sie strafbefreiend zurückgetreten – und er wähnt sich vielleicht immer noch geliebt. Wenn sie sich ernsthaft um eine Erfolgsverhinderung bemüht, dann darf ihr sogar der Zufall zu Hil­fe kommen, damit sie die goldene Brücke noch überschreiten kann. Der Fall wäre dann so weiterzuspinnen, dass sie zwar nach Hause um­kehrt, aber in einem Verkehrsstau stecken bleibt und darum nach ih­rem Mann in der Wohnung eintrifft. Hätte M schon zu essen angefangen oder gar schon gegessen, so würde sie trotz ihres ernsthaften - aber leider erfolglosen - Bemühens bestraft: Wer zu spät kommt, den bestraft nicht nur das Leben, sondern gegebenenfalls auch der Strafrichter! Der eben gebildete Fall müsste statt dessen so weitergedacht werden, dass M zur Mittagszeit mit seinem „Vergiftungsgrund“, seiner Geliebten, zum Essen gegangen war und darum an diesem Abend nicht noch einmal hatte warm essen mögen. Wenn F das Essen nun wegschüt­tet - selbst wenn M inzwischen Verdacht schöpfte - und es nicht für den nächsten Tag kaltstellte, dann wird sie wegen der ernsthaften Bemühung, die Vollendung durch tätigen Rücktritt zu verhindern, zwingend straflos bleiben.
Die Grenze zwischen Straflosigkeit und Strafbarkeit liegt nicht erst bei der Vollendung. Sie liegt schon zeitlich vorher beim "fehlgeschlagenen Versuch". So wird ein Versuch bezeichnet, bei dem für den Täter widrige Umstände den Erfolgseintritt verhinderten, und der Täter nunmehr glaubt, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Erfolgs­herbeiführung weiterhandeln zu können: T schießt auf O, trifft aber den hakenschlagenden und um sein Leben rennenden O nicht, O entkommt; oder: T schießt - weil er nicht vorher dieses Buch gelesen hat und darum nicht den vorhin erteilten Rat kennt, wenigstens eine Kugel für eine Ausrede aufzuheben - sein Magazin leer, ohne zu treffen.
"Schüsse auf den Schwiegersohn

Nur knapp ist ein 23 Jahre alter Mann in der Nacht zum Sonnabend seiner Ermordung entgangen. Der Täter war sein Schwiegervater. Im Streit hatte der 43jährige in seiner Wohnung am Valentinskamp (Neustadt) eine Pistole gezogen und auf seinen Schwiegersohn geschossen. Der Schuss traf das Sofa, auf dem der 23jährige saß. Als er aus dem Zimmer flüchtete, feuerte der angetrunkene Schütze viermal hinterher, verfehlte aber sein Ziel. Der Täter wurde festgenommen."


In einem solchen Fall ist ein subjektiver Rücktritt von der nur Versuch gebliebenen Tat nicht mehr möglich. Auf die fehlende Freiwilligkeit kommt es für die Rechtsfolge schon gar nicht mehr an, obwohl die Rechtsprechung solche Fälle auch so löst, dass sie die Freiwilligkeit der Deliktsaufgabe verneint. Der Schwiegervater ist wegen eines versuchten Tötungsdeliktes zu bestrafen, weil es sich bei sei­ner Tat um einen durch die erfolgreiche Flucht des Schwiegersohnes schon beendeten Versuch handelt, von dem er sich nicht durch eine erfolgsabwendende Handlung subjektiv distanziert und zurückgezogen hat und auch gar nicht mehr strafbefreiend distanzieren konnte. Darum der dringende anwaltliche Rat: Immer eine Patrone zurückbehalten! Dann ist es auf jeden Fall für die Staatsanwaltschaft und das Gericht schwerer, einen fehlgeschlagenen Versuch nachzuweisen. Und es bleibt Raum für die Anwendung des fundamentalen Rechtsgrundsatzes: "In dubio pro reo!"

Und wie wäre hier zu entscheiden?


„Bankräuber verließ der Mut

mp Hollern – Einen maskierten Bankräuber verließ beim Überfall auf die Filiale der Altländer Sparkasse in Hollern-Twielenfleth der Mut. Er flüchtete ohne Beute. Der Täter betrat kurz nach 18 Uhr am Donnerstag die Geschäftsstelle. In der rechten Hand hielt er eine Schusswaffe, in der linken hielt er eine Plastiktüte. Im Schalterraum befanden sich zwei Kunden und drei Bankangestellte. Die Kasse der Filiale war nicht mehr besetzt. Nach wenigen Sekunden verließ der maskierte Mann wieder die Sparkasse, ohne etwas gesagt zu haben. ...“


Das Täterhandeln war schon etwas mehr als im Pfeffertütenfall. Der Bankräuber unterschied sich sehr offensichtlich schon von jedem anderen Bankkunden. (Ich jedenfalls pflege meine Bank nicht maskiert zu betreten.) War es ein Rücktritt vom Versuch, der dem Pfeffertüten-„Täter“ zu Unrecht nicht zugebilligt worden war, obwohl er sich – richtig gesehen – erst noch im Stadium der Vorbereitung befand? Oder lag schon ein fehlgeschlagener Versuch vor, weil die Kasse „nicht mehr besetzt gewesen“ war? Glaubte der „Sparkassenräuber“, noch weiterhandeln zu können – oder hielt er die Tatausführung für nicht mehr durchführbar? Sollte er doch noch geschnappt werden, kann ihm nur geraten werden, den Mund zu halten und nicht „falsche“ Antworten zu geben: Reden ist Gefängnis, Schweigen ist Freiheit.

Die goldene Brücke der Regelung des § 24 für eine nur unbeendeter Versuch gebliebene Tat zeigt, wie wichtig es für einen potentiel­len oder Versuchsstraftäter sein kann, dass der Gesetzgeber nicht zu früh im zeitlichen Ablauf eines Tatgeschehens eine Deliktsvollendung an­ordnet: Ein potentieller Mörder bleibt unter den ge­nannten Vor­aussetzungen selbst von einem versuchten Verbrechen straffrei, aber der Täter eines Vergehens gemäß § 275, der sich nur erst Papier zur Fälschung eines amtlichen Ausweises besorgt, kann hiervon nicht mehr strafbefreiend zurück­treten. Und das soll gerecht sein?


Im (Straf-)"Recht" ist manches im ursprünglichen Wortsinn »frag-würdig« und damit regelungsbedürftig! Dazu als „obiter dictum“ und Einblick in Strafrechtspolitik, aus welchen Gründen und wie Strafrechtslücken geschlossen werden:
"Mehr Schutz für Kinder

Justizministerin will Lücken im Strafrecht schließen

HA Bonn - Die Entführung von Säuglingen und Kindern soll künftig lückenlos unter Strafe gestellt werden. Wer bisher in Deutschland einen Säugling stiehlt, ohne dabei List oder Gewalt anzuwenden, kann nämlich nicht wegen Kindesentziehung bestraft werden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) legte dazu gestern einen Gesetzentwurf gegen Kindesentziehung und kommerziellen Kinderhandel vor. Zugleich soll auch die Entführung eines Kindes durch einen Sorgeberechtigten ins Ausland strafbar werden.

Im entsprechenden Paragraphen 235 des Strafgesetzbuches heißt es bisher: ‘Wer eine Person unter 18 Jahren durch List, Drohung oder Gewalt ihren Eltern entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.' Wendet jemand weder ‘List, Drohung oder Gewalt' an, geht er somit straffrei aus. So würde jemand, der ein Kind aus einem vor einem Geschäft abgestellten Kinderwagen nimmt, unbestraft bleiben. Strafbar wäre lediglich der Diebstahl des Kinderwagens, würde der Entführer ihn mitnehmen.

In diesem Fall greift auch kein anderer Paragraph. Auch Menschenraub setzt List, Drohung und Gewalt voraus. Von Freiheitsberaubung wollen die Juristen nicht reden, solange das Kind noch so klein ist, dass es keinen eigenen erkennbaren Willen hat.

Die Justizministerin wies darauf hin, dass diese Gesetzeslücke bisher von den Gerichten nur durch ‘Überdehnung' der gesetzlichen Begriffe geschlossen werden konnte. So war es in dem Fall, durch den das Ministerium in einer eingereichten Petition auf die Gesetzeslücke überhaupt erst aufmerksam wurde: Zwei Männer in Berlin entführten ein Kleinkind in einer Sporttasche aus einem Wohnheim. Das Gericht konnte sie nur wegen Kindesentzug verurteilen, weil sie die Sporttasche am Pförtner vorbeitrugen. Das werteten die Richter als ‘List'.


Sabine Leutheuser-Schnarrenberger will aus dem Paragraphen 235 die tatbestandseingrenzenden Merkmale ‘List, Drohung oder Gewalt' streichen. Auch der Versuch von Kindesentziehung soll unter Strafe gestellt werden.

Bestraft werden soll dem Entwurf zufolge künftig auch ein Täter, der mit Einwilligung des anderen sorgeberechtigten Elternteils mit einem gemeinsamen Kind ins Ausland reist und dort den Entschluß faßt, das Kind nicht mehr nach Deutschland zurückzubringen. Diese Fälle, die sich zumeist in binationalen Ehen und sehr häufig mit Bezug zu islamischen Staaten abspielen, seien bislang noch nicht erfasst, sagte die Justizministerin: Der Täter könne ohne das Kind in die Bundesrepublik zurückkehren, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Diese setzt nach bisheriger Gesetzeslage nur ein, wenn der Täter von vornherein beabsichtigt hat, das Kind nicht mehr zurückzubringen.

Diese Gesetzeslücke müsse auch deshalb geschlossen werden, so die Ministerin, weil kein islamischer Staat bislang dem Haagener Abkommen von 1980 beigetreten sei, das die Rückführung entführter Kinder regelt." (HH Abendblatt 22.12.94)
Es gibt im StGB verschiedene solcher Ungereimtheiten. Zum Beispiel ist die versuchte Sachbeschädigung strafbar, nicht aber die versuchte Körperverletzung.

Durch die legalisierten Drogen Tabak und Alkohol kommen, u.a. im täglichen Straßenverkehr, wesentlich mehr Menschen ums Leben, als es (meiner allerdings unmaßgeblichen Einschätzung nach) durch Haschischgenuss der Fall sein könnte.

Aus solchen Gründen werden von einer Expertenkommission Änderungsvorschläge an unseren Strafbestimmungen erarbeitet.

4.1.4 Teleologische Systematik bei versuchten Begehungsdelikten


Prüfungsabfolge bei versuchten Begehungsdelikten

Darstellung des zu prüfenden Sachverhaltsausschnittes/Handlungsabschnittes

Auf fehlende Vollendung des versuchten Deliktes hinweisen. Dann:

„Zu prüfen ist der Versuch eines Vergehens/Verbrechens des/der ... gemäß §(§) ... .“






Prüfung des Unrechtstatbestandes (UTB)

Strafbarkeit des Versuchs durch Hinweis auf die einschlägige gesetzliche Norm begründen: Bei Verbrechen unter Hinweis auf den durch die §§ 23,12 und die in der zu prüfenden Strafnorm festgelegte Mindeststrafbarkeit, bei Vergehen unter Benennung der gesetzlich angeordneten Versuchsstrafbarkeit. Wahndelikt scheidet somit aus.

Handlungsunwert in der Form des Zielunwertes oder/und des Gefährdungsunwertes für das angegriffene Rechtsgut darstellen. Bei Zieldelikten das weiterreichende Willensziel darlegen. Die mit dem Willen auf den tatbestandlichen „Erfolg“ als Ziel vorgenommene Handlung aufzeigen.

Den Versuch unter Hinweis auf und unter Abgrenzung von strafloser Vorbereitung in hinreichender Vollendungsnähe („Jetzt geht’s los!“) darstellen.

Sind gesetzlich eventuell geschilderte besondere Unrechtsmerkmale erfüllt?

(Z.B. der Einsatz einer Waffe)

Zwischenergebnis (wie bei der Prüfung eines vollendeten Begehungsdeliktes):

„Der UTB des/r §(§) ... ist nicht gegeben.“  keine Rechtsgutsverletzung

„Der UTB des/r §(§) ... ist tatbestandlich erfüllt und dem Handeln des Täters direkt zurechenbar.“

Prüfung der objektiven Zurechnung des „Erfolges“ zum Handeln des Täters:

das Unrecht




Bei erfülltem UTB: Wie beim vollendeten Delikt Unrechtsausschluss durch Eingreifen von Rechtfertigungsgründen zur Durchsetzung eines vorrangigen Rechtsgutsanspruchs prüfen

= durch Rechtfertigungsgründe (RF) erlaubte, Versuch gebliebene Rechtsgutsverletzung?







(+) bei Vorliegen von RF-Gründen

(s. Schemazeichnung zu vollendeten Begehungsdelikten)

 Unrechtsausschluss durch Rechtfertigung, keine Straftat gegeben








(-): „Das Unrecht ist nicht durch Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen.“






Prüfung des Schuldtatbestandes wie beim vollendeten Begehungsdelikt; nur VS möglich!

Prüfung der subjektiven Zurechnung der Rechtsgutsverlet-zung:

die Schuld







(+): keine Rechtsschuld, da Handeln entschuldigt

(wie beim vollendeten Begehungsdelikt)







(-): „Die Schuld ist nicht durch Entschuldigungsgründe (E) ausgeschlossen.“








(+); insbesondere freiwilliger Rücktritt vom

- unbeendeten Versuch: kein deliktisches Weiterhandeln

- beendeten Versuch: Tätigwerden zur Erfolgsabwehr

 keine Deliktsverwirklichung der geprüften Norm







(-); insbesondere kein Rücktritt vom fehlgeschlagenen Versuch möglich




Ergebnis: „Der Täter hat sich einer versuchten Straftat des/der ... gemäß §(§) ... schuldig gemacht.“

Wenn ein Delikt offensichtlich nicht vollendet worden ist, wäre es unsinnig, zunächst die Vollendung zu prüfen, sie abzulehnen und dann das mögliche Vorliegen eines Versuches zu untersuchen. Man braucht sich nicht wesentlich dümmer zu stellen, als man in Wirklichkeit ist. So weit sollten die klausurtaktischen Überlegungen nicht gehen.

(Das macht man abgemildert nur, wenn man einen Streitstand für ein Teil(?)-Problem in die Arbeit einbeziehen will, obwohl man schon von vornherein weiß, welche Meinung man ablehnen und welcher Meinung man folgen werde.) Da sollte bei offensichtlich fehlender Vollendungsnähe gleich der Versuch geprüft werden. Aber Vorsicht: Im Versuch einer Straftat kann schon ein vollendetes anderes Delikt enthalten sein, das wegen seiner Vollendung dann seinerseits geprüft werden muss! Man darf dann nicht nur das Versuch gebliebene Delikt prüfen. Bei einer versuchten Tötung kann - nicht immer, aber öfters - eine voll­endete Körperverletzung mit verwirklicht worden sein. Das gilt nicht, wenn der Schuss danebengegangen ist. Es gilt aber, wenn sich z.B. das schwerverletzte Opfer in Sicherheit bringen konnte.

Auch in einem solchen Fall beginnt die Prüfung - getreu der Devise des Panzerge­ne­rals Guderian: "Die Artillerie soll nicht kleckern, sondern klotzen!" - mit der Prüfung des schwersten Deliktsvorwurfs, dem Tö­tungsversuch.
Bei der Schilderung des zu prüfenden Sachverhaltsausschnittes ist die vom Gesetzgeber getroffene Anordnung der Versuchsstrafbarkeit des jeweiligen Deliktes entweder unter Hinweis auf den Verbre­chens­charakter und die Bestimmung des § 23 I 1. Fall (z.B.: "§§ 212, 12, 22, 23") oder bei Vergehen unter Hinweis auf die jeweili­ge gesetzliche

Bestimmung (z.B.: "§§ 216 I, II, 22") festzustel­len. (Bei der Erörterung des Grundschemas ist der Sonderfall der tätigen Reue nicht angeführt, weil die tätige Reue bei vollendeten Tötungsdelikten keine Rolle spielt, gar nicht mehr spielen kann.)



4.2 Anwendungsfälle und Besprechung

Fall 61


„Darmstadt/Bensheim. Mit Beil auf Tochter eingeschlagen: Vater in Haft

Der einundvierzigjährige Vater aus Bensheim, der in der Nacht zum Donnerstag mit einem Handbeil auf seine 16jährige Tochter einge­schlagen und sie lebensgefährlich verletzt hatte, ohne dass die Tat von den zwei im Wohnzimmer schlafenden Söhnen im Al­ter von 13 und 18 Jahren bemerkt worden war, hat sich in der Nacht zum Freitag der Polizei gestellt. Der geständige Vater er­klärte, er habe seine 35jährige Ehefrau und nicht seine Toch­ter töten wollen. Er habe aber nicht gewusst, dass seine von ihm in Scheidung lebende Frau nicht in der Wohnung gewesen sei. In dem dunklen Zimmer habe er die Tochter mit seiner Frau verwechselt. Nachdem er seinen Irrtum erkannt hatte, habe er von der Tochter abgelassen und sei davonge­laufen.“

Lösungsskizze:

(I) V schlägt mit einem Beil auf die schlafende T ein, weil er glaubt, die F, mit der er in Scheidung lebt und die er töten will, vor sich zu haben. Als er seinen Irrtum bemerkt, lässt er von der von ihm schwerverletzten T ab.

(1) UTB

Zu prüfen ist versuchter Totschlag gemäß §§ 212, 12, 22 und 23. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus der Verbrechensnatur des zu prüfenden Deliktes.



(a) Der UTB des versuchten Totschlags erfordert, dass versucht wor­den ist, einen (anderen) Menschen zu töten, der angestrebte Erfolg aber nicht erreicht wurde. Indem V in Tötungsabsicht mit dem Beil auf T einschlug, die ihm durchaus mögliche Tötung

aber nicht vollendete, hat er den UTB des versuchten Totschlags durch seine Handlung erfüllt.

(b) RF

RF-Gründe greifen nicht ein. Das Unrecht ist nicht ausgeschlossen.



(c) STB

Von der Schuldfähigkeit des V ist auszugehen.

Auf der Stufe der subjektiven Zurechnung ist Vorsätzlichkeit zu prüfen. T handelte mit aktuellem Tat- und Unrechtsbewusstsein, als er mit dem Beil auf einen Menschen einschlug. Er wollte aber die F töten, nicht jedoch die T. Insoweit befand er sich in einem Irr­tum. Doch dieser Irrtum über die Person des Opfers, ein "error in per­sona", ist in einer solchen Fallkonstellation unerheblich und schließt die Vorsätzlichkeit der Begehung nicht aus: Wer sich über den von dem Leben eines anderen ausgehenden Rechtsgutsanspruch bewusst hinwegsetzt und bewusst tötet, tötet auch bei einem Irrtum über die Individualität des Opfers vorsätzlich einen Menschen; wer bewusst einen anderen Men­schen zu töten versucht, begeht diesen Tötungsversuch - gleichgül­tig, um welche konkrete Person es sich handelt - auch vor­sätz­lich, denn auch er setzt sich bewusst über den vom Rechtsgut Leben seines

Mit­menschen ausgehenden Achtungsanspruch hinweg. Die versuchte Tötung wurde von V vorsätzlich begangen.

(d) E: Entschuldigungsgründe liegen nicht vor.

Zwischenergebnis: Die unrechte Tat wurde vorsätzlich begangen.

(e) Straftatausschließungsgründe:

Nach Sachverhalt hat V die Tötungshandlung, die er schon auszufüh­ren begonnen hatte, abgebrochen, als er nach seiner subjektiven Vorstellung und auch tatsächlich noch in der Lage gewesen war, die Tötung zu vollenden. Darum ist die Rücktrittsregelung des § 24 zu erörtern.

Es könnte ein fehlgeschlagener Versuch vorliegen, der einen straf­be­freienden Rücktritt ausschlösse, weil V die F und nicht die T hat­te erschlagen wollen. Als V seinen Irrtum bemerkte, sah er, dass er sein eigentliches Ziel, die Tötung der F, nicht mehr erreichen konnte. Ein fehlgeschlagener Versuch erfor­dert aber nur, dass der Täter den UTB der verletzten Norm mit seinem Mittel­einsatz nicht mehr er­reichen kann. Der UTB des § 212 beinhaltet die Tötung eines Men­schen, gegen den sich die Handlung des Täters gerade richtet. Die angefangene tatbestandsmäßige Tötungshandlung hätte V durch weitere Schläge mit dem Beil noch fortsetzen können. Es liegt somit kein die Rücktrittsmöglichkeit des § 24 ausschließender fehlgeschlage­ner Versuch vor. Vielmehr ist ein unbeendeter Versuch gegeben.

Der Rücktritt von einem unbeendeten Versuch verlangt vom Täter nur ein freiwilliges Ablassen von der weiteren Tatausführung. Unstreitig hat V nicht weitergehandelt. Fraglich ist dabei allerdings die geforderte Freiwilligkeit der Aufgabe weiterer Tathandlungen. Maßgebend dafür ist das subjektive Werterleben des Täters: Ist bei Abwägung aller Momente die Ausfüh­rung des Vorhabens für den Täter wertlos geworden, dann erfolgte die Aufgabe unfreiwillig. Andernfalls liegt Freiwilligkeit vor. V wollte F töten und schlug mit dem Beil auf die Person ein, die er für F hielt. Als er bemerkte, dass er irrtümlich auf T einschlug

stellte er seine Tathandlung ein, weil er ja nicht seine Tochter er­schlagen wollte. Sein Ziel war es aber gewesen, F zu töten. Dieses Ziel hatte er - wie sich während der Tatausführung herausgestellt hat - wegen Fehlens des an sich gewollten Opfers gar nicht erreichen können. Nur aus diesem Grund hatte T sein Tötungsvorhaben aufgege­ben. Ein solcher Rücktritt geschieht unfreiwillig. Der Strafaufhe­bungsgrund des Rücktritts gemäß § 24 greift somit nicht ein.
Ergebnis: V ist wegen der von ihm begangenen versuchten Tötung gemäß §§ 212, 22, 23, 12 zu bestrafen.
(2) Als V mit dem Beil auf die schlafende T einschlug, könnte er einen Mordversuch gemäß §§ 211, 22, 23, 12 begangen haben. Die Ver­suchsstrafbarkeit ergibt sich aus der Verbrechensnatur des zu prüfenden Delikts. In Betracht kommen die Mordmerkmale "heimtüc­kisch" und "aus niedrigen Beweggründen", denn "Habgier" wird wohl ausscheiden, da nicht anzunehmen ist, dass V die F erschlagen wollte, um die Scheidungskosten zu sparen, oder die Aufteilung des Hausrates zu verhindern, [wie im nachfolgenden, aus Anschauungsgründen kurz dazwischengeschobenen Fall:
"Tödlicher Streit

hei Köln - Trennungsdrama in Düsseldorf. Vor vier Wochen verließ Monika C. (24) ihren Freund. Gestern erwürgte der 31jährige die Kindergärtnerin mit einem Stromkabel. Zur Polizei sagte er: ’Wir konnten uns nicht einigen, wer das Videospiel bekommt. Da bin ich ausgerastet.’"]


Weiter in unserem Anwendungsfall könnte man mit einigen Verfechtern dieser Ansicht argumentieren, dass immer Heimtücke ("Ausnutzung einer auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosig­keit") vorliege, wenn jemand einen schlafenden Familienangehörigen zu töten versuche. (Diese Ansicht wird aber nicht mehrheitlich vertreten.) Außerdem könnte immer aus niedrigem Beweggrund handeln, wer seinen die Scheidung begehrenden Ehepartner wegen dieses Begehrens zu töten versucht - wobei wir nicht wissen, ob V die F aus diesem Grunde töten wollte, oder ob vielleicht ein Streit vorausgegangen war. Der (in der Zeitungsmeldung) mitgeteilte Sachverhalt ver­schweigt die näheren Umstände der Tatsituation. Darum muss (hier) gemäß des mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatzes: "In du­bio pro reo!" zugunsten des Täters davon ausgegangen werden, dass die angesprochenen Mordqualifikationsmerkmale nicht zum Tragen kom­men.
Ergebnis: Ein Mordversuch gemäß §§ 211, 22, 23, 12 hinsichtlich der Tatmodalitäten niederer Beweggrund und Heimtücke ist nicht nachweisbar (strittig).
(3) Wegen der verursachten Verletzungen ist eine Körperverletzung gemäß § 223 zu prüfen.

(a) UTB (+)

(Es wird hier jetzt in dieser Lösungsskizze, wie auch in den nachfolgenden, das Ergebnis nur in einer Kurz­notiz angege­ben. In einer Fall­bearbeitung muss dieser Gliederungs­punkt - wie auch die folgenden - entspre­chend dem gesetzlichen Wortlaut des Tatbestandes unter Zuhilfe­nah­me von Strafrechts-Kom­mentaren näher ausgeführt und der Sachver­halt wegen der Garantie­funktion der Strafgesetze unter den Geset­zeswortlaut subsu­miert werden. Manch­mal wird zur Erleichterung der Fallbearbei­tung mit einem Satz auf einen besonders abzuhandelnden Ge­sichts­punkt hingewiesen.

Aller Anfang ist jetzt, wo es "ans Eingemachte" geht und nun wirk­lich streng juristisch gearbeitet werden muss, schwer. Darum als kleine Starthil­fe:

"Um den Tatbestand des § 223 er­füllt zu ha­ben, müsste V die T kör­perlich misshandelt oder an der Gesund­heit beschädigt haben.

Körperliche Misshandlung ist eine üble, unan­ge­messene Behand­lung. Indem der V mit einem Beil auf die T ein­schlug, hat er .... Gesundheitsbeschädigung ist das Herbeiführen oder Steigern einer körperlichen oder seelischen Krankheit. Mit den Beilschlägen hat V gleichzeitig die T nicht nur körperlich misshandelt, sondern auch an ihrer Gesundheit beschä­digt. Die von einem Gesamthandlungswil­len getragenen einzelnen Beilschläge sind da­bei als nur eine Tat­handlung zu werten.

Der UTB des § 223 ist somit gleichzeitig in natürlicher Handlungs­einheit in den Formen einer körperlichen Misshandlung und einer Ge­sundheitsbeschädigung erfüllt.")

(b) RF (-)

Das Verhalten des V ist insbesondere nicht durch das ihm als Vater gegenüber der T zustehende familienrechtliche Er­ziehungsrecht ge­deckt. Die Beilschläge auf den Kopf der T waren auch gar nicht als Züchtigungsmittel gedacht.

(c) STB: Von der Schuldfähigkeit des V ist auszugehen.

Vorsätzlichkeit (+)

(d) E (-)

(e) Straftatausschließungsgründe (-).

Insbesondere können Rück­trittsüberlegungen bei der Beurteilung der Körperverletzung - im Gegensatz zu der Beurteilung der zuvor be­han­delten Tötungsdelikte - nicht eingreifen, weil die Körperver­let­zung nicht mehr Versuch geblieben, sondern vollendet worden ist.


Ergebnis: V ist wegen einer Körperverletzung gemäß § 223 zu bestrafen.
(4) Weil V mit einem Beil auf die schlafende T eingeschlagen und sie dadurch lebensgefährlich verletzt hatte, ist die Qualifi­zie­rung des § 223 a zu prüfen.

(a) UTB


V verletzte T mit Beilschlägen. Ein so eingesetztes Beil ist zu­mindest ein gefährliches Werkzeug, wohl aber auch eine Waffe. Das Qualifikationsmerkmal "mittels einer Waffe" ist somit erfüllt.

Weil V die T dabei lebensgefährlich verletzt hatte, ist auch das Qualifikationsmerkmal "mittels einer das Leben gefährdenden Be­handlung" unproblematisch zu bejahen.

Fraglich ist, ob darüber hinaus das Qualifikationsmerkmal "mittels eines hinterlistigen Überfalls" zu bejahen ist. Hinterlistig ist ein Überfall dann, wenn er planmäßig verdeckt wird, um eine mögliche Abwehr des Opfers zu erschweren. Für die An­nahme einer solchen Vorgehensweise lassen sich dem Sachverhalt kei­ne konkreten Anhaltspunkte entnehmen. Hinterlist hätte eventu­ell dann angenommen werden können, wenn V der F z.B. noch einen Schlummer­trunk gemixt hätte, um sie dann um so leichter töten zu können. Da V aber gar nicht mitbekommen hatte, dass F gar nicht im Haus ge­näch­tigt hatte, scheint V bei seiner Versuch gebliebenen Tötungshandlung eher einem spontanen Entschluss zu impulsiv gefolgt zu sein, als eine plan­mäßige Verdeckung seiner Absichten verfolgt zu haben. Das Merkmal Hinterlist kann nicht bejaht werden.

V hat die gefährliche Körperverletzung mittels einer Waffe in einer das Leben des Opfers gefährdenden Weise begangen.

(b) - (e) Es wird auf die Ausführungen zu (3) verwiesen.
Ergebnis: V ist wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 223 a, begangen in den Tatmodalitäten "gefährliches Werkzeug" oder "Waffe" und "lebensgefährdende Behandlung", zu bestrafen.
Endergebnis: V ist wegen eines in Tateinheit gemäß § 52 begangenen versuchten Totschlags gemäß §§ 212, 22, 23, 12 und einer gefährlichen Körper­verletzung gemäß § 223 a zu bestrafen.

Fall 62)


Frau erschießt Leiche

Eine Frau aus Bremerhaven ärgerte sich bei der Arbeit in der Küche darüber, dass ihr im Wohnzimmer vor dem Fernseher sit­zender Mann überhaupt nicht antwortete, als sie ihm wiederholt et­was zurief. Diese gemutmaßte Interesselo­sig­keit ihrer - wie sie meinte - schlechteren Hälfte brachte sie so in Rage, dass sie – getreu dem Bonmot von Humphrey Bogart: „Frauen, die lange ein Auge zudrücken, tun’s am Ende nur noch, um zu zielen“ - das im Flur stehende Jagdgewehr ihres Man­nes ergriff und dem im Sessel Sitzenden eine Kugel in den Kopf jagte.

Die Obduktion der Leiche ergab, dass der Mann unbezweifelbar schon vor Abgabe des Schusses im Fernsehsessel sitzend gestor­ben war. Die Frau hatte sich mit der Leiche ihres Mannes ver­geb­lich zu un­terhalten versucht und sie daraufhin erbost "erschossen".
Lösungsskizze:

(I) F schießt dem schon vorher toten M eine Kugel in den Kopf.

(1) Zu prüfen ist versuchter Totschlag gemäß §§ 212, 22, 23, 12. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus der Verbrechensnatur des zu prüfenden Deliktes.

(a) UTB


Der UTB des versuchten Totschlags erfordert, dass versucht worden ist, einen (anderen) Menschen zu töten, ohne dass der angestrebte De­liktserfolg eingetreten ist.

Indem die F dem M eine Kugel in den Kopf schoss, hat sie zur Tötung des M unmittelbar angesetzt und hätte sie mit ihrer Handlung auch vollendet, wenn M nicht vorher schon gestorben wäre. Zwar konnte ein Gefähr­dungsunwert für das Leben des M von der Handlung der F nicht mehr ausgehen. Insoweit liegt ein untauglicher Versuch vor. Doch F handelte mit dem Willensziel der Tötung des M. Wegen dieses sich in der Handlung der F offenbarenden Zielunwertes ist das Un­recht des Versuchsdeliktes begründet. Versuch ist auch dort gege­ben, wo es an der Vollendbarkeit fehlt, wenn nur der Täter mit dem Willensziel der Deliktsvollendung handelt. Auch ein solcher Täter nimmt den von dem von ihm nach subjektiver Vorstellung angegriffe­nen Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruch nicht hin­reichend ernst.

Der UTB des versuchten Tötungsdeliktes ist gegeben.

(b) RF (-)

(c) STB: Schuldfähigkeit (+), Vorsätzlichkeit (+)

(d) E (-)

(e) Straftatausschließungsgründe (-)
Endergebnis: F ist wegen eines versuchten Totschlags gemäß §§ 212, 22, 23, 12 zu bestrafen.
Eine Leiche als »naturalistischen Toten« kann man nicht mehr töten, sehr wohl aber einen (nur) »juristischen Toten«. Kein nur versuchter, sondern ein vollendeter Totschlag oder Mord lag deshalb bei der Tötung eines für tot erklärten Scheintoten vor:
„Scheintoter ermordet

Port-au-Prince – Ein nach langer Krankheit für tot erklärter Mann (23) ist in Haiti von Totengräbern ermordet worden, nachdem er in der Leichenhalle wieder erwacht war. Angehörige entdeckten, daß aus dem Sarg Blut tropfte. Der Bestattungsunternehmer wurde verhaftet. (dpa) (HH A 17.01.05)
Auf der Insel mit dem sehr stark ausgeprägten Voodoo-Kult ist in dem vorgenannten Fall sogar das Vorliegen eines minder schweren Falles des Totschlags denkbar, wenn die Totengräber geglaubt haben sollten, verhindern zu müssen, dass ein Untoter wiederkehre!


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