Alter ego in ihrem Namen handeln sollte. Die Bezeichnung für diesen auf Zeit ernannten Stellvertreter mit außerordentlichen Vollmachten war stets „Vicarius generalis“ — nie aber „Officialis“!
In dieser Stellvertretung des abwesenden Herrn liegt also der Urspung des Generalvikars der Sache und Bezeichnung nach. Ganz verfehlt ist der schon erwähnte Versuch mancher älteren Kanonisten, den Ursprung des G.-V. aus der Bestimmung des Lateranense IV ableiten zu wollen. Das Konzil hat Diözesen mit verschiedenem Ritus und verschiedener Sprache im Auge, und der Bischof soll für Gehilfen und Stellvertreter in seinem pflichtmäßigen Predigtamt sorgen. Er soll „cooperatores“ für Beichthören und ähnliche reine Seelsorgsangelegenheiten haben; nie aber kann in diesen Vorläufern des Canonicus poenitentiarius und des Weihbischofs der Ursprung eines G.-V. in unserm Sinn, d. h. einesGehilfeninderDiözesanregierung erblickt werden.74
IV.
Zusammenfassend ergibt sich also folgendes Bild. Die häufige Abwesenheit des Ordinarius machte seit dem 12. Jahrhundert eine Stellvertretung mit fest umschriebenem Vollmachtenkreis besonders notwendig. Diese Stellvertreter waren die Procuratores oder Vicarii generales, die mit der Fülle
Die Bestimmung des Lateranense IV aufgenommen ins Corp. Jur. Can. = c. 14 X 1, 31 : Quoniam in plerisque partibus infra eandem civita- tem et dioecesim permixti sunt populi diversarum linguarum, habentes sub una fide varios ritus et mores, districte praecipimus ut pontifices huiusmodi civitatum . . . provideant viros idoneos, qui secundum diver- sitates rituum et linguarum divina illis officia celebrent. und = c. 15 X
31 : . . . quum saepe contingat quod episcopi. . . per se ipsos non suffi- ciunt ministrare populo verbum Dei . . . sancimus, ut episcopi viros idoneos ad sanctae praedicationis officium salubriter exsequendum assumant . . . Unde praecipimus, tam in cathedralibus quam in aliis conven- tualibus ecclesiis viros idoneos ordinari, quos episcopi possint coadiuto- res et cooperatores habere, non solum in praedicationis officii, verum etiam in audiendis confessionibus et poenitentiis iniungendis, ac ceteris, quae ad salutem pertinent animarum.
] der bischöflichen Gewalt ausgestattet waren. Manchmal war nur einer, meistens aber mehrere „in solidum“ zu solchen Vicarii bestellt. Gewöhnlich nahm man zu diesem Amt angesehene Persönlichkeiten, wie Suffraganbischöfe, Äbte, Kanoniker u. dgl. Anfangs war das Amt des Generalvikars nicht ständig; die lange Abwesenheit vieler Bischöfe, die zum Teil überhaupt nicht mehr Residenz hielten, ließ aber j die Institution sich immer mehr festigen, sodaß wir den G.-V. | im 14. Jahrhundert dauernd im Amte sehen — selbst bei Anwesenheit des Bischofs, so z. B. im päpstlichen Avignon. Ein Konzil von Salamainca75 vom Jahre 1335 stellt ausdrücklich fest, daß die Jurisdiktion der G.-V. fortbestehen kann, auch wenn der Prälat anwesend ist, aber selbst die Regierung nicht ausübt.
Nach allem Gesagten ergibt sich der Unterschied von G.-V. und Offizial, wie er in deren Entstehungszeit schon bestand, mit aller Deutlichkeit. Wir können daher das Ergebnis unserer Betrachtungen in folgende Sätze zusammenfassen:
Der G.-V. hat die plenitudo potestatis episcopi, der Offizial ist nur Alter ego des Bischofs in seiner Eigenschaft als Richter.
Der G.-V. tritt bis ins 14. Jahrhundert nur in Tätigkeit bei Abwesenheit des Bischofs, der Offizial ständig.
Im Anfang — in Frankreich auch in der Folgezeit — werden meist mehrere G.-V. eingesetzt, die „in solidum“ berechtigt sind, der Offizial ist dagegen ohne Kollegen.
Die G.-V. sind meist höhere Prälaten, der Offizial ist gewöhnlich einfacher Kleriker. — Der Offizial und der G.-V. haben also in ihrer Genesis nicht das Mindeste miteinander zu schaffen — Letzterer stellt keine Abspaltung des Er-
steren dar. Das Amt des G.-V., das etwas jünger ist, ist vielmehr hervorgegangen aus der zeitweiligen Stellvertretung des abwesenden Bischofs. Seine rechtliche Stellung ist zu beurteilen nach den Grundsätzen der Lehre von der Stellvertretung, was weiter unten noch eingehend zu erörtern sein wird.
V.
Trotz dieser scharfen theoretischen Trennung vonG.-V. und Offizial darf es uns doch nicht wundern, daß wir öfters der Bezeichnung begegnen: „N.N. vicarius generalis et officialis“. In der Tat war es nämlich sehr häufig, daß unter den mehreren Generalvikaren auch der Offizial als einer von ihnen bestellt wurde. Es erklärt sich diese Bestellung aus seiner Geschäftsund Rechtskenntnis und aus der engen Verbindung, in der er mit dem Bischof stand. Auf die Vereinigung beider Ämter in einer Person macht Paul Fournier aufmerksam und fährt dann fort: „aber in solchem Fall erwähnt der Offizial, wenn er ein Geschäft vornimmt, die neuen Gewalten (seil, die des Generalvikars!), die er vom Bischof empfangen hat.“76 Damit widerlegt sich P. Fournier aber eigentlich selbst, denn gerade daß der Offizial in diesem Fall sich einer Erhöhung seiner Befugnisse und seiner neuen Stellung bewußt ist, zeigt, daß Eür gewöhnlich Offizial und G.-V. doch nicht „Synonyma“ gewesen sein können, wie er auf der folgenden Seite dann behauptet. Und auch die Anführung von Beispielen aus Italien,77 die Zitierung so vieler italienischer Kanonisten für iie Identitätstheorie, ist nicht weniger unglücklich. Denn in [talien waren, bei der Kleinheit der Diözesen, tatsächlich fast mmer beide Ämter in einer Hand vereinigt, wie es bis heute geblieben ist—eine Ordnung der Dinge, der ja auch derC.I.C. Rechnung trägt (can.1573 §1 u. §6). Es ist also festzustellen: iine Identität von Generalvikar und Offizial hat, iußer in Italien, nicht bestanden. Wo beide Ämter in
einer Hand vereinigt sind, handelt es sich um eine zufällige Personalunion.
§ 4. Das Generalvikariat oder „Ordinariat
Ähnlich wie beim Offizialat verlief auch die Entwicklung beim General vikariat. Auch hier kristallisierte sich um die Person des G.-V. eine Behörde: das Generalvikariat, auch I „Ordinariat“ genannt.78 Die Quellen über die Entwicklungsgeschichte dieser speziell deutschen Behörde sind überaus spärlich.79 Die Räte waren oft Domkapitulare — ein Recht, da-s sie sich manchmal in Wahlkapitulationen ertrotzten. Auch die Ämter des G.-V. und des Offizials waren Gegenstand des Ehrgeizes und Machtstrebens der Domkapitel. Zeuge dessen sind die Wahlkapitulationen, in denen der Bischof versprechen mußte, das eine oder gar beide Ämter nur mit Kanonikern zu besetzen. So erlangte das Kapitel zu Trier das ausschließliche Recht auf das Amt des Offizials bereits 1286, des G.-V. allerdings erst 1729;80 das Kapitel zu Konstanz das Offizialat 1294, das G.-V. 1491 ;81 das Kapitel zu Würzburg das Offizialat 1345, das G.-V. 1423;82 das Kapitel zu Eichstätt Offizialat und G.-V. 1415;83 das Kapitel zu Bamberg das G.-V. 1422;84 das Kapitel zu Breslau das
Offizialat und G.-V. 1456 ;85 das Kapitel zu Mainz das G.-V. seit 1459;86 das Kapitel zu Köln das G.-V. 1463.87 Jedenfalls aber mußte der Generalvikar bei Amtsübernahme schwören, nichts gegen die Rechte des Kapitels unternehmen zu wollen. Wir sehen hier eine Parallele zu den weltlichen Höfen; auch dort der Gegensatz zwischen dem bürgerlichen Verhältnissen entstammenden Minister (Mazarin, Colbert u. a.) und den frondierenden großen Vasallen, der Kampf zwischen dem Exponenten des Absolutismus und den Vertretern der Feudaloligarchie. Die Domkapitulare waren übrigens durchaus nicht immer als beisitzende Räte (mit beratender oder beschließender Stimme) im Generalvikariat tätig. Sie widmeten sich oft lediglich der Verwaltung des weltlichen Territoriums;88 wie denn überhaupt die Bedeutung der Kapitel in der alten deutschen Kirche mehr auf weltlich-politischem Gebiet lag, denn in der Teilnahme am geistlichen Regiment. Erst die Säkularisation und kirchliche Neuordnung hat die Kapitel, wenngleich nicht als solche, so doch ihre einzelnen Mitglieder zu ihrer eigentlichen Aufgabe zurückgeführt, Räte und Gehilfen des Bischofs, bezw. des Generalvikars, bei der geistlichen Verwaltung der Diözese zu sein.
In Frankreich konnte es ohnehin kaum zu einer kollegialen Generalvikariatsbehörde kommen, da dort in den größeren Diözesen die solidarische Beauftragung mehrerer Generalvikare die Regel war. In Italien waren alle Geschäfte in der Hand des Bischofs, bezw. seines einzigen Generalvikars, vereinigt, der zugleich auch das Amt eines Offizials bekleidete. Für Ausbildung einer Ordinariatsbehörde wäre hier kaum die nötige Grundlage gewesen. Eine monographische Darstellung dieser Diözesansonderrechte und ihrer ge-
schichtlichen Entwicklung ist hier nicht möglich, weil eine derartige Arbeit den Rahmen unseres Themas weit ü ^er schreiten würde. Auch sind auf diesem Gebiete kaum or arbeiten geleistet worden. Für einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Ordinariate in Deutschland in jüngster Zeit und über ihren gegenwärtigen Aufbau, sei auf das näc ste Kapitel verwiesen.
Wir stehen am Ende unserer Betrachtung über den i- sprung und die erste geschichtliche Entwicklung der bei en wichtigsten Faktoren der bischöflichen Kurie: des Offiziös und des Generalvikars. Denn um G.-V. und Offizial gruppie ren sich, unter wechselndem Namen, in Deutschland jene beiden Kollegien, die entsprechend den Intentionen Pius ^ auch im Bereich der Diözesankurie die Auseinanderlegung von Gericht und Verwaltung verkörpern. Es war angezeigt, diesen historischen Rückblick etwas auszudehnen, m
der Entstehungsgeschichte wertvolle Hinweise auf die Rec ts natur beider Institutionen liegen: weiter aber war die sicht maßgebend zu zeigen, daß die Ordnung des Codex ie ursprüngliche Organisation allenthalben wiederherstellt, m Verlauf der Untersuchung wurde das Werk von Ed. Fournier öfters herangezogen — denn im wesentlichen dürfte es en wahren geschichtlichen Verlauf, einer irrigen Schultradition gegenüber, in überzeugender Weise klargestellt haben, e tailfragen bleiben natürlich noch zu klären, so besonders ie Frage nach der Rechtsnatur der ersten „Offiziale in ü Westdeutschland. Dem Kampf gegen die Archididiakone iat Ed. Fournier wohl nicht die genügende Wichtigkeit ^eige messen, wenn er auch erkannt hat, daß die eine Trieb e er zur Schaffung der beiden neuen Beamten in der Abkehr vom Benefizialsystem und in der Einführung eines neuen „Beam tentypus“ zu suchen ist. Diese von Hilling zuerst hervor gehobene Neuerung, die Abkehr vom Benefizial- und in wendung zum Offizialsystem, war aber ein Teil des Kamp es der Bischöfe gegen die Archidiakone. Die andere Würze at Ed. Fournier für den Offizial in der rechtlichen Komplizie
rung, für den G.-V. in der Stellvertretung des abwesenden Bischofs gesehen. Beides mit vollem Recht, wie wir gezeigt zu haben hoffen. Das neue Recht brachte das neue Amt — das ist gegen Riedner festzuhalten. Wie die Stellung des G.-V. in der Lehre von der Stellvertretung wurzelt, und wie hier Ed. Fournier einen erheblichen Fehler gemacht hat in der näheren Charakterisierung der Procuratur, wird im dritten Kapitel der Grundlegung zu zeigen sein. F. Gescher möchte in seiner Besprechung des Buches von Ed. Fournier die Entstehung des „eigentlichen“ Generalvikars erst in den Anfang des 14., nicht schon des 13. Jahrhunderts verlegen. Im „Vi- carius generalis“ des 13. Jahrhunderts möchte er nur einen Vorläufer des späteren G.-V. erblicken. Gewiß ist der Unterschied zwischen dem für die Abwesenheit des Ordinarius bestellten Generalvertreter und dem Generalvikar der späteren Zeit, der sich mit dem Bischof in die Diözesanregierung teilt, sein rechtlicher Doppelgänger in etwa ist, von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Dennoch glauben wir an unserer Auffassung festhalten zu sollen. Wir sehen im „Vicarius generalis“ des 13. Jahrhunderts bereits alle Wesenselemente des späteren G.-V. vorgebildet — und auf die Gleichwesentlichkeit beider Vertreter sollte u. E. das Hauptaugenmerk gerichtet werden. Wir erblicken das Wesentliche in der Ernennung eines Stellvertreters mit derart weitgehenden Vollmachten; denn in der Eigenschaft „Alter ego episcopi“ zu sein, liegt auch heute noch das wahre Wesen des General - vikar-Amtes begründet, während das Amt eine sonderliche Stabilität auch heute noch nicht besitzt, sondern in seinem Bestände ganz abhängt vom Willen, der Regierungsfähigkeit und Regierungsfreudigkeit des vertretenen Bischofs. Wie gesagt : es erscheint uns als etwas zu weitgehend, im Moment der Ständigkeit oder Nichtständigkeit einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vicarius generalis des 13. und des 14. Jahrhunderts zu erblicken.
Kapitel.
Wesen und Aufbau des Ordinariates.
§ 1. Die Rechtsnatur der Diözesanbehörden.
Es war im Vorausgehenden bereits die Rede von der Ausbildung einer Generalvikariatsbehörde in Deutschland: dem „Ordinariat“. Von dieser Behörde soll im Folgenden eingehender die Rede sein, ehe die Stellung des Generalvikars selber besprochen wird. Schon hier sei bemerkt, daß Ordinariat vielfach mit „Bischöflicher Kurie“ synonym gebraucht wird, und dann auch dais Offizialat und die Kanzlei mitumfaßt. Der Ausdruck „Ordinariatus“ begegnet einmal im Konkordat Pius’ IX. mit dem König von Württemberg vom 8. April 1857,89sonst ist der Begriff in den Quellen mit „Curia dioecesana“ wiedergegeben. Einen Beweis für die Richtigkeit unserer These von der Synonymität von Ordinariat und Curia dioecesana finden wir im Bayrischen Konkordat vom24. Januar 1925,90wo wiederholt Ordinariat mit Curia dioecesana übersetzt worden ist.
Die Darlegungen über das Ordinariat haben ihren Platz in der geschichtlichen Grundlegung gefunden, obwohl vielfach auch geltendes Recht zu besprechen sein wird, da diese partikulare Rechtsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Dann aber steht auch die Darstellung des Sonderrechtes einzelner Gebiete ihrem Wesen nach der Rechtsgeschichte näher, als der Behandlung des geltenden „ius commune“, weil sich in ersterem die wechselnden und mannigfaltigen Erscheinungen viel reiner niederschlagen als in dem allgemeinen Recht der Weltkirche. Die Sätze des „ius commune“ wollen ja die ideale Norm sein, die, in sich unverändert, das feste
Rückgrat darstellt für die Rechtsbildung der einzelnen Länder und Diözesen. Das „ius commune“ ist ferner in hohem Maße durchlebt und getragen von der Theorie und somit vorzüglich geeignet für eine rechtsdogmatische Behandlung, während dem auf die einmaligen, praktischen Verhältnisse gerichteten Partikularrecht eine geschichtliche Betrachtungsweise viel eher angemessen ist. Ein weiterer methodischer Grund für die Darstellung der deutschen Ordinariatsverfassung im einleitenden, geschichtlichen Teil unserer Arbeit wurde darin erblickt, daß von dem Allgemeinen auf das Besondere zu gehen sei. Es soll gezeigt werden, wie beide Stellvertreter des Bischofs sich eingliedern in den Behördenapparat der Diözesankurie, dessen wichtigste Grundpfeiler sie sind. Weiter unten wird dann, nach einem Exkurs über die theoretische Fundierung beider Ämter in der Theorie der Stellvertretung, vom Generalvikar und Offizial im Einzelnen zu handeln sein.
Wie gesagt: es ist ein Charakteristikum der deutschen Kurialverfassung, daß dem G.-V. eine Behörde — „Generalvikariat“ oder „Ordinariat“ — zur Seite tritt, die in manchen Diözesen noch konkurriert mit einem „Allgemeinen Geistlichen Rat“. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen vor allem wohl in der Größe der deutschen Bistümer und der dadurch gesteigerten Arbeitslast; von Einfluß waren ferner vielleicht auch historische Reminiszenzen an eine Zeit, wo die mit dem Bistum verbundene Territorialherrschaft einen großen Behördenapparat nötig machte. Und wie man sich gewöhnt hatte die weltlichen Angelegenheiten im „Conseil“, in der „Geheimen Kanzlei“ und vielen „Dicasterien“ zu erledigen, so behielt man auch diesen Verwaltungsstil bei, als die Jurisdiktion auf das rein geistliche Gebiet beschränkt wurde. Die Gerichtsbehörden bieten ein vom gemeinen Rechte heute fast gar nicht mehr abweichendes Bild und wir können daher auf die Ausführungen über die allgemeinrechtliche Gerichtsverfassung, die sich weiter unten finden, verweisen.
Die erste Frage ist die nach der juristischen Persönlichkeit der Curia dioecesana (Ordinariat im weiteren Sinne) wie auch des Generalvikariates (Ordinariat im engeren Sinn). Unter den juristischen Personen unterscheidet der Codex zwei Gruppen: „personae morales collégiales“ und „personae non collégiales“ (can. 99). Erstere werden gebildet aus einem Verband physischer Personen. Es können auch juristische Personen ihrerseits wieder Glieder einer kollegialen juristischen Person sein, die Gesamtkirche z. B. umfaßt die einzelnen Diözesen ; eine Ordensgenossenschaft kann bestehen aus mehreren Provinzen oder Häusern. Auch die „personae morales non collégiales“ begreifen nicht nur Sachen im Rechtssinn unter sich, sondern auch Personen, oft sogar hauptsächlich diese, wie es z. B. bei der Gesamtkirche, der Diözese, der Pfarrei, demSeminar derFa.ll ist. Der Unterschied ist eben der, daß bei der ersten Kategorie eine kollegiale Verfassung besteht. Die Mitglieder des Kollegiums haben besondere Rechte, was die Willensbildung und Willensbetätigung des Kollegiums anbetrifft; während bei den nicht kollegialen juristischen Personen den unter ihr mitbegriffenen physischen Personen keine Einflußnahme auf die Akte der Gesamtperson gewährt wird. Es ist unbedingt nötig zum Entstehen einer juristischen Person des kirchlichen Rechtes, daß sie formell und schriftlich vom zuständigen kirchlichen Oberen errichtet wird, wenn nicht das Recht selbst ihr diese Eigenschaft schon beilegt oder sie dieselbe kraft göttlichen Rechtes besitzt (z. B. die Gesamtkirche). Als Wirkung der Errichtung ergeben sich die Rechts-, Erwerbs-, Prozeß- und Deliktsfähigkeit der juristischen Person: als Rechtssubjekt wird sie mit einem rechtlich relevanten Willen ausgestattet, wenigstens was den Effekt anbetrifft, wobei hier offen bleibe, ob das kanonische Recht auf dem Standpunkt der Fiktions- hypothese (Stutz) steht oder der juristischen Person eine reale Persönlichkeit beilegt (Lammeyer). Die Verleihung der Rechtspersönlichkeit durch den Codex braucht nicht mit ausdrücklichen Worten gesagt zu sein; es genügt, wenn der
Codex ein Institut so behandelt, als ob es eine juristische Person wäre.91 Ist dem Institut weder vom Recht noch vom kirchlichen Oberen Rechtspersönlichkeit verliehen worden, so haben wir nie eine wahre und eigentliche juristische Person nach can. 100 § 1 vor uns, sondern höchstens eine nicht rechts- und geschäftsfähige „Kollektivperson“,92 eine „com- munitas“, die zwar eine zu einer bestimmten Einheit verbundene Personengesamtheit sein kann, z. B. ein nicht rechtsfähiger Verein, die Alumnen eines Seminars, der aber der eigene Personalcharakter : das selbständige Fürsichsein abgeht. Als Elemente der juristischen Person nach kanonischem Recht ergeben sich also: die Verleihung der Rechtspersönlichkeit durch den Oberen oder das Recht, die Scheidung in kollegiale und nicht kollegiale Personen, die unbeschränkte Geschäfts- und Deliktsfähigkeit derselben.
Lassen sich diese Begriffsbestimmungen nun anwenden auf die Curia dioecesana? Die Bezeichnung „Curia“ ist der alt- römischen Verwaltungssprache entnommen und hier bedeutete sie den Verwaltungskörper einer Stadtgemeinde — etwa dem Magistrat der preußischen Stadt Verfassung entsprechend. Wie das Municipium selbst, so war auch die „Curia“ eine juristische Person.93 Diese Analogie der Bezeichnung hat nun vielleicht Gillet dazu verführt, auch eine Analogie des rechtlichen Charakters anzunehmen, und der Diözesan- kurie juristische Persönlichkeit beizulegen.94 Abgesehen von diesen rechtshistorischen, vermeintlichen Zusammenhängen, die ihn bewußt oder unbewußt beeinflußt haben mögen, stützt er sich auf can. 1572 § 2.95 In gleicher Weise tritt Lammey er
für die juristische Persönlichkeit der.Diözesankurie ein. Auch er beruft sich auf can. 1572 §2: „Nach dem neuesten Recht partizipiert die curia dioecesana am Charakter der juristischen Persönlichkeit. Klar und deutlich wird im Codex von den Rechten und Zeitlichen Gütern der curia dioecesana gesprochen und letzterie streng von den Rechten und zeitlichen Gütern des Bischofs und der nüensa geschieden . . . Somit ist die bisherige Kontroverse zugunsten der Rechtspersönlichkeit des Ordinariates entschieden. Dem Rechtscharakter nach ist die curia dioecesana zu den kollegialen moralischen Personen zu rechnen.“96
Wie steht es nun mit den Gründen, die man auf Grund des geltenden Rechtes für die These der juristischen Person* lichkeit der Kurie anführen kann? Denn welche Stellung die frühere Doktrin einnahm, werden wir weiter unten noch eingehend zu betrachten haben. Es ist zunächst auffällig, daß an keiner anderen Stelle des C.I.C., auch in den cajn. 363—390 nicht, wo ex professo über die Diözesankurie gehandelt wird, sich auch nur die leichteste Andeutung einer juristischen Persönlichkeit findet.97 Es werden nur auf gezählt alle Personen, „quae Episcopo aliive, qui, loco Episcopi, dioecesim regit, opem praestant in regimine totius dioecesis.“ Unter diesen Personen fehlen auch die „cursores“ und „apparitores“ (Amtsdiener, Briefträger und dgl.) nicht. Alle jene Personen, auch diese untergeordneten Hilfskräfte, in den Verband einer kollegialen juristischen Person eintreten zu lassen, geht doch nicht wohl an! Wir hätten dann keine „persona moralis colle- gialis“ vor uns, sondern ein „irreguläre aliquod corpus et monstro simile“. Das Recht setzt außerdem voraus, wie es auch ganz natürlich ist, daß es sich bei der persona moralis collegialis um eine Vereinigung von Personen handelt, von