Auf Grund des Codex Iuris Canonici



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Der Begriff der Jurisdiktion, wie ihn das kanonische und moderne Recht anwendet, hatte im altrömischen Sprachge­brauch nicht ganz den gleichen Sinn. „Jurisdictio“128 bedeu­tete hier vor allem die zivilrechtliche Tätigkeit eines Beam­ten, während die Schwertgewalt, die Ausübung öffentlicher Hoheitsrechte, „imperium“ genannt wurde. Da nun aber eine Reihe von Beamten (z. B. der Pxätor) sowohl Träger der öffentlichen Gewalt waren, also „imperium“ hatten, anderer­seits aber auch Gerichtsherrn waren und in der Gewährung von Klagerechten und Besitzeinweisungen eine jurisdiktio­neile Tätigkeit ausübten, so legte man ihnen ein „imperium mixtum“ bei.129 Diese Amtsgewalt war streng getrennt von dem „munus iudiciarium“, das nur den Geschworenen (iudi- ces dati) zustand. Diese hatten keine Amtsgewalt, sondern prüften nur den Sachverhalt und fällten das Urteil im Rahmen der ihnen vom Gerichtsherrn, dem Prätor, gegebenen Rechts­belehrung oder Anweisung (formula). Eine Exekutionsgewalt hatten sie nicht.

Die den Inhabern von „imperium merum“ (Straf- und Mi­litärgewalt) „imperium mixtum“ (Gewalt des Prätors und Prokonsuls) und „iurisdictio“130 (Zivilgewalt) zustehende Macht, die ihnen mit dem Amt übertragen wurde, nannte

man „iurisdictio ordinaria“.131 In kaiserlicher Zeit traten dann diesen „iudices ordinarii“ — „iudices“ hat hier wie im kanonischen Recht nicht den ausschließlichen Sinn von „Rich­ter“, sondern von Jurisdiktionsträger — sogenannte „iudi­ces sacri“132 gegenüber. Sie waren ursprünglich ständige kai­serliche Delegaten und wurden erst seit Diokletian „delegati a iure“, wobei ihre Jurisdiktion sich von der „iurisdictio or­dinaria“ nicht mehr wesentlich unterschied. Eine Parallele zu diesen nachdiokletianischen „iudices sacri“ würde etwa die tridentinische Bestimmung sein, welche die Bischöfe in Sa­chen von Exemten „tamquam Sedis Apostolicae delegati“ tä­tig werden ließ.

Die „iudices“ hatten das Recht zum Man dier en ihrer Ge­richtsbarkeit, und zwar war diese völlige oder teilweise Über­tragung der eigenen Gewalt aiuf einen Stellvertreter bei den vielbeschäftigten Prätoren und Prokonsuln sogar die Regel.133 Zum näheren Verständnis der damit verbundenen Befugnisse und des Verhältnisses zwischen Auftraggeber und Beauftrag­tem muß kurz auf die Lehre vom Mandat im römischen Recht eingegangen werden, wie sie auf dem Boden des Zivil­rechtes ausgebildet worden ist.

Eine „eigentliche Stellvertretung“ in dem Sinne, daß der Vertreter seinen eigenen Willen erklärt, was als Willenser­klärung des Vertretenen betrachtet wird und rechtliche Wir­kungen für den Vertretenen erzeugt, gab es im römischen Zivilrecht nicht. Wir haben hier nur eine „verdeckte“ Stell­vertretung: der Vertreter schließt in eigenem Namen Rechts­geschäfte ab, die rechtliche Wirkungen nur für ihn mit sich

bringen. Im Innenverhältnis ist der Vertreter freilich ver­pflichtet, die Wirkungen des Rechtsgeschäftes auf den Ver­tretenen (den „Principal“) zu übertragen. Die rechtliche Grundlage dafür bildet das „mandatum“, unter welche Ge­samtbezeichnung die römische Rechtssprache unsere Begriffe der „Vollmacht“, also eines einseitigen Rechtsgeschäftes, und des Auftrages, also eines zweiteiligen Vertrages subsum- miert.134 Das römische Recht betrachtete das Mandat in letzte­rem Sinne als einen wesensmäßig unentgeltlichen zweiseiti­gen Vertrag.135 Sein Inhalt kann sehr verschieden sein, ja ganz allgemein die Besorgung aller Angelegenheiten des Auftrag­gebers zum Gegenstand haben (sog. „mandatum incertum“).9 Es erlischt durch Ablauf der Zeit, Rücktritt des Beauftragten oder Auftraggebers vom Vertrag, oder durch Tod einer der V ertragsparteien.

Keine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Unzu­lässigkeit jeder echten („offenen“) Stellvertretung bildet die Tatsache, daß Gewaltunterworfene (Ehefrau, Kinder, Sklaven) alle Rechtshandlungen mit Wirkung für den Ge­walthaber Vornahmen. Denn diese Rechtshandlungen galten gar nicht als eigene Willenserklärungen der gewaltunterwor­fenen Personen, sondern ohne weiteres als Willenserklärung des Gewalthabers. Keine Ausnahme ist auch die Besitz­ergreifung durch einen Vertreter. Es handelt sich ja hierbei nicht um eine Vertretung in der Willenserklärung, son­dern um eine Vertretung in der tatsächlichen Ergreifung der Sache, also um eine Willensbetätigung. Auch bei dem mit der Besitzergreifung unter Umständen verbundenen Eigen­tumserwerb handelt der Vertreter nicht in eigenem Namen —

er überbringt nur als speziell beauftragter Bote den Willen des Vertretenen zum Eigentumserwerb an dieser Sache. Erst das justinianische Recht bildet diesen Eigentums- und Be­sitzerwerb durch einen Vertreter zu einem Fall echter Stell­vertretung fort, welchem dann die „bonorum possessio“, der Antritt einer Erbschaft, gleichgestellt wurde. Abgesehen von diesen zwei Ausnahmen gilt aber auch im justinianischen Recht der Satz in vollem Umfang: „excepta possessionis causa, per liberam personam, quae alterius iuri non est sub- dita, nihil acquiri posse, indubitati iuris est.“

Wie im allgemeinen, so verneint das römische Recht die Zulässigkeit der Stellvertretung auch bei obligatorischen Verträgen — kein Vertreter kann also einen Vertrag durch eigene Willenserklärung zu Stande bringen, die als der Wille des Vertretenen, als eine Willenserklärung in dessen Namen gelten soll und nur diesen berechtigt und verpflichtet.136 — Fassen wir zusammen: der wesentliche Zug der römischen Lehre von der Stellvertretung ist die völlige Ersetzung der Person des Prinzipals durch den Vertreter. Wie ein alter ego wird er dem Principal substituiert — dessen Wille, ja dessen Existenz ist dem Rechte gleichgültig. Es gibt nur ein Handeln in eigenem Namen nach eigenem Willen mit Wir­kung für das eigene Ich — während unser Recht ein Handeln in eigenem Namen, nach eigenem Willen mit Wirkung für einen Anderen kennt.

Wie wir sahen, bilden Mandant und Mandatar eine Person im Rechtssinn. Als öffentlich-rechtliche Folge dieser zivil­rechtlichen Lehre vom Mandat ergibt sich somit die Unmög­lichkeit eines Rekurses vom Stellvertreter an den Mandanten. Die Appellation muß vielmehr an die über dem Mandanten stehende höhere Instanz direkt gehen.137 Über das Erlöschen

des Mandates gelten die oben behandelten allgemeinen Re­geln: als Besonderheit sei hier erwähnt, daß der Mandatar des öffentlichen Rechtes die ihm übertragene Amtsgewalt nicht weiter mandieren konnte.138 Das aus der Zeit der Repu­blik stammende Institut der Mandationsbefugnis der hohen Magistrate blieb auch in der Kaiserzeit, ja im justinianischen Recht noch erhalten, was zu Unrecht von manchen Autoren bestritten worden ist.139 Im justinianischen Recht taucht zu­erst der Name „vicarii“ für diese Mandatare auf. Im speziel­len Sinn waren die „vicarii“ die Nachfolger der „legati pro- consulares“, der Stellvertreter der Pr ovinzialstatthalter. Diese Legaten, bezw. Vikare hatten die gesamte Amtsgewalt des Prokonsuls140 inne,, von gewissen gesetzlichen Ausnahmen ab­gesehen.141 Ihr Aufgabenkreis war also gesetzlich festgelegt, die Umgrenzung ihrer Befugnisse durch ein Mandat war dem Mandanten entzogen. Ob ein Prokonsul sich einen Legaten ernannte, stand in seinem Belieben; wenn er ihn aber ein­setzte, so stand seinem Stellvertreter eine gesetzlich nor­mierte Amtsgewalt zu.

Im Eingang war schon die Rede von der bloß richterlichen Aufgabe („mundus iudicariüm“) der Geschworenen. Die Rich­ter des Formularprozesses werden vom Prätor bestellt von Fall zu Fall (sog. „iudices dati“). In der Kaiserzeit vollzog sich dann eine Umbildung der Geschworenen in richterliche Beamte, die vom Gerichtsherrn bevollmächtigt wurden — man nannte auch sie „iudices dati“ oder „delegati“.142 Das „munus iudiciarium“ dieser Delegaten ist wesentlich verschieden von der übertragenen Jurisdiktion der Mandatare. Im Unterschied von der „iurisdictio mandata (vicaria)“ der prokonsularischen

Legaten und Vikare (um nur diese zu nennen) endet die Ge­walt des „iudex datus“ nicht mit dem Erlöschen der Amts­gewalt seines Deleganten.143 Vom „iudex delegatus“ kann an den Deleganten appelliert144 werden, was beim „vicarius“ unmöglich ist. Der Gegensatz von „iurisdictio mandata (vi- caria)“ und „iurisdictio delegata“ ergibt sich also klar aus den Quellen: die eine ist die Übertragung der Amtsgewalt an einen Amtsträger in gesetzlich genau bestimmtem Umfang. Der Mandatar ist das alter ego des Mandanten, sodaß seine Gewalt vom Bestand der Jurisdiktion des Mandanten abhän­gig, ein Rekurs gegen ihn an Letzteren ausgeschlossen ist. Wenn auch der Stellvertreter nicht dieselbe Ständigkeit sei­nes Amtes besitzt wie der Auftraggeber, so ist auch ihm eine mit dem Amt verbundene, ordentliche Gewalt nicht abzu­sprechen.145 Der Delegat hingegen wird für einzelne Angele­genheiten von Fall zu Fall bevollmächtigt. Die Gewalt wird nicht einem Amtsinhaber übertragen, sondern einer Per­son. Er ist nicht rechtlich identisch mit seinem Vollmachtge­ber: seine Delegation überlebt daher den Deleganten, eine Ap­pellation an diesen ist möglich. So unterscheidet das römi­sche Recht scharf zwischen Mandat und Delegation. Erst einer späteren Zeit war es Vorbehalten, das römische Recht in diesem Punkt gründlich mißzuverstehen und Mandat und Delegation zu vermengen.

§ 2. Mandat und Delegation im kanonischen Recht.

.Für den Bereich der kirchlichen Rechtsgestaltung spielte das Institut der Jurisdiktionsübertragung eine viel größere

Rolle als im römischen Recht. Erklärlich ist dies einerseits durch die straff monarchische Zusammenfassung aller Kir­chengewalt im Papst bezw. im Bischof, wie andererseits durch die räumliche Ausdehnung der Kirche und die Menge der Aufgaben, die den Gewalthabern, den Ordinarii göttli­chen Rechtes, die persönliche Ausübung ihrer Befugnisse vielfach unmöglich machten.

Es ist bereits hervorgehoben worden, daß der Begriff der Jurisdiktion im kanonischen Recht ein weiterer ist als im römischen Recht, entsprechend der Tatsache, daß die Kirche nicht nur ein Rechtsorganismus ist, sondern eine Heilsanstalt. Zum Bereich der Jurisdiktion gehört daher die Lehrgewalt, die nicht nur die Gewalt in sich schließt, autoritativ Entschei­dungen zu treffen in Sachen des Glaubens und der Sitte, son­dern die auch die Gewalt in sich birgt, alle Gewaltunterwor­fenen, d.h. alle Gläubigen zum Gehorsam diesen Entscheidun­gen gegenüber zu verpflichten und nötigenfalls zu zwingen.146 Es gehört zur kirchlichen Jurisdiktionsgewalt ferner als sehr wesentlicher Bestandteil die Gesetzgebungsgewalt, die in der römisch-rechtlichen „iurisdictio“ nicht enthalten war. Wir können also zusammenfassend sagen: im kirchlichen Recht verstehen wir unter Jurisdiktion die Summe der Lehrgewalt, Gesetzgebungsgewalt, Strafgewalt, die Gewalt über die kirch­lichen Güter und Ämter, kurz alles, was nicht der Weihege­walt unterliegt und was zu seiner Ausübung einen Ordo vor­aussetzt.147

Wie bereits hervorgehoben, machten die Umstände eine Gewaltübertragung schon frühzeitig in großem Umfang not­

wendig. Daß man in der rechtlichen Konstruktion an die rö­mische Lehre von Mandat und Delegation anknüpfte, ist selbstverständlich. Weil aber, wie schon gesagt, die römi­schen Quellen irrig interpretiert wurden, so ergaben sich in der kanonischen Doktrin bedeutende Abweichungen von den Sätzen des römischen Rechtes.

Die römischen Juristen hatten einen Unterschied zwischen „iurisdictio mandata“ und „iurisdictio delegata“ gemacht. Da man nun diese Zweiteilung nicht mehr verstand, die anderer­seits aber zu klar aus den Quellen sich ergab, als daß man sie hätte hinwegleugnen können, so suchte man den Unterschied beider Arten in einer „delegatio ad unam causam“ und einer „delegatio ad universitfltem causarum“. Und da letztere gewisse Ähnlichkeit hatte mit dem Mandat des römischen Rechtes, so bezeichnete man letztere auch als „iurisdictio mandata“.148 Das Institut der Delegation war in der klassi­schen Periode des kanonischen Rechtes von ungeheurer Be­deutung bei der Fülle von päpstlichen Delegationen. Auch für das Eindringen des neuen römisch-kanonischen Rechtes ist es von ausschlaggebender Bedeutung gewesen und hat einen Einfluß ausgeübt^ wie etwa daß prätorische Edikt aui die Fortbildung des römischen Rechtes, da oft eine Entschei­dungsanweisung nach bestimmten, damals neuen Rechts­grundsätzen der Delegation beigefügt wurde.

In tridentinischer Zeit erhielt das Institut der Delegation dann neue Bedeutung durch die Ausstattung der Bischöfe mit delegierter Gewalt, um so als „tamquam Sedis Apostoli- cae delegati“ wirksamer dem Unwesen der allzuweit ausge­dehnten Exemtionen entgegentreten zu können.149 Damit trat neben die ältere Form der Delegation durch den Papst („dele­gatio ab homine“) die Gewaltübertragung kraft Rechtssatzes („delegatio a iure“).

Über die Rechtssätze der Delegation und die Terminologie ist unendlich viel gestritten worden; uns interessieren die Kontroversen nur insoweit, als sie Aufschluß geben können über die Rechtsstellung der bischöflichen Stellvertreter: Generalvikar und Offizial. Es wird uns also vor allem die Frage interessieren, ob ein Unterschied zwischen „iurisdictio mandata und delegata“ besteht im kanonischen Recht, und wenn ja, welcher Art dieser Unterschied ist.

Von neueren Autoren stellt C.F.Mache den Unterschied zwischen „iurisdictio mandata“ und „iurisdictio delegata“ auf. Er definiert letztere als „ea, quae a iudice ordinario cui- dam, qui vicem illius gerat, delata est. Itaque nunquam vi proprii officii exerceri potest, sed e gratia vel ,commissionec alterius.“150 Da er aber hiermit ausdrücklich sagt, die „iuris­dictio mandata“ beruhe auf persönlicher Übertragung und nicht auf Amt, so wird er 1. dem römisch-rechtlichen Begriff der „iurisdictio mandata“ nicht gerecht und verliert 2. die differentia specifica gegenüber der „iurisdictio delegata“. Der Unterschied ist nach ihm auch wohl kein sehr tiefgehen­der, und deshalb faßt er die „iurisdictio mandata“ und „dele­gata“ unter einen Oberbegriff zusammen, den er als iuris­dictio extraordinaria (oder mandata im weiten Sinne) der iurisdictio ordinaria, der ursprünglich mit dem Amt verbun­denen Gewalt gegenübersteilen möchte. Beachtlich ist, daß er die Identität von Mand ata,r und Vikar erkannt hat,151 wenn auch seine Gegenüberstellung von Mandatar und Or­dinarius irrig ist.152

Hinschius hat diesen Gegensatz „iurisdictio ordinaria — iurisdictio extraordinaria“ (mandata i. w. S.) nicht aufstellen

wollen. Er leugnet auch, daß Delegation (Bevollmächtigung ad unam causam) und Mandat153 (Bevollmächtigung ad Uni­versitäten! causarum) verschiedene Dinge seien, die unter den einen Oberbegriff „iurisdictio mandata“ i. w. S. subsum- miert werden könnten.

Es ergibt sich zur Genüge, daß die Aufstellung eines all­gemeinen Begriffes der ,iurisdictio mandata* keine Realität hat und kein praktisches Bedürfnis ist . . . Das gilt natürlich auch von der mit der iurisdictio mandaita zusammenfallenden iurisdictio vicaria der Älteren.“154 Hinschius sieht richtig die Unmöglichkeit ein, Delegation und Mandat unter einen Ober­begriff zu zwingen. Er sieht auch richtig, daß der Vikar eine iurisdictio mandata besitzt. Verfehlt aber sind die Konse­quenzen, die er daraus zieht. Im richtigen Gefühl, daß der Vikar — z. B. der Generalvikar —als Inhaber einer iurisdictio mandata in Hinschius* Sinn doch nicht wohl Delegat genannt werden könne, was sich aus einer Identifizierung von Mandat und Delegation ergäbe, suciht er einen Ausweg. Er findet ihn, indem er dem Vicarius (z. B. dem Generalvikar, Apost. Le­gaten) eine iurisdictio quatSi-ordinaria beilegt; es bleibt ihm also unklar, daß diese vikariale Gewalt eine ordentli­che, weil mit dem Amt verbundene, ist, wenn sie auch keine eigenberechtigte, sondern bloß stellvertretende (vicaria) ist. Er kommt also zu der Vierteilung: iurisdictio ordinaria; quasi-ordinaria; a iure delegata; specialiter ab homine dele- gata.

Der große Fortschritt in dieser Einteilung liegt darin, daß ein neues Glied der Kette geschaffen ist, die iurisdictio quasi ordinaria. Diese neue Form nähert sich der iurisdictio ordi­naria bereits soweit, daß praktisch Unterschiede kaum mehr bestehen. Dankenswert ist die Erkenntnis, daß der General­vikar dieser Gruppe und nicht den Delegaten zuzurechnen ist. Hinschius5 falsche Gleichung: Mandat-Delegation hat ihn

freilich verhindert, zu sehen, daß dieser „quasi Ordinarius“ ein Vikar, d. h. ein Mandatar ist, weil der Mandatar die ganze Rechtsstellung des Mandanten hat, nur in stellvertretender Weise. Daß also im stellvertretenden Charakter (in der potestas vicaria) des Quasi-Ordinarius das unterscheidende Merkmal zu sehen ist, — was nicht zuläßt, die Gewalt des Quasi-Ordinarius und des Ordinarius schlechtin zu identi­fizieren, — hat also Hinschius nicht erkannt, wenn er auch die generische Gleichartigkeit beider Gewalten und ih­ren Gegensatz zur delegierten Gewalt richtig gefühlt hat. Daß die delegierte Gewalt in sich ebenfalls generisch einheit­lich ist und daß der Unterschied „delegatio ab homine“ und „delegatio a iure“ kein wesentlicher, sondern nur ein spe­zifischer ist, sei nur nebenbei bemerkt. So können wir also sagen: potestas ordinaria und delegata stehen sich als Gegen­sätze gegenüber (genera). Die potestas ordinaria tritt in zwei Formen auf, als potestas propria und potestas mandata-vi- caria. Eine besondere iurisdictio quasi-ordinaria hat als gleichwertiger Faktor neben der iurisdictio ordinaria keinen Sinn; der Begriff fällt sachlich zusammen mit der po­testas ordinaria vicaria: in der Stellvertretung ist die Wurzel des „Quasi“ zu erblicken.

Wir hatten im vorausgehenden behauptet, daß auch nach kanonischem Recht zwischen Mandat und Delegation ein we­sentlicher, nicht spezifischer Unterschied bestehe (was Ma­che, Hinschius, Kaempfe verneinen); wir hatten ferner be­hauptet, daß iurisdictio mandata und vicaria identische Be­griffe seien. Es bleibt uns also die Klärung des Begriffes der iurisdictio mandata noch übrig. Wie die römischen Quel­len zeigen, ist der von vielen Kanonisten gemachte Versuch abzulehnen, den Unterschied von iurisdictio mandata und de­legata dahin zu interpretierten: delegatio ad omnia — dele­gatio ad unum. Wenn auch „mandare“ übertragen heißt und die Delegation eine Gewaltübertragung ist, so ist doch der

vorgeschlagene155 Generalbegriff der iurisdictio man data (im weiteren Sinn) höchst unglücklich! Die iurisdictio mandata im wahren, richtig verstandenen Sinn ist vielmehr eine stell­vertretende ordentliche Gewalt (iurisdictio vicaria ordinaria). Denn sie wird verliehen durch ein Mandatum; da156

Qui facit per alium est perinde a,c si faciat per se ipsum,“ so präzisiert die 72. Reg. iur. im Liber Sextus den Standpunkt des kanonischen Rechtes.157 An Stelle und im Interesse des Principáis führt der Stellvertreter die Geschäfte des Herrn als eigene.158 Die Grundlage dieser Vertretungsmacht nach außen bildet ein Vertrag oder eine einfache Vollmacht —

auch das kanonische Recht mapht keinen Unterschied und nennt beides „mandatum“. Der Vertreter unterscheidet sich dadurch vom bloßen „negotiorum gestor“, vom „Geschäfts­führer ohne Auftrag“, wie ihn das B. G. B. bezeichnend nennt. Gegen den Prokurator ist die actio mandati zulässig, sofern er auf Grund eines Vertrages, eben des Mandates im engeren Sinn, tätig geworden ist. Als Qualifikationen verlangt das kanonische Recht ein bestimmtes Alter, und setzt für den Vertreter vor Gericht 25 Jahre, für den außergerichtlichen Vertreter 17 Jahre fest. Es können auch mehrere Prokura­toren bestellt werden, sei es als „procuratores simplices“, die nur gemeinsam gültig handeln können, sei es als Beauftragte „in solidum“.

Es ist ein verschiedener Inhalt der Vertretungsmacht möglich. So kann ein Vertreter für einen bestimmten Einzel­fall bestellt werden, es kann aber auch ein Vertreter zur Besorgung aller Geschäfte befugt werden — sog. „proeura- tor generalis ad omnia“. Auch bei der Generalprokura ist ein sehr wichtiger Unterschied zu beachten: es gibt näm­lich eine „procura generalis cum libera“, (nämlich mit der freien Verfügung, alles zu tun, was auch der Herr selbst vermag,) und eine „procuratio ge'meralis sine libera“, wobei der Vertreter gewissen Einschränkungen, bei sonst allgemeiner Vertretungsmacht, unterworfen ist. Reif fenstuel159 sagt bezüglich des ersten Falles: „Procurator generalis cum libera, seu cui generaliter libera administratio rerum com- missa est, potest omnia faeere, quod dominus ipsemet facere potest.“ Diese Formulierung hat nun Ed. Fournier 160 dazu ge­führt, im Generalvikar einen „procurator generalis cum li­bera“ zu erblicken.

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