Revolution für die Freiheit



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Bei der DAS in Pina


Bei unserem ersten Aufenthalt in Barcelona hatten wir die Bekanntschaft von Augustin Souchy gemacht. Souchy war deutscher Anarcho-Syndikalist, übte in der IAA leitende Funktionen aus. Er kannte die spanische Arbeiterbewegung und ihre Geschichte gut. Souchy war mit einer temperamentvollen Pariserin verheiratet, die an Clara viel Gefallen fand. Für uns war durchaus klar, wo wir mitkämpfen wollten. Niemals hätten wir bei den internationalen Brigaden Unterschlupf gefunden. Uns interessierte auch höchlichst die anarchistische Bewegung in Spanien.

Die spanischen Anarchisten, ganz in der Tradition von Michael Bakunin lebend, begannen schon 1920 mit einer heftigen Kritik an der russischen Revolution. In Rußland saßen ihre Freunde im Kerker. Seit der Parteiherrschaft der Bolschewiki wurden sie zu erklärten Todfeinden der Theorien von Lenin und Trotzki, sie lehnten überhaupt den Marxismus als Theorie des Klassenkampfes ab. In der blutigen Unterdrückung des Kronstädter Aufstandes, der Vernichtung aller nichtbolschewistischen Richtungen, den Verstaatlichungen, die die Ausbeutung des Menschen nicht aufhoben, dem Aufbau des ungeheuren Armee- und Polizeistaates sahen sie das Konterfei der kapitalistischen Welt. Dem autoritären Sozialismus stellten sie den freiheitlichen Sozialismus entgegen. Staatliche Institutionen und Gewalt waren ihnen in jeder Form ein Greuel. Sie wollten eine freie Gesellschaft, basierend auf den Gemeinden, den Arbeiter- und Bauernorganisationen, auf Körperschaften, die in freier Volkswahl den gesellschaftlichen Aufbau sichern sollten.

Würden sich die Anarchisten im Bürgerkrieg gegen die marxistischen Parteien durchsetzen? Würde die anarchistische Theorie in der Praxis den täglichen Anforderungen des Kampfes, der Organisierung einer Armee, der Wirtschaft und des Verkehrs, der Kollektivierung der Landwirtschaft, kurz all den gewaltigen Problemen des sozialen Umbaus gewachsen sein? Das alles bewog uns zum Anschluß an eine anarchistische Truppe in Katalonien oder an der Aragonfront. Souchy empfing uns zuvorkommend. Wir setzten ihm unser Anliegen auseinander. Sofort entspann sich mit ihm eine hitzige Diskussion über den weiteren Verlauf des Kampfes, die Aussichten einer revolutionären Lösung. Auf unsere Kritik der anarchistischen Regierungsbeteiligung entgegnete er unwillig: «Ja, ihr lieben Leute, wie ihr jetzt redet, habe ich vorher auch gesprochen. Steht man aber hinter dem Bürotisch und nicht davor wie ihr, so stellen sich die Probleme anders.» Das war für uns eine kalte Dusche.

Hinsichtlich unseres Eintritts in die Miliz wies er uns an die DAS (Deutsche Anarcho-Syndikalisten). Die Gruppe unterhielt an der Aragonfront eine Hundertschaft; daß Frauen noch in der Miliz würden mitkämpfen dürfen, bezweifelte er sehr. «Ihr wißt ja, die Regierung in Valencia hat dagegen ein Dekret erlassen. Nun, bei uns in Katalonien entscheiden die Komitees, in eurem Fall das zuständige Milizkomitee. Viel Glück.»

In der uns angegebenen Kaserne trafen wir den Verantwortlichen der DAS, Michel Michaelis. Auch er gehörte zu jenen deutschen Anarchisten, die vor Hitler in Spanien Zuflucht fanden. Michel war überzeugter Anarchist, kannte seinen Bakunin und Kropotkin, für die Marxisten aller Schattierungen hatte er nichts übrig. Doch die Empfehlung von Souchy, unsere Frontpapiere aus Madrid minderten sein Mißtrauen. Nur sei fraglich, ob er Frauen mitnehmen könne. Auf Claras Drängen erklärte er endlich, sie möge immerhin mitfahren, an Ort und Stelle werde die Hundertschaft entscheiden. In wenigen Tagen ziehe er mit dreißig Neuankömmlingen an die Front. Als wir aus der Kaserne auf die Straße traten, marschierte eine Gruppe ausländischer Freiwilliger unter dem Beifall der Spanier vorbei. Auffällig an dieser ansonsten alltäglichen Schau war, daß eine Frau an der Spitze die Fahne der Republik vorantrug. In der Bannerträgerin erkannten wir Friedel. Also waren sie und Joseph doch hereingekommen. Noch bevor wir an die Front fuhren, hatten wir mit ihr eine Aussprache. Dank ihrer vielseitigen Sprachkenntnisse arbeitete sie seit einigen Tagen als Sekretärin bei der POUM. Sie versicherte uns, sie hätte ihr Abenteuer in Deutschland gebeichtet, was, wie wir feststellten, der Wahrheit entsprach. Joseph Burckhardt hatte sich bei den internationalen Brigaden in Madrid engagiert. Während der zwei Monate unseres Schweizer Aufenthaltes hatte sich in Spanien vieles geändert. Beinahe gleichzeitig mit der Bildung der Regierung Caballero war Badajoz gefallen und Spanien in zwei Teile getrennt. Im Norden hatte Franco das ganze Baskenland erobern können, im Süden war Malaga bedroht. Die Aussichten eines Sieges über die Faschisten standen schlechter, das Volk bereitete sich auf eine lange Kriegsdauer vor.

Moulin, der keineswegs beabsichtigte, an die Front zu gehen, nahm sofort Verbindung mit der kleinen trotzkistischen Gruppe auf. Vor der Abfahrt - wir schliefen in der Kaserne - wurden wir eingekleidet, erhielten Gewehre und Munition. Zu den Gewehren tschechischer Herkunft bekamen wir je fünfzig Patronen. Unser Ziel war das Dorf Pina an der Aragonfront, vor den von den Franco-Truppen besetzten Städten Huesca und Zaragoza. In einem alten Autobus brachen wir, etwa vierzig Leute, an einem Nachmittag auf. Niemand nahm Anstoß daran, daß Clara mitfuhr. Die neugebackenen Milizionäre waren in der Mehrzahl deutsche Emigranten ohne parteipolitische Bindung, nur wenige waren überzeugte Anarchisten. Wie gewöhnlich gab es unterwegs eine Menge lokaler Kontrollen; Clara versteckte sich jedesmal unter den Bänken, um nicht zurückgewiesen zu werden.

In Pina wurden wir mit großem Hallo von der dort stationierten Hundertschaft begrüßt. Alle zeigten sich begeistert von unserer Ankunft und neugierig auf Nachrichten aus dem Ausland und aus Barcelona. Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Antifaschisten aus allen Ländern. Der Stamm bestand aus Deutschen, doch hatten sich auch Holländer, Schweizer, Luxemburger und einige Spanier eingefunden, die sich bei den Ausländern wohl fühlten. Clara wurde gebührend bestaunt und akzeptiert. Außer ihr gab es da noch eine einzige Frau, Pepita, eine Spanierin, die gemeinsam mit einem spanischen Arzt den Sanitätsdienst versah.

Als provisorischer militärischer Leiter fungierte ein Saarländer, ein gedienter Frontsoldat des Ersten Weltkrieges. Die endgültige Wahl sollte erst nach der Neukonstituierung der Hundertschaft erfolgen. Michel Michaelis versah die Aufgaben des politischen Leiters, die Bezeichnung Kommissar war verpönt. Er war der weitaus aufgeklärteste von allen und bemüht, aus den Männern überzeugte Anarchisten zu machen, wozu ihn jene unumgängliche moralische Autorität befähigte, die allein Ansehen und Geltung verschaffen kann. Michaelis lebte genau wie jeder andere Milizmann, ohne irgendwelche Vorrechte. Jeder, aber auch jeder einzelne Beschluß in der Formation wurde vorher von der gesamten Mannschaft besprochen, ehe eine Abstimmung dann definitiv entschied.

Unsere Hundertschaft gehörte zu der großen anarchistischen Kolonne Durutti, die in Katalonien und Aragonien eine Milizarmee von dreißig- bis vierzigtausend Mann stellte. Buenaventura Durutti war der in Spanien bekannteste anarchistische Führer gewesen; sein früher Tod bedeutete für die anarchistische Bewegung einen schweren Verlust.

Pina, ein typisches aragonesisches Bauerndorf von etwa zweitausend Einwohnern, lag an den Ufern des Ebro. Unsere Hundertschaft hatte sich in zwei großen, leerstehenden Bauernhäusern einquartiert. Wir schliefen alle im Stroh, jeder bekam zwei Decken. Die Hundertschaft gliederte sich in Zehnergruppen, deren jede einer Bauernfamilie zugeteilt wurde, wo sie essen konnte. Der Verantwortliche der Zehnergruppe - gewählt nach einem bestimmten Turnus - holte das Essen im Verpflegungsmagazin ab und mußte dort jeweils den genauen Bestand der Gruppe angeben, sowie die Zahl der Köpfe der Bauernfamilie, bei der gekocht und gegessen wurde. Täglich erhielten drei Mann den Auftrag, mit der Bauernfamilie gemeinsam das Essen vorzubereiten. In den geräumigen Küchen der aragonesischen Bauernhäuser wurde am offenen Kaminfeuer gekocht. Die betreffenden Bauernfamilien fanden dabei ihren Profit, aßen sie doch auf Kosten der Miliz mit. Das System hat während unseres dreimonatigen Aufenthaltes in Pina nie zu Unzuträglichkeiten geführt.

Alles Land war kollektiviert. Ein von den Bauern gewähltes Dorfkomitee organisierte die Arbeit und die Verteilung der Produkte. Jeden Morgen um sechs Uhr versammelten sich die arbeitsfähigen Bauern mit ihren Geräten und Eseln auf dem Dorfplatz; die zu leistende Arbeit wurde festgelegt und jedem zugewiesen. Der größte Teil des Ertrages an Gemüse, Wein, Früchten, Kartoffeln, Oliven, dazu eine Unmenge Hammelfleisch, wurde von der Armee aufgekauft, der Rest in Barcelona und kleineren Städten des Hinterlandes vertrieben. Als Arbeitslohn erhielten die Bauern in der Hauptsache Coupons im Wert der abgeleisteten Werkstunden; sie konnten damit alles kaufen; Lebensmittel, Wein, Tabak, Kleider und Schuhe und sogar zum Friseur gehen. Auch für die Kranken, Kinder und Alten war gesorgt. Ein kleiner Teil der Löhnung wurde in Pesetas ausbezahlt, für persönliche Bedürfnisse und falls einer zum Beispiel bestimmte Samen, Pflanzen oder Gemüse besonders gern haben wollte. Natürlich ging so manches Entgelt auch für eine Reise nach Barcelona, Kinos, Restaurants und so weiter drauf.

Das Couponsystem funktionierte auch in der Milizarmee. Hier bestand die Besoldung aus zehn Pesetas pro Tag. Jeder erhielt täglich ein Päckchen Zigaretten oder Tabak; wem es nicht genügte, der konnte zukaufen. Wein und Tabak blieben beschränkt, und mehr als ein Liter Wein pro Mann wurde nicht ausgegeben.

Da nichts im Dorf zu irgendwelchen Sonderausgaben verlockte, sparten die Milizionäre einen schönen Batzen vom wöchentlich ausbezahlten Sold. Der Wunsch, Geld auszugeben, war groß, doch Gelegenheit dazu bot einzig Barcelona. Das Urlaubssystem aber war streng geregelt. Alle drei Monate hatte jeder Anrecht auf eine Woche Urlaub. Wer mehr verlangte, mußte das vor einem Urlaubskomitee begründen, das aus dem politischen und militärischen Leiter und drei Milizionären bestand. Im allgemeinen wurde mit dem Urlaub kein Mißbrauch getrieben. In unserem Frontabschnitt gab es keine Kämpfe, und so zogen oft einige Trupps Milizionäre mit den Bauern zur Landarbeit aufs Feld. Unsere militärische Ausbildung bestand in Ausmärschen, Schießübungen, Unterweisung im Gebrauch der Handgranaten und im Ausheben von Schützengräben längs dem Ebroufer. Auf der anderen Flußseite lag der Gegner, von dem selten etwas zu sehen war. Gegenüber von Pina, auf der Feindseite des Ebro, hatten Franco-Truppen ein großes, weißes Haus besetzt. Mit den unsichtbaren Insassen des weißen Hauses schossen wir uns gelegentlich herum. Oft war von ferne Kanonendonner zu hören, auch der Lärm von Fliegerangriffen drang manchmal zu uns. Außer einigen Patrouillengängen erfolgten keine militärischen Aktionen. Größere militärische Unternehmungen standen nicht in unserer Kompetenz und waren bei unserer rudimentären Bewaffnung auch vollkommen ausgeschlossen. Es gab in der Hundertschaft vier verschiedene Gewehrmodelle, nämlich tschechische, spanische, französische und mexikanische, meist veraltet. Zu unseren täglichen Beschäftigungen gehörte es, die zu den Gewehren passende Munition zu sortieren. Wir hatten sehr viele Eierhandgranaten zur Verfügung, deren Behandlung nicht ungefährlich war und deren Wirkung beschränkt blieb. Unsere einzige schwere Waffe bestand in einem Maschinengewehr vom Typ Maxim.

Jede Funktion in der Abteilung wurde durch demokratische Wahl besetzt. Die Gewählten konnten jederzeit durch Beschluß der Hauptversammlung abgelöst werden. Die erste große Debatte entstand um die Frage, ob Clara in der Hundertschaft bleiben dürfe. Michaelis hatte das Problem zur Diskussion gestellt. In unserer Zehnerschaft erhob sich keine Opposition gegen sie. Mehrere Abende lang zog Clara von einer Zehnergruppe zur anderen, um ihre Sache zu verteidigen. Als es schließlich in der allgemeinen Versammlung zur Abstimmung kam, siegte sie mit einigen Stimmen Mehrheit - in Anbetracht des bestehenden Regierungsverbotes ein bemerkenswertes Resultat.

An den Feuerstellen, in den Schlafhütten und auf den Hauptversammlungen wurde die Entwicklung des Krieges eifrig besprochen. Manchmal gab Michaelis Informationen und seinen Kommentar dazu. Die Nachrichten waren schlecht. Der Verlust des Baskenlandes wirkte sich militärisch und moralisch katastrophal aus. Italienische Truppen rückten auf Malaga vor. Der zunehmende Einfluß der Kommunisten war unleugbar, mit aller Kraft operierten sie gegen die Milizarmee, forderten die Bildung einer regulären Armee mit Einheitskommando. Im Prinzip waren viele Anarchisten damit einverstanden, doch wollten sie unter keinen Umständen einen russisch-kommunistischen Oberbefehl.

Gerade zu dieser Zeit kam unverhofft unser Zürcher Freund Heiri Eichmann in Pina an. Eichmann hatte uns in Zürich gebeten, ihm die Einreise nach Spanien zu erleichtern, wo er mitkämpfen wollte. Da er nicht sofort mit uns reisen konnte, ließen wir ihm die Adresse der Grenzkontrolle in Perpignan zurück. Schon mehrfach hatten wir uns seines Ausbleibens wegen Sorgen gemacht, aber letzten Endes vermutet, er habe seine Absicht geändert. Nun erschien er in Begleitung eines deutschen Emigranten und erzählte seine Geschichte. Sie waren beide, ohne es zu ahnen, der kommunistischen Grenzkontrolle in die Hände gefallen und sofort wie alle Freiwilligen nach Albacete transportiert worden. Dort regierte der französische Kommunist André Marty als Oberkommissar der Brigaden. Im obligaten politischen Verhör entdeckten die kommunistischen Agenten die beiden rasch als unsichere Kantonisten. Statt sie an die Front zu schicken, setzte man sie ohne Federlesen in einer Kaserne fest. Ihr Glück war, daß Marty in seinem blinden Wüten gegen politisch Andersdenkende seit Wochen rücksichtslos alle einkerkerte, denen er politisch mißtraute. In der in ein Gefängnis umgewandelten Kaserne saßen bereits über hundert Anarchisten, Sozialisten, oppositionelle Kommunisten, Freiwillige ohne Parteizugehörigkeit, die alle verdächtig schienen. Die Atmosphäre in Albacete war wie mit Sprengstoff geladen, die gegenseitigen Überfälle und Morde zwischen Anarchisten und Kommunisten häuften sich. Die Explosion erfolgte spontan. Ein Kommando der FAI stürmte nach kurzem Feuergefecht mit den kommunistischen Wachen das Gefängnis und befreite alle Inhaftierten. Eichmann und Gernsheimer konnten nach Barcelona zurückfahren, meldeten sich bei der DAS und fanden den Weg zu uns nach Pina.

An den langen Winterabenden wurden für Interessierte Kurse und Vorträge gehalten. Es ging dabei oft ruppig zu, sobald die Rede auf den Kriegsverlauf kam. Die meisten Mitglieder der Hundertschaft waren weit entfernt davon, Anarchisten zu sein; sie hatte entweder der Zufall oder die Abneigung gegen die Kommunisten in diese Ecke des Kriegsgeschehens verschlagen. Einige zwanzig bekannten sich zu marxistischen Lehren und bildeten einen ziemlich kompakten Block.

Ein kleiner Teil der Milizionäre spielte Karten. Als sich herausstellte, daß dabei um Geld gespielt wurde, setzte es einen großen Skandal. Eine Hauptversammlung befaßte sich mit der Angelegenheit, verurteilte die Schuldigen und bestrafte sie mit vermehrtem Wachdienst. Ein einziges Mal kam es zu einer Sauferei und Prügelei; den Betroffenen wurde bei Wiederholung mit dem Ausschluß aus der Militz gedroht. Auf einer Hauptversammlung der Hundertschaft lernten wir den Spanier Manuel kennen. Manuel, von Beruf Schiffsheizer, hatte alle Meere befahren. Er kauderwelschte in sechs Sprachen und war ein altes, überzeugtes Mitglied der FAI. In irgendeiner Abstimmung votierte Manuel als einziger gegen den von allen unterstützten Vorschlag. Seelenruhig erklärte der Versammlungsleiter: «Also die Sache ist mit einer gegen alle Stimmen beschlossen.» Wie ein Teufel sprang Manuel auf und schrie schrill: «Nichts ist beschlossen, ich bin gegen Diktatur, das ist eine Vergewaltigung!»

In unserer Zehnerschaft befanden sich ein Berliner und ein Sachse. Willi Joseph war ein Arbeiter aus den Markthallen von Berlin. Bärenstark, einsneunzig groß, besaß er einen unverwüstlichen, bissig-skeptischen Humor, den er, der keiner Partei angehörte, gerecht auf alle Fraktionen und Fraktiönchen verteilte. Willi war undenkbar ohne seine Mundharmonikas, von denen er stets ein halbes Dutzend in allen Größen bei sich trug. Er ergötzte uns alle mit seinen lustigen Weisen, doch bei entsprechender Laune konnte er auch klassische Sachen blasen. Dauernd zu den tollsten Streichen aufgelegt, erhielt er in der Hundertschaft den Spitznamen «Dorfnarr». Er kannte aber seinen Heine, Goethe und Lessing auswendig, fand in jeder Unterhaltung die passenden Verse, die den Nagel auf den Kopf trafen. Sein Gegenstück war der «Giftzwerg», ein kleiner, lebendiger, gift spritzender Sachse aus Dresden. Garlanty gehörte politisch zur KPO, Richtung Brandler und Thalheimer, und verfügte über ein solides marxistisches Rüstzeug. Die zwei waren unzertrennlich, nahmen an allen Debatten regen Anteil und unterstützten meist die von uns vertretenen Anschauungen. Die freiwilligen Kurse und Vorträge besuchten regelmäßig dreißig bis vierzig Milizionäre. Neben kulturellen und künstlerischen Problemen stand selbstverständlich das Kriegsgeschehen im Vordergrund. Michaelis verteidigte den offiziellen anarchistischen Standpunkt der CNT und FAI. Seinem ganzen Temperament gemäß, neigte er eher zu einer revolutionären Einstellung, doch in seiner Position konnte er sich mit der marxistischen Kritik nicht identifizieren. Seine Argumentation ließ sich etwa so zusammenfassen: «Um dem spanischen Volk die russische Hilfe zu erhalten, müssen wir mit den Kommunisten wohl oder übel bestimmte Kompromisse eingehen. Aber solange wir die Betriebe beherrschen, uns auf die Arbeiter- und Bauernkomitees stützen, die Milizarmee auf unserer Seite haben, sind wir in der Lage, den kommunistischen Einfluß zu kontrollieren und weitgehend unschädlich zu machen.»

Unsere Kritik richtete sich gegen die ungenügende Verteidigung und den ungenügenden politischen Ausbau der Komitees als der Basis einer revolutionären Umwälzung, die bereits begonnen hatte. Der Eintritt der Anarchisten in die Volksfrontregierung hemme, ja zerstöre diese revolutionäre Entwicklung; mit ihm sei die anarchistische Bewegung auf die Linie der Kommunisten eingeschwenkt, deren Losung: «Erst den Krieg gegen Franco gewinnen, dann mit der Revolution beginnen» die Sozialrevolutionäre Umwälzung verhindere. Der Krieg lasse sich nur durch revolutionäre Methoden und Ziele gewinnen. Die Kompromisse mit der kommunistischen Politik seien heute so tiefgehend, die revolutionären Kräfte bereits so weit geschwächt und zersetzt, daß sich der Bürgerkrieg langsam, aber unaufhaltsam in einen simplen imperialistisch-militärischen Konflikt verwandle.

Michaelis wollte seine Autorität stärken und holte sich aus Barcelona einen versierten anarchistischen Theoretiker, um unsere Kritik zu entschärfen. Die dauernden Niederlagen gegenüber den Franco-Truppen, der Fall Malagas, der sich mitten in unserer Diskussion ereignete, gaben den Debatten einen immer herberen Charakter. Eines Tages lud uns Michaelis vor und erklärte uns, so könne das nicht weitergehen. Nun wußten wir, was die Glocke geschlagen hatte. Da er durchblicken ließ, er könne nicht länger für unsere Sicherheit garantieren, hielten wir Rat. Fünfzehn Mitglieder der Hundertschaft beschlossen, gemeinsam die Front zu verlassen. Michaelis war mit dieser Entscheidung sehr zufrieden und bereitete unserem Abmarsch keine Schwierigkeiten. Er ließ uns sogar die Gewehre mitnehmen, die wir erst kurz vor Barcelona abgeben mußten. Da er uns auch ein Schreiben an die Milizinstanzen aushändigte, das uns berechtigte, im Milizheim zu Barcelona eine Woche Urlaub zu verbringen, vollzog sich der Abschied reibungslos. Michaelis hatte wahrscheinlich übertrieben, als er unsere persönliche Sicherheit gefährdet zu sehen behauptete; ihm ging es mehr darum, unbequeme Kritiker loszuwerden. Immerhin war nicht zu bestreiten, daß die Hundertschaft in Pina im großen Meer der anarchistischen Kolonne Durutti nur ein kleiner Tropfen war, was unserer Kritik natürlich Grenzen setzte.

Eine Woche hausten wir im Milizheim in Barcelona. Für jeden stellte sich die Frage: Sich weiter in Spanien engagieren oder aufgeben? Willi Joseph, Heiri Eichmann, Armin Walter und einige andere hatten die Nase voll und entschlossen sich, Spanien zu verlassen; einige andere traten in ein sogenanntes «Todesbataillon» der Anarchisten ein. In Barcelona hatte sich vieles verändert. Aus der bisher unscheinbaren PSUC (Katalanische Kommunisten) war eine starke Organisation geworden, deren Hauptaufgabe darin bestand, den Kampf gegen die Trotzkisten, die POUM, die «Unkontrollierbaren» zu führen. Unter Anleitung der russischen Agenten lernte die PSUC ausgezeichnet, wie man das Kleinbürger- und Bürgertum beruhigte und es gegen die revolutionären Elemente aufwiegelte. Im Zusammenspiel mit der katalanischen Generalidad mit Luis Companys an der Spitze, die seit Beginn des Bürgerkrieges ein Schattendasein geführt hatte und nur ein Vollzugsorgan des antifaschistischen Milizkomitees gewesen war, gelang es den Kommunisten, eine ganze Reihe von Prärogativen den Milizkomitees zu nehmen und den offiziellen Regierungsstellen zuzuweisen. Die Vertreter der POUM im Milizkomitee waren mit Hilfe russischer Drohungen und Erpressungen aus dem Komitee ausgeschlossen worden. Die führende Rolle der CNT in den Betrieben wurde Stück für Stück abgebaut und kommunistischen Instanzen unterordnet. Das zentrale Milizkomitee mußte nun wichtige Beschlüsse von der Generalidad bestätigen lassen, deren Bewilligung einholen. Zahlreiche kollektivierte Betriebe wurden den früheren Unternehmern ausgeliefert, die sich «loyal» verhalten hatten.

Die Machtbefugnisse der lokalen Komitees wurden mit allen Mitteln beschnitten. Wo sich Widerstand zeigte, brach man ihn mit legalen und illegalen Methoden. Die vormals dominierende FAI und CNT waren völlig in die Defensive gedrängt, die bislang ungehindert freie anarchistische Presse sowie das Organ der POUM, «La Batalla», sahen sich der strengen Regierungszensur unterstellt und erschienen jetzt öfters mit weißen Stellen.

Die Atmosphäre der Stadt war wie ausgewechselt. Obwohl natürlich noch überall der Milizoverall auftauchte, überwog wieder die Zivilkleidung, die bessere, durchaus bürgerliche Garderobe. Die Ernährungslage verschlechterte sich katastrophal, vor den Lebensmittelgeschäften standen die Frauen in langen Schlangen. Zugleich hatten die feinen Restaurants, wo für Geld alles zu haben war, wieder geöffnet. Da verkehrten Zivilisten mit undurchsichtiger Beschäftigung, viele Offiziere der «Volksarmee» in nagelneuen Uniformen, eine Menge Bürokraten aller Schattierungen. Mit sämtlichen Lebensmitteln außer dem streng rationierten Brot blühte ein schwunghafter Schwarzhandel. Der alte gesellschaftliche Gegensatz, der in der Revolutionsperiode fast ganz verschwunden war, feierte fröhliche Urstände. Die ehemaligen Begrüßungsformeln tauchten wieder auf, das «Salud» der Milizionäre hieß jetzt wieder «Buenos dias», die Anrede nicht mehr «Companeros»; das alte «Senor» und «Senorita» ließ jeden wissen, daß das Leben wieder «legal» und «normal» geworden war.

Mit Erbitterung mußten die Milizionäre der FAI, der CNT und der POUM die frischgebackenen Offiziere der «Volksarmee» in ihren adretten Monturen herumstolzieren sehen. In geschniegeltem Khaki, glänzenden Schaftstiefeln, moderne Pistolen umgehängt, bildeten sie einen dramatischen Kontrast zu der zerlumpten Kluft der hier urlaubernden Milizionäre. Die Revolutionsbegeisterung war einer dumpfen Resignation gewichen. Sprachen die Leute vom Krieg, und das war jetzt gar nicht so oft der Fall, dann nur um zu fragen: Wann hört er auf?

Politisch befanden wir uns im Niemandsland. Vom Trotzkismus hatten wir uns ideologisch gelöst. Der offiziellen anarchistischen Politik, die, naiv und romantisch, den Kriegsanforderungen wie den russischen Manövern nicht gewachsen war, standen wir kritisch ablehnend gegenüber. Die POUM? Sie war eine Minderheit, von heftigen Richtungskämpfen geschüttelt, den täglichen verleumderischen Angriffen der Kommunisten ausgesetzt, die sie als verbrecherische trotzkistische Organisation denunzierten. Dazu stieß sie, die marxistische Partei, auch bei den Anarchisten auf scharfe Ablehnung. Das änderte sich zum Teil erst, als auch die Anarchisten mehr und mehr Zielscheibe der kommunistischen Angriffe wurden. Trotzdem beschloß ich, in die POUM-Miliz einzutreten.



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