Die Gründung der Kongregation. Erfolge und Schwierigkeiten.
Seit ihrem zwölften Lebensjahre hegte, wie wir gesehen haben, Elisabeth Eppinger den sehnlichsten Wunsch, als Ordensschwester dem Herrn und der Menschheit zu dienen. Ihre Krankheiten ließen die Erfüllung dieses Wunsches als unerfüllbar erscheinen. Da seit der Mitte des Jahres 1848 die vielen von dem Rufe ihrer Frömmigkeit angezogenen Besucher sie belästigten, bat sie trotz ihres Krankheitszustandes um Aufnahme in die Kongregation der Schulschwestern von der göttlichen Vorsehung zu Rappoltsweiler im Oberelsaß 19). Der damalige Superior der Genossenschaft, Bacher, trug kein Bedenken, Elisabeth ungeachtet ihres vorgerückten Alters und der voraussichtlichen Unfähigkeit, sich entsprechend dem Zweck der Lehrkongregation betätigen zu können, eine zusagende Antwort zu geben. "Die Schwestern", so schrieb er an Pfarrer Reichard am 15. August 1848, "fühlen sich glücklich, sie bald mit dem süßen Namen Mitschwester begrüßen zu dürfen. Ich habe den Namen, den sie tragen soll, eigenhändig eingeschrieben, nämlich Schwester Maria Alphonsa Liguori. Ich habe mit dem hochwürdigen Herrn Bischof davon gesprochen, der seine Einwilligung geben wird, sobald es sicher ist, ob es Gottes Wille sei, daß die Kranke Schwester der göttlichen Vorsehung werde. Dies ist zwischen Ihnen und der Kranken auszumachen, mit nachfolgender Genehmigung des Bischofs." 20) Vorerst, bis diese Genehmigung einträfe, ließ das Rappoltsweiler Mutterhaus auf eigene Kosten für die Kranke über dem Schuppen ihrer väterlichen Wohnung zwei eigene Zimmer einrichten, weil durch die vielen Besuche die Eltern in ihrer nicht sehr geräumigen Wohnung gestört wurden. So war tatsächlich Elisabeth Novizin der Vorsehungsschwestern geworden. Superior Bacher wartete nur auf die Einwilligung des Bischofs, um nach Niederbronn zu reisen und der Kranken das Ordenskleid zu überreichen. "Ich bin überzeugt", schreibt er unterm 20. August dem Pfarrer von Niederbronn, "daß der Eintritt der Schwester Maria Alphonsa in unserer Genossenschaft einen guten Eindruck auf unsere Schwestern machen wird. Diese Profeß wird nicht im mindesten den Einfluß hemmen, den diese Person auf andere Kongregationen, auf Priester und Laien ausübt."
Aber die Vorsehung hatte bereits anders entschieden. Denn zwei Tage vor diesem Schreiben hatte Bischof Räß brieflich 21) Pfarrer Reichard die Einwilligung zu diesem Plane versagt. Räß meinte, daß durch den Eintritt in eine bestimmte bestehende Genossenschaft der wohltätige Einfluß, den die Kranke bis jetzt auf weite Kreise ausgeübt hätte, eine beträchtliche Hemmung erfahren würde. Diesen Einfluß wolle er der Allgemeinheit gewahrt wissen, man solle in dieser Sache abwarten und nichts übereilen.
Bis zu dieser Zeit also dachte Elisabeth in keiner Weise daran, etwa einen neuen Orden zu gründen. Erst in den folgenden Septembertagen kam sie infolge innerer Erleuchtung zu diesem folgenschweren Entschlusse. Im Verlauf des ausgehenden Jahres 1848, das so viel Jammer und Not über die Völker Europas ausschüttete, nahm dieser Plan stets klarere und bestimmtere Gestalt an. Ihr Beichtvater Reichard, der von allen Einzelheiten des sicher heranreifenden, von der Gnade Gottes geleiteten Entschlusses unterrichtet war, erblickte darin endlich das Feld der Tätigkeit, das die Vorsehung endgültig nach langen Leidens- und Prüfungsjahren für Elisabeth bestimmt hatte. Noch wußte die Öffentlichkeit nichts davon. In aller Stille und Bedächtigkeit mußte der große Gedanke der Verwirklichung entgegenwachsen.
Aber bereits betrachtete sich die Kranke als erstes Mitglied der zu gründenden Genossenschaft, fühlte gewissermaßen schon die Pflichten, die sie ihr auferlegte. Am 20. Dezember 1848 legte sie mit Zustimmung Reichards folgende Gelübde ab, die zum Teil bloß erneuert wurden: 1. Das Gelübde der ewigen Keuschheit. 2. Das Gelübde des Gehorsams gegen den Beichtvater als ihren geistlichen Führer, zugleich schon als ihren Obern. 3. Das Gelübde der Armut: nämlich nicht mehr zu besitzen, als was zu ihren Lebensbedürfnissen notwendig sei, und dies nur mit Wissen und Gutheißen des Beichtvaters; alles Überflüssige ist für die Ehre Gottes und für die Armen zu verwenden nach Gutdünken desselben. 4. Das Gelübde, niemand als dem Beichtvater, auch keinen anderen Geistlichen, etwas von inneren Leiden zu reden, um Trost zu suchen. 5. Das Gelübde, niemand als den Beichtvater und nur mit dessen Erlaubnis dem Arzte von körperlichen Leiden zu sprechen. 6. Das Gelübde, zur Stärkung und Nahrung des Leibes nichts zu nehmen, als was der Beichtvater gestattet. 7. Das Gelübde, dem Beichtvater ohne Rückhalt alles zu offenbaren, was das innere, geistliche Leben betrifft. 8. Das Gelübde, mit anderen Personen nur von Gott oder von solchen Dingen sich zu unterhalten, die das Seelenheil jener betreffen. 9. Das Gelübde, nicht anzufragen, ob die durch Gott ihr mitgeteilten Gnaden bei andern Gutes wirken oder ob sie Widerspruch erregen.
Mit Ausnahme des erstgenannten Gelöbnisses behielt sich der Beichtvater vor, diese Gelübde aufzuheben oder abzuändern.
Bereits hatten Elisabeth und Reichard alle Einzelheiten der Neugründung festgestellt und überdacht. Am 22. Januar 1849 konnte der Pfarrer seinem Bischof die Konstitutionen schicken und um deren Approbation bitten. Bischof Räß, der sofort den Plan Elisabeths als dem Willen Gottes entsprechend ansah, stand dem Unternehmen mit freudigem Wohlwollen gegenüber. Aber er übereilte nichts. Sorgfältig prüfte er die Satzungen des neuen Instituts und gab verschiedene Verbesserungen an. Am 2. April sandte Reichard die verbesserte Arbeit ein und bat den Bischof abermals, die Statuten bald zu approbieren, den Superior zu ernennen, diesen zu ermächtigen, die Stiftung zu errichten, der Kranken das Kleid zu geben und ein Haus in Niederbronn zu erwerben. Die etwa vorhandenen Bedenken des Bischofs zerstreute er mit dem Hinweis auf die göttliche Vorsehung, welche die neue Genossenschaft ins Leben rufe und auch für ihren Fortbestand und Unterhalt in wunderbarer Weise sorgen werde. So groß war das Gottvertrauen des frommen Pfarrers, daß er sich ohne Bedenken auf die göttliche Providenz verließ. Dieses Gottvertrauen, einer der rührendsten Züge im Charakter des braven Mannes, der uns noch öfter begegnen wird, wurde reichlich belohnt. Einstweilen konnte er Räß die Mitteilung machen, daß schon eine große Anzahl von Personen sich zum Eintritt gemeldet hätte. Einige von ihnen wären vermögend und würden die Mittel zur Errichtung des Mutterhauses liefern. Das war immerhin schon etwas. Zudem war der Pfarrer, um sich ganz dem neuen Werke mit ungeteilter Liebe widmen zu können, von der Seelsorge entlastet worden durch die Sendung eines zweiten Vikars, der Ende März 1849 ankam. Dies war der fromme, mehr eifrige als kluge Georg Theobald Lienhart, der in der Folgezeit der neuen Stiftung durch reichliche Zuwendung aus seinem Privatvermögen ein großer Wohltäter wurde.
Doch welcher Art war nun die neue Genossenschaft, die Elisabeth Eppinger mit Gottes Hilfe ins Leben zu rufe gedachte? In Anbetracht ihrer geringen Bildung und des Mangels an Welterfahrung - sie war kaum aus ihrem Heimatort hinausgekommen - müßten wir uns ehrlich wundern, daß in dieser Seele ein so vortrefflicher, wohldurchdachter, den Zeitbedürfnissen aufs höchste entgegenkommender Plan entstand, wenn wir nicht ihr ganzes, von der Gnade so bevorzugtes Innenleben kännten. Nur eine von Liebe zu Gott und zur leidenden, verlassenen Menschheit glühende Seele, die selbst im Feuerofen des Leidens reichlich geprüft worden war, konnte den Gedanken zu einem so gearteten Werke fassen.
„Orden der Töchter des göttlichen Erlösers zur Verpflegung armer Kranken und Unterstützung anderer Armen, errichtet zu Ehren des göttlichen Herzens Jesu und des heiligsten und unbefleckten Herzens Mariä, unter Anrufung des hl. Alphons Maria von Liguori und der hl. Theresia“, so lautet der ganze Titel der neuen Genossenschaft im ältesten Text der Konstitutionen, der dem Bischof zur Begutachtung übergeben war. In der Einleitung dazu wird darauf hingewiesen, daß es nie an großen mildtätigen Genossenschaften gefehlt habe, welche die leidende und darbende Menschheit in großen Hospitälern versammelte. Aber in kleinen Orten und Städten fehle es an solchen Zufluchtshäusern. "Ein religiöser Orden, der es sich zur heiligsten und wesentlichsten Pflicht macht, die armen Kranken in ihren Hütten ordentlich und gut zu verpflegen und an ihnen die geistlichen und leiblichen Werke der Barmherzigkeit zu üben und die gesunden Armen ebenfalls in ihren Hütten aufzusuchen, damit die wahrhaft Dürftigen unterstützt werden, damit auch im nämlichen Augenblick, da ihnen das Almosen gereicht wird, ihren geistlichen Bedürfnissen abgeholfen werde: ein solcher Orden ist für die Städte und für das Land ein dringendes Bedürfnis, und die Nächstenliebe, so sehr sie auch die Wohltätigkeitsanstalten vermehrt hat, hat jedoch bis auf diese Zeit für einen solchen Orden noch eine große Lücke gelassen."
Man sieht also: die Hauskranken- und Armenpflege ist der Zweck des neuen Werkes, das tatsächlich einem dringenden Bedürfnis der Zeit entgegenkam. Der Gedanke zwar, der im Krankenzimmer zu Niederbronn feste Gestalt angenommen hat, war anderswo bereits aufgetaucht und in die Tat umgesetzt worden. Die Zeit des infolge der riesig anwachsenden Maschinenindustrie immer weiter um sich greifenden Pauperismus in fast allen Ländern Europas hatte ja schon vorher den edlen Franzosen Ozanam zur Gründung der Vinzenzvereine veranlaßt, in deren Dienst in der Folgezeit die Töchter des göttlichen Erlösers so oft berufen wurden. Die Hausarmenpflege war ja die wichtigste Aufgabe dieser wunderbaren Organisation. Auch waren schon im Jahre 1842 zu Neisse die "Grauen Schwestern" für ambulante Krankenpflege gegründet worden 22). In den 1845 durch Franziska Schervier in Aachen gestifteten "Armenschwestern vom hl. Franziskus" war neben anderen Aufgaben auch ambulante Kranken- und Armenfürsorge vorgesehen. Das beweist, wie sehr sich gerade seit den vierziger Jahren das Bedürfnis nach solchen Gründungen aufdrängte. Auch im Elsaß nahm die Armut, vor allem auf dem Lande, immer drohendere Formen an. Wo sich Armut und Krankheit verband, war das Elend doppelt schlimm 23). So erklärt sich die freudige Aufnahme, die das Werk Elisabeth Eppingers gleich von Anfang an in weiten Kreisen, namentlich bei allen Fremden der christlichen Wohltätigkeit fand 24).
Zu Ehren des göttlichen Herzens Jesu und des unbefleckten Herzens Mariä soll die neue Genossenschaft gegründet werden, denn "die Töchter des göttlichen Erlösers sollen diese heiligsten Herzen hauptsächlich durch Nachahmung in der Wohltätigkeit gegen die Notleidenden verehren, was eigentlich die schönste Verehrung derselben ist". Die heiligen Alphons und Theresia werden als Schutzpatrone gewählt, damit durch deren Fürbitte und Schutz der wahre Ordensgeist stets erhalten bleibe.
Über diesen Ordensgeist heißt es: "Der Geist der Töchter des göttlichen Erlösers muß der Geist Jesu Christi, ihres Vaters und Vorbildes, sein. Nach diesem Vorbilde müssen die Glieder des Ordens ihr inneres und äußeres Leben ganz einrichten. Ja der Geist Jesu soll sie beständig und so kräftig beleben, daß er sich in ihrem ganzen äußeren Wesen ausdrücke und somit sich nach dem Ausdruck des Apostels auch das Leben Jesu in ihrem sterblichen Leibe offenbare. Daher müssen sie sich jeden Tag in der Betrachtung des Lebens und besonders des Leidens Jesu üben. Sie müssen trachten, immer vor Gott zu wandeln und deswegen sich in beständiger Gemütssammlung durch unablässiges inneres Gebet zu erhalten suchen. Alles unnütze Geschwätz ist ihnen streng verboten. Ihre Unterhaltung darf nur sein von Gott, vom Wert der Seelen und von der Rettung derselben. Eifrig müssen sie für die Bekehrung der Sünder beten."
Die Absicht bei allen guten Werken an Kranken und Armen, an Waisenkindern und sonstigen Verlassenen muß unbedingt rein sein. Die Töchter des göttlichen Erlösers sollen "bei all ihren Liebesdiensten nichts anderes zur Absicht haben, als das Wohlgefallen Gottes zu erlangen, dem göttlichen Herzen Jesu und dem heiligsten Herzen Mariä nachzuahmen, in der Person der armen Kranken die Person Jesu Christi selbst zu bedienen".
Die Genossenschaft soll nichts besitzen als die zu ihrem Wirken nötigen Häuser mit Einrichtung. Sie setzt sich zusammen aus Jungfrauen von erprobter Tugend, beseelt von der Liebe zu Gott und den Nächsten. Eine Mitgift wird nicht gefordert. Wenn eine Postulantin freiwillig eine solche bringt oder sonst eine Schenkung macht, wird dies angenommen, um im Sinne des Geistes der Genossenschaft Verwendung zu finden. Den drei üblichen Ordensgelübden fügen die Töchter des göttlichen Erlösers noch das Gelübde bei, den Armen und Kranken zu dienen, an ihnen alle geistlichen und leiblichen Werke der Barmherzigkeit, die durch die Regel vorgeschrieben sind, auszuüben.
Der Bischof von Straßburg soll der Ordensobere sein; aber ein von ihm abgeordneter Geistlicher wird das Unternehmen leiten.
Die Töchter des göttlichen Erlösers tragen ein besonderes Ordensgewand, das ihrem Berufe entspricht. Mit allen Mitteln der christlichen Klugheit sollen sie die wirklich Armen und bedürftigen Kranken aufsuchen an den Orten, wo sie Niederlassungen besitzen, und in deren Umgebung. Es steht ihnen frei, auch Kranke der wohlhabenden Stände zu pflegen, doch dürfen sie nie eine Vergütung beanspruchen. Es ist ihnen aber gestattet, freiwillige Geschenke anzunehmen. Ersparnisse in Geld dürfen nur für den leiblichen Unterhalt des laufenden und des nachfolgenden Jahres angelegt werden. Die Häuser, die einen Überschuß aufweisen, müssen ihn den weniger gut gestellten Niederlassungen abgeben.
Das sind die hauptsächlichsten Gesichtspunkte, nach denen das neue Werk sich verwirklichen sollte. Wer möchte in Abrede stellen, daß aus all dem Angegebenen ein weiser und kluger Geist spricht, ein durchaus modernes, aber vom uralten Geiste christliche Wohltätigkeit getragenes Verständnis für die sozialen Schäden der Neuzeit? So erweist sich die arme Bauerntochter von Niederbronn, die nur ihren eigenen Namen schreiben konnte, die aber von der Gesinnung der wahren christlichen Liebe und vom Geiste vollendeter Selbstlosigkeit durchdrungen war, in ganz anderem Maße als Wohltäterin der leidenden Menschheit als jene zahlreichen aufgeblasenen Volksbeglücker, die damals mit verworrenen sozialistischen Theorien die Menschheit beglücken wollten. Gott segnete ihr Werk, weil es keine irdischen, zeitlichen Erfolge suchte, sondern um Gottes Willen gegründet wurde; er segnete es so reichlich, weil seine Dienerinnen selbst alles verlassen mußten, um in freiwilliger Armut Christus nachzufolgen, um den Armen alles zu werden. Denn es bleibt immer wahr: "Wer Großes und Nachhaltiges für die Armen wirken will, der muß selbst arm mit den Armen werden. Er muß sich ganz den Armen weihen, alle Gedanken seines Geistes, alle Kraft seines Herzens, alle Glut seiner Liebe, all sein zeitliches Glück, seine Ehre, sein Vermögen, seine Hoffnung und sein ganzes Leben der Armut opfern, sich opfern, ganz opfern, ohne Rückhalt, ohne je wieder zurücknehmen zu wollen, was er einmal gegeben." 25)
Dem Drängen Elisabeths und den Bitten Reichards konnte Räß nicht mehr länger widerstehen. Die feste und bestimmte Zuversicht der beiden, ihr felsenfestes Vertrauen auf die göttliche Vorsehung ließ ihn ohne Zögern die Erlaubnis geben, im Sommer 1849 mit der Gründung zu beginnen. Er hat es nicht zu bereuen gehabt. Von den ersten bescheidenen Anfängen an hat er seine schützende Hand über die neue Kongregation gehalten, hat sie ausbreiten helfen und im In- und Ausland ihr die Wege geebnet. Unter allen geistlichen Genossenschaften seiner Diözese hat Andreas Räß keine so bevorzugt wie die Stiftung Elisabeth Eppingers.
Eifrig ging nun Reichard ans Werk.
Zunächst galt es, die nötigen Gebäulichkeiten für die geplante Niederlassung zu finden. Von dem Gerber Ignaz Vögele erhielt Reichard schenkungsweise einen 5 Ar großen Garten, einen solchen von 9 Ar mit dem Gerbhaus überließ derselbe für einen Kaufpreis von 10000 Franken; von der Witwe Witt erwarb Reichard einen Hofraum nebst Stallung und Schuppen für 2740 Franken; dazu von Ignaz Vögele noch das Wohnhaus seiner Enkel, eine ehemalige Mädchenschule, für 6000 Franken. Alles dies wurde im Sommer gekauft. Schuppen und Stallung wurden niedergerissen, das Wohnhaus sofort eingerichtet; am westlichen Giebel ließ Reichard ein etwa 4 Meter breites und ebenso langes Chor anbauen. Die Hälfte des Erdgeschosses diente als Schiff der Kapelle, darüber hatte Elisabeth ihr Wohnzimmer, von welchem sie durch eine Fensteröffnung ins Chor sehen konnte, wenn sie krankheitshalber verhindert war, mit den Schwestern dem Gottesdienste beizuwohnen.
Der 28. August 1849 war der für die Geschichte der Niederbronner Schwestern ewig denkwürdige Tag, an welchem ihre Stifterin von dem notdürftig eingerichteten Klösterlein Besitz ergriff. Der Vicomte de Bussierre hatte es sich nicht nehmen lassen, mit seiner Gemahlin die Kranke von ihrem Elternhause im Herrschaftswagen nach dem neuen Heim zu überführen. Es schien, als sollte mit dem neuen Beruf die alte Leidenszeit ein Ende haben. In einer Aufzeichnung dieser Vorgänge meldet Reichard: "Nach einer vierjährigen Krankheit, während der sie beinahe immer bettlägerig und sehr schwach war, konnte sie jetzt ohne Hilfe und leicht im Hause herumgehen, um die innere Einrichtung desselben vollends anzuordnen."
Mit drei Postulantinnen war sie ins neue Haus eingetreten, im Laufe der Woche wuchs deren Zahl auf zehn an. Am 7. September wurde die bescheidene Kapelle in Gegenwart einiger Geistlicher und Badegäste eingeweiht. Der Abbé Busson richtete an die kleine Schar der Postulantinnen eine Ansprache, in der er sie beglückwünschte zu ihrem Berufe und sie ermahnte, mit ganzer Hingabe ihrer Person dessen Pflichten zu erfüllen.
Am 10. September fand eine im Leben einer klösterlichen Genossenschaft nicht minder wichtige Feier statt: die feierliche Einkleidung der Stifterin, welche Pfarrer Reichard im Auftrage des Bischofs vornahm. Nach dem Absingen des Veni Creator hielt Reichard eine Anrede über den Psalmtext (44,10): "Die Königin steht zu deiner Rechten in einem goldenen und vielfarbigen Kleide." Diese Königin, so deutet der Redner den Text, ist die Kirche, das goldene Kleid die Liebe, die verschiedenen Farben versinnbilden die Werke der Liebe. Nach einem Überblick der verschiedenen Orden, die zur Milderung des vielgestaltigen menschlichen Elends im Laufe der Jahrhunderte in der katholische Kirche gegründet wurden, zeigte der Prediger, wie auch die neugegründete Kongregation der Kirche angehöre: "Sie bildet sich mit Genehmigung des obersten Hirten dieser Diözese und steht unter seiner Aufsicht; er genehmigt provisorisch ihre Statuten und Satzungen. Was die Werkzeuge anbelangt, welche diesem Werke vorstehen, so hat sie Gott führwahr aus dem geringsten und schwächsten Stande gewählt. Dies soll uns aber nicht in Staunen versetzen: Gott wollte, daß die Ehre des Erfolges ihm und nur ihm allein zukäme."
Mit diesem kleidsamen, würdigen Ordensgewande, das noch heute die Ordenstracht der Genossenschaft bildet, erhielt Elisabeth den Namen Marie Alphons, den sie liebgewonnen hatte. Als Schwester Marie Alphons wird sie uns fortan begegnen. Mit Genehmigung des Bischofs wurde sie Generaloberin der neuen Kongregation. Am 25. September erhielten neun aus dem Elsaß stammende Postulantinnen das Ordenskleid. Ihre Namen mögen, da sie die ersten Mitglieder waren, der Nachwelt erhalten bleiben:
1. Magdalena Stohwasser aus Niederbronn;
2. Josephine Bersing aus Straßburg;
3. Sophie Ohl aus Mommenheim;
4. Marie Salome May aus Neuhof bei Straßburg;
5. Franziska Thirse aus Willgottheim;
6. Eleonore Ruf aus Forstheim;
7. Ludovika Riefel aus Andlau;
8. Barbara Mayer aus Thann;
9. Maria Anna Schmitt aus Niederbronn.
Mit Einstimmigkeit wurde Magdalena Stohwasser zur Assistentin gewählt.
Die kleine Genossenschaft vermehrte sich rasch. Im Laufe des Oktobers kamen elf neue Bewerberinnen und baten um Aufnahme. So war die Kongregation schon auf 20 Mitglieder gestiegen, denen die Oberin mit dem Tugendbeispiel voranleuchtete. Zahlreiche andere Anmeldungen lagen schon vor. Der Ruf der Stifterin verlieh dem Unternehmen eine fast wunderbare Zugkraft, und die Macht ihrer Persönlichkeit wirkte auf ihre Untergebenen mit unwiderstehlicher Gewalt. Mit freudigem Stolze konnte der Superior Reichard dem Bischof bereits von dieser kurzen Zeit melden: "In den schon als Postulantinnen aufgenommenen Jungfrauen weht ein so heiliger Ordensgeist, den man nur in lange geübten Ordenspersonen suchen würde. Erstaunlich ist, wie sie im geistlichen Leben, in der äußeren, aber hauptsächlich in der inneren Abtötung sowie im Eifer, den Armen und armen Kranken zu Hilfe eilen, in so kurzer Zeit vorangeschritten sind." Von Schwester M. Alphons weiß er nur Erbauliches zu berichten: "Fast täglich hält sie Unterricht, und bei jedem Unterricht zerfließen die Postulantinnen in Tränen. Frohsinn, der sich beständig auf dem Angesichte der Oberin abmalt, sieht man auch immerfort in diesen guten Kindern bei ihren Beschäftigungen, in ihren Andachtsübungen und bei ihren Abtötungen."
Am 15. Oktober, dem Feste der hl. Theresia, klopfte man zum ersten Male an der Klosterpforte an, um Hilfe zu erbitten für eine arme Frau, die seit einigen Tagen unter Schmerzen ihrer schweren Stunde entgegensah. Schwester M. Alphons schickte sofort zwei Postulantinnen mit Weißzeug und Nahrungsmitteln zu der Kranken. Zwei Tage später ging sie selbst zu ihr hin, wechselte die Bettwäsche und sprach ihr Trost zu; denselben Abend noch wurde die Kranke glücklich entbunden. Am 28. Oktober kam eine protestantische Frau, um die Oberin zu ihrem schwerkranken Mann zu holen.
Aber auch auf einem anderen Gebiete hatte man bereits mit der praktischen Liebestätigkeit eingesetzt. Seit dem 18. Oktober, wo die Winterschulen begonnen, nahm man ca. 25 arme Schulkinder auf, von denen die meisten aus weitentfernten Gehöften und Weilern zur Schule mußten; sie erhielten im Kloster ein aus Brot und Suppe bestehendes Frühstück, am Mittag ein Mittagessen. Unterm 30. November meldete der Superior dem Bischof, daß ein Sterbender, der in einer vom Kloster ziemlich weit entfernt auf einer Anhöhe liegenden Hütte wohnte, Schwester M. Alphons rufen ließ. Obschon sie leidend war, bat sie ihren Beichtvater - Reichard blieb es immer -, ihr den Besuch zu ge-statten. "Der Kranke war von inneren Ängsten geplagt; sie sprach ihm Vertrauen auf Gott ein, betete mit ihm, munterte ihn auf und verweilte so bei ihm bis Mitternacht. Der arme Kranke ward sehr getröstet, seine Furcht verschwand, mit fröhlichem Herzen und heiterem Angesichte bedankte er sich bei der Schwester für ihren Besuch. Mehrere Männer, die gegenwärtig waren, standen ganz gerührt und in ehrfurchtsvoller Haltung da. Der Herr verlieh der liebevollen Schwester eine solche Kraft, daß sie sich sogar den andern Tag stärker fühlte." (Reichard an Räß)
Auf die protestantische Frau dieses Mannes und andere Andersgläubige machte dieser Besuch einen guten Eindruck. Das Mißtrauen und der spöttische Zweifel, mit dem man in diesen Kreisen dem Werke der armen Bauerntochter begegnete, wichen allmählich einer gewissen Achtung.
Am 21. November erhielten die bereits eingetretenen Postulantinnen das Postulantinnenkleid; unter ihnen befand sich eine aus Gruns in Vorarlberg, die aber bald wegen unverträglichen Charakters entlassen werden mußte. Am 27. Dezember empfingen zehn Postulantinnen das Ordenskleid; es waren acht von den zuerst Eingetretenen, deren Namen oben überliefert wurden, und zwei später Angekommene.
Am 2. Januar 1850 legt die Oberin feierlich Profeß ab. Nach der erhebenden Zeremonie hielt eine der Novizinnen eine Ansprache an Schwester M. Alphons, und alle, die Postulanten eingeschlossen, gelobten ihr Gehorsam. Am 7. Januar wählten die zehn Novizen zwei Assistentinnen; als erste ging aus der Wahl hervor Schwester Eugenia (Maria Roßler aus Romansweiler), als zweite Schwester Adelheid (Salome May). Die Kongregation bestand jetzt in aller Form.
Wovon aber erhielt sich die junge Genossenschaft? Die bescheidenen Räumlichkeiten waren durch den Zuwachs an Bewerberinnen am Anfang des neuen Jahres 1850 bereits zu klein geworden. Im April belief sich die Zahl der Insassen auf über 60 Personen. Der Superior stand vor der schwierigen Frage einen Neubaues. Am 21. März legte er dem Bischof bereits die Pläne vor und berührte auch die Geldfrage. Sein Standpunkt ist immer noch derselbe: "Dieses Werk ist das Werk Gottes; er wird daher für alles Nötige sorgen. Da dieser Neubau unbedingt notwendig ist, wird der Herr uns auch die nötigen Einnahmequellen öffnen. Gott selbst wird bauen, die Mittel werden nicht fehlen." Reichard beweist sodann, daß dieser schöne Gedanke kein bloßes Phantasiegebilde sei. "Wenn man genau alles prüft, was bei dieser Stiftung vor sich ging, kann man nicht zweifeln, daß es Gottes Werk ist. Als wir anfingen, kamen die Gaben von allen Seiten und so reichlich, daß sich die Gesamteinnahme auf über 27000 Franken beläuft. In dieser Summe sind nur 3000 Franken von Mitgliedern der Genossenschaft einbegriffen; auch Naturalienschenkungen im Wert von 6000 Franken sind nicht mitgezählt. Nach Bestreitung eines großen Teils der Kaufsumme, der Kosten für Reparaturen und Instandsetzung, die sich auf 10000 Franken beliefen, blieben uns noch 3000 Franken in der Kasse. Beweist das nicht, daß Gott selbst für sein Werk sorgt? Würde ich mich nicht gegen die Vorsehung Gottes versündigen, wenn ich an ihrem weiteren Schutze zweifelte?" Am folgenden 27. April kann er freudestrahlend melden, daß sein Vertrauen ihn nicht täuschte. "Der liebe Gott ist rasch in seiner Hilfe für sein Werk. Aber was kann nicht anders sein, da der hl. Joseph sein Beschützer und Baumeister ist." 30000 Franken seien ihm bereits zugesichert. "Da zeigt sich der Finger Gottes." Räß selbst übermittelte im Juni eine zu diesem Zweck gemachte Gabe von 1000 Franken. Mit Zuversicht hatte daher Reichard mit dem Bau angefangen. Ende April begann man die Fundamente zu graben; der sumpfige Boden machte das kostspielige Einrammen von Eichenpfählen nötig. Am 19. Mai wurde der Grundstein zum Neubau gelegt 26). Im November konnte er bereits von den Schwestern bezogen werden. Die Bausumme, die sich auf 41723 Franken belief, konnte aus den stets unverhofft eingehenden Spenden beglichen werden.
Im folgenden Jahre (1851) mußte Reichard an den Bau einer größeren Kapelle denken. Als am 2. August 20 Postulantinnen das Kleid erhielten, fand die Zeremonie in der Pfarrkirche statt; Bischof Räß selbst war erschienen und nahm sie im Beisein von 18 Geistlichen vor. Er ermächtigte den Superior zum Bau der geplanten Kapelle, deren Grundsteinlegung am 25. September stattfand. Einer der größten Wohltäter, dessen Geberhand nie ermüdete und der auch zu diesem Bau viel beisteuerte, war der Rentner Burgun von Saaralben. Zwei Tage vor der Feier hatte ein Unbekannter der Schwester M. Alphons 1100 Franken abgegeben. Die Briefe Reichards an den Bischof aus den Jahren 1850-1853 sind voll von Berichten unerwarteter Geldspenden, die immer zur rechten Zeit eintrafen.
Am 21. Dezember 1852 konnte endlich die Kapelle unter zahlreicher Beteiligung der ganzen Bevölkerung durch Bischof Räß eingeweiht werden, ebenso der von einer Wohltäterin gestiftete gotische Hochaltar aus weißem Marmor. Ein farbiges Glasfenster, das ebenso ein Geschenk war, tauchte das zierliche Chor und den weißen Hochaltar in geheimnisvolles Licht. Die Freude der frommen Genossenschaft über den einfachen, aber geschmackvollen Bau kann man sich lebhaft vorstellen. Er ist im großen und ganzen unverändert geblieben bis auf unsere Tage. Für die neuere Kirchenbaugeschichte des Elsaß bedeutet er einen Markstein: mit ihm hält der so lange verachtet gewesene gotische Baustil wieder seinen Einzug im Elsaß; auch die von Reichard erbaute Kapelle im nahen Jägertal war in gotischen Formen gehalten 27).
In dem neuen Heim, das mit Gottes Hilfe so überraschend schnell zustande gekommen war, konnte sich nun die Genossenschaft unter der Führung der frommen Generaloberin für ihre erhabene Mission vorbereiten. Wir haben bisher nur ihr rasches, günstiges Wachstum verfolgt und nicht der Schwierigkeiten gedacht, die sich von Anfang an dem Werke entgegenstellten. Diese blieben, wie zu erwarten war, nicht aus. Alle jene, die von Anfang an die "Schwärmerin von Niederbronn" - als solche betrachtete man sie vielfach - bekämpft hatten, waren auch ihrer Stiftung nicht hold. Dazu kam - was der Geschichtsschreiber nicht unerwähnt lassen darf -, daß Schwester M. Alphons durch ihr Eintreten für einen Abenteurer, der während der zweiten französischen Republik als angeblicher Sohn des hingerichteten Königs Ludwig XVI. Ansprüche auf den französischen Thron erhob, in ganz Frankreich neben ihren zahlreichen Anhängern vielleicht noch mehr Feinde sich zuzog. War es eine Zulassung Gottes, der sie in der Demut erhalten wollte, als er diese Irrung zuließ? 28)
Ein heftiger Gegner erwuchs der Stifterin in dem Bischof von La Rochelle, der ihr bewußte Täuschung vorwarf. Schwester M. Alphons litt schwer unter solchen Anschuldigungen. Louis de Cissey, ein französischer Edelmann, der während seines öfteren Aufenthaltes in Niederbronn Gelegenheit genug gehabt hatte, Schwester M. Alphons und ihr Werk kennen zu lernen, suchte in längerem Briefwechsel den Kirchenfürsten eines Besseren zu belehren. In einem ausführlichen Schreiben (Juni 1850) wies er in wirksamer Weise vor allem auf das Werk der Stifterin hin. Als die Stimme eines Zeitgenossen ist das Zeugnis für uns von besonderem Wert: "Ein vor kaum zehn Monaten gegründeter Orden ohne jede sichere Einnahmequelle, der schon eine erste Niederlassung besitzt, die 30000 Franken gekostet hat, und der ein sehr weitläufiges Klostergebäude aufführt, für das die Mittel fließen; ein Orden, der bereits auf die Armen, die er reichlich unterstützt, den denkbar besten moralischen Einfluß ausgeübt hat und diesen Winter täglich 80 Personen nährte; ein Orden, an dem man von allen Seiten Gesuche um Schwestern richtet, der bereits vier Töchterniederlassungen besitzt, der von Postulantinnen in so großer Anzahl aufgesucht wird, so daß man aus Mangel an Raum kaum den vierten Teil aufnehmen kann: erinnert Sie dieser Orden nicht an die Klostergründung der hl. Radegundis zu Poitiers und des hl. Bernhard von Clairvaux? Dieser Orden, der von Anbeginn an in dem hochwürdigsten Herrn Bischof von Buffalo, der nach Rom reiste, das größte Bedauern weckte, daß man noch nicht ausgebildete Schwestern genug hatte, die er nach Amerika mitnehmen könnte, erhielt von ihm das Lob gespendet, daß er einen so wirksamen und glücklichen Einfluß für die Besserung und Bekehrung der armen Volkskreise ausübe, daß er ihm als von der Vorsehung auserwählt scheine, in seiner ungeheuren Diözese die zahlreichen Nichtkatholiken der Kirche zuzuführen." Herr von Cissey hob ferner dem Bischof von La Rochelle gegenüber die hervorragenden Tugenden der Gründerin hervor, wies besonders hin auf ihren Gehorsam und ihre Demut. Bemerkenswert bei dieser Angelegenheit ist die Stellung, welche Bischof Räß gegenüber der Haltung seines Mitbruders von La Rochelle einnimmt. Mit Bezugnahme auf diese schreibt er an Herrn von Cissey unterm 21. Juni 1850: "Wenn ich nicht aus nächster Nähe das sehe, was andere so genau und deutlich aus der Ferne bemerken, so wird mir Gott wohl meine Torheit und meine unfreiwillige Blindheit verzeihen und gestatten, daß die Tausende von wirklichen oder scheinbaren Gunstbezeigungen, die er Schwester M. Alphons erwiesen hat, als ebenso viele mildernde Umstände gelten. Wenn ein in steter Keuschheit und Reinheit zugebrachtes Leben, wenn ebenso zahlreiche als aufrichtige Bekehrungen, wenn ihre weisen Ratschläge und die einfachen und hinreißenden religiösen Unterweisungen, wenn die Werke der Liebestätigkeit, welche jedermann erbauen und in Erstaunen setzen, das Werk des Bösen sind, dann bin ich ganz geneigt, ihm ein Dummheitszeugnis auszustellen." 29)
In dieser Zeit der herbsten Prüfung, die Schwester M. Alphons mit Ergebenheit ertrug, erhielt das Mutterhaus in Niederbronn den Besuch eines edlen Mannes, dessen Stimme ebenfalls nicht ungehört verhallen möge. Anfang Mai sprach der treffliche österreichische Staatsrat Jarcke 30) bei Schwester M. Alphons vor. Vielleicht hatten ihn gerade die Stimmen der Gegner verlockt, an Ort und Stelle selbst sich zu vergewissern, wie es in Wahrheit stehe. Am 7. Mai 1850 schrieb er über seine Eindrücke an Räß: "Ich habe in Niederbronn die gute Elisabeth und in Reichshofen den edlen, liebenswürdigen Bussierre mit voller Muße gesprochen. Der aszetisch-moralische Eindruck, den mir die erstere machte, war der einer tiefen Rührung; wer die Elisabeth und den hochwürdigen Pfarrer auch nur zehn Minuten lang gesprochen hat und danach an die Möglichkeit eines menschlichen Betruges glauben kann, der ist kein Menschenkenner."
Unter der elsässischen Geistlichkeit fand das Werk von Niederbronn von Anfang an viele Gegner. Das alte Wort vom Propheten, der nichts gilt im Vaterlande, bewahrheitete sich auch hier. Um falschen Gerüchten ein Ende zu bereiten, forderte Räß Schwester M. Alphons auf, unter seiner persönlichen Leitung im Kloster Notre-Dame zu Straßburg geistlichen Übungen obzuliegen; diese fanden Ende Januar und Anfang Februar 1851 statt. Dem Superior schrieb der Bischof hierüber: 31) "Ich bin sehr zufrieden, daß diese Exerzitien stattgefunden haben, Gott wird seinen Segen verleihen und hoffentlich das Gute befördern." Manche Gegner freilich schöpften gerade aus der Tatsache dieser Exerzitien Stoff zu neuen Angriffen und Anfeindungen, die auch weiter um sich zu greifen drohten. Da ist ein Schreiben des Bischofs an einen deutschen Prälaten von besonderem Interesse 32). Räß antwortet auf dessen Anfrage, "um eine Unwahrheit zu widerlegen": "Vor etwa anderthalb Jahren approbierte der Heilige Vater meine Handlungsweise in der Niederbronner Angelegenheit und gab mir den Rat, die Schwester M. Alphons eine Zeitlang unter eine andere geistliche Leitung zu stellen, nicht als hätte man den mindesten Verdacht gegen den Beichtvater, sondern weil dieses eine allgemeine Vorschrift der Kirche sei. Schwester Alphons stellte sich mit Freuden ein; ich wies ihr ein hiesiges Kloster an, sah und prüfte sie während zwei Wochen jeden Tag und wurde in meiner guten Meinung mehr als bestärkt. Hierauf ließ ich sie wieder nach Niederbronn zurückkehren. Von diesem einfachen und natürlichen Umstande, dem viele Heilige unterworfen wurden, wird nun Anlaß genommen, die Schwester M. Alphons neuerdings zu verleumden und die redlichen Leute irrezumachen. Ihre Anstalt ist blühender als je. Die Schwestern werden nach allen Gegenden verlangt. Die Niederbronner Kongregation ist ganz im kanonischen Geleise. Sie hat einen Superior, einen ordentlichen und einen außerordentlichen Beichtvater. Letzterer ist der hiesige Kanonikus Doffner, ein Mann von scharfem Urteile und kaltem Benehmen. Das Gute, das diese frommen und opferwilligen Personen überall stiften, ist unberechenbar."
Auch das Jahr 1852 ließ sich zunächst schlecht an. Von Frankreich her drohten Gewitterwolken. Unterm 5. Februar meldet der Superior mit bedrücktem Herzen seinem Freunde Busson, daß man in Frankreich ihre Sache verlasse, ja sogar verfolge, wenn Gott es zuließe. Nur in Deutschland erweckte der Herr Beschützer. Aber Reichard verzagte nicht. Nichts kennzeichnet besser den Seelenzustand des edlen Mannes als der nachfolgende Erguß seines Herzens: "Wenn ich mich in die Notwendigkeit versetzt sähe, die Pforten des Klosters zu schließen, es zu verlassen und mich nicht mehr mit dem Werke zu beschäftigen, sei es infolge unvorhergesehener Ereignisse, sei es auf Befehl meiner Obern, so würde ich mich augenblicklich unterwerfen. Ich würde sicher darunter leiden und mein Kummer wäre groß; aber ich würde nicht wanken. Was wollen wir, Schwester M. Alphons und ich, denn anders als nur die Erfüllung des göttlichen Willens? Zeigt sich darin der Wille Gottes, so gehorchte ich, ohne mich um die kommenden Dinge zu kümmern. Befreit von aller Verantwortlichkeit des Gewissens, würde ich mich still zurückziehen und mich vor Gott verdemütigen, daß ich fürderhin unwürdig sei, an seinem Werke mitzuarbeiten." 34)
Aber die Sonne blickte doch wieder durch die dunklen Wolken; viele Anfragen um Schwestern zeigten, daß es neben den Gegnern auch noch zahlreiche Freunde gab. Bereits schickte sich das katholische Bayern an, Töchter des allerheiligsten Erlösers zu begehren. Daß aber in manchen Kreisen das Mißtrauen, das einmal Wurzel gefaßt hatte, nur langsam schwand, zeigt ein bemerkenswerter Brief, den der Redemptoristenpater Aloisius Amhard am 13. August 1858 an Reichard richtete. Er fühlte sich verpflichtet, "ein Geständnis zu machen". Infolge vieler mißbilligender Urteile, die er zu hören bekam, wollte er von den Niederbronner Schwestern nichts wissen. Bei einem Kuraufenthalt in Niederbronn aber habe er unbemerkt aus nächster Nähe seine Beobachtungen angestellt, und diese fielen zugunsten der Schwestern aus. "Ich sehe nun, daß alles Verleumdungen waren, die ich gegen die Schwestern von Niederbronn gehört habe, und daß in der Kongregation nicht nur kein weltlicher und leichtfertiger Charakter herrscht, sondern der Geist Gottes." Schließlich wollte er auch die Stifterin in der Nähe sehen. "Die Unterredung war kurz, ich erkannte aber bald eine hohe Erleuchtung an der ehrwürdigen Mutter. Ihre völlige Ergebung in den heiligen Willen Gottes, ihr großes Verlangen nach Demut und Kreuz, ihre Furcht vor übernatürlichen Erscheinungen, ihre gänzliche Abhängigkeit vom Beichtvater und dem hochwürdigen Bischofe, ihre Einfachheit in der Rede und ihre ungewöhnliche Leichtigkeit, mit welcher sie von göttlichen Dingen redet - alles dieses überzeugte mich, daß ich eine von Gott hochbegnadete Person vor mir hatte. Ich bin sehr zufrieden, sie einmal gesprochen zu haben. Auch habe ich die Regeln der Kongregation mit großem Interesse gelesen und fand darin nicht nur einen frommen, demütigen und aufopfernden Geist, sondern auch viel Klugheit und Menschenkenntnis, namentlich in Rücksicht der Behandlung der Kranken. Ich bin nun gar nicht erstaunt, warum der hochwürdige Bischof von Straßburg mit so großem Vergnügen auf die entstehende Kongregation herabblickt und sich für dieselbe verwendet. Sie ist ein Werk Gottes, er wird dasselbe schützen und pflegen. Ich bin überzeugt, daß sich nicht nur viele Mitglieder der Kongregation heiligen, sondern daß diese auch vielen andern zum Heile gereiche."
Das hatte sich schon seit Jahren erfüllt. Ungeachtet aller eben angedeuteten Schwierigkeiten und Anfechtungen hatte in den wenigen Jahren, die vor Abfassung dieses Briefes liegen, die neue Genossenschaft schon unendlichen Segen gestiftet. Auch in Deutschland begann man ihn schon zu verspüren, und am Anfang des Jahres 1855 wurde in der alten Kaiserstadt Speyer vom Geistlichen Rat Molitor dem Werke ein Lob gespendet, das die so viel angefochtene Stifterin, wäre es ihr bekannt geworden, wohl für alle Angriffe entschädigt hätte. "In Niederbronn selbst aber erhebt sich als das sprechendste Zeugnis des Segens, der auf dieser Kongregation ruht, das blühende Mutterhaus, ein neuaufgeführter, großartiger Bau mit einer herrlichen gotischen Kirche. Bedenkt man, daß dies alles in wenigen Jahren durch nichts als Almosen zustande gebracht worden ist, so bleibt nur die Wahl übrig, entweder die fast übermenschliche Energie der Stifterin zu bewundern oder an ein wunderbares Eingreifen der Hand Gottes zu glauben." 35)
Drittes Kapitel.
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