o. Univ. Prof. Dr. Susanne Heine
susanne.heine@univie.ac.at
020100 Vorlesung
Religion als Erfahrung: Einführung in die Religionspsychologie
Wintersemester 2006/07
Dokumentation
der auf Folie präsentierten Quellentexte, Tabellen und Graphiken, die im Rahmen der Vorlesung analysiert und kommentiert wurden.
Ouvertüre: Die Wende zum Subjekt
“Die Kenntnis der Rechte des Menschen ist für den, welcher eine rechtliche Verfassung einführen will, zwar unentbehrlich, aber doch bloße Präliminarkenntnis. Er muss über die Theorie dieser Rechte hinausgehen, wenn er die Mittel, sie zu realisieren, entdecken will. Erfahrung allein ... kann den Stoff zu den praktischen Veranstaltungen liefern, ohne welche das vollkommenste System der Rechte ewig nur ein reizendes Schattenbild bleibt. In jeder bürgerlichen Verfassung muss Macht übertragen, muss Macht irgendwo konzentriert werden, um das Recht zu schützen. Wo soll diese Macht ihren Sitz haben? Wie soll sie ausgeübt werden? Was soll ihr Schranken setzen? ... Auf diese überaus wichtigen Fragen weiß die reine Theorie der Rechte keine Antwort zu geben. Nur Kenntnis des Menschen, des Einzelnen und großer Massen, Kenntnis menschlicher Fähigkeiten, Neigungen, Schwachheiten und Leidenschaften, anhaltende Beobachtung, Vergleichung mannigfaltiger Lagen und Umstände, Studium der gesellschaftlichen Verhältnisse und vielleicht erst eine lange Reihe kostbarer Versuche kann sie beantworten.”
Friedrich Gentz, Nachtrag zu dem Räsonnement des Herrn Professor Kant über das Verhältnis von Theorie und Praxis, Berlinische Monatsschrift, Dezember 1793, in: Kant. Gentz. Rehberg. Über Theorie und Praxis, Hans Blumenberg u.a. (Hg.), Einleitung v. Dieter Henrich, Frankfurt 1967, 89-111; Zit. 103.
Eigenes Erleben als Maxime der Glaubwürdigkeit
„Ein andres sind erfüllte Weissagungen, die ich selbst erlebe: ein andres, erfüllte Weissagungen, von denen ich nur historisch weiß, daß sie andere wollen erlebt haben.
Ein andres sind Wunder, die ich mit meinen Augen sehe, und selbst zu prüfen Gelegenheit habe: ein andres sind Wunder, von denen ich nur historisch weiß, daß sie andre wollen gesehen und geprüft haben. ...
Daran liegt es: daß dieser Beweis des Geistes und der Kraft itzt weder Geist noch Kraft mehr hat; sondern zu menschlichen Zeugnissen von Geist und Kraft herabgesunken ist. ...
... ich leugne gar nicht, daß Christus Wunder getan: sondern ich leugne, daß diese Wunder, seitdem ihre Wahrheit völlig aufgehört hat, durch noch gegenwärtig gangbare Wunder erwiesen zu werden, seitdem sie nichts als Nachrichten von Wundern sind, mich zu dem geringsten Glauben an Christi anderweitige Lehren verbinden können und dürfen. ...
Das, das ist der garstige Graben, über den ich nicht kommen kann, so oft und ernstlich ich auch den Sprung versucht habe.“
G.E. Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777), in: G. E. Lessing, Werke, Herbert G. Göpfert (Hg.), Bd. VIII, Darmstadt 1996, 9-14; Zitate: 9, 10, 11, 13.
Religionskritik
„Das Wunder speist Hungrige, heilt von Natur Blinde, Taube, Lahme, errettet aus Lebensgefahren, belebt selbst Tote auf die Bitten ihrer Verwandten. Es befriedigt also menschliche Wünsche. ... Der Wunsch bindet sich an keine Schranke, kein Gesetz: er ist ungeduldig; er will unverzüglich, augenblicklich erfüllt sein. Und siehe da! So schnell als der Wunsch, so schnell ist das Wunder. Die Wunderkraft realisiert augenblicklich, mit einem Schlag, ohne alles Hindernis die menschlichen Wünsche. Daß Kranke gesund werden, das ist kein Wunder, aber daß sie unmittelbar auf einen bloßen Machtspruch hin gesund werden, das ist das Geheimnis des Wunders. Nicht also durch das Product oder Object, welches sie hervorbringt - würde die Wundermacht etwas absolut Neues, nie Gesehenes, nie Vorgestelltes, auch nicht einmal Erdenkbares verwirklichen, so wäre sie als eine wesentlich andere und zugleich objective Thätigkeit factisch erwiesen - sondern allein durch den Modus, die Art und Weise unterscheidet sich die Wunderthätigkeit von der Thätigkeit der Natur und Vernunft. Allein die Thätigkeit, welche dem Wesen, dem Inhalt nach eine natürliche, sinnliche, nur dem Modus nach eine übernatürliche, übersinnliche ist, diese Thätigkeit ist nur die Phantasie oder Einbildungskraft. Die Macht des Wunders ist daher nichts andres als die Macht der Einbildungskraft.“
Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, 1841, 167-168.
Apologie
„Das Streiten, welche Begebenheit eigentlich ein Wunder sei, und worin der Charakter desselben eigentlich bestehe, wieviel Offenbarung es wohl gebe, und inwiefern und warum man eigentlich daran glauben dürfe, und das offenbare Bestreben, so viel sich mit Anstand und Rücksicht tun läßt, davon abzuleugnen, ... das ist eine von den kindischen Operationen der Metaphysiker und Moralisten in der Religion. ... Ja, wer nicht eigene Wunder sieht auf seinem Standpunkt der Betrachtung der Welt, in wessen Inneren nicht eigene Offenbarungen aufsteigen, wenn seine Seele sich sehnt, die Schönheit der Welt einzusaugen, ...; wer nicht hie und da mit der lebendigsten Überzeugung fühlt, daß ein göttlicher Geist ihn treibt und daß er aus heiliger Eingebung redet und handelt; wer sich nicht wenigstens ... seiner Gefühle als unmittelbarer Einwirkungen des Universums bewußt ist, und etwas eigenes in ihnen kennt was nicht nachgebildet sein kann, sondern ihren reinen Ursprung aus seinem Innersten verbürgt, der hat keine Religion. …
Ihr [der Religion] Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüßen will sie sich in kindlicher Paßivität ergreifen und erfüllen lassen. …
Geraubt nur hat der Mensch das Gefühl seiner Unendlichkeit und Gottähnlichkeit, und es kann ihm als unrechtes Gut nicht gedeihen, wenn er nicht auch seiner Beschränktheit sich bewußt wird, der Zufälligkeit seiner ganzen Form, des geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im Unermeßlichen.“
Friedrich D. E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), Günter Meckenstock (Hg.), Berlin-New York 2001,108, 109, 79, 80.
„ ... auch auf der höchsten Stufe der christlichen Frömmigkeit und beim klarsten Bewußtsein der ungehemmtesten Selbsttätigkeit bleibt doch die Schlechhinnigkeit des Abhängigkeitsgefühls in bezug auf ihn [Gott] unverringert. Und dies soll der Ausdruck bezeichnen, das Sich-schlechthin abhängig-Finden sei die einzige Weise, wie Gott und ich im Selbstbewußtsein zusammen sein kann.“
Friedrich D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube (21830), M. Redeker (Hg.), Berlin 1960, 173 (§ 32, 2b).
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