Montag, 13. Oktober 2008
Am Morgen habe ich mich mit Xenia getroffen, die ich vor ein paar Tagen kurz kennen gelernt habe zum Englisch-Russisch-Tandem. In diesem Fall bedeutet das, dass sie rudimentäre Englischkenntnisse hat, diese aber gerne verbessern will. Für mich ist dies eine neue Herausforderung: Ich muss mit drei Sprachen jonglieren: Englisch, Deutsch und letztlich Russisch. Wenn sie mir etwas auf russisch sagt, dann wird dies im Kopf erst ins Deutsche übersetzt, und dann weiter ins Englische. Dass das recht schnell geht, hatte ich selbst nicht erwartet. Auf dem Weg zur Uni haben wir dann so allgemeine Sachen gelernt wie "Ich gehe die Treppe hoch. Ich laufe über die Brücke. Dort sind vier Hunde." In der Elektritschka haben wir die Sachen dann alle zu Papier gebracht und haben dann damit in der Uni weitergemacht. Mir selber bringt dies auch viel: Ich hatte in den letzten Wochen etwas den Eindruck, dass ich mein Englisch vergesse und kann es so wieder aufbessern und lerne gleichzeitig neue russische Wörter dabei. Zwischen Englisch-Russisch-Tandem und Mittagessen war ich noch kurz im Internet und habe mich über die neuesten Geschehnisse in Ostfriesland und der Welt erkundigt.
Die Ethik-Vorlesung nach dem Mittagessen am Montag hat immer einen besonderen Charakter: In der Regel sitzen dort vier bis fünf Kommilitoninnen. Heute hatte er ein Buch über den Humanismus mitgebracht, in dem viele Bilder zu sehen waren. Kurz nach Anfang der Vorlesung haben wir uns dann alle direkt um sein Pult gesetzt und er hat uns die Bilder gezeigt. Ich habe dann im Rücken der Mädchen auf einem Tisch gesessen. Mich hat diese Vorlesung stark an die Antike erinnert: Da sitzt ein bärtiger Gelehrter mit einem langen Gewandt mit seinen Schülern zusammen, die ihm gebannt lauschen. Vielleicht hat Platon mit seinen Schülern so zusammen gesessen? In der Vorlesung gibt es eine weitere Regel: Schaut der Dozent oft auf die Uhr, dann kann man getrost davon ausgehen, dass die Vorlesung sehr früh vorbei ist - meistens so um drei Uhr. So war es auch heute - um halb drei wusste ich schon, dass es heute nicht besonders lange dauern wird. Die Begründung war dann: "Heute Abend ist noch Gottesdienst." Aha - aber erst zwei Stunden später.
So hatte ich dann noch Zeit bis zum Treffen mit Elena. Sie hat mir angeboten, dass ich mit zu ihr in die Gemeinde zum dortigen Gottesdienst fahre, der eine Stunde früher anfangen sollte. Also bin ich noch schnell einkaufen gegangen und war um punkt halb vier wieder zurück. So sind wir gemeinsam in ihre Gemeinde gefahren, wo die drei Gottesdienste Btschernaja (die katholische Vesper), Utrenja (Morgengebet) und Pjerwij Tschass (Erste Stunde) gehalten wurden. Elena hatte nicht zuviel versprochen: Ihre Pfarrgemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" (andere Variante: "Hl. Märtyrerinnen Glaube, Hoffnung, Liebe und Mutter Weisheit") ist von innen wunderschön und in jedem Fall ein Ausflug wert. An diesem Tag habe ich ein wenig das Gemeindeleben dort kennen gelernt und es war eigentlich das erste Mal, dass ich eine richtige Pfarrgemeinde hier kennen gelernt habe. Dann sind wir noch in einem recht günstigen Café essen gegangen, wo wir dann noch recht ausführlich über unseren gemeinsamen christlichen Glauben gesprochen haben und wie wir damit in unserer Umwelt umgehen. Es tut übrigens dem eigenen Glauben unheimlich gut und stärkt ihn, wenn man davon mal erzählen kann und von anderen erfährt, wie es ihnen geht, wie sie ihn leben und welche Probleme sie damit haben oder hatten. Aber nicht die Probleme überwiegen, sondern die Geborgenheit und Zuversichtlichkeit die aus dem Glauben hervorgehen und die wiederum glücklich und immer wieder Mut machen. Doch ich habe ja selbst oft den Eindruck, dass das Erzählen vom Glauben und von Gott eine Sache ist, die noch wesentlich intimer ist als Sexualität und sich deshalb so wenig Gelegenheiten ergeben, da mal drüber zu plauschen. Ich habe den Eindruck, dass die Schwelle der Vertrautheit unter den Studenten der Fakultät hier schneller überwunden ist.
Dienstag, 14. Oktober 2008 - Fest Maria Schutz und Fürbitte
Aufgrund des heutigen Feiertages sind alle Uni-Veranstaltungen ausgefallen. Allein aufgrund der vielen Feiertage in der orthodoxen Kirche muss ein Student sie schon fast lieb gewinnen. So war ich heute in der Göttlichen Liturgie, in der Ludmilla Simonovna, die Deutschprofessorin der Fakultät, mich ansprach, ob ich nicht bei dem nächsten "Gedichteabend", der Goethe gewidmet sein wird, ein paar Gedichte vorlesen möchte. Ich habe natürlich zugesagt. So darf ich ein wenig aus "Faust" lesen und den Erlkönig vortragen. Ich werde es mir allerdings nicht nehmen lassen, im Anschluss die Kurzfassung des Erlkönigs von Heinz Erhardt vorzutragen.
Nach dem Gottesdienst habe ich mich mit neuem Bargeld versorgt. Es lohnt sich allerdings, vorher ein wenig die Preise der verschiedenen Banken zu vergleichen und zu schauen, wie viel Geld ich mit einem Mal abheben kann. Heute gab es beispielsweise Differenzen zwischen den Banken in einer Spanne von 35,95p. und 36,45p. für einen Euro. Und letztendlich muss man dann noch ein wenig auf die Geldmenge schauen, die man gerade benötigt: Bei meiner Bank muss ich eine Gebühr von derzeit vier Euro (ab November 2008 fünf Euro) pro Abhebung bezahlen. Und so kann man sich ausrechnen oder überschlagen, wie es am günstigsten kommt. Allerdings habe ich heute einen recht schlechten Kurs erwischt - beim letzten Mal lag ich bei fast 38p. für einen Euro.
Das Essen in der Stalowaja ist mal wieder kalt geworden, weil ich zwei Studentinnen kennen gelernt habe, die mich beim Essen angesprochen haben. Nun ja - dann erzählt man zuerst, woher man kommt und dann kommen die Fragen schon automatisch: Wie heißt Du? Warum studierst Du als Katholik orthodoxe Theologie? Wie oft warst Du schon in Russland? Wo wohnst Du in Deutschland? Wo studierst Du? Willst Du nach dem Studium Priester werden? Gibt es viele Katholiken in Deutschland? Wie gefällt es Dir hier? Wie alt bist Du? In welchem Kurs bist Du? Wo wohnst Du? Willst Du (nicht) orthodox werden? Was ist anders hier? Und schon ist das Essen kalt...
Den Nachmittag habe ich damit verbracht, ein paar Mails zu schreiben und ein paar Vokabeln zu lernen. Am Abend hat Oleg mich zum Abendessen eingeladen - er hat gekocht. Leider hat er Salz an den Kartoffeln vergessen, so dass das Essen heute etwas ungewöhnlich geschmeckt hat. Meinen Obstsalat, den es als Nachtisch gab, hat Dmitri vergebens gegen Oleg verteidigt. Er scheint den beiden geschmeckt zu haben. Gerade kam Stephan noch kurz in mein Zimmer. Er wollte gerne mit mir am Wochenende nach St. Petersburg fahren. Das habe ich dann höflich abgelehnt, weil mir das dann doch etwas zu knapp ist. Und es bleiben doch auch noch so viele Tage in Russland übrig - auch im nächsten Jahr...
Der Tag heute war sehr entspannend, da heute überhaupt kein Stress herrschte. Ich habe heute alles langsam angehen lassen und mich etwas entspannt. War auch mal sehr schön - könnte ich direkt mal öfter machen.
Mittwoch, 15. Oktober 2008
Bevor ich heute in die Uni gegangen bin, war ich erst noch kurz im Internet, um dort Mails zu verschicken und nachzuschauen, wer mir alles geschrieben hat. Leider hat mir die Technik teilweise einen Strich durch die Rechnung gemacht, so dass ich E-Mails zwar empfangen konnte, aber nicht versenden. Wieso das so war, weiß ich noch nicht genau. Nach der Uni war ich dann noch einmal im Netz und da hat es einwandfrei funktioniert. Heute gab es in der Fakultät wieder Joghurt umsonst und in großen Mengen, so dass einige Studenten in den nächsten Tagen wohl zu einem Großteil aus Birnenjoghurt bestehen werden. Ich habe mir anderthalb Verkaufseinheiten mitgenommen - andere Studenten haben in Plastiktüten und Kartons weitaus mehr mit nach Hause genommen. So gibt es jetzt in nächster Zeit kaum abwechslungsreichen Nachtisch, der aber ganz lecker ist - noch!
Nach der Chorstunde war ich wie gesagt noch kurz im Internet und wollte dann um viertel nach sechs mit der Metro zum Kursker Bahnhof fahren. Vor der Metro-Station "Novokusnjetzkaja" stand eine lange Schlange und vor der nahegelegenen Station "Tretjakovskaja" ebenfalls. Ich habe mit ungefähr 15-20 Minuten Wartezeit gerechnet, bis ich erst einmal durch die Fahrkartenkontrolle durch bin und dann noch einmal ungefähr dieselbe Zeit, um bis zum Kursker Bahnhof zu kommen. Daher habe ich mich nach einem Blick auf die Karte dafür entschieden, zum Bahnhof zu laufen - auch mit dem Gedanken, dass sich in dem Gedränge in der U-Bahn der Joghurt über meine Unterlagen im Rucksack ergießen könnte. Und dann habe ich zum ersten Mal richtiges Verkehrschaos in Moskau erlebt: Es war gerade Feierabendverkehr und die Autos fanden auf der Straße kaum noch Platz füreinander. Sprang die Ampel an einer Kreuzung auf Rot um, hat das denjenigen, die Grün hatten überhaupt nichts gebracht, weil die ganze Kreuzung noch völlig mit anderen Autos zugestopft war. An einer Kreuzung kamen dann zwei Limousinen mit Blaulicht angefahren, die dann aber auch recht schnell in dem Chaos stecken blieben. Interessant war dann die Miliz (Polizei): Sie schaltete Blaulicht ein und zwei Wagen versuchten mitten auf der Kreuzung zu drehen, um die beiden wichtigen Autos zu eskortieren. Das nun das Chaos perfekt war, kann sich jeder selbst denken. Interessanterweise hupen dann sogar noch einige Autofahrer, obwohl sie sehen, dass alles zugestopft ist und dass dies überhaupt nichts bringen kann. An anderer Stelle reparierte dann ein Mann seelenruhig sein Auto, das mitten auf der Straße liegengeblieben war. Ich weiß nicht, wie viele Autos, Straßenbahnen, Busse, Krankenwagen, Polizeiwagen usw. ich überholt habe, jedenfalls habe ich etwas mehr als eine halbe Stunde zum Kursker Bahnhof gebraucht. So war ich auf zwei Beinen wesentlich schneller, als mancher Autofahrer mit mehr als 200 PS unter der Motorhaube. Für den langen Spaziergang habe ich mir dann noch ein kleines 7-Rubel-Eis an der Station Pererwa gegönnt.
Den Abend konnte ich dann noch mit Vokabeln lernen verbringen.
Donnerstag, 16. Oktober 2008
Da mein Visum für Russland bald abläuft, sollte ich in dieser Woche in das Auslandsamt der Universität kommen. Dort bin ich heute also hingefahren, weil ich heute morgen noch etwas Zeit hatte. Ich hatte mich dort nicht angemeldet, weil es sowieso zu zwei Möglichkeiten gibt: Entweder es ist jemand da oder es ist keiner da. Dort angekommen musste ich erkennen, dass es noch eine weitere Möglichkeit gibt: Das ganze Büro ist in den tiefsten Süden der Stadt umgezogen. Ich habe dann Alexandra - Juri Valerjewitschs Mitarbeiterin, angerufen, mit der ich mich dann zu Montag verabredet habe. Irgendwie war ich da aber wieder etwas missgestimmt, weil ich mir das anders vorgestellt habe - ich habe doch kaum Zeit, auch noch in den Süden der Stadt zu juckeln und dann, weil die Metro nicht wo weit fährt, auch noch mit dem Bus weiter zum Büro zu fahren. Das konnte ja eine Ewigkeit dauern und einen ganzen Vormittag in Anspruch nehmen. Außerdem habe ich wieder den Eindruck, dass die Zeit für die Visaerstellung nicht ausreichen könnte. Ich möchte ja auch nicht zwischendurch mal nach Hause fliegen, um dann nach ein paar Tagen oder Wochen wieder hierherzukommen. Das kann ich doch gar nicht bezahlen.
Nachdem ich im Internet und Brot einkaufen war, habe ich dann noch schnell in der Uni gegessen und bin dann in die Vorlesung gegangen. Auf dem Tisch lag noch ein Buch eines Studenten mit einem interessanten Titel, das ich mir dann im "Orthodoxen Wort", einer theologischen Buchhandlung in der Nähe der Fakultät, kaufen wollte. Dort habe ich dann zufällig Alexandra getroffen. Wir wollten dann noch die Ausweispapiere kopieren, das hat aber auch nicht mehr geklappt. Also treffen wir uns jetzt doch wieder um 12 Uhr in der Fakultät und zum Glück nicht im Süden der Stadt. Dann blieb nur noch eine halbe Tandemstunde mit Olga, da auch sie nur wenig Zeit hatte.
Im Wohnheim wieder angekommen, wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich einen Brief abholen solle. Es ist der erste Brief der mich hier erreich hat. Also: Nun kann ich sagen, dass der Postversand tatsächlich mit der Post klappt! Und der Brief hat von Lingen nach Moskau nur neun Tage gebraucht! Darin enthalten waren einige Zeitungsartikel, so dass ich jetzt über das katholische Leben im Emsland sehr gut informiert bin. Noch überraschender war allerdings, dass gleich der erste Zeitungsartikel den ich in der Hand hielt, von einer befreundeten Kommilitonin aus Münster geschrieben wurde! Der hat natürlich gleich einen Ehrenplatz bekommen! Auf einem anderen Zeitungsausschnitt lachte mich dann ein anderer Kommilitone an. So gab es an diesem Abend mehr als eine interessante Überraschung!
Gerade kam noch die Hausverwaltung bei mir ins Zimmer: Zunächst klopfte es, dann kam sie nach meinem "Herein" vorsichtig und unauffällig ins Zimmer tapsend näher, versuchte einen langen Hals zu machen und aus dem Fenster zu schauen. Das gelang ihr aber schlecht, weil im Zimmer das Licht an war und draußen Dunkelheit herrscht. Dann fragte sie, ob ich nicht auch Sachen draußen an den Haken hängen hätte. Das musste ich wahrheitsgemäß verneinen. Sie versuchte immer noch einen Blick aus meinem Fenster zu erhaschen, was natürlich immer noch nicht gelang. So zwängte sie sich in ihrem quietsch-rosa Abendgewand zwischen Bett und meinem Stuhl her, öffnete das Fenster, lehnte sich weit hinaus und schaute links und rechts. Verwundert dreinblickend schaute sie mich an sagte dann, dass keine Sachen mehr in die Fenster gehängt werden sollen. Ihre Verwunderung konnte ich mir sehr gut erklären: Meine trockenen Sachen hatte ich nämlich kurz vorher hereingeholt und schon weggepackt - unwissentlich. Ich konnte mir das Lachen nur schwer verkneifen - umso ärgerlicher ist jetzt das neue Verbot. Mit dem schnellen Trocknen der Klamotten im Wind ist es jetzt wohl erst einmal vorbei. Jetzt muss ich schauen, was ich mir für neue Ideen ausdenken kann. Es gibt hier nämlich noch eine stabile Gardinenstange, eine Heizung, zwei Stühle, an denen man die Rödelriemen vor die Heizung hängen kann usw. Ich hänge meine Sachen nicht gerne in den Trockenraum, weil dort jeder seine nassen Klamotten einfach an die trockenen hängt dort sowieso ein großes Chaos herrscht. Die einen holen ihre trockenen Sachen nicht ab, die anderen hängen die nassen Sachen einfach über die trockenen und lüften tut dort auch keiner richtig, so dass die Feuchtigkeit mal entweichen könnte. Aber glücklicherweise habe ich ja einiges Talent im organisieren und improvisieren.
Ich war übrigens froh, dass ein Pullover den Elektrokamin verdeckt hat, da ich sonst Gefahr gelaufen wäre, dass ich ihn nicht hätte benutzen dürfen. Dmitri darf es nämlich auch nicht. Jetzt läuft zwar die Heizung, aber wer weiß schon, wie lange und wann sie im nächsten Jahr ausgeschaltet wird?
Ach ja - und dann war da heute noch der Mitbewohner, der mir auch ein kleines Schnäppchen schlagen und mich austesten wollte. Er hatte irgendein Zeug, das wie fein geraspelter Weißkohl aussah, und hat mir davon zu essen angeboten - hat es auch gleich für mich auf etwas Brot gepackt. Ich hatte da irgendeine Vorahnung und habe erst am Glas gerochen, dass zwar lecker, aber sehr scharf roch. Dementsprechend habe ich dann vorsichtig gegessen, weil ich wusste, dass Russen nicht gerne viel scharfes Gewürz ans Essen packen. Vor allem Dmitri kam mir in den Sinn, der mir gesagt hat, dass Russen da sehr empfindlich seien. Zugegeben: Es war schon recht scharf, aber weitaus weniger als ich erwartet hatte. Der Mitbewohner hat sich dann auch etwas - aber weniger als meine Portion - in den Mund gesteckt und darauf herumgekaut. Er wurde knallrot im Gesicht, hat sich geschüttelt und - ein Fehler - Wasser getrunken. Als ich ihn da so habe leiden sehen, wusste ich, dass der Schuss bei ihm gewaltig nach hinten losgegangen ist. Erst die Hausverwaltung, dann er - so gesehen, war es ein lustiger Abend!
Freitag, 17. Oktober 2008
Kurz nachdem ich am heutigen Morgen das Uni-Gelände betreten habe, sagten mir zwei andere Studenten, dass die erste Vorlesung ausfällt. Und an diesem Morgen ist mir das Aufstehen schwer gefallen - ich hätte am liebsten noch eine Stunde länger geschlafen. Die Zeit habe ich dann genutzt, um einen Brief zu schreiben und einkaufen zu gehen.
Da jeder Student der Fakultät hier verpflichtet ist, ehrenamtliche Arbeit zu leisten, habe ich mich jetzt auch dazu gemeldet, obwohl ich es eigentlich nicht muss. Ich möchte hier aber nicht als zu besonders gelten und so erscheinen, als hätte ich zu viele Freiheiten und Rechte, denn das würde nur ein schlechtes Bild auf mich werfen und ein schlechtes Licht auf mich werfen - so nach dem Motto: "Der Deutsche da braucht nicht arbeiten." Ich habe mir dazu die Stalowaja ausgesucht und eine gute Wahl getroffen. Die erste Aufgabe war, zu Mittag zu essen. Der erste richtige Einsatz war dann das Abwaschen des Herdes - vorwiegend an Stellen, wo nicht jeden Tag gewischt wird. Mit vielen Verrenkungen habe ich da auch über eine Stunde für gebraucht. Dann hat eine der Köchinnen mir etwas zu Essen dorthin gestellt, dass sie gerade fertig gekocht hatte. Als ich danach einen Topf abgewaschen hatte, stand schon wieder ein Teller mit Borschtsch zum Verzehr bereit. Da in der Essensausgabe nur einer war, sollte ich dann dort mithelfen. An dieser Stelle habe ich gemerkt, dass ich hier unheimlich viel russisch gelernt habe und sich bei mir eingeprägt hat. Zwischendurch habe ich dann beim Abwasch geholfen, Tee getrunken, Teller von Essensresten gereinigt, Kohlgemüse und Salat gegessen und mich mit den Leuten der Küche unterhalten. Mir hat das dort sehr gefallen: Nicht viel Stress, viel Unterhaltung und zwischendurch immer etwas zu essen. Vielleicht könnte man auch "und zwischendurch was zu arbeiten" sagen, denn ich habe, glaube ich, mehr gegessen als gearbeitet.
Um 15:30 Uhr begann die Chorstunde, die mir nach wie vor sehr viel Spaß macht. Ich selbst habe den Eindruck, dass ich dort meine musikalischen Kenntnisse und mein Singen stark verbessern kann und dass mir dies sehr viel bringt. Elena hat nach der Göttlichen Liturgie mit dem weißrussischen Patriarchen zu mir gesagt, dass wir anspruchsvolle Lieder singen. In einem kurzen Gespräch mit Vater Alexej, also dem Chorleiter, sagte er, dass er es gut finde, dass ich bei ihm mit im Chor singe und den Mut dazu hätte. Er meinte auch, dass ich gut singen würde. Mein Anspruch ist da zwar etwas höher, aber so ein Lob tut sehr gut!
Um 18 Uhr wollte ich mich eigentlich wieder mit einigen Freunden und Studenten treffen, um deutsch zu sprechen. Nun - irgendwann kam Olga und dann lange keiner mehr. Erst um halb acht kamen dann noch Oleg, Andrej und Dmitri und um kurz vor acht haben wir die Runde dann aufgelöst. Es ist sehr schwierig, alle unter einen Hut zu bekommen und einen Termin zu finden. Hier müssen wir noch eine Lösung finden. Auf alle Fälle müssen wir gemeinsam anfangen - alles andere hat keinen Zweck, weil zu viel Unruhe entsteht, wenn jeder einzeln dazu kommt.
Der Heimweg mit Oleg und Dmitri war dann wieder etwas Besonderes, wo ich mich aber nicht öfter drauf einlasse. Als wir im Bahnhof ankamen, sagte ich beiläufig, dass ich noch eine Fahrkarte lösen müsste. Dmitri schaute mich groß an und meinte: "Wozu?" Ich: "Wir müssen durch die Durchgangssperren." Oleg: "Wir kennen einen anderen Weg." Ich: "Und wenn ein Kontrolleur kommt?" Dmitri: "Die kommen nicht, und sonst kann man im Zug eine Fahrkarte kaufen, dass kostet nicht viel mehr." Oleg: "Mach Dir keine Sorgen!" Gut - ich weiß, dass selten mal ein Kontrolleur durch den Zug kommt, habe auch keine Lust auf eine unliebsame Begegnung mit denen. So sind wir dann über einen Fernverkehrsbahnsteig und einen Bahnbedienstetenweg zum Zug gekommen, der auch gleich abfuhr, so dass wir im ersten Waggon im Eingangsbereich standen. An der Station Textilschschiki kamen noch zwei Frauen pustend hereingeflogen, kurz bevor sich die Türen schlossen. Kontrolleurinnen. Oleg fragte die Kontrolleure mit allergrößter Freundlichkeit, wann sie anfangen würden zu arbeiten. Die mussten noch Luft holen und sagten, dass sie erst nach ein paar Stationen losgehen wollten. Oleg unterhielt sich weiter mit denen. Dann sagte er irgendwann zu uns, dass alles klar sei, wir könnten weiterfahren. Ich bin bislang nur selten ohne Ticket gefahren, aber das war bei weitem das allerdreisteste Schwarzfahren, dass ich bislang gesehen habe. Schwarzfahren im Beisein von Kontrolleuren. Nun gut - es ist gut gegangen, aber den Nervenkitzel vertrage ich nicht jeden Tag.
Den Abend haben wir drei dann mit einem gemeinsamen Abendessen und einer Flasche Bier beendet.
Samstag, 18. Oktober 2008
Am Vorabend hatte ich mich mit Stephan verabredet - wir wollten gemeinsam ins Museum gehen. Am Morgen stellte sich heraus, dass auch Pjotr mitgehen wollte. Mit Pjotr habe ich mich nach der Dogmatikvorlesung in der Stalowaja verabredet. Und dann begann ein sehr spannender Nachmittag: Allein auf dem Weg zur Metro hatten wir schon viel Spaß. Irgendwie kamen wir auf das Thema "Freundin" zu sprechen und ich habe Pjotr gefragt, ob er eine Freundin hätte. Er verneinte dies. Das war dann für mich Anlass genug, für Pjotr eine Freundin zu suchen. Das habe ich dann auch fast den ganzen Nachmittag gemacht - wer mich näher kennt, kann sich in etwa vorstellen, wie das aussieht. In der U-Bahn habe ich nichts Passendes gefunden - dafür war die Fahrt auch wohl nicht lang genug. Stephan fand die Idee auch gut, eine Freundin zu suchen. Das war und ist gar nicht so einfach, für ihn etwas Passendes zu finden: Entweder ist sie nicht schön genug, zu dick, zu dünn, zu alt, zu jung, zu sehr angemalt und was weiß ich nicht noch alles. Im Museum war dann eine recht junge Aufsicht, die schon zu uns rüberlächelte und Pjotr hat zumindest nicht gesagt, dass er abgeneigt ist. Als ich dann zu ihr gehen wollte, hat er mich aber wieder zurückgepfiffen. Und das Spiel habe ich fast den ganzen Nachmittag und Abend mit ihm getrieben. So haben wir drei gemeinsam viel Spaß gehabt.
Im Museum, dass den Sieg über den Faschismus zum Thema hatte, war mir dann aber längst nicht immer zum Lachen zumute. Die Geschichtsschreibung geschieht hier aus einem völlig anderen Blickwinkel als in Deutschland: Während ich die deutsche Geschichtsschreibung über den Nationalsozialismus und zweiten Weltkrieg eher als demütig, schuldbewusst aber dennoch sachlich und korrekt bezeichnen möchte, ist dieses Museum, der Vorplatz und selbst die Metrostation auch nach nunmehr über 60 Jahren Kriegsende und 25 Jahre nach dem Untergang der UDSSR ein Triumphtempel des Siegs des Kommunismus über den Nationalsozialismus oder der UDSSR über das Deutsche Reich. Das erste, was der Besucher im Museum zu sehen bekommt, ist der brennende Reichstag, auf dessen ausgebrannter Kuppel die rote Fahne weht. Über dem Modell weht eine Divisionsflagge mit der Aufschrift "Tod den deutschen Eindringlingen". Das ganze Museum gleicht eigentlich einem gewaltigen Kriegsdenkmal - an jeder Ecke finden sich Skulpturen, Tafeln, Denkmäler usw., vor denen Rosen oder Blumen abgelegt sind. In einigen Räumen sind Kriegsszenen dargestellt, allerdings immer so, dass es so aussieht, als sei die ehemalige UDSSR in der Überzahl und nahezu unverwundbar. Ganz selten sind russische Panzer oder anderes Kriegsgerät zu sehen, dass zerstört oder defekt ist.
An anderer Stelle wird Kriegsgerät, Waffen, Uniformen, Soldatenausrüstungsgegenstände usw. aus dem Zweiten Weltkrieg gezeigt. Dies ist alles schon etwas neutraler und subjektiver gestaltet und hat mir wirklich sehr gut gefallen, da die Ausstellung einen schönen Einblick in das Kriegsgeschehen vermittelt. Aber die Filme, die an jeder Ecke gezeigt werden, sind fast ausschließlich Propagandafilme der UDSSR und ein Lobpreis auf die Helden des Krieges. Russische Kriegsverletzte oder gar Gefangene werden nicht gezeigt. In der Halle des Ruhmes oder der "Gloria-Halle" befindet sich eine sehr große Statue eines russischen Soldaten und über ihm eine Kuppel, in deren Spitze der Sowjetstern leuchtet. An den Wänden stehen unzählige Namen unter Fresken von wichtigen Städten des Krieges. Ob dies nun Tote oder Volkshelden sind, kann ich nicht sagen. Diese Halle gilt mit Sicherheit als Heiligtum und Höhepunkt des Museumsrundganges.
Alles in allem bin ich sehr verwundert und nachdenklich, wie Russland heute (noch) mit dem Thema Sieg über den Faschismus und den zweiten Weltkrieg allgemein umgeht. Zunächst scheint die Tradition der Sowjetzeit übernommen worden zu sein und mehr als 60 Jahre nach Kriegsende wird an vielen Stellen in Moskau und an unzähligen anderen Orten dem gedacht. Dabei wird überhaupt keine Demut gezeigt, sondern ganz klar, dass Russland bzw. die UDSSR Sieger des Krieges sind und Deutschland der Verlierer. Vielleicht ist dieses Museum und das Gelände drum zu die Spitze des Prunks, die dem Sieg gedenkt. Etwas noch Pompöseres lässt sich fast nicht mehr vorstellen.
Andererseits frage ich mich hier sehr oft, wie die Russen und die Politik heute zu der kommunistischen Zeit stehen. An vielen Stellen in Moskau findet man Gedenkstätten oder Prachtbauten der Zeit, die dieses System nahezu verherrlichen: Die Metro-Stationen im Zentrum sind fast durchweg Prunkbauten, die insbesondere Lenin und den Arbeiter- und Bauernstaat lobpreisen, auf vielen Lokomotiven findet man heute noch den roten Stern, viele Straßen, Bahnstationen usw. tragen noch heute sozialistische Namen - wie zum Beispiel die Straße des Enthusiasmus oder die Elektritschka-Station Sserp i Molot (zu deutsch Sichel und Hammer). Diesbezüglich habe ich ja in zwei Teilen die Metro-Station "Komßomolskaja" vorgestellt. Andererseits: Wenn man jetzt die U-Bahn-Stationen neutraler gestalten würde, dann hätte Moskau auch etwas von seinem Flair und seiner Zeitgeschichte verloren. Dennoch will ich beizeiten mal in Erfahrung bringen, wie die Einstellung der Russen zum Sozialismus ist und wie sie dem heutigen Deutschland oder den Deutschen gegenüberstehen.
Bevor ich mit Pjotr in die orthodoxe Vesper gefahren bin, haben wir noch einige Fotos in der Toilette des Museums gemacht. Dort hängen einige Spiegel, die interessante Bilder ergaben. Allein die Toilette sind schon fast die 40p. wert.
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