Sonntag, 05. April 2009 - Palmensonntag (kath.)
Am heutigen Morgen habe ich mich mit Masha und Janka in der katholischen Kirche getroffen, um gemeinsam den Palmensonntag zu begehen. Zunächst war die Kirche heute sehr voll, so dass wir nur einen Stehplatz hatten - es war aber bei weitem nicht so voll wie am Weihnachtsfest. Vor der Kirche konnte man kleine Blumensträuße kaufen, die die Palmenzweige symbolisierten. Einige hatten auch echte Palmenzweige in der Hand - andere dagegen Plastikblumen. Wir waren kaum in der Kirche, da mussten wir zur Segnung der Palmenzweige auch schon wieder heraus und wir haben einen schönen Platz direkt auf der Treppe bekommen, so dass wir alles genau sehen konnten. Anschließend gab es eine Prozession um die Kirche - allerdings nicht wie in der orthodoxen Kirche links herum, sondern rechts. Was Masha sehr erstaunt hat während der Heiligen Messe, war die Passion, die von zwei Messdienern und einem Priester gelesen wurde, aber auch, dass Messdiener das Volk mit Weihrauch inzensieren können. Und an den Predigtstil habe ich mich schon längst dran gewöhnt. Letztlich waren wir der Auffassung, dass die katholische Kirche in Moskau einen Leitsatz des Zweiten Vatikanischen Konzils - "die Zeichen der Zeit verstehen" - in einer besonderen Weise interpretiert hat und sich so an die Bedürfnisse der Menschen in Moskau anpasst. Dies zeigt einerseits das Nachspielen der Leidensgeschichte Jesu, was im Anschluss an die Heilige Messe folgte: Es kam uns eine Art Theatergruppe entgegen in perfekt gemachten Kostümen und Verkleidungen. Der orthodoxen Kirche ist es völlig fremd, dass ein Mensch Jesus nachspielen kann, ebenso Maria und Josef. Diese werden allerhöchstens von Puppen dargestellt. Andererseits denke ich an den Heiligen Abend zurück, wo direkt nach dem Legen des Jesu-Kindes ein Feuerwerk gezündet wurde.
Den Nachmittag habe ich bei Masha verbracht, dort im Haushalt etwas geholfen, gekocht und wir sind zum Paveljetsker Bahnhof gegangen und haben die Fahrkarten für die Reise nach St. Petersburg gekauft. Anschließend habe ich meine Jacke wieder einmal in Reparatur bringen müssen. Am Abend nach dem Essen haben Masha und ich noch ein wenig an meinen Texten übersetzt, so dass ich jetzt so gut wie fertig übersetzt habe und sehr bald mit der Hausarbeit beginnen kann. Dies wird dadurch begünstigt, dass ich die notwendige Literatur von meinen Eltern geschickt bekommen habe.
Und nun hat sich gerade noch herausgestellt, dass ich heute wohl doch noch die Küche abwaschen muss. Eigentlich müsste Genadij den Dienst ja für mich übernehmen, weil ich für ihn abgewaschen habe, aber irgendwie ist er wie vom Erdboden verschluckt. So wird es wohl doch noch später werden...
Montag, 06. April 2009
Auf der Fahrt zur Universität und zu meinem Internetplatz habe ich heute im Kursker Bahnhof einen wahrscheinlich völlig überarbeiteten Polizisten gesehen. Der Zug endete im Kursker Bahnhof und wie es üblich ist, springen viele von der Bahnsteigkante herunter und gehen über die Gleise zu einem Bahnsteig, wo es keine Kontrolldurchlässe gibt. Auf dem anderen Bahnsteig stand heute ein Polizist und versuchte alle Leute zu fassen, die nicht den rechtmäßigen Weg nahmen. Als vier Leute bei ihm standen, winkte er auch die anderen zu sich, doch es hat keiner mehr auf ihn geachtet und alle sind weiter gelaufen. Ich hatte zudem den Eindruck, dass sich einer der Vier ebenfalls verkrümelt hat. Es ist schon sehr selten, dass man nur einen einzelnen Polizisten trifft. Als ich dann im Internet war, habe ich eine Stunde mit meinen Eltern telefoniert und das Neueste aus Oldersum und Ostfriesland erfahren - und jede Menge Grüße erhalten.
In der Universität fand heute wahrscheinlich die letzte Ethik-Vorlesung statt, da nach Ostern für diesen Kurs schon die Prüfungsphase beginnt. Und nächste Woche finden keine Vorlesungen statt, weil die letzte Fastenwoche eine sehr intensive liturgische Woche und Vorbereitung auf das Osterfest ist und dann unterrichtsfrei ist.
Anschließend bin ich wieder nach Masha nach Hause gegangen, wo ich dann ein wenig an meiner Hausarbeit gearbeitet und etwas übersetzt habe. Nun muss ich noch einige Texte ausdrucken, mir ein vernünftiges Konzept überlegen und dann kann ich richtig loslegen. Allerdings wird es nicht sonderlich einfach werden, da ich mit drei Übersetzungen hantieren muss: einmal mit der Griechischen, dann mit der Russischen und dann noch mit einer Deutschen. Das macht die Sache durchaus knifflig - aber auch ebenso spannend.
Am frühen Abend sind wir dann in den Abendgottesdienst gegangen, weil morgen das Fest "Maria Verkündigung" ist, was in der orthodoxen Kirche ein Feiertag ist, so dass morgen eventuell auch unterrichtsfrei ist - da bin ich mir aber noch nicht ganz sicher, ob das wirklich der Fall ist und werde noch nachfragen.
Nach der Rückfahrt mit der Elektritschka zum Wohnheim mussten wir feststellen, dass die Brücke wegen Bauarbeiten wieder gesperrt war. Die allgemeine Umleitung war eine typisch Russische: Sie führte quer über den freien Güterbahnhof zu einem Betonzaun, über den man dann klettern oder an einer geeigneten Stelle darunter durch krabbeln musste. Da ich nicht alleine war und weit mehr als zehn weitere Leute dabei waren, habe ich mich entschlossen, da einfach hinterher zu gehen und kam dann genau neben der renovierten Treppe heraus, die zur gesperrten Brücke hochführt. Seit ein paar Tagen wird die Behelfstreppe auch wieder aufgebaut - an dem Bahnsteig, an dem die Züge in die Innenstadt abfahren. Allerdings so, dass man mehr oder minder wieder mitten auf dem Güterbahnhof landet, wenn man sie hinabsteigt.
Heute habe ich auf dem Rasen der Universität das erste Wachsen auf dem Rasen gesehen: Es schauen ganz kleine Sprösslinge aus dem Boden heraus, die vielleicht einmal Blumen werden könnten - der Frühling naht also. Auch die Temperaturen steigen langsam, aber stetig an. Abends zeigt das Thermometer nun oft sieben Grad über Null an und tagsüber sind es vielleicht schon mehr als zehn Grad. Es ist jetzt so eine Zeit gekommen, wo es besonders schwierig mit der Jacke wird: Für die Sommerjacke ist es noch zu kalt und in der Winterjacke ist es besonders in der Metro zu warm, so dass man gut aufpassen muss, dass man sich nicht erkältet.
Dienstag, 07. April 2009 - Maria Verkündigung
Verkündet von Tag zu Tag das Heil unseres Gottes. Singet dem Herrn ein neues Lied, singet dem Herrn alle Welt (Prokimenon, 4. Ton)
Heute beginnt unsere Erlösung und die Offenbarung des Geheimnisses von Ewigkeit her: Der Sohn Gottes wird Sohn der Jungfrau. Gabriel verkündet die frohe Botschaft der Gnade. So rufen auch wir mit ihm der Gottesgebärerin zu: Sei gegrüßt, Gnadenerfüllte, der Herr ist mit Dir. (Troparion, 4. Ton)
Dir, der für uns kämpfenden Heerführerin, bringen wir, als Deine von den Übeln erlösten Knechte, dankerfüllte Siegeslieder dar, o Gottesgebärerin. Die Du unüberwindliche Macht besitzt, errette uns aus allen Gefahren, auf dass wir Dir zurufen: Sei gegrüßt, Du unvermählte Braut! (Kondakion, 8. Ton)
Heute war ich wie geplant zur Göttlichen Liturgie, die in der Dreifaltigkeitskirche gefeiert wurde, weil dort ein Altar der Verkündigung Marias geweiht ist. Bis zum Cheruvimskaja - also bis zum großen Einzug - waren viele Elemente in den Ablauf eingefügt - es wurden einige Teile der Leidensgeschichte Jesu gelesen. Das Fest Maria Verkündigung ist eines der zwölf großen Feste in der orthodoxen Kirche und wird mit den Fastengottesdiensten kombiniert. Fiele der Tag auf einen Karfreitag, wäre es sogar möglich, dieses Fest zu feiern. Der Inhalt des Festes geht auf Lk 1,26-38 zurück, als der Engel des Herrn zu Maria kam und ihr die Geburt durch den Heiligen Geist verkündete.
Nach der Göttlichen Liturgie war ich mit Masha im Bahnhof um Fahrkarten umzutauschen, die uns falsch verkauft worden sind. Glücklicherweise haben wir jetzt sogar Geld eingespart, weil wir einen günstigeren Zug gewählt haben. Anschließend waren wir noch das Tagebuch - es sind nunmehr ohne Fotos gedruckt 227 DIN-A-Seiten - und ein paar andere Sachen fürs Studium drucken. Anschließend habe ich Masha ein wenig im Haushalt geholfen und dann eine paar Mails geschrieben.
Um 17 Uhr habe ich mich mit Kolja und Sergjoscha zusammen gesetzt um ein wenig die deutsche Sprache zu üben. Sie sind freiwillig auf mich zugekommen und wollen die Gelegenheit ergreifen, von mir die Sprache etwas zu lernen. Dafür habe ich mir vor ein paar Tagen Arbeitsblätter gemacht, die wir dann gemeinsam durchgegangen sind. Sie haben, wohl weil sie interessiert sind, recht schnell gelernt, so dass es Spaß gemacht hat.
Anschließend habe ich schnell beim Essen machen geholfen und dann noch etwas an der Hausarbeit gearbeitet. Um 22 Uhr habe ich mich auf den Heimweg gemacht. Die Brücke war wieder gesperrt und dieses Mal gab es ein weiteres Hindernis: Es standen mehrere Züge in den Gleisen, so dass die Umleitung von gestern gesperrt war. Einige sind zwar zwischen den Zügen durchgekrabbelt, mir war das aber wesentlich zu gefährlich, so dass ich dann den längeren Weg durch den Tunnel genommen habe. Einen Teil des restlichen Abends habe ich noch mit Oleg und Pjotr in deren Zimmer zusammen gesessen und wir haben zusammen über dies und jenes gesprochen.
Mittwoch, 08. April 2009
Heute bin ich wieder recht zeitig aufgestanden und habe die ersten Zeilen der Hausarbeit zu Papier gebracht, so dass der Anfang gemacht ist. Langsam bildet sich in meinem Kopf eine Struktur, wie die Hausarbeit aussehen könnte - das motiviert noch einmal mehr, die Sache anzugehen. Doch es wird recht knifflig werden, da mir einerseits mehrere Übersetzungen der Bibel vorliegen und ich mich andererseits über das westliche und zugleich östliche Verständnis einer exegetischen Hausarbeit setzen muss. So ist das Verständnis des Matthäus ein unterschiedliches: Im Westen ist es der Name des Verfassers eines der vier Evangelien, wobei hier nicht sicher ist, ob der Verfasser wirklich Matthäus hieß: Er ist eigentlich eher unbekannt. In der orthodoxen Kirche dagegen ist Matthäus Apostel und Evangelist zugleich und meine Kommilitonen, denen ich davon erzähle, hören zum ersten Mal davon. Einer hat mir geantwortet, dass das westliche Verständnis und die dortige Forschung gar nicht abgesichert - also hypothetisch sei. So tauchen also schon interessante Schwierigkeiten vor der eigentlichen Hausarbeit überhaupt auf.
Bevor ich dann in die Uni gegangen bin, habe ich noch einen Abstecher zur Post gemacht und hatte nur eine Person vor mir, die aber gleich mehr als zwanzig Pakete verschicken wollte. Das hat so lange gedauert, dass ich dann in die Vorlesungen gegangen bin, ohne die Briefe loszuwerden. Nach den Vorlesungen und der Chorstunde bin ich dann also wieder zur Post gegangen - in ein anderes Amt. Dort stand ich dann fast ganz vorne und als ich an der Reihe war, hat die Frau erst einmal zehn Minuten Pause gemacht. Die Zeit habe ich mir vertrödelt, in dem ich mit meinen Taschencomputer gespielt habe. Danach bin ich einkaufen gegangen und habe in dem Supermarkt deutsche Stimmen gehört und deren "Besitzer" einfach mal angesprochen: Zwei Touristen, die mehr oder minder auf der Durchreise von Moskau sind. So hat sich ein ganz nettes Gespräch ergeben, dass ganz interessant war. Einen Teil des Abends habe ich bei Masha verbracht und habe ihr beim Übersetzen geholfen.
Nun werde ich gleich die Sachen packen, da ich ja morgen nach Saratov fahren werde. Auf die Reise freue ich mich schon sehr, nur bin ich auf die Zugfahrt sehr gespannt und hoffe, dass ich gut im Zug schlafen kann. Sollten meine Beine zu weit in den Gang vom Waggon ragen, dann müsste ich mir vielleicht eine rote Laterne daran hängen, damit mich nicht jeder Vorbeikommende anstößt. Ich überlege mir auch schon die ganze Zeit, wie ich die Fahrt - zumindest abends - verbringen könnte. Gerne möchte ich an der Hausarbeit arbeiten, doch ich denke, dass ich die ganze Literatur nicht in die Tasche bekommen werde.
Heute habe ich übrigens die ersten auf dem Kirchengelände Krokusse blühen sehen - es sind bislang nur wenige, aber einige andere stecken ihre bunten Knospen schon in die Luft und wenn ich zurück bin, werden sie auch wohl in Blüte stehen.
Donnerstag, 09. April 2009 - Gründonnerstag (kath.)
Um kurz nach halb acht bin ich aufgestanden und so hatte ich nach dem Frühstück noch genügend Zeit um an meiner Hausarbeit zu schreiben. Die Einleitung ist nun schon so gut wie fertig - da sie letztendlich noch auf die Hausarbeit angepasst werden muss. Wie immer war ich heute auch wieder im Internet, um mit meiner Mutter zu telefonieren. Doch die hatte keine Zeit. Nach dem Essen in der Universität war dann heute die letzte Vorlesung bei Vater Valentin. Er fragte mich am Anfang, was ich nach meinem Studium machen würde und auch, ob ich nicht noch ein Jahr in Moskau studieren würde. Letzteres würde ich gerne machen, aber mein Studium in Münster muss ich doch auch abschließen. Zum Schluss hat er mich noch - mit meiner (sprachlichen) Hilfe, auf deutsch gesegnet. Nun ist die Vorlesung zu Ende gegangen, die mir von allen am meisten bedeutet hat und auch am meisten gefallen hat. Damit geht das Studium schon früher zu Ende, als mir lieb ist - es liegt daran, dass die Prüfungszeit des vierten Kurses schon nach Ostern und damit sehr früh anfängt.
Nach der Vorlesung bin ich direkt nach Masha gegangen und habe dort schnell Pizzabrote zubereitet - zwei davon habe ich dann auf die Fahrt mitgenommen - und eins schon bei ihr zu Hause gegessen. Wir sind dann beide zum Bahnhof gegangen und es dauerte dann auch gar nicht mehr lange, bis der Zug abgefahren ist. Ich muss gestehen, dass mir der Abschied trotz der kurzen Zeit bis zum Wiedersehen doch etwas mehr schwer gefallen ist als ich gedacht hätte.
Meinen Platz habe ich im zweiten Wagen gefunden bei Igor, Sergej, Olga und den Namen des anderen jungen Herren habe ich leider schon wieder vergessen. Wir haben uns ganz nett unterhalten und dann irgendwann Karten gespielt. Wobei ich mir das Spiel erst eine Zeit lang angeschaut habe und es dann zunächst mit offenen Karten selbst probiert habe. Letztendlich habe ich das Spiel bis kurz vorm Schlafengehen noch nicht ganz verstanden, konnte aber fast ohne Hilfe mitspielen. Die vier haben mich höflichkeitshalber hin und wieder sogar gewinnen lassen. Gegen 22 Uhr wurde das Licht schon gedämmt und gegen 22:45 Uhr dann völlig auf schlafen umgestellt, so dass Karten spielen unmöglich wurde. Ich habe mich dann wie Sergej, der über mir lag, recht schnell schlafen gelegt.
Freitag, 10. April 2009 - Karfreitag (kath.)
(nach dem Aufstehen): Die Nacht war eigentlich recht ruhig, bis auf das hin und wieder Geld von Sergej auf mich herabgerieselt ist und das manchmal einige Leute an meine Füße, die dann und wann weit in den Gang gestreckt waren, gestoßen sind. Manchmal bin ich auch zwischenzeitlich wach geworden - eigenartigerweise dann, wenn der Zug stand. Wenn der Zug an einer Bahnstation hält, dann steht er meistens auch für 20 Minuten. Gegen 7:30 bin ich dann aufgestanden - da fuhren wir gerade durch die Bahnstation Uralskaja. Da sind wir durch eine leicht hügelige Landschaft gefahren, in der recht wenige Bäume stehen und die Hügel noch recht braun aussehen von dem Gras, dass lange unter dem Schnee gelegen hat. Hin und wieder kommt ein kleines Dörfchen, dass dann seine eigene Bahnstation hat, die dann nicht die Bezeichnung des Ortes, sondern die des Streckenkilometers trägt - beispielsweise "Platforma 816 km. Die kleinen Haltestellen erscheinen mir hier manchmal als etwas eigentümlich - es sieht aus, als hätte man dort ein paar Betonplatten nebeneinander gelegt, eine weiße Linie gezogen und ein Namensschild dazugestellt. Das Wetter ist wieder herrlich, obwohl es auch kalt zu sein scheint draußen. Gerade eben hat Bischof Clemens mir geschrieben, dass mich jemand am Bahnhof abholen wird - ich freue mich sehr auf das Treffen. Nun tauchen gerade die ersten Hochhäuser von Saratov auf und ich will den Computer nun ausmachen.
(am Abend) Als ich aus dem Zug ausgestiegen bin rief gleich eine mir bekannte Stimme meinen Namen - es war Vater Marcus, der mich am Bahnhof erwartete. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn hier treffe und so war ihm eine tolle Überraschung gelungen. Gegen zehn Uhr waren wir dann im bischöflichen Haus, dass sich in einem größeren Block befindet. Dort hat die katholische Kirche vier Wohnungen gekauft - eine ist für den Bischof, eine für Gäste, eine für Schwestern und noch eine weitere. Es ist ein bewachtes Grundstück, wo Leute mit etwas mehr Geld wohnen. Ich habe mich dann erst etwas frisch gemacht und habe mich dann schlafen gelegt. Eigentlich wollte ich mich nur eine Stunde ausruhen, da das Bett aber so bequem war und ich recht müde, bin ich dann erst um Mittag aus dem Bett gekommen. Ich habe mich dann noch die Stunde bis zum Mittagessen bei Marcus und einem Priesteramtskandidaten des Bistums dazugesetzt, die gerade gemeinsam beziehungsweise gegeneinander am Computer spielten. Zum Mittagessen kam Bischof Clemens dann auch dazu. Nach dem Essen und dem Abwasch habe ich dann alleine die Stadt ein wenig erkundet und bin durch die Fußgängerzone bis zur Wolga spaziert. Dabei bin ich auch an der katholischen Kirche vorbeigekommen - und an einer orthodoxen. Mein Ziel war die Russisch-orthodoxe Kathedrale, die in der Nähe des Wolgaufers liegt. Sie ist eine schöne Kirche, die frisch renoviert ist und sehr schöne Deckengemälde zeigt. Auch sind dort einige sehr alte Ikonen zu finden - so wie Bischof Clemens mir erzählte, war die Kirche zu Sowjetzeiten geöffnet und man hat dort die ganzen Ikonen der anderen Kirchen, die geschlossen wurden, gesammelt. Der Teil der Kirche, in dem ich war, war nicht überfüllt mit Ikonen. Möglicherweise war ich aber auch nur in der Krypta und nicht in der Hauptkirche. Von der wusste ich irgendwie gar nichts - obwohl ich es mir hätte denken können, wenn mir das Gebäude von außen besser angeschaut hätte. Vielleicht war ich doch noch zu müde. Anschließend habe ich noch Wasser gekauft und bin dann durch die Fußgängerzone zurück zum Markt gegangen und wollte dort nach Hausschuhen schauen. Gefunden habe ich so gut wie nichts - ich hatte auch nur wenig Zeit, weil ich um fünf Uhr mit dem Bischof zu Kirche gefahren bin. Unterwegs haben wir viele neue Häuser gesehen und direkt daneben oft alte, die teils recht windschief dastehen. Sie spiegeln das alte Saratov wieder, das mit jedem Hochhaus so langsam schwindet. Es wird hier oft so gehandhabt, dass wenn ein Investor kommt, der ein großes Haus bauen möchte, die Menschen der alten Häuser gebeten werden, zu verkaufen. Tun sie es nicht, müssen sie damit rechnen, dass ihr Haus irgendwann ein Opfer der Flammen wird und sie somit "zwangsumgesiedelt" werden. Einige alte Häuser zwischen der großen Wolgabrücke und der Russisch-orthodoxen Kathedrale sollen bislang sogar noch nicht einmal Wasseranschluss haben, obwohl sie mitten in der Stadt liegen.
Um 18 Uhr fing dann die Karfreitagsliturgie an - etwas später als gewohnt, weil die berufstätigen sonst keine Möglichkeit haben, zu diesem eigentlich wichtigen Gottesdienst zu kommen. Die kleine Kirche war wesentlich mehr als halbvoll - es waren mit dem Bischof fünf Priester anwesend. Dies ist äußerst ungewöhnlich - in der Regel zelebriert nur einer. Nach dem Kirchgang bin ich mit Vater Marcus und dem Priesteramtskandidaten nach Hause gegangen, wir haben dort etwas gegessen und sind nach dem Komplet und dem Schreiben das Tagebuches schlafen gegangen.
So habe ich heute nun wieder viel Fremdes und Neues gesehen - zunächst bin ich das erste Mal über Nacht im Zug gefahren und ich habe es mir durchaus schlimmer vorgestellt - letztendlich war es ganz gut. Die Betten sind zwar nicht ausreichend lang genug für mich, aber für eine Nacht waren sie dennoch in Ordnung. Dann habe ich etwas von einer mir völlig fremden Stadt gesehen, die auch zu den Großstädten Russlands zählt und etwa eine Million Einwohner haben soll - die mir aber letztendlich doch wie eine Kleinstadt vorkommt. Moskau scheint mir ein völlig neues Bild über eine Stadt gegeben zu haben. Das Maß für etwas Normales in dieser Beziehung scheint verloren gegangen zu sein. Obwohl Saratov gar nicht so klein ist, kommt es mir doch so vor. Hatte ich auf der Fahrt nach Vladimir schon die Wolga gesehen (Вольга), so habe ich heute das erste Mal die große richtige Wolga (Волга) gesehen. Erstere ist eher ein Bach als ein Fluss in der Nähe Moskaus und nun habe ich heute im eisigen Wind vor der mittlerweile weitestgehend eisfreien bekannten Wolga gestanden und war beeindruckt von der Größe. Das Ufer am anderen Ende ist doch wesentlich weiter weg als bei mir bekannten anderen Flüssen wie beispielsweise der Rhein. Vielleicht ist die Elbe bei Otterndorf vergleichbar - da habe ich jedoch nur schwache Erinnerungen dran. In jedem Fall war ich an manchen Stellen in der Stadt stark an die sibirische Stadt Irkutsk erinnert. Auch an anderen Dingen konnte man merken, dass ich weiter in Russland eingedrungen bin: Die Gehwege sind viel schlechter, die Häuser oftmals verfallener und alles wirkt noch ein wenig mehr unaufgeräumt. Aber die Stadt ist wesentlich ruhiger und damit angenehmer als Moskau.
Samstag, 11. April 2009 - Karsamstag (kath.)
Am heutigen Morgen haben wir uns zum Frühstück um acht Uhr getroffen, vorher habe ich gemeinsam mit Vater Marcus und Ilja die Laudes gebetet. Anschließend hat Bischof Clemens Ilja und mich eingeladen in zwei kleine Dörfer auf dem halben Weg nach Kamuschin zu fahren. Der Weg dorthin führt durch eine hügelige Landschaft ein paar Kilometer entfernt parallel zur Wolga. Wir waren sehr schnell aus der Stadt heraus - das bin ich von Moskau nun gar nicht mehr gewöhnt. An sehr wenigen Stellen lag noch Schnee, vor allem zwischen den Bäumen der überwiegend schnurgeraden Straße, die wie über die Hügel gelegt aussieht. Sonst sind nur einige Büsche und wenige Bäume hier zu finden. Entlang der Straße stehen in gebührendem Abstand Birken und Kiefern, um Schneewehen auf der Straße zu vermeiden. Das Gebiet, durch das wir gefahren sind, war die ehemalige Wolgarepublik, wo sehr viele deutsche gewohnt haben. Daher stand als Stolz der Dörfer einst eine große katholische oder evangelische Kirche, bei einigen Dörfern konnte man noch die Kirchtürme sehen. Die Kirche sind aber allesamt ungenutzt und verfallen zusehends, weil sich keine Verwendung dafür findet. So auch die Kirche St. Michael in dem Dorf Kamenka, das früher Steinchen hieß. Es ist ein kleines und halb verlassenes Dorf 117 km von Saratov entfernt, dass einst zehn parallel verlaufende Straßen hatte, nun aber nur noch zwei. Es herrscht große Arbeitslosigkeit - eine Perspektive des Dörfchens mag vielleicht der Versuch der Ölförderung zu sein. Viel von dem Dorf haben wir leider nicht gesehen: Es gibt dort verlassene Firmen aus der Sowjetzeit, die Häuser sind oftmals verlassen, spiegeln aber noch schön die Geschichte des Dorfs wieder. Es finden sich noch einige Häuser aus der Gründerzeit und aus der Zeit, in der dort Deutsche gewohnt haben. Sie haben alle einen besonderen Baustil wie beispielsweise hohe Decken und Fenster. Die Kirche war einst der Stolz des Dorfes und übt auch heute als Ruine noch eine große Faszination aus. Sie hat vor einigen Jahren gebrannt, wo auch das Holzdach des Turms ausgebrannt ist. In beiden Türmen finden sich noch Treppenreste, die einst nach oben führten. Im Altar finden sich noch ganz wenige Fresken. Ein Raum wurde vor etwa 12 Jahren von einem katholischen Priester gestrichen und er hat dort einige Zeit lang die Heilige Messe gefeiert. Doch auch dies musste aufgegeben werden. Sehr schön fand ich, dass zwei Türen noch vorhanden waren - wenn auch ohne Glas: Die beiden Türen waren geöffnet, als wenn die Kirche zum Gebet einladen würde. Das Dach ist pfeilerfrei gebaut worden, so dass die Menschen früher sehr stolz auf das Holzdach gewesen sein müssen, da sie es selbst konstruiert haben. Als wir wieder abgefahren sind, habe ich um einen kurzen Fotostopp gebeten und ich habe das Dorf von der Bahnlinie aus noch einmal fotografiert. Dann hörte ich einen Zug pfeiffen und kurz darauf fing die Lichtanlage des Bahnübergangs an zu bimmeln. Nun denkt sich vielleicht der ein oder andere, dass ich den Fahrplan kannte und die Zeit bewusst etwas herausgezögert habe, aber in diesem Fall war das Zufall und so konnte ich noch einen Zug dort fotografieren - mitten im "Bergufer" der Wolga. So wird der Landstrich nördlich der Wolga genannt, der sehr hügelig ist. Als der Zug vorüber und ich im zurück im Auto war, sind wir in ein anderes kleines Dorf gefahren - nach Nishnija Bannovka. Es ist ein kleines Dorf direkt am hohen Wolgaufer. Auf dem Weg dorthin ist uns eine kleine Herde mit Schafen und Osterlämmern begegnet und etwas später eine Kuhherde, die aus Schwarzbunten bestand - direkt am Wegesrand. In dem Dorf angekommen hörte der befestigte Weg irgendwann auf und es ging auf einem sehr buckeligen getrockneten Sandweg weiter, der teilweise tiefe und harte Furchen aufwies. Und so sind wir langsam zur Wolga gewackelt - ein Härtetest für den neuen Volkswagen vom Bischof. Zunächst haben wir am hohen Ufer die Aussicht genossen und sind dann herunter direkt an das Wasser gefahren. Dort konnte ich es nicht sein lassen, im eiskalten Wasser ein Fußbad zu nehmen. An den Rändern befand sich immer noch etwas Eis - vor ein paar Tagen war der Fluss noch vollständig zugefroren und Fischer haben dort geangelt. Aber nach etwas mehr nach einer Minute schmerzten die Füße dann doch etwas, so dass ich schnell wieder aus dem Wasser gegangen bin. So war ich immerhin vor vier Jahren im kalten Baikalsee und nun in der Wolga. Anschließend sind wir zügig zurück zum Mittagessen nach Saratov gefahren. Nach dem Essen habe ich mich mit Masha und ihrer Schwester Tanja getroffen, die am Mittag nachgereist sind. Wir haben uns gemeinsam ein wenig die Fußgängerzone angeschaut und dann das Haus ihrer Ahnen gesucht - gerade noch rechtzeitig: Um das Haus befand sich ein hoher Bauzaun, das Haus war unbewohnt, alles war verriegelt und verrammelt und man konnte nirgends in das Haus herein. Wir haben ein paar Fotos gemacht und irgendwie ist uns die Idee gekommen, von dem verlassenen und dem Abriss geweihten Haus ein Andenken mitzunehmen. Der Blick fiel dann auf das Haus- und Straßenschild, das durch den Bauzaun nicht mehr zu sehen war. Das eine ließ sich, obwohl es nur mit zwei Nägeln befestigt war, nicht abnehmen. Das andere, das viel robuster aussah, viel nach ein paar mehr oder minder leichten Schlägen auf die Nägel schon fast auf die Erde. Wir haben es dann sorgfältig in zwei Plastiktüten verstaut und in meinen Rucksack gepackt. Es soll eine Überraschung für Mashas Vater werden. Kurz vor 18 Uhr waren wir dann in der großen orthodoxen Kathedrale, wo gerade die Vetschernaja war. Ich habe noch kurz gewartet und dann erschien auch der Amtskollege von Bischof Clemens. Ich musste dann aber schnell zur katholischen Kirche spurten, weil wir uns dort treffen wollten zum Üben für die Osterliturgie - ich bin vom Bischof "verpflichtet" worden zum Messedienen. So ist eine kleine Tradition erhalten geblieben, nach der ich seit mehr als 15 Jahre ständig zu Ostern Messedienen darf. Das Üben mit dem Bischof hat mich stark an die Zeit erinnert, als ich die Messdienergruppe in meiner Heimatgemeinde in Oldersum angeleitet habe: Die Messdiener haben mich auch immer unterbrochen, wollten alles auf einmal machen und ich selbst habe viel mit ihnen gescherzt und Spaß gehabt. Nach dem Üben habe ich noch schnell zwei Bananen gekauft und gegessen und dann konnte es um 20 Uhr losgehen - draußen am Feuer. Dort hatte sich die Gemeinde versammelt und bei ostfriesischen Verhältnissen - es herrschte Wind und wir mussten auf Brandflecken im Gewand achten - begann die Heilige Messe. Nun ist die Kirche noch kleiner als meine Heimatgemeinde und es waren sicherlich nicht viel mehr als hundert Menschen in der Kirche. Und so war es sehr persönlich und für mich ein wunder-wunderschönes Osterfest und ich habe endlich wieder den katholischen Geist gespürt, den ich aus Oldersum kenne und so lange vermisst habe. Als wir uns nachher draußen beglückwünscht haben mit dem Osterruf: "Christus ist erstanden" und der Antwort "Er ist wahrhaft auferstanden!" wusste ich, dass ich mit der Flucht aus Moskau überhaupt keinen Fehler gemacht habe und fühlte mich sofort dort aufgehoben. Und auch Masha und Tanja scheint es sehr gut gefallen zu haben. Als Bischof Clemens mich nach Marx eingeladen hat, hatte ich ein recht schlechtes Gewissen, dass ich die beiden allein am nächsten Tag in Saratov lassen musste, aber Masha hat mich vorm Schlafengehen noch etwas beruhigen können. Vor dem Schlafengehen haben wir noch zusammengesessen und Ostern gefeiert mit den Priestern und den Schwestern. Ich kam mir etwas komisch vor mit meinem orthodoxen Fasten, ich habe es aber einhalten können. Die Schwestern waren sehr bemüht, für mich etwas zu finden - auch Käse stand auf der Auswahlliste. Doch auch der ist im orthodoxen Fasten nicht möglich... Letztlich bin ich aber satt geworden. Aber es war schwer, es durchzuhalten. So ging ein Tag zu Ende, den ich bestimmt nicht mehr so schnell vergessen werde und der sehr, sehr schön war. Zum Glück konnte ich nach Saratov fahren!
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