Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten



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§ 358 II StPO

Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder ein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Erziehungsanstalt nicht entgegen.


Ein diesen Grundsatz illustrierender Fall:
"Kannibale von Koblenz" muss in die Psychiatrie

Der so genannte Kannibale von Koblenz muss wegen seiner schweren seelischen Abartigkeit in der Psychiatrie untergebracht werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof und wies damit die Revision des Angeklagten gegen ein gleich lautendes Urteil des Landgerichts Koblenz vom April 2006 zurück.


Der damals 26-jährige Angeklagte war beschuldigt worden, seine Cousine erstickt oder erdrosselt haben. Danach habe er die Leiche ausbluten lassen und sie zerstückelt. Teile des Körpers, der Arme und Unterschenkel habe er laut Gericht im Backofen seiner Wohnung erhitzt und ihnen Reis und Rotwein zugegeben. Ob der Angeklagte Teile der Leiche tatsächlich verspeist habe, konnte nicht geklärt werden, allerdings blieben einige Leichenteile unauffindbar.

Sachverständigen kamen nach ihren Untersuchungen in ihrem psychologischen Gutachten zu dem Ergebnis, der Angeklagte leide zwar an einer schweren seelischen Abartigkeit, sei aber bei der Tat schuldfähig gewesen. Weil eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung gleichartiger Taten bestehe, sei er für die Allgemeinheit gefährlich. Das Landgericht Koblenz hatte den Angeklagten deshalb im Dezember 2003 wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit vom Vorwurf des Mordes freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dieses Urteil hatte der BGH im November 2004 wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Das Gericht befand den Angeklagten schließlich im vergangenen April 06 des Mordes für schuldig und ordnete erneut seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. An der Verhängung einer zuvor zu verbüßenden lebenslangen Haftstrafe war es auf Grund des sogenannten Verschlechterungsverbots gehindert, da damals nur der Angeklagte Revision eingelegt hatte.


Ein Beispiel eines Revisionsverfahrens zur Frage der richtigen Beweiswürdigung durch das erkennende Gericht war der Terroristenunterstützungsprozess gegen den marokkanischen Angeklagten Mzoudi wegen des Flugzeugattentats mit 3.066 Toten vom 11.09.01 in die Türme des World-Trade-Centers in New York vor dem Hanseatischen OLG, der zunächst mit einem Freispruch endete, der nicht nur in der Presse einen bitteren Nachgeschmack hinterließ: Letztlich habe es, wenn man alle vorgebrachten Beweismittel würdige, keine Beweise für eine Gehilfentätigkeit des Marokkaners an der Planung der Terroranschläge zugunsten der Todespiloten gegeben. Der BGH beendete das Verfahren nach mehrjähriger Verhandlung mit der Bestätigung des Freispruch mangels Beweisen durch das OLG Hamburg. Die BGH-Richter hätten, wie es die Aufgabe eines Revisionsgerichtes ist, einzig und allein das OLG-Urteil auf Rechtsfehler abgeklopft - und dabei keine durchgreifenden Mängel gefunden. "Die Verantwortung für die Beweiswürdigung liegt beim Gericht in Hamburg." Und der BGH hätte keine grundsätzlichen Zweifel an der Richtigkeit der Hamburger Entscheidung. Sie sei "vertretbar", sie entspreche "in allen wesentlichen Punkten" den rechtsstaatlichen Anforderungen. Die von der Bundesanwaltschaft in dem Indizienprozess vorgebrachten Zweifel seien nicht schlüssig und müssten zurückgewiesen werden. "Wir wollen uns nicht aus der Verantwortung stehlen", sagte der Vorsitzende des 3. Senats, "doch weder der Zweifel an der Unschuld, noch das öffentliche Interesse an diesem Fall, noch die Gefahrenabwehr können es rechtfertigen, in diesem Fall andere Maßstäbe anzulegen als für alle anderen." Ein Sonderrecht für oder besser: gegen Terroristen gäbe es nicht und werde es in Deutschland auch nicht geben. Auch wenn der Druck aus den USA, Mzoudi zu verurteilen, bestanden habe, hätte, da die USA prozessrelevante Informationen zurückgehalten hatten, wegen der dünnen Beweislage nach dem Prinzip "Im Zweifel für den Angeklagten" entschieden werden müssen, da man nicht bereit sei, die rechtsstaatlichen Prinzipien aufzugeben. Trotz dieses freisprechenden Urteils ist Mzoudi sofort von Hamburg aus abgeschoben worden.
Als Beispiele für ausschließliche Überprüfung des Strafmaßes durch das Revisionsgericht dienen folgende Fälle:
"Einspruch vom BGH

ADN Lübeck - Das Urteil empörte viele: Ein Lübecker Tischler (42), der im Sommer 1993 ein zehnjähriges Mädchen vergewaltigte, bekam nur zwei Jahre auf Bewährung, weil sich das Kind 'nicht genügend' gewehrt habe. Jetzt hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Lübecker Urteil auf. Begründung: Zu milde!"


Rüffel für das Landgericht

Urteil zu milde

BGH erzwingt dritte Entscheidung

Das Landgericht Hamburg musste sich in einem Fall 1994 zum dritten Mal mit einer Straftat aus dem Jahr 1990 befassen, weil der BGH die verhängten Strafen schon zweimal für zu niedrig gehalten hatte.

Das LG Hamburg hatte zweimal zwei Männer wegen fahrlässigen Vollrausches beziehungsweise versuchten Mordes zu einer Gesamtstrafe von jeweils zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft legte deshalb jedesmal Revision ein.

Der 28-jährige Bauarbeiter H und der 26-jährige Berufskraftfahrer R hatten - beide erheblich betrunken - auf dem Bahnsteig des S-Bahnhofes Neuwiedenthal einen damals 32 Jahre alten Musiklehrer brutal zusammengeschlagen und ihr Opfer anschließend blutüberströmt auf dem Gleis liegen gelassen. Weil ein Zeuge einen S-Bahnzug noch rechtzeitig warnen konnte, überlebte das Opfer.

1991 "… verurteilte die Große Strafkammer 21 des Landgerichts R. und H. zu jeweils zwei Jahren auf Bewährung: H. wegen fahrlässigen Vollrausches (mangels möglicher Schuldunfähigkeit scheiterte eine Bestrafung wegen versuchten Mordes), R. wegen versuchten Mordes. Die Staatsanwaltschaft ging in die Revision."

Der BGH hob das Urteil 1992 auf, weil das Strafmaß nicht tat- und schuldangemessen gemessen gewesen sei; es war den BGH-Richtern zu milde ausgefallen. Sie verwiesen den Fall an das LG Hamburg zurück.

Die dieses Mal mit dem Fall befasste Große Strafkammer 22 urteilte aber genau wie ihre Landgerichtskollegen 1991: zwei Jahre auf Bewährung. Die Staatsanwaltschaft legte wieder Rechtsmittel ein und der BGH kassierte das Hamburger Urteil 1994 abermals. Begründung: Die Strafzumessungserwägungen hielten sachrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

So musste ein drittes Mal verhandelt werden, bevor Rechtsfrieden einkehren kann.

(Nach HH A 11.10.94)


Ein bisschen enttäuscht wäre ich, wenn Sie nicht über den sinnentstellenden Fehler des wörtlich zitierten Textes gestolpert wären: In dem widergegebenen Zitat ist ein "un" zuviel! Oder das "mangels" muss durch ein "wegen" ersetzt werden.

Natürlich kann ein Urteil nicht »richtig« sein, wenn der Verurteilte die ihm zur Last gelegte Straftat gar nicht begangen hat.


GESCHOBENE SPIELE
Justiz-Panne im Hoyzer-Prozess

Peinliche Panne im Prozess gegen den früheren Schiedsrichter Robert Hoyzer: Der Fall wird möglicherweise erneut die Berliner Justiz beschäftigen. Der ehemalige Schiedsrichter wurde für ein verschobenes Fußballspiel verurteilt, das er nicht gepfiffen hat.

Berlin - Die "Berliner Zeitung" (Mittwochausgabe) berichtet, in der schriftlichen Urteilsbegründung der 12. Strafkammer des Berliner Landgerichts sei Hoyzer für ein manipuliertes Spiel verurteilt worden, das er gar nicht gepfiffen habe. Dabei gehe es um das Regionalligaspiel Wolfsburger Amateure gegen HSV Amateure vom 6. November 2004. Dies habe nicht Hoyzer, sondern sein Kollege Dominik Marks geleitet. …

DerVerurteilte Hoyzer hat Revision eingelegt und will so eine Strafmaßreduzierung erreichen.

SPIEGEL ONLINE 08.03.06
Das passiert nicht nur in »kleineren« Fällen, was der Betroffene dann auch als ungerecht empfindet, sondern auch in Mordfällen, in denen es in Deutschland um "lebenslänglich" geht, in den USA aber oft um die Hinrichtung.
Ein Urteil müsste wegen der Verletzung materiellen Rechts z.B. dann aufgehoben werden, wenn eine Verur­teilung wegen eines angeblich begangenen Diebstahls erfolgt war, dem Verurteilten aber nur der vorsätzlich erlangte unlautere Besitz der fremden Sache und somit nur eine Hehlerei nachgewiesen werden konnte.

Beispiel bei schwerstem Delikt:


"Mord und Totschlag

dpa Lübeck - Weil Taxifahrer Volker Meerpahl nur wegen Totschlags verurteilt wurde, hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf. Er hatte 1991 in Lübeck einen Stadtstreicher erschossen. Jetzt bekam er vom Landgericht elf Jahre Haft - wegen Mordes." (HH A 25.02.93)


(An dieser den Sachverhalt zu kurz darstellenden Meldung verwundert, dass für einen vollendeten Mord, trotz der absoluten Strafdrohung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe für Mord auf »nur« „elf Jahre Haft“ erkannt worden ist; aber vielleicht kamen nicht mitgeteilte Milderungsgründe zum Tragen.)

Ein Ver­stoß gegen formelles Recht liegt z.B. dann vor, wenn - wir erin­nern uns - auf unzulässige Weise Beweis erhoben wurde oder ein Richter während der Hauptverhandlung eingeschlafen ist und längere Zeit laut geschnarcht hat - gelegentliche Schnarchtöne und ein nicht sehr langes Schlafen reichen dagegen nicht immer für eine solche Urteilsrüge.122


„Havemann-Prozeß gefährdet

Weil der Schöffe schlief

HA Frankfurt/Oder - Wegen eines müden Schöffen droht der Rechtsbeugungsprozeß um die Verurteilung des DDR-Regimekritikers Robert Havemann zu platzen. Vor allem am vergangenen Mittwoch habe der Laienrichter „fest geschlafen“, rügte die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag auf Abbruch des Verfahrens, in dem sich zwei DDR-Staatsanwälte und fünf DDR-Richter verantworten müssen. Am kommenden Mittwoch soll darüber entschieden werden.

Die Staatsanwaltschaft listet in ihrem Antrag minutiös 23 Zeitpunkte zwischen 11.10 und 14.57 Uhr auf: ‘In der Zeit von 15.08 bis 15.15 Uhr sackte der Kopf des Schöffen mehrfach weg, um 15.16 Uhr war festzustellen, dass der Schöffe fest schlief.‘ Durch das ständige Einnicken sei klargeworden, dass der Schöffe nicht in der Lage war, dem Prozeß zu folgen. Nach dem Gesetz sei die Staatsanwaltschaft gezwungen gewesen, den Abbruch des Verfahrens zu beantragen. Mit einem schlafenden Schöffen sei ein Gericht nach der Strafprozeßordnung nicht ordnungsgemäß besetzt. Dennoch ist der Ausgang offen. Nach einem Urteil von 1986 gilt erst Schnarchen als voller Beweis für einen schlafenden Laienrichter.“ (HH A 02.12.95)


Dieses Mal musste aber nicht erst in die Revision gegangen werden:
„Prozeß geplatzt

ADN Frankfurt/Oder - Der Havemann-Prozeß gegen sieben frühere DDR-Juristen ist geplatzt. Das Landgericht Frankfurt/Oder gab gestern dem Ablehnungsgesuch der Staatsanwaltschaft gegen einen Schöffen statt, weil er mehrmals im Prozess eingeschlafen war. Da kein Ergänzungsschöffe zur Verfügung steht, muss der Prozeß neu aufgerollt werden. (HH A 06.12.95)


Wenn der Schöffe den Prozessabbruch durch einen kräftezehrenden, unsoliden Lebenswandel am Vortag herbeigeführt haben sollte, kann das für ihn ein teures Nickerchen geworden sein!
1992 entschied der BGH, dass eine Revi­sion unbegründet sei, die darauf gestützt war, dass der Vorsitzende der das Urteil fällenden Strafkammer blind war.
Ein absoluter Revisionsgrund ist es, wenn ein Richter sein Urteil schon vor(!) der Hauptverhandlung gefällt hat. "Manch Urteil ist ja längst beschlossen, eh' des Beklagten Wort geflossen.", so die Erkenntnis des unter dem Pseudonym "Anastasius Grün" publizierenden Juristen, Politikers und Lyrikers Anton Alexander Graf von Auersperg.

Den gleichen Verdacht hegen eine Anzahl von Anwälten immer mal wieder, wenn sie mit noch so guten, erst in der Hauptverhandlung vorgebrachten Gründen nicht durchdringen. Aber ein Richter, der sein Urteil erst nach der Verhandlung in Würdigung aller dort vorgebrachten Argumente zu fällen hat, lässt sich selten bei einer „Vor-Verurteilung“ erwischen. Mir ist von einem Kollegen berichtet worden, dass in einer seiner Verhandlungen vom Richter ein schon vor der Verhandlung ausgefertigter Freispruch vor aller Augen zerrissen worden sei, nachdem sich der Angeklagte in seinem Schlusswort doch noch verplappert hatte. Um im (extrem seltenen) Ausnahmefall nachweisen zu können, dass ein Urteil schon vor der Verhandlung gefällt worden sei, muss einem Rechtsanwalt der Zufall - meist in der Form eines Versehens der Gerichtsgeschäftsstelle bei der Überlassung der Akten - sehr zu Hilfe kommen. Ein endlich einmal dokumentierter Fall dazu war nachzulesen in SPIEGEL 06.08.90; weil er als Nachweis für einen derartigen Verstoß gegen die StPO so wichtig ist, wird er nachfolgend wörtlich zitiert:


"‘Seine Angaben sind unglaubhaft'

Rechtsprechung auf bajuwarisch: Urteil schon vor dem Prozess

Das Asylrecht schien schon immer ein besonders prächtiges Grundrecht. Selten hat ein Jurist mit großen Worten gespart, wenn es galt, seine Vorzüge zu beschreiben.

Ein Ausdruck der ‘Generosität', befand der Grundgesetz-Vater Carlo Schmid, sei dieser Artikel der Verfassung, ‘geradezu heilig' ist das Asylrecht dem Verfassungsprofessor Otto Kimminich. Und der Chef des Bundesverfassungsgerichtes, Roman Herzog, sieht in der Garantie ein ‘Gütezeichen des Grundgesetzes', eine Art Mercedes-Stern.

Prunkvoll ist auch die Stätte, an der, zentral für ganz Bayern, das Asylrecht zugeteilt wird: das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach. Da können sich die Asylanten im Parkett spiegeln. Überall hängt Stuck. Das ehemalige Markgräfliche Palais ist als kleine Residenz des Asylrechts gestaltet.

Wen wundert es da, dass auch die Asylrichter besonders schön angezogen sind. Die bayerischen Verwaltungsrichter haben nicht die üblichen schwarzen Kittel an. Königsblau ist ihr Gewand, bei manchen mit Samt, bei manchen mit Seide besetzt.

Halim Saglam, geflohen aus Kurdistan, wohnhaft in Treuchtlingen, hat hier am 10. August Termin. Geladen ist er für zwölf Uhr, pünktlich, in den Sitzungssaal 2 zu den königsblauen Juristen, damit über seinen Asylantrag entschieden werde.

Doch seit Ende letzter Woche ist ihm klar, dass er gar nicht mehr zu kommen braucht. Das Urteil, in dem sein Antrag ‘aufgrund mündlicher Verhandlung vom 10. August 1990' abgewiesen wird, hat Asylrichter Roland Voigt, 39, schon vor Tagen tippen lassen: ‘Im Namen des Volkes.'

Dass in Ansbach Prozesse ums Asylrecht offenbar nur eine Grundrechts-Show sind, ist durch eine Schlamperei herausgekommen. Die Ansbacher Richter hatten die Asylakten zum Amtsgericht in Bingen schicken lassen, damit dort der Anwalt des Flüchtlings Saglam, der Jurist Rudolf Renner, Einsicht nehmen konnte.

So ein Verfahren ist üblich. Doch versehentlich hatte die Geschäftsstelle auch die internen Akten des Gerichts beigelegt - und dazu gehörte das Urteil, um das Renner für seinen Mandanten erst noch prozessieren wollte.

Unter dem bayerischen Wappen im Kopf des Schreibens kann Saglam nun nachlesen, was für einen Eindruck er auf die Herren des Asylrechts machen sollte: ‘Seine Angaben sind unsubstantiiert und unglaubhaft', heißt es in dem Urteil.

Und im anklagenden Ton wird dem Türken sein verstocktes Auftreten vorgehalten: ‘Der Kläger muss es sich zurechnen lassen, wenn er nur schriftlich irgendwelche Behauptungen vorträgt und das Gericht dadurch keine hinreichende Gewißheit von der Glaubwürdigkeit des Klägers gewinnen kann.'

Dass manche Richter ihre Urteile fix fertig machen, bevor sie noch in die Verhandlung gehen, hat sich Remmer ‘immer schon gedacht'. Doch er würde mit seiner Zulassung spielen, wollte er den Verdacht etwa äußern. Beim Pochen auf ihre Unvoreingenommenheit kennen Richter kein Pardon.

Wohl noch niemals zuvor ist in der westdeutschen Justizgeschichte ein solcher Fall nachweisbar gewesen. Dabei wären Insider nicht erstaunt, wenn sich die Praxis gerade im Asylrecht als gängig erweisen würde.

An 44 000 Asylverfahren mühten sich allein im vergangenen Jahr die westdeutschen Verwaltungsrichter. Für Rechtsfindung bleibt dabei kein Raum: Als Beweismittel stehen meist nur routinemäßige Berichte des Auswärtigen Amtes über die Lage in den Flüchtlingsländern zur Verfügung. Ob als Verfolgung gelten soll, was aus der Türkei oder Rumänien gemeldet wird, setzt jeweils das Bundesverwaltungsgericht fest.

Nicht einmal der Urteilstext ist eine Eigenleistung der Richter. Die meisten Asylkammern verfügen über Rechtscomputer, die nach Eingabe einer Ziffernfolge die Argumentationsbausteine (meist) in der richtigen Reihenfolge ausspucken. Der Richter muss nur noch unterschreiben.

Die Anwesenheit eines Asylbewerbers stört da nur."123
Weitere „absolute“ Revisionsgründe sind in § 338 StPO geregelt. Dazu gehören u.a. eine Verletzung der Vorschriften über: die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts, seine vorschriftsmäßige Besetzung, die Anwesenheit der vom Gesetz vorgeschriebenen Personen, die Öffentlichkeit eines Verfahrens124 nicht nur während der Verhandlung, sondern auch zur Urteilsverkündung, eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung (wodurch das im Einzelfall auch immer geschehen sein mag) und wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält, oder die nicht in der vorgeschriebenen Zeit zu Papier gebracht worden sind.
„Urteil kam genau 107 Minuten zu spät: Drogen-Prozess geplatzt

250 000 Mark verschwendet – Gericht muss völlig neu verhandeln

Es war ein Mammutverfahren: 118 Verhandlungstage dauerte der Prozess, 103 Zeugen wurden vernommen, rund 30 Leitzordner Akten war[e]n zu bewältigen. Doch jetzt muss das Verfahren, das eindreiviertel Jahre lang eine Strafkammer des Hamburger Landgerichts beschäftigt hat und den Steuerzahler rund eine viertel Million Mark kostete, völlig neu aufgerollt werden. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Der Grund, der den Prozess platzen ließ: Das schriftliche Urteil wurde zu spät fertiggestellt – um exakt eine Stunde und 47 Minuten. ... Dass ein [am Ende der Hauptverhandlung mündlich ergangenes; d. Verf.] Urteil erst nach Ablauf einer exakt festgelegten Frist [schriftlich] abgesetzt wird, ist ein so genannter ‘absoluter Revisionsgrund‘. Ein Urteil sei ‘unverzüglich zur Akte zu bringen‘, heißt es im Gesetz [in § 275 I StPO Frist und Form der Urteilsniederschrift]. Wie lange die Frist maximal dauert, richtet sich nach der Anzahl der Verhandlungstage. ...“ (HH A 29.01.98)
Nachtrag: Nachdem die Angeklagten gesehen hatten, dass sie mit ihrem beharrlichen Schweigen – was ihr gutes Recht war – keinen Freispruch mangels ausreichender Beweise hatten erreichen können, waren sie geständig. Das zweite Verfahren wurde so in eineinhalb Tagen abgeschlossen. Dafür erhielten alle einen großen Strafrabatt: Statt Strafen zwischen dreieinhalb und zehn Jahren wie in dem ersten Verfahren wurden im zweiten Durchgang in Anbetracht der überlangen Verfahrensdauer Strafen zwischen zwei Jahren auf Bewährung und sechseinhalb Jahren verhängt.

Alle waren es zufrieden.

Gerichtsprozesse sind in allen Gerichtszweigen hochformalisierte Verfahren! Ein Verstoß gegen nicht ohne Grund erstellte Formvorschriften kann daher nicht »eben mal so« ausgebügelt werden.

Im Gerichtsverfahrensaufbau ergeben sich folgende vorstehend erörterten Instanzen­wege mit grundsätzlich der angegebenen Besetzung mit Berufsrichter/n (B) und Schöffen (S):


In Erwachsenenstrafsachen bei einer Straferwartung von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, wenn das AG die Ein­gangsinstanz ist:
EINGANGSINSTANZ BERUFUNGSINSTANZ REVISIONSINSTANZ
AG LG OLG

Strafrichter Kleine Strafkammer Strafsenat

1 Berufsrichter (B) 1 B + 2 Schöffen (S) 3 B
Bei einer Straferwartung von zwei bis zu vier Jahren Freiheits­strafe, wenn das AG die Ein­gangsinstanz ist:
EINGANGSINSTANZ BERUFUNGSINSTANZ REVISIONSINSTANZ
AG LG OLG

Schöffengericht Große Strafkammer Strafsenat

1 B + 2 S 3 oder 2 B + 2 S 3 B
In Jugendstrafsachen ist der Gerichtsaufbau grundsätzlich ähnlich:
EINGANGSINSTANZ BERUFUNGSINSTANZ REVISIONSINSTANZ
AG LG OLG

Jugendrichter kl. Jugendkammer Strafsenat

1 B 1 B + 2 S 3 B
Bei schweren oder umfänglicheren Delikten:
EINGANGSINSTANZ BERUFUNGSINSTANZ REVISIONSINSTANZ
AG LG OLG

Jugendschöffengericht gr. Jugendkammer Strafsenat

1 B + 2 S 2 B + 2 S oder 3 B

3 B + 2 S bei

großem Umfang
Im Bereich der Schwerstkriminalität bei Erwachsenen fällt das AG als Eingangsinstanz fort. Erstinstanzlich zuständig ist dafür dann das LG. Danach ergibt sich dann folgender Aufbau des Instanzenweges:
EINGANGSINSTANZ BERUFUNGSINSTANZ REVISIONSINSTANZ

nicht gegeben. Darum keine

LG Berufung möglich! BGH

Große Strafkammer Motto: Strafsenat

3 oder 2 B + 2 S 3 Berufsrichter können sich nicht 5 B

in einer Tatsachenaufnahme irren

Rechtsstaatlich höchst bedenklich!
oder:
Schwurgericht Berufungsinstanz Strafsenat

3 B + 2 S nicht gegeben 5 B


Auch hier ist in Jugendstrafsachen und in mit Erwachsenensachen verbundenen Verfahren, die bei Erwachsenen in den Bereich einer Großen Strafkammer oder des Schwurgerichts fallen würden, der Ge­richtsaufbau ähnlich zu dem in Erwachsenenstrafsachen bei entspre­chenden Delikten:
EINGANGSINSTANZ BERUFUNGSINSTANZ REVISIONSINSTANZ

nicht gegeben

LG BGH

gr. Jugendkammer Strafsenat



2 B + 2 S oder 5 B

3 B + 2 S bei großem Umfang

Irgendwann gilt der Luther-Ausspruch: "Das Wort sie sollen lassen stahn!", und die Rechtssache ist durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossen. Dann schließt sich nach einer Verurteilung an das Haupt- oder das Rechtsmittelverfahren das wieder in den Händen der StA liegende Vollstreckungsverfahren an. Es wird der Eingang der auferlegten und daher erwarteten Geldzahlungen kontrolliert, die Ableistung der Arbeitsauflagen usw. überwacht und unter Umstän­den eine Ladung zum Strafantritt zugestellt. Wer sich seiner Stra­fe zu entziehen trachtet, wird bis zur Erfüllung des Strafaus­spruchs - eventuell mit Haftbefehl - verfolgt. Wer kein Geld zur Zahlung der Geldstrafe hat, muss eine schon im Urteil festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen; allerdings gibt es inzwischen in allen Bundesländern die Möglichkeit, durch einen sechsstündigen Ar­beitseinsatz einen Tagessatz der festgelegten Geldstrafe abzu­ar­beiten. (Einem Gesetzentwurf von 2002 zur Folge soll schon ein dreistündiger Arbeitseinsatz einem Tagessatz und damit einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen.) Es gilt bei Geldstrafenvollstreckung nicht mehr das Mot­to: "Nur weil Du arm bist, musst Du sitzen." Aber manche, besonders wenn sie arbeitslos sind und so sowieso mehr Zeit haben, als ihnen teilweise lieb ist, ziehen diese Art der Strafverbüßung gegenüber einer Beschneidung ihrer äußerst knappen finanziellen Ressourcen vor!
Behauptet ein Verurteilter, durch das letztinstanzliche Urteil in einem seiner Grundrechte verletzt worden zu sein, dann - und nur dann: grundsätzlich gibt es keine zusätzliche „4.“, oder im Falle eines LG als Eingangsinstanz „3.“ Instanz! - besteht die Möglichkeit, das an sich letztinstanzliche Urteil zusätzlich zu dem ordentlichen Instanzenweg noch von dem BVerfG auf seine Grundrechtsverträglichkeit hin überprüfen zu las­sen. Erinnert sei an den Bluttransfusionsfall.
Wer nach letztinstanzlicher und damit rechtskräftiger Verurteilung trotzdem seine Unschuld nachweisen zu können versucht, hat innerhalb der (teilweise zu) engen Grenzen des § 359 StPO die Möglichkeit, ein Wiederaufnahmeverfahren zu betreiben.
"Wiederaufnahme im Fall Weimar

off Hamburg - Der Fall Monika Weimar wird neu aufgerollt. Fünf Jahre, nachdem die Mutter in einem sensationellen Indizienprozeß für schuldig befunden wurde, ihre Töchter umgebracht zu haben, erklärte das Landgericht Gießen eine Wiederaufnahme des Mordverfahrens für zulässig. Weimars Anwalt Gerhard Strate: ‘Meine Mandantin ist in zwei bis drei Monaten frei.'"


"Fall Weimar

ap Gießen - Schock für Monika Weimar (34): Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Gießen ein, wonach der Mordprozeß an ihren beiden Kindern Melanie (7) und Karola (5) neu aufgerollt werden soll."


Die Chronistenpflicht gebietet zu berichten, dass Frau Weimar/Böttcher nach Verfahren 1988 in Fulda (Verurteilung) und 1997 in Gießen (mit Freispruch endendes Wiederaufnahmeverfahren) nach einem von der Staatsanwaltschaft angestrengten Revisionsverfahren in einem dritten Verfahren in Frankfurt 1999 erneut für schuldig befunden worden ist, ihre beiden Töchter getötete zu haben, nachdem sie schon 9 Jahre der ihr auferlegten Strafhaft verbüßt hatte. Abschließend hat der BGH 2000 die Revision verworfen. 2006 ist Frau Böttcher nach 15 Jahren Haft entlassen worden.
Wenn der Verurteilte schon hingerichtet oder verstorben ist, bevor es zu einem sol­chen Verfahren kommen kann, dann haben die hinterbliebenen Ange­hö­rigen die Möglichkeit, den von ihnen empfundenen Makel einer un­recht­mäßigen Verurteilung durch die Stellung des erforderlichen An­trages auf Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des (auch schon verstor­benen) Verurteilten zu stel­len und im Falle des Obsiegens durch einen postumen Freispruch tilgen zu lassen. (In den Fällen des als Urheber des Reichstagsbrandes vom 27.02.1933 vom RG zum Tode verurteilten und hingerichteten niederländischen Kommunisten van der Lubbe und des Friedensnobelpreisträgers Karl von Ossietzky ist ein solches von den Hinterbliebenen angestrebtes Wiederaufnahmeverfahren vom BGH abgelehnt worden. In anderen Einzelfällen wurden durch Gerichte der Bundesrepublik Unrechtsurteile von Nazi-Gerichten aufgehoben.)
In einer entsprechenden Regelung zu dem eben angesprochenen § 359 gibt § 362 StPO der StA die Möglichkeit, nach einem Freispruch ein Wiederaufnahmeverfahren auch zuungunsten des Verurteilten zu be­treiben, wenn sich dessen Schuld nachträglich herausstellen soll­te. Um der Gerechtigkeit willen wird in beiden Fällen die grundsätzliche Rechts­kraft des Urteils durchbrochen.

Das ist nicht selbstverständlich, besonders nicht die Durchbre­chung zuungunsten des fälschlicherweise Freigesprochenen. In Groß­britannien z.B. kann aus Gründen der im angelsächsischen Rechtskreis stärker als in dem unseren betonten Rechtssicherheit heraus ein zu Unrecht Frei­gesprochener wegen derselben Sache nicht noch einmal vor seine Richter zitiert werden - selbst dann nicht, wenn er hinterher ein Geständnis ablegt. Darum konnte der Frauenmörder, der von dem gegen ihn erhobenen Mordvorwurf freigesprochen worden war, weil ihm seine (Un-)Taten u.a. deswegen nicht nachzuweisen gewesen waren, da keine Leichen hatten gefunden werden können, gegen ein exorbitant hohes Informandenhonorar in einem der Revolver-Blätter der Insel in allen Einzel­hei­ten berichten, wie er die Frauen doch umgebracht, zerstückelt und dann stückchenweise portioniert über der Irischen See aus einem Privatflugzeug gewor­fen hat­te, ohne nach erfolgtem freisprechenden Fehlurteil den Ablauf der Verjährungsfrist abwarten zu müssen. (Dann hätte es auch längst nicht mehr so viel Geld gege­ben, wie gleich nach dem erfolgreich bestandenen Verfahren, als der Sensationsprozess noch in aller Erinnerung war.) Ein englischer Gangster hat drei Morde gleich nach seinem Freispruch auf der Treppe des Gerichts für die Fernsehkameras und in seinen mit einer Auflage von 100.000 Stück verkauften Gangstermemoiren zugegeben (STERN 28.11.02).



1950 war der wegen verschiedenster begangener Delikte schon mehrfach bestrafte Hume im Old Bailey angeklagt worden, seinen Verbrecherchef, von dem er diverse Aufträge zu Straftaten erhalten hatte, ermordet zu haben, wobei man wissen muss, dass im Strafrechtssystem des Vereinigten Königreichs "murder" das Grunddelikt ist. Hume hatte die Spuren der Tötung bestmöglich beseitigt, den Fußboden neu beizen lassen und den Teppich zur Reinigung gegeben. Der Blutfleck, der trotzdem an der Teppichunterseite gefunden worden war, war durch die chemische Reinigung so behandelt worden, dass 1950 zwar nachgewiesen werden konnte, dass es sich bei dem Blutfleck um Menschenblut handele, aber nicht mehr die Blutgruppe 0 des Opfers nachgewiesen werden konnte und die Frage der Gerinnungsfähigkeit und –zeit von Leichenblut zu dem Zeitpunkt noch ungelöst gewesen war; desgleichen versagten die Untersuchungsmethoden bei dem unter dem Holzfußboden gefundenen Blut. Der Angeklagte erzählte eine Lügengeschichte: Drei Männer wären gekommen und hätten ihm zunächst als Geschäft vorgeschlagen, er solle Druckplatten und Walzen zur Falschgeldherstellung von einem Flugzeug aus in den Kanal zwischen Großbritannien und Frankreich werfen. Er habe die in zwei Säcken angelieferte Fracht wie verabredet ins Meer geworfen. Als die Polizei den Blutfleck am gereinigten Teppich entdeckt hatte und den Angeklagten mit diesem Indiz erst in der Verhandlung konfrontierte, schmückte der Angeklagte seine Geschichte sofort kaltblütig geschickt aus: Zunächst sei davon gesprochen gewesen, dass es sich bei dem Bündel um Druckplatten und Walzen handele, dann als die Männer weggegangen waren, sei eines der Bündel durchgesapscht und so habe er festgestellt, dass sich Leichenteile in den Säcken befanden. Aus Angst, in die Sache mit reingezogen zu werden und weil er von den Männern mit Rachehandlungen gegenüber seiner Frau bedroht worden sei, habe er trotz des Wissens um den Inhalt der Säcke diese vom Flugzeug aus ins Meer geworfen. Ganz Großbritannien spürte, dass der Angeklagte log, Aber er log so kaltblütig geschickt, dass das Lügengespinst durch die Gerichtsmedizin nicht zerrissen werden konnte. Die Ermordung des Opfers konnte ihm daher nicht nachgewiesen werden. Die Jury war zerstritten, vermochte ihn nicht wegen Mordes schuldig zu befinden. Der Anklagevertreter schwenkte um und änderte die Anklage: er erhob den Vorwurf der "Beihilfe zum Mord", weil Hume zugestandener Maßen wissentlich Beweismittel eines Mordes vernichtet hatte – eine nach unserem Strafrechtssystem nicht nachvollziehbare Anklage, denn bei der Ermordung sei er nach seinem Vorbringen nicht dabei gewesen, ihm seien nur die Leichenteile zur Beseitigung angeliefert worden. Das hätte nach deutschem Recht nur eine Anklage wegen Strafvereitelung gemäß § 258 mit der Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Gefängnis oder Geldstrafe gerechtfertigt, nicht aber nach britischem Recht. Hume bekannte sich der angeklagten "Beihilfe zum Mord" für schuldig und wurde zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Am 01.02.1958 wurde Hume vorzeitig aus dem Gefängnis Dartmoor entlassen – und am 01.06.1958 erschien die englische Sonntagszeitung Sunday Pictorial mit der Schlagzeile "Donald Humes aufrüttelndes Geständnis: Ich ermordete Setty und kam ungestraft davon!" Für 2.000 Pfund Sterling hatte Hume der Zeitung die Information der von ihm begangenen Tötung verkauft – wegen einer spöttischen Bemerkung des späteren Opfers hatte Hume wutentbrannt einen Dolch ergriffen und den ihn schon seit einiger Zeit abschätzig behandelt habenden Setty niedergestochen: eine Straftat, die nach deutschem Recht als ein vom Vorwurf des Totschlags privilegierendes Vergehen gemäß § 213 als ein minder schwerer Fall des Totschlags abgeurteilt würde, in England aber unter das dortige Grunddelikt "murder" fiel -, weil er genau wusste, dass kein englisches Gericht ihn wegen eines Verbrechens, das bereits bei Gericht verhandelt worden war, noch einmal vor seine Schranken rufen konnte.125

Bei uns wäre nach einem solchen Geständnis das durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossene Verfahren gemäß § 362 Nr. 4 StPO zuungunsten des Angeklagten wieder aufgenommen worden, da materielle Gerechtigkeit wird höher veranschlagt wird als ein fragwürdiger Rechtsfrieden.

In Großbritannien und den anderen Ländern des angelsächsischen Rechtskreises dagegen müssen sich die Strafverfolgungsbehörden mit der Hoffnung beruhigen, dass »Rechts­frieden« längst nicht »Gewissensfrieden« bedeutet! (Der Täter des vorstehend ausführlich geschilderten Delikts, Hume, beging 1959 in Zürich einen Raubüberfall, verletzte dabei einen Kassierer und erschoss einen Taxifahrer, wofür er dann doch noch zu lebneslänglich zu verbüßender Zuchthausstrafe verurteilt worden ist; späte »Gerechtigkeit«, die erst noch ein weiteres Menschenleben gekostet hat.)


Diese Art der Bewältigung des Problems der Rechtssicherheit erinnert an den etwas müden Witz: „Glaubst Du, dass es Fehlurteile gibt?“ „Sicher: Ich bin schon zweimal freigesprochen worden.“ In Großbritannien - und vermutlich in dem ganzen von dem britischen Recht geprägten angelsächsischen Rechtskreis - kann man nach einem freisprechenden Fehlurteil trunken vor Glück die ganze Nation nachträglich an der gerichtlich nicht erkannten Verbrechensbegehung teilhaben lassen, wenn sie sich dafür interessiert; was bei »Sex and Crime« immer der Fall ist.

In Deutschland sollte man sich eine solche Gefühlsregung verkneifen! Materielle Gerechtigkeit wird hier zu Lande höher veranschlagt als ein fragwürdiger Rechtsfrieden.


Ein rechtskräftig Verurteilter muss seine Strafe auf sich nehmen; bei einer Verurteilung zu einer Haftstrafe erhält er eine Ladung zum Strafantritt, wenn im Kittchen ein Zimmer frei ist. Dann hat er persönlich zu erscheinen – was nicht immer der Fall ist:
„Für den Bruder in den Knast

Niemandem fiel auf, dass der große Norbert die Haftstrafe vom kleinen Rudi absaß

Zwei Brüder leimten die Hamburger Justiz: Zehn Monate fiel niemandem auf, dass statt des kleinen blonden Zuhälters Rudolf K. (35) sein wuchtiger, dunkelhaariger – und unbestrafter - Bruder Norbert K. (37) im Knast saß. Nun muss Norbert 2000 Euro für Kost und Logis abstottern und wurde gestern wegen ’Missbrauch von Ausweispapieren’ zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. Rudi mit dem langen Vorstrafenregister bekam zehn Monate auf Bewährung."

Der gut verdienende Zuhälter Rudi war wegen seiner Profession zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Als er am Tag des Haftantritts zu spät an der Pforte der Haftanstalt eintraf, war er wegen der Verspätung abgewiesen worden: Aufnahme nur zwischen … und … Uhr; vermutlich, damit man sich nicht durch Erscheinen eine Minute vor Dienstschluss einen zusätzlichen Tag in Freiheit erschleichen kann. Er solle am nächsten Tag wiederkommen.

Am nächsten Tag stand dann aber sein Bruder Norbert vor der Pforte – mit Rudis Ausweis, Rudis Ladung und Rudis Tasche. Er sah zwar ganz anders aus als das Foto im Pass, aber daran störte sich niemand. Norbert »fuhr in den Kahn ein«.

Der ältere Bruder behauptete in der sich daraus ergebenden Gerichtsverhandlung, er habe die Idee ganz alleine ausgeheckt: Er habe mit dem Trinken aufhören wollen und sich gedacht, das schaffe er am besten im Knast. Zehn Monate ging alles glatt, 55 Erklärungen unterschrieb Norbert für seinen Bruder – bis zufällig ein Ganove hinter Gitter musste, der Rudi persönlich kannte und nicht nur für sich feststellte: Rudi sieht irgendwie anders aus. Offizielle Version: Die Behörde bekam einen anonymen Hinweis. …

(Nach Hamburger Morgenpost 10.04.03)
Ein einsitzender Verurteilter, der keine Wiederaufnahme des Ver­fahrens erreicht, kann sich, wenn er gute Gründe dafür geltend machen kann, dass ihn die festgesetzte und eventuell teilweise schon verbüßte Strafe zu hart treffe, mit einem Antrag auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder bei schon teilweise verbüßter Freiheitsstrafe mit einem Antrag auf Aussetzung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung an die zuständige Strafvollstreckungskammer wenden. Die dann mit der Sache befassten Strafvollstreckungsrichter haben vermutlich den heikelsten Job, den die Strafjustiz zu vergeben hat, denn ihre Entscheidungen sind äußerst risikobehaftet: Niemand kann einem anderen in dessen Herz oder hinter die Stirn (oder in den besonders heiklen Sexualdelikten gegen Triebtäter, die eventuell vorzeitig entlassen werden sollen oder bei denen nach Strafverbüßung die Frage einer anschließenden Sicherungsverwahrung ansteht: in die Hose) schauen um festzustellen, ob sich der Antragsteller in zumindest der Bewährungszeit rechtstreu verhalten werde. Die mühevolle Arbeit der Strafvollstreckungsrichter wird immer dann in das grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt, wenn z.B. ein auf Bewährung entlassener Mörder wieder eine Tötungshandlung begeht, oder ein vorzeitig entlassener Triebtäter nach dem jahrelangen - vielleicht nur durch ständige Tabletteneinnahme gedämpften - durch die Haftumstände hervorgerufenen Triebstau bald nach seiner Entlassung wieder ein kleines Mädchen schändet.
"Lebenslange Haft

ddp Berlin - Wegen Totschlags in zwei Fällen hat ein Berliner Gericht einen 58jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Mann hat die Töchter (4/5) einer Kollegin getötet. Der Angeklagte war erst 1990 nach zweifachem Mord begnadigt worden."


Dann fällt die Öffentlichkeit über die Richter her - die sich aber selber die größten Vorwürfe machen. „Jeder Rechtsstaat ist ein Risikostaat!“

Die Alternative wäre, gnadenlos niemandem eine neue Chance einzuräumen. SPIEGEL ONLINE vom 21.06.05 berichtete den Fall "Allen" aus den USA, der ein Symbol für die Fehler des US-Justizsystems geworden ist:


Allen hat 35 Jahre in den Gefängnissen des Staates North Carolina zubrachte, weil er 1970 einen Fernseher gestohlen hatte: Eines Nachts, er ging allein durch die Straßen, sah er eine offene Haustür. Er trat ein, suchte Wertvolles und entdeckte einen Fernseher. Er zog den Stecker und nahm ihn mit.

Die 87 Jahre alte Dame, der das Gerät gehörte, alarmierte am nächsten Morgen die Polizei, die den Fußspuren auf dem unbefestigten Weg folgte.

Allen war geständig, eine Jury sprach ihn schuldig. Der Richter verurteilte Allen zu lebenslanger(!) Haft, was in vielen Staaten der USA aber oft erst nach der dritten begangenen Straftat geschieht, dann allerdings gleichgültig, wie gering der letzte Gesetzesverstoß gewesen ist. Der Richter verurteilte Allen vermutlich deshalb zu einer so drakonischen Strafe, weil das Opfer weiß und eine alte Frau war, Allen hingegen schwarz, fast zwei Meter groß und vorbestraft wegen Diebstahls und Körperverletzung.

1978, nach Verbüßung von acht Jahren Haft, bestand zum ersten Mal die gesetzlich vorgesehene Chance einer Entlassung auf Bewährung – die aber von der Bewährungskommission abgelehnt wurde, obwohl er laut seinem Anwalt, dem Jura-Professor Richard Rosen von der Universität von North Carolina, in den acht Jahren ein ganz normaler Häftling gewesen war Begründung der Kommission: Sein Verhalten lasse eine vorzeitige Entlassung nicht zu. Auch in den nächsten Jahren wurde Allen die Bewährung verweigert – insgesamt 26 Mal!

Nie hat er in dieser Zeit ein Mitglied der Kommission gesprochen, entschieden wurde nach Aktenlage. Mörder zogen später ins Gefängnis ein als der verzweifelte Dieb und früher wieder aus. Professor Rosen hat festgestellt, dass allein in North Carolina, dem Staat, in dem Allen einsaß, über 1000 entlassen worden waren.

Die Mitglieder der Kommission sagten nichts dazu, sie blieben stumm, als seien sie bei einem peinlichen Fehler ertappt worden, den sie totschweigen wollten.

Ein Staatsanwalt, der sich über den Fall empörte, überredete Richard Rosen, Allens Anwalt zu werden. Drei Jahre lang stellte Rosen Anträge, gab Interviews und bat um einen Termin mit einem Mitglied der Kommission. Er wurde ihm, nach langem Zögern, gewährt. "Wir durften unsere Argumente vortragen", erinnert sich Rosen, "dann mussten wir gehen. Mit uns geredet hat man nicht." Rosen setzte seine Kampagne zur Befreiung von Junior Allen fort.

Schließlich gaben die Mitglieder der Kommission nach. Die ständigen Berichte in Fernsehen und Zeitungen zwangen sie dazu. Allen wurde freigelassen. Seine Bewährungszeit setzte man auf fünf Jahre fest.

Allen ist jetzt 65 Jahre alt. Er war nie verheiratet. Er hat keine Kinder.

Will man das in Deutschland? Das BVerfG meinte, dass grundsätzlich jeder, auch ein Mörder, nach 15 Jahren die Chance haben müsste, noch einmal in Freiheit leben zu dürfen (wenn nicht eine besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde). Will man das eventuell sogar auf Kosten eigener Töchter? Die Richter in den Strafvollstreckungskammern sind wirklich nicht um ihre auf sehr schmalem Grat zu fällenden Entscheidungen zu beneiden!


Wer mit keiner der ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten eine Besserung seiner Gesamtumstände erreicht, der kann als allerletzte Möglichkeit ein Begnadigungsverfahren betreiben. Er ist "... ein Mensch, dem die aussichtsloseste Eingabe immer noch einen Funken Hoffnung bedeu­tet, der im Grau seiner Haft leuchtet. Solange der Mensch hofft, ist er nicht verloren."126 Als eines der letzten Relikte aus der Zeit der absolutistisch geherrscht habenden Landes»fürsten« steht das Begnadigungsrecht, je nach dem der Verurteilung zu Grunde liegenden Verfahren, entweder dem Bundespräsidenten oder dem jeweiligen Landesfürsten zu, in dessen Gebiet sich der Einsitzende aufhält.

Von großem Publikumsinteresse begleitet war immer eine anstehende Entscheidung des jeweiligen Bundespräsidenten auf Begnadigung von Terroristinnen und Terroristen aus der ehemaligen „Rote Armee Fraktion“ RAF. Nicht nur einige der Hinterbliebenen, denen ihr Angehöriger durch sinnlosen Mord geraubt worden ist, haben Mühe, eine Begnadigung nachvollziehen zu können: Sie haben ihr Leben lang unter dem Verlust zu leiden – und die Mörder laufen frei herum. Aber das ist auch bei jeder anderen Begnadigung so, nur herrscht da in der Öffentlichkeit für den „Landesvater“ nicht ein so großer Rechtfertigungszwang, als wenn es sich um die Begnadigung von verurteilten, nunmehr ihre Strafe verbüßenden Terroristen handelt.





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