Auf Grund des Codex Iuris Canonici



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Bei der Darstellung der Tätigkeitsgebiete des G.-V. isind drei Gruppen zu unterscheiden: eine Gruppe von Geschäften, die ihm überhaupt entzogen ist; eine zweite, die ihm nur durch Spezialmandat eröffnet wird; eine dritte endlich, die ihm schon kraft seines Amtes zugewiesen ist.

  1. Schlechthin entzogen sind seiner Jurisdiktion zwei be­sonders wichtige Angelegenheiten, in denen der Bischof selbst und nicht durch einen Stellvertreter handeln soll. Es sind dies die Ernennung von Kanonikern (can. 406 § 1) Und die Errichtung von Religiösen-Kongregationen (can. 492 § 1). Entzogen sind ihm ferner alle jene Angelegenheiten, welche der Bischof sich ausdrücklich reserviert hat (can. 368 § 1), wobei ihm das Recht keine Beschränkungen auf erlegt. Fer­ner solche Dinge, die in einem gewissen Gegensatz zu seinem eigentlichen Aufgabenkreis stehen: entzogen sind ihm also die Angelegenheiten der Seminarverwaltung und Seminar­aufsicht (can. 1359), insofern er nicht Mitglied des „coetus deputatorum“ sein darf, sowie alles, was zu den Aufgaben des Offizials gehört (can. 1573 § 1).

  2. Sehr groß ist der Kreis der Geschäfte, für die der G.-V. ein Spezialmandat bedarf. Wenn es bisher Sache der Doktrin war, den Kreis der Spezialmandatsfälle zu bestimmen, so macht der Codex jetzt allen Kontroversen ein Ende, indem er eine große Liste solcher Fälle auf stellt, die wohl als er­schöpfend anzusehen ist. Alle Angelegenheiten also, die der Codex nicht als solche qualifiziert, bedürfen hinfort keines Spezialmandates mehr.

  1. Was zunächst das rein spirituelle, mitunter das „forum internum“ mitberührende Gebiet anbetrifft, so bedarf der G.-V. ein Spezialmandat:

  1. zur Reservation von Sünden (can. 893 §1) ;

  2. zur Rekonziliation von Häretikern, Schismatikern und Apostaten (can. 2314 §2);

  3. zur Gestattung einer Gewissenehe (can. 1104);

  4. zur Konsekration von Kirchen, öffentlichen Kapellen und Altären (can. 1155 §1), wobei weitere Voraussetzung ist, daß er die Bischofsweihe besitzt, da durch das Spezial­mandat nur seine Jurisdiktionsgewalt erweitert, nicht aber ihm Weihegewalt übertragen wird. Die Benediktion einer Kirche kann der G.-V. dagegen auf Grund seiner gewöhnli­chen Amtsrechte vornehmen und bedarf dazu keines Spezial­mandates }

  5. zur Kirchenbauerlaubnis (can. 1162 § 1) — nicht dagegen zur Setzung und Benediktion des Grundsteines, die ein Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist und dem Ordinarius loci (mithin auch dem G.-V.) schlechthin zusteht;

  6. zur Festsetzung vonZelebrationsgebühren (can. 1303 §3);

  7. zur Echtheitiserklärung von Reliquien (can. 1283 § 2 und can. 1285 §1) ;

  8. auch in Heilig- und Seligsprechungsprozessen gilt er nicht als Ordinarius ohne Spezialmandat (can. 2002).

  1. Auf dem Gebiet der allgemeinen Kirchenverwal- tung bedarf der G.-V. eines Spezialmandates:

  1. zur Einberufung der Diözesansynode (can. 357 § 1);

  2. zur Errichtung kirchlicher Vereine (can. 686 § 4);

  3. zur Exkardination und Inkardination von Klerikern (can. 113);

  4. zur Erteilung von Weihedimissorien (can. 958 § 1);

  5. zur Verleihung von kirchlichen Ämtern (can. 152);

  6. zur Ernennung von Pfarrern (can. 455 § 3);

  7. zur Amotion von Pfarrvikaren (can. 477 § 1), während zur Ernennung solcher Vikare allem Anschein nach kein Spezialmandat nötig ist.

  8. Auch, hat der G.-V. ohne Spezialmandat nicht das Recht, Strafen zu verhängen (can. 2220 § 2). Der G.-V. kann auch, ohne Spezialmandat, keine Strafen erlassen. Hof mann61 be­hauptet dies zwar, gibt aber keinen Grund an. Es ist auch kei­ner einzusehen, abgesehen vom allgemeinen Grundsatz: der

G.-V. ist zu allem befugt, was ihm nicht ausdrücklich durch das Recht oder den Bischof entzogen ist. Dies ist freilich in diesem Punkt indirekt der Fall: Strafen kann er nur mit Spe­zialmandat verhängen, und da Straf- und Begnadigungsge­walt Korrelate sind, so wird man auch für das Begnadigungs­recht des Generalvikars ein Spezialmandat fordern müssen. Um so mehr, als die Begnadigung eine „violatio legis“ dar­stellt, wo der G.-V. doch zum Strafen „secundum legem“ schon eine Erweiterung seiner Vollmachten braucht!

C. Auch im Benefizialrecht begegnen uns eine Reihe von Fällen, in denen ein Spezialmandat erforderlich ist zur Er­weiterung der Amtsvollmachten des G.-V.:

  1. die Errichtung von Benefizien (can. 1414 § 3) ;

  2. die Union von Benefizien (can. 1423 § 1);

  3. ihre Verleihung (can. 1432 § 2) ;

  4. die Gestattung eines Benefizientausches (can. 1487 § 1);

  5. die Erteilung der Institution an einen Präsentierten (can. 1466 §2).

Es sind also eine ganzie Reihe von Angelegenheiten, und besonders wichtige und häufige darunter, die ein Spezial­mandat verlangen. Gerade die Häufigkeit mancher Fälle, z. B. die Erteilung von Ex- und Inkardinationen, von Weihedimis- sorien, sowie Benefizienverleihungen, läßt uns fragen nach der Form des Spezialmandates. Die Aufzählung aller Fälle der Ermächtigung im Bestallungsdekret ist nicht nötig, über­haupt Sehr iftform, auch bei der Einzelbevollmächtigung, nicht notwendig. Es ist sehr wohl denkbar, daß der Bischof den G.-V. mündlich oder schriftlich bevollmächtigt „zu allem, was ein Spezialmandat verlangt“.232 Doch widerspricht diese Pra­xis eigentlich dem Sinn des ganzen Institutes, da doch die vorgesehenen Spezialmandate nicht durch ein Generalmandat ersetzt werden sollen. Der Codex wünscht ja gerade in den wichtigeren Fällen die Rücksprache mit dem Bischof, damit dieser eine spezielle Bevollmächtigung erteilen, oder wenn

er da« lieber will, die Sache selbst erledigen kann. Und die­ser Wunsch des Gesetzbuches wird vereitelt, wenn der G.-V. durch ein derartiges Generalmandat zum „Procurator gene­ralis cum libera“ gemacht würde. Das Recht engt ja deshalb die Macht des G.-V. so vielfach ein, um den Bischof nicht zum Schattenherrscher seiner Diözese zu machen; es will ihm die Möglichkeit geben, seine Regierungskraft und seinen Regierungswillen in der ihm zusagenden Weise zu betätigen, durch eine wenigstens dirigierende Oberaufsicht und Voll­machtserteilung an das ausführende Organ, den Generalvi­kar. Andererseits wird man aber auch nicht in jedem Fall ein Gesuch um das Spezialmandat fordern dürfen. Sonst wird auch durch diese Übertreibung die ratio legis zunichte ge­macht, indem der Bischof dann doch mit jeder Angelegenheit behelligt würde. Die ideale Lösung dürfte die sein, daß dem G.-V. schriftliche Vollmacht erteilt wird für eine Reihe gleichartiger , häufig anfallender Angelegenheiten, wie z.B. Benefizienverleihungen, Weihedimissorien, Inkardinationen, Aufnahme von Konvertiten und dergleichen, die in der Voll­machtsurkunde namentlich und erschöpfend aufzuzählen wä­ren. Es wird damit einerseits die Überlastung des Bischofs, andererseits auch eine Unklarheit über die Vollmachten des G.-V. vermieden. Bestehen dennoch Zweifel über die Reich­weite der Spezialmandate, so sollen sie durch persönliche Rücksprache geklärt werden. Der Codex will überhaupt eine solch enge Verbindung von G.-V. und Bischof, dem über alles Wichtigere ständig referiert werden soll (can. 369 § 1).

  1. Welches sind nun die Rechte, die dem G.-V. ohne be­sonderen Auftrag, auf Grund seines Amtes, zustehen? Dem G.-V. wird das Recht zur Visitation „vi officii“ zuzubilligen sein. Denn da die Visitation zu den Rechten des Bischofs ge­hört, so steht sie in gleicher Weise seinem G.-V. zu, da von einer Reservierung für den Bischof oder der Notwendigkeit eines Spezialmandates nirgends die Rede ist. Eine Vertretung durch den Weihbischof — weil etwa die Visitation ein höchst­persönliches Recht der konsekrierten Bischöfe sei, — ist von

dem kirchlichen Recht nicht beabsichtigt. „Episcopus“ ist hierin can.343 § 1 synonym mit „Ordinarius loci“ gebraucht.233 Und daß faktisch die Visitation häufig vom Weihbischof ge­halten wird, erklärt sich einfach damit, daß man Visitations­und Firmungsreise verbindet. Hält der Weihbischof aber die Visitation, so ist er bloß „alius“ im Sinne des can. 343 § 1, also bloß Delegat. Eine solche bloß delegierte Gewalt möchte Stutz234 auch für den visitierenden G.-V. annehmen: „Wird der Generalvikar damit beauftragt (nämlich mit der Visitation), so ist er wie dieser (nämlich der Weihbischof) nicht kraft seines Amtsauftrages, sondern als bischöflicher Delegierter tätig. Die Nennung des Generalvikars in can.343 § 1 geht nicht sowohl auf diesen, als vielmehr auf die Person, die gerade das Amt des Generalvilcars bekleidet.“ Diese These ist aJber abzulehnen aus denselben Gründen, die gegen die unglückliche Lehre von der „delegatio intuitu officii vicaria- tus“ vorgebracht wurden. Der Codex will vielmehr in can. 343 nur betonen: in erster Linie ist der Bischof zur Visitation berufen, aber Stellvertretung ist möglich. Der geborene Stell­vertreter ist der Generalvikar — und diesen nennt can. 343 beispielsweise. Als Ordinarius wird der G.-V. auch in diesem Fall potestate ordinairia vicaria tätig, eben auf Grund seiner allgemeinen Amtsbefugnisse. Aber noch eine weitergehende Stellvertretung ist möglich, denn es kann auch ein „anderer“ visitieren, also z. B. auch der Weihbischof. Diese „alii“ sind freilich bloße Delegaten, weil eine Visitation in keiner Weie in deji Bereich der ihnen eigentümlichen Amtsgewalt fällt. So der klare Sinn des can.343 § 1 — dem G.-V. kann also das Recht zur Visitation, und zwar potestate ordinaria vicaria, bei Verhinderung des Bischofs, nicht abgesprochen werden. Das Visitationsrecht des G.-V. ergibt sich aber noch aus

einem anderen Grund. Denn er übt ja, in derselben Weise wie der Bischof dessen Recht zur Aufsicht über Lehre, Kultus, Lebensführung der Geistlichen, über die Religiösen (soweit hier die Rechte des Ordinarius nicht beschränkt sind), über die Vereine, über die Vermögensverwaltung der Einzelkir­chen-, Anstalts-, Genossenschaftsvermögen, sowie über die Ausführung von Testamenten und Stiftungen zu frommen Zwecken. Das vornehmste Mittel zur Durchführung dieser den Bischof und den G.-V. treffenden Aufsichtspflicht ist ne­ben der einzufordemden Rechnungslegung (in Vermögenssa­chen) die Visitatio personarum et locorum. Darum steht also die Visitation dem G.-V. auf Grund seiner elementarsten Amtsbefugnisse zu.

Auf Grund seines Amtes kann der G.-V. Apostolische Re- scripte ausführen, welche dem Bischof zur Execution zuge­stellt werden. Er kann auch als Delegat des Apostolischen Stuhles, nicht als Subdelegat des Bischofs, von den bischöf­lichen Quinquennalfakultäten Gebrauch machen. Es ist dies in einer ganzen Reihe von Entscheidungen, ausgesprochen worden; doch betonen die Quellen, daß zum erlaubten (nicht zum gültigen!) Gebrauch dieser Fakultäten in wichtigeren Fällen der Bischof verständigt werden solle, wie es sich aus der vom Codex gewünschten engen Zusammenarbeit (vgl. can. 369) von Bischof und G.-V. von selbst ergibt.65 Auch das Recht, Gnaden zu erweisen, steht ihm zu (can. 369); doch kann er gültig nicht solche Gnaden erteilen, die der Bischof verweigert hat (can. 44 §2), da durch die bischöfliche Ent­scheidung die Angelegenheit definitiv erledigt, der G.-V. in der Sache ausgeschaltet ist.

Auf Grund seines Amtes stehen dem G.-V. ferner gewisse Ansprüche und Ehrenrechte zu. So hat er Anspruch auf Zah­lung eines Gehaltes,, da ja mit seinem Amt keine Benefizial- einkünfte verbunden sind, und er andererseits nicht zu un­entgeltlicher Tätigkeit verpf lichtet ist. Das Gehalt kann nicht bestehen in einer Anweisung auf die Kanzleigebühren, um betrügerische Unregelmäßigkeiten zu vermeiden.235 Vielfach bestehen auf Grund eines Konkordates Verpflichtungen des Staates zur Zahlung oder Ergänzung des Gehaltes.236

Unter den Ehrenrechten des G.-V. ist das wichtigste die Präzedenz vor allen Klerikern der Diözese, die Dignitäre der Kapitel nicht ausgenommen. Diese Regelung tut in keiner Weise wohlerworbenen Rechten und Privilegien der Kano­niker und Dignitäre Abbruch. Der Codex will grundsätzlich die innere Verfassung der Kapitel in keiner Weise modifi­zieren (can. 393, 408). Aber bei der Feststellung der Präze- denzordnung handelt es sich gar nicht um interne Verfas­sungsfragen des Kapitels, sondern um Dinge, an denen die Öffentlichkeit interessiert ist. Durch die Vorschrift des can. 370 über den Vortritt des G.-V. wird denn auch der erste Dignitär in seiner Stellung innerhalb des Kapitels nicht be­einträchtigt. Er wird nicht zum zweiten Dignitär herabge­drückt, sondern bleibt, was er ist, nur daß er das Recht des

Vortritts vor allen anderen Klerikern an den G.-V. verliert. Würde man das nicht zugeben, so wäre ja die Vorschrift des can. 370 in all den Fällen gegenstandslos, wo der G.-V. nicht zugleich der erste Domdignitär wäre. Es macht für die Frage nach dem Vortrittsrecht des G.-V. auch nichts aus, ob er als Kanoniker oder als G.-V. (etwa als Protonotar) geklei­det erscheint. Can. 370 ist nur die Anwendung der Regel des can. 106 auf den Spezialfall. Demgemäß hat der G.-V. den Vortritt: 1. weil er die Person des Bischofs vertritt, 2. weil er Jurisdiktion über alle Kleriker der Diözese ohne Aus­nahme hat.237 Der G.-V. hat im Chor und bei Handlungen des Kapitels den Vortritt auch dann, wenn er nicht Kanoniker sein sollte.238 Es soll ihm im Chor ein besonders bevorzugter Platz angewiesen werden, wie es beim Besuch von Apostoli­schen Gesandten und auswärtigen Bischöfen üblich ist.239

Für die Dauer seiner Amtsführung hat der G.-V. die Rechte des Apostolischen Protonotars der vierten Rangklasse. Er hat also das Recht, wenn er nicht Dignitär oder Kanoniker ist und deren Amtstracht bevorzugt, im Chor das Kleid der Protono- tare zu tragen, d. h. den schwarzen Talar mit der Cauda, die jedoch nicht entfaltet werden darf, sowie Rochett und Man- telet. Er macht als Titularprotonotar vor Kreuz und Bischof keine Kniebeugung, sondern nur Inklination, und hat das Recht auf Inzensation in zwei Zügen. Auch außerhalb der Diözese kann der G.-V. von diesen Rechten und Privilegien Gebrauch machen; Voraussetzung dafür ist, daß er seine Er­nennung dem Kolleg der Protonotare „de numero participan- tium“ mitgeteilt und vor dem eigenen Ordinarius Glaubens­bekenntnis und Treueid abgelegt hat. Unterläßt er das, so

kann er nur innerhalb seines eigenen Gebietes seine Privile­gien ausüben.240

Eine Sonderstellung nimmt der Kardinalvikar von Rom ein. Er ist in allem ein Generalvikar des Papstes als Bischofs von Rom, nur daß er regelmäßig in seiner Person die Funk­tionen des Weihbischofs mit den generalvikarialen Befug­nissen vereinigt. Ausserdem erlischt sein Amt nicht mit der Vakanz des päpstlichen Stuhles.241 Der Grund dafür liegt da­rin, daß er nicht in so engem Verhältnis zum Papst steht, wie der G.-V. zum Bischof: der Kardinalvikar ist ja nicht „pro- curator generalis“ des Papstes, sondern nur mit der stellver­tretenden Wahrnehmung eines verhältnismäßig unwichtigen Teiles der päpstlichen Obliegenheiten betraut: mit der Stell­vertretung des Papstes als Hirt der Diözese Rom. Ein Ver­treter (wenn auch kein procurator generalis) des Papstes, der eher mit dem G.-V. aus sachlichen und besonders histo­rischen Gründen verglichen werden könnte, ist der Kardinal- Staatssekretär. Beim Kardinalvikar erlischt auch das Amt des Stellvertreters, des Vicegerente, nicht mit der Vakanz des Kardinalvikariates,242 wenngleich sonst der Vicegerente ähnliche Befugnisse hat wie sonst ein G.-V.: er ist also ge­wissermaßen Generalvikar eines Generalvikars. Das Recht kennt solche dauernde Stellvertretung eines gewöhnlichen G.-V. nicht, wenngleich es dem Bischof freisteht, zeitweise einen Ersatzmann für den G.-V. zu ernennen (can. 366 §3). Der Kardinalvikar hat auch insofern eine bischofsähnliche Stellung, als er ordentlicher Richter ist und sich in Prozeß­sachen durch einen Quasioffizial („Auditor“) vertreten läßt.243 Durch die Konstitution „Etsi nos“ vom 1. Januar 1912

ist das Vikariat von Rom in vier „Officia“ eingeteilt worden: für den Kultus, für Disziplinarsachen, für Gerichtssachen, für die Finanzverwaltung. An ihrer Spitze stehen der Kom­missar (Vicegerent), Assessor, Auditor, Präfekt. Für den Bereich der aus der Diözese Rom exemteln Cittä del Vaticano ist ein zweiter Generalvikar des Papstes einge­setzt worden.

Werfen wir einen kurzen Rückblick auf das Amt, die Juris­diktion, die Befugnisse des G.-V., wie sie sich nach dem Co­dex darstellen. Eine ungeheuer wichtige Materie ist durch die Arbeit der Redaktoren aus dem Kampf des gelehrten Streites, aus der Unklarheit praktischer Kompetenzabgrenzun­gen, aus der verwirrenden Vielfalt partikularer Bestimmun­gen und Gewohnheiten hinausgehoben worden in die Klarheit festgefügter rechtlicher Ordnung. Denn mag in manchen Ein­zelheiten noch Spielraum für die Arbeit der Wissenschaft gelassen worden sein: im allgemeinen steht das Bild des G.-V., wie ihn das Recht der Kirche denkt und will, scharf umrissen vor uns. „Es ist beachtenswert, daß das neue Ge­setzbuch uns zum ersten Male eine gemeinrechtliche Rege­lung dieses wichtigen Amtes bietet. Dasselbe gehört nicht zu dem alten, ins hohe Mtfttelalter zurückreichenden Rüst­zeug der Kirche . . . Die Doktrin und vor allem die Praxis . .. sind es gewesen, die die für die Stellung des Generalvikars maßgebenden gemeinrechtlichen Grundsätze entwickelt ha­ben. An diese, aus Lehre und Leben geborenen Sätze hält sich im allgemeinen der Codex. Indem er sie kurz zusammenfaßt und ausbaut, erhebt er, was bisher nur ,vigens Ecclesiae dis- ciplina* war, zum Kirchengesetz und stellt es auf sichere Grundlage. Schon das bedeutet einen Fortschritt/475 In der Tat ein Fortschritt! Die rechtsbildende Arbeit fast eines Jahrtausends ist zusammengefaßt, um von der neugefestigten Grundlage aus eine möglichst wirksame Arbeit zu ermögli­chen. Unter modernen Gesichtspunkten haben die Redakto-

  1. Vgl. Stutz a. a. O. S. 283f.

ren geschaffen: Trennung richterlicher und administrativer Tätigkeit. Sie haben dem Amt eine feste Grundlage gegeben. Sie haben Übersichtlichkeit geschaffen im weitverzweigten System der Sondervollmachtsangelegenheiten. Gerade die letztere Regelung ist es, die der rechtlichen Satzung jene Elastizität verleiht, die das Recht der weltumspannenden Kirche mehr denn ein anderes Recht braucht. Mit dem System der Reservate undSpezialmandate kann der Herr der Diözese sich den Mitarbeiter schaffen, den er wünscht und braucht. Und doch sinkt dieser nicht herab zur bischöflichen Kreatur, sondern seine Gewalt ist eine ordentliche Gewalt, sie wurzelt im Boden des allgemeinen Rechtes. In weiser Anpassung zieht der Codex nicht zu enge Grenzen, Raum lassend für territoriale Sonderart, für spezielle Bedürfnisse: doch kann es nur den einen Wunsch geben, daß die Praxis sich leiten lasse vom Geist des allgemeinen Rechtes und die Dinge ge­stalte nach jener allgemein verbindlichen „causa exemplaris“, nicht aber festhalte an Sonderbildungen, die in den tatsäch­lichen Verhältnissen keine Begründung finden.

II. Kapitel.

Der Offizial als Stellvertreter des Bischofs im Gericht.

§ 1. Der Offizial als Einzelrichter.

  1. Amt und Amtsrechte des Offizials.

Der Bischof ist „vom Heiligen Geist gesetzt, die Herde Gottes zu regieren“. Ein notwendiger Bestandteil jeder Lei­tungsgewalt ist die Pflege der rechtlichen Beziehungen einer Gemeinschaft. Auf Grund göttlichen Rechtes ist er daher Richter in seinem Teilgebiet und zwar für alle Sachen, die ihm nicht durch die Rechtsordnung entzogen sind (can. 1572 § 1), weil der Papst als Ordinarius aller Bischöfe und Gläubi­gen von der Gewalt Gebrauch machen kann, gewisse Dinge vor sein Forum zu ziehen (can. 1569 § 1 u. 1570 § 1). Das Be­streben, die richterliche Gewalt des Bischofs als des Richters der ersten Instanz möglichst wenig einzuschränken, tritt deutlich hervor in den päpstlichen Kundgebungen aus neue­rer Zeit.244 Freilich konnte der Bischof schon im frühen Mittel­alter nicht mehr persönlich alle Sachen entscheiden, sondern war gezwungen, zur Ausübung seiner richterlichen Gewalt einen Stellvertreter, ja einen ganzen Behördenorgamismus zu bestellen. Ein Überblick über Ursprung und Entwicklung der bischöflichen Gerichte ist schon oben gegeben worden. Hier liegt es uns nunmehr ob, den Aufbau des Offizialates nach geltendem Recht zu behandeln.245 Partikularrechtliche Sonder­

gestaltungen finden sich jetzt viel weniger als früher und die bunte Mannigfaltigkeit der Offizialats- und Konsistorial- verfassungen246 ist den Vorschriften des Codex gewichen, der die Einsetzung eines besonderen Offizials vorschreibt und die Besetzung in Form des Kollegialgerichtes für eine Reihe von Prozessen sogar zwingend vorschreibt.

Wie sonst das Leben der Kirche, so ist auch ihre Gerichts­verfassung beherrscht vom hierarchischen Prinzip. Jedem Amtsträger in der Stufenfolge der Hierarchie entspricht eine Gerichtsbehörde, die als Appellationsinstanz des Unterge­richtes fungiert. So erhebt sich über dem Gericht der ersten Instanz, dem bischöflichen Offizialat, als zweite Instanz das Metropoliticum. Doch findet sich bei exemten Bistümern und Erzbistümern die zweite Instanz mitunter am Sitz des Bi­schofs selbst. Diese Regelung widerspricht aber der Rechts­vernunft, da beide Gerichte nur als Stellvertreter des Bi­schofs iudizieren, der selbst immer der eigentliche Richter bleibt: der Bischof in derselben Sache also eigentlich Richter der Vorinstanz und der Berufungsinstanz zugleich ist; die erwähnte Praxis steht außerdem im Widerspruch zu can. 1571. Als dritte Instanz erhebt sich über dem Metropoliticum (oder dem erwähnten bischöflichen Gericht der zweiten Instanz) die Rota Romana; wenigstens ist das die Regel, die freilich mit­unter durchbrochen wird, z. B. in Bayern, wo auf Grund be­sonderer päpstlicher Delegation ein deutsches Diözesange- richt als Gericht der dritten Instanz eingeschaltet ist. Wenn aber auch das Metropoliticum als zweite Instanz übergeord­net ist, so steht doch diesem keinerlei Aufsichts- oder Dis- ziplinarrecht über das bischöfliche Gericht, bezw. den Offi­zial zu. Wenn die Parteien durch eine Nachlässigkeit oder ein Delikt des Offizials geschädigt sind, so kann sich das Metropoliticum nur an den Ordinarius des schuldigen Offi­

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