Revolution für die Freiheit


Auf Parteiarbeit in der Ukraine



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Auf Parteiarbeit in der Ukraine


Bei Universitätsschluß im Winter 1926/27 schickte man mich für zwei Monate auf Parteiarbeit in die Ukraine: Ich sollte die deutschen Kolonisten über die Beschlüsse des 15. Parteitages der KPdSU aufklären. Mein Bestimmungsort war Lugansk, das spätere Woroschilowgrad. Ich hatte sowohl vom Zentralkomitee der Partei als auch von der Universitätsleitung eine Bescheinigung erhalten. Für das Zentralkomitee hatte Molotow gezeichnet.

Es war ein böser, kalter und windiger Winter. Auf irgendeiner kleinen Station mußte ich den Zug wechseln. Einen vollen Tag wartete ich auf die Weiterreise. Mit meinem rötlichen Vollbart, den ich mir seit Monaten hatte wachsen lassen, und in meinem dicken Lammfellmantel sah ich wohl nicht sehr vertrauenserweckend aus; denn nach einigen Stunden interessierte sich die Bahnhofs-GPU für mich. Zwei Uniformierte näherten sich und nahmen mich mit auf die Wache. Der Offizier dort verlangte meine Papiere, prüfte sie, wurde bleich, stand auf und begann, sich zu entschuldigen. Er reichte meine Dokumente den beiden Soldaten, und mit Staunen und Ehrfurcht betrachteten sie die Bescheinigung des Zentralkomitees. Ungeachtet meines sehr dürftigen Russisch wurde ich von ihnen zum Abendessen eingeladen, und sie blieben bis zur Ankunft des Zuges an meiner Seite. In einer Reihe stehend, salutierten die drei auf dem Perron in strammer Haltung, als der Zug abfuhr.

Auf dem Lugansker Parteibüro empfing mich der Sekretär der deutschen Abteilung, ein ehemaliger österreichischer Kriegsgefangener, der von meiner Ankunft unterrichtet war, und wies mir vier Dörfer in einem Umkreis von hundertfünfzig Kilometern zu. Der Österreicher gab mir nebst einiger dortiger Adressen und der bewilligten Geldsumme ein paar Auskünfte über seines Erachtens besonders vertrauenswürdige Personen. Auf meine Frage, ob denn die Bauern für die Beschlüsse des 15. Kongresses Interesse hätten, sagte er kaltschnäuzig: «Keine Spur, die Hälfte sind doch Analphabeten, teils dem Regime feindlich gesinnt, teils zumindest indifferent. Sieh zu, wie du damit fertig wirst.»

Tags darauf fuhr ich mit meinem Kutscher in einer Troika los, einem kleinen, von drei Steppenpferden gezogenen russischen Bauernwagen. Ich kuschelte mich tief ins Stroh ein, und das Gefährt sauste über die Schneefelder. Ein beißend kalter Wind fegte die ukrainische Ebene, trotz des dicken Pelzmantels fror ich erbärmlich, mein Bart war ein einziger Eiszapfen. Am Abend bei der Ankunft im Dorf spuckte ich Blut und konnte kein Wort mehr hervorbringen. Angesichts meines elenden Zustands führte mich der brave Kutscher zu einem recht stattlichen Haus und sagte: «Hier wohnt ein früherer Gutsherr. Er ist Bienenzüchter und wird dir helfen.» Auf sein Klopfen öffnete ein hochgewachsener, älterer Herr mit schneeweißen Haaren. Mein Kut-Monaten hatte wachsen lassen, und in meinem dicken Lammfellmantel sah ich wohl nicht sehr vertrauenerweckend aus; denn nach einigen erwies sich rasch als ein liebenswürdiger Gastgeber. Er traktierte mich sofort mit viel heißer Milch und Unmengen von Honig.

«In zwei Tagen ist diese Erkältung verschwunden, solange müssen Sie eben hierbleiben», versicherte er mir. Der Kutscher hatte indessen auf meine Veranlassung den Dorfsowjet von meiner Ankunft unterrichtet.

Tatsächlich verschwand nach drei Tagen meine Heiserkeit, ich konnte wieder reden und fühlte mich wohl. Der Alte stammte aus Riga, erzählte viel aus seinem Leben; an den langen Winterabenden spielte er auf dem Klavier klassische Musik; wir unterhielten uns über Literatur und örtliche Begebenheiten, jede politische Andeutung vermeidend. Nach drei Tagen, beim Abschiednehmen, verweigerte er entrüstet jegliche Entschädigung.

Beim Parteikomitee, das mit dem örtlichen Sowjet identisch war, erhielt ich erste Auskünfte über die Dorfbevölkerung: Das neunhundert Einwohner zählende Dorf sei noch von den Kulaken (Großbauern) beherrscht, die Parteizelle umfasse ganze sieben Mitglieder. Der Lehrer verschaffte mir Quartier, wobei er Rücksicht auf die armen Bauern nahm: Auch hier mußte ich alle acht Tage das Quartier wechseln, damit mehrere Familien von dem Kostgeld profitierten. Betreffs meiner zu leistenden Arbeit war der Sowjet sehr skeptisch. Die Mehrheit fand es das beste für mich, die Bauern im Lesen und Schreiben zu unterrichten; eventuell seien Versammlungen möglich, auf denen ich über die Parteitagsbeschlüsse orientieren könne. Verstehen würden sie es zwar nicht, aber ich müsse ja meine Aufgabe erfüllen - so etwa und so wenig ermutigend klangen ihre Hinweise. Es zeigte sich, daß meine Tätigkeit als Schullehrer die wichtigste Aufgabe wurde. Zweimal in der Woche erschienen immerhin an die zwölf Bauern mit ihren Frauen, denen ich Lesen und Schreiben beizubringen versuchte. Eine Konferenz über die Beschlüsse zum Aufbau des Sozialismus wurde für mich zur Katastrophe. Von der Organisierung von Kollektivgütern und der Ausschaltung der Kulaken wollten sie nichts wissen oder nichts verstehen. Dafür bombardierten sie mich mit ihren Alltagssorgen.

«Warum kriegen wir so hohe Steuern aufgebrummt? Warum zahlt Michel weniger als Moritz?» Und wieso man ihnen so wenig Saatgetreide gebe, und wie man diese oder jene Insektenplage bekämpfen solle... Verlegen um Antworten auf diese konkreten Fragen, fühlte ich mich sehr unbehaglich.

Die einfachen Holzhütten waren zum Glück gut geheizt, Holz gab es in Massen, das Essen war vorzüglich. Die hygienischen Verhältnisse ließen zu wünschen übrig, Toiletten fehlten völlig, dafür ging man schnell hinter das Haus, was bei der strengen Kälte kein besonderes Vergnügen war.

Nach zehn Tagen besuchte ich das zweite, etwas kleinere und etwa achtzig Kilometer entfernte Dorf. Meine Troika, wieder von drei Pferden gezogen, flog leicht über den Schnee. Im Stroh duselte ich vor mich hin, als mich plötzlich ein heftiger Ruck aufschreckte. Die Pferde waren unruhig, scheuten, mein Kutscher konnte sie nur mit Mühe im Zaum halten. Er drehte sich zu mir um und schrie: «Es müssen Wölfe in der Nähe sein, halt dich gut fest, wir müssen rasch ins Dorf!»

Von meinem Schlitten aus blickte ich forschend in die weite Ebene, konnte aber nichts sehen. Indessen hatten die Pferde den Weg verloren. Unter den wütenden Peitschenhieben des Kutschers rasten sie vorwärts. Der leichte Schlitten schleuderte und tanzte wie toll. Mit Händen und Füßen mich festklammernd und stemmend, spähte ich nach hinten und sah in der Ferne schwarze dunkle Punkte, die sich schnell näherten. Wölfe. Lautlos, wie Schatten, in unheimlichem Tempo huschten sie heran. Sie waren bald gut erkennbar, große Hunde mit grauem Fell und heraushängender Zunge. Bald hatten sie uns bis auf vielleicht fünfzig Meter eingeholt. Der Kutscher schrie wild um Hilfe, die Pferde bockten und wieherten, und ich hatte Angst, Angst...

Da erschien die Rettung. Das Gebrüll des Kutschers war im nahen Dorf gehört worden, berittene Miliz kam uns entgegen und verjagte mit einigen Schüssen das ganze Rudel.

Kaum war ich drei Tage im Dorf, da tauchte unerwartet der Lugansker Parteisekretär auf. Seine erste Frage war: «Mensch, weißt du, was gespielt wird?» Ich wußte von nichts. «Na, komm heute abend in die Parteizelle und den Sowjet, da werde ich die Sache vorbringen.» Am Abend setzte er uns in einer stundenlangen Rede auseinander: «Genossen, das Zentralkomitee der bolschewistischen Partei hat entscheidende Beschlüsse gefaßt. Die internationale Lage ist bedrohlich, der englische Imperialismus bereitet eine militärische Intervention gegen unser Sowjetland vor. Um diesem Angriff zu begegnen, muß auch die russische Bauernschaft ihren Beitrag leisten, ihre Treue zur Sowjetrepublik beweisen. Es geht darum, für den Fall eines Angriffs der englischen Imperialisten genügend Lebensmittel aufzuspeichern. Deshalb hat das Zentralkomitee beschlossen, unter der Bauernschaft eine Selbstbesteuerungs-Kampagne durchzuführen. Es gehört zu unserer Aufgabe, das den Bauern zu erklären, und sie zu bewegen, einen Teil ihrer Getreidevorräte an die Regierungsstellen abzuliefern. Das wird auf Widerstand stoßen, die Bauern hier sind geizig, obwohl ziemlich wohlhabend, und kommen von ihrer Kulakenideologie nicht los. Partei und Sowjetbehörden zusammen müssen die Aufgabe lösen, die wir ab morgen in Angriff nehmen.»

Ich war bestürzt, konnte mir auf die ganze Sache keinen Reim machen. Von einer militärischen Bedrohung wußte ich nichts. Nach der Sitzung unterhielt ich mich mit dem Österreicher und gab meine Bedenken zur Kenntnis.

«Kümmere dich nicht darum, mir ist das völlig schnuppe, ob eine Intervention droht oder nicht. Ich habe den Befehl erhalten, aus dem deutschen Gebiet hier ein bestimmtes Soll an Getreide ranzuschaffen, alles andere zählt nicht. Als Parteimitglied mußt du dich tatkräftig für den Beschluß einsetzen.»

Am nächsten Tag wurde eine allgemeine Dorfversammlung einberufen. Der Lehrer, Parteimitglied und Sowjetvorsitzender, leitete sie, und der Sekretär aus Lugansk entwickelte die Richtlinien der Partei. Die rund 120 anwesenden Bauern hörten sich alles schweigend an. Zur Diskussion wollte sich zunächst niemand melden, bis endlich eine Frau die Frage stellte: «Wir haben doch schon unsere Steuern abgeführt, warum sollen wir jetzt noch mal bezahlen, das ist ungerecht!» Damit war das Eis gebrochen. Langsam und vorsichtig begann einer nach dem andern, wenn auch nicht zu kritisieren, so doch Einwände zu erheben, sich zu beklagen, darzulegen, daß nur noch Saatgetreide vorhanden sei.

Der Österreicher legte nochmals los, drohte diesmal, schimpfte. Die Redner, die sich etwas vorgewagt hatten, wurden namentlich aufgeschrieben.

«Wir werden jetzt abstimmen. Ihr müßt aber wissen, das Sowjetvaterland ist in Gefahr, wer nicht den festen Willen hat, es zu verteidigen, wird als Sowjetfeind entsprechend behandelt.» Dann ernannte er mich und ein Parteimitglied zu Stimmenzählern. Die offene Abstimmung ergab wider Erwarten eine Mehrheit gegen die «Selbstbesteuerung». Zornig erklärte der Parteisekretär: «Das war keine richtige Abstimmung, ihr habt falsch gezählt, wir stimmen nochmals ab. Die Neinsager werden etwas erleben.»

Da meldeten sich andere Bauern zu Wort. Sie versicherten, treu zur Sowjetunion zu stehen; «doch was geschieht, wenn man uns das Saatgetreide wegnimmt?»

Der Sekretär tobte und keifte hinter seinem Tisch herum und schrie jeden Sprecher an: «Wie ist dein Name? Du bist ein Feind der Republik!» Danach kam er zur mir und flüsterte mir erregt zu: «Kannst du nicht mal richtig zählen? Zähl jetzt so, daß wir eine Mehrheit bekommen.»

Im zweiten Wahlgang und nach den massiven Drohungen ergab sich dann auch richtig eine Mehrheit für die «Selbstbesteuerung», so daß ich es gar nicht nötig hatte, falsch zu summieren.

Die Vorräte an Korn und Futtermitteln sollten auf dem Sowjet (im Schulhaus) abgeliefert werden. Sie trafen nur spärlich ein. Der Sekretär ging persönlich nach einer vom Lehrer erstellten Liste zu einzelnen Bauernfamilien, die als «reich» bekannt waren, und drohte ihnen harte Maßnahmen an. Zu mir wurde er ziemlich unfreundlich, ich tat für seinen Geschmack nicht genug zur Unterstützung der Aktion. «Du hast es gut, du trägst keine Verantwortung. Erfülle ich aber das verlangte Soll nicht, geht es um meinen Kopf.»

Jetzt war keine Rede mehr davon, ins dritte Dorf zu gehen. Daher beschloß ich meine Abreise, trotzdem der Österreicher dagegen Einwendungen erhob. Bevor ich das Dorf verließ, erschien eine Abteilung berittener Miliz und nahm Quartier im Ort. Das war eine nicht mißzuverstehende Drohung an die Adresse der renitenten Bauern. Noch auf der Rückfahrt nach Lugansk hörte ich, daß zahlreiche Bauern ins Spritzenhaus eingesperrt wurden und Haussuchungen nach Getreidevorräten stattfanden. Monate später in Moskau erfuhren wir mehr über diese Aktion, die sich auf das ganze Land erstreckt hatte. An vielen Orten war den Bauern auch das Saatgetreide beschlagnahmt worden, örtlich brachen Hungersnöte aus, die Ernte war schwer gefährdet. Unter dem Druck des Parteiapparates verstärkten die Gebietssekretäre ihre Anstrengungen um die Beitreibung des von ihnen verlangten Solls mit allen Mitteln; sie wußten, ihre Karriere, ja ihr Kopf stand auf dem Spiel. Manche, die nicht energisch genug durchgriffen, wurden von ihrem Posten verjagt, in entlegene Gebiete verbannt. Nach dem Ende der «Selbstbesteuerungskampagne» wurden einige, die «zu weit» gegangen waren, deportiert oder erschossen, da sie die Anordnungen mit zu großer Brutalität durchgeführt hatten.

Auf uns Schweizer Studenten wirkte der Parteikampf bedrückend. Mehr denn je vergruben wir uns in unsere Bücher und das Studium. Manchen Abend saß ich mit Edwin Schaffner zusammen im Hotel «Lux». Er liebte einen guten Tropfen, bei einer Flasche Chablis und beim Schachspielen unterhielten wir uns. Schaffner, resigniert, gehörte keiner Opposition an, war aber glühender Anti-Stalinist. «Wir treiben mit Stalin einer asiatischen Unkultur entgegen, die alle unsere alten Freiheitsbegriffe ausrotten wird. Wir Älteren werden alle untergehen, da dieser Machtkampf mit Terror und Polizeimethoden geführt wird, während das Volk davon nichts begreift und sich abseits hält. Trotzki ist ein gescheiter Mann, ein Idealist mit vielen Ideen, aber er hätte nie der bolschewistischen Partei beitreten sollen. Daß er es tat, das war ein Unglück, denn damit wurde er der Gefangene dieser Ideologie. Sie werden auch ihn physisch liquidieren. Was ihr Jungen tun könnt, ist, in die Schweiz zurückzukehren und dort zu berichten, was sich hier abspielt. Hoffentlich gelingt es euch. Ich bleibe hier, mag kommen was will.»



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