Revolution für die Freiheit



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Charles Wolf


Seit einigen Tagen bemühten wir uns mit Freunden, die Wohnung von Charles Wolf, der sich in die freie Zone abgesetzt hatte, auszuräumen. Seine einzigartige Diskothek und Büchersammlung wollten wir unter keinen Umständen in die Hände der Gestapo fallen lassen. Wolf war Elsässer jüdischer Abstammung und in seiner Art ein Original. Als leidenschaftlicher Sammler besaß er eine Plattensammlung, die einmalig war: über 20.000 Platten, die beinahe alle Musikgebiete umfaßten; die Hälfte der Sammlung befand sich bei Verwandten im Elsaß und war wohl längst Beutegut geworden. In seiner Pariser Wohnung blieben 10.000 Platten und eine große Büchersammlung. Bücher und Platten verstopften die zwei Stockwerke vollkommen; lange Regale in allen Zimmerwänden, im Flur, Keller, auf den Treppen, ließen nur schmalen Raum zur Bewegung. Daneben sammelte Wolf alles: jeder Brief, der kleinste beschriebene Zettel fand sich wohl geordnet in besonderen Zettelkästen. Für das französische Radio war er mit seiner Sammlung eine unerschöpfliche Fundgrube. Wolf selbst galt als gewichtige Autorität für alles, was mit Schallplattenmusik zu tun hatte. In seinem Haushalt trieben sich auch vier mit kleinen Schellen behängte Katzen herum, das Glockengebimmel warnte die Vögel vor der Gefahr. In einem Käfig pflegte er seit Jahren einen uralten Raben. Wolf's Nachbarn nahmen sich der Katzen an den Raben wollte niemand. So nahmen wir ihn zu uns. Wir ließen ihn einige Tage frei in der Wohnung umherfliegen, doch verdreckte er sie scheußlich und wir mußten ihn wieder in den Käfig sperren. Damit war das Tier nicht zufrieden, krächzte und tobte wild im Käfig herum. Wir ließen ihn frei und er flog schwerfällig davon. Wir waren fest entschlossen, die wertvolle Sammlung von Wolf zu retten. Wo aber konnten wir die Masse von Platten und Büchern am geeignetsten unterbringen? Die Platten in einen feuchten Keller zu stellen, war zu riskant. Nach langen Verhandlungen ließ sich ein bekannter Kunstmaler herbei, Platten und Bücher in seinem geräumigen Atelier aufzunehmen. Wir mieteten zwei Handkarren und transportierten während drei Tagen alles in die neue Wohnung. Neben der Genugtuung, Platten und Bücher gerettet zu haben, konnten wir uns jede Woche den Genuß leisten, beim Kunstmaler ausgewählte Platten zu hören und auch Bücher auszuleihen. Zwei oder drei Tage später erschien prompt der deutsche Sicherheitsdienst in Wolfs Wohnung.

Wolf, der sich zuerst in Bordeaux, später in Lyon der Widerstands bewegung angeschlossen hatte, fiel schon Anfang 1942 in die Hände der französischen Miliz. Im Gefängnis gefoltert, brachte er nicht die Kraft auf, den Qualen zu widerstehen, befürchtete seine Kameraden zu verraten und nahm Gift. Er war ein feiner, hochgebildeter Mensch, der tagelang mit Brot und Wein, einem Stück Käse leben konnte, nur um den zahllosen Flüchtlingen, die an seine Tür pochten, mit einigen Francs weiterzuhelfen.


Der Pavillon


Gerade um die Zeit, als wir mit dem Ausräumen von Wolf's Wohnung beschäftigt waren, kam ein Freund aus der Umgebung von Paris zu uns.

„Ich habe eine Gratiswohung für euch”, kündete er strahlend an. „Ein Bekannter von mir, russischer Jude und Linksintellektueller, ist mit seiner Famile nach Lyon geflüchtet. Er bewohnte einen schönen Pavillon im 14. Bezirk. Die Leute mußten eine wertvolle Bibliothek und alle ihre Möbel zurücklassen. Das Haus besteht aus 7 Zimmern, Küche, Baderaum und einem großen Keller. Mein Bekannter sucht Leute, die das Haus beziehen wollen, damit es nicht von den Besatzungsbehörden beschlagnahmt wird. Ich dachte mir, ihr als Schweizer Bürger seid dafür gerade das richtige, euch können die Deutschen nicht ohne weiteres hinauswerfen. Während der Dauer des Krieges braucht ihr keine Miete zu bezahlen, mein Bekannter wird dafür aufkommen. Ihm kommt es darauf an, die Wohnung, Bücher und Möbel zu retten. Einverstanden?”

Wir sagten sofort zu. Der Umzug in das neue Haus war mit zwei Handkarren schnell vollzogen.

Der Pavillon lag sehr hübsch in einer kleinen Passage, links und rechts abgedeckt von ähnlichen Pavillons. Vor dem Haus standen Bäume, Akazien und Rotbuchen, es gab kein direktes Vis a Vis, da vor den Pavillons in einem tiefen Graben sich die alte Pariser Ringbahn hinzog; sie wurde jetzt nur noch selten für Materialzüge der Automobilwerke Renault benützt. Die Haushüterin hatte mit unserem Pavillon nichts zu tun, sie logierte weit hinten in einer großen Mietskaserne und war nur zu sehen, wenn sie alle drei Monate die Miete einkassieren kam. Küche, zwei Zimmer und ein großes Vestibül bildeten das Parterre; im ersten Stock befanden sich zwei große sonnige Zimmer und zwei kleinere Eckzimmer, eines davon mit laufendem Wasser, sowie das Badezimmer. Dem Haus war später als zweites Stockwerk ein großes Künstleratelier aufgestockt worden, leider unheizbar. Die umfangreiche Bibliothek des geflüchteten Mieters, ein bekannter Kunst- und Filmkritiker, stand uns zur Verfügung.

Obwohl wir keine Miete zu bezahlen brauchten, mußten wir von etwas leben. Während ich mich mit Übersetzungen abquälte, gab Clara Sprachunterricht, da nicht wenige Franzosen sich für die deutsche Sprache zu interessieren begannen. Wir hatten zu diesem Zweck uns sofort ein Telefon einrichten lassen,womit wir Glück hatten, acht Tage später mußte dafür die Bewilligung der deutschen Behörden eingeholt werden. Etwas später stellte uns eine Freundin, die in Gif-sur-Yvette eine Handweberei betrieb, einen kleinen Webstuhl zur Verfügung und weihte Clara in die Kunst des Webens ein. Sie brachte es bald zu einer gewissen Fertigkeit und die von ihr hergestellten Wollschals ließen sich gut verkaufen.

Durch die Vermittlung unserer Freundin kamen wir mit einem Wollgeschäft in Verbindung, das uns die Wolle lieferte und uns die Schals zum Verkauf abnahm. Da wir für uns keine 7 Zimmer brauchten, zog die Schweizer Studentin, die Claras Arbeit in der Holzfirma vermittelt hatte, zu uns; sie richtete sich in einem Zimmer im ersten Stock ein, einige Wochen später ließ sie ihren französischen Freund nachkommen, der nicht zur Arbeit in Deutschland gehen wollte.

Seit unserer Rückkehr aus Spanien hatten wir uns nicht aktiv politisch betätigt. Mit der trotzkistischen Organisation hatten wir endgültig gebrochen. Die lapidare Theorie vom degenerierten Arbeiterstaat schien uns längst überholt, das Argument der „historischen Notwendigkeit” mit welchem alles erklärt wurde, ob es sich um Kuchenbacken oder die Bestialitäten der stalinistischen Bürokratie handelte, lehnten wir ab. Die Trotzkisten, wie die Stalinisten, beteten noch immer eine Revolution an, die der Welt seit Jahren die grinsende Fratze der Konterrevolution zeigte. Sowjets und Demokratie waren zum Teufel, G.P.U. und Zwangsarbeit, Genickschüsse für politische Gegner entpuppten sich als Gipfelpunkte sozialistischer Entwicklung. Die neue Verfassung, die der Tyrann im Kreml mit seinen Helfershelfern dem Land aufzwang, wurde von den Kommunisten aller Länder und ihren bürgerlichen Nachläufern als die demokratischste Verfassung der Welt gepriesen. Ein einziger Artikel dieser Verfassung genügt um den Schwindel zu entlarven: er enthält die Todesstrafe für wirtschaftliche Schädigung selbst für 12 jährige Kinder. Trotzki blieb der Gefangene einer glorreichen Vergangenheit, einer überhaupt Parteidoktrin, durch deren Brille er eine verschrobene Zukunft sah. Für uns war Rußland ein neuer, imperialistischer Ausbeuterstaat geworden, dem sich die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in anderen Formen vollzog. Die neue russische Gesellschaftsordnung zu definieren, sie zu demystifizieren, blieb eine ungelöste Aufgabe. Bei diesen Auffassungen war ein Zusammenarbeiten mit den Trotzkisten ausgeschlossen, wir wurden auch als Abtrünnige und Verräter betrachtet. Die französische Sektion zeichnete sich zudem durch besondere Sturheit und ekelhafte Fraktionskämpfe aus.

Wir waren nicht die Einzigen, die so dachten. Bald lernten wir Gesinnungsfreunde kennen, neue politische Beziehungen knüpften sich an. Unsere neue, günstig gelegene Wohnung wurde zum Treffpunkt hitziger Diskussionsabende. Die neuen politischen Freunde kamen aus allen Windrichtungen und vertraten alle europäischen Nationen: Franzosen, Deutsche, Spanier, Italiener, Jugoslaven, Ungarn, Russen und Polen. Neben einigen Anarchisten waren die meisten durch die Schule der kommunistischen Partei gewandert. Sie brachten ausnahmslos eine ansehnliche politische Bagage mit. Aus den losen Diskussionen entstanden regelmäßige Zusammenkünfte, die mit aller Sorgfalt organisiert wurden. Im Frühling 1941 war in Paris von einer Widerstandsbewegung noch herzlich wenig zu spüren. Die französischen faschistischen Organisationen, die mit den Besatzungsbehörden zusammenarbeiteten, hatten überall in der Zivilbevölkerung ihre Spitzel und Parteigänger. Der Luftschutz war hinter jedem Lichtlein her, das hinter den verschleierten Fernsterscheiben in die Nacht blinkte. Um 11 Uhr nachts war Polizeistunde, wer sich später auf der Straße befand, wurde von deutschen Patrouillen aufgegriffen, auf die Wache geschleppt und durfte in harmlosen Fällen eine Nacht lang Stiefel putzen. Das Kommen und Gehen unserer Besucher vollzog sich meist einzeln, zur besseren Tarnung begleitete den einen oder anderen die Frau oder eine Freundin. Aus den stürmischen und konfusen Debatten versuchten wir eine gemeinsame Linie herauszuschälen. Wir einigten uns auf drei Punkte: 1) Rußland ist ein neuer imperialistischer Klassenstaat, der auf der Grundlage verstaatlichter Produktionsmittel eine eigene, weder sozialistisch noch klassisch kapitalistische Ordnung geschaffen hat; 2) der gegenwärtige Krieg ist ein imperialistischer Krieg, an dem Revolutionäre weder auf der einen noch der anderen Seite teilnehmen können; 3) das sozialistische Endziel bleibt bestehen, doch die alte Arbeiterbewegung ist tot. Aus den Wirren des Krieges wird eine neue Arbeiterbewegung entstehen, die, unter scharfer Ablehung der bolschewistischen Partei- und Staatstheorie, ihre eigenen Wege suchen muß.

Auf diesem weit gefaßten „Programm” gründeten wir eine Gruppe, die wir stolz „Union der internationalen Kommunisten“ nannten. Mit einem handbetriebenen Abziehapparat, den ich mit einem halben Dutzend Schreibmaschinen aus jüdischen und Emigrantenwohnungen gerettet hatte, stellten wir regelmäßig ein Bulletin her, das sowohl zu unserer Selbstverständigung wie dem Gedankenaustausch mit anderen Gruppen diente. Unsere bisher unbehelligte Tätigkeit machte uns kühner; wir verfaßten Flugblätter in deutscher und französischer Sprache gegen den Krieg, in denen wir zum Widerstand gegen den deutschen Faschismus und den russischen Bolschewismus aufforderten. In Zweiergruppen, darunter meist eine Frau, zogen wir bei Anbruch der Dunkelheit los, steckten die Blätter in die Briefkästen, streuten sie in die Hausflure, die Höfe der Mietskasernen, vor oder in die Garagen, Soldatenheime und Soldatenkinos der Besatzungstruppen, vor Werkstätten, wo deutsche Soldaten arbeiteten. Das gelang nicht immer, denn erwischt zu werden bedeutete sofortige Verhaftung. Einigemale gelang es uns, Flugblätter über Kasernenmauern zu werfen und rasch zu verschwinden.

Unseren Grundsätzen gemäß lehnten wir jede gemeinsame Tätigkeit mit der französischen Widerstandsbewegung ab, die sich zu organisieren begann. Wir bekämpften ihren nationalistischen Charakter und mit Ausnahme von praktischen Querverbindungen den Kontakten mit anderen kleinen, revolutionären Gruppen blieben wir dem Prinzip den ganzen Krieg hindurch treu. Diese intransigente Haltung hat uns zweifellos vor dem Eindringen von Spitzeln, mit denen die nationale Widerstandsbewegung verseucht war, bewahrt und uns vor Verhaftungen weitgehend geschützt.



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