Zur tschechischen Mädchenliteratur der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts
1. Tschechische Prosa nach 1945
In der Prosa der ersten Nachkriegsjahre überdauerte die immerwährende Spannung zwischen der Kinderliteratur, die als verantwortliche schöpferische Bemühung postuliert wurde, und der Literatur, die konjunkturelle Kommerzlektüre darstellte, die den einfachsten Leserwünschen unterwürfig angepasst wurde. Kurz nach dem Krieg entstanden Bücher von dauerhafter künstlerischer Gültigkeit und Ernsthaftigkeit, z. B. Prosa von Josef Langer Děti a dýka, eine Erzählung von Bohumil Říha Na útěku oder das Buch von Zdeňka Bezděková Říkali mi Leni über ein Mädchen, das im Krieg nach Deutschland zur sog. Umerziehung verschleppt wurde. Im Widerspruch zu diesen Werken wird jedoch vorübergehend auch die Aktivität der Autoren so genannter ‚Bubenromane‘ belebt, die von der aktuellen Thematik der Kriegsereignisse, der Befreieung, der Widerstandsbewegung im Ausland, der Partisanenkämpfe usw. geschöpft haben.
Anfang der 50er Jahre endeten diese Kommerzbemühungen, die das Niveau des üblichen Kinderbuches bis zur Schundliteratur herabgesetzt hatten. Gleichzeitig erschienen erste Versuche um eine gesellschaftlich aktuelle Kinderprosa mit einer starken ideologischen und formativen Prägung. Diese Tendenz widerspiegelte elementare Gesellschaftsveränderungen des Jahres 1948, wo die Autoren eine weit und breit geltende sozialistische Kinder- und Jugendkunst formten. An erster Stelle ist das einheitliche Schulwesen anzuführen, das an das Ideal demokratischer Pädagogen der Vorkriegszeit anknüpfte und das die soziale Differenzierung der Kinder in Lesergruppen, das in der vorherigen Periode galt, beseitigte. Die Bemühung um die sozialistische Literatur hatte ein noch breiteres Hinterfeld. Sie schöpfte aus dem Bewusstsein, dass die Kinderliteratur das Kind aus der einst so oft vorhandenen sog. ‚heilen Welt‘ befreien soll, dass das Kind als ein Mensch unter den anderen Menschen dargestellt und angesehen werden soll. Erfolgreich waren vor allem die Autoren, die die Gesellschaftsstandpunkte ihres Schaffens mit guter Kenntnis des kindlichen Gefühlslebens und mit einem starken künstlerischen Ausdruck verbinden konnten (z. B. Bohumil Říha, Alexej Pludek, Alena Bernášková). In der Prosa kam es jedoch vorübergehend zur Belebung alter Grundsätze einer didaktischen Auffassung der Kinderliteratur, die sich jedoch als sozialistische Konzeption ausgab. Es erschienen z. B. Ansichten darüber, dass das traditionelle Märchen der Vergangenheit angehöre, und als zentrales Genre wurde die Erzählung postuliert, in der vor allem die typische Lebensweise und die sozialistische Erziehung der Kinder dargestellt wurde.
In dieser Situation anfangs der 50er Jahre war also als Schwerpunkt eine aus Lesersicht tatsächlich funktionierenden Prosa in den Werken erfahrener Autoren zu erkennen, die künstlerisch reife Werke geschrieben haben. So veröffentlichte z. B. Marie Majerová 1945 die Prosa Nespokojený králíček, Donát Šajner die Bubengeschichte Paměti uličníkovy.
Einige Werke der späten 50er Jahre, und zwar Honzíkova cesta von Bohumil Říha, Ptačí pírko von Alexej Pludek oder das Werk von B. Říha O letadélku Káněti sind deswegen klassisch geworden, weil sie nicht nur zeigen, dass sich das Kind in einer neuen Lebenssituation befindet, sondern auch wie es diese Situation wahrnimmt, was es fühlt und empfindet.
Einige Autoren wandten sich in den sechziger Jahren allgemeinen Schilderungen der Kindheit in der sog. autobiographischen Memoirenprosa zu, wie z. B. Františka Pecháčková in Sedmikrásný čas (1961). Ihr Buch gehört zu jenen Werken, die thematisch aus dem Kinderleben der alten Zeiten schöpfen und die oft bedeutende soziale Aspekte beinhalten. Das Buch ist ähnlich wie das Buch Babička von Božena Němcová aufgebaut.
Petruška Dobiášová, die Protagonistin der Geschichte, und andere Kinder und Erwachsene aus dem Dorf leben im Einklang mit der Natur, wie sie vor dem Hintergrund der vier Jahreszeiten dargestellt wird.
Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre wurden zahlreiche Werke veröffentlicht, deren Ziel es war, das Leben der Adoleszenten aktuell zu schildern.
Die Prosa der 60er Jahre erfasst dann Geschichten für Kinder als sog. Problemliteratur, orientiert an dem wirklichen Leben, das komplizierte Lebenssituationen nicht mehr meidet. Gleichzeitig ist es eine Prosa, die moderne Gestaltungsmittel der Erwachsenenliteratur absorbiert. Die größere Bedeutungskomplexität und das Überschreiten der einst engen Grenzen der Kindergeschichte forderten auch neue stilistische Methoden, einen komplizierteren syntaktischen und lexikalen Aufbau. Die Übernahme der Methoden der Erwachsenenliteratur war jedoch oft passiv und schablonenhaft, was auch in der Zeitschrift Zlatý máj eine Diskussion hervorrief.
Von großer Bedeutung ist das Schaffen von Helena Šmahelová (1910–1997). H. Šmahelová bereicherte die Kindergeschichte um die ‚Realität‘, in dieser Hinsicht knüpft sie an das literarische Werk von Marie Majerová an, vor allem an ihr Buch Robinsonka. Marie Majerová wandte sich anfangs der 60er Jahre in der Prosa Dívky tepané ze stříbra (1963) noch einmal der Mädchenliteratur zu.
Seit der zweiten Hälfte der 60er Jahre konstituiert sich der Bereich der Mädchenliteratur vollkommen im Rahmen der Kindergeschichte. Zu nennen sind die Werke von Věra Adlová Mikra to ví nejlíp (1964) und Blues pro Alexandru (1966), deren Protagonistinnen in der Komplexität ihrer Lebensbeziehungen dargestellt sind. 1967 veröffentlichte Iva Hercíková den Roman Pět holek na krku. Ihre Protagonistinnen sind mehr als es früher üblich war mit ihrem eigenen, subjektiven Gesichtspunkt beschrieben. Wobei Helena Šmahelová, Valja Stýblová und Věra Adlová mit dem Prinzip des Dialogs zwischen Autor und der Protagonistin umgehen, was ihnen ermöglicht, die Geschichte stärker bedeutungsmäßig (semantisch) zu akzentuieren. Iva Hercíková verschiebt die Position der Autorin vollkommen ins Hinterfeld und lässt die Position ihrer Protagonistinnen dominieren. Dank dieser Lösung kann sie die Handlung vielfältig entwickeln, z. B. in der Abwechslung der Situationssegmente; gleichzeitig bringt jedoch diese Methode auch gewisse Einschränkungen mit sich. Die Sicht der Protagonistin bleibt dann eigentlich die einzige, durch die die Autorin ihre eigene Sicht äußern kann und die dann nicht nur erzählerisch, sondern auch semantisch geschwächt wird.
Die Betonung der Position der Protagonisten wird Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre zum allgemeinen Charakterzug der Prosa für Kinder. Entscheidend wird dann die Tatsache, dass die Umwelt des Kindes mit seinen Augen vorgestellt wird, die Wirklichkeit wird so beschrieben, wie sich das Kind mit ihr ausgleichen, wie es sich in sie einleben muss. Diese Methode ist markant an der Introspektion (Selbstbeobachtung) der Protagonistin Jitka in Metráček von Stanislav Rudolf zu spüren.
2. Zur Terminologie des Forschungsfachs Mädchenliteratur in der tschechischen Literatur
Naděžda Sieglová widmete sich in ihrem Werk Robinsonka (Untertitel Prosa mit Protagonistinnen) der Terminologie des Forschungsfachs Mädchenliteratur.
In der Publizistik und oft auch in der Fachpraxis existieren parallel Termini wie Mädchenroman, Roman für Mädchen, Mädchenliteratur, Mädchenlektüre u. a. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kämpften einige Literaturwissenschaftler gegen eine unnötige Spezifizierung der Mädchenliteratur. Z. B. lehnte František Tenčík in seinem Artikel zur Jugendliteratur (1946) „die schicksalhafte Lösung der Konflikte“ ab und forderte von der Mädchenliteratur „Innenkonflikte, die zur Lösung ohne äußere Eingriffe“ führen sollten.
In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine neue Diskussion um die Mädchenliteratur, die sich vor allem mit dem Genre dieser Literatur befasste. In der Fachliteratur wurden allgemeine Charakteristiken der Mädchenprosa formuliert. Das Stichwort Mädchenroman ist zwar im Lexikon der Literaturtheorie angeführt, trotzdem wird hier die mangelnde Ausgeprägtheit des Begriffes ‚Mädchenroman‘ erwähnt. In der Literaturtheorie der 90er Jahre erwähnt Josef Toman diesen Typ der Literatur im Rahmen der „psychologischen Prosa über das Heranreifen der Mädchen und Jungen“.
Naděžda Sieglová formulierte einige Merkmale der Mädchenliteratur von dauerhaftem Charakter:
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Anwesenheit der Protagonistinnen in solchen Werken
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Orientierung auf eine spezifische Etappe ihres Lebens (Heranreifen). Wesentliche Rolle spielt hier die Suche nach den Sicherheiten
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Akzentuierte Emotionalität des ganzen Werkes einschließlich der Sprache
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Unterordnung all dieser Merkmale den vorausgesetzten Erwartungen der weiblichen Adressaten
3. Charakteristik der Mädchenliteratur der 60er Jahre
Das ganze Jahrzehnt nach 1948 war die Mädchenliteratur der damaligen Tschechoslowakei durch das Fehlen typischer Mädchenromane bzw. Mädchenprosa gekennzeichnet. Einerseits war es Reaktion auf das Übermaß der oberflächlichen Kommerzromane, anderseits auf den Befehl der Zeit, die jugendlichen Protagonisten in die neue ideologisierte Realität einzugliedern. Emotionalität und individuelle Schicksale der Jugenlichen traten vor der Darstellung der Ereignisse zurück, durch die die Jugend gesellschaftlich aktiviert werden sollte. Die kindliche Welt wurde schematisiert, in Thesen, Regeln und Normen umgewandelt. Dadurch kehrte die tschechische Prosa für Kinder zur didaktischen Literatur zurück, die schon demokratische Schriftsteller der Zwischenkriegszeit in ihrem Schaffen überwunden hatten.
Die grundsätzliche Veränderung brachten erst SchriftstellerInnen der 2. Hälfte der 50er Jahre, deren Werke ursprünglich im Kontext der sog. Erwachsenenliteratur entstanden waren.
3.1. Helena Šmahelová (1910–1997)
Die Situation der Kinder in der Welt der Erwachsenen ist bei Helena Šmahelová am gelungensten im Roman Velké trápení (1957) geschildert.
Inhaltsangabe
Jana wurde nach der Scheidung der Eltern Obhut des Vaters anvertraut, ihre jüngere Schwester Míša bleibt bei der Mutter, die aufs Land umzieht. Jana beginnt, die Schule zu schwänzen, bis sich der Vater entschließt, sie ins Kinderheim zu geben. Hier gelingt es Jana sich selbst zu finden, in der Schule lernt sie fleißiger und am Ende des Schuljahres bekommt sie ein gutes Zeugnis. Im Juli lädt der Vater Jana auf einen Ausflug ins Riesengebirge ein, das Mädchen aber flieht stattdessen zu seiner Mutter ins Böhmisch-mährische Hügelland. Es folgt beinahe ein Happy-End: Im Hause der Mutter erscheint auch der Vater, der Jana sucht und alle planen noch einmal ein gemeinsames Leben in Prag.
Aus der ganzen Atmosphäre im Kinderheim sind die Normen der sozialistischen Erziehung sichtbar. Zu Hause ist Jana mit Strenge und Härte der Eltern konfrontiert, im Kinderheim mit der Kälte der Erzieherinnen, die ‚Genossinnen Erzieherinnen‘ angesprochen werden wollen.
Vladimír Nezkusil, Autor eines Artikels über Helena Šmahelová schrieb über ihr Werk wie folgt:
„Helena Šmahelová fand in Velké trápení ein gelungenes stilistisches Vorgehen – das ‚halbdirekte Rede‘ genannt werden kann. Das bedeutet, dass alles scheinbar vom Standpunkt der Protagonistin aus gesehen wir, nur sprachlich handelt es sich um Erzählen in der dritten Person. Die Protagonistin vermischt sich eigentlich mit dem Autor, der Leser spürt ständig ihre inneren Veränderungen, es ist nicht sichtbar, wer im gegebenen Augenblick nachdenkt oder erzählt. Helena Šmahelová greift jedoch in die zweite Hälfte der Geschichte unangemessen ein, verändert die Protagonistin und macht aus der Akteurin der eigenen Tragödie, die sich aus ihrer eigenen Kraft mit dem persönlichen Unglück abfinden und sich eine neue Hierarchie der Lebens- und Moralwerte bilden könnte, eine, die nur noch beobachtet. Jana betrachtet im Kinderheim Tragödien der Kinder, die sie dort trifft. In diesem Augenblick wird der Roman zur didaktischen Konstruktion, aus der psychologischen Ebene wird er in die Ebene der Handlung übertragen, um in einem unglaubwürdigen Happy-End enden zu können.“ [V. Nezkusil, 1970]
Interessant ist, wie am Anfang des Romans Velké trápení Helena Šmahelová ihre Protagonistin anspricht:
„Solange du bei den Eltern gelebt hast, hast du übliche Verstöße begangen, selten hast du ihr Zureden beachtet. Dein Zuhause war für dich – wie für die Mehrheit der Kinder – eine selbstverständliche Welt. Du wusstest nicht, dass es auch Kinder ohne ein Zuhause und Eltern gibt, die für sie sorgen könnten oder wollten. Erst im Kinderheim haben sich deine Augen geöffnet.“ [H. Šmahelová, Velké trápení, S. 19]
Später wurde über die Problematik des Happy-Ends im Werk von Helena Šmahelová diskutiert. Šmahelová antwortete mit einem teoretischen Artikel Über das Spezifische der Kinderliteratur und vor allem des Happy-Ends (Zlatý máj, 1960). In diesem Artikel begründete sie ihr Vorgehen mit eigenen Lesererfahrungen.
Zitat aus dem oben genannten Artikel: „…der Schriftsteller beobachtet das Kind so, als ob es sein eigenes Leben nicht lebte, sondern als ob es nur spielte! Ein großer Irrtum! Das Kind lebt sein Leben tatsächlich, seine Gefühle, Freuden und Qualen sind genauso ernst, wie die der Erwachsenen. Seine kleinen Schwierigkeiten sind klein nur in den Augen der Erwachsenen, nie in den Augen der Kinder. Vielleicht ist richtig zu sagen, dass der Mensch erwachsen, reif auf jeder Stufe seiner Entwicklung ist“. [Zlatý máj 1960, S. 159]
3.2. Stanislav Rudolf (1932)
Man nannte seinen Kinderroman Metráček (1969) ‚dünner Roman für dicke Mädchen‘; er wurde auch verfilmt. Die mollige Adoleszentin Jitka wird wegen ihres Gewichtes von den Gleichaltrigen ausgelacht. Sie bleibt jedoch nicht passiv, sie ist optimistisch und betreibt Sport, Kugelstoßen und sie findet einen Freund Honza, der auch Sportler ist.
Stanislav Rudolf hat in seinem Werk eine Protagonistin vorgestellt, die sich trotz des Handicaps, ihrer dicken Gestalt, mittels sportlicher Leistung durchsetzt und die in ihrer peer-group Freunde findet. Stanislav Rudolf unterstreicht die Tugend der Protagonistin – den festen Willen, wie sie letztendlich ihr physisches Handicap in einen Vorteil umwandeln konnte. Ihr Verhalten ist normal, geistig gesund. Als normal kann auch ihr familiärer Hintergrund wahrgenommen werden. Jitka stammt nämlich nicht aus einer zerrütteten Familie, wie es in den Mädchenromanen der 60er Jahre üblich war. Ihre Eltern interessieren sich für sie und unterstützen sie im Sport. Nach Vladimír Nezkusil wurde Stanislav Rudolf trotzdem vorgeworfen, dass er in die Geschichte verschiedene Belehrungen und didaktische Aspekte einsetzte, manchmal wurde er der Sentimentalität bezichtigt (Jitkas positive Beziehung zur unbeliebten Mathematik-Lehrerin, Belehrungen, dass man Fremdsprachen lernen soll, dass Rauchen schädlich ist etc.).
3.3. Alena Santarová (1923–1967)
Káťa, Katrin, Katynka
Unter dem Titel Katja erschien das Werk 1966 in der damaligen DDR. Ins Deutsche wurde das Werk von Elisabeth Borchardt übersetzt. Es ist eine autobiographisch gefärbte Feriengeschichte, die darüber hinaus Züge der Memoirenprosa trägt.
Inhaltsangabe
Die 15-jährige Protagonistin Káťa verbringt die Ferien mit ihren Geschwistern, Cousins und Cousinen bei ihren Großeltern im Böhmerwald. Sie denkt über alle ihre bisherigen Freundschaftsbeziehungen nach und sieht nun ihre Mitschülerin Jaruna, genannt Una, ein oberflächliches Mädchen, das Schulen und Bildung ablehnt, bald heiraten und große Dame spielen will, mit anderen Augen. Im Dachboden des Hauses ihrer Großeltern findet Káťa ein verstaubtes Tagebuch, das einst ihrer Großmutter gehörte. Durch diese Lektüre inspiriert, lässt sich Káťa von ihrer Oma über ihre Jugend erzählen. Oma – die auch Katynka heißt – besuchte am Anfang des 20. Jahrhunderts als eine der ersten tschechischen Frauen das Gymnasium ‚Minerva‘ in Prag, studierte weiter Medizin, musste leider mit dem Studium aufhören, weil ihre Mutter starb und sie für den Haushalt des Vaters sorgen musste.
Zwei Abschnitte aus dem Roman Katja beweisen die didaktische Intention des Werkes:
Die Großmutter erzählt Katja über ihre einstigen Pläne Ärztin zu werden:
„Damals war es sehr ungewöhnlich und für ein Mädchen aus einer kleinen Stadt sogar ausgefallen, wie ein Junge zu lernen und zu studieren. Aber Katinka Tomsová wünschte sich so sehr, jenen jungen Frauen nachzueifern, die trotz Hohn und vieler Hindernisse als erste in Österreich-Ungarn das Hochschulstudium absolviert hatten. … Man schrieb das Jahr 1906, und Katinka war fest entschlossen, daß in zehn Jahren am Ende stehen müsse: Katarina Tomsová, Doktor Katarina Tomsová.“ [A. Santarová. Káťa, Katrin, Katinka, S. 92–94]
Katja schämt sich jetzt dafür, dass sie sich von der oberflächlichen Jaruna beeinflussen ließ:
Was hatte Katja enttäuscht? Niemand und nichts. Nur sie sich selbst. Sie hängte ihr Blaugepunktetes in den Schrank und schämte sich. Dieses Kleid hatte die Mutter eigenhändig für ihre Prüfung genäht. Und Katja? Sie wollte absichtlich durchfallen. Viel hatte nicht gefehlt, und sie wäre auf Unas Geschwätz reingefallen: „Lern nicht, gib dir keine Mühe! Wenn du die Prüfung nicht bestehst, kommst du nicht in die Elfklassenschule; kein Lernen, keine Pflichten, aber ein schönes selbständiges Leben erwartet dich. Verdienst dir dein Geld selbst, kannst dich amüsieren, mußt nicht um alles bitten.“ Ach, was für ein Quatsch, was für ein Blödsinn! Geschminkte Lippen und abends ins Kino, ja, ist denn das genug für Katja? Wirklich, will sie nichts Besseres im Leben als über dumme Witze von unreifen Jünglingen kreischend lachen, ihre Locken schütteln und die Erlaubnis haben, bis nach zehn Uhr auszugehen? [A. Santarová. Káťa, Katrin, Katinka, S. 139–140]
Katja stellt fest, dass sie weiter studieren will, und verabschiedet sich im Hause der Großeltern von der selbst eingeladenen Freundin Jaruna. Sie nimmt an der Bootsfahrt ihrer Freunde teil und kann ab jetzt Ferien genießen.
3.4. Iva Hercíková (1935)
Pět holek na krku (1966)
Inhaltsangabe
Die Eltern der Protagonistin Jitka gehören in der Kleinstadt, wo sie wohnen, zur sog. sozialistischen ‚besseren Familie‘. Beide sind am ehemaligen Nationalausschuss angestellt, haben ein gutes Einkommen und wohnen in einer alten Villa. Jitka ist ein Einzelkind und verbringt die meiste Zeit entweder allein zu Hause oder mit ihren Freundinnen. Jitka kämpft mit den Vorurteilen der Freundinnen, die ihre Familie für bessere halten, und sie erlebt ihre erste Liebe zu einem gleichaltrigen Jungen.
Analyse des Werkes
Iva Hercíková ist es anhand guter Kenntnise der Adoleszenten gelungen, die Mädchenwelt am Ende der 60er Jahre zu schildern. Sie gelangt zum tristen Abschluss, dass gerade zu der Zeit, wo der junge Mensch am intensivsten ein Ideal benötigt, die Gesellschaft es ihm nicht gewähren kann, weil sie selbst ihre Lebensziele irgendwo unterwegs verloren hat.
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