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Abb. 30.2 Lindner Ab. 31.1 Lindner
Die Reduplikation, oder kurz Replikation der DNS, die während jeder ungeschlechtlichen Zellteilung (Mitose) stattfindet, wird durch Enzyme gesteuert: sie schrauben den DNS-Doppelstrang auf, spalten ihn, lagern an beiden Teilsträngen komplementäre Einzel-Nukleotide an, die im Kernplasma herumschwimmen, wodurch zwei neue Stränge entstehen. Es gibt auch Reparaturenzyme, die beschädigte DNS heilen (das geht freilich nur, wenn die Basensequenz in mindestens ein Teilstrang noch erhalten ist). Bedeutend ist die durch die DNS kodierte Proteinsynthese. Wie gesagt, kodiert ein Basen-Triplett bzw. "Codon" genau eine Aminosäure. Aminosäuren bestehen aus C, N, O und H; sie enthalten eine saure Carboxylgruppe (COO) wie eine basische Aminogruppe (NH3+) und können aus kleinen C-Ketten, manchmal mit Verzweigungen, oder Ringen bestehend. Polypeptide bzw. Proteine bestehen langen Strängen von Aminosäuren, die eine komplizierte Raumstruktur einnehmen können, bei der ebenfalls Wasserstoffbrückenbindungen eine zentrale Rolle spielen. Proteine sind die Maschinerie des Lebens; sie spielen die Rolle von Enzymen, d.h. Katalysatoren von chemischen Reaktionen; damit steuern sie den Stoffwechsel und wandeln sie energetischen Input in energetischen Output um; sie spielen bei hormonellen, immunologischen und insbesondere nervösen Informationstransfer die zentrale Rolle; sie bilden Stützgewebe, Membranen, usw.

Es gibt zirka 20 Aminosäuren, die regelmäßig in Lebewesen auftreten (Biochemie 23ff; Lindner 35, Ridley 26; es gibt etliche weitere Aminosäuren, die aber nur ganz selten auftreten; Biochem 26f). Nachdem aus drei Basen 34 = 64 verschiedene Codons bzw. Tripletts gebildet werden können, enthält der in Abb. xx dargestellte genetische Code eine Redundanz  dieselbe Aminosäure kann durch verschiedene Triopletts gebunden werden; die dritte Base ist oft überflüssig. Die genetische Proteinsynthese ist in Abb. xx dargestellt. Es besteht aus zwei Teilprozessen. In der Transkriptionsphase spult ein weiteres Enzym (RNA-Polymerase) die DNS teilweise auf und lagert einzelne (im Kernplasma befindliche?) RNS-Nukleotide an, die einen komplementären Einfachstrang bilden, das so genannte messenger-RNS (mRNS). Dieses wandert durch die Kernmembran in das Zellplasma zu den Ribosomen, den Orten der Rroteinsynthese; Ribosomen bestehen selbst aus RNS (ribosomaler RNS; rRNS, plus Proteine). Im Zellplasma schwimmen einzelne Stücke der transfer-RNS (tRNS) herum, das sind drei Ribonukleotide die jeweils mit einer Aminosäure beladen sind; diese lagern sich am Ribosom an die mRNA komplementär an, wobei die daran befindliche Aminosäure jeweils an den bereits gebildeten Polypeptidstrang andockt und das tRNS-Molekül wieder frei wieder. Auf diese Weise werden Polypeptide synthetisiert. Gewisse RNS-Abschnitte spielen dabei die Rolle eines Start-Codons bzw. Stopp-Codons. Jede einzelne Körperzelle enthält bekanntlich denselben Chromosomensatz; die unterschiedliche Organisation und Funktion verschiedener Körperzellen (Herz, Lunge, Haut, usw.) kommt dadurch zustande, dass nur wenige und unterschiedliche Bereiche der Chromosomen jeweils aktiviert und die restlichen durch Repressorproteine blockiert sind.


Abb. Lindner 36.3 rechts Lindner 33.1


RNS enthält Uracil statt Thymin; es ist chemisch etwas weniger stabil als DNS (Evol-UTB 119) und voralledem evolutionstheoretisch jünger; wir kommen auf die evolutionär fundamentale Rolle der RNS noch zurück.

Mutationen des Erbmaterials geschehen vorwiegend während der geschlechtlichen oder ungeschlechtlichen Zellteilung (Meiose bzw. Mitose; Ridley 74). Die experimentell ermittelten Mutationsraten sind unterschiedlich, aber allesamt gering; sie betragen bei Mäusen etwa 10-6 105 pro genetischem Lokus und Nachkommen; für gewisse Punktmutationen ist die Wahrscheinlichkeit noch wesentlich geringer; z.B. 109 (Ridley 75f). Mutationen sind verschiedener Art, aber biochemisch nicht beliebig. Arten von Mutationen: 1.) Es gibt chromosomale Mutationen, wie die Auslassung, die Duplikation, die Inversion oder die Translokation eines Teilstranges eines Chromosoms, d.h. dessen Hineinkopierung in einen anderen Bereich desselben oder evtl. eines anderen Chromosoms (Ridley 74f). ferner gibt es Punktmutationen, also der Austausch eines Nukleotids durch ein anderes, und schließlich Genommutationen, nämlich die Vervielfachung des Chromosomensatzes (Polyploidie, bei Pflanzen). Chemisch gesehen sind Mutationen nicht völlig zufällig; d.h. gewisse Mutationen (z.B. gewisse Punktmutationen) sind wahrscheinlicher als andere; aber es liegt keine Gerichtetheit der Mutationen in Bezug auf die Umwelt vor, dafür existieren weder irgendwelche plausiblen biochemischen Mechanismen noch experimentelle Evidenzen (Ridley 79) – und nur insofern sind biologische Mutationen zunächst, d.h. vor der selektiven Kraft, 'blind'.



Es gibt zwei Definitionen eines Gens, erstens die molekulare und zweitens die funktionale Definition. Gemäß der molekularen Definition ist ein gen jeder Teil eines DNS-Stranges, der ein Polypeptid bzw. ein Protein codiert, abgegrenzt durch Start- und Stopp-Codon. Für die Vererbungslehre wichtiger ist die funktionale Definition: danach ist ein Gen ein DNS-Abschnitt, der für die Entstehung eines phänotypischen Merkmals (z.B. Augenfarbe) kausal verantwortlich ist. Diese Definition ist allerdings vage und häufig uneindeutig  nämlich in allen solchen Fällen, wo für ein Merkmale mehrere DNS-Abschnitte kausal verantwortlich sind, oder umgekehrt wo ein DNS-Abschnitt für mehrere Merkmale kausal verantwortlich ist. Nur in wenigen Fällen liefert die funktionale Definition klare DNS-Abschnitte; nur in wenigen Fällen ist z.B. bekannt, dass ein gewisser DNS-Abschnitt genau für ein Merkmal, oder dessen Schädigung genau für eine Erbkrankheit verantwortlich ist. Näheres zu dieser Uneindeutigkeit der funktionalen Gendefinition s. xx, Soberxx, Dawkinsxx.

Ein genetischer Ort am Chromosom, an dem ein Gen sitzt, heißt auch genetischer Lokus  eine unterschiedliche Genausprägung bzw. Variante heißt wie gesagt Allel. sitzt ein Gen. versch. Gene am selben Ort heißen auch Allele (aber auch oft Gene genannt). Ein typisches Protein hat zirka 100-300 Aminosäuren. Ein molekulares Gen, auch 'Cistron' genannt, benötigt also ca. 1000 Basen (Nukleotide), um ein Protein zu codieren. Da es zirka 100.000 Proteine im Menschen gibt, wären hierzu 100.000 Gene nötig, also etwa 108 Basen. Nun hat aber bereits ein einziges Chromosom zirka 3. 109 Basen, und der Mensch hat 23 Chromosomenpaare. Daraus folgt, dass 99% aller DNS redundant ist oder unbekannte Funktion hat (Ridley schätzt 90%; s. 27). Jedenfalls ist der überwiegende Teil von DNS höchstwahrscheinlich ohne Funktion, weshalb auch die meisten aller Mutationen neutral sind, d.h. ohne phänotypischen Effekt. Da diese Mutationen keiner Selektion unterliegen, führen sie zu einer ungeheuren Diversität der DNS, die aber wie gesagt effektlos bleibt. Aus diesem Grund besitzt der Mensch große neutrale Bereiche seiner DDNS, in denen die Basenabfolgen bei jedem Menschen anders aussehen, und die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen in diesem neutralen Bereichen dieselbe Basenabfolge passieren, astronomisch klein ist  solche neutrale Chromosomenbereiche werden in der Kriminologie zum Zwecke der genetischen Identifikation von Tätern verwendet. Darüber hinaus gibt es übrigens auch bei jedem Protein jede Menge Aminosäuren, die ohne Effekt durch andere ausgetauscht haben, weil sie nicht in so genannten 'funktionellen' Abschnitten des Proteins liegen, sondern nur Stützfunktion besitzen. Auch die entsprechenden Tripletts der DNS, die solchen neutralen Aminosäuren eines Proteins entsprechen, sind neutral und können mutieren, ohne selektiert zu werden.

Die unterste Ebene, auf der Mutationen im phänotypischen Effekt studiert werden können, sind nicht Merkmale, sondern Aminosäuren von charakteristischen Proteinen. Gewisse Proteine, die typische Stoffwechselprozesse bewerkstelligen, kommen bei allen Organismen, oft bis hinunter zu den Wirbellosen oder gar Einzellern, vor. Funktionelle Aminosäuren eines Proteins verändern sich langsamer als neutrale Aminosäuren, weil die meisten Mutationen disfunktional sind und von der Selektion gleich eliminiert werden (Ridley 145). Kimura studierte Mutationsraten bei neutralen Aminosäuren und stellte fest, dass sie mit einer einigermaßen gleichbleibenden Rate mutieren. Kimura kam hier auf eine wesentlich höhere Mutatinsrate als Haldane, der in seiner Schätzung von funktionalen, einer starken Selektion unterliegenden Mutationen ausging (Ridley 150f). Kimura sprach hier von einer 'molekularen Uhr' ('molecular clock'), weil durch die mutationale Differenz von Aminosäuren in gleichen Proteinen zwischen Organismen ungefähr ihr evolutionärer Abstand geschätzt werden kann; wie dies vor sich geht, wird in Kap. xx besprochen.

Dass so viele Mutatione neutral und selektionsfrei sind, ist ein wichtiges Beispiel für die große Rolle von reinen Zufallsprozessen, so genannten Zufallsdriften, in der Evolution. Deren Bedeutung wurde von früheren übertrieben 'adaptionistischen' Evolutionstheorien zweifellos überschätzt  Gould und Lewontin haben diesen übertriebenen Adaptionismus in ihrem Aufsatz xx mit dem "Dr. Pangloss" aus Voltaire's Cadidus verglichen, für den als Leibnizianer unsere Welt immer die beste aller möglichen ist, d.h., was immer in der Natur passiert ist, müsste irgendeine 'adaptive' Funktion haben. Dem ist zweifellos nicht so. Andere Beispiele für Zufallsdrifte sind z.B. der zufällige Verlust eines Allels in einer kleinen Population dadurch, dass deren Besitzer oder ihre Nachkommen zufällig sterben (Ridley 130-3). Über viele Generationen hindurch ist die Aussterbewahrscheinlichkeit nicht nur eines vorteilhaften Allels, sondern sogar einer ganzen Spezies, bei immer wiederkehrenden kleinen Naturkatastrophen usw. nicht unbeträchtlich. Da die Häufigkeit von Spezies in Abhängigkeit von ihrer Existenzdauer (in Millionen Jahren) die Form einer exponentiell abfallenden Funktion besitzt, spricht dies dafür, dass die Aussterbewahrscheinlichkeit von Spezies im Verlauf ihrer Existenz pro Zeiteinheit ungefähr gleich ist, also nicht durch fortgesetzte Adaption verbessert wird, sondern mit Zufallsereignissen zu tun hat  bei Säugetieren etwa haben nur wenige Spezies länger als 10 Millionen Jahren gelebt; einige brachten es bis zu 50 Millionen Jahren; bei Knochenfischen und Reptilien sind die Speziesexistenzzeiten etwas länger (Ridley 594f.). Es hat unter den Evolutionsbiologen sogar manchmal von zwei rivalisierenden Paradigmen gesprochen, den 'Selektionisten' einerseits und den 'Neutralisten' andererseits, aber tatsächlich liegen keine unterschiedlichen Paradigmen vor, sondern die Vertreter beider Richtungen unterscheiden sich nur dadurch, dass die einen den Anteil adaptiver im Verhältnis zu neutralen Mutationen bzw. evolutionären Prozessen höher einschätzen als die anderen. Dass adaptive Mutationen zweifellos stattfinden, wird von beiden Richtungen nicht bestritten; beispielsweise müßte der Anteil von Heterozygotie, wären fast alle Mutationen neutral, viel höher sein als er es tatsächlich ist (Ridley 157).

Die meisten Mutationen sind also neutral; viele sind lethal bzw. deleteriös, und nur die wenigsten vorteilhaft. Dies muss nicht immer so sein, und ist insbesondere abhängig von der Komplexität des Organismus; je komplexer dieser ist, desto eher werden sich nichtneutrale Mutationen deleteriös auswirken. Fisher hatte argumentiert, dass viele kleine Mutationen eine bessere evolutionäre Chance haben als Makromutationen, die fast immer deleteriös sind (Ridley 170f). Den Vorteil kleiner Mutationsschritte illustriert Dawkins anhand seines 'seven disks' beispiels (Sober 37). Angenommen, wir sollen eine 10stellige (dekadische) Zahl raten; dann beträgt die Wahrscheinlichkeit eines Treffers ein Zehnmilliardstel, und viele Milliarden Rateversuche wären mindestens nötig, um eine gute Trefferwahrscheinlichkeit zu haben. Angenommen aber, wir können jede Ziffer einzeln raten, und wenn wir sie richtig raten, ergibt sich bereits ein kleiner Selektionsvorteil, an dem wir den Treffer erkennen  wie wenn wir mit einer Stecknadel ein Fahrradschloss knacken, wo wir ebenfalls jede Ziffer einzeln bestimmen können. Dann brauchen wir, um jede Ziffer einzeln richtig zu raten, nur etwa 10-20, und nach insgesamt 100 bis 200 Versuchen haben wir die zehnstellige Zahl. Selbstverständlich funktioniert das nur, wenn tatsächlich nach jeder richtig geratenen Ziffer eine Rückmeldung erfolgt  wenn, wie man auch sagt, die Fitnesslandschaft mit der kleinen Variationen kontinuierlich anwächst. Wir kommen auf das Problem in Kap. xx zurück.

Das Argument für den Vorteil der Mikromutationen, unter den Bedingungen eines kontinuierlich-kumulativen Fitnessvorteils trifft zu; aber dennoch kann es im Erbmaterial auch Variationen geben, die gewissen 'Makromutationen' entsprechen. Insbesondere die oben erwähnten Transkopierungen von Chromosomabschnitten in andere Chromosomenbereiche können etwas ähnliches wie Makromutationen bewirken. Ein Beispiel: wenn z.B. ein Gen, das für ein Punktförmiges Muster des Auges verantwortlich ist, in einen Chromosombereich hineinkopiert, der für die Hautproduktion verantwortlich ist, könnte mit einem Schlage eine Makromutante eines Tieres mit gepunkteter Haut entstehen. Analog könnte auf diese Weise in einem Schlage ein größeres oder sich mehrfach verzweigendes Gehirn entstehen, ohne dass noch die Neuronen damit im Detail festgelegt werden. Andere biochemische Makromutationen sind denkbar, wenn Nukleotide mutieren, die die Rolle von Regulatorgenen spielen, also z.B. Start und Stopp von Proteinsynthesen verändern (s. Ridley 549)



1.6.2 Die Bedeutung der geschlechtlichen Vermehrung  ein Argument gegen Klonen

Mutationen bringen neue genetische Varianten in den Genpool einer Spezies; bei komplexen Spezies sind vorteilhafte Mutationen sehr selten; rechnet man jede 1000.te Mutation z.B. bei Mäusen als vorteilhaft und betrachtet 1000 dafür in Frage kommende Gene, so käme man auf eine solche Mutation in 104 105 Generationen. Die letzte Mutation des menschlichen Gehirns fand vermutlich vor 50.000 bis 100.000 Jahren statt, als sich 'homo sapiens' oder die Urmutter des 'Cro Magnion' Menschen bildete, von dem wir vermutlich alle abstammen. Obwohl nur durch Mutationen gänzlich neue Varianten entstehen, liegt die mit Abstand wichtigste genetische Variationssourrce nicht in Mutationen, sondern in der Rekombination des genetischen Materials aufgrund der sexuellen Vermehrung. Fisher hatte den Vorteil der geschlechtlichen Vermehrung, der in der Rekombination liegt, wie folgt begründet (Ridley 271): angenommen, die Mutationswahrscheinlichkeit für eine vorteilhafte Allelmutation liegt pro Individuum bei einer kleinen Zahl p, etwa 104, und wir betrachten zwei (oder mehreren) vorteilhafte Allelmutationen, nennen wir sie A und B. Dass diese sich gleichzeitig bei einem Individuum finden, hat eine extrem geringe Wahrscheinlichkeit von p2 (bzw. bei n Mutationen von pn); dass sie jedoch bei zwei verschiedenen Individuen einer Population von n Individuen auftreten, hat eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit, die man für kleine p und p < 1/N mit Np schätzen kann.7 Rekombination bedeutet nun, dass durch sexuelle Reproduktion zweier Individuen, von denen eines die vorteilhafte Mutante A und das andere B besitzt, ein Nachkomme entsteht, der sowohl A wie B besitzt. Ist r die Rekombinationswahrscheinlichkeit, so kann man diese Wahrscheinlichkeit mit rp schätzen (denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich die A-Mutante mit der B-Mutante paart, ist 1/N1, was multipliziert mit Np etwa p ergibt; dies wird mit er Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Rekombination statt findet multipliziert; s. unten). Durch Rekombination steigt also die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von AB von p2 auf rp  wenn wir r mit 10% und p = 104 ansetzen von 108 auf 105, also eine Vertausendfachung. Dies ist besonders bedeutsam für den Fall, wo für die volle Ausprägung eines phänotypisches Merkmals beide Allele kausal notwendig sind  beispielsweise ist für Werkzeugentwicklung sowohl räumliche Modellbildung wie Fingerfertigkeit nötig; für Sprachvermögen das Stimmvermögen des Kehlkopfs wie die Fähigkeit, ein intentionales Modell des Anderen zu besitzen (zu letzterem Diamond Kap. xx; und die 'theory of mind'-Theorie, Kap. xx). Dieselbe Überlegung ergibt sich übrigens, wenn wir annehmen, es liegt nur eine vorteilhafte Allelvariante A vor, die jedoch rezessiv ist, d.h. nur im Falle AA zur Wirkung gelangt; da die Mutante zunächst nur auf einem Chromosom auftritt (Aa), muss AA ebenfalls entweder durch unwahrscheinliche Doppelmutation oder durch Rekombination entstehen.

Rekombination wäre prima facie nur möglich, wenn die Allele A und B auf verschiedenen Chromosomen liegen; dann ergäbe sich bei Kreuzung von Aa und Bb eine Rekombinationswahrscheinlichkeit von r = 1/4 (bei AA und BB sogar von r=1).Da der Mensch nur 23 Chromosomenpaare aber auf jedem Chromosom mehr als 10.000 relevante Gene besitzt, wäre die chromosomale Rekombinationsresource begrenzt. Wir in Kap. xx aber ausgeführt, gibt es darüber hinaus den genetischen Rekombinationsmechanismus des Crossing Over, bei dem väterliches und mütterliches Chromosom ein Gen bzw. einen durch Start- und Stopp-Codon markierten DNS-Abschnitt austauschen. Dies erklärt sich, dass sich die Chromosomen bei der Zygotenbildung und Mitose, teilweise verschlingen. Ja man hat sogar gewisse 'Sollbruchstellen', also Bruchstellen, bei denen Crossing Over besonders häufig auftritt, nachgewiesen (xx?). Da Crossing Overs wie erläutert in ca. 10% aller Fälle auftreten, d.h. r = 0,1, haben wir damit eine wesentlich höhere Rekombinationsrate.



Diese genetische Variationssource der Rekombination vollzieht sich wesentlich rascher als die Rate nicht-neutraler nicht-lethaler Mutationen, nämlich in Zeiträumen von 100 bis 1000 Jahren. Für die Menschheit ist Rekombination die kulturell entscheidene weil wahrnehmbare genetische Variation. Nach einer Faustregel des Soziobiologischen Wilson schlagen sich kulturelle Unterschiede, welche unterschiedliche Selektionswirkungen auf Genausstattungen haben, nach etwa 1000 Jahren auf leichte Veränderungen des Genotypen-Pools nieder. Z.B. könnte eine Kultur kampfstarke Männer, eine andere Kultur sprachlich gewandte oder handwerklich geschickte Männer als Paarungssubjekt begünstigen; oder ein einfacheres Beispiel, in einer Kultur könnten langbeinige Frauen, in der anderen korpulente Frauen bevorzugtes Paarungssubjekt sein). Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass diese Wilsonsche Regel oft so missverstanden wird, als dass dabei nach ca. 1000 Jahren ein 'Lamarckistischer' Effekt eintritt, nach dem das Erworbene irgendwie ins Erbmaterial eingeht, oder nach dem die kulturelle Umwelt irgendeinen Einfluss auf die Mutationen der Gene ausübt  all das ist nicht der Fall. Der Wilson-Effekt beruht vielmehr nur auf der Rekombination von Genausstattungen  in jeder Generation werden neue Rekombinanten erzeugt, und die kulturelle Selektion bewirkt, dass sich gewisse besser vermehren als andere.

Wir können die Bedeutung der Rekombination durch eine einfache Statistik anhand des Menschen nachvollziehen. Angenommen es gibt nur 1000 menschliche Gene, die in zwei relevanten Allelen vorliegen, dann gäbe es immerhin 21000 mögliche Genome bzw. mögliche genetische Ausstattungen, die nur durch Rekombination entstehen können, ohne dass eine grundsätzlich neue Mutation erforderlich wäre. Dies ist eine astronomisch hohe Zahl mit etwa 300 Nullen (21000 = cirka (210)100 = cirka (103)100 = 10300), mehr als es Elementarteilchen im Universum gibt (Smolin?). Die cirka 1010 Menschen, die derzeit (bzw. in naher Zukunft) auf unserem Planeten leben, realisieren nur einen winzigen Bruchteil dieser rekombinatorischen genetischen Diversität, nämlich ein Zehn-hoch-dreißigstel (das Verhältnis entspricht einem Wassermolekül zur Menge der zirka 1030 Atome in einer Tonne Wasser). Jeder Mensch ist genetisch einzigartig, und die sexuelle Vermehrung bringt immer wieder genetisch neuartige Menschen hervor. Die chromosomale Rekombination allein könnte lediglich 223 genetische Ausstattungen erzeugen, wenn man annimmt, von jedem Chromosom gibt es mindestens zwei relevante Varianten, was aber ebenfalls schon die Riesenzahl von 10 Millionen ergibt  ohne Crossing Over gäbe es mittlerweile also schon mehr Menschen als mögliche Genkombinationen. Aber mit Crossing Over kann tatsächlich der riesige Raum der Zahl mit 23 Nullen potentiell durchlaufen werden.

Daraus folgt auch das entscheidende Argument gegen Vermehrung durch Klonen. Klonen ist ungeschlechtliche Vermehrung  Erzeugung einer genidentischen Kopie eines Individuums durch Einbringung seiner Körperzellen-DNS in den Kern einer Eizelle und zygotischer Aktivierung dieser Eizelle. Würde sich die Menschheit von heute an nur mehr durch Klonen vermehren, so wäre der Riesenraum von möglichen genetischen Ausstattungen von heute an auf den winzigen Bruchteil der bestehenden Genvarianten eingefroren, und von nun an könnten nur mehr exakt jene genetischen Ausstattungen entstehen, die heute bereits in irgendeinem Menschen existieren  Menschen mit neuen genetischen Ausstattungen würden von nun an solange nicht mehr entstehen, solange keine neue nicht-neutrale und nicht-lethale Mutation eintritt, dessen Wahrscheinlichkeit aber wie erläutert so gering ist, dass dies die nächsten 10.000 bis 100.000 Jahre nicht zu erwarten ist. Daher wäre die Menschheit extrem schlecht beraten, in Zukunft sexuelle Reproduktion teilweise durch Klonierung zu ersetzen, auch wenn dies mittlerweile fast schon im Bereich des technisch Möglichen liegt (immer hin ist bereits die Klonierung von Schafen gelungen)  und ich betone dies, weil dieser Gesichtspunkt in der aktuellen ethischen Literatur über Klonierung kaum aufscheint.

Der Vorteil der sexuellen Vermehrung wird auch dadurch plausibilisiert, dass es in der gesamtem Evolution nur wenige verstreute Beispiele von ungeschlechtlicher Vermehrung gibt, die bemerkenswerterweise unabhängig voneinander entstanden sind (Ridley 274)  vermutlich in abnormen Umgebungsbedingungen, welche aus welchen Gründen auch immer eine geschlechtliche Vermehrung behindert haben.



Wie Ridley ausführt, ist der Mechanismus des Crossing Overs allerdings nicht unter allen denkbaren evolutionären Bedingungen vorteilhaft. Erstens, so Ridley müssen vorteilhafte Mutationen häufig genug passieren, um nicht fixiert zu werden, d.h., um nicht schon zu nahezu 100% in ihrer Häufigkeit durch Selektion angestiegen zu sein, bevor die nächste vorteilhafte Mutation passiert  sonst würde Rekombination keinen Vorteil bringen (272ff). Bei einer Populationszahl, die hoch genug ist, ist die Mutationswahrscheinlichkeit von Np allerdings leicht 'hoch genug' (z.B. p = 'nur' 108 beträgt, und N = 106, dann pN = 102, d.h. eine solche Mutation passiert 'irgendwo' alle 100 Jahre). Zweitens argumentiert Ridley (199ff), dass Rekombinationen auch nachteilig sein können, nämlich weil dadurch bestimmte Allele, die nur in Konjunktion miteinander einem vorteilhaften Phänotyp bewirken, durch Rekombination auch auseinandergebrochen werden können. Das passiert allerdings nur, solange diese Allelkombinationen nicht durch Selektion bereits fixiert worden sind, sondern noch heterozygot auftreten. Voralledem wird das Argument durch den erwähnten Hinweis auf gewisse 'Sollbruchstellen' abgeschwächt  solche Sollbruchstellen an bestimmten Stellen, in denen hohe Rekombinationen im Regelfall vorteilhaft sind (d.h. nicht zueinander gehörende Allele auseinanderbrechen), können sich ebenfalls durch Selektion im Laufe der Evolution entwickelt haben. Dies wäre dann eine Art Weissmann-Effekt, auf den wir bereits hingewiesen haben: auch die Mutationshäufigkeit bestimmter DNS-Abschnitte wird im Laufe der Selektionsgeschichte in einer vorteilhaften Weise selektiert.
1.6.3 Evolution des Lebens aus der Makroperspektive  die Eckdaten
Kommen wir abschließend zum evolutionären Vorläufer der DNS, der RNS zurück. Es gibt zwei Arten von Einzellern, Prokaryonten und Eukaryonten. Prokaryonten sind viel primitiver und kleiner als Eukaryonten, und sie gibt es schon seit ca. 3,5 Milliarden Jahren. Sie bestehen nur aus einer Zellmembran, in dem Chromosome frei herumschwimmen, zusammen mit Ribosomen. Bakterien, Archaebakterien und die photosynthesebetriebenden und zellkolononienbildende Blaualgen sind Prokaryonten (Lindner 109; Biodtv 42). Die Zellmembran unterscheidet sich von jener der Eukaryonten; die Bakterienzellmembran enthält Murein als feste Stützschicht und ist vergleichsweise starr gegenüber der Eukaryontenmembran, welche verschiedene Mikrotubuli (winzige Röhren die bestimmte Stoffe durchlassen) enthält (Szathmahry 122; s. Kap. xx). Die anderen Einzeller, wie Grün-, Braun- und Kieselalgen, Phyto- und Zooflagellaten, als Vorstufen der pflanzlichen bzw. tierischen Mehrzeller, usw. (dtv 45ff) sowie alle Zellen von mehrzelligen Organismen sind Eukaryonten  sie enthalten dagegen einen Zellkern (abgeschlossen von der Zellmembran), welcher die Chromosomen enthält; sowie ferner eine Reihe unterschiedlicher Organellen  die Organe der eukaryontischen Zelle. Überall vorhanden sind die Ribosomen (zuständig für Proteinsynthese) und die Mitochondrien (chemischer Stoffwechsel), ferner gibt es dass endoplasmatische Retikulum und der Golgi-Apparat, sowie unterschiedliche Arten von Plastiden, z.B. Chloroplastiden welche die Photosynthese bewerkstelligen (Ridley 24) Mitochondiren haben ihre eigene DNA, die relativ schnell mutiert und nur mutterseits (über die Eizelle) weitervererbt wird; damit werden aber kaum phänotypische Eigenschaften weitervererbt, außer gewisse Zellbeschaffenheitsmerkmale, z.B. bei Pflanzen (Ridley 469; Lindner 20).

Nun ähnelt die DNS der Mitochondrien und Plastiden jener der Prokaryonten (EvolUTB 160). Es wurde daher die Endosymbiontenhypothese aufgestellt, derzufolge die ersten Eukaryonten evolutionstheoretisch vor ca. 1.5 Milliarden von Jahren dadurch entstanden sind, dass ein größerer Prokaryont einen anderen verschluckte bzw.- inkorpoiertte; sowohl Mitochondiren, wie Zellkern könnten auf diese Weise durch in vorhandene Prokaryonten eingewandert sein und so zur Bildung der ersten Eukaryontenzelle geführt haben (EvolUTB 157ff, Lindner 109f; Saztmahary vermuten überdies, dass am Beginn der Evoltuion der Zellen nur RNA vorhanden war und Chromosomfäden bildete, welches erst später durch DNS verdrängt wurde (Szath 11), wobei dieses RNS zunächst nicht nur die Rolle von Informationsträgers, sondern auch die von Katalysatoren einnahm, da Proteine zunächst nicht vorhanden und erst durch Ribosomen gebildet werden mussten. Nun ähnelt die RNA der Ribosomen denen der Bakterien und Blaualgen. Dies legt es nahe, dass die ersten und primitivsten Zellen Vorfahren der Ribosomen gewesen ein könnten, die ebenfalls hauptsächlich aus RNA bestehen, und ebenfalls durch Einwanderung in andere Zellen entstanden sind (Szath 108ff; näheres Kap. xx).

Damit haben wir schon tief in die Evolution des biologischen Lebens geblickt, dessen Verlauf wir nach dem heutigen Wissensstand nun kurz skizzieren wollen. Das geschätzte Alter des Universums, das gemäß gängiger kosmologischer Theorie durch einen Urknall entstanden ist, beträt knappe 14 Milliarden Jahre; das unseres Sonnensystems etwa 5 Milliarden Jahre, das der Erde etwa 4,5 Milliarden Jahre, aber die Zeit, zu der die Erde nicht mehr von Kometen behagelt wurde, zu der der Anteil der Ozeane in etwa konstant blieb, und ab der auch die ersten seit damals erhaltenen Gesteine auf den wenigen damals vorhandenen Landoberflächen bis heute erhalten geblieben sind, beträgt etwa 4 Milliarden Jahre (s. dazu auch Kap. xx). Die ältesten heute nachweisbaren Prokaryonten, Bakterien oder Blaualgen, sind 3,6 Milliarden Jahre alt (ward xx); man schätzt, dass die Entwicklung der ersten primitiven Vorläufer von prokaryontischen Zellen, also der Beginn des Lebens vor zirka 3,8 Milliarden Jahren liegt. Siehe hierzu Abb. xx (die ältesten Stromatolithen sind dort verspätet eingetragen und jeweils etwa 300 Milliarden Jahre vorzudatieren; s. Ward xx). Die weitere evolutionäre Zeitskala ist so zusammenzufassen:8

3,8109 Jahre: erste Prokaryonten; 'Explosionsphase' der Prokaryontenevolution. Sauerstofflose Atmosphäre, bestehend aus Kohlendioxid, Stickstoff (Brown xx)

1,5109 Jahre: ersten Eukaryonten  zugleich Anreicherung der Atmosphäre mit Sauerstoff, der durch Blaualgen erzeugt wurde, zunächst im Meer sich anreichert, Gesteine oxidiert, und dann in die Atmosphäre entweicht (Brown xx). 'Explosionsphase' der Einzellerevolution.

700106 Jahre: die ersten Vielzeller

600106 Jahre: kambrische 'Explosion'  plötzlich viele Vielzeller fosiliert auffindbar

500106 Jahre: die ersten Wirbeltiere, Fische.

400106 Jahre: Tetrapodische Fische. Übergang der tetrapodischen Fischer zum Landleben; genug Sauerstoff in der Atmosphäre zur Atmung. Skorpione, Tausendfüßler, proto-Amphibien. Zugleich erste Pflanzen, Nacktfarne, Farnpflanzen.

350-250 106: Dachschädler, Insekten, Bärlappgewächse, Samen- und Palmfarne. Später Nadelhölzer.

200-70 106: Zeit der Saurier (Explosionsphase von Sauriern). Zwischenstufen Reptilien-Säugetiere und erste Säugetiere. Ab ca. bedecktsamige 100106 Blütenpflanzen

70106 Jahre: Aussterben der Saurier. Explosionsphase der Säugetiere. Erste Vögel. Erste (kleine) Primaten (Menschenaffen).

5106 Jahre: erste Hominiden (Abtrennung vom gemeinsamen Vorfahr von Schimpansen und Menschen).

2-1 Million Jahre: Homo habilis und homo erectus. Primitivste Steinwerkzeuge; stagnierend in der Entwicklung.

100.000 Jahre: Homo sapiens (Rückschluss auf 'Urmutter' durch Mitochondrien-DNS). 'Explosion' der Entwicklung von Werkzeugen.

10.000 v. Cr. Viehzucht und Ackerbau. Explosionsphase der Menschen.

5.000 v. Cr.: erste Hochkulturen

1000 v. Cr.: erste Wissenschaft

Seit 300 Jahren, 1700 n. Cr.: Aufklärung, moderne Wissenschaft und Zivilisation. Explosionsphase der wissenschafts- und technikbasierten Zivilisation.

Abb. Lindner 106.2


Dass die Evolution jedenfalls seit dem Menschen exponentiell beschleunigt abläuft, ist an den Zeitdaten unmittelbar evident; die Spanne seit der Jungsteinzeit, welche mit Erfindung von Ackerbau und Viehzucht beginnt, beträgt gerade einmal ein 300.000stel der gesamten Evolution des Lebens, und ein 500stel der gesamten Evolution der Hominiden. Auffällig ist auch, dass die Evolution in der Makroperspektive diskontinuierlich verläuft, es gibt Phasen der Revolution, wo explosionsartige Entwicklungen und Diversifizierungen stattfinden, und Phasen der Stagnation. So brauchte die Entstehung der ersten Prokaryonten 'vergleichsweise 'nur' zirka 300 Millionen Jahre, während die folgenden mehr als eine Milliarde Jahre abgesehen von Vermehrung, Diversifizierung und Produktion der Sauerstoffatmosphäre vermutlich nichts wesentlich Neues entstand; die Entwicklung der ersten Eukaryonten begann erst 2 Milliarden Jahre später, und brachte vermutlich ebenfalls eine kleine Explosion mit sich. Bis die ersten Vielzeller entstehen, vergehen jedoch weitere 700 Millionen Jahre; und vor 600 Millionen Jahren kommt es zur nächsten, der 'kambrischen' Explosion, als plötzlich viele Vielzeller auftreten. Ähnliche Revolutionsphasen gab es, als der Übergang zu Landleben einsetzte, also die Saurier in der Hochblüte standen, als sich die Säugetierspezies rapide vermehrten, und schließlich, als die Spezies 'homo sapiens' plötzlich explosionsartig die Werkzeugentwicklung vorantrieb; und schließlich, als sich die Menschen durch Sesshaftwerdung (Ackerbau und Viehzucht) schlagartig vermehrten, bis hin zur explosionsartigen Entwicklung durch moderne Technik und Wissenschaft.

Es gibt innerhalb der Evolutionstheorie keinen Gegensatz von Evolution und Revolution; im Gegensatz sind die Diskontinuitäten der Evolution evolutionstheoretisch erklärbar. Zu einer Revolution oder 'Explosion' kommt es im Regelfall dann, wenn eine wesentlich neue Variante sich soweit fortpflanzungsmäßig stabilisiert hat, dass sie einen neuen Typ von ökologischer Nischen bzw. adaptiver Zonen erobern kann. Dabei kann es sich um neue geographische Regionen handeln; aber auch um neue Arten der Nahrungsbeschaffung, usw. Als sich die erste prokaryotische Zelle soweit stabilisierte, dass eine verlässliche Zellteilung vorhanden war, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Prokaryonten schließlich alle Ozeane erobern würden. Von den Prokaryonten haben sich vermutlich etliche Eukaryonten ernährt (so wie z.B. die Amöbe). Die landlebenden Wirbeltiere stammen alle von Vorfahren der tetrapodischen Knochenfische ab, den Quastenflossern, welche im Gegensatz zu fast allen anderen Fischen, den Strahlenflossen, keine vertikal anliegenden Flossen, sondern ähnlich den Füßen eines Wirbeltieres horizontal bzw. seitlich anliegenden Vorder- und Hinterflossen besitzen. Man vermutet, dass die Vorfahren der ersten Amphibien in seichten Gewässern am Uferrand am Wassergrund mit ihren Flossen 'watschelten' konnten und dort Nahrung aufnehmen konnten, an welche die anderen Fische nicht herankamen; gelegentlich auch aus dem Wasser watschelten; und insbesondere ihre Eier außerhalb des Wassers abzulegen begannen, was einen enormen Selektionsvorteil bedeutete. Sobald solche Präamphibien es geschafft hatten, auch an der Luft zu atmen, gewisse Lungen-Vorformen entwickelt hatten, war eine explosionsartige Vermehrung und Diversifizierung auf dem Land die Folge, denn diese Zone war bisher unbesetzt und ließ Unmengen möglicher ökologischer Nischen zu. Analoges kann man sich vorstellen, als die ersten Vögel in der Lage waren, mittlere Distanzen zu überwinden. Solche explosionsartige Entwicklungen treten ebenso in der kulturellen Evolution auf; ein Beispiel ist die Erfindung von Ackerbau, welcher eine Allokation von Nahrung (insb. Getreide) und in der Folge eine enorme Populationsvermehrung ermöglichte, welche die Menschen vom Ackerbau abhängig machte. Jede solche revolutionäre Phase der Evolution ändert natürlich auch die Umwelt und damit die Selektionsbedingungen für alle Spezies. Van Valen sprach in diesem Zusammenhang von einem "red queen equilibrium" (Ridley 533, 597)  um stabil weiter zu existieren, muss sich jede Spezies sukzessive anpassen (die rote Königin aus 'Alice im Wunderland' sagte: "du musst weiterlaufen, um auf der Stelle zu bleiben"). So gab es auch immer eine Koevolution von Jägern und Gejagten (Ridley 570).

Stagnationen in der Evolution haben immer damit zu tun, dass die bisherigen Varianten bereits genügend zeit zur Adaption hatten, und der Entstehung gewisser späterer Varianten große Hindernisse im Weg stehen. Man veranschaulicht dies im Regelfall durch das Modell einer Fitnesslandschaft  in Abb. xx ist auf der vertikalen Achse der Grad der Fitness eingetragen, und auf der horizontalen Achse, welche eigentlich viele Dimensionen besitzen müsste (also z.B. als Fläche vorstellbar ist), sind gewisse biologische Varianten eingetragen, die sich angenommen gemäß gewissen Parametern (Beinlänge, Skelettstabilität, usw.) graduell unterscheiden. Dann hat eine Fitnesslandschaft, so wie sie in Abb. xx eingetragen ist, üblicherweise nicht nur ein, sondern mehrere Maxima  man spricht auch von lokalen Maxima  die voneinander oft, aber nicht immer, durch Fitnesstäler getrennt sind. Beispielsweise könnten auf dem linken lokalen Maximum von Abb. xx die Prokaryonten und auf dem rechten die Eukaryonten liegen. Die Prokaryonten hatten wie erläutert eine starre mureinhaltige Zellwand; die Euzkaryonten besitzen dagegen eine durchlässige Zellmembran, da sie ja diverse Nahrung aufnehmen. Damit aus prokaryontischen Zellen eukaryontische Zellen werden konnten, mussten die Prokaryonten zunächst die starre Zellwand aufgeben, was nach Szathmahry (122xx) das Durchschreiten des Fitnesstals bedeutet, denn die starre Zellwand schützte die Prokaryonten vor diversen schädlichen Einflüssen  was auch erklärt, warum gewisse prokaryontische Zellen extreme Bedingungen (Hitze und Kälte) vertragen (näheres dazu in Kap. xx). Kurz gesagt, eine wesentliche Änderung erfordert oft zunächst die Preisgabe eines bisherigen Vorteils.
Fitnessgrad

Eukaryonten


Prokaryonten

Starre Verlust flexible

Zellwand Zellwand

Varianten

Abb. xx
Abb. xx, xx und xx zeigen abschließend einige weitere Details der Evolution des Pflanzen- und Tierreichs sowie der Hominiden.

Abb. 124.1 Lindner


Abb. 125.1 Lindner
Abb. 139.1 Lindner


1.7 Was man dem Kreationisten entgegenhält: Zusammenfassung der Evidenzen für die biologische Evolution
Was sagen Sie einem gottgläubigen oder gar bibeltreuen Kreationisten, wenn sie ihn von der Wahrheit der biologischen Evolutionstheorie überzeugen wollen? Darauf soll dieses Kapitel einige zusammenfassende Antworten geben. In der folgenden Zusammenfassung folgen wir Ridely (38ff); wir beginnen mit den empirisch direktesten Evidenzen und gehen dann zu den zwar weniger direkten aber wesentlich allgemeineren Evidenzen über.

1.7.1 Direkter empirischer Nachweis der Evolution durch natürliche Selektion: In den Jahren 1930-65 wurde eine Zunahme des Melanismus, d.h. der Dunkelflügeligkeit, bei gewissen Mottenfaltern (der peppered moth) in England empirisch erhoben. Die Melanismus-Zunahme folgt dabei ziemlich gut der Zunahme der Luftverunreinigung durch Industrieabgase, speziell Staub und Kohle, und als die Luftverunreinigung wieder abnahm, nahm auch die Melanismushäufigkeit wieder ab. Die ist in ABb. xx dargestellt (Ridley xx). In dunklerer Luft führt dunkle Flügelfarbe zu einer schlechteren Erkennbarkeit durch Räuber (Vögel) und daher zu einer höheren Reproduktionsrate.
Melanismushäufigkeit

0,12
0,02

1930 1945 1960 Jahr

Abb. xx
Mathematische Simulationen (gemäß Kap. xx) konnten genau denselben Verlauf voraussagen, mit geeignet gewählten Mutationswahrscheinlichkeiten und Selektionskoeffizienten.



1.7.2 Direkter experimenteller (praktischer) Nachweis: Sowohl Selektion wie Mutation kann in ausgesuchten Szenarios nicht nur direkt empirisch beobachtet werden, sondern auch experimentell, d.h. durch praktischen Eingriff, erzeugt werden. Die künstliche Selektion, d.h. Züchtung, von ausgesuchten Pflanzensorten als Nahrungsquelle und ausgesuchten Tiersorten als Nahrungsquelle, Jagdbegleiter, Transportmittel und Kriegsmittel, wird von den Menschen seit vielen tausend Jahren betrieben. Nähere Details dazu in Kap. xx. Anhand der künstlichen Züchtung, beispielsweise von Getreide, von Bäumen, von Gemüse, von Schafen und Rindern, usw., ist der Mechanismus der Selektion genau nachvollziehbar. Künstliche Züchtung vollzieht sich wesentlich schneller als natürliche Selektion, da der Mensch eine Variante bereits dann, wenn sie nur einen geringen Vorteil besitzt (z.B. etwas milchreichere Kühe, etwas großkörnigeres Getreide), ausschließlich zur Weiterzucht verwendet, d.h. fixiert  was in der künstlichen Züchtung ein oder zwei Generationen dauert, dauert in der natürlichen Generation 50 bis 100 Generationen (Ridley 505; die Einheit der Evolutionsrate wird zu Ehren Darwins übrigens in 'darwin' gemessen). Überdies werden wir in Kap. xx sehen, dass nur gewisse ausgesuchte Pflanzen- und Tiersorten sich zu einer entscheidend effektiven Züchtung geeignet haben, welche es erlaubt, die Population über ein Vielfaches dessen anwachsen zu lassen, was bei Jäger- und Sammlergesellschaften möglich ist, und dass entscheidene kulturelle Vorsprünge von Völkern historisch gesehen auf unterschiedliche Züchtungserfolge basieren.

Man hat gegen das Züchtungsargument eingewandt, dass dadurch noch nur neue Rassen, aber noch nie neue Spezies gezüchtet worden sind, aber dieses Argument ist angreifbar, da sich gewisse Zuchttiere mit den natürlichen Varianten (z.B. Dackel mit Wölfen) kaum mehr kreuzen können, und überdies die komplette Reproduktionstrennung nur eine Frage der Zeit ist (10.000 Jahre ist evolutionär gesehen noch nicht lange). Eine direkte Erzeugung neuer Spezies ist heutzutage aber auch durch gentechnische Experimente möglich; z.B. können Kreuzungen von verschiedenen Pflanzenspezies, die zunächst unfruchtbar sind, durch gewisse Chemikalien (Colchicin) furchtbar gemacht werden (Ridley xx). Auch Polyploidie (2n-facher Chromensatz, mit n >1) ist experimentell stimulierbar; viele Gartenblumen sind polyploid.



1.7.3 Biogeographie kontinuierliche geographische Variation: Wir haben in Kap. xx bereits über Darwins Studium der Spottdrosseln und Finken auf den Galapagos-Inseln bereichtet: wie verschiedene Spezies dieser Familien von Insel zu Insel mit deren Umweltbedingungen variierten, z.B. Schnabelgröße mit Futterbeschaffenheit, usw. Darwins 'Finken' wurden von Grant seit 1973 in Detail weiterstudiert. Ridely 211-214; Lindner 75). Aus den charakteristischen Merkmalsdifferenzen lässt sich eine Serie von sukzessiven Abwandlungen konstruieren lässt, die auf die vermutliche Ausbreitung der eingewanderten Finken von Insel zu Insel schließen lässt. Den zeitlichen Anfang, also die erste besiedelte Insel, kann man durch Vergleich mit kontinentalen Finken, einer so genannten Außengruppe (outgroup) bestimmen  als die Art, die den kontinentalen Finken noch am ähnlichsten ist.

Wir haben in Kap. xx auch auf die Fakten der kontinentalen Artenähnlichkeiten hingewiesen; dass nämlich die nordamerikanischen Fossilien den euroasiatischen ähnlich sind; die südamerikanischen und afrikanischen den australischen. Teilweise trifft dies noch auf heutige Spezies zu (Ridley 481, 492). Dies wird durch die Theorie der Kontinentalverschiebung, welche wir berichtet sich erst am den 1960er Jahren durchsetzte, bestätigt, wobei freilich die biogeographischen Effekte der Kontinentalverschiebung durch diverse weitere Effekte (spätere Einwanderungen) überlagert werden, was das Verständnis erschwerte. Abb. xx zeigt diese Kontinentalverschiebung seit 200 Millionen (Myr) Jahren. Vor dieser Zeit bildeten Südamerika, Afrika und Australien noch einen Urkontinent, genannt Gondwana, und Nordamerika und Eurasien bildeten den zweiten Urkontinent, Laurasia (beide Urkontinente waren in noch früherer Zeit zu einem Urkontinent verbunden, der Pangea genannt wird). Aufgrund der Bewegungen der Plattentektonik, die in Kap. xx näher erläutert wird, drifteten seit damals die Kontinente in bestimmter Richtung auseinander. Seit ca. 15 Millionen Jahren gibt es erst die Landverbindung zwischen Südamerika und Nord+Mittelamerika; seit damals erst sind südamerikanische Arten wie das Gürteltier, Faultier und Ameisenbär (die gemeinsame südamerikanische Vorfahren besitzen) nach Nordamerika eingewandert.


Abb. xx Ridley 486
Die eindrucksvollste Evidenz für die evolutionäre Speziesbildung durch kontinuierliche Variation mit anschließender reproduktiver Isolierung sind Ringspezies (Ridley 40-2). So gibt es in Europa zwei Möwenspezies, die sich nicht kreuzen, nämlich graue Heringsmöwe (Herring gull), und die etwas kleinere Schwarzrücken-Möwe (black-backed gull). Es gibt nun eine kontinuierliche Variation beider Möwenarten zurück auf die andere Seite der von Norden-oben gesehenen Erdkugel, die irgendwo in Ostsibirien bei der Sibirischen Vega-Möwe (vega herring gull) zu beginnen scheint  in der Richtung über Amerika scheinen eine Ausbreitungsvariation dieser Möwen vorzuliegen, in der Richtung Eurasien eine andere; bis sich beide wieder in Europa treffen, dort aber schon so verschieden sind, dass sie sich nicht mehr kreuzen, während sich alle anderen benachbarten Varianten gerade noch kreuzen. Interessanterweise liegt also zwischen den beiden europäischen Spezies immer noch in gewisser Genfluss vor, obwohl sie sich nicht kreuzen, und zwar um die Erdkugel herum. Das Beispiel weist eindeutig auf Speziesbildung durch sukzessive geographische Ausbreitung mit Merkmalsmodifikation als beste und einzig plausible Erklärung hin.

Abb. xx Ridley 41



1.7.4 Fossilfunde und unabhängige Methoden der Altersbestimmung:

1.7.4.1 Altersbestimmung durch radioaktive Isotopen: Fossilfunde sind nur dann ein klarer Beleg für die Evolution, wenn Methoden zu derer Altersbestimmung vorhanden sind. Wie in Kap. xx ausgeführt, hatte man schon im 19. Jahrhundert das Alter aufgrund der Aufeinanderfolge von vieler Sedimentschichten schätzen (1 cm pro Jahr); diese Schätzungen waren aber sehr unverlässlich, weil oft ganze Serien von Sedimentschichten fehlen. Zumindest war die die Sedimentschichtung eine historische Reihenfolge der Fossilfunde möglich. Die Situation änderte sich, als im 20. Jahrhundert (wann?xx) die radioaktiven Isotopenmethoden der absoluten Altersbestimmung entwickelt wurden. So gut wie jedes chemische Element tritt nämlich neben seiner Hauptform in der Natur in geringerem Anteil in anderen Isotopenformen auf, d.h. in Formen, welche sich voneinander weder in der Protonen- bzw. Elektronenzahl unterschieden, die für die chemischen Eigenschaften verantwortlich sind, sondern nur durch die Zahl der Neutronen im Kern. Isotope besitzen mehr Neutronen als die 'normalen' Formen, und viele davon sind daher atomar instabil, d.h., die Atomkerne (samt den Elektronenhüllen) zerfallen in gewissen Zeitraten in kleinere Kerne bzw. Elemente. Diese Zerfallsraten sind konstant (sie folgen dem Gesetz des exponentiellen Zerfalls N(t) = N(0)ekt), und am Prozentsatz des Zerfalls kann man die vergangene Zeit messen, wenn man den Anfangsprozentsatzes des Isotopes kennt. Umgekehrt können sich Isotope auch durch energiereiche Strahlung bilden.

Herausragend ist die C14-Methode zur Altersbestimmung kohlenstoffhaltigen bzw. organischen Materials. Kohlenstoff kommt in der Natur stabil als C12 vor (der obere Index bezeichnet die Kernteilchenzahl, Protonen plus Neutronen  d.h. 6 Protonen und 6 Neutronen im Kern), daneben auch als C13 (ein Neutron mehr) und radioaktiv als C14 (zwei Neutronen mehr). Wesentlich ist nun, dass in der Atmosphäre der Anteil des C14 im Kohlendioxid durch kosmische (energiereiche) Strahlung ständig auf einem gewissen Gleichgewichtsanteil regeneriert wird. Solange also ein Lebewesen Kohlenstoff aufnimmt, bei Pflanzen durch Photosynthese und bei Tieren durch Nahrung, stimmt sein C14-ANteil mit dem der Atmosphäre überein. Sobald es stirbt und seine Stoffwechselkreisläufe zusammenbrechen, zerfällt dieser Anteil mit konstanter Zerfallsrate, und man kann das Alter je nachdem, wie weit das Ereignis zurückliegt, mehr-oder-weniger genau messen (liegt es nur einige 1000 Jahre zurück, dann ist man auf dem steilen Ast der Zerfallskurve und die Genauigkeit beträgt 100 Jahre; s. Diamond Kollaps xx; liegt das Ereignis viele Millionen Jahre zurück, so ist man am flachen Teil der Kurve und kann sich um 100.000 oder mehr Jahre irren). Mit derselben Methode bestimmt man auch das Alter von Holzkohle in Feuerstätten, was für die Archäologie wichtig ist.



Dieselbe Methode ist im Prinzip auch auf das N14-Isotop des Stickstoffs anwendbar. Mit Isotopenmethoden kann man aber auch das Alter von Gesteinschichten schätzen. Der ursprüngliche Anteil von Isotopen in flüssiger Magma, wenn es aus der Erde austritt, ist bekannt und weitgehend konstant; er wird innerhalb der Erdinneren gewaltig energiereichen Prozesse (näheres Kap. xx) auf konstantem Wert gehalten. Sobald die Magma erstarrt, zerfallen die radioaktiven Isotopen, wie z.B. die des Rubidium und Strontium (Ridley 626). Durch diese Methode der Altersbestimmung ergibt sich in Bezug auf Fossilfunde und auch Gesteine ein Riesenfortschritt in Bezug auf die Sicherheit der Altersbestimmung.

1.7.4.2 Fossilfunde, Serien und Lücken: Immer wieder wurde gegen die Stützung der Evolutionstheorie durch Fossilfunde eingewandt, dass die bekannten Fossilfunde große Lücken besitzen. Hierzu sind zwei Dinge zu erklären. Erstens sind viele Lücken der Fossilfunde in den letzten Dekaden beeindruckend geschlossen worden. Ein schon erwähntes Beispiel sind die Fossilfunde von Sedgewick in Whales 1823; sämtliche Gesteinschichten enthielten frühe mehrzellige Meerestiere, bis zur untersten Schicht, insbesondere die Trilobiten, krebsartige kleine Mehrzeller, aus der Schicht von 500-490 Millionen Jahren, während man darunter überhaupt keine Tiere mehr fand. Dies führte zum Begriff 'kambrische Explosion', und Sedgewick erklärte den Befund durch einen Akt der Kreation der mehrzelligen Tiere (mayr xx). Erst viel später wurden dennoch in den vor dem Kambrium liegenden Schichten mehrzellige Meerestiere gefunden, aber sie waren zirka 1000 mal kleiner, nicht mehrere Millimeter bis Zentimeter, sondern Mikrometer, und mit den damaligen Methoden nicht entdeckbar. Immer wieder werden neue Fossilien gefunden, und viele dieser Funde bedeuten jedesmal eine kleine 'Revolution' in der Paläontologie.

Zweitens aber ist anzumerken, dass die Fossilierung eines Tieres an sich ein so unwahrscheinlicher Vorgang ist (bei Pflanzen noch unwahrscheinlicher), dass Lücken in den Fossilfunden überhaupt nicht verwunderlich sind. Zunächst werden alle organischen Teile des Tieres (er Pflanze) normalerweise chemisch zersetzt oder gegessen (nur in extrem seltenen Fällen bleibt von einem Tier mehr als das Skelett erhalten; z.B. wenn es aus ewigen Eis geborgen wird). Aber auch das Skelett des Tieres wird im Regelfall entweder zerbrochen und gegessen, oder von Steinen, Wind oder Wasser komplett zermalmt und erodiert. Nur wenn das Skelett von einer Erdschicht eingeschlossen wird, hat es eine Chance zu fossilieren. Bevor noch der Versteinerungsprozess abgeschlossen ist, darf es das Skelett nicht wieder durch Wasser freigewaschen werden oder durch geologische Verschiebungen zermalmt werden, usw. (Ridley 623). Auch Gesteinsschichten sind unvollständig; gewisse Sediemntschichten können von Wind, Wasser oder Eis komplett vernichtet bzw. wegtransportiert worden sein (Tabelle 630). Dennoch sind für eine Reihe evolutionärer Sequenzen heute richtige Reihen von fossilen Spezies bekannt, die eine Art kontinuierlicher Evolution erkennen lassen; vgl. dazu Abb. xx. (s. Ridley 457).
Abb. xx Ridley 535
1.7.5 Homologie vs. Analogie: Inperfektheiten in der Evolution: Wie wir in Kap. xx erklärt haben, beruhen die meisten Ähnlichkeiten zwischen Spezies auf Homologien, d.h. Ähnlichkeiten aufgrund Abstammung von gemeinsamen Vorfahren; daneben gibt es viele Beispiele von Ähnlichkeiten aufgrund bloßer Analogien, entstanden durch gleichartigen Selektionsdruck einer ähnlichen Umwelt. Die gleiche hydrodynamische Form des Hai- und Walfisches und ihrer Flossen sind eine bloße Analogie; das gleichartige Skelett von Walen und Säugetieren eine Homologie. Homologien sind als Belege der Evolution in zweifacher Hinsicht wichtig. Erstens sind viele augenfällige Homologien nicht durch gemeinsame selektive Umgebung erklärbar, weil eine solche nicht vorhanden war, sondern die einzig plausible Erklärung ist gemeinsame Abstammung. Zweitens und insbesondere sind die meisten Homologien, vom Standpunkt eines 'Konstrukteurs', mit Willkürlichkeiten und Inperfektheiten verbunden. Ein Beispiel ist der gemeinsame Skelettbauplan aller tetrapodischen Wirbeltiere, welche allesamt von den tetrapodischen Fischen, den Quastenflossern, abstammen. Die Skelettstruktur der Extremitäten des Frosches, der Eidechse, des Vogels, des Menschen, der Katze, des Wales und der Fledermaus sind in Abb. xx dargestellt, sie sind alle gleichartig und enthalten sogar alle die 5gliedrigen Finger- bzw. Zehenknochenansätze (bis auf den Vogel, wo Fingerglied 4 und 5 verkümmert aber im Ansatz ebenfalls noch sichtbar sind). Da diese Extremitäten ganz unterschiedliche Funktionen ausüben, ist es vom Standpunkt eines Konstrukteurs geradezu ein 'Witz'; wer würde auf die Idee kommen, Walflossen mit fünf Fingerknochen zu versehen  eine klare Subotimalität bzw. Inperfektheit; und die einzige Erklärung dafür ist eben die Evolution, also dass neue Formen aus alten entstanden sind und sich von dem, was in den alten Formen schon da war, heraus entwickelt haben.

Abb. xx (Rideley 45)


In ähnlicher Weise sind viele Homologien zugleich Beispiele für Inperfektheiten er Evolution, und gelegentlich sogar für Disfunktionalitäten. Die gekrümmte Wirbelsäule des Menschen stammt aus der Zeit seiner vierbeinigen Vorfahren und ist für den vierfüßigen Gang vorteilhaft; aber nicht für den zweifüßigen Gang (Sober xx). Ein extremes Beispiel ist der Kehlkopfnerv (Laryngealnerv), der 4. Vagusnerv der Wirbeltiere (Ridley 343f), der bei Fischen vom Gehirn zum Kehlkopf führt und hinter den Aterienbögen verläuft, welche die Kiemen speisen. Während dies bei Fischen anatomisch vorteilhaft ist, wird es bei Säugetieren vergleichsweise disfunktional, da dieser Nerv nun vom Gehirn zuerst den Hals hinunter um die Brustaterie herum muss um dann wider hinauf zum Kehlkopf zu führen; bei einer Giraffe ist dies ein Umweg von mehreren Metern. Ähnliche verblüffend sind die Homologien zwischen den Embryonalstadien von Wirbeltieren  wir hatten in Kap. xx schon erwähnt, dass bei den Embronalstadien aller Wirbeltiere Kiemenansätze vorhanden sind, die bei Reptilien, Vögeln und Säugern später wieder verschwinden. Vom Standpunkt eines kreierenden Ingenieurs aus sind dies alles Absurditäten.

Das Argument der Inperfektheit bzw. Disfunktionalität ist ein besonders wichtiges Argument gegen den Kreationismus. Der enge schriftgetreue Kreationismus wird schon durch die oben angeführten Evidenzen unhaltbar, denn sowohl die Altersangaben der Bibel wie die Lehre von Gottes Schöpfungen sind völlig unvereinbar mit diesen Evidenzen. Aber häufiger als diese extrem-dogmatischen Kreationisten sind gemäßigt-liberal kreationistische Positionen, die erstens mehr deistisch als theistisch sind und zweitens die heiligen Schriften weitgehend nicht wörtlich sondern metaphorisch deuten (vgl. Kap. xx). Solche Kreationisten würden lediglich behaupten, dass die perfekte Geordnetheit der Natur auf irgendeine Art von Schöpfer schließen lässt, der aber die Welt schon vor viel längerer Zeit als es in der Bibel steht, und in mehreren Kreationen geschaffen haben könnte, der auch mit der Vorstellung verträglich ist, dass sich seine Schöpfungen in einer von ihm gewollten Weise selbstständig weiterentwickelt haben, so wie nach deistischer Lehre sich auch das Planetensystem weiterbewegt, ohne dass Gott es jedesmal dazu anstoßen muss (vgl. Dennett 88ff: Asa Grey, ein religiösen Darwin-Befürworter, meinte, Gott beabsichtigte die evolutionären Prozesse). Dieser gemäßigte Kreationismus gerät aber in deutlichem Konflikt mit den geschilderten Inperfektheiten und Disfunktionalitäten in der Evolution. Ein allwissender und allgütiger Gott, wie und wann auch immer, hätte die Lebewesen sicher nicht derartig seltsam und suboptimal kreiert. Die Daten der Evolution geraten also in Konflikt mit der Problem der Theodizee, der Rechtfertigung Gottes. Freilich könnte es auch einen ganz raffinierten Quasi-Kreationisten geben, der den wissenschaftlichen Theorien alles zugesteht, aber hinzufügt, Gott hätte eben die Welt genauso gemacht, wie sie jeweils dem besten Stande des Wissens zufolge ist. Auf eine solche Gotteskonstruktion, die von Sober der "trickster God" genannt wird (Sober xx), gehen wir in Kap. xx näher ein, wo wir sehen werden, dass es auch kreationistische Varianten gibt, die gegenüber empirischer Widerlegung immun sind, sondern nur methodologisch kritisierbar sind.

Die universalste Homolgie ist die RNA und DNA. Injiziert man beispielsweise die mRNA eines Kaninchens für Hämoglobin (das Protein der roten Blutkörperchen, welches Sauerstoff bindet) in das Baketrium Escherichia Coli, so erzeugt dieses Bakterium Kaninchen-Hämoglobin (s. Ridley xx).

Bloße Analogien ist zwar meistens nur oberflächlich ausgebildet, weil tieferliegende Merkmale wie Skelettstruktur von einander abweichen; aber einige Analogien in der Natur sind überraschend stark ausgebildet. So gibt es überraschend viele Beutel-Säugentierespezies, die gewissen placentalen Säugetierspezies analog sind (Ridley 453ff), obwohl die Beuteltiere gemeinsame Beutel-Vorfahren haben, die ihnen näher sind als die gemeinsamen Vorfahren mit den ihnen analogen plazentalen Spezies. So gibt es den (ausgestorbenen) Beutel-Säbelzahntiger, den (ausgestorbenen) Tasmanischen Beutel-Wolf, Beutel-Ratten, Oppossum-Mäuse, Flug-Beutler, Beutel-Marder. Wie ist es möglich, dass gleichartige ökologische Nischen (Spezialisierung auf leben in kleinen Höhlen unter der Erde, Spezialisierung auf gewisse Nahrungssorten wie Insektenfressende, Raubtiere die sich von unterschiedlich großen Beutetieren ernähren, Leben auf Bäumen, am Boden, usw.)  dass dies derart ähnliche Formen ergibt? Prima facie ist dies, angesichts der vielen Zufallsdrifte in der Evolution, wenig plausibel, und man könnte geneigt sein, eine 'Umweltinduktion' hineinzulesen, für die es aber keine plausiblen Mechanismen gibt. Eine mögliche Erklärung hierfür ist der Weissmann-Effekt: im Bauplan des gemeinsamen Vorfahrens von Beutel-Säugern und placentalen Säugern könnten eben schon gewisse Attribute eingebaut sein, deren zugehörige DNS-Abschnitte besonders leicht mutieren  etwa Beinlänge, Größe, Zahngröße, Gebissform, Krallenform, und andere Merkmale, etc.  so dass in gleichartigen Umgebungen sich relativ rasch eine selektiv gesteuerte Merkmalsvariation in eine bestimmte Richtung erfolgt.

Es gibt etliche weitere Beispiele für Disfunktionalitäten in der Evolution. Ein Beispiel ist der mit der (bereits von Darwin analysierten) sexuellen Selektion zusammenhängende Runaway-Prozess des Überschießens über das Fitness-Maximum, welches Fisher am Beispiel der langen Federschwänze des Pfauenhahns (peacock) analysierte (Ridley 283f). Hähne mit längeren Schwänzen deuten auf größere Stärke und Verteidigungsfähigkeit hin; Weibchen beginnen, Hähne mit längeren Schwänzen zu bevorzugen; eine Allelvariante welche diese Bevorzugung bei der Paarung bewirkt setzt sich im Weibchen durch, und sexuelle Selektion von Männchen mit längeren Schwänzen durch Weibchen beginnt. In der Folge können sich Männchen mit längeren Schwänzen besser reproduzieren. Der Prozess stoppt aber nicht dann, wenn Männchen eine optimale Schwanzlänge erreicht haben, sondern schießt über das Fitnessoptimum hinaus  Weibchen bevorzugen weiterhin längere Schwänze, und Pfauenhähne mit Schwanzlängen, die für sie bereits hinderlich ist (z.B. in der Nahrungsbeschaffung, der Reproduktion, usw.) werden sexuell bevorzugt selektiert. In der Folge setzt ein wieder zurückgerichteter Selektionsprozess ein, insofern es diesen sexuell zwar bevorzugten schwanzbehinderten Hähne es nicht so gut gelingt, ihre Nachkommen großzuziehen, bis sich irgendwo ein Gleichgewicht einpendelt, der in Abb. xx 'rechts' vom eigentlichen Fitness-Optimum liegt.
Fitness

Anfägl. Fitnessoptimum heutige

evolut. Stadium Schwanzlänge

Schwanzlänge des Pfauenhahns


Abb. xx
Die bedeutendste Evidenz dafür, dass Evolution nicht von einem gütigen Kreator inszeniert ist, sind die Prozesse des Massen(aus)sterbens von Spezies, die in der Geschichte des Lebens auf der Erde mehrmals vorgekommen sind, und bei denen zwischen 70 und 85% aller Spezies vernichtet wurden. Solche Massenauslöschungn fanden im statistischen Schnitt alle 26 Millionen Jahre statt und sind teilweise unbekannter Ursache und kontrovers  fünf solche Ereignisse sind besonders evident (Rideley 609; Brown xx). Aber nur im Fall der die durch einen Kometen bewirkte Massenauslöschung vor ca. 65 Millionen Jahren (Beginn Tertiär), welche die Saurier auslöschte, sind die Ursachen einigermaßen klar und wenig kontrovers; für die anderen Massenauslöschungen diskutiert man Vereisung der gesamten Erdoberfläche, rapides Fallen oder Steigen der Meeresspiegel, oder Kontinentalverschiebungen; s. Brown xx; Rideley 615). Insbesondere die beiden Totalvereisungen des Erdballes, mit Gletscherzonen bis hinein in den Äquator, welche vor 2,5 – 2,2 Milliarden und vor 750 – 600 Millionen Jahren stattfinden und an Gletschersedimenten nachweisbar sind, hätten eventuell eine irreversible Abkühlung der Erde nach sich ziehen und alles Leben auslöschen können, hätte es nicht glückliche Gegenprozesse gegeben (s. dazu Kap. xx; Brown xx). Jedenfalls spricht die Tatsache, dass die Erde schon mehrmals am Rande eines 'Abgrundes', nämlich der Auslöschung aller Spezies, vorbeigedriftet ist, ebenfalls gegen jegliche Art eines kreationistischen Weltbildes.

1.7.5 Evidenzen der molekularen Evolution: Ab den 1960er Jahren gesellten sich zu den bisher erläuterten Evidenzen die Evidenzen der molekularen Evolution hinzu, die insbesondere Kimura ab 1963 im Bereich der neutralen Aminosäurenmutationen von Proteinen studierte. Kimura trug beispielsweise die Änderungsrate des -Globins (welches bei allen Tieren und schon bei Einzellern auftritt), d.h. die Anzahl ausgetauschter Aminosäuren, für verschiedene Paare von Spezies in Abhängigkeit von ihrem evolutionärem Altersabstand in Millionen (Myr) Jahren auf und erhielt annähernd eine gerade. Er schloss daraus, dass die neutrale Aminosäurenevolution wie eine molekulare Uhr funktioniert, bei der im Fall des -Globins nach 500 Millionen Jahren im Schnitt eine Aminosäure mutiert  was heißt, dass die entsprechende Base am DNS-Strang mutiert. Die Mutationsraten für verschiedene Polypeptide (-Globin, Fibrinopeptiden, pankreatische Ribonuklease, Myoglobin,. Insulin, Cytochrom c) bewegen sich zwischen 0,5 und 10 Mutationen pro Milliarden Jahren (Ridley 142). Auf diese Weise ergibt sich nicht nur eine zusätzliche unabhängige Altersbestimmungsmethode für Spezies, sondern auch eine zusätzliche Methode, um evolutionäre Abstammungsbäume zu generieren. Wie wir im nächsten Kapitel ausführen, ist der plausibelste evolutionäre Abstammungsbaum, welcher eine Menge von Spezies erklärt, jeweils der, welcher am wenigsten Mutationen annimmt und daher die Evidenzen am wahrscheinlichsten generiert  dabei gibt es oft mehrere optimale Abstammungsbäume. Man nimmt plausiblerweise an, dass wenn sich zwei Spezies in n Aminosäuren eines Proteins unterscheiden, dabei keine extrem unwahrscheinliche Hin- und Rückmutationen vorgekommen ist, sodass sich beide Spezies in n/2 Amonosäuren von ihrem nächsten gemeinsamen Vorgänger unterschieden, und n/2 multipliziert dividiert durch die Änderungsrate (beim -Globin 5109) ergibt dann die Anzahl der Jahre, welche seit dem gemeinsamen Vorfahren vergangen sind (für n = 20 beispielsweise 2 109 Jahre). Abb. xx zeigt den Stammbaum des Sytochroms c in verschiednen Lebewesen.

Abb. xx: Lindner Abb. 123.1


Penny et al. (1982) generierten anhand von fünf Polypeptiden die plausibelsten Abstammungsbäume für 11 Säugetierspezies  dafür gibt es Computerprogramme. Sie gelangten zu genau einem Abstammungsbaum, der für alle fünf Polypeptide gleichermaßen optimal ist, d.h. die evolutionäre Aufspaltung mit am wenigsten Mutationen erklärt, und der mit den Abstammungsbäumen aufgrund anderen Evidenzen (Hiomologien, Fossilevidenzen, usw.) so weit als möglich übereinstimmt (Ridley 51).

Eine wichtige molekulare Evidenz ist die Evolution von mitochondrialer DNS, die schnell evolviert, weil bei der Mitochondiren-DNS die Reparaturenzyme fehlen. Sie evolviert innerhalb von Millionen von Jahren und ist nach ca. 25 Millionen Jahren bereits so randomisiert, dass eine weitere Altersbestimmung nicht möglich ist. Durch Vergleich der Mitochondrien-DNS von 135 unterschiedlichen Menschen-Rassen bzw. Ethnien, speziell auch Eingeborenen-Stämmen, wurden per Computer die plausibelsten Abstammungsbäume generiert, und obwohl es unterschiedliche optimale Abstammungsbäume gibt, deutet das Resultat eines gemeinsamen afrikanischen Vorfahren aller dieser Ethnien vor etwa 100.000 Jahren hin (Ridley 469).

Eine einfache Methode, die Proteinunterschiedlichkeit zu messen, beruht auf immunologischen Abstoßungsreaktionen (wenn etwa menschliches Albumin einem Gorilla, Schimpansen oder Kaninchen injiziert wird, gibt es eine messbare Rate immunologischer Abstoßung). Auf diese Weise ermittelten Sarich und Wilson (1967), dass der gemeinsame Vorfahre von Mensch, Schimpanse und Gorilla etwa 5,5 Millionen Jahre zurückliegen musste und widerlegten damit die bis 1960 akzeptierte These, das der Ramapithecus vor 9-12 Millionen Jahren der nächste Vorfahre des Menschen wäre, weil sein Gebiss mehr dem des Menschen als dem des Schimpansen gleicht (Ridley 473)  ein Beispiel dafür, dass die Konstruktion von evolutionären Abstammungsbäumen durch phänotypische Merkmale irrtumsbehaftet sein kann und in diesem Fall durch die molekulare Evidenz korrigiert wurde.

Andererseits evolviert die ribosomale RNA extrem langsam (auch in neutralen Stellen), weshalb man sie zu Bestimmung von Abstammungsbäumen für große Zeiträume bis zu Milliarden von Jahren einsetzen kann.



1.7.6 Die Bestätigungskraft unabhängiger Evidenzen: Jede erfolgreiche Erklärung einer Evidenz E durch eine Hypothese H liefert eine gewisse Bestätigung bzw. Wahrscheinlichkeitserhöhung der Hypothese H durch die Evidenz E. Dies ist ein Grundprinzip des so genannten Bayesianismus, welches allerdings sehr schwach ist  denn die Bestätigung einer Hypothese durch nur eine Evidenz oder eine Gruppe abhängig generierter Evidenzen (z.B. Evidenzen einer Fossilfundstätte, bei der alle dortigen Funde denselben geologischen Fehlerquellen unterliegen könnten) muss nicht unbedingt sehr hoch sein, sondern kann auch sehr minimal sein. Ein in der Wissenschaft häufig auftretender Grund, warum gewisse Hypothesen als derart stark bewährt angesehen werden, ist, dass sie viele unabhängig voneinander erhobene quantitative Evidenzen gleichermaßen erklären, bzw. gemäß dem Schluss auf die beste Erklärung gleichermaßen bestätigt werden. Ein vieldiskutiertes Beispiel in der Wissenschaftstheorie ist die Hypothese, dass alle Substanzen und speziell Gase aus Molekülen zusammengesetzt sind, wobei ein Liter Gas eine bestimmte Anzahl von Molekülen enthält  Avogadro's Zahl (ca. 1024). Die Avogadrosche Zahl konnte durch sehr viele gänzlich unabhängige empirische Evidenzen ermittelt werden, und man kam immer wieder auf denselben Wert  was eine enorme Bestätigung von Avogadro's molekularem Gasmodell bedeutete. Dasselbe ist bei evolutionären Abstammungsbäumen mit Altersbestimmung oft der Fall  die Evidenzen aufgrund homologer Merkmale (wie Skelettbaupläne), die Ähnlichkeitsreihen für Fossilevidenzen, und die plausibelsten Abstammungsbäume aufgrund diverser unterschiedlicher Polypeptide, deuten auf denselben evolutionären Abstammungsbaum hin. Insbesondere, die verschiedenen Methoden der Altersbestimmung, von der C14-Methode bis zur molekularen Uhr, ergeben ähnliche Alterswerte. In einem solchen Fall steigt der Bestätigungsgrad der Hypothese bzw. Theorie enorm an, denn jede andere plausible Hypothese, welche mit der erklärenden Hypothese inkompatibel ist, würde solche Übereinstimmungen extrem unwahrscheinlich machen. Gäbe es z.B. keine Evolution, und wäre das tatsächliche Alter der Spezies ganz anders, etwa so, wie die Keationisten glauben, so wäre es gänzlich unwahrscheinlich  geradezu ein Wunder  dass alle diese Methoden dieselben Altersangaben und nahezu dieselben Abstammungsbäume liefern. Dies ist eine Variante des bekannten Wunderarguments von Putnam zugunsten der realistischen Wahrheit von sehr gut bestätigten wissenschaftlichen Theorien  wären sie falsch, so wäre ihr empirischer Erfolg geradezu ein Wunder (xx).

Damit bin ich mit der Zusammenstellung der Hauptevidenzen zu Ende. Insbesondere zeigt die Zusammenstellung, das die (biologische) Evolutionstheorie in vielfacher Weise falsifizierbar ist  dass sie dies nicht sei und daher keinen empirischen Gehalt hätte, wurde ihr ebenfalls von diversen Gegnern vorgeworfen. Aber wie schon Haldane sagt, so würde er beispielsweise die Evolutionstheorie aufgeben, wenn jemand ein Kaninchenfossil im Schichten des Präkambrium finden würde (Ridley xx). Oder, um einfachere Beispiele zu nennen  er würde schon genügen, dass die geologische Reihenfolge der Sedimentschichten mit der Isotopenmethode nicht übereinstimmt  dass in den untersten Schichten plötzlich Schichten liegen, die radioaktiv gesehen jünger sein müssten. Oder wenn die Fossilien dieser Schichten plötzlich Spezies enthielten, die radioaktiv gesehen jünger sind. Oder aber, wenn die morphologischen Ähnlichkeitsreihen nicht mit der Schichtenfolge oder mit der radioaktiven Altersbestimmung übereinstimmt. Wenn ein Nachfahre eines Vorfahren, etwa ein Haifisch als Nachfahre primitiver mariner Mehrzeller, plötzlich wieder unterhalb von Schichten aufträte, in der es nur Einzeller gab  damit wären wir bei Haldane's Fossil eines Säugetiers im Präkambrium. Oder wenn die molekularen Altersabstände diverser Polypeptide ganz andere Abstammungsrelationen ergeben. Oder wenn die Fakten der Kontinentalverschiebung und Biogeographie nicht mit den Fossilevidenzen übereinstimmen würden. Oder  usw. Die These, die Evolutionstheorie sei nicht falsifizierbar, sollte mit diesen Hinweisen selbst als gänzlich falsifiziert anzusehen sein.



Eine Reihe weiterer Phänomenen weisen auf evolutionär-adaptive Erklärungen hin, die nicht allesamt aufgezählt werden können. Ein Beispiel ist Bergmanns Gesetz, demzufolge gleiche Vertreter gleicher Gattungen in kälteren Regionen zu größeren und rundlicheren Körperformen neigen (Ridley 575). Bei größeren und rundlicheren Körperformen ist nämlich das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen geringer, daher der Wärmeverlust geringer bzw. die Wärmespeicherkapazität größer – und es ist naheliegend, dass Spezies sich so auf Klimabedingungen hin adaptiert haben. Wieder entsprechend dem Weissmann-Effekt, dass Körperformen eben besonders leicht variieren. Natürlich sind solche Gesetze nur statistische Trends, es gibt immer Ausnahmen, z.B. nach plötzlichem Klimawechsel in einer Region, oder wenn eine Spezies erst kürzlich in ein klimatisch anderes Gebiet ausgewandert ist. Ähnlich gelagert ist Cope's Gesetz der Tendenz zu größeren Körperformen (Ridley 559f)  größere Beutetiere entziehen sich der Erlegbarkeit durch Räuber; umgekehrt setzt dadurch eine Koevolution von Räubern ein, die dann ebenfalls zu größeren Körperformen tendieren (analog ist die Koevolution bzgl. der Schnelligkeit). Auch diese Trends kehren sich unter speziellen Bedingungen, welche kleinere Körperformen begünstigen (z.B. Aufenthalt in Erdlöchern usw.) um. Zugleich sind solche Koevolutionen ein gutes Beispiel für das erwähnte Red Queen Prinzip von van Valen (1973)  Spezies müssen sich kontinuierlich weiterentwickeln, um ihre Populationsstabilität beizubehalten.

Es gab ab den 1960er Jahren eine Reihe von Kontroversen über verschiedene Sichtweisen innerhalb der biologischen Evolutionstheorie, die aber von Dennett zurecht als 'Stürme im Wasserglas' dargestellt werden, da es sich nicht um wirkliche alternative Paradigmen handelte, sondern nur um unterschiedliche Gewichtungen verschiedener Aspekte der Evolutionstheorie, und die aufgeworfenen Probleme in der modernen Evolutionstheorie längst als gelöst zu betrachten sind. Ein Beispiel ist der viel diskutierte Aufsatz von Gould und Lewontin (1979), die dort den übertriebenen Adaptionismus kritisieren, und mit dem Vergleich von Dr. Pangloss aus Voltaire's "Candidus" lächerlich machen  für den Leibnizianer Pangloss war unsere Welt notwendigerweise die beste aller möglichen Welten, und selbst die Nasenvorsprünge der Menschen wären dazu gut, Brillen zu tragen (1979, 583), was unsinnig ist, denn natürlich haben sich Nasenvorsprünge nicht biologisch an das Brillentragen adaptiert; sehr wohl aber hat umgekehrt die Technologie der Brille sich in der kulturellen Evolution an die Nasenvorsprünge adaptiert (vgl. Kap. xx). Wie Dennett ausführt, haben viele grundsätzlich gegen Evolutionstheorie eingestellte Geisteswissenschaftler sich häufig auf Gould berufen, aber ohne zu sehen, dass Goulds Kritik die Evolutionstheorie nicht wirklich trifft (Dennett 371). Dennett verteidigt den Adaptionismus und betont, dass sich Gould nur gegen den Ultraadaptionismus, den übertriebenen Adaptionismus wendet, aber nicht gegen die Existenz adaptionistischer Prozesse (Dennett 330ff). Gould versucht oft als Marxist, Evolutionstheorie mit politisch linken Werten zu verbinden, andererseits versucht er auch, Evolution mit Religion kompatibel zu machen (Dennett 439ff)  auf diese Probleme kommen wir in Kap. xx zurück. Wir haben bereits auf Zufallsdrifte und gelegentliche Inperfektheiten der Evolution hingewiesen. In ihrem Aufsatz interpretieren Gould und Lewontin viele Anpassungs­leistungen als sekundäre Anpassungen an biologische Merkmale, die aus ganz anderen Gründen entstanden sind und oft mit der globalen Architektur von Bauplänen zu tun haben. Die Autoren ziehen den Vergleich mit den Spandrillen ('spandrels') von Kathedralen, den gekrümmt-dreieckigen von Stützbalken umrahmten Aussparungen im Kuppelbau von Domen, welche auf ein höchstes Zentrum gerichtete Symmetrie aufweisen und daher für Arrangements von religiös inspirierten Gemälden verwendet wurden  aber erst sekundär, denn die wirkliche selektive Ursache waren nicht die Gemälde, sondern die architektonischen Notwendigkeiten des Kuppelbaus von Domen. Derartige Sekundäradaptionen kommen in der Evolution oft vor. Gould und Vrba bezeichnen es als Exadaption, wenn Organ seine Funktion aufgrund bestimmter Selektionsbedingungen ändert, aber seine Struktur weitgehend beibehält  die spätere Funktionsänderung nennt man dann auch Exadaption des Organs, und das frühere Organ mit ursprünglicher Funktion mit auch Präadaption für die spätere Funktion genannt (Ridley 329f.) Beispiele haben wir bereits kennen gelernt: die tetrapodische Skelettstruktur und Flossenanordnung der Quastenflosser als Exadaption für landlebende Wirbeltiere; deren Funktionsveränderung für Gehen ist die Exadaption.

Insbesondere wird durch Ex- bzw. Präadaptionen das Problem der Makromutationen lösbar, bzw. der Mutationen, welche wie in Abb. xx angeführt von einem Fitnessmaximum sich durch ein Fitnesstal bewegen müssen, um zu anderen zu gelangen. Beispielsweise die Frage, wie Flügel entstanden sind, wenn winzige Flügelchen doch keinen Selektionsvorteil hätten: einerseits ist der leichte Knochenbau von Vögel eine Exadaption des leichten Knochenbaus schwerer Saurier, welche aufgrund ihrer Größe sich nur bei leichtem Knochenbau fortbewegen konnten. Das Federkleid der Vögel, vermutet man, ist eine Exadaption aus einer Befiederung von Landlebewesen, welche die Funktion der Thermoregulation hatte. Dass gewisse baumlebende Wesen, die aufgrund des leichten Körpergewichtes große Sprünge von Baum zu Baum machen, durch Adaption gewisse Hautspannen zwischen den ausgestreckten Extremitäten bilden können, welche ein längeres Gleiten ermöglichen, ist auch von Fledermäusen etc. bekannt – überdies sind solche Mutation auch involviert, wenn aus Landsäugern Wassersäuger werden; man vermutet, dass vor etwa 65.000 Jahren, kurz nach der Kometenkatastrophe, gewisse hundeartige Tiere bevorzugt Nahrung aus dem Meer besorgten und der ständige Meeresaufenthalt hat Schwimmhäute begünstigt, woraus Robben entstanden, und in der Folge alle Meeressäuger. Durch derartige plausible (aber unsichere) Szenarien sind jedenfalls alle mit 'Makromutationen' bzw. 'Fitnesstälern' verbundenen Probleme zumindest grundsätzlich lösbar, wenn auch viele Details ungewiss sind. Insbesondere ist überall der Weissmann-Effekt als Erklärung mit involviert, demzufolge gewisse Körperpartien eben besonders leicht mutieren.

Auch die These von Elredge und Gould (1972), dass Evolution nicht graduell, sondern diskontinuierlich wäre, also aus langen Phasen der Stagnation oder Stetitgkeit unterbrochen von schnellen revolutionären Veränderungen besteht (Mayr 617, Ridley 391  puctuated equilibria), haben wir bereits ausführlich empirisch belegt und evolutionstheoretisch erklärt, z.B. durch Eroberungen neuer adaptiver Zonen, durch seltene 'Makromutationen' des Genoms, ohne Umweltinduktion anzunehmen, durch schnelle Klimaverschiebungen, usw.  wie Ridley (522) betont, war sich schon Darwin solcher Diskontinuitäten in der Evolution bewusst.

1.8 Abstammungsbäume und das Problem der optimalen bzw. 'natürlichen' Klassifikation  die moderne Kontroverse

Mayr führt aus, dass das Interesse an Klassifikationen Ende des 19. und im 20. Jahrhundert nachließ, weil sich keine eindeutigen Resultate ergaben  was nicht verwunderlich ist, denn wie schon Darwin wusste, sind Spezies eben historisch sich wandelnde Entitäten (Mayr 217ff). Allerdings gibt es ab den 1970ern wieder eine zunehmende Kontroverse um die 'richtige' Klassifikationsmethode, die allerdings auf einen speziellen Kreis beschränkt ist. Zunächst gibt es die Frage der Mikrotaxonomie was ist eine Spezies. Da Spezies sich wandelnde Entiotäten sind, ist der Essentialismus, d.h. die Definition über eine Menge essentieller Eigenschaften, nicht angebracht Ghiselin (1974b) und Hull (xx) haben vorgeschlagen, Spezies ontologisch nicht als 'Universalien', sondern als komplexe raumzeitlich zusammengesetzte 'Individuen' zu begreifen, nämlich als Populationen bzw. Kollektive von Individuen, durch untereinander kausal verbunden sind, nämlich durch einen gewissen Genfluss. Vorherrschend ist zweifellos das Konzept der Spezies als Reproduktionsgemeinschaft, welches Mayr das 'biologische' Spezieskonzept nannte (Mayr 273ff)  danach besteht eine Spezies aus allen aktual oder potentiell sich sexuell reproduktionsfähigen Individuen, welche gegenüber andere Spezies durch gewisse Reproduktionsbarrieren isoliert sind. Dabei unterscheidet man zwischen präzygotischen Barrieren  die Individuen unterschiedlichen Geschlechts haben sich soweit voneinander fortentwickelt, dass sie sich nicht mehr als mögliche Sexualpartner erkennen; zygotische Barrieren  die Entwicklung der befruchteten Eizelle funktioniert nicht; und postzygotischen Barrieren  der 'bastard' ist selbst nicht mehr zeugungsfähig (Ridley 387). Überdies unterschiedet man drei Arten der Speziation, also Speziesaufspaltung durch Isolierung: die allopatrische, bei der zwei Populationen des gemeinsamen Vorgängers über lange Zeit geographisch getrennt sind und in verschiedenen Umgebungen leben, sodass sie sich alsbald genetisch unterscheiden (Ridley 417  wie die Finken auf den Galapagos Inseln, usw.); die parapatrische Speziation, bei der sich zwei Teilpopulationen, die sich in einem Allel unterscheiden, sich geographisch zwar überlappen, aber die Heterozygoten Kreuzungen haben einen Selektionsnachteil und verschwinden langsam (Ridley 423), und die sympatrische Speziation, die ganz ohne geographische Separation erfolgt, und bei der es unklar ist, ob es sie überhaupt gibt (Ridley 428f  die zwei Allele müssten hier dieselbe Fitness haben, damit beide weiterbestehen).

Die biologische Speziesdefinition hat jedoch Probleme der oftmaligen Uneindeutigkeit. Es gibt viele Populationen einer Spezies, zwischen denen faktisch so gut wie kein Genfluss bestehen (Ridley 396)  daher muss man sich auf möglichen Genfluss beziehen, wie der spätere Mayr das tun; andererseits kann man wie erwähnt diverse unterschiedliche Pflanzenspezies miteinander hybridisieren und durch Chemikalien die nachkommen fruchtbar machen; es ist also unklar, was hier alles zu 'möglich' mitgerechnet wird. Weiters gelten Wölfe, Hunde, und Kojoten z.B. als verschiedene Arten; sie kreuzen sich aber und ihre Nachkommen sind meist fruchtbar (Dennett 56). Dagegen kann sich ein Dackel mit einem irischen Wolfshund wegen des Größenunterschieds nicht paaren, beide zählen zur selben Spezies. Kurz gesagt sträuben sich Biologen, morphologisch komplett unterschiedliche Varietäten als 'gleiche Spezies' zu definieren, oder morphologisch identische Varietäten, die sich bloß nicht reproduzieren, weil sie z.BN,. geographisch komplett getrennt sind, als verschiedene Spezies zu bezeichnen. Rensch und Mayr führen die Begriffe "Subspecies" und Superspecies ein (Mayr 291), was nicht unbedingt das Problem löst.

Der Speziesbegriff ist also in etlichen Fällen uneindeutig. Andere Autoren schlagen vor, Spezies ökologisch, durch Besetzen einer gemeinsamen Nische, zu definieren (Ridley xx); auch der spätere Mayr nimmt dies als zusätzliches Kriterium hinzu (Mayr 273). Die Frage, in welchem Grad Mayrs Speziesbegriff auf de-fakto-Spezies zutrifft , wurde von Grant (1957) für 11 Genera von Kalifornischen Pflanzen untersucht, davon waren weniger als die Hälfte gute Mayr-Spezies, d.h. sie konnten weder miteinander verwechselt noch miteinander gekreuzt werden (Mayr 280f). Andererseits ergab eine Untersuchung von Mayr und Short (1970) bei 607 Vogelarten nur 46 schlechte Mayr-Spezies.

Noch schwieriger wird es bei den höheren biologischen Kategorien bzw. Taxa. Man kann die Klassifikationsmethoden oder 'taxonomische Philosophien' wie folgt einteilen (Ridley 358ff):
Phenetizismus Phylogenetik

(nach Merkmalsähnlichkeit) Nach dem Abstammungsbaum


Cladismus Evolutionäre Taxonomie

(nach Henning) (nach Mayr)
Die phenetizistische Klassifikation klassifiziert lediglich nach Merkmalsähnlichkeit und fasst besonders merkmalsähnliche Kategorien zusammen. Sie erfüllt das Kriterium der diagnostischen Effektivität mehr-oder-weniger gut; die Auswahl der Merkmale ist allerdings teilweise subjektiv (Ridley 364). Die phylogenetische Klassifikation ist seit Darwin die bevorzugte Methode. Bevor ich auf die aktuelle Taxonomie-Kontroverse eingehe, möchte ich betonen, dass man grundsätzlich zunächst 'den Wald' sehen sollte, bevor man einzelne 'Bäume' betrachtet: wie ausgeführt, kann man in der Evolution nicht mehr als statistische Trends oder Normalverhalten erwarten. Und normalerweise liefert gerade die Information über die Abstammung auf die diagnostisch effektivste Information über wesentliche Merkmale, insbesondere Morphologie, etc. betreffend (Hempel xx). Denn schließlich haben jede Gruppen, die abstammungsmäßig eng verwandt sind, auch den größten Teil der Abstammungsgeschichte am selben Ast und d.h. vermutlich unter vergleichbaren Umgebungsbedingungen existiert. Insbesondere die Speziestrennung impliziert, dass verschiedene Spezies sich normalerweise voneinander fortentwickeln werden, weil kein Gen­austausch mehr stattfindet. Daher sei betont, dass der gegenwärtige Streit über richtige 'Klassifikationen' aufgrund evolutionärer Sicht nicht unbedingt als Prinzipienstreit aufzufassen ist. Nachdem sich alle Spezies und höhere Taxa weiterevolvieren, und immer der Zufall mitspielt, gibt es nicht unbedingt die 'wahren' biologischen' Kategorien, sondern es gibt überall (wie schon Darwin betonte) erstens kontinuierliche Übergänge und zweitens Ausnahmen. Und jedes Klassifikationssystem muss sich bemühen, einerseits so diagnostisch effektiv wie möglich zu sein und andererseits zugleich möglichst viel Information über die Abstammung zu liefern  wobei beides oft aber nicht immer zusammengeht.

Wenden wir uns nun der phylogenetsichen Klassifikation zu, so fragen wir zuerst  wie werden Abstammungsbäume generiert? Angenommen man hat mehrere, im einfachsten Fall nur drei, Spezies, die sich in gewissen Merkmalen voneinander unterscheiden; die Merkmalsauswahl wird vom Hintergrundwissen bestimmt  es könnte sich Makromerkmale handeln (äußere, anatomische, physiologische), von welchen man vermutet, dass sie auf Homologien beruhen; oder um molekulare Merkmale. Dann folgt die Rekonstruktion des Abstammungsbaumes zwei Prinzipien: erstens, man nimmt einfachheitshalber binäre Aufspaltungen vor, und zweitens, man generierten jenen Abstammungsbaum, der am wenigsten unabhängige Variationen bzw. Mutationen benötigt. Da jede unabhängige Mutation sehr unwahrscheinlich ist, und somit jede zusätzliche unabhängige Mutation die Wahrscheinlichkeit um einen Faktor von 103 oder mehr absenkt, generiert man damit das wahrscheinlichste Entwicklungsszenario. Wir illustrieren dies zunächst an einem einfachen Beispiel von Sober (175)  Krokodile (C), und mehrere Vogelarten, sagen wir nur Spatzen (S) und Rotkehlchen (R). Bekanntlich sind ja Krokodile und Vögel entwickelungsgeschichtlich eng verwandt. Nun haben die Vögelspezies, hier S und R, viel mehr Merkmale gemeinsam als diese mit Krokodilen. Also erhält man an Mutationen (als Querstriche eingezeichnet) den sparsameren Baum, wenn man annimmt, der gemeinsame Vorfahr und Krokodilen und Vögel hätte sich zunächst in Krokodile und gemeinsamer Vogel-Vorfahr aufgespaltet, als umgekehrt:


K S R R S K

(Mut.)


Urreptil Urreptil

Zeit Merkmalsabstand


In die beiden Achsen ließt man intuitiv die Zeit und den Merkmalsabstand hinein, was allerdings der unten angeführten Cladistik zufolge nicht getan werden darf; nur der ebenfalls angeführten evolutionären Klassifikation zufolge ist das korrekt.

Nicht immer funktioniert die Methode so einfach  oft erhält man mehrere gleichmaßen optimale Abstammungsbäume (die dieselbe minimale Zahl von Variationen benötigen). Erstens kann der Fall eintreten, dass sich drei Spezies, nennen wir sie wie oben K, S und R, gleichermaßen voneinander unterscheiden  d.h. K und S unterscheiden sich in ebenso vielen Merkmalen wie S und R; und K und R unterscheiden sich in annähernd doppelt so vielen Merkmalen. In diesem Fall sind beide möglichen Abstammungsbäume oben gleichermaßen optimal, und man benötigt hier weitere Evidenzen, z.B., eben Fossilevidenzen, welche direkt auf das Alter der gemeinsamen Vorgänger schließen lassen und damit die Reihenfolge der Aufspaltung (welche kam zuerst) entscheiden. Zweitens kann der noch unangenehmere Fall eintreten, dass sich sowohl K von S, K von R wie S von R in etwa gleich vielen Merkmalen unterscheiden  man müsste die Ähnlichkeitsrelationen geometrisch dann als Dreieck anordnen. Dies ist allerdings bei neutralen Aminosäurenmutationen extrem unwahrscheinlich, denn aufgrund der vielen neutralen Aminosäuren gilt: wenn S sich angenommen von K in 2 A's unterscheidet, und K und R ebenfalls in 2 A's unterschiedet, dann ist es extrem unwahrscheinlich, dass bei der Umwandlung von K zu R genau die A's mutierten, die bei der Umwandlung von S zu K mutierten, oder gar, dass eine Rückmutation stattfand  also wird im Regelfall sich K von R in 4 A's unterscheiden. Man kann generell zeigen, dass sich genau dann eine lineare Ähnlichkeitsanordnung ergibt, wenn die Merkmalsdifferenz (A,B) zwischen beliebigen Spezies für beliebige neue C die Bedingung erfüllt: entweder (1) (A,C), (B,C) < (A,B) (dann ACB), oder (2) (A,C) > (B,C), (A,B) (dann ABC), oder (3) (B,C) > (A,C), (A,B) (dann CAB).

Auch dann können sich, wie gesagt, mehrere gleichoptimale Abstammungsbäume ergeben. Oft kennt man aber auch die Vorgängerknoten, z.B. oft bei der molekularen Evolution von Proteinen. In diesem Fall er gibt sich aus der erläuterten Bedingung eindeutig der ungerichtete Graph des Abstammungsbaums. Z.B. ergibt sich A BC (Ridley 458). Dann sind grundsätzliche verschiedene gerichtete Graphen, d.h. Abstammungsbäume damit verträglich; in unserem einfachen Beispiel sind dies CBA, oder ABC, oder ACB (ähnlich wie bei der Kausalanalyse; s. xx) Welches der drei zutrifft, kann man dann entweder durch bekannte Altersdaten bestimmen, oder aber durch die bereits erwähnte outgroup comparison, d.h. man weiß, dass sich ursprüngliche Spezies von wo eingewandert ist und daher einer Außenspezies am meisten ähnlich sein muss. Auf diese Weise gelang es z.B., den komplizierter Abstammungsbaum der irgendwann eingewanderten Hawaianischen Fruchtfliegen zu bestimmten, welche 101 Spezies bilden (s. Ridley 459).

Es gibt Computerprogramme zur Generierung optimaler, d.h. sparsamster Abstammungsbäume. Über die mitochondrale DNA bestimmte man auf diese Weise die sparsamsten Abstammungsbäume des modernen Menschen (Ridley 469): in ähnlicher Weise konnte man, wie erwähnt, auch die Ramapithecus-Hypothese widerlegen (Rideley 473). Generell liefern die molekularen Abstammungsbäume oft wesentlich klarere Kriterien als die phänotypisch generierten Bäume  aber die wirkliche Sicherheit kommt erst dadurch zustande, dass man nach dem Abstammungsbaum sucht, der von allen Methoden möglichst übereinstimmend generiert wird, und das Resultat dann durch unabhängige Altersangaben zusätzlich bestätigt.

Angenommen dass der Abstammungsbaum bekannt ist, gibt es immer noch (mindestens) zwei sehr unterschiedliche phylogenetische Klassifikationsmethoden: der oben erwähnte auf Henning zurückgehende Cladismus und die vorwiegend auf Mayr zurückgehende evolutionäre Klassifikation. Dem Cladismus zufolge muss jede biologische Kategorien immer alle Nachkommen umfassen  man spricht von monophyletischen Kategorien. Es gibt genauso viele Kategorien wie Nachkommenklassen, bzw. zu den Blättern des Binärbaums hin geschlossene Teilbäume. Dies ist in Abb. xx dargestellt. Die Klassifikation in der Mitte wäre eine Paraphylie  dabei lässt man den Zweig 1 weg, weil er merkmalsmäßig sich aufgrund besonderer Bedingungen von allen anderen Spezies entfernt hat; die rechte Klassifikation wäre eine so genannte Polyphilie  beides ist uncladistisch.

V K E S V K E S V K E S






Abb. xx: V Vögel, K Krokodile, E Eidechsen, S Schlangen. Biologische Taxa sind die eingezeichneten Kreise, plus jeweils  die Endknoten = Blätter = Spezies, sowie die Menge aller Knoten = die ganze Oberkategorien/Familie. Nur der linke Baum ist cladistisch. Phylogenetisch gesehen gehört zu den Kategorien jeweils der gesamte Teilbaum dazu, der keine anderen Nachfahren generiert (d.h. V+K führt bis kurz vor den Anfangsknoten, als die erste Abspaltung begann; V führt bis kurz vor den oberen linken Knoten, bei dem die V-K-Aufspaltung begann, usw.).


Der Cladismus hat mehrere Probleme. Erstens liefert er zu viele biologische Taxa und zweitens liefert er merkmalsbezogen oft extrem gegenintuitive Taxa (Ridley 369). Beispielsweise ist dem Cladismus zufolge die Kuh dem Lungenfisch verwandter, als der Lungenfisch dem Lachsfisch. Eine cladistische Grobklassifikation der Wirbeltiere zeigt die folgende Abb. xx. , im Vergleich zu herkömmlichen Klassifikation. Die Bezeichnungen sind hier korrekterweise phylogenetisch, also neben den Zweigen (und nicht an den Blättern) angeführt.
Vögel

Krokodile

Echsen

Schildkröten



Säuger
Schlangen

Amphibien




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