Wintersemester 2006/07



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Bleibende Spannungen

„Wenn man heute in Deutschland als psychologischer Wis­­senschaftler empirisch-religions­wis­senschaftliche For­schungsarbeiten durchführen oder initiieren möchte, so läuft man Ge­fahr, sich angesichts der besonderen Ent­wick­lung der deutschsprachigen Religionspsycholo­gie eini­gen Mißverständnissen ausgesetzt zu sehen: Wendet man sich an die psychologische Fachöf­fentlichkeit, muß man sich nicht nur mit den Problemen einer fehlenden For­schungs­tradition und -infrastruktur auseinanderset­zen, sondern auch befürchten, von den Fachkolle­gen vor­eilig als Vertreter einer Religionsapologetik mißver­standen oder in die Nähe der me­thodischen Traditionen der theolo­gischen Religionspsychologie oder der Psy­choanalyse ge­rückt zu werden und damit seine wissen­schaftliche Repu­ta­tion zu gefährden. Wendet man sich hingegen an Theo­logen oder Religionswissenschaftler, wird man, um nicht in den Ver­dacht einer unre­flektier­ten Religionskritik oder eines psychologischen Reduk­tionismus zu ge­raten, sein Wissenschaftsverständnis ge­sondert begründen und er­läu­tern müs­sen, wobei man fest­stellen wird, daß eine kom­mu­nikationsermögli­chen­de Forschungssprache viel­fach erst entwickelt wer­den muß. Wendet man sich schließlich an eine breitere ge­sell­schaftliche Öf­fentlich­keit, wird man zu berück­sich­ti­gen haben, daß die persönli­che Religiosi­tät zwar einen zentralen, aber in der Regel sehr privaten Le­bens­­bereich darstellt.“


Vorwort in: Helfried Moosbrugger/Christian Zwingmann/Dirk Frank (Hg.), Religiosität, Per­sönlichkeit und Verhalten. Beiträge zur Religionspsychologie, Münster-New York 1996, V. (Hervorhebungen von S.H.).
A „dilemma so characteristic of academic psychology: when presenting ‘theories’ which the majority of its practitioners considers ‘scientific’, the interested public is bored stiff, whereas what the public recognizes as interesting ‘psychology’ (for instance psychoanalysis, not to mention the work of Jung) is regarded by ‘real’ psychologists as too ‘speculative’.“
Troels Norager, Experience and Interpretation. Reflections on the Problem of Conceptuali­zing Religious Experience, in: Archiv für Religionspsychologie, Bd.21, Göttingen 1997, 70-79, Zit. 70.

Gegenstand der Religionspsychologie
„Simply put, we study people, not religion, and this is not a denigration of religion, but a statement of psychology’s basic goal.”
Spilka, Bernard / McIntosh, Daniel N., ed. (1997), The Psychology of Religion. Theoretical Approaches, Colorado-Oxford, XI.
„Viele erwarten von der Psychologie, daß sie sie ins Herz der Religion einführe und ihnen deren tief­sten Sinn enthülle. ... Wir müssen sol­che Erwartun­gen enttäuschen. ... Die Psycho­logie aber als positive Wissenschaft, be­faßt sich nur mit den Erscheinungen: sie er­forscht die Religion, so wie sie sich im Men­schen manife­stiert und strukturiert.“
Vergote, Antoine (1970 [1966]), Religionspsychologie, Olten-Freiburg, 15f.
Die Religions­psy­chologie ist „das wissen­schaft­liche Studium dessen, wie die Religion in der Psyche der Menschen, d.h. in ihren Gedanken, ihrem Verhalten und Erlebnis funktioniert“
Holm, Nils G. (1997), Religionspsychologie gestern und heute, in: Archiv für Religionspsy­chologie, 22, 15-27; 16.

Kapitel I: Das empirische Theoriemodell


„Das vorwissenschaftliche Denken begrenzt seinen Gegenstand nicht; kaum hat es eine be­sondere Erfahrung gemacht, versucht es sie schon für die verschiedensten Bereiche zu ver­allgemeinern“. [...]


„Der wissenschaftliche Geist kann sich nur kon­stituie­ren, wenn er den nicht wissenschaft­lichen Geist ausrot­tet.“
„Die Bilder [...], deren sich die Alltagser­fah­rung bedient, um ihren vor-wissenschaftlichen Einsichten Ausdruck zu verleihen, sind ebenso ein Hindernis auf dem Wege des wissenschaft­lichen Fortschritts wie ein unverzichtbarer Be­standteil all jener Mythen und Vorstellungen, aus denen sich die Dichtung speist.“
Bachelard, Gaston (21984), Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes, Frankfurt/Main, 119, 14, 21 (Vorwort Lepenies).

Die Methode der Abstraktion

„Nehmen wir an, ein Fischkundiger sei dabei, das Leben im Ozean zu erforschen. Er wirft sein Netz ins Wasser und fördert dann eine Auswahl von Fischen zutage. Er prüft seinen Fang und verfährt in der gewohnten Art eines Wissen­schaftlers, um das, was der Fang kundtut, in ein System zu brin­gen. Er gelangt dabei zu zwei Verallgemeinerun­gen: 1. Kein Seegeschöpf ist weniger als zwei Zoll lang. 2. Alle Seegeschöpfe haben Kiemen. Beides stimmt für seinen Fang, und er nimmt versuchs­weise an, daß beides, so­oft er auch den Fang wieder­hole, wahr bleiben werde. [...] Ein Zu­schauer kann einwenden, daß die erste Verallge­meinerung falsch sei.‘ Es gibt eine Menge von Seegeschöpfen, die weniger als zwei Zoll lang sind. Nur eignet sich dein Netz nicht dazu, sie zu fangen.‘ Der Fischkundige weist diesen Einwand verächtlich ab.‘ Alles, was mit meinem Netz nicht gefangen werden kann, liegt ipso facto jenseits des Rahmens fischkund­lichen Wissens und ist kein Teil des Fischrei­ches, wie es als Gegenstand fisch­kundlichen Wissens definiert wurde. Kurz gesagt, was mein Netz nicht fangen kann, ist kein Fisch.”



Arthur Eddington, Philosophie der Naturwissenschaften, Bern 1939, 28f.

Der Gegenstand der Religionspsychologie

„Deshalb ist ‚das psychische Leben der Person’ die allgemeinste Gegenstandsbestimmung der Psychologie.“



Heinz Müller-Pozzi, Psychologie des Glaubens, München 1975, 30.
„Der eigentümliche Forschungsgegenstand der Religionspsychologie ist das Seelenleben, soweit es religiös ausgerichtet ist ... .“

Wilhelm Pöll, Religionspsychologie. Formen religiöser Kenntnisnahme, München 1965, 16.
„In der ‚Psychologie der Religion’ gelangen die eigentümlichen Vorstellungen, Gefühle, Gedanken, Handlungen, welche die subjektive Wirklichkeit der Religion bilden, zu einer mit den Hilfsmitteln und Methoden der Psychologie unternommenen Darstellung.“

Oswald Külpe, Einleitung in die Philosophie, 19074, 103.
„Sie [die Religion] ist ein großes Ganzes, in dem sich der Mensch zu etwas Transzendentem - etwas anderem, jemandem anderen, verschiedenen Mächten, Göttern, Teufeln u.s.w - relatiert und das Engagement alleine oder mit anderen zusammen ausdrückt. Die Religionspsychologie wird dann das wissenschaftliche Studium dessen, wie die Religion in der Psyche der Menschen, d.h. in ihren Gedanken, ihrem Verhalten und Erlebnis funktioniert.“

Nils Holm, Religionspsychologie gestern und heute, in: Archiv für Religionspsychologie, Bd. 22, Göttingen 1997, 15-27, 16.
Dem Religionspsychologen genügt es, „die Glaubensvorstellungen soweit zu prüfen und zu systematisieren, als sie als Wort-, Symbol- und Verhaltensäußerungen beobachtet werden können. Die Existenz Gottes außer acht lassen bedeutet also, daß man die im Kern der Religion beschlossene Existenzübertragung nicht selber vollzieht und sich damit begnügt, daran in einer gewissen affektiven und vernünftigen Sympathie teilzunehmen, soweit es die Anerkennung einer menschlichen Möglichkeit fordert. ... Die Psychologie … als positive Wissenschaft, befaßt sich nur mit den Erscheinungen: sie erforscht die Religion, so wie sie sich im Menschen manifestiert und strukturiert.“

Antoine Vergote, Religionspsychologie, Olten 1970, 15f.



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